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Herbstfreundinnen

Als Buch hier erhältlich:

Liebe überstrahlt alles

Von außen betrachtet ist ihr Leben perfekt: Sie lebt und leitet eines der angesehendsten Weingüter, ihre Schwägerin ist ihre beste Freundin, ihr Mann begehrt und erfolgreich ... Im Grunde führt sie das Leben, von dem sie immer geträumt hat. Doch Mackenzie Dienes muss sich eingestehen, dass sie und Rhys einfach kein glückliches Paar mehr sind. Als er die Trennung will, ist Mackenzies Schmerz unermesslich. Denn sie sieht sich nicht nur dem Verlust der Beziehung, sondern auch dem ihres Zuhauses und ihrer Familie gegenüber. Seine Schwester Stephanie aber hält zu ihr und macht Mackenzie Mut. Denn manchmal muss man alles loslassen, um das beste Geschenk des Lebens zu erhalten.

»Sie werden sicher lachen und weinen und sich über das Happy End freuen.« SPIEGEL-Bestsellerautorin Robyn Carr über Herbstfreundinnen


  • Erscheinungstag: 23.08.2022
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749904952
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

»Also, nicht dass das, was du anhast, nicht toll aussieht, aber die Party beginnt in einer Stunde.«

Mackenzie Dienes schaute von dem Weinstock auf, den sie gerade inspiziert hatte. In Gedanken war sie noch bei den kleinen, festen Trauben, die im späten September reif und süß zur Ernte bereit wären. Bis dahin würde sie ihre Fortschritte genau beobachten, sie in Gedanken zu Höchstleistungen anfeuern und sie vor allen Gefahren beschützen, seien es Schimmel, schlechtes Wetter oder hungrige Rehe.

Nun schaute sie blinzelnd den Mann an, der vor ihr stand. Er war groß und vertraut, hatte ein gewinnendes Lächeln und breite, starke Schultern.

»Party?«, fragte sie und ließ die Gedanken an den Weinberg ziehen. Ja, sie erinnerte sich. Heute war tatsächlich der Tag der jährlichen Sommersonnenwendfeier, die von der Barcellona-Familie ausgerichtet wurde. Da sie – wenn auch nur durch Heirat und nicht namentlich – eine Barcellona war, wurde von ihr erwartet, dass sie daran teilnahm.

Und das will ich ja auch, sagte sie sich. Es war immer ein schönes Fest, und Stephanie, ihre Schwägerin, arbeitete hart dafür, dass der Abend perfekt wurde.

»Die Party«, wiederholte sie ein wenig panisch, bevor sie an sich hinunterschaute. »Mist. Wie spät ist es?«

Rhys, ihr Mann, schüttelte den Kopf. »Du hörst mir wirklich nicht zu, oder? Wir haben noch eine Stunde. Das reicht locker.«

Sie zog die Handschuhe aus und steckte sie in die linke Vordertasche ihres Overalls, dann trat sie hinter Rhys und versetzte ihm einen kleinen Schubs in Richtung des Trucks, mit dem er in die westlichen Weinberge gefahren war.

»Das sagst du so. Du brauchst nur zu duschen und dich anzuziehen. Ich hingegen muss noch ganz viele Frauensachen machen.«

»Wofür du normalerweise nicht mehr als zehn Minuten brauchst.« Er legte den Arm um sie, und gemeinsam gingen sie zum Truck. »Bist du zufrieden mit den Trauben?«

»Ich glaube schon.« Sie warf einen Blick zu den gesunden Weinstöcken, die zu beiden Seiten des Wegs wuchsen. »Vielleicht müssen wir sie in ein paar Wochen ein wenig ausdünnen, aber bis jetzt sieht alles gut aus.«

Als sie sich auf die durchgehende Sitzbank in dem alten Truck setzten, schaute Rhys sie an. Mackenzie wusste, die Chancen standen fünfzig zu fünfzig, dass er sie auf die Ausdünnung ansprechen würde. Immerhin war er der Manager des Weinguts. Eigentlich traf er alle Entscheidungen, wobei er durchaus ihren Rat einholte, aber keine Anweisungen von ihr annahm. Als Kellermeisterin kümmerte sie sich um die Trauben von dem Moment an, in dem sie gepflückt wurden, bis zur Abfüllung in die Flaschen.

Doch in Bel Après überlagerten sich die Verantwortungsbereiche manchmal. Sie waren eine große, laute Familie, in der jeder seine Meinung vertrat. Was ihre Weine anging, ignorierte Mackenzie die meisten Ratschläge, hielt sich jedoch nicht zurück, ihre Ansichten, was seine Arbeit anging, laut kundzutun, wie Rhys nie müde wurde zu betonen.

Er fuhr über den Schotterweg, der einmal um das Weingut herumführte, und hielt neben ihrem Truck an. Nachdem Mackenzie eingestiegen war, startete sie den Motor und folgte ihrem Mann zurück zum Familiensitz. Die Hauptstraße, die nach Walla Walla führte, war voller Touristen, die den längsten Tag des Jahres genießen wollten. Mackenzie reihte sich in den zäh fließenden Verkehr ein und bemühte sich, nicht ständig auf die Uhr am Armaturenbrett zu schauen, während die Autoschlange nur sehr langsam dahinkroch.

Auf beiden Seiten der Straße erstreckten sich die Weinberge – links flach bis zum Horizont, rechts die Hügel hinauf. Hellgrüne Blätter zierten die stämmigen Rebstöcke, die durch ihren sorgfältigen Schnitt genauso gediehen wie von Mackenzie geplant. Zwischen den langen, ordentlichen Reihen wuchs Gras, das die Feuchtigkeit hielt und die Wurzeln vor der Hitze schützte.

Ihre gesunden Pflanzen anzuschauen lenkte sie davon ab, dass sie und Rhys viel zu spät dran waren.

Zwanzig Minuten später bog sie hinter ihm vom Highway auf eine weniger befahrene Landstraße ab – eine Ausweichstrecke, die ebenfalls nach Hause führte. Fünf Minuten darauf parkten sie die Trucks bei den Lagerhallen hinter dem großen Verkostungsraum. Rhys hatte sich bereits in eines der Golfcarts gesetzt, mit denen die Familie auf dem riesigen Anwesen schnell von einem Gebäude zum nächsten kam. Sie setzte sich neben ihn, und er fuhr los.

Die Bel Après Winery und das sie umgebende Land befanden sich seit beinahe sechzig Jahren im Besitz der Familie Barcellona. Rhys und seine Geschwister waren die dritte Generation, die das Weingut leitete. Das Originalhaus war inzwischen mehrmals renoviert und erweitert worden. Als Rhys und Mackenzie geheiratet hatten, hatte Rhys’ Mutter Barbara vorgeschlagen, dass sie sich ein Haus in der Nähe bauten, anstatt jeden Tag den langen Weg aus der Stadt auf sich zu nehmen. Da Mackenzie darauf bedacht gewesen war, sich mit ihrer neuen Schwiegermutter gut zu stellen, hatte sie eingewilligt.

Also war ein großes, zweistöckiges Haus errichtet worden. Barbara und Mackenzie hatten jeden Raum selbst gestaltet, und alles – von den Lichtschaltern bis zu den Türklinken – zeugte von ihrer gegenseitigen Zuneigung.

Ein paar Jahre später hatte Stephanie, das zweitälteste von Barbaras vier Kindern, sich scheiden lassen und war mit ihren beiden Kindern nach Hause zurückgezogen. Das hatte dazu geführt, dass ein weiteres Haus gebaut werden musste. Als die jüngste der drei Schwestern geheiratet hatte, war das letzte Haus dazugekommen. Nur Lori, die mittlere Tochter, wohnte noch im Haupthaus.

Alle vier Häuser waren um einen riesigen Innenhof angeordnet und mit Wegen aus mexikanischen Steinfliesen miteinander verbunden, die von weinbewachsenen Laubengängen beschattet wurden. Die Familie nutzte diesen Platz für gemeinsame Mahlzeiten und als Spielplatz für die Kinder. Wenn eine der Frauen Kekse backte, wurde eine Keksfahne an die Tür gehängt, die jeden einlud, vorbeizukommen und sich zu bedienen. Zu Weihnachten wurde ein großer Baum von Wishing Tree herbeigeschafft, und für die jährliche Sommersonnenwendfeier wurden Dutzende lange Tische aufgestellt, um den über zweihundert Gästen genügend Platz zu bieten.

Rhys fuhr gegen den Uhrzeigersinn hinter dem großen Hauptgebäude entlang. Normalerweise wäre er quer über den Innenhof gefahren, aber da die Vorbereitungen für die Feier schon in vollem Gange waren, musste er diesen Umweg nehmen. Vor dem Hintereingang zu ihrem Haus blieb er kurz stehen, und sie eilten beide hinein.

Im Vorraum zogen sie ihre Stiefel aus, dann rannten sie gemeinsam die Treppe hinauf und trennten sich oben, um in ihre separaten Badezimmer zu hasten.

Dort angekommen, stellte Mackenzie die Dusche an. Zum Glück wusste sie bereits, welches Kleid sie anziehen wollte. Schnell sprang sie unter den warmen Wasserstrahl, trocknete sich danach ab und wickelte sich ein Handtuch um die nassen Haare. Dann cremte sie sich mit der parfümierten Bodylotion ein, die Rhys ihr geschenkt hatte. Warum irgendjemand nach Kokosnuss und Vanille riechen wollte, war ihr zwar nicht klar, aber ihm gefiel es.

Lächelnd betrat sie ihren begehbaren Kleiderschrank und zog die Schublade mit der Unterwäsche auf. Rechts lagen die ganzen praktischen Slips, die sie normalerweise trug – links fanden sich die etwas schickeren Modelle für besondere Gelegenheiten. Sie wählte ein schwarzes Höschen aus und zog es an, dann suchte sie in einer zweiten Schublade nach dem passenden Push-up-BH. Nachdem ihre kaum vorhandenen Kurven so bestmöglich in Szene gesetzt worden waren, zog Mackenzie ihren Morgenmantel über und kehrte ins Badezimmer zurück.

Während die Lockenwickler aufheizten, nahm sie sich ein paar Minuten, um Eyeliner und Wimperntusche aufzutragen. Da sie nach dem Tag draußen leicht gebräunt war, machte sie sich nicht die Mühe, sich weiter zu schminken.

Für ihre schulterlangen dunkelroten Haare benötigte sie länger. Zuerst musste sie sie föhnen, dann aufdrehen. Mit den Lockenwicklern auf dem Kopf suchte sie nach einem Paar hochhackiger schwarzer Sandaletten, in denen sie am Ende des Abends nicht den Wunsch verspüren würde, sich die Füße abzuhacken.

Nachdem sie die Schuhe gefunden hatte, öffnete sie ihr kleines Schmuckkästchen und steckte sich den Ehe- und Verlobungsring an den linken Ringfinger. Dazu entschied sie sich für kleine Diamantohrstecker. Kaum war sie in das ärmellose schwarze Kleid geschlüpft, kam Rhys herein. Er trug eine schwarze Stoffhose und ein dunkelgraues Hemd.

»Siehst du? Du hast es so viel leichter als ich«, sagte sie seufzend.

»Stimmt, aber am Ende bist du viel schöner. Das sollte es doch wert sein.«

»Ich hätte lieber die Extrazeit.«

Sie drehte sich um, damit er den Reißverschluss ihres Kleides zuziehen konnte, dann beugte sie sich vor und sammelte die Schuhe auf. Gemeinsam gingen sie ins Badezimmer, wo Mackenzie die Lockenwickler aus den Haaren nahm.

»Wir sind spät dran«, sagte sie, als sie einen Blick auf seine Uhr warf. »Deine Mom wird sicher schnippisch reagieren.«

»Ach, sie wird zu viel damit zu tun haben, die Gäste zu begrüßen.«

Der letzte Lockenwickler flog auf den Waschtisch. Mackenzie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und deutete dann aufs Schlafzimmer.

»Rückzug«, orderte sie augenzwinkernd und griff nach der Dose Haarspray.

Rhys begab sich in Sicherheit. Sofort sprühte Mackenzie sich die Locken ein und stürzte dann ins Schlafzimmer, um der tödlichen Wolke zu entkommen. Rhys saß auf der Bank am Fußende des großen Betts. Mackenzie setzte sich neben ihn und zog die Schuhe an.

»Fertig«, verkündete sie und brauchte einen Moment, um sich an das ungewohnte Gefühl zu gewöhnen, auf so hohen Absätzen zu stehen.

Dann ergriff sie das Handgelenk ihres Mannes und schaute erneut auf seine Uhr. »Viertel nach sieben. Barbara wird uns umbringen.«

»Wird sie nicht. Ich bin ihr einziger Sohn, und du bist sowieso ihr Liebling.«

»Wir waren nicht um Punkt sieben fertig. Ich habe schon den Trauermarsch im Ohr. Ich möchte bitte am Red Mountain begraben werden.«

Leise lachend führte Rhys sie nach unten. »Im Weinberg? Ich bin mir nicht sicher, ob eine verwesende Leiche als organischer Dünger durchgeht.«

»Willst du damit sagen, ich bin giftig?«, fragte sie lachend, während sie auf die Haustür zugingen.

»Ich sage, dass du umwerfend bist, und ich möchte, dass wir einen wundervollen Abend haben.«

Da ist etwas in seinem Ton, dachte sie und fing seinen Blick auf. Sie kannte diesen Mann schon ihr ganzes Erwachsenenleben. Sie hatten sich im ersten Jahr auf dem College an Weihnachten kennengelernt. Ihre Mitbewohnerin – seine Schwester Stephanie – hatte Mackenzie überredet, mit zu ihr nach Hause zu kommen, um gemeinsam mit ihrer Familie zu feiern. Dankbar, die Feiertage nicht allein verbringen zu müssen, hatte Mackenzie die Einladung nur zu gern angenommen und sich Hals über Kopf verliebt – nicht nur in den attraktiven älteren Bruder ihrer Freundin, sondern in die gesamte Barcellona-Familie und ihr Weingut. Barbara war wie eine Ersatzmutter gewesen, und die Weinberge … Nun ja, sie waren genauso magisch wie Rhys’ sexy Küsse.

Jetzt musterte sie ihren Ehemann und sah den Anflug von Traurigkeit hinter seinem leichten Lächeln. Den erkannte sie, weil sie tief im Inneren das Gleiche empfand. Die Tage, in denen sie sich für heimliche Küsse davongestohlen hatten, waren längst vorbei. Es gab keine sehnsüchtigen Blicke, keine Intimität mehr. Sie hatten eine Routine und ein gemeinsames Leben, aber sie war sich nicht sicher, ob sie auch immer noch eine Ehe führten.

»Das fände ich auch schön«, murmelte sie. Sie wusste, sein Wunsch nach einem schönen Abend war keine Bitte, dass sie sich nicht streiten würden. Denn das taten sie nie. Harsche Worte verlangten nach einem Engagement, das sie beide nicht mehr aufbringen konnten.

»Dann sorgen wir dafür«, sagte er leichthin, nahm ihre Hand und öffnete die Haustür.

Sofort wurden sie von lauten Partygeräuschen empfangen, die sie in Richtung der immer größer werdenden Gästeschar zogen. Mackenzie spürte, wie ihre Laune sich hob, als sie die funkelnden Lichter sah, die um die Pergola gewunden waren, die Tische, die sich unter den leckersten Speisen bogen, die Kisten mit Bel-Après-Wein, angefüllt mit Flaschen, die nur darauf warteten, geöffnet zu werden. Kellner boten auf Tabletts Bruschetta an. Es gab eine Pasta-Bar und einen Tisch für Desserts. Aus den in den Weinreben verborgenen Lautsprechern drang leise Musik, und der köstliche Geruch von Knoblauch mischte sich mit dem süßen Duft der Sommerblumen.

Mackenzie erblickte Stephanie, die sich mit einem der Kellner unterhielt, und drückte ein letztes Mal Rhys’ Hand, bevor sie sich von ihm löste und auf ihre Schwägerin zuging.

»Du hast dich mal wieder selbst übertroffen«, sagte sie und umarmte ihre Freundin.

»Ja, ich bin ziemlich gut«, erwiderte diese lachend, dann deutete sie auf die Lichterketten. »Die werden wesentlich hübscher aussehen, wenn die Sonne in ungefähr zwei Stunden untergeht.«

Denn der längste Tag in ihrem Teil von Washington State zählte gute sechzehn Stunden Tageslicht.

»Bist du erschöpft?«, fragte Mackenzie, weil sie wusste, dass Stephanie die letzten drei Wochen damit beschäftigt gewesen war, die Party zu planen und sicherzustellen, dass alles perfekt war.

»Es war die übliche Herausforderung mit ein paar Extras«, erwiderte ihre Schwägerin leichthin. »Ich werde nicht mal andeuten, was das alles war, aber wappne dich für die eine oder andere Überraschung.«

Sofort ließ Mackenzie den Blick über die Menge schweifen. »Ist Kyle da?«

Stephanie war eine zierliche Brünette mit wohlgerundeten Kurven, wunderschönen braunen Augen und einem charmanten Lächeln. Jetzt stöhnte sie auf. »Was? Nein. Das ist es nicht. Ich habe dir doch gesagt, dass ich über ihn hinweg bin. Total und komplett und für immer.«

»Aber er ist hier.«

»Ja. Mom lädt ihn jedes Jahr ein, weil er der Vater von Avery und Carson ist. Dass er auch mein Ex-Mann ist, scheint sie nicht zu interessieren. Du weißt, wie stur sie sein kann.«

Das wusste Mackenzie tatsächlich. Sobald ihre Schwiegermutter sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ sie sich von nichts und niemandem mehr umstimmen. Sie hätte als lebendes Beispiel für den Begriff »Konsequenz« im Lexikon verewigt werden können.

»Kyle ist der Vater ihrer ältesten Enkelin und gehört deshalb zur Familie.« Stephanie zog die Nase kraus. »Ich halte das unangenehme Gefühl einfach aus. Das Gute ist, sie bezeichnet ihn als ›Samenspender‹. Das gefällt mir.«

»Wenn er sich doch nur gegen den Ehevertrag gewehrt hätte. Dann hätte Barbara sich wie eine Kobra gegen ihn gewandt.« Mackenzie hielt inne. »Bist du sicher, dass du nicht wieder mit ihm zusammen sein willst?«

»Ja. Absolut. Damit bin ich durch. Er hat mich nach der Scheidung jahrelang an der Nase rumgeführt. Kein Sex mehr mit dem Ex. Seit unserem letzten Mal sind achtzehn Monate vergangen, und ich bleibe standhaft. Ich mag zwar spitz sein wie Nachbars Lumpi, aber ich werde meiner Lust nicht nachgeben.« Sie schaute sich unter den Gästen um. »Vielleicht findet er hier ja eine andere.«

»Hast du dich jemals auf einen anderen eingelassen?«

»Nein, aber es gibt für alles ein erstes Mal.« Sie verzog das Gesicht. »Ich weiß nur nicht, wie das gehen soll. Schleichen wir uns ins Fasslager und treiben es da auf dem Schreibtisch, oder was? Ich kann ihn ja nicht mit nach Hause nehmen – wegen der Kinder. Und es im Auto zu machen ist einfach so billig.«

»Und das Fasslager nicht?«, zog Mackenzie sie lachend auf.

»Ich weiß nicht. Das könnte auch romantisch sein.«

»Oder zumindest berauschend.«

Stephanie winkte ab. »Na gut. Nicht das Fasslager. Aber dann habe ich immer noch keinen Ort, ganz zu schweigen von passenden Anwärtern.« Sie seufzte, als sie auf einen der Tische zuging, an dem Wein ausgeschenkt wurde. »Deshalb habe ich mich auch noch nie auf einen anderen eingelassen. Es ist einfach zu kompliziert. In den Filmen sieht es immer so leicht aus, aber das ist es nicht.«

»Sorry, ich habe in diesen Dingen keinerlei Erfahrung. Ich werde aber mal recherchieren, damit ich nächstes Mal bessere Ratschläge geben kann.«

»Und dafür liebe ich dich so.« Stephanie schüttelte den Kopf. »Offensichtlich sollte ich diese ganze Mann-Schrägstrich-Sex-Sache vergessen und mich auf andere Aspekte meines Lebens konzentrieren.«

Sie bestellten sich beide ein Glas Cabernet. Während Stephanie einfach einen Schluck trank, nahm Mackenzie sich einen Moment Zeit, um die Farbe zu mustern und dann das Aroma einzuatmen. Sie wirbelte den Wein zweimal im Glas herum, sog den Duft dann noch einmal ein und genoss die perfekte Balance aus Früchten und …

»Um Himmels willen, trink den Wein einfach. Ich flehe dich an«, sagte Stephanie lachend. »Er ist gut. Er war gut, als du beim Pressen der Trauben zugeschaut hast, er war in den Fässern gut. Er war gut, als er in Flaschen abgefüllt wurde, und er war gut, als er seinen bestimmt tausendsten Preis gewonnen hat. Okay? Es ist ein guter Wein. Also entspann dich, und hör für einen Abend auf, Kellermeisterin zu sein.«

»Du bist schlecht drauf.« Mackenzie nahm einen Schluck und lächelte. »Und nur fürs Protokoll, er ist wesentlich besser als gut.«

»Klar, dass du das sagt. Es ist ja schließlich dein Wein.« Lächelnd warf Stephanie einen Blick über Mackenzies Schulter. »Da kommt dein attraktiver Ehemann. Ich schätze, er möchte den ersten Tanz.«

Mackenzie drehte sich um und sah Rhys näher kommen. Er genoss es, auf der Sonnenwendfeier zu tanzen, und drehte mit jedem der weiblichen Gäste eine Runde auf dem Parkett, doch den ersten Tanz reservierte er immer für sie.

»Sollen wir?«, fragte er und streckte ihr die Hand hin.

Mackenzie gab Stephanie ihr Weinglas und folgte ihrem Mann auf die kleine Tanzfläche. Noch gesellte sich niemand zu ihnen, doch das würde sich im Laufe des Abends ändern.

»Wir müssen das Bewässerungssystem am Seven Hills überprüfen«, sagte sie, während sie sich im Rhythmus der Musik bewegten. »Laut Wettervorhersage stehen uns heiße und trockene Wochen bevor, und ich möchte die zugeführte Feuchtigkeit genau kontrollieren.«

Einer der Vorteile der »modernen« Weinberge war, dass man die Qualität des Weins dank ausgeklügelter Bewässerungssysteme genau kontrollieren konnte. Sobald die Früchte voll entwickelt waren, konnte man den Weinstöcken Wasser entziehen und sie somit etwas Stress aussetzen, wie es genannt wurde, damit die Früchte noch besser reiften.

»Ich weiß, dass ich jetzt lieber nicht darauf hinweisen sollte, dass wir den Weinberg erst letzten Monat begangen haben«, sagte Rhys leichthin.

»Das war nur ein Allgemeincheck. Jetzt geht’s um ein bestimmtes Detail.«

»Wie du wünschst.« Er wirbelte sie in einem engen Kreis herum. »Vielleicht können wir die Arbeit jetzt mal für den Rest des Abends vergessen?«

»Was?« Warum sollten sie nicht über … »Oh. Die Party. Tut mir leid.«

»Du musst dich nicht entschuldigen. Ich weiß, dass du nie ganz ›außer Dienst‹ bist, aber wenn wir das Thema für den heutigen Abend hintanstellen könnten, wäre ich sehr dankbar.«

Natürlich. Weil er Veranstaltungen wie diese liebte. Er unterhielt sich gern mit seinen Freunden, lernte neue Leute kennen und war generell gern unter Menschen. Rhys war wesentlich extrovertierter als sie. Wenn hier in der Gegend jemand Neues in den Kreis der Winzer aufgenommen wurde, war er der Erste, der hinging und sich vorstellte.

Also nickte Mackenzie zustimmend und suchte krampfhaft nach einem Thema, das nichts mit den Weinbergen oder Wein zu tun hatte.

»Ich hoffe, dass Kyle endlich Stephanie in Ruhe lässt«, sagte sie und hoffte, damit neutraleres Terrain zu betreten. »Sie bemüht sich sehr, das alles hinter sich zu lassen.«

»Sie muss herausfinden, was sie will. Er wird sie immer wieder fragen – es ist an ihr, ein für alle Mal Nein zu sagen und es auch so zu meinen.«

Sie wusste, dass er recht hatte, aber aus irgendeinem Grund irritierte seine schonungslose Zusammenfassung der Lage sie.

»Das klingt nicht sonderlich verständnisvoll«, sagte sie, bevor sie sich zurückhalten konnte. »Kyle ist ein bekannter Sportreporter in Seattle, der ohne Probleme jede Nacht eine andere Frau finden kann. Stephanie ist alleinerziehende Mutter, die in einer Kleinstadt wohnt und im Familienunternehmen arbeitet. Wo genau soll sie da jemanden kennenlernen?«

Ihr Mann starrte sie an. »Was hat das denn damit zu tun, ob sie weiterhin mit Kyle schläft oder nicht?«

Sie zuckte die Schultern. »Sie hat keine anderen Optionen. Und sie ist einsam.«

»Sie wird so lange einsam bleiben, bis sie wieder da rausgeht.«

»Wovon genau sprichst du? Von der riesigen Single-Szene hier in Walla Walla?«

Sie blieben mitten auf der Tanzfläche stehen und sahen einander an. Es ist das erste Mal, dachte Mackenzie, dass wir beide so etwas wie einen Streit haben. Sie hatte keine Ahnung, warum sie so leidenschaftlich war, was dieses Thema anging, oder was genau ihren wachsenden Unmut auslöste. Aber was auch immer es war, die Sommersonnenwendfeier war nicht der richtige Ort, diesen unerklärlichen Gefühlen nachzugeben.

»Es tut mir leid«, sagte sie schnell. »Du hast natürlich recht. Stephanie muss dafür sorgen, dass Kyle keine so große Versuchung mehr für sie darstellt.«

Seine Miene wurde ganz weich. »Ich möchte, dass meine Schwester glücklich ist.«

»Das weiß ich doch.«

»Und ich möchte auch, dass du glücklich bist.«

Da schwang etwas in seinen Worten mit. Als wäre er nicht sicher, ob das möglich war.

»Das bin ich«, sagte sie rasch und dachte, dass das beinahe der Wahrheit entsprach.

»Das hoffe ich.«

Sie zwang sich zu einem Lächeln und deutete auf die wachsende Menge an Gästen. »Heute warten viele Frauen darauf, dass du mit ihnen tanzt. Du solltest besser anfangen.«

Kurz musterte er sie, als versuche er, ihre Stimmung zu ergründen. Mackenzie behielt das Lächeln bei, bis er sich abwandte. Nachdem er gegangen war, schaute sie sehnsüchtig zu ihrem Haus. In seiner Stille zu verschwinden war verlockend, aber nicht realistisch. Heute Abend herrschte Anwesenheitspflicht für alle Familienmitglieder, und es kam nicht infrage, sich früh davonzustehlen. Doch bald, versprach sie sich. In der Stille ihres Zimmers würde sie dieses leichte Unbehagen nicht mehr spüren, das sie seit Monaten verfolgte. Allein in der Dunkelheit würde sie ruhig und glücklich sein und nur an die guten Dinge denken, wie an die anstehende Ernte und den Wein, den sie keltern würde. Allein in der Dunkelheit wäre sie endlich wieder sie selbst.

2. KAPITEL

Barbara Barcellona beobachtete ihre lachenden und tanzenden Gäste. Die Sommersonnenwendfeier hatte inzwischen eine zehnjährige Tradition, und Barbara genoss das Fest immer sehr. Sie fühlte sich gut dabei, die großzügige Gastgeberin zu sein, ihr herrliches Anwesen und ihre attraktiven, erwachsenen Kinder zu zeigen. Und sie mochte es, wie alle sich für den Abend herausputzten, dass die Einladungen heiß begehrt waren und diejenigen, die keine erhielten, Pläne schmiedeten, um im nächsten Jahr dabei sein zu können. Ihr gefielen die Musik und das Essen, sogar die Lichterketten, auf denen ihre Tochter Stephanie immer bestand, obwohl die Sonne um halb acht Uhr abends noch am Himmel stand.

Die große Gästeschar war ein Tribut an sie, aber noch wichtiger, sie war ein Tribut an Bel Après. Die Leute kamen, um dem Weingut und allem, wofür es stand, Respekt zu zollen, und das genoss Barbara am meisten.

Vor einundvierzig Jahren, als sie ihren inzwischen verstorbenen Mann geheiratet hatte, hatte Bel Après sich kaum über Wasser halten können. Sie selbst hatte nichts über Wein oder dessen Herstellung gewusst, aber sie hatte sich das Wissen so schnell wie nur möglich angeeignet. Gemeinsam mit James hatte sie das Unternehmen wieder groß gemacht und irgendwann den Posten als Geschäftsführerin übernommen. Sie persönlich hatte die Winzer gefunden, die die Weine herstellten, die Bel Après langsam, aber sicher vor dem Abgrund bewahrt hatten.

Sie ließ den Blick über die Menge gleiten, bis sie ihre Schwiegertochter entdeckte. Mackenzie unterhielt sich mit einigen befreundeten Weingutbesitzern, und Barbara lächelte, als sie sah, wie aufmerksam ihr alle zuhörten. Mackenzie ist wirklich ein Segen, dachte sie voller Wärme. Eine schüchterne, aber talentierte junge Frau, die Barbaras Vision für Bel Après sofort verstanden hatte. Selbst wenn Rhys sie nicht geheiratet hätte, hätte Barbara sie angestellt. Doch er hatte sie geheiratet, und nun gehörte Mackenzie zur Familie.

Die warmen, liebevollen Gefühle verflogen abrupt, als Catherine, ihre Jüngste, sich zu Mackenzie gesellte. Dieses Mädchen, dachte Barbara genervt und musterte das fließende Batikkleid, das vermutlich aus alten Kissenbezügen und Yak-Blase zusammengenäht worden war. Catherines Mission im Leben war es, nicht gewöhnlich zu sein und ihrer Mutter den letzten Nerv zu rauben. Zu Catherines Glück führte die Suche nach Ersterem automatisch zu Letzterem.

Barbara spürte eine Hand an ihrer Taille, dann einen Kuss im Nacken. Lächelnd drehte sie sich zu Giorgio um, der sie an sich zog.

»Du siehst etwas grimmig aus«, bemerkte er und drängte sich an sie. »Erzähl mir, was dich betrübt, meine Liebste, und ich werde eine Lösung finden.«

»Ach, wie sehr ich mir wünschte, dass das möglich wäre.« Seufzend nickte Barbara in Richtung von Mackenzie und Catherine. »Meine Tochter ist das wandelnde Chaos. Kannst du das richten? Und wenn du schon dabei bist, kannst du dafür sorgen, dass sie aufhört, Künstlerin zu spielen, und sich einen ordentlichen Beruf sucht?«

Giorgio war ein großer Mann, der mit seinen fünfundsechzig Jahren immer noch attraktiv und fit wirkte. »Sie ist bezaubernd«, entgegnete er. »Zwar wird sie nie die Schönheit ihrer Mutter besitzen, aber sie ist eine süße und liebenswerte junge Frau.«

»Du bist einfach zu nett.« Sie lächelte ihn an. »Und das meine ich ernst. Hör auf, so nett zu sein. Hast du gesehen, was sie anhat? Wenigstens hat ihr Mann sich etwas Mühe gegeben und sich ein ordentliches Hemd angezogen. Und die Kinder sehen auch vernünftig aus.«

Er nahm sie in die Arme und wirbelte sie im Takt der Musik herum. »Lass sie doch sein, wer sie sein möchte. Zumindest für den heutigen Abend. Denk einfach nur an mich.«

Lachend ließ sie sich von ihm über die Tanzfläche führen. »Das ist leicht.«

Während sie tanzten, kam Catherine erneut in Barbaras Blickfeld. Ihre Tochter lächelte sie an und hob ihr Weinglas wie zum Toast. Irgendetwas muss mit ihr geschehen, dachte Barbara. Aber sie hatte keine Ahnung, was.

»Darf ich unterbrechen, oder stört das die Stimmung?«

Barbara lächelte Rhys, ihren einzigen Sohn, an. »Du darfst.«

Giorgio tat, als wäre er enttäuscht. »Na gut. Ein Tanz, aber dann gehört deine Mutter wieder mir.«

»Ich bringe sie unversehrt zurück«, versprach Rhys und legte ein paar schnelle Schritte aufs Parkett. »Eine tolle Party, Mom.«

»Ja, stimmt. Stephanie hat das zu meiner Überraschung sehr gut gemacht. Und sie hatte recht: Die Bruschetta-Bar ist ziemlich beliebt.« Sie sah ihren Sohn an. »Hast du Catherines Kleid gesehen?«

»Mom, lass gut sein.«

»Sie sieht fürchterlich aus.«

»Jaguar scheint das anders zu sehen.«

Als Barbara seinem Blick folgte, sah sie Catherine und ihren Mann trotz der schnellen Musik langsam und eng umschlungen tanzen. Typisch, dachte sie und seufzte. Gott möge verhüten, dass Catherine im selben Takt tanzt wie alle anderen.

Was Jaguar anging – das war tatsächlich sein Name, Barbara hatte sich seine Geburtsurkunde zeigen lassen, bevor sie der Hochzeit zugestimmt hatte –, so wollte er, was immer Catherine wollte. Die Frau führte ihn förmlich an einem Ring in der Nase herum.

»Hör auf«, schalt Rhys sie. »Du hast diesen ›Meine Tochter nervt mich‹-Blick. Genieß doch einfach die Feier.«

»Das tue ich. Was für ein bezaubernder Abend. Ich werde sogar so tun, als hätte ich nicht bemerkt, dass Mackenzie und du zu spät gekommen seid.«

»Fünfzehn Minuten, Mom. Sie war auf dem westlichen Weinberg und hat mit den Trauben gesprochen.«

»Ist sie immer noch glücklich darüber, wie die Dinge laufen?«

Ihr Sohn lächelte. »Das weißt du genau. Ansonsten wäre sie schon längst in deinem Büro aufgetaucht und hätte dir ganz genau gesagt, was alles falsch läuft.«

Das stimmte. Mackenzie hielt sie immer auf dem Laufenden. Sie waren wirklich ein gutes Team.

Als das Lied endete, führte Rhys sie zu Giorgio zurück, der sich mit einigen Gästen unterhielt. Anschließend ging Barbara zur Bar, um sich ein Glas Wein zu holen. Ihre Jüngste gesellte sich zu ihr.

»Barbara«, sagte Catherine fröhlich. »Was für eine wundervolle Party.«

Barbara bemühte sich, nicht aus der Haut zu fahren. Zu Beginn der Highschool hatte Catherine darauf bestanden, ihren Namen in Four zu ändern. Weil sie das vierte Kind war. Barbara hatte sich geweigert, darauf einzugehen, und so hatte Catherine angefangen, sie mit Vornamen anzusprechen – einfach nur, um sie zu ärgern.

Sie verstand einfach nicht, ab welchem Zeitpunkt es mit ihr und ihrer Tochter schiefgelaufen war. Als Mutter war sie immer liebevoll und fair gewesen, hatte die Fernsehzeiten begrenzt und dafür gesorgt, dass ihre Kinder ausreichend Gemüse aßen. Manchmal war das Elterndasein wirklich einfach undankbar.

Sie zeigte auf Catherins Kleid. »Eine Eigenkreation?«

Catherine drehte sich im Kreis. »Genau. Ist es nicht toll?«

»Ganz toll.«

Catherine grinste. »Sarkasmus? Von dir?«

»Was wolltest du denn hören?«

Nichts schien Catherine die gute Laune verderben zu können. »Was du gesagt hast, war perfekt.«

Während ihre Tochter wieder davonschwebte, ging Barbara zu Giorgio. Er legte ihr den Arm um die Taille, was sich zugleich vertraut und tröstlich anfühlte. Sie nickte zu dem, was er ihr erzählte, auch wenn sie seinen Worten nicht wirklich folgte. Was auch immer er sagte, es wäre definitiv charmant. Denn so war er – wortgewandt und nett. Er hatte eine beneidenswerte Art im Umgang mit Menschen und einen natürlichen Charme, den sie nie besessen hatte. Das war es auch, was ihr als Erstes an ihm aufgefallen war – wie leicht alles wirkte, wenn er in der Nähe war.

Dieser Abend, dachte sie zufrieden, ist perfekt. Ihre Kinder und Enkel waren da. Giorgio war da. Die Weinstöcke waren gesund und stark, und im September würde es eine reiche Ernte geben.

Sie erblickte Avery, ihre älteste Enkelin, im Gespräch mit ihrem Vater, dem Ex von Stephanie. Kyle war aalglatt, fand Barbara. Die Ehe war von Anfang an eine Katastrophe gewesen, doch aufgrund von Stephanies Schwangerschaft hatte es keine Möglichkeit gegeben, die Vermählung oder die später folgende Scheidung zu verhindern.

Wenigstens hatten Avery und Carson von der Trennung ihrer Eltern keine seelischen Narben zurückbehalten. Barbara konnte nicht fassen, dass Avery schon sechzehn war. Sie würde Stephanie daran erinnern müssen, ein Auge auf ihre Tochter zu haben, was Jungs und Dates anging. Wenn nicht, würde es eine weitere ungewollte Schwangerschaft in der Familie geben, und das konnte niemand wollen.

Oft sagte sie den Leuten, dass Weinberge und Kinder konstante Sorgen bedeuteten. Immer dann, wenn man sich entspannen wollte, stand eine neue Saison voll neuer Herausforderungen an.

Stephanie kam zu ihr. »Mom, wenn du so weit bist – es ist an der Zeit für den Toast.«

»Ja, ich bin so weit.«

Nachdem Barbara sich kurz entschuldigt hatte, folgte sie ihrer Tochter zu der kleinen Bühne neben der Tanzfläche, auf der der DJ seine Anlage aufgebaut hatte. Sie nahm das angebotene Mikrofon und schaute auf ihre Gäste. Stephanie bat um Ruhe, und ein paar Sekunden später herrschte Schweigen.

»Ich danke euch vielmals, dass ihr mit mir und meiner Familie die zehnte Sommersonnenwendfeier begeht«, sagte sie und hielt kurz inne, als Applaus aufbrandete. Dann hob sie ihr mit Chardonnay gefülltes Glas.

»Auf meine Kinder – möge das nächste Jahr euch Glück bringen. Auf meine Enkel – ihr sollt wissen, dass ihr von uns allen geliebt werdet.« Sie drehte sich zu ihrer Schwiegertochter um und lächelte sie an. »Auf die besondere Tochter meines Herzens – dass du in unser Leben gekommen bist, war der reinste Segen.«

Wieder folgte Applaus.

Barbara sah Giorgio an und lächelte. Sie hatten darüber gesprochen, ob sie ihn erwähnen sollte oder nicht, und er hatte sie gebeten, es nicht zu tun. Immerhin war er nur ihr Freund, und er meinte, an dem heutigen Abend ginge es um die Familie. Was noch ein Grund war, ihn zu lieben. Der Mann verstand sie, und das war einfach großartig.

Erneut hob sie das Glas in Richtung der Gäste. »Auf euch alle, auf einen wundervollen Sommer und ein glückliches Leben.«

»Auf ein glückliches Leben«, tönte es zurück.

»Wie fühlt es sich an, ein Segen zu sein?«, fragte Four grinsend.

Mackenzie unterdrückte ein Stöhnen. »Es ist besser als letztes Jahr, als sie meinte, ich wäre ein Wunder, das in die Familie geschickt wurde, um Bel Après zu neuer Größe zu führen.« Sie schaute ihre jüngste Schwägerin an. »Tut mir leid, dass sie so enthusiastisch ist.«

»Das muss es nicht. Wir lieben dich genauso sehr. Oder vielleicht noch mehr. Denn unsere Liebe ist bedingungslos.«

Damit hat Four recht, dachte Mackenzie. Barbara behauptete immer, dass sie ihr Liebling sei, aber diese Zuneigung war sehr eng mit ihrer Arbeit auf dem Weingut verbunden. Mackenzie war nicht sicher, ob Barbara der Hochzeit zugestimmt hätte, wenn sie kein Interesse an Bel Après gezeigt hätte.

»Sie ist eine Herausforderung«, murmelte sie.

»Allerdings.« Four nickte. »Sie ist meine Mutter, und ich liebe sie, aber irgendetwas stimmt mit ihr nicht. Ich weiß nicht, ob sie als Kind traumatisiert wurde oder ob sie schon gemein auf die Welt gekommen ist.«

Diese heftige Aussage überraschte Mackenzie. »Du findest sie gemein?«

Fours Augen funkelten amüsiert. »Findest du, dass sie nett ist?«

»›Nett‹ würde ich nicht sagen. Sie kann … anspruchsvoll sein. Aber zu mir war sie immer fair.«

»Das stimmt. Und du hast ihre Zuneigung verdient.« Four umarmte sie. »Du hast ein offenes und großes Herz, das uns alle wärmt. Du bist der Feenstaub, der es uns erlaubt zu fliegen.« Sie hob ihr Glas. »Oh, und du bist ein Segen.«

»Dem stimme ich zu.«

Beim Klang der Männerstimme hinter ihr drehte Mackenzie sich um und sah Bruno Provencio auf sie zukommen. Der Mann weiß, wie man sich anzieht, dachte sie. Wie Rhys trug auch er eine legere Hose und ein langärmliges Hemd, aber irgendwie sah es an ihm eleganter aus. Barbara hatte mal erwähnt, dass er seine komplette Kleidung maßschneidern ließ – ein Konzept, das Mackenzie vom Kopf her verstand, das aber im Alltag für sie keinen Sinn ergab. Warum sollte man so viel Zeit aufwenden, wenn man seine Sachen mit nur wenigen Klicks online kaufen und sich nach Hause liefern lassen konnte?

Das hat er vermutlich in seinem ganzen Leben noch nicht gemacht, dachte sie und unterdrückte ein Lächeln. Bruno kam aus reichem Haus. Mit seinen dunklen Haaren und den braunen Augen war er nicht nur unglaublich gut aussehend, sondern er zeigte auch ein natürliches Selbstvertrauen, das seine Attraktivität noch unterstrich.

Eines Tages werde ich auch selbstbewusst sein, sagte sie sich. Und wenn nicht in diesem Leben, dann vielleicht im nächsten.

Sie stöhnte. »Sag nicht Segen, bitte. Barbara war nur …«

»… auf ihre übliche Art charmant«, vervollständigte Bruno den Satz und nahm Mackenzies freie Hand in seine, um sich dann vorzubeugen und ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. Das Gleiche tat er bei Four.

»Eine tolle Party, wie immer«, merkte er an.

»Das ist alles Stephanie zu verdanken«, erklärte Mackenzie und stellte ihr leeres Glas auf dem Tablett eines vorbeikommenden Kellners ab.

Bruno hielt ihr die Hand hin. »Ein Tanz?«

Lächelnd nickte sie. Sie war nicht sicher, ob sie ausstrahlte, dass sie nicht tanzen wollte, oder ob ihre Position als Rhys’ Frau und Barbaras Schwiegertochter die anderen abschreckte, aber fast keiner der Männer auf der Feier wollte mit ihr tanzen. Doch Bruno fragte sie jedes Jahr – und jedes Jahr sagte sie glücklich Ja.

Sie gesellten sich zu den anderen Paaren auf der Tanzfläche. Rhys unterhielt sich beim Tanzen gerade mit der Besitzerin einer kleinen Boutique aus dem Ort, und Barbara und Giorgio wiegten sich eng umschlungen im Rhythmus der Musik.

Bruno legte eine Hand an Mackenzies Taille, hielt aber bei den ersten Schritten respektvollen Abstand.

»Es ist das perfekte Wetter für die Party«, sagte er.

»Stimmt.« Sie schaute in Richtung der untergehenden Sonne. »Wir haben Glück, dass es nicht zu warm ist.« Knapp dreißig Grad waren noch einigermaßen angenehm, aber alles darüber wurde schnell unerträglich.

»Wir sehen dich in letzter Zeit öfter«, fuhr sie fort. »Hast du einen neuen Kunden in der Gegend?«

Bruno war Weinhändler – zumindest beschrieb er sich so. Sie wusste, dass er auch in ein paar Weingüter investiert hatte und mehr Geld besaß als Krösus. Wenn er in die Stadt kam, flog er immer im Privatjet ein. Doch abgesehen davon war er ein Mysterium. Ein attraktives Mysterium, aber trotzdem …

»Ich denke darüber nach, ein Weingut zu kaufen«, gab er zu.

»Wirklich? Ich wusste, dass du Investor bist, hätte aber nicht gedacht, dass du auch was Eigenes willst.«

Er lächelte schief. »Ich mag es, wenn ich die Kontrolle habe.«

»Kannst du mir sagen, welches Gut du kaufen willst?«, fragte Mackenzie und schüttelte dann schnell den Kopf. »Vergiss es. Vermutlich kannst du das nicht. Aber ich werde trotzdem spekulieren.«

»Schick mir deine Vermutungen per SMS. Ich sage dir, wenn du richtigliegst.«

Sie lachte. »Hier gibt es im Umkreis von hundert Meilen beinahe fünfhundert Weingüter. Bevor ich es erraten habe, habe ich dir so viele Nachrichten geschickt, dass du mich blockieren musst.«

»Ich verspreche, dich nicht zu blockieren.«

»Ein Weingut kaufen … Das ist aufregend. Wenn ich an all die Möglichkeiten denke …«

»Bist du daran interessiert, meine Geschäftspartnerin zu werden?«, zog er sie auf.

Wieder lachte sie. »Du schmeichelst mir, aber Bel Après ist mein Zuhause. Wirst du dann dauerhaft in Walla Walla leben? Was ist mit deiner Familie? Deinen Eltern und Geschwistern?«

»Denen geht es an der Ostküste hervorragend, und mir gefällt das Leben hier. Aber ich werde sie oft besuchen.«

Jetzt war es an ihr, ihn etwas aufzuziehen. »Also willst du nicht zu nah bei ihnen wohnen.«

»Besser nicht. Meine Mutter arrangiert gern Blind Dates für mich, die regelmäßig in einer Katastrophe enden.«

»Entfernung ist also dein Freund.« Mackenzie schaute sich um. »Wo wir gerade von Dates sprechen – du hast heute Abend niemanden mitgebracht, oder?«

»Nein.«

Sie fing seinen Blick auf. »Auch auf die Gefahr hin, wie deine Mutter zu klingen: Du bringst nie eine Frau mit. Warum nicht?«

»Weil es da niemanden gibt.«

»Warum nicht? Ich hätte gedacht, für dich wäre es leicht, jemanden zu finden. Du bist ein erfolgreicher, gut aussehender Mann. Die Frauen stehen doch bestimmt Schlange.«

»Flirtest du mit mir?«

Sie lachte. »Ich denke, wir wissen beide, dass Flirten nicht zu meinen Stärken gehört.« Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Vielleicht waren die Frauen gar nicht das Problem. »Oder würdest du lieber mit Männern ausgehen und machst dir Sorgen, dass wir damit ein Problem haben? Das hätten wir nicht, versprochen.«

Sie hielt inne, weil sie nicht wusste, wie sie diese etwas ungelenke Unterhaltung, die sie gerade angefangen hatte, weiterführen sollte.

Sein Lächeln wurde breiter. »Ich bin nicht schwul. Ich mag Frauen. Ich habe nur keine ernsthafte Beziehung, weil ich bisher keine Frau getroffen habe, die mich ausreichend interessiert.«

»Warst du mal verheiratet?«

»Ja.«

Erwartungsvoll sah sie ihn an. »Und?«

»Wir haben uns scheiden lassen. Ist schon lange her.«

»Das tut mir leid.«

Er zuckte mit den Schultern. »Damals war es schlimm, aber jetzt nicht mehr.« Er schaute ihr in die Augen. »Ich kann keine Kinder zeugen. Das haben wir erfahren, als sie einfach nicht schwanger wurde. Aber sie wollte unbedingt Mutter werden und hat mich verlassen.«

Mackenzie blieb stehen. »Wie konnte sie so grausam sein? Es gibt doch auch andere Wege, Kinder zu bekommen.«

»An denen war sie nicht interessiert.«

»Tut mir leid, dass ich so neugierig war und dich an eine schwierige Zeit in deinem Leben erinnert habe. Ich sollte mich zukünftig an Small Talk halten.«

Er zog sie ein wenig näher an sich und wirbelte sie herum. »Es macht mir nichts aus, dass du das weißt.«

»Trotzdem tut es mir leid.«

»Okay, dann wechseln wir das Thema. Wie sehr hasst Barbara das Kleid, das Catherine anhat?«

Mackenzie schaute zu ihrer Schwägerin. Ihr extravagantes Kleid strahlte in bunten Farben. Es hatte einen unregelmäßigen Saum und einen kurzen und einen langen Ärmel.

»Ich habe noch nicht mit ihr darüber gesprochen, aber ich bin sicher, es gehört nicht zu ihren Lieblingskleidern.«

»Four genießt es, sie zu quälen. Wenn Barbara aufhören würde, darauf zu reagieren, würde Four auch aufhören, sich so zu benehmen.«

Sie schaute wieder Bruno an. »Das hast du sehr gut beobachtet.«

»Ja, ich bin ein exzellenter Beobachter.«

»Was hast du sonst noch so bemerkt?«

Mehrere Sekunden lang schaute er sie an. Sein Blick war so eindringlich, dass Mackenzie sicher war, er würde etwas sagen, das sie schockieren oder drei Tage lang beschäftigen würde. Doch stattdessen trat er einen Schritt zurück, drückte ihre Hand kurz und ließ sie dann los.

»Ich sollte dich nicht zu lange von den anderen Gästen fernhalten«, erklärte er. »Hab einen schönen Abend.«

Damit ging er und ließ sie allein in der Menge zurück. Sie hatte keine Ahnung, was gerade passiert war und was das alles bedeutete. Oder ob es überhaupt etwas bedeutete.

Je mehr Wein konsumiert wurde, desto lauter und ausgelassener wurde die Party. Köstliche Düfte vom Buffet ließen Mackenzies Magen knurren. Gerade wollte sie sich etwas zu essen holen, da sah sie Rhys in ein Gespräch mit einer blonden Frau vertieft, an deren Namen sie sich nicht erinnern konnte.

Während sie die beiden beobachtete, legte die Frau eine Hand auf Rhys’ Unterarm. Sie flirtete eindeutig, und Mackenzie wollte sehen, wie ihr Mann darauf reagierte. Er schenkte der Frau ein angedeutetes Lächeln und trat einen Schritt zurück.

Mackenzie bezweifelte, dass seine Reaktion geplant war – sie wirkte authentisch. Rhys war nicht der Typ, der fremdging. Er war ein guter und loyaler Mann, der seine Verpflichtungen gegenüber ihr, seiner Familie und dem Weingut sehr ernst nahm. Auf ihn konnte sie sich verlassen. Ihm konnte sie vertrauen.

Aber seit beinahe fünf Jahren hatten sie kein gemeinsames Schlafzimmer mehr, und fast genauso lang war es her, dass sie Sex gehabt hatten. Wenn er nicht mit ihr, seiner Frau, schlief, mit wem dann? Noch während Mackenzie sich die Frage stellte, überlegte sie, ob sie die Antwort wirklich wissen wollte.

Nur fürs Protokoll wollte Stephanie Barcellona festhalten, dass Ex-Männer eine ganz schlechte Idee waren. Vor allem die gut aussehenden mit charmantem Lächeln und wissendem Blick. Die letzte Stunde hatte sie damit verbracht, Kyle aus dem Weg zu gehen, aber egal, wie sehr sie sich beschäftigt gab und dafür sorgte, dass die Party gut lief, er kam ihr immer näher.

Wenn ihre Mutter nur nicht darauf bestanden hätte, ihn einzuladen. Oder besser gesagt, wenn sie, Stephanie, nicht das Rückgrat eines Goldfischs hätte, dann würde sie zu ihm gehen, ihm in die Augen schauen und ihm sagen, dass es vorbei war. V.O.R.B.E.I. Sie war fertig damit, sein Notnagel fürs Bett zu sein, wann immer er in Walla Walla war und ein paar Stunden frei hatte. Ihre Scheidung war über zehn Jahre her. Das war beinahe doppelt so lang, wie ihre Ehe gedauert hatte. Sie mussten sich endlich endgültig trennen. Ein paar Mal im Jahr Sex zu haben half keinem von ihnen. Auch wenn sie sich ziemlich sicher war, dass es ihn nicht störte und sie die Einzige war, die sich wie eine Idiotin vorkam.

Seit ihrem letzten, äh, Zusammentreffen mit Kyle waren achtzehn Monate vergangen. Im letzten Jahr hatte sie die Party und die Feiertage ohne sein geflüstertes »Hey, meine Schöne, lass uns irgendwohin gehen, wo wir ungestört sind« überstanden. Und wenn ich den Rest des Abends standhaft bleibe, sagte sie sich, bin ich endlich frei von ihm. Sie war entschlossen. Sie hatte einen Plan. Unglücklicherweise war sie aber auch scharf.

Verraten von meinen Hormonen, dachte sie düster, als sie zwischen den Gästen umherging und sicherstellte, dass alles in Ordnung war. Während sie das Auffüllen des Buffets überwachte und noch einmal nachschaute, dass in der Bar ausreichend Wein vorrätig war, setzte ein schmerzhaftes Ziehen zwischen ihren Schenkeln ein. Kyle wusste immer genau, wie er sie innerhalb von wenigen Sekunden kommen lassen konnte. Das war zwar demütigend, aber wahr.

Aus dem Augenwinkel erblickte sie ihn. Er kam auf sie zu, und sie marschierte schnell in die entgegengesetzte Richtung. Wenn er in ihre Nähe käme, würde er ihr über den Arm streichen, was ihr immer einen angenehmen Schauer über den Rücken laufen ließ. Dann würde er sich zu ihr beugen und ihr sagen, dass sie einen fabelhaften Hintern hatte, denn Kyle war ein echter Romantiker. Danach würde er sie in eine Ecke drängen, sodass er leicht über ihre Nippel streichen konnte, und sie wäre verloren.

»Das wird nicht passieren«, hauchte sie. »Ich kann das nicht mehr.«

Also duckte sie sich weiterhin weg, schlängelte sich zwischen den Gästen hindurch und kam sich vor wie die Heldin in einem ganz schlechten Film.

Mit einem Mal sah sie Giorgio, der ihr zunickte. Es war an der Zeit.

Alle Gedanken an Kyle verflüchtigten sich schlagartig, als sie in ihrer Tasche nach dem kleinen Samtbeutel tastete, bevor sie zum DJ ging.

»Stephanie«, flüsterte Kyle anzüglich und schloss zu ihr auf.

Sie schaute ihn nicht an, sondern sagte einfach nur: »Nicht jetzt.«

Als sie das Podest erreichte, lächelte sie den DJ an. »Bereit.«

Er fuhr die Musik langsam herunter und reichte Stephanie das Mikrofon. Alle Gäste drehten sich zu ihr um.

»Wenn ich kurz noch mal um eure Aufmerksamkeit bitten darf«, sagte sie und schaute Giorgio an, der trotz des monumental wichtigen Moments unglaublich ruhig wirkte. »Ein gewisser Gentleman würde gern das Wort an seine besondere Lady richten.«

Sie gab ihm das Mikrofon und den Samtbeutel und trat dann zurück in die Menge, die sich inzwischen versammelt hatte.

Avery, ihre sechzehnjährige Tochter, stellte sich neben sie. »Was ist hier los?«

»Guck gut zu. Das wird episch.«

Avery seufzte. »Mom, wir haben doch darüber geredet, dass du keine Jugendsprache benutzen solltest. Das passt nicht zu dir.«

»Ich mach das nur, um dich zu nerven.«

Sie hakten sich unter und lehnten sich aneinander. Stephanie war es egal, dass das Wort zu jugendlich für sie war. Für diesen Moment war es perfekt, denn es würde hundert Prozent episch werden. Das spürte sie.

3. KAPITEL

Barbara hatte keine Ahnung, was vor sich ging, und das gefiel ihr überhaupt nicht. Angespannt schaute sie zwischen Stephanie und Giorgio hin und her und hoffte, dass die beiden nicht etwas Lächerliches tun würden, wie ein Duett zu singen oder so, denn Stephanie hatte keine gute Stimme.

Aber sie vertraute Giorgio. Der Mann kümmerte sich auf eine Weise um sie wie niemand je zuvor, also sollte sie sich am besten einfach entspannen und vorgeben zu genießen, was auch immer die beiden geplant hatten.

Giorgio lächelte sie an, als er ins Mikro sprach. »Hallo, meine Liebste.«

Sie lächelte, ohne etwas zu erwidern. Er wusste, dass sie nicht bloßgestellt werden wollte, und sie vertraute ihm. Das schlechte Gefühl, das sie gerade überkam, würde sie einfach ignorieren.

Er schaute sich unter den Gästen um. »Für diejenigen von euch, die mich nicht sonderlich gut kennen: Ich habe diese wundervolle Frau vor zwei Jahren in Italien kennengelernt. Wir waren bei einer Weinprobe auf einem kleinen Weingut in der Toskana. Es war ein wunderschöner Tag, aber die Frau neben mir war noch viel schöner. Ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden.«

»Du warst sehr charmant«, sagte sie und entspannte sich ein wenig.

»Äußerlich ja. Aber innerlich schlug mein Herz rasend schnell. Was in meinem Alter gefährlich sein kann.«

Alle lachten.

»Ich habe mich ihr vorgestellt und vorgeschlagen, dass wir uns ein Glas Wein teilen.« Wieder lächelte er. »Sie hat zugestimmt, und ich war so glücklich, dass ich kaum sprechen konnte.« Er schaute Barbara an. »Du hast mir von Bel Après erzählt, von deinen Kindern und Mackenzie, und ich habe die Liebe und den Stolz in deiner Stimme gehört. Innerhalb einer Stunde war ich völlig hin und weg.«

Barbara verlor sich in den Erinnerungen an diese erste Begegnung. Es hatte sie überrascht, dass er sie angesprochen hatte, und sie hatte nicht gewusst, was sie davon halten sollte. Attraktive Männer sprachen niemals mit ihr – zumindest nicht so, wie er es getan hatte. Er war lustig und liebevoll gewesen, und der Nachmittag war nur so verflogen.

»Ich war vorher schon einmal verheiratet«, fuhr er fort. »Meine Frau ist vor fünf Jahren verstorben, und mir ist nie in den Sinn gekommen, dass ich noch einmal die Liebe finden würde. Doch das habe ich. Eine großartige, schillernde Liebe, die mein Herz erfüllt.«

Barbara legte die Hände an ihre Brust und formte stumm die Worte: »Ich auch.«

Dann reichte er Stephanie das Mikrofon und holte etwas aus einem kleinen Beutel, bevor er sich auf ein Knie sinken ließ.

»Barbara Barcellona, du bist die Liebe meines Lebens. Ich liebe und verehre dich. Ich möchte dich glücklich machen und den Rest meiner Tage mit dir verbringen. Willst du mich heiraten?«

Das habe ich nicht kommen sehen, dachte sie und war ernsthaft überrascht von dem Antrag. Sie starrte Giorgio an, versuchte, alles in sich aufzunehmen. Die leise Musik verhallte, bis Barbara nur noch ihren eigenen Herzschlag hören konnte.

Glück wallte in ihr auf, und sie wusste, dass sie nie wieder einen so perfekten Moment erleben würde.

»Ja«, sagte sie, gegen ihre Tränen ankämpfend. »Oh ja, Giorgio. Ich will dich heiraten.« Um sie herum fingen alle an zu jubeln und zu applaudieren.

Giorgio stand auf und steckte ihr einen Ring mit einem großen Diamanten an den Finger. Dann umfasste er ihr Gesicht und küsste sie. Das Gefühl seiner warmen Lippen war magisch. Sie fühlte sich wie eine Prinzessin – und dreißig Jahre jünger.

»Ich liebe dich«, flüsterte er ihr ins Ohr.

»Ich liebe dich auch.«

Noch immer wurde laut applaudiert. Barbaras Kinder eilten herbei und umarmten sie und Giorgio.

»Hast du davon gewusst?«, fragte sie Rhys.

Er grinste. »Er hat mich um Erlaubnis gefragt. Was ich sehr ehrenhaft fand. Ich freue mich für euch, Mom.«

»Ich habe es nicht gewusst.« Mackenzie gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Herzlichen Glückwunsch, Barbara. Du wirst eine wunderschöne Braut sein. Und ich weiß, dass Giorgio dich sehr glücklich machen wird.«

Four und Lori umarmten sie ebenfalls.

»Keiner hat uns was davon gesagt.« Four lachte. »Was für eine wundervolle Überraschung.«

»Ich freue mich für euch«, sagte Lori, klang aber nicht sonderlich glücklich.

Barbara nahm an, dass die Wohnverhältnisse ein Problem werden würden. Lori war nie aus dem großen Haus in der Mitte des Anwesens ausgezogen. Es war eine Sache, dass Giorgio bei seinen Besuchen dort übernachtete, aber eine ganz andere, wenn er nun dauerhaft dort wohnen würde. Doch mit dem Problem beschäftige ich mich morgen, entschied sie und nahm sich vor, jeden Moment dieses absolut perfekten Abends zu genießen.

Die Musik wurde wieder lauter, und Giorgio zog sie auf die Tanzfläche. Barbara lachte, als sie die ersten Töne von »Lady in Red« erkannte, und schaute an ihrem roten Cocktailkleid hinunter.

»Deshalb hast du mich also gebeten, das anzuziehen«, sagte sie und sah zu ihm auf.

»Das war alles Teil des Plans.«

Sie lehnte den Kopf gegen seine Schulter. »Du hast mich überrascht.«

»Das freut mich. Rhys hat natürlich davon gewusst. Genau wie Stephanie.«

»Sie haben das Geheimnis für sich behalten.«

»Barbara?«

Sie sah ihn an.

»Du sollst dir um nichts Sorgen machen müssen.« In seinen Augen schimmerte Zuneigung. »Ich unterschreibe gern einen Ehevertrag. Ich möchte nichts von Bel Après haben.«

»Wirklich?«

An einen Ehevertrag hatte sie noch gar nicht gedacht. Vermutlich wäre es ihr vor Mitternacht eingefallen und hätte sie die ganze Nacht wach gehalten. »Danke. Ich werde auch alles unterschreiben, was du willst.«

Giorgio hatte mehr als genug Geld von dem Luft- und Raumfahrtunternehmen, das er in Upstate New York gegründet hatte.

»Wir sind ein sehr modernes Paar«, zog er sie auf.

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ihm ins Ohr: »Ja, und später werden wir ganz viel modernen Sex haben.«

Er lachte leise. »Inwiefern modern? Ich dachte, unser Sexstil wäre eher traditionell.«

Sie grinste. »Wir lassen das Licht an.«

»Ja, das machen wir.«

Sie tanzten drei Lieder lang, bevor sie sich etwas zu trinken holten. Einige der weiblichen Gäste hielten sie auf, um ihren Ring zu bewundern. Barbara hatte noch gar keine Gelegenheit gehabt, ihn genauer anzuschauen. Sie schätzte den Diamanten auf mindestens drei Karat. Ein wenig zu groß und protzig, aber sie war sicher, dass sie ihn tragen konnte.

An der Bar traf sie Stephanie.

»Das war unglaublich.« Ihre Tochter seufzte glücklich. »Ich freue mich so für euch.«

»Das hast du sehr gut gemacht«, erklärte Barbara ihr und bemühte sich, sich die Überraschung nicht anmerken zu lassen. »Der Moment war perfekt.«

Stephanie umarmte sie. »Und als Nächstes kommt die Hochzeit. Sag Bescheid, wenn du meine Hilfe bei der Planung willst, Mom. Das ist eins meiner Talente.«

Eine Hochzeit? So weit hatte Barbara noch gar nicht gedacht. Aber natürlich würden sie und Giorgio irgendeine Zeremonie haben. In ihrem Alter wäre es sinnvoller, die Feier klein zu halten. Nur die Familie und ein paar enge Freunde.

Sofort erinnerte sie sich an ihre erste Hochzeit. Sie und James waren jung gewesen und hatten kein Geld gehabt, um es für etwas so Albernes wie eine Hochzeit auszugeben. Also hatten sie in einer kleinen Kirche geheiratet und in dem alten Farmhaus gefeiert, in dem sie gewohnt hatten. Es war definitiv keine Traumhochzeit gewesen.

Nun betrachtete sie den Ring, der an ihrer linken Hand funkelte, und schaute dann auf die Gäste, die sich sichtlich amüsierten. Sie war die Matriarchin von Bel Après und die Besitzerin eines erfolgreichen Unternehmens. Geld spielte keine Rolle mehr.

»Giorgio, wie wünschst du dir die Hochzeit?«

Er zog ihre Hand an seine Lippen und hauchte einen Kuss darauf. »Ich will, was immer dich glücklich macht, meine Liebste.«

Er war ein so guter Mann.

Barbara überlegte. Die Hochzeit auf Bel Après auszurichten ergab am meisten Sinn. Hier war genügend Platz für große Veranstaltungen, und auch wenn das Weingut nicht schick genug war, um als besondere Location zu gelten, fanden hier oft Partys für große Kunden oder besondere Anlässe statt. Trotzdem – eine Hochzeit wollte wohl geplant sein.

Barbara schaute ihre älteste Tochter an. Stephanie kümmerte sich um den Laden und den Verkostungsraum. Sie konnte, wenn es darauf ankam, auch den Wein-Club managen, und sie hatte bisher alle möglichen Partys auf dem Anwesen geplant, darunter eine Handvoll Hochzeiten. Auch wenn Stephanie nichts hatte, was man ansatzweise als Talent bezeichnen konnte, war sie doch sehr gut organisiert. Und ehrlich gesagt, wie schwer konnte es sein, eine Hochzeit zu planen?

»Okay«, sagte sie. »Stephanie, du kannst unsere Hochzeit planen. Ich will eine echte Feier«, fügte sie hinzu. »Traditionell. Nichts Modernes. Ich möchte Spaß und Eleganz und ein wenig Glamour, aber mehr nicht.«

Stephanie grinste. »Das kriegen wir hin. Wir können sogar über ein wenig mehr Glamour reden.«

Barbara unterdrückte einen Seufzer. »Das heben wir uns für später auf. Jetzt möchte ich mit meinem Verlobten tanzen.«

Sie streckte Giorgio eine Hand hin. Er zog sie an sich und führte Barbara auf die Tanzfläche. Was habe ich nur für ein Glück, dachte sie und schmiegte sich an ihn. Der Abend war perfekt, und der Rest ihres Lebens würde genauso wundervoll werden.

Zwei Stunden und eine geschätzte halbe Flasche Wein später war Stephanie immer noch dabei zu verarbeiten, was passiert war. Sie war glücklich – natürlich war sie das. Giorgio war ein wunderbarer Mann, der ihre Mutter anbetete. Außerdem war Barbara immer ein wenig nahbarer, wenn er in der Nähe war, und das machte den Umgang mit ihr leichter.

Von dem Antrag hatte sie gewusst. Sie hatte den Ring aufbewahrt und das Timing im Blick gehabt. Nun freute sie sich darauf, ihrer Mutter bei der Planung der Hochzeit zu helfen. Alles war gut. Großartig sogar. Aber – und das war ein großes Aber – sie konnte ihre Gefühle nicht genau deuten.

Es war nicht nur Freude, sondern noch etwas anderes. Etwas, das sie sich unbehaglich fühlen ließ und traurig und vielleicht noch ein paar andere Dinge, die sie nicht benennen konnte oder wollte.

Sie stand an der Bar und gönnte sich noch ein Glas Wein, als die Wahrheit sie traf wie ein Schlag in die Magengrube. Alle Luft wich aus ihren Lungen, und sie musste gegen unerwartete Tränen anblinzeln.

Sie wollte ein anderes Leben. Ihre Kinder waren super, und sie liebte ihre Familie, aber sie wollte mehr. Sie wollte einen Job, den sie liebte – sie wollte sich darauf freuen, wie sie ihren Tag verbrachte, anstatt die Arbeit einfach nur zu erledigen. Sie wollte stolz auf sich sein, wollte mutig sein, und das bedeutete, sie musste ihren Hintern hochkriegen und endlich etwas unternehmen. Sich nur in Wunschträumen zu ergehen war reine Zeitverschwendung. Seit fünf Jahren sprach sie davon, Bel Après zu verlassen und irgendwo anders zu arbeiten, doch sie hatte keinerlei Anstrengungen unternommen, diesen Plan in die Tat umzusetzen.

»Hey, Baby.«

Die leisen Worte wurden von einem Finger begleitet, der von ihrer nackten Schulter zu ihrem Handgelenk strich. Stephanie drehte sich um und sah Kyle, der sie anlächelte.

»Eine großartige Party, wie immer«, sagte er und zwinkerte ihr zu.

»Du bist noch da«, erwiderte sie und versuchte, sich von ihren verwirrenden Gedanken zu befreien.

»Na klar. Ich dachte, wir könnten vielleicht ein paar Stunden zusammen verbringen.«

Sein Tonfall war zweideutig. Und wie um seine Worte zu unterstreichen, legte er ihr eine Hand auf den Rücken und ließ sie hinuntergleiten, um ihren Po zu umfassen.

»Nein. Einfach nein.«

Die Worte kamen ihr über die Lippen, ohne dass sie die Chance hatte, darüber nachzudenken. Schnell trat sie einen Schritt zurück und starrte Kyle an. Dabei kämpfte sie gegen das seltsame Gefühl an, ihn überhaupt nicht zu kennen. Ja, sie waren verheiratet gewesen, aber die Scheidung lag über zehn Jahre zurück. Wie kam sie nur darauf, ein paar Mal im Jahr Sex mit ihm zu haben, wann immer es in seinen Zeitplan passte? Das wollte sie nicht. Und ihn wollte sie auch nicht.

Warum hatte sie sich überhaupt auf dieses traurige Arrangement eingelassen? Und warum hatte sie den ekligen Gedanken ignoriert, dass sie keine Ahnung hatte, mit wie vielen Frauen er regelmäßig schlief? Hatte sie nichts Besseres verdient? Hatte sie es nicht verdient, glücklich zu sein und ihr eigenes geordnetes Leben zu führen? Stattdessen hatte sie sich mit Krumen begnügt, dir ihr Ex-Mann ihr hinwarf. Kyle war eine Ablenkung, und das hatte sie viel zu lang zugelassen.

»Das kann man auch netter formulieren«, grummelte er. »Sag mir einfach, dass du nicht interessiert bist.«

»Ich bin nicht interessiert.« Sie klang entschlossen. »Wir haben schon darüber gesprochen, Kyle. Ich habe dir gesagt, dass ich damit fertig bin, und das meinte ich auch so. Hör auf zu versuchen, mich in dein Bett zu kriegen. Das mache ich nicht mehr mit. Wir sind geschieden und sollten uns entsprechend verhalten.«

Damit ließ sie ihn stehen und suchte nach einer Gruppe, zu der sie sich gesellen konnte. Sie lächelte, als sie ihre Kinder im Gespräch mit Lori sah.

»Habt ihr Spaß?«, fragte sie und stellte sich zwischen Avery und Carson.

»Ja, haben wir.« Avery lachte. »Mom, ich kann nicht glauben, dass du nicht mal eine Andeutung wegen des Antrags hast fallen lassen. Das war so romantisch. Auch wenn sie, nun ja, du weißt schon, echt alt sind.«

»Uralt«, scherzte Stephanie und wandte sich an Carson. »Was denkst du darüber?«

Ihr Vierzehnjähriger überraschte sie, indem er breit grinste. »Das war cool, Mom. Romantisch, so wie es den Mädchen gefällt. Außerdem braucht es echt Mut, so was vor allen Leuten zu fragen. Was, wenn sie Nein gesagt hätte? Das wäre ihm sein Leben lang peinlich gewesen.«

»Liebe verleiht einem Mut«, sagte sie.

Avery seufzte. »Na super. Jetzt wird sie dich zwingen, diesen alten Film zu gucken, den sie so liebt. Wie heißt der noch mal?«

»Teen Lover«, sagten Stephanie und Lori gleichzeitig.

Avery stöhnte. »Genau der.«

»Ich gebe zu, ich glaube, es ist an der Zeit dafür«, sinnierte Stephanie.

»Mach es schnell«, riet ihre Tochter. »Bevor Carson zum Baseball-Camp fährt. Ich will nicht die Einzige sein, die ihn sich angucken muss.«

»Du hast ihn geliebt.«

»Das hättest du wohl gern.«

Carson gähnte. »Es ist spät, Mom. Ich gehe ins Bett.« Er umarmte sie.

Ihr Baby war schon gute zehn Zentimeter größer als sie, und trotzdem musste er noch gewaltig wachsen. Sicher, sie war ziemlich klein, aber dennoch.

Avery umarmte sie ebenfalls. »Wir sehen uns morgen früh, Mom.«

»Gute Nacht.«

Sie sah den beiden nach, als sie quer über den Innenhof zu ihrem Haus gingen, und lächelte dann ihre Schwester an. »Und? Amüsierst du dich?«

»Bis zu der Verlobung schon«, gab Lori scharf zurück.

»Ich dachte, du magst Giorgio.«

»Das tue ich. Aber jetzt wird sich alles ändern.«

»Ich glaube nicht, dass es ihm etwas ausmacht, wenn du weiterhin im Haus wohnst, falls du dir deswegen Sorgen machst. Mom würde dich nie zwingen auszuziehen.«

Loris Miene verfinsterte sich. »Ach bitte. Du weißt, dass sie mich, ohne mit der Wimper zu zucken, rauswerfen würde, wenn es ihren Zwecken dient. Oder wenn Mackenzie sie darum bittet.« Sie atmete scharf aus. »Aber das ist es nicht. Hast du gesehen, wie verliebt die beiden sind? Ich wusste, dass sie glücklich sind, aber ihr Gesichtsausdruck, als er ihr den Antrag gemacht hat … So etwas will ich auch.«

»Du willst heiraten?« Stephanie versuchte, nicht allzu überrascht zu klingen.

»Natürlich. Jeder will irgendwohin gehören. Einige von uns wissen, wann wir etwas behalten sollten, anstatt es einfach wegzuwerfen.«

»Sprichst du von meiner Scheidung?«

»Du hattest was Gutes mit Kyle. Vielleicht hättest du am Ball bleiben sollen.«

»Mit einem Typen, der ständig fremdgegangen ist und nie zu Hause war?«

»Es war eine Ehe.«

»Wir haben uns beide elend gefühlt. Außerdem …« Kurz presste Stephanie die Lippen aufeinander. Sie musste ihre Position niemandem gegenüber verteidigen. »Jetzt ist es besser. Seit wir getrennt sind. Aber wenn du Lust hast auszugehen, hoffe ich, dass du jemanden kennenlernst.«

»Mir passiert nie etwas Gutes.«

Damit drehte Lori sich um und ging. Stephanie sah ihr nach und fragte sich, wie sie, Lori und Four Schwestern sein konnten, obwohl sie so komplett unterschiedlich waren. Vermutlich war das nur ein Beweis mehr, dass Gott tatsächlich Sinn für Humor hatte.

Sie ging zu einem freien Stuhl und setzte sich. Während der Rest der Familie sich ab zehn Uhr verabschieden konnte, musste sie bis zum Ende bleiben. Die Party lag in ihrer Verantwortung, und sie musste sicherstellen, dass alles geputzt und weggeräumt war. Vor zwei Uhr morgens käme sie sicher nicht ins Bett.

Als Erfolg zu verbuchen war, dass sie offenbar wirklich mit ihrem Ex fertig war. Es hatte sie zehn Jahre und eine kosmische Ohrfeige gekostet, aber wenigstens war es nun endlich so weit. Gleich morgen früh würde sie anfangen, nach einem neuen, aufregenden Job zu suchen. Sie war der Gelegenheitssex-Falle mit ihrem Ex entkommen, nun war es an der Zeit, auch dem Familienunternehmen den Rücken zu kehren und auf eigenen Beinen zu stehen.

4. KAPITEL

Sorgfältig studierte Mackenzie den Wein im Glas, bevor sie noch einmal daran nippte. Dieses Mal ließ sie den Wein ein wenig länger auf der Zunge verweilen, bevor sie ihn im Mund verwirbelte und dann in die mitgebrachte Kaffeetasse spuckte.

Die Fassproben waren wichtig, denn so konnte man den Reifeprozess des Weins im Auge behalten, aber sich dabei zu betrinken war ein Anfängerfehler. Schon sehr früh hatte sie gelernt, dass das Ausspucken zum Job gehörte. Nun nahm sie ihr Klemmbrett und machte sich ein paar Notizen. Später würde sie die in den Computer übertragen. Sicher, das war ein wenig altmodisch, aber sie mochte es so.

In dieser Ecke des Fasskellers lagerten ihre persönlichen Weine – Mischungen, die aus einer Idee heraus entstanden waren und die sie ausprobieren wollte. Die ersten drei Mal hatte Barbara sich rundheraus geweigert, das zuzulassen, und Mackenzie gebeten, sie nicht mehr zu fragen. Frustriert hatte Mackenzie ihr gesagt, wenn die Weine nicht gut wären, würde sie den Verlust aus eigener Tasche bezahlen. Aber wenn sie sich so verkauften, wie sie es erwartete, würde sie so lange einen Anteil von den Verkäufen bekommen, wie die Weine hergestellt wurden.

Dem hatte Barbara zugestimmt, und sie hatten einen Vertrag aufgesetzt und beide unterschrieben. Zwei Jahre später war der erste der Highland-Weine angeboten worden. Der Highland-Thistle – ein Name als Tribut an Mackenzies schottische Vorfahren – war innerhalb von zwei Wochen ausverkauft gewesen. Sie hatte eine etwas französischere Mischung aus Cap- und Merlottrauben gewählt und dem Thistle damit einen weicheren Abgang gegeben, der vor allem jüngere Menschen ansprach.

Im folgenden Jahr war Highland Heather schon vor dem Verkaufsstart ausverkauft gewesen. Es handelte sich um einen sogenannten Botanical Chardonnay – also einen Chardonnay, der mit Gewürzen aromatisiert worden war. Mit dem Highland Myrtle, ein Syrah aus dem letzten Jahr, war es genauso gewesen. An dem Punkt hatte Barbara aufgehört, Mackenzie irgendetwas zu verbieten, was mit Wein zu tun hatte. Die drei Weine spülten weiterhin jedes Jahr stetig Geld in die Kassen. Mackenzies Anteil lag derzeit noch auf einem Sparkonto, aber eines Tages würde sie damit etwas Besonderes unternehmen.

Sie überflog ihre Notizen, schob sich dann das Klemmbrett unter den Arm und ging in Richtung der Büros im ersten Stock.

Bel Après war in den letzten sechzehn Jahren signifikant gewachsen. Sie hatten immer genügend Kapazitäten gehabt, um mehr Wein zu produzieren, aber die vorherigen Winzer hatten lieber Hunderte Tonnen von Trauben verkauft, anstatt das Risiko einzugehen, einen Wein zu kreieren, der durchfiel. Als Mackenzie an Bord gekommen war, hatten sie und Barbara eine Strategie entwickelt, um das Beste von dem zu nutzen, was Bel Après produzierte.

Auf der Treppe in den ersten Stock schaute sie sich die Preise an, die an den Wänden hingen. Mit Mackenzies erster Weinlese hatte Bel Après angefangen, Preise zu gewinnen, und Barbara hatte sich unbändig über den Erfolg gefreut. Sie hatte bei jedem Wettbewerb mitmachen wollen, doch Mackenzie hatte darauf bestanden, wählerischer zu sein. Es war besser, sich an ein paar prestigeträchtigen Wettbewerben zu beteiligen und Aufsehen zu erregen, als Preise zu gewinnen, von denen noch nie jemand gehört hatte.

Über Bel Après war in verschiedenen Zeitschriften und Magazinen berichtet worden, was die Verkäufe weiter angekurbelt hatte. Jedes Jahr hatten sie die Produktion gesteigert. Vor zehn Jahren hatten sie den Platz für den Fasskeller verdreifacht.

Oben auf der Treppe angekommen, blieb Mackenzie stehen und schaute sich die dort hängenden Bilder an. Sie zeigten Bel Après, wie es vor einer Generation ausgesehen hatte, als Barbara eine junge Braut gewesen war. Von hier aus den gesamten langen Flur entlang markierten Fotos das Wachstum von Weingut und Familie.

Ein Foto von Rhys und seinen drei Schwestern entlockte Mackenzie ein Lächeln. Er war ungefähr zehn oder elf und seine Schwestern entsprechend zwischen neun und fünf. Die Mädchen lächelten in die Kamera, aber Rhys schaute ernst, als wüsste er bereits, wie viel Verantwortung auf ihn wartete.

Er ist zu einem guten Mann herangewachsen, dachte sie. Er arbeitete hart, war ein guter Arbeitgeber und kam jeden Abend nach Hause. Rhys war ihr Fels – seine Beständigkeit schenkte ihr die Freiheit, all ihre Energie in die Weine zu stecken.

Mackenzies Eltern waren gestorben, als sie noch jung gewesen war, und so war sie bei ihrem Großvater aufgewachsen. Er war Winzer in der Gegend von Spokane gewesen und hatte ihr gezeigt, wie man der Erde diese flüssige Magie entlockte.

Als sie fünfzehn war, war er an einem Tumor erkrankt, dessen Wachstum zwar verlangsamt, aber nicht aufgehalten werden konnte. Purer Wille hatte ihn am Leben erhalten, bis sie ihren Highschool-Abschluss gemacht hatte. In jenem Sommer war er gestorben. Mackenzie erinnerte sich noch an den ersten Tag, als sie ins Studentenwohnheim gezogen war und ihre neue Mitbewohnerin kennengelernt hatte. Stephanie war so freundlich und fröhlich gewesen und damit genau das, was sie gebraucht hatte.

An diesem ersten Weihnachtsfest hatte Stephanie sie mit nach Hause genommen. Mackenzie war von Bel Après überwältigt gewesen, von Barbara fasziniert und von Rhys hingerissen.

Er war so beständig, dachte sie und lächelte bei der Erinnerung. Gütig und stark, aber mit einem feinen Sinn für Humor, der sie zum Lachen brachte. In ihrer zweiten Nacht hatte er um zwei Uhr morgens an ihre Tür geklopft und ihr gesagt, sie solle sich anziehen. Dann hatte er sie mit nach draußen genommen, wo unerwartet Schnee vom Himmel gefallen war. Da, in der Kälte, von Schnee bestäubt, hatte er sie geküsst. Es war der perfekte Moment gewesen. Vielleicht hatte sie sich nicht sofort in ihn verliebt, aber ihr Herz zumindest für diese Möglichkeit geöffnet.

Immer noch lächelnd ging sie den Flur hinunter, durch die offen stehende Tür und in Barbaras großes Eckbüro. Durch die Fenster konnte man das gesamte Anwesen überblicken. An den anderen beiden Wänden hingen Landkarten der verschiedenen Weinberge, die der Familie gehörten.

Die Barcellonas waren eine Dynastie. Wenn Mackenzie und Rhys Kinder hätten, hätte sich ihr Blut mit dem der Familie vermischt, und sie hätte etwas zum großen Ganzen beigetragen. Doch sie hatten keine Kinder, also würde es, wenn sie einmal ginge, kein Vermächtnis von ihr geben. Kein Stück von ihr, das man irgendwo finden konnte.

Außer in den Weinbergen, rief sie sich in Erinnerung. Dort hatte sie ihre Spuren hinterlassen. Die Weine von Bel Après verdankten ihr alles, was sie jetzt waren.

»Ich hoffe, du bringst mir gute Neuigkeiten«, sagte Barbara und deutete auf einen der Stühle vor ihrem Schreibtisch.

Mackenzie setzte sich. »Rhys überprüft gerade das Bewässerungssystem in Seven Hills. Es wird immer wärmer, und ich will sicherstellen, dass die Weinstöcke ausreichend Wasser bekommen. Gestern und heute habe ich mit Fassproben verbracht. Morgen früh bekommst du meine Notizen.«

»Wir haben doch extra diese teure Software für dein Tablet angeschafft«, schalt Barbara sie leise lachend.

»Ja. Und vielleicht werde ich die eines Tages auch benutzen.«

»Du kannst wirklich stur sein, Mackenzie Dienes.«

»Das habe ich von dir.«

Das Geplänkel zwischen ihnen war vertraut – sie behaupteten oft, die gleichen Charaktereigenschaften zu haben, obwohl sie nicht das gleiche Blut teilten. Selbst wenn man sie beide anschaute, könnte man annehmen, dass sie verwandt waren.

Beide waren ungefähr eins achtundsechzig groß und hatten dunkelrotes Haar. Sie waren schlank, aber drahtig, und strahlten eine gewisse Selbstsicherheit aus. Mackenzies Augen waren grün, Barbaras braun, aber ansonsten gingen sie problemlos als Mutter und Tochter durch.

Stephanie, Lori und Four kamen alle nach ihrem Vater, genau wie Rhys. Sie hatten dunkle Haare und braune Augen. Rhys war groß, aber die Schwestern waren eher klein und kurvig oder, wie in Loris Fall, fast schon übergewichtig.

Mackenzie blätterte durch ihre Notizen. »Der 2018 Cap Reserve entwickelt sich gut. Er ist jetzt schon opulent mit kräftiger Fruchtnote. Er wird ein sehr dichter Wein werden und mindestens fünfzehn Jahre lagerfähig sein. Der wird wirklich großartig. Wir sollten ein paar Flaschen für Wettbewerbe und Weinclubs beiseitestellen. Außerdem möchte ich mindestens zehn Prozent der Flaschen für die Schatzkammer zurückhalten. Der Wein wird hoch bewertet und schnell verkauft werden. Die Reste können wir dann in fünf Jahren für mindestens das Doppelte des Originalpreises verkaufen.«

In der Schatzkammer lagerten besonders exquisite Weine und Weinraritäten, die für den eigenen Gebrauch oder für den Verkauf an Liebhaber gedacht waren.

Barbara lehnte sich in ihrem Schreibtischsessel zurück und lächelte. »Du hast gesagt, dass es ein gutes Jahr war.«

»Ja, war es auch. Wir hatten die perfekten Konditionen und eine entsprechend gute Ernte. Ich möchte ihn noch drei weitere Monate zurückhalten, bevor wir ihn zum Verkauf anbieten.«

»Was? Nein. Das kannst du nicht machen. Die Flaschenabfüllung ist bereits terminiert, und wir haben unseren Weinclub-Mitgliedern angekündigt, wann sie die Lieferung erwarten können. Es gibt einige Veranstaltungen, die …« Barbara presste die Lippen zusammen. »Mackenzie, du bist übervorsichtig.«

»Drei Monate. Ich verspreche, die Wartezeit wird sich lohnen.«

»Das sollte sie besser«, grummelte Barbara. »Weißt du, was es kostet, so viele Fässer auf Lager zu halten?«

»Ehrlich gesagt, ja, das weiß ich.« Sogar bis auf den Penny. Sie mochte zwar nicht die Geschäftsführerin des Weinguts sein, kannte aber die Zahlen.

Als sie vertraute Schritte auf dem Flur hörte, lächelte sie. Sekunden später kam Rhys herein. Er trat zu ihr, beugte sich herunter und gab ihr einen sanften Kuss auf den Mund, bevor er seine Mutter begrüßte.

Nachdem er sich neben seine Frau gesetzt hatte, sagte er: »Du hattest recht, was die Bewässerung am Seven Hills anging. Einige der Schläuche waren durchgebissen worden. Woher weißt du nur immer, wenn so was passiert?«

»Ich bekomme dann einfach so ein Gefühl.«

Bel Après hatte Weinstöcke im gesamten Südwesten des Staates Washington, bis hinauf nach Oregon, vom Red Mountain bis ins Walla-Walla-Tal und südlich bis zu Seven Hills. Die verschiedenen Gegenden hatten sehr unterschiedliche Böden und Niederschläge, die Einfluss auf die Trauben hatten. Mackenzie mochte es, mit den topografischen Herausforderungen zu arbeiten, die jeder dieser Weinberge bot.

Alle waren ganz heiß auf den Red Mountain, und auch sie fand die Weinberge dort ganz speziell, doch ehrlich gesagt konnte sie ihre Magie überall wirken. Sie vermutete, ihre Fähigkeit, sich so perfekt mit den Gegebenheiten zu arrangieren, resultierte daraus, dass ihr nichts von alldem gehörte. Sie war zwar mit Rhys verheiratet, aber was ihre Arbeit bei Bel Après anging, war sie einfach nur eine Angestellte. Zweimal im Monat bekam sie einen Gehaltsscheck, dazu vierteljährlich ihre Tantiemen von den Highland-Weinen, aber am Ende des Tages arbeitete sie für Barbara.

Ihr Haus war Teil des Barcellona-Anwesens, ihr Truck gehörte dem Weingut. Sollte sie von heute auf morgen beschließen zu gehen, könnte sie vermutlich alles, was ihr gehörte, in eine Handvoll Umzugskartons packen und innerhalb von wenigen Stunden fort sein.

Welch trauriger Gedanke, schoss es ihr durch den Kopf. Nicht, dass sie vorhatte, irgendwohin zu gehen. Das hier war ihr Zuhause. Rhys war ihr Mann, Stephanie war ihre beste Freundin, und Barbara kam der Mutter, die sie nie gehabt hatte, am nächsten.

Ich bin Rhys’ Frau und Teil der Familie Barcellona, rief sie sich in Erinnerung. Wenn sie manchmal darüber nachdachte, wie schön es wäre, ein paar Hektar Land zu kaufen, um damit herumzuexperimentieren … Nun, das würde niemals passieren.

Weitere Schritte waren auf der Treppe zu hören. Sekunden später gesellten sich Stephanie und Four zu ihnen. Stephanie setzte sich neben Mackenzie und fing sofort an zu reden.

»Carson fährt morgen. Ich glaube nicht, dass ich ihn gehen lassen kann.«

Mackenzie umfasste die Hand ihrer Freundin und lächelte. »Du machst das jeden Sommer. Er geht ins Baseball-Camp, seitdem er elf ist. Ja, er wird dir fehlen, aber es ist zu seinem Besten. Lass ihn los. Er möchte es so.«

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