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Tiffany Sexy Christmas Band 0005
Erscheinungstag: | Fr, 28.10.2011 |
Bandnummer: | 0005 |
Seitenanzahl: | 85 |
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Ein Teil von ihr
Mutter. Heldin. Lügnerin. Mörderin?
Im Bruchteil einer Sekunde kann sich dein Leben für immer verändern….
Du hast die Nachrichten gesehen, über die Gewalt in dieser Welt den Kopf geschüttelt und weitergemacht wie immer. Nie könnte dir so etwas passieren, dachtest du.
Andrea Oliver erlebt das Entsetzlichste. Einen Amoklauf. Was sie noch mehr schockiert: Ihre Mutter Laura entreißt dem Angreifer ein Messer und ersticht ihn. Andrea erkennt sie nicht wieder. Offenbar ist Laura mehr als die liebende Mutter und Therapeutin, für die Andrea sie immer gehalten hat. Sie muss einen Wettlauf gegen die Zeit antreten, um die geheime Vergangenheit ihrer Mutter zu enthüllen, bevor noch mehr Blut vergossen wird …
Laura weiß, dass sie verfolgt wird. Und dass ihre Tochter Andrea in Lebensgefahr ist …
»Dieser Thriller wird Sie um den Schlaf bringen. Für Slaughter-Fans ist „Ein Teil von ihr“ ein absolutes Lese-Muss.«
ok!
»Wie immer hat Slaughter … keine Scheu, Verbrechen in all ihrer Brutalität und Grausamkeit zu schildern. […] Daneben aber beweist sie ebenso viel Gespür für die Zerrissenheit, für Sehnsüchte und Ängste, für starke Gefühle und damit verbundene innerliche Eruption, kurz: für die Komplexität ihrer Charaktere.«
dpa
»Karin Slaughters „Ein Teil von ihr“ liest sich als moderne Geschichte über komplizierte Vereinigte Staaten von Amerika, in der charakteristische Merkmale des American Way of Life ebenso aufscheinen wie der Mythos vom Grenzland.«
krimi-couch.de
»Provokanter und raffinierter als alles, was sie zuvor geschrieben hat.«
vol.at
»Eine spannende Lektüre bis zum Schluss.«
SpotOnNews
»Fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite.«
Magazin-frankfurt.com
»Karin Slaughter gilt völlig zu Recht als eine der besten Krimi-Autoren der USA. Ihre Geschichten fesseln von Anfang bis Ende.«
IN
»Karin Slaughter zählt zu den talentiertesten und stärksten Spannungsautoren der Welt.«
Yrsa Sigurðardóttir
»Jeder neue Thriller von Karin Slaughter ist ein Anlass zum Feiern!«
Kathy Reichs
»Karin Slaughter bietet weit mehr als unterhaltsamen Thrill.«
SPIEGEL ONLINE über »Pretty Girls«
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PROLOG
Die Scheiben des umfunktionierten Schulbusses waren mit einer Eisschicht bedeckt. Alison Cole spähte auf den schwach beleuchteten Parkplatz hinaus. Sie liebte den Winter, doch sie stellte sich ihn viel gemütlicher in einem richtigen Haus mit Kamin, funktionierendem Ofen und einem Weihnachtsbaum voller Kerzen und Lametta vor – anstatt in einem alten Bus auf den Highways von … nun, was auch immer das für ein Bundesstaat sein mochte, in dem sie sich zurzeit befanden.
Heute waren sie auf einem Weihnachts- und Kunsthandwerksmarkt in Minot in South Dakota. Oder doch in North Dakota? Sie wusste es nicht genau. Ihre Eltern, beide Musiker, standen gerade auf der Bühne und spielten für die Besucher, während die drei Kinder die Mathematikaufgaben lösen sollten, die ihnen die Mutter heute Vormittag aufgegeben hatte.
Die Eltern mochten dieses Zigeunerleben erfüllend finden, doch auf sie, Alison, traf das ganz bestimmt nicht zu. Ihrer Meinung nach sollte sich das Leben eines dreizehnjährigen Mädchens nur um ganz bestimmte Dinge drehen – um Jungs, Einkaufen, Kino, Schulfeste und Partys. Sie hingegen hatte nicht einmal eine beste Freundin, außer der elfjährigen Layla und der neunjährigen Rita. Aber wer will schon die eigenen und noch dazu jüngeren Schwestern als beste Freundinnen haben?
„Das gehört mir!“, kreischte Rita.
Alison wandte sich vom Fenster ab und sah, dass ihre Schwestern sich um eine Modezeitschrift zankten. Sie ging dazwischen und nahm das Streitobjekt an sich. „Wo habt ihr das her?“
Schmollend verschränkte Rita die Arme und musterte ihre große Schwester.
„Die hat sie geklaut“, petzte Layla. „Die lag auf der Theke in dem Restaurant, in dem wir gestern Abend gegessen haben, und Rita hat sie auf dem Weg nach draußen einfach genommen und in ihren Rucksack gesteckt.“
„Niemand wollte die Zeitung“, verteidigte sich Rita. „Sie lag einfach herum. Sie wäre sowieso weggeworfen worden.“
„Warum wolltest du sie denn?“, erkundigte sich Alison, während sie die Vogue flüchtig durchblätterte. „Das ist ein Magazin für Erwachsene, nicht für kleine Mädchen.“
„Ich bin nicht klein!“ Rita holte sich die Zeitschrift zurück. „Außerdem gefallen mir die Bilder. Und die schönen Models und die tollen Kleider. Ich schreibe gerade meinen Wunschzettel für Weihnachten.“ Sie deutete auf ein Foto. „Ich wünsch mir diese Schuhe.“
Alison schüttelte den Kopf. „Wir sollten üben. Ich habe einen neuen Song, den ich proben möchte.“
„Eigentlich sollen wir unsere Matheaufgaben machen“, meinte Layla.
Weil es bei ihrem Wanderleben nicht anders möglich war, unterrichtete ihre Mutter die Mädchen. An einem Tisch im vorderen Bereich des Busses brachte sie ihnen unter anderem Mathematik und Geschichte bei. Der Vater war zuständig für alles, was mit Musik zu tun hatte. Vor allem mit traditioneller amerikanischer Musik wie Folk, Country, Bluegrass, er vermittelte ihnen aber auch das eine oder andere über Rock und Pop. Und all das mithilfe der Instrumente, die die Eltern im Laufe der Zeit zusammengesucht hatten: Gitarre, Geige, Mandoline und Zither.
Wenn sie nicht selbst musizierten, hörten sie Musik – alles von Robert Johnson über Bill Monroe bis hin zu den Alben noch unbekannter Künstler, die ihr Vater in den verstaubten Ecken der Musikgeschäfte aufstöberte. Von ihrem spärlichen Taschengeld hatte sich Alison vor ein paar Jahren eine Kassette von Jean Ritchie gekauft. Sie hatte sie auf einem Flohmarkt entdeckt, auf dem ihre Eltern gespielt hatten. Von dem Moment an, in dem sie die Kassette eingelegt hatte, hatte sie gewusst, dass das ihre Musik war: einfache Mountain-Songs voller Sehnsucht und Verzweiflung. Jean Ritchie hatte die Stimme eines Engels, und seitdem eiferte Alison ihr nach.
„Hol schon mal deine Mandoline raus, Layla. Mathe können wir später machen.“
Sofort kletterte ihre Schwester über den Berg Wäsche, den ihre Mutter ihnen zum Zusammenlegen zurückgelassen hatte, und griff nach dem zerschrammten Violinenkoffer, einem Weihnachtsgeschenk vom Vorjahr. Layla warf einen Blick auf Rita, die sich inzwischen in ihre Zeitschrift vertieft hatte.
Ihre jüngste Schwester war nicht an Musik interessiert. Sie war neun Jahre alt und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, alles zu hassen, was Alison und Layla liebten. Außerdem weigerte sie sich, irgendetwas zu tun, was von ihr erwartet wurde. Sie war dickköpfig, rebellisch und eine echte Nervensäge. Trotzdem hatte Alison sie noch nicht aufgegeben. Falls Rita auch nur einen Funken musikalisches Talent geerbt hatte, könnte man ihr in kürzester Zeit alles beibringen, was sie wissen musste.
„Skeeter, du musst auch singen“, schmeichelte Alison. Sie benutzte Ritas Kosenamen in der Hoffnung, ihre Schwester damit zu überreden, sich ihnen anzuschließen. „Dieser Song muss mehrstimmig gesungen werden, und ich kann nicht beide Stimmen singen.“
Rita rollte mit den Augen und seufzte theatralisch. „Nein. Ich lese gerade. Lass Layla singen.“
„Du schaust bloß Bilder an“, wandte Layla ein. „Und ich kann nicht gleichzeitig singen und spielen.“
„Versuch es doch, wenigstens für eine Weile“, bat Alison. „Dann besorge ich dir in der nächsten Stadt auch noch ein anderes Modemagazin.“
„Wie willst du das machen?“, fragte Rita. „Du hast doch gar kein Geld.“
Alison wusste nicht, wie sie ihr Versprechen halten sollte, aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie hatte einen sehr schönen Song auf einer Kassette ihres Vaters gehört und brannte darauf, ihn mit ihrem eigenen kleinen Trio auszuprobieren. Die Cole Sisters. So würden sie sich nennen. Wie die Carter Family oder die Judds. Da sie sowieso immer mit auf Reisen waren, könnten sie genauso gut als Vorgruppe ihrer Eltern auftreten.
„Ich möchte mit ‚Barbara Allen‘ anfangen“, erklärte Alison. „Dann spielen wir ‚The Cherry Tree‘ und ‚Gypsy Laddie‘. Der neue Song heißt ‚Molly Ban‘. Er ist sehr traurig und gleichzeitig wunderschön. Der Text handelt von einem Jungen, der seine Freundin erschießt, weil er sie mit einem Schwan verwechselt.“
„Oh Mann“, nörgelte Rita. „Arbeitest du etwa an einer Nummer?“
„Und wenn schon!“ Alison warf Layla einen raschen Blick zu. „Das ist gar nicht so abwegig. Auftritte von Kindern sind eine tolle Sache, es gibt eine Menge Familien, die zusammen singen.“
„Ja, wenn die Kinder älter sind“, entgegnete Layla.
„Das hat es längst schon gegeben“, äußerte Rita, während sie weiter in ihrer Zeitschrift blätterte. „Sie nannten sich Partridge Family.“
„Wer?“, fragten Layla und Alison gleichzeitig.
Rita sah hoch. „Eine Band aus den Siebzigern. Habt ihr noch nie von der Partridge Family gehört? Das war sogar eine Fernsehserie.“
„Mom erlaubt uns kein Fernsehen. Wann hast du die Serie gesehen?“
„Erinnert ihr euch noch an die Kinder, die ich im letzten Herbst auf dem Folk Festival kennengelernt habe?“, fragte Rita. „Sie hatten einen Fernseher in ihrem Bus und viele Videos.“ Sie senkte die Zeitschrift. „Die Serie handelt von einer Familie, die in einem Bus herumfährt und Musik macht. Aber die Familienmitglieder spielen Rockmusik. Und sie haben auch noch ein richtiges Haus. Es gibt keinen Vater. Sie sind zu fünft, und wir sind nur drei. Zwei, wenn man mich nicht mitzählt, und eine, wenn man Layla nicht zählt.“
„Das nächste Mal, wenn du jemanden mit einem Fernseher triffst, musst du mich mitnehmen“, sagte Layla. „Wenn ich älter bin, werde ich in jedem Raum in meinem Haus ein Fernsehgerät haben. Und ich werde so viele Süßigkeiten essen, wie ich will, und normales Brot, nicht dieses Vollkornzeug, dass Mom uns vorsetzt.“
„Also, was denkst du?“, wollte Alison jetzt wissen.
„Worüber?“ Layla sah sie fragend an.
„Über eine Band. Wir drei gemeinsam auf der Bühne. Wir könnten das schaffen! Wir müssen noch an unserem Gesang arbeiten, und Rita müsste ein Instrument lernen. Aber wenn wir zusammen auftreten, könnten wir ein bisschen Geld verdienen.“
Rita legte die Stirn in Falten. „Es ist aber so, dass ich weder etwas singen oder spielen noch sonst was machen kann, wofür andere Leute bereit wären zu bezahlen. Und mit Layla kannst du auch nicht rechnen.“
„Warum nicht?“ Alison wandte sich ihrer mittleren Schwester zu. „Du bist die beste Musikerin von uns allen.“
„Sie hat Angst“, erklärte Rita.
„Habe ich nicht“, widersprach Layla.
„Doch, hast du. Das eine Mal, als Mom und Dad uns letztes Jahr an Weihnachten mit auf die Bühne nahmen, hast du dir vor Angst beinahe in die Hose gemacht. Und dabei haben wir bloß ‚Stille Nacht‘ mit ihnen gesungen. Du hast den Text vergessen und bist ganz rot geworden. Danach hattest du noch zwei Tage lang Bauchweh.“
Alison warf Layla einen raschen Blick zu. Sie wirkte ehrlich betroffen. „Ist schon gut“, sagte sie leise, während sich ihre Träume mit einem Mal in Luft auflösten. „Daran können wir arbeiten. Je öfter du auftrittst, desto leichter wird es dir fallen.“
Layla schüttelte den Kopf. „Nein, wird es nicht.“ Sie nahm ihre Mandoline und ging in den hinteren Teil des Busses, wo sie sich auf ihr Stockbett setzte.
Achselzuckend wandte Rita sich wieder ihrer Zeitschrift zu. „Ich schätze, das wird ein Solo-Auftritt für dich werden“, erklärte sie und grinste dabei zufrieden.
Daraufhin holte Alison hinter ihrer Schwester ihre Zither hervor. „Nun, dir auch fröhliche Weihnachten.“ Damit ging sie nach vorne und ließ sich auf den Fahrersitz fallen. „Ich hasse diesen Bus. Ich kann niemals weit genug von euch beiden wegkommen.“
Doch eines Tages hätte sie alles, wovon sie träumte. Eines Tages würde sie ein eigenes Zuhause haben, und das hätte ganz bestimmt keine Räder! Dann würde sie allein entscheiden, wohin sie ging und was sie machte. Wenn sie auftrat, würden die Leute ihr zuhören, jubeln und stundenlang klatschen. Auf Tournee würde sie in ordentlichen Hotels schlafen – mit einem breiten Bett und einem richtigen Badezimmer. Weihnachten hätte sie einen echten Baum, nicht so ein albernes Plastikding, das sie eines Tages auf einem Flohmarkt entdeckt hatten.
„Eines Tages“, sagte Alison so leise, dass nur sie es hören konnte. „Eines Tages wird alles anders sein.“
1. KAPITEL
Alison Cole spähte durch die regennasse Scheibe ihres Subaru Kombis auf die Straßengabelung direkt vor ihr. Ein rascher Blick auf ihr Navigationssystem half nicht im Geringsten. Schon seit einer Viertelstunde befand sie sich im Niemandsland.
Sie nahm ihr Handy vom Beifahrersitz, um Stephen anzurufen, den wissenschaftlichen Assistenten, von dem sie die Wegbeschreibung hatte. Doch im selben Moment, in dem sie das Gerät einschaltete, wurde ihr klar, dass sie hier in den Bergen keinen Empfang hatte. Trotzdem wählte sie die Nummer und wartete in der Hoffnung, sie würde sich irren. Als der Anruf jedoch nicht weitergeleitet wurde, warf Alison das Telefon zurück auf den Sitz.
Ihrer Einschätzung nach hatte sie zwei Möglichkeiten. Nun, eigentlich drei, wenn man mitzählte, dass sie umkehren und zurück in die Zivilisation fahren konnte. Rechts oder links, überlegte sie. Immerhin gab es eine Fifty-Fifty-Chance, Ettie Lee Harpers Hütte zu finden. Genauso gut konnte sie aber auch ohne Aussicht auf Hilfe auf einer schlammigen Straße steckenbleiben.
Seit vier Monaten versuchte Alison nun schon, Ettie Lee zu finden, und langsam ging ihr die Zeit aus. Ihre Suche hatte in dem Augenblick begonnen, als sie im vergangenen Sommer eine alte Tonbandaufnahme im Archiv der Universität gefunden hatte. Auf dem vergilbten Etikett stand die Jahreszahl 1939, aber ein befreundeter Tontechniker sagte ihr, auf dem Band befände sich wahrscheinlich eine alte Grammofonaufnahme. Zu hören war die junge Ettie Lee Harper, die mit glockenreiner Stimme Weihnachtslieder aus den Appalachen sang, begleitet von einer Zither.
Für einen Musikforscher war das so, als hätte er eine Schatztruhe mit kostbaren Edelsteinen gefunden. Alisons Edelsteine allerdings waren Songs – traditionelle Songs, die seit Generationen in Familien aus der Bergregion weitergegeben wurden, bis mit der Zeit völlig neue Versionen entstanden waren. Sie kannte viele der Originallieder, doch auf besagtem Band waren drei Songs, die völlig neu für sie waren – drei verlorene Edelsteine, die sie unbedingt wiederfinden wollte.
Alison hatte Weihnachtslieder zum Thema ihrer Doktorarbeit an der East Tennessee State gemacht. Sie ging den sogenannten Appalachian Songs bis zu ihren Ursprüngen bei den schottischen und irischen Siedlern nach, die in den Blue Ridge Mountains früher um ihr Überleben gekämpft hatten. Drei unbekannte Lieder zu entdecken, eröffnete ihr großartige Möglichkeiten. Sie konnte ein Album mit den neuen Songs zusammenstellen oder die Lieder in einem Folio veröffentlichen. Außerdem würde sie sie auf dem weihnachtlichen Liederabend singen, der in zwei Wochen stattfand.
Die Entdeckung allein reichte, um Alison der Verwirklichung ihres Traums deutlich näherzubringen, nämlich der Möglichkeit, einen neuen Fachbereich an der University of North Texas einzurichten – einer der besten Musikhochschulen Amerikas. Das Auswahlkomitee würde kommen, um sie zu hören, und sie hatte schon ein paar Gesprächstermine in Denton.
Mit den neuen Songs würde man erkennen, wie wichtig ihre Arbeit für die Universität war. Zumindest bekäme Alison endlich eine feste Stelle in East Tennessee angeboten. Dann wäre sie Professor Alison Cole, Ph. D., was ihre Musik unterrichtenden Eltern sehr stolz machen würde.
„Das ist unglaublich“, schimpfte sie jetzt leise vor sich hin. „Ich rufe den Gouverneur an. Einfach lächerlich. Ich bin doch noch immer in Tennessee, und in Tennessee gibt es Straßenschilder.“
Während des vergangenen Jahres hatte sich Alison schon mehrfach auf der Suche nach Sängern und Songs in die Berge gewagt. Dabei hatte sie eine wichtige Sache begriffen: Menschen aus den Bergen waren Fremden gegenüber äußerst misstrauisch. Vielleicht misstrauisch genug, um Straßenschilder abzumontieren? Sie lehnte sich über das Lenkrad und versuchte blinzelnd, trotz des Regens etwas zu erkennen.
Da war es! Kein offizielles Schild des Straßenverkehrsamts von Tennessee, sondern eine an einen Pfosten genagelte schlichte Holztafel. Alison sprang aus dem Wagen und lief zu dem Schild, um die verwitterten Buchstaben zu entziffern, die darin eingekerbt waren. „Harper“, las sie laut und lächelte. Die linke Seite der Tafel lief spitz zu, und Alison betrachtete die schlammige Straße. Eine enge Schneise führte mitten durch den Wald und sah unbefahrbar aus. Doch zumindest wusste Alison, dass es, falls sie steckenblieb, am anderen Ende Hilfe gab.
Sie ging zum Auto zurück und setzte sich wieder hinter das Lenkrad. Dann lenkte sie den Subaru scharf nach links. Reifenspuren im Boden waren ein Hinweis darauf, dass vor nicht allzu langer Zeit ein anderes Fahrzeug hier entlanggefahren war. Das stärkte ihr Vertrauen. Nach zwei Minuten auf der steilen und kurvigen Straße erreichte sie in einem dichten Wald eine kleine Lichtung. Dort parkte neben einem Blockhaus ein Pickup-Truck, und sie hielt dahinter an.
Eine breite Veranda führte an der Vorderseite des roh gezimmerten Blockhauses entlang, und Rauch kräuselte sich oben aus dem Steinkamin. Hinter einer Spitzengardine flackerte eine Öllampe. Nirgends auf der Auffahrt waren Stromleitungen oder Masten zu entdecken. Das war ungewöhnlich. Eine Innentoilette war nicht unbedingt in allen Berghütten zu erwarten, in denen sie gewesen war. Doch nahezu überall gab es heutzutage Elektrizität und Telefon.
Alison drückte auf die Hupe, um auf sich aufmerksam zu machen, und wartete auf die unvermeidlichen Hunde, die sicher gleich erscheinen würden, um sie zu verjagen. Als keine auftauchten, stieg sie aus dem Wagen und ging auf die vorderen Stufen zu. Sie hatte gerade die Hälfte des schlammigen Weges hinter sich gebracht, als die Vordertür geöffnet wurde. Zwei Hunde stürzten heraus, und Alison warf einen Blick zurück, um abzuschätzen, ob sie sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Sie zögerte den Bruchteil einer Sekunde zu lange. Die Tiere erreichten sie bellend und schnuppernd.
Das allein hätte schon gereicht, um ihr Angst einzujagen. Doch in diesem Augenblick erschien eine ältere Frau mit einem Gewehr auf der Veranda und zielte damit direkt auf Alison. „Sie nehmen sich besser in Acht“, rief sie. „Das ist Privatbesitz, den Sie unerlaubt betreten haben.“
„Nirgendwo stand ein Schild“, erwiderte Alison und schirmte die Augen gegen den Regen ab, der sich allmählich zu einem regelrechten Wolkenbruch entwickelte. „Tut mir leid. Ich … ich suche nach Ettie Lee Harper. Wohnt sie hier?“
„Hier gibt es nichts für Sie zu holen. Ich habe keine Antiquitäten zu verkaufen, ich brauche keine Lebensversicherung, und ich will meine Ersparnisse auch keiner wohltätigen Vereinigung spenden, für die Sie unterwegs sind.“
Ein junger Mann tauchte im Türrahmen auf und nahm der älteren Frau sanft das Gewehr aus den Händen. Sie sprachen leise miteinander. Dann nickte die alte Frau und ging ins Haus.
„Steigen Sie einfach wieder in den Wagen und verschwinden Sie, bevor Ettie Lee Sie erschießen muss“, empfahl er ihr.
„Das war also Ettie Lee.“ Alison machte einen Schritt vorwärts, bis ihr bewusst wurde, dass der Mann ja immer noch das Gewehr in den Händen hielt. „Ich bin wegen ihrer Musik hier. Mein Name ist Alison Cole. Ich komme von der East Tennessee State. Ich habe Ettie Lee auf einer alten Aufnahme singen gehört und wollte mich mit ihr über ihre Lieder unterhalten.“
Alison wischte sich den Regen aus den Augen und setzte ein freundliches Lächeln auf, während der Mann sich leicht zur Seite drehte, um die Angelegenheit mit Ettie Lee zu besprechen. Alison hatte ja schon öfter eine abwehrende Haltung bei Leuten aus den Bergen erlebt, doch bisher war noch nie mit einem Gewehr auf sie gezielt worden.
Einen Augenblick später erschien die ältere Frau wieder in der Tür und winkte ihr. „Dann kommen Sie rein“, forderte sie sie auf, ihre Stimme bebte. „Bei diesem Wetter jagt man ja keinen Hund vor die Tür.“ Sie drehte den Kopf in Richtung des Mannes. „Kommt sie?“
„Ja, ich glaube schon, Miss Ettie.“
„Ist sie hübsch?“, wollte Ettie Lee jetzt wissen.
„Schwer zu sagen, Miss Ettie. Im Augenblick hat sie Ähnlichkeit mit einer nassen Ratte.“
Alison ging die Stufen zur Veranda hoch und schob sich die nassen Ponyfransen aus der Stirn, während sie dem Mann mit dem Gewehr einen kühlen Blick zuwarf. Und in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie bisher nicht viel weiter als bis zur Gewehrmündung geschaut hatte. Sie schluckte, als sie sein Gesicht genauer betrachtete.
Er sah mehr als gut aus. Seine Augen waren von einem durchdringenden Blau, und sein Mund war perfekt geformt. Der Schatten eines Eintagebarts lag auf Wangen und Kinn, und dichtes dunkles Haar streifte den Kragen seines Chambray-Hemdes. Als er sie anlächelte, jagte ein Schauer über ihren Rücken.
Schon sehr lange hatte sie nicht mehr derart intensiv auf einen Mann reagiert. Erst in der vergangenen Woche hatte sie sich während eines Mittagessens bei ihrer besten Freundin Tess Robertson darüber beschwert, dass es in ihrem Leben kaum interessante Männer gab. Tess hatte sie vorgewarnt, dass der Richtige höchstwahrscheinlich in dem Moment auftauchen würde, wenn sie am wenigsten damit rechnete.
Dann hatte sie Alison ein wunderschön verpacktes Weihnachtsgeschenk überreicht – eine Schachtel Kondome – und darauf bestanden, dass sie beide sich fürs neue Jahr etwas vornehmen sollten, was sie bitter nötig hätten: ein bisschen unartiger und weniger nett zu sein.
Jetzt hatte Alison gleich eine ganze Reihe unartiger Gedanken. Sollte Tess tatsächlich recht gehabt haben? Diese Begegnung kam wirklich unerwartet.
Alison hob das Kinn und lächelte den Unbekannten keck an. „Bestimmt wissen Sie, was man über Männer mit großen Gewehren sagt“, sagte sie leise.
„Kommen Sie rein“, erwiderte er nur und musterte sie, als sie an ihm vorbeiging. „Im Kamin brennt ein Feuer. Dort können Sie sich trocknen und wärmen.“
Drew Phillips schloss die Tür hinter der Fremden, Regenwasser tropfte auf Etties Fußboden. Zwar hatte er gesagt, sie würde wie eine nasse Ratte aussehen, doch in Wahrheit traf das keineswegs zu. Selbst völlig durchnässt war Alison Cole immer noch die attraktivste Frau, die er gesehen hatte, seit … er konnte sich gar nicht mehr erinnern.
Er vermied es, sie anzusehen, denn jedes Mal, wenn sich ihre Blicke trafen, schlug sein Puls eine Spur rascher. Sie glich gewiss keinem Model, doch sie besaß eine schlichte natürliche Schönheit, die nicht einmal strähniges, nasses Haar oder fehlendes Make-up schmälern konnte.
Drew stöhnte innerlich. Vor einem Jahr hatte er seine Praxis eröffnet – und seitdem praktisch kein Sexleben mehr. Die Entscheidung, seine Stelle in einem städtischen Krankenhaus aufzugeben und wieder in die Berge zurückzukehren, war ihm leicht gefallen. Er hatte dabei allerdings nicht bedacht, dass es hier oben kaum Frauen gab, und was dies für seine Libido bedeuten würde. Er hatte wohl angenommen, es würden sich Gelegenheiten ergeben, und wenn nicht, würde er eben die Wochenenden in der Stadt verbringen.
Aber immer gab es Notfälle. Menschen, um die er sich kümmern musste, und Hausbesuche, die zu erledigen waren. Die Wochenenden vergingen wie im Flug, ohne dass er Zeit für sich selbst hatte. Ausschließlich Arbeit und keinerlei Vergnügen hatten ihn ziemlich scharf gemacht, und jetzt, wo er neben einer begehrenswerten Frau stand, drehten sich seine Gedanken natürlich um Sex.
„Ziehen Sie doch die nasse Jacke aus“, forderte er sie auf und legte dabei die Hände auf ihre Schultern. Während er ihr behilflich war, atmete er Alisons zarten Duft ein.
Sie erschauerte. „Mir … mir ist ein bisschen kalt.“
Drew nahm eine bunte Decke vom Sofa und wickelte sie ihr um die Schultern. Dann rieb er Alisons Arme, um sie zu wärmen, und massierte ihr schließlich den Rücken. „Besser?“
Alison sah hoch, und ihre Blicke trafen sich. Einen Augenblick lang starrten sie einander an. Drew war so daran gewöhnt, sich um das Wohlergehen seiner Patienten zu kümmern, dass seine Hilfe ganz selbstverständlich war. Doch jetzt wurde ihm bewusst, dass sie sich beinahe umarmten, und er trat einen Schritt zurück. „Eine Unterkühlung kann sehr rasch einsetzen“, erklärte er leise.
Ganz offensichtlich hatte der Körperkontakt Alison ebenfalls ein wenig aus der Fassung gebracht. Ihre Stimme zitterte, als sie sich an Ettie wandte: „Miss Harper, mein Name ist Alison Cole. Ich habe lange nach Ihnen gesucht.“ Sie streckte die Hand aus und stellte leicht verblüfft fest, dass Ettie keine Miene verzog.
Drew ging zu Ettie, führte sie am Ellbogen einen Schritt vorwärts und sagte dabei: „Sie will deine Hand schütteln.“ Dann lächelte er Alison an. „Miss Ettie ist blind.“
„Red nicht solches Zeug“, schimpfte Ettie. „Sagen wir, ich sehe die Dinge nicht so wie normale Leute.“ Die alte Frau streckte die Hand aus, und Alison ergriff sie. „Also, Sie haben meine Aufnahme gehört? Im letzten Sommer ist schon einmal ein Mann vorbeigekommen und hat nach diesen Liedern gefragt. Wollte eine neue Aufnahme machen.“
„Noch jemand weiß davon?“, fragte Alison enttäuscht, und Drew überlegte, warum diese Lieder so wichtig für sie waren.
„Ich habe ihn weggeschickt“, fuhr Ettie fort. „Mir gefiel der Klang seiner Stimme nicht. Er kam noch zwei Mal zurück und wollte mich überreden, irgendwelche Papiere zu unterschreiben. Aber einem Mann mit Papieren kann man niemals trauen.“
„Wann haben Sie die Lieder denn aufgenommen?“, erkundigte sich Alison.
Ettie lächelte. „Meine Güte, an den Tag erinnere ich mich noch, als wäre es gestern gewesen. Das war neunzehnhundertneununddreißig. Mein vierzehnter Geburtstag. Mein Daddy lieh sich den Truck von einem Freund und fuhr Mom und mich nach Knoxville. Das war das erste Mal, dass ich von zu Hause weg war, und ich dachte, ich würde in Ohnmacht fallen vor Aufregung.“
„Sie hatten eine wunderschöne Stimme“, sagte Alison.
„Die hat sie immer noch“, erklärte Drew.
Alison schaute zu ihm, und er zuckte leicht zusammen. In seiner Vorstellung hatte er sie gerade ausgezogen und ihren Körper unter den nassen Kleidern erforscht. Hoffentlich hatte sie nicht gemerkt, wie er sie angestarrt hatte.
Wenn er allerdings die Zeichen richtig deutete, fand sie ihn ebenfalls attraktiv. Er gab sich einen Ruck und streckte die Hand aus. „Ich bin Drew Phillips, der hiesige Arzt. Ich mache gerade einen Hausbesuch bei Miss Ettie.“
Alison ergriff seine Hand, und ein angenehmer Schauer überlief ihn. Viel zu lange war es her, dass er solch eine sexuelle Anziehungskraft verspürt hatte. Zwar galt er bei seinen Patientinnen und deren Familien als guter Fang, doch Drew trennte berufliche Dinge streng von seinem Privatleben. Diese Frau aber war keine Patientin, und sie schien aus irgendeinem Grund genau hier auf diesem Berg gelandet zu sein – vielleicht nicht nur, um mit Miss Ettie über Musik zu sprechen …
„Ich mag den Klang Ihrer Stimme“, sagte Ettie. „Setzen Sie sich doch ans Feuer, ich mach uns eine Tasse Tee.“ Sie steuerte auf den Herd zu. „Ich habe Kamillentee aus selbst gesammelten Blüten.“
„Das erledige ich“, bot Drew an.
„Nein, nein“, flüsterte Ettie. „Du wirfst noch ein paar Scheite auf das Feuer und führst eine nette Unterhaltung. Sie klingt, als sei sie ein hübsches Mädchen. Du könntest ein hübsches Mädchen in deinem Leben gebrauchen“, fügte sie dann hinzu und tätschelte Drews Arm.
Drew drehte sich zu Alison um. Bestimmt hatte sie jedes einzelne Wort gehört. „Setzen Sie sich“, sagte er und wies auf einen Stuhl neben dem Kamin. „Und nehmen Sie Miss Ettie nicht allzu ernst. Sie spielt gerne die Kupplerin, wenn sich die Gelegenheit bietet.“
„Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass Sie sonst wahrscheinlich jede Menge Probleme hätten, sich mit einer Frau zu verabreden“, spottete Alison.
Drew lachte. „Den größten Teil meiner Freizeit verbringe ich mit einer fünfundachtzigjährigen Dame“, sagte er. „Das verrät wohl alles, was Sie wissen wollen.“
„Ich wollte gar nichts wissen“, verkündete Alison und hob dabei das Kinn. „Ich bin nicht an Ihnen, sondern nur an Miss Ettie interessiert.“
„Uns gibt es bloß im Doppelpack. Ich wache über sie. Wenn Sie etwas von ihr wollen, müssen sie sich schon mit mir auseinandersetzen.“
Erneut trafen sich ihre Blicke, und Drew bekämpfte den Impuls, sich vorzubeugen und Alison zu küssen. Vielleicht hätte er das sogar getan, wenn er nur ihre Reaktion darauf hätte abschätzen können. Doch sie musterte ihn derart skeptisch, dass er es vorzog, noch ein wenig abzuwarten.
„Ich … ich brauche mein Aufnahmegerät aus dem Auto. Keinesfalls möchte ich etwas verpassen, was sie erzählt.“
„Ich kann es holen“, bot er an. Möglicherweise war es sowieso am besten, wenn er sie alleine ließ. Schließlich war sie gekommen, um Miss Ettie kennenzulernen, und nicht, um Mittelpunkt seiner persönlichen sexuellen Fantasien zu werden.
„Bringen Sie einfach die große Tasche rein, die auf dem Vordersitz liegt“, sagte Alison. „Da sind all meine Sachen drin.“
Drew schnappte sich seine Jacke von einem Stuhl und warf einen Blick zurück. Dabei stellte er fest, dass Alison gerade in die Betrachtung seines Pos vertieft war. Verlegen blinzelte sie, und ihre rosa Wangen verrieten, dass sie sich gerade eine eigene kleine Fantasie gestattet hatte.
Als er mit ihren Sachen zurückkam, stand Alison auf und ging quer durch den Raum auf ihn zu. Ihre Hände streiften sich, als sie die Tasche entgegennahm. „Danke“, sagte sie.
„Gern geschehen.“
Jetzt standen sie so nahe beieinander, dass sie sich fast berührten. Drew spürte die Wärme, die von Alison ausging. Am liebsten hätte er sie an sich gezogen.
Doch Alison ging zurück zum Kamin, setzte sich und begann, etwas in der Tasche zu suchen. „Haben Sie schon jemals die Aufnahme von Miss Ettie gehört? Ich habe sie auf meinem iPod.“ Sie holte das Gerät heraus, suchte die richtige Stelle und reichte es ihm.
Drew nahm den Ohrhörer und stellte die Lautstärke ein. Als die alte Frau aus der Küche kam, grinste er. „Miss Ettie, du klingst wie ein Engel. So jung.“
„Nun, ich war ja auch jung“, sagte sie, während sie mit einem Tablett zum Kamin ging. „Und jeder wollte mich singen hören.“
Alison stand auf und nahm ihr behutsam das Tablett aus den Händen. „Darf ich einschenken?“, fragte sie.
Ettie setzte sich in einen Schaukelstuhl gegenüber von ihr und Drew und nickte. „Gerne.“
„Hier, Miss Ettie“, sagte Drew und reichte ihr den iPod. „Halte dir das ans Ohr, dann hörst du dich selbst.“
Alison beobachtete, wie Drew neben Etties Stuhl niederkniete und den Ohrhörer für sie hielt. Er ging so süß und sanft mit ihr um, trotzdem war ihr klar, dass sich unter der gelassenen Fassade ein Mann befand, der wahrscheinlich genau wusste, wie man eine Frau im Schlafzimmer in Ekstase bringt. Die Art, wie er sich bewegte und wie er sie ansah, verriet Alison einiges.
Sie rieb sich die Oberarme und dachte an das Kribbeln, das sie bei seiner Berührung gespürt hatte. Immer wieder ließ sie sich von ihren Gedanken und von Drew ablenken, zum Glück hatte sie ein Aufnahmegerät dabei, um Etties Worte festzuhalten. Drew war auf jeden Fall einer der attraktivsten Männer, die ihr je unter die Augen gekommen waren. Ihn ausgerechnet hier, in den tiefsten Wäldern von Tennessee, zu finden, war eine ziemliche Überraschung.
Nach der Trennung von ihrem letzten Freund vor sechs Monaten hatte sie nicht viele Gedanken an Männer verschwendet. Die Beziehung war ihren langen Arbeitszeiten und einem wenig reizvollen Sexleben zum Opfer gefallen. Außerdem war ihr Exfreund sehr anspruchsvoll und besitzergreifend gewesen und hatte versucht, sie in jemanden zu verwandeln, der sie nicht war – in eine Frau, die glücklich damit war, sich um ihn zu kümmern, während er sich auf seine akademische Arbeit konzentrierte. Deshalb war Alison auch nicht besonders erpicht auf einen Nachfolger gewesen.
Was allerdings nicht bedeutete, dass sie keine Bedürfnisse mehr hatte. Gerade jetzt gingen ihr ein paar unartige Gedanken durch den Kopf. Sie stellte sich Drew ohne Hemd vor und überlegte, welche Unterwäsche er wohl trug – Boxershorts oder Slips?
Während sie Tee tranken, kommentierte Ettie die Lieder, die sie hörte. Manchmal verschleierten sich ihre Augen mit Tränen, dann wieder lachte sie leise vor sich hin. Alison hielt das Aufnahmegerät so, dass sie jeden Ton einfing, und stellte immer wieder Fragen.
Jedes Wort, das Ettie sprach, war wie ein Schatz und brachte neue Erkenntnisse über die Musik, die Alison schon ihr ganzes Leben lang liebte. Doch während die Zeit verging, merkte sie, dass Ettie langsam müde wurde. Auf keinen Fall wollte sie die Gastfreundschaft ausnutzen, auch wenn sie das Gespräch nur ungern beendete.
„Ich glaube, ich habe genug für heute“, sagte sie, als Ettie anbot, eine dritte Kanne Tee zu kochen.
„Nein, seien Sie nicht albern“, widersprach Ettie.
„Alison hat recht“, meinte Drew. „Du solltest dich ein bisschen ausruhen. Du bist immer noch nicht richtig fit nach deiner Krankheit im letzten Monat.“
„Oh, das tut mir leid“, erklärte Alison. „Mir war nicht klar, dass Sie noch gar nicht bereit für ein langes Gespräch waren.“
„Mir geht es gut.“ Ettie winkte ab. „Außerdem gibt es noch so viel zu erzählen. Kommen Sie morgen einfach wieder.“
Drew sah Alison an, die erfreut nickte. „Ja, das wäre am besten.“ Sie kniete neben Etties Stuhl und nahm ihre Hand. „Ich werde wiederkommen, und dann spiele ich ihnen auf meiner Zither vor. Vielleicht können wir zusammen singen?“
Ettie nickte lächelnd. „Das wäre schön, meine Liebe. Morgen. Und du kommst auch, Drew. Mir gefällt es, euch beide um mich zu haben.“
„Morgen“, versprach Alison.
Sie stand auf, packte ihre Sachen zusammen und steckte sie zurück in die große Tasche. Drew half ihr in die Jacke. Dann strich er ihr sanft über die Schultern und ließ die Hände einen kurzen Moment dort liegen. Alison schloss die Augen und lehnte sich an ihn. Doch sofort fing sie sich wieder, drehte sich um und lächelte ihn zögernd an. „Danke“, sagte sie leise.
„Keine Ursache.“ Drew rief Ettie einen Abschiedsgruß zu, öffnete die Tür und folgte Alison hinaus auf die Veranda.
Draußen regnete es noch in Strömen, und obwohl Weihnachten kurz bevorstand, gab es erst wenig Schnee. Nebeneinander standen sie auf der Veranda und beobachteten das Wetter. „Wo fahren Sie hin?“, wollte er wissen.
„Nach Johnson City.“
„Dieser Regen ist schlimm. Die Straßen zur Stadt können unterspült sein. Am besten fahren Sie geradeaus, bis Sie die Hauptstraße erreichen. Das dürfte am sichersten sein.“
„In Ordnung“, erwiderte sie. In Wahrheit hätte sie es vorgezogen, wenn er sie eingeladen hätte, drinnen zu warten, bis sich das Wetter besserte. „Aber was mache ich, wenn eine Straße unterspült ist?“
„Dann fahren Sie eben nicht in die Stadt zurück“, meinte er achselzuckend. Er nahm sie beim Ellbogen und zog sie vorwärts. „Lassen Sie uns gehen, bevor es noch schlimmer wird.“
Alison holte tief Luft und lief dann zügig auf ihren Wagen zu. Sie hatte allerdings noch keine zwanzig Meter zurückgelegt, als sie auf dem schlammigen Pfad ausrutschte und das Gleichgewicht verlor. Bevor sie sich fangen konnte, landete sie auf dem Boden.
Schmutziges Wasser sickerte durch den Stoff ihrer Jeans, und ein leichter Schmerz schoss von ihrem Knöchel bis zu ihrem Knie hoch. „Autsch“, schrie sie und streckte das Bein aus, das sich unter ihr verdreht hatte. Der Gurt ihrer Tasche zog unangenehm an ihrem Hals. Sie streifte ihn ab und presste die Tasche an die Brust.
In einer Sekunde war Drew bei ihr. „Sind Sie in Ordnung?“
„I…ich glaube, ich habe mir den Knöchel verstaucht.“ Sie wollte sich an Drews Arm festhalten, doch ihre Hände waren voller Schlamm. „Helfen Sie mir hoch. Ich glaube, ich kann gehen.“
„Nein.“ Trotz Schlamm und Schmutz nahm er sie in die Arme und hob sie hoch. „Wir gehen wieder rein.“
„Nein!“, protestierte Alison. „Mir geht es gut, ehrlich. Lassen Sie mich einfach runter. Ich werde mich Miss Ettie nicht aufdrängen, besonders jetzt nicht, wo ich so schmutzig bin.“ Doch Drew hielt sie weiter fest. Sein Mund war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Sie spürte seinen Atem. „Ich … ich kann gehen“, versicherte sie.
„Ich bin Arzt