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Kleopatra. Die Königin, die Rom herausforderte und ewigen Ruhm gewann

Als Buch hier erhältlich:

Eine Frau, die Weltgeschichte schrieb

Seit über zweitausend Jahren beschäftigt Kleopatra die Fantasie der Menschen. Wir kennen sie aus Shakespearedramen und Hollywoodfilmen genauso wie als Chiffre für Luxus und Verführung. Doch wer war diese Frau wirklich?

Alberto Angela nimmt uns mit zurück in die Zeit: Vom Mord Cäsars am 15. März 44 v. Chr. bis zur Schlacht bei Actium, aus dem Oktavian als Alleinherrscher hervorgehen wird, beschreibt er fesselnd und hautnah das Leben Kleopatras, dieser faszinierenden Frau. Königin von Ägypten, Liebhaberin der zwei mächtigsten Männer der damaligen Welt, geopolitische Kriegsstrategin. Ein Leben auf Messers Schneide zwischen Mord, Macht und Leidenschaft. Cäsar, Antonius, Oktavian – spannend wie ein Roman, erzählt Alberto Angela, wie Kleopatra die Schicksale dieser Männer miteinander verknüpfte und damit Weltgeschichte schrieb. Ihr Einsatz ist hoch, und sie selbst verliert am Ende alles. Doch ihr Mythos lebt.

»Meine Nachforschungen ergeben das Bild einer unglaublich modernen Frau, die so ganz anders war, als wir es zumeist erwarten. Und genau dieser ›moderne‹ Zug ermöglichte es Kleopatra, eine so bedeutende Rolle in der Geschichte der Antike zu spielen.«Alberto Angela

»Vielmehr verbindet Angela auf wunderbare Weise populäre, ja sinnliche Darstellung mit harter Quellenkritik, die aus einem soliden Wissen über das Zeitalter seiner Akteure schöpft.« WELT Online


  • Erscheinungstag: 03.06.2019
  • Seitenanzahl: 512
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959678711
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für Riccardo, Edoardo und Alessandro.

Und für alle Jungen und Mädchen, die die Zukunft im Auge haben und unsere Hoffnungen im Herzen tragen.

Einführung

Der Name »Kleopatra« ruft in jedem von uns ziemlich eindeutige Bilder und Stimmungen hervor. Sogleich steht uns das Gesicht einer schönen, intelligenten und eleganten Frau vor Augen, deren tiefer Blick eine starke Sinnlichkeit ausstrahlt. Die Atmosphäre des Alten Ägypten und des antiken Rom nimmt uns mit ihrem Zauber gefangen. Kleopatra ist für uns unmittelbar mit Cäsar und Marcus Antonius verbunden, mit denen sie zwei der bedeutendsten Liebesgeschichten aller Zeiten erlebte. Nur wenige Persönlichkeiten der Vergangenheit vermögen in uns so starke Gefühle zu wecken wie diese drei, obwohl sie vor langer Zeit gelebt haben. Gut 2000 Jahre sind seitdem vergangen.

Wie aber ist das möglich? Wie konnte diese zierliche Frau in einer von Männern beherrschten Welt das Königreich Ägypten ganz allein zu seiner größten Ausdehnung überhaupt führen? Und wie wurde sie zu einem der strahlendsten Sterne am Himmel der Geschichte? Eben diese Fragen möchte ich in diesem Buch beantworten.

Ich habe herauszufinden versucht, wer Kleopatra wirklich war, wie es ihr gelang, die größten Männer Roms – Julius Cäsar und Marcus Antonius – zu verführen. Und woher ihr Geschick als geopolitische Strategin rührte.

Meine Nachforschungen ergeben das Bild einer unglaublich modernen Frau, die so ganz anders war, als wir es zumeist erwarten. Und genau dieser »moderne« Zug ermöglichte es Kleopatra, eine so bedeutende Rolle in der Geschichte der Antike zu spielen. Eine Frau wie Kleopatra würde vermutlich auch heute Spuren hinterlassen, ob nun in der Politik, der Industrie oder der Hochfinanz. Vor mehr als 2000 Jahren jedenfalls hat sie ihre Welt entscheidend mitgeprägt.

Mit diesem Buch möchte ich herausfinden, welchen Einfluss diese Frau in diesem epochalen Moment der Weltgeschichte ausübte. Denn diese Königin war ganz eindeutig ein Dreh- und Angelpunkt zweier großer Kulturen – dem Alten Ägypten und dem Rom der Antike. Und sie war Zeugin einer entscheidenden Wende: Die lange Geschichte der Könige und Pharaonen in Ägypten endete, während Oktavian gleichzeitig das römische Kaisertum begründete. Insofern könnte man das beherrschende Motiv im Leben Kleopatras auch kurz so umreißen: der Untergang eines Königreiches und die Geburt eines Kaiserreiches.

In diesem Buch konzentriere ich mich auf eben jenen Brennpunkt der Geschichte. Genauer gesagt auf die 14 Jahre vom März des Jahres 44 v. Chr. bis zum August des Jahres 30 v. Chr. Es ist einigermaßen überraschend, welch ausschlaggebende Bedeutung diese wenigen Jahre für die Antike und die Geschichte des Abendlandes erlangten. Meine Erzählung beginnt mit sechs großen Persönlichkeiten, die zu jener Zeit die Macht innehatten: Julius Cäsar, Cassius, Brutus, Marcus Antonius, Oktavian und Kleopatra. Schließlich aber wird sie nur noch mit einer verbunden sein – mit Oktavian. Denn am Ende, als er keine Feinde mehr hatte, nutzte er die Zeit klug und schuf die Fundamente für eines der größten Reiche aller Zeiten.

Sie werden in diesem Band eine Reise unternehmen, die Sie an die Gestade dreier Kontinente führen wird: Europa, Asien und Afrika. Vom Nil bis ins Hochland Armeniens, von den Palästen Kleopatras bis zur Wohnstatt Cäsars, vom Leuchtturm Alexandrias bis in den römischen Senat, von den Küsten Griechenlands bis in die Wüstenregionen des Vorderen Orients. Sie werden Tausende Kilometer zurücklegen und dabei mehrfach das Mittelmeer überqueren. Sie werden Zeuge erbittert geführter Seeschlachten und ebenso heftiger Kämpfe an Land. Sie werden die prunkvolle Residenz Kleopatras in Alexandria kennenlernen und die Hinterzimmer der Macht in Rom. Und das durch einen Erzählstil, der es Ihnen ermöglichen soll, die Orte jener Zeit plastisch vor Augen zu sehen und in ihre Atmosphäre einzutauchen.

Dazu habe ich eingehende Forschungsarbeiten betrieben, bei denen ich materielle Zeugnisse und schriftliche Quellen ebenso studiert habe wie Artikel und Bücher von Historikern und anderen Experten sowie die Texte von antiken Schriftstellern und modernen Archäologen. Es war alles andere als leicht, Fakten und Schauplätze vollständig zu rekonstruieren und die Ergebnisse in den Text zu gießen, den Sie in Händen halten. Nach mehr als 2000 Jahren kann man sich oftmals nur auf die Aussagen der Zeitzeugen beziehen. Und muss sich dabei aber immer bewusst machen, dass einige von ihnen Kleopatra und Marcus Antonius nicht besonders wohlgesonnen waren und mit ihren Äußerungen Partei nahmen – für Oktavian und gegen die Königin. Das ist einer der Gründe, warum ich manche Ereignisse nur lückenhaft erzähle oder gar nicht erst erwähne.

Hinzu kommt, dass man im Grunde gar nicht weiß, wie die unmittelbare Umgebung von Kleopatra, Julius Cäsar und Marcus Antonius aussah, denn das meiste davon ist nicht erhalten geblieben. Die Tische, die Gewänder, die Marmorstatuen und Paläste sind verschwunden. Der legendäre Leuchtturm ist eingestürzt, ganze Städte sind von der Landkarte getilgt worden: Das Alexandria Kleopatras wurde im Laufe der Jahrhunderte vollkommen zerstört. Heute stehen dort nur noch Gebäude aus der jüngeren Vergangenheit. Auch Antiochia, das in der Antike die drittgrößte Stadt im Mittelmeerraum war, wurde von der Zeit hinweggefegt. Nur zum Vergleich: Das ist so ähnlich, als würde es in 2000 Jahren weder Paris noch Frankfurt, weder London noch New York oder Washington geben und man müsste unser Leben ausschließlich aus Texten rekonstruieren.

Und selbst Kleopatras eigentliches Aussehen ist nicht bekannt.

Wie also herangehen an dieses Thema? Auf die einzig mögliche Weise: Wenn die materielle Kultur und ihre Zeugen verloren gegangen sind, muss ich stattdessen versuchen, das WAHRSCHEINLICHE zu rekonstruieren. Eine solche Rekonstruktion ist möglich, indem ich mich auf das Wissen über jene Zeit verlasse, auf archäologische Daten und die Aussagen moderner Historiker. Alle »romanhaften« Passagen dieser Geschichte beruhen auf einer getreulichen historischen Rekonstruktion der Orte und Gepflogenheiten jener Epoche.

Die erzählerische Herangehensweise dient vor allem dem Zweck, der Geschichte »mehr Leben einzuhauchen«, die manchmal nur auszugsweise in diesen kostbaren antiken Texten festgehalten wurde. Dies aber funktioniert nur, wenn man mit der gebotenen Exaktheit zu Werke geht und dort, wo Informationen fehlen, so dicht wie möglich am Wahrscheinlichen bleibt.

Noch schwieriger allerdings war es, in das Denken und Fühlen von Kleopatra, Cäsar, Marcus Antonius und Oktavian einzutauchen. Stellenweise ist überliefert, was sie gedacht und gefühlt haben. Wo dem nicht so ist, verweise ich darauf, dass es sich um eine Rekonstruktion handelt, die zwar wahrscheinlich ist, nichtsdestotrotz aber Hypothese bleibt. Meiner Meinung nach gibt es keine andere Möglichkeit, den Protagonisten jener Zeit, die Geschichte schrieben, wirklich nahezukommen. Natürlich gibt es Geschichtsbücher, die als unerschöpfliche Quellen Informationen, Daten und Zitate liefern. Doch lesen sich diese meist recht trocken, weil es ihnen an »Leben« fehlt. Geschichte bedeutet auch erzählen. Ist es also möglich, historische Informationen erzählerisch aufzubereiten? Kann man die Freude des Lesers an Geschichten mit der Strenge eines »akademischen« Ansatzes vereinen? Ich denke schon. Daher habe ich in diesem Buch etwas Neues versucht: Ich möchte der Weltgeschichte Leben einhauchen und die nötigen Informationen auf andere Weise vermitteln. So möchte ich die existierenden Geschichtsbücher über die Antike ergänzen – aber nicht ersetzen. Wenn es dabei zu Fehlern gekommen sein sollte, trage ich dafür die alleinige Verantwortung. Aber die Möglichkeit, in einem so entscheidenden Augenblick der Geschichte Königin Kleopatra über die Schulter zu sehen, war einfach zu verführerisch.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen.

Alberto Angela

1
Der Untergang einer Republik
15. März des Jahres 44 vor Christus

Sie blickt in die Ferne, auf den Horizont. Als suche sie Zuflucht in schönen Erinnerungen und beruhigenden Gefühlen.

Ein Seidenschal, von einem Windstoß aufgebläht wie ein Segel, umrahmt ihr ausdrucksstarkes Gesicht. Er wäre bereits weggeweht, hielte sie ihn nicht entschlossen fest. Nur dieses Zeichen verrät, wie viel Kraft in diesem nackten Frauenkörper steckt. Er ruht sanft in einer riesigen Muschel. Im schwachen Licht der Morgendämmerung verschwimmen die Konturen. Es könnte auch gar nicht anders sein, denn seine sinnliche Schönheit fügt sich in der Mitte des Raumes aus Tausenden von kleinen Steinchen zusammen. Ein feines Rascheln nähert sich dem eleganten Venus-Mosaik. Es rührt von einem feinen Gewand, das sachte über den Boden streift. Unvermutet verklingt es. Eine Gestalt setzt einen kleinen gepflegten Fuß mit der Leichtigkeit einer Feder auf das Mosaik. Sie hält einen Augenblick inne und setzt dann, nur vom Schleifen des Gewandes begleitet, ihren Weg durch den Raum fort. Bei jedem Schritt umspielt das blütenweiße Kleid den Körper. Es folgt seinen Bewegungen wie ein Tänzer, der sich an seine Liebste drängt. Den Takt geben die Hüften vor, die sich immer wieder unter dem Weiß der Tunika abzeichnen wie Delfine, die aus dem Wasser auftauchen, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Dann fallen die elegant plissierten Falten wieder in ihre ursprüngliche Ordnung zurück. Im Halbdunkel des Flurs scheint die Tunika förmlich zu schweben. Nur wenige Lichtstrahlen durchdringen die Dunkelheit und werfen den hellen Schimmer des Stoffes auf die Wandfresken, eine lichte Liebkosung, leicht wie eine Wolke. Die Gestalt bewegt sich auf ein Fenster zu. Das Gegenlicht umspielt ihre Formen. Die Tunika scheint sich in Licht aufzulösen und hüllt den zarten Körper in hellen Schein. Es ist der Körper einer jungen Frau von 25 Jahren. Sie ist klein und zierlich, aber ausgesprochen wohlgeformt. Bei jeder ihrer Bewegungen verschmelzen weibliche Kurven und königliche Eleganz zu einem harmonischen Ganzen von unbeschreiblicher Sinnlichkeit. Ihr langsamer Schritt und die sich abzeichnenden Hüften tun ein Übriges. Ein Prickeln liegt in der Luft, kaum wahrnehmbar wie der Hauch eines Parfüms. Und genau wie bei einem kostbaren Duft liegt ihr wahres Geheimnis weniger in ihrer Schönheit als in dem Eindruck, den sie bei den Umstehenden erweckt. Ein Geheimnis, das sie geschickt einzusetzen weiß. Genau wie die Heiltränke und Gifte, mit deren Wirkung sie schon lange vertraut ist.

Kleopatra.

Ihr Name stammt, anders als man vielleicht meint, nicht aus dem Ägyptischen, sondern aus dem Griechischen.

Wörtlich bedeutet er »Ruhm des Vaters« und steht für ein »ruhmvolles Geschlecht« (vom griechischen κλέος, kleos für Ruhm und πατρóς, patros für »des Vaters«). Tatsächlich ist Kleopatra keine Ägypterin, sondern griechisch-makedonischen Ursprungs. Sie gehört einer Dynastie von Invasoren an, die seit fast 300 Jahren auf dem ägyptischen Thron sitzt. Sie pflegen andere Sitten und sprechen eine andere Sprache, nämlich Griechisch. Es handelt sich um die Ptolemäer (die korrektere Schreibweise wäre Ptolemaier, nach dem Dynastiegründer Ptolemaios I., aber ich halte mich an die gebräuchlichere Variante). Kleopatra trug den Beinamen »Thea Philopator«. Ihr vollständiger Name lautet also: »Kleopatra, Göttin, die den Vater liebt« (vom griechischen Θεία, thea für »Göttin« und Φιλοπα`τωρα, philopatora »die den Vater liebt«). Man kennt aus der Geschichte meist nur eine Kleopatra, nämlich die einzigartige Königin, von der dieses Buch handelt. Aber es gab vor ihr weitere sechs Königinnen dieses Namens. Um Verwechslungen zu vermeiden, bezeichnen Historiker sie deshalb meist als Kleopatra VII. Der Name war so häufig, weil die Ptolemäer traditionell immer dieselben Namen für die Nachkommen eines Herrschergeschlechts verwendeten. Etwa so, wie man es von den französischen Königen kennt, von denen eine ganze Reihe den Namen »Ludwig« trug. Deshalb hießen die ptolemäischen Prinzessinnen immer Arsinoë, Berenike oder eben Kleopatra.

Das Ägypten Kleopatras jedenfalls ist ganz anders, als man es sich gemeinhin vorstellt. Sie hat viel später gelebt als andere berühmte Ägypterinnen wie Nefertari (die Gemahlin von Pharao Ramses II.), Nofretete (Gattin von Pharao Echnaton) oder Hatschepsut. Von diesen Damen trennen sie 1200, 1300 und gut 1400 Jahre. Das ist, als würde man eine Frau der Gegenwart mit einer Frau vergleichen, die zu Zeiten Karls des Großen oder der Langobarden im Frühmittelalter gelebt hat. Kleopatra agierte also in einem völlig anderen Ägypten als ihre Vorgängerinnen. Zunächst hatten die Perser das Land besetzt und mehrere Jahrhunderte lang beherrscht. Dann wurde das Reich von Alexander dem Großen erobert. Er leitete die griechisch-makedonische Herrschaft der Ptolemäer ein, die für weitere drei Jahrhunderte auf dem Thron blieben.

Als Kleopatra zur Welt kommt, scheint Ägypten dazu bestimmt, in den Fängen der neuen Weltmacht Rom zu enden. Doch eben sie wird als großartige Herrscherin und Strategin das ägyptische Königreich fortleben lassen und dem Land sogar zu neuen Ländereien verhelfen. Dank der geschickten Politik Kleopatras, der es gelingt, zuerst Cäsar und dann Marcus Antonius zu bezirzen, erlangt Ägypten die Kontrolle über nahezu alle Gebiete im östlichen Mittelmeerraum, von der Türkei bis nach Libyen. Ein außergewöhnlicher Erfolg, der allein auf Kleopatras faszinierenden Fähigkeiten beruht. Zum letzten Mal schreibt ein Ägyptisches Großreich Geschichte. Kleopatra wird nur 21 Jahre lang regieren, in dieser Zeit aber das Schicksal der antiken Welt entscheidend mitgestalten. Das macht sie zu einer der mächtigsten, einflussreichsten und bedeutendsten Frauen aller Zeiten. Mit Ausnahme von Elisabeth I. von England kann sich wohl keine andere Frau auf dem Thron mit ihr messen, obwohl der Tod sie noch vor ihrem 40. Lebensjahr ereilen wird.

In einer von Männern beherrschten Welt liegt das Schicksal des Okzidents in den Händen einer jungen Frau. Und das zu einem entscheidenden Zeitpunkt. Rom wandelt sich von der Republik zum Kaiserreich. Ohne Kleopatra wäre das nicht möglich gewesen und hätte vermutlich nicht zu den Ergebnissen geführt, die unsere Geschichtsbücher füllen. Denn sie ist eine der Ursachen für den Machtkampf zwischen Marcus Antonius und Oktavian, aus dem Letzterer als Sieger hervorgeht. Er wird so lange leben und regieren, dass er die Grundfesten für ein Reich schafft, das Jahrhunderte überdauern wird.

Unzählige Beinamen begleiten die junge Frau, die leise durch die mit Fresken geschmückten Räume schreitet. »Königin der Könige und Königinnen«, »Königin von Ober- und Unterägypten« und »Königin von Zypern«. Aber heute, mehr als 2000 Jahre später, steht ihr Name vor allem für eine kultivierte, unabhängige Frau, von der eine unwiderstehliche exotische Faszination ausgeht. Sie verstrickt Männer in leidenschaftliche Affären und weiß sie geschickt zu gängeln. Ist es wirklich möglich, dass diese Frau erst 25 ist?

Kleopatra hat eine pergula betreten, eine Art Balkon, den ein elegantes Holzgitter überdacht und von der Umgebung abschirmt. Mit den Fingern berührt sie die Windungen der hölzernen Arabesken, durch die ein Hauch der prickelnden Luft des noch jungen Morgens dringt. Für einen Moment schließt Kleopatra die Augen und saugt die frische Luft in tiefen Zügen ein. Dann schlägt sie die Augen langsam wieder auf. Ihr Blick ist warm und strahlend. Er leuchtet wie die Sonne, die still über den endlosen Wüsten Ägyptens aufgeht.

Nun aber spiegelt sich in ihren Augen eine andere Welt, die bei jedem Wimpernschlag kurz verschwindet. Das Bild, das sich auf ihrer Iris abzeichnet, zeigt eine gewaltige Stadt jenseits eines großen Flusses. Rom, wie es von Trastevere aus erscheint, wo sich die Horti Caesaris befinden, die »Gärten des Cäsar«. Auf diesem großen Anwesen hat Julius Cäsar die ägyptische Königin während ihres Aufenthalts untergebracht.

Von hier aus erkennt Kleopatra die enorme Ausdehnung der Stadt. Sie ist die größte im Mittelmeerraum und spielt immer mehr die Hauptrolle in der damals bekannten Welt. Genau wie es Ägypten jahrhundertelang getan hat. Aber das ist nun vorbei.

Stellen wir uns vor, wir sähen die Stadt durch Kleopatras Augen. So finden wir Einlass in ihre Straßen und können sie erkunden.

Rom bei Tagesanbruch

Es ist das Jahr 44 v. Chr. Die letzte Phase der Republik ist angebrochen. Noch wird es eine Generation dauern, bis das Römische Kaiserreich das Licht der Welt erblickt und seine ganze Macht entfaltet. Aber Rom ist bereits die chaotische, kosmopolitische Stadt, die die Schriftsteller der Antike fasziniert und später die Archäologen zum Staunen bringen wird. Vor allem ist Rom schon zu jener Zeit wunderschön.

Ein kräftiger Wind hat die Wolken und den Regen der vergangenen Stunden hinweggefegt. Die Sonne ist im Osten aufgegangen, und ihre ersten zarten Strahlen treffen das Kapitol. Sie tauchen den großen Tempel des Jupiter Optimus Maximus mit seinen gewaltigen Säulen in sanftes Licht. Drinnen thront neben den Statuen von Juno und Minerva die Riesenstatue des höchsten Gottes Jupiter. Sie wurde wahrscheinlich mit Elfenbein und Gold verziert, ein wahres Meisterwerk. Vor den Statuen treffen die Priester erste Vorbereitungen für die morgendlichen Zeremonien. Beim Anblick des Tempels, dessen Seitenlänge etwa 60 Meter beträgt, stockt einem der Atem. Einige Quellen berichten, dass die herrlichen Säulen mit den korinthischen Kapitellen aus dem fernen Griechenland stammen. Sulla soll sie im Jahr 86 oder 84 v. Chr. aus dem Olympieion in Athen entwendet haben. Er wollte dem Herzen Roms wohl eine griechische Seele einpflanzen. Sie sollte die Stärke der neuen Macht am Horizont signalisieren und gleichzeitig als Licht der Vergangenheit deren Zukunft erhellen. Mit dem Aufsteigen der Sonne erglühen die Statuen aus vergoldeter Bronze und die Reliefs am Giebel des Tempels, als würden sie in Flammen aufgehen. Ein grandioses Spektakel voller Symbolkraft, das von fast jeder Stelle der Stadt aus zu sehen ist.

Der Tagesanbruch überflutet die Häuser der Ewigen Stadt mit Licht und erweckt ihre Farben zu neuem Leben. Der bläulich graue Schleier, der Rom in der Dämmerung umhüllt, verschwindet langsam und lässt das Rot der Dächer zum Vorschein kommen. Bei diesem ersten Atemzug des Tages sieht die Stadt aus wie ein Meer, dessen Oberfläche sich im Windhauch kräuselt. Die Gebäude unterschiedlicher Höhe mit ihren Terrassen und Dachgauben sind die Wellen. Treppenartig ziehen sich die Villen über die Hügel. Hier und da ragen goldgrün funkelnd die oxidierten Bronzeziegel der Tempeldächer hervor wie Blumen auf einer Wiese.

Rom wirkt wie eine von Architekten konzipierte Tastatur, auf der das Leben, einem begabten Pianisten gleich, die Symphonie des Erwachens spielt. Kleine weiße Rauchwolken steigen überall dort in die kühle Luft empor, wo jemand ein Feuer entzündet hat. Sei es, um zu kochen, in den Tempeln Riten zu zelebrieren, die großen Öfen der Thermen zu heizen oder in den Werkstätten mit der Arbeit zu beginnen.

Und dann sind da noch die Mauern. Rom ist zu jener Zeit noch aus Backsteinen erbaut. Erst Oktavian, der zukünftige Kaiser Augustus, wird es in eine Marmorstadt, wie er selbst gern sagen wird, verwandeln. Doch man nimmt heute an, dass die Backsteinmauern schneeweiß verputzt waren, sodass die Stadt im Licht der aufgehenden Sonne hell erstrahlt. Ein Licht, das wie gleißende Nebelschwaden langsam in die Gassen vordringt, die immer noch im Halbdunkel liegen. In einer dieser Gassen versucht ein Mann, dem Rinnsal auszuweichen, das sich über den festgestampften Erdboden schlängelt. Über seinem Kopf knarren hölzerne Fensterflügel, die beim Öffnen heftig gegen die Wand schlagen. Glasfenster sind eine echte Seltenheit und dem einfachen Volk sicher weitgehend fremd. Der Mann beschleunigt seinen Schritt. Sobald die Fenster offen sind, kippen die Bewohner nämlich oft den Inhalt ihrer Nachttöpfe auf die Straße, und das weiß er nur zu gut. Jahrhundertelang ist im Okzident eine Toilette in der eigenen Wohnung ein Luxus, den sich nur Reiche leisten können. In Rom leben diese Herrschaften in den noblen unteren Etagen, wo es auch fließendes Wasser gibt. Ein wertvolles Gut, das sich nur im Zuhause einiger weniger Glücklicher findet (meist bei aristokratischen Familien, vermögenden Männern oder solchen mit guten Beziehungen zur Stadtverwaltung).

Das gemeine Volk hingegen drängt sich in den oberen Stockwerken in kleinen Mietwohnungen zusammen, wo weder Toiletten noch fließendes Wasser vorhanden sind. In der subura, dem ärmsten Viertel Roms, ist es sogar üblich, Zimmer unterzuvermieten. Nicht selten wird ein Raum mehrmals unterteilt, beispielsweise mit Tüchern, damit weitere Menschen dort wohnen können.

In Rom ist der private Zugang zu Wasser nur wenigen Bewohnern vorbehalten. Andererseits ist Wasser ein öffentliches Gut, an dem es nie mangelt und das an vielen Orten reichlich zur Verfügung steht. Allerdings muss man es sich von den Straßen holen, in denen unzählige öffentliche Brunnen strategisch verteilt sind. Die Distanz zwischen zwei Brunnen ist nie allzu groß, damit niemand seine Eimer und Krüge voll Wasser weit schleppen muss. Ein engmaschiges Verteilungssystem, mithilfe dessen die größte Stadt des Okzidents ihren Durst stillen kann.

Vielleicht liegt Roms eigentliches Geheimnis darin, dass es der Stadt gelingt, fast eine Million Einwohner mit Wasser zu versorgen. Rom wird im Laufe der Geschichte viele Beinamen tragen wie Caput Mundi, der »Nabel der Welt«, oder Ewige Stadt. »Alle Wege führen nach Rom«, so heißt es. Aber nur wenige wissen, dass Rom auch Regina Aquarum genannt wurde, »Königin der Wasser«, weil Wasser im antiken Rom im Überfluss vorhanden war.

Unmittelbar nach der Zeit, in der unsere Geschichte spielt, erhält die Stadt dank ihrer elf Aquädukte täglich eine Million Liter fließendes Wasser! Eine Menge, die erst in der Moderne, genauer gesagt im Jahr 1964, wieder erreicht und sogar übertroffen wird. Aber man darf nicht vergessen, dass Rom zur Kaiserzeit, vor allem unter der Herrschaft der Adoptivkaiser (Antoninische Dynastie, 98 bis 180 n. Chr.), etwas mehr als eine Million Einwohner hatte. Dagegen leben heute mehr als doppelt so viele Menschen in der italienischen Hauptstadt. Da ist schnell klar, dass damals jedem Einwohner doppelt so viel Wasser zur Verfügung stand wie heute.

Der Mann hat nun das Ende der Gasse erreicht. Er bleibt an einem Brunnen stehen und trinkt. Nachdem er sich den Mund mit dem Handrücken abgewischt hat, setzt er seinen Weg fort. Plötzlich ertönt hinter ihm ein Schrei, dem laute Verwünschungen auf Latein folgen. Ein Pechvogel hat den Inhalt eines Nachttopfs abbekommen. Heute mag uns diese Szene zum Schmunzeln bringen, aber damals galt ein solches Vorkommnis als Straftat. Im römischen Rechtssystem gab es ein Gesetz, das diese spezifische Art von »Luftverschmutzung« als Verbrechen einstufte und je nach Ausmaß des Schadens an Tuniken, Togen und natürlich an der Person ein bestimmtes Strafmaß vorsah.

Obwohl die Sonne erst vor wenigen Minuten aufgegangen ist, sind bereits viele Menschen in den Straßen unterwegs. Es sind größtenteils Sklaven und Bedienstete, die schon am frühen Morgen ihre Aufgaben erledigen müssen. Dick vermummt und steif vor Kälte umrunden sie die vielen Pfützen. In der vergangenen Nacht hat ein Sturm mit Blitz, Donner und Windböen gewütet. Der Boden ist mit Körben, Blumentöpfen (damals schon weit verbreitet) und anderen Gegenständen übersät, die der Wind von Dächern und Balkonen gefegt hat. Die von den Wäscheleinen gerissenen Kleidungsstücke haben sich im Matsch in schmutzige Lumpen verwandelt. Noch lässt der Frühling auf sich warten.

Eines wird klar: Rom war damals noch nicht die imposante und prunkvolle Stadt, die wir aus Filmen und Romanen kennen. Es ist ärmer, einfacher, sogar ein bisschen »provinziell«. Bauwerke und Architektur sind noch weit weniger majestätisch als einige Jahrzehnte später. Die chaotische, dicht bevölkerte Stadt mit ihrem Gewirr aus engen Gassen und den hohen, oft einsturzgefährdeten Gebäuden wirkt eher bescheiden, fast »mittelalterlich«. Zum Trocknen aufgehängte Wäsche verziert die Fassaden mit Farbtupfern. Die Straßen aus gestampftem Erdreich, durch das Rinnsale von undefinierbaren Flüssigkeiten fließen, sind voller Leben. Lachende und lärmende Kinder rennen zwischen den Häusern umher. Viele Römer beklagen sich über den Zustand der Straßen in der Ewigen Stadt, vor allem über die clivi, die steil ansteigenden Straßen. Im Sommer zu staubig und im Winter zu schlammig, stellen sie ein großes Problem dar. Julius Cäsar höchstpersönlich gab den Befehl, sie pflastern zu lassen. Der allerdings wird nie ausgeführt. Warum, wird uns dieser Tag noch zeigen.

Als es das Kolosseum noch nicht gab

Es wird Sie vermutlich erstaunen, dass es viele der Denkmäler und Gebäude, die wir in Rom besichtigen können, zu Zeiten Kleopatras noch gar nicht gab. Millionen Touristen reisen heutzutage jährlich nach Rom, um sie zu bewundern. Damals wäre niemand gekommen, denn Roms Wahrzeichen sollten erst noch gebaut werden. Hier eine kleine Bestandsaufnahme, die Sie sicher überraschen wird.

Kleopatra, Marcus Antonius, Julius Cäsar, Cicero und Oktavian – sie alle haben folgende Bauwerke niemals gesehen:

Das Kolosseum wird mehr als ein Jahrhundert, genauer gesagt 124 Jahre später, eingeweiht. Nun fragen Sie sich vermutlich, wo denn damals die Gladiatorenkämpfe stattgefunden haben. Für die munera gladiatoria, die »Gladiatorendienste«, wurden provisorische Amphitheater aus Holz errichtet, etwa so, wie man heute für Open-Air-Konzerte Stadien aus Metall aufbaut.

Das Pantheon wird 17 Jahre später von Marcus Vipsanius Agrippa, dem Schwiegersohn und treuen Feldherrn von Augustus, verwirklicht. Allerdings wird es seine heutige Gestalt in einer noch späteren Zeit erhalten. Da es durch zwei Feuersbrünste erheblich beschädigt wird, lässt Kaiser Hadrian es wiederaufbauen, der etwa 160 Jahre nach dem Tag regierte, um den es hier gehen soll. Der Architekt war wohl Apollodor von Damaskus, den manche als eine Art Leonardo da Vinci des Römischen Reichs betrachten. Allerdings sollte Hadrian ihn später ermorden lassen.

Die Caracalla-Thermen werden 250 Jahre später vollendet.

Die Trajansthermen entstehen circa 150 Jahre nach Kleopatras Zeit.

Die Diokletiansthermen öffnen 350 Jahre nach Cäsar ihre Tore.

Die Kaiserforen werden später erbaut: 2 v. Chr. das Augustusforum, das Trajansforum weiht man 143 n. Chr. ein.

Der Titusbogen und der Septimius-Severus-Bogen im Forum Romanum – beide heute bei Touristen begehrte Foto-Motive – werden 130 beziehungsweise 246 Jahre später errichtet.

Die Katakomben gibt es zu Zeiten von Kleopatra und Cäsar natürlich auch noch nicht. Sie entstehen erst viele Jahre später. Zunächst eher unscheinbar nimmt ihr Umfang mit der Zeit immer mehr zu. Im 4. Jahrhundert n. Chr. unter Konstantin bilden sie ein gigantisches Labyrinth.

Auf dem Palatin stehen noch keine Kaiserpaläste, sondern nur ein paar wunderschöne, mit Fresken verzierte Villen (domus) der wichtigsten aristokratischen Familien der Stadt. Erst nach dem Großen Brand Roms, 108 Jahre nach Cäsar, entstehen nach und nach die großen Prachtbauten, in denen die mächtigen römischen Kaiser leben und regieren werden.

Die Domus Aurea, Neros Palast, wird mehr als ein Jahrhundert später entstehen und im Laufe weniger Jahrzehnte wieder verschwinden.

Es gibt keine Obelisken in den Circusbauten und auf den Plätzen Roms. Sie alle stehen noch in Ägypten. Augustus (Oktavian) wird die ersten beiden mit eigens gebauten Schiffen nach Rom verfrachten.

Dafür existieren an diesem Tag, dem 15. März des Jahres 44 v. Chr., dem Todestag von Julius Cäsar, Bauwerke und öffentliche Anlagen, die es heute nicht mehr gibt, die Kleopatra aber durchaus gesehen haben kann. Allerdings ist nicht mit letzter Sicherheit klar, ob sie sich als ausländische Königin innerhalb des pomerium, also innerhalb der »heiligen« Stadtgrenzen Roms, überhaupt frei bewegen durfte. Was sie gesehen haben mag:

– einen künstlichen See, den Cäsar wenige Jahre zuvor auf dem Marsfeld anlegen ließ, um dort eine Naumachie, eine nachgestellte Seeschlacht, zu veranstalten;

– den Tempel der Venus Genetrix (Stammmutter der Julier) und den dazugehörigen heiligen Bezirk auf dem Cäsarforum (mit einer Statue Kleopatras im Inneren, gegenüber der Statue der Göttin);

– die noch unvollendete Basilica Iulia;

– eine beeindruckende Anzahl Bronzestatuen, die in Griechenland geraubt wurden. Sie sind von ähnlicher Schönheit wie die Bronzestatuen von Riace. Heute sind in den verschiedenen Museen nur noch einige wenige schöne, aber häufig beschädigte Marmorkopien aus der Römerzeit zu bewundern. Insbesondere stand damals in der Säulenhalle des Metellus (später zu Ehren von Augustus’ Schwester »Portikus der Oktavia« genannt) eine prachtvolle Statuengruppe. Sie zeigt Alexander den Großen, wie er mit 25 Soldaten in die Schlacht galoppiert. Die Reiter fielen 334 v. Chr. am Fluss Granikos. Die Statuengruppe wurde zu Beginn des Mittelalters zerstört und eingeschmolzen.

– umfangreiche Sammlungen von geschnittenen Gemmen und Kelchen aus Halbedelsteinen, die Pompeius und Cäsar höchstpersönlich nach Rom brachten. Ein Beispiel dafür ist die berühmte Tazza Farnese. Einen Teil der Stadt, wie sie Cäsar, Marcus Antonius und Kleopatra vertraut war, können Sie gleichwohl immer noch bewundern. Einige Gebäude, Tempel und Monumente sind, wenn auch von den Römern selbst im Laufe der Generationen leicht verändert, über Jahrhunderte erhalten geblieben. Dazu gehören zum Beispiel:

– der Circus Maximus (der 44 v. Chr. noch kleiner und weniger imposant ist);

– das Forum Romanum mit vielen seiner Tempel, unter anderem dem Tempel der Vesta, in dem das Heilige Feuer Roms brennt;

– das Cäsarforum, das der Feldherr vor Kurzem eingeweiht hat;

– das Kapitol mit dem Tempel des Jupiter Optimus Maximus.

Das Rom von Julius Cäsar ist also anders als die Stadt, die wir im Kopf haben, wenn wir an das klassische Zeitalter denken. Es ist wichtig, das im Hinterkopf zu behalten. Denn die Ereignisse, über die ich berichte, werden die Geschichte der Stadt entscheidend prägen. Rom hat seine Blütezeit noch vor sich. Zwar hat es schon weite Regionen unterworfen und sich als Provinzen einverleibt, aber es ist noch nicht das Imperium, das man heute unter dem »Alten Rom« versteht. Auch wenn die Stadt bereits politisches Zentrum des Mittelmeerraums ist, hat sie noch nicht die Rolle des kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Motors übernommen, die ihr später zuteilwird. Erst am Ende meiner Erzählung wird es so weit sein. In diesem Augenblick der Geschichte beginnt der Prozess, der über die Herrschaft von Augustus zur Entstehung des Römischen Kaiserreichs führen wird. Ohne die Ereignisse, von denen ich nun auf den folgenden Seiten berichten werde, hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen. Wir werden Zeugen eines kritischen und für den gesamten Okzident entscheidenden Moments. Wer weiß, wie die Welt heute aussähe ohne die Protagonisten dieses Buchs: Julius Cäsar, Oktavian, Marcus Antonius und natürlich Kleopatra, die Frau, die die Schicksale dieser Männer miteinander verknüpfte und über die Geschicke Roms und der Welt bestimmte.

Die Stadt erwacht

Wir setzen unseren Spaziergang durch Rom fort und folgen dem Mann, der aus der Gasse auf die Straße getreten ist. An der nächsten Kreuzung wird er Zeuge einer heftigen Auseinandersetzung. Zwei Karren versuchen erfolglos, aneinander vorbeizukommen. Keiner will dem anderen den Vortritt lassen. Die beiden Fuhrmänner sind hitzige Gemüter, sie beschimpfen einander lauthals. Um sie herum hat sich eine kleine Menschenmenge gebildet, die amüsiert zuschaut. Eines der üblichen Straßenspektakel der Moderne, das auch schon zu Zeiten Kleopatras üblich war. Dafür gibt es einen Grund. Wegen des großen Gedränges auf den Straßen Roms hat Cäsar allen Wagen tagsüber die Durchfahrt verboten. So hat er die Ewige Stadt quasi in eine riesengroße Fußgängerzone verwandelt. Sämtliche Fahrzeuge, die Geschäfte, Werkstätten und Paläste beliefern, sind gezwungen, nachts zu verkehren. Das Quietschen der Räder und das Fluchen der Fuhrleute raubt den Menschen im Erdgeschoss der Häuser jedoch den Schlaf. So auch in diesem Moment, und keiner der Fuhrmänner gibt nach. Beide wollen unbedingt noch vor Tagesanbruch aus der Stadt heraus, um sich nur keine Geldstrafe oder Ähnliches einzuhandeln.

Der Mann geht an der Menschenansammlung vorbei. Er drückt sich verstohlen an einer Hausmauer entlang und verschwindet im Schatten. Er ist groß und hager, hat eingefallene Wangen und tief liegende Augen. Sein durchdringender Blick schweift über den Weg. Der schwarze Vollbart, der ihm bis auf die Brust reicht, verrät den Philosophen. Er ist Grieche und heißt Artemidor von Knidos. Seit vielen Jahren lehrt er in Rom Sprache, Philosophie und Literatur seiner Heimat. Wir wissen vom Geschichtsschreiber Appian, auch er ein Grieche, dass dieser anscheinend unbedeutende Mann in Wirklichkeit ein guter Freund Julius Cäsars ist. Einem anderen griechischen Philosophen und Geschichtsschreiber, Plutarch, verdanken wir das Wissen, dass Artemidor an diesem Tag unterwegs ist. Dieser Mann, der gerade durch die Straße geht, in der es bald wie in einem Ameisenhaufen zugehen wird, ist nicht irgendein Einwohner Roms. Auch wenn keine Quelle bekannt ist, die das bestätigt, so ist es höchst wahrscheinlich, dass er in diesem Moment eine Papyrusrolle in der Hand hält, auf der nur wenige Zeilen stehen. Sie könnten den Lauf der Geschichte des gesamten Okzidents für die kommenden Jahrhunderte verändern.

Es ist ein bisschen wie in einem Spionageroman: Enthält diese kleine Rolle wirklich eine Nachricht, die der Weltgeschichte eine andere Wendung geben könnte? Um dies herauszufinden, bleiben wir Artemidor dicht auf den Fersen.

Die Stadt um ihn herum erwacht langsam zum Leben. Es ist, als würde man vor einer Theateraufführung dem Bühnenpersonal beim Aufbau der Kulissen zusehen. Ein Geschäft öffnet seine Brettertür. Es gibt noch keine Glastüren oder Rollgitter aus Metall. Jeder Kaufladen (taberna) wird von innen mit einer Reihe Holzbretter verschlossen, die vertikal aneinandergereiht und mit einem langen Riegel gesichert werden. Das Quietschen des rostigen Metalls in den Halterungen ist jedem Anwohner vertraut. Dasselbe gilt für das laute Poltern der Bretter, die entfernt und unsanft an die Seitenwand des Geschäfts gelehnt werden. Eine Staubwolke begleitet die Geräusche.

Im Vorbeigehen wirft Artemidor einen raschen Blick ins Ladeninnere. Im Halbdunkel macht sich ein Vater mit zwei Söhnen daran, ihre Waren, in diesem Falle bunte Stoffe, vor der taberna auszustellen. Der jüngere Sohn klettert geschickt an einer Bronzestange empor, um Kissen an der Decke zu befestigen. Es handelt sich um die taberna eines Stoffhändlers, der Tücher, Decken und Kissen jeglicher Art liefert, »sowie die seltensten und auserlesensten Seiden aus dem Orient«, wie der Besitzer selbst gern sagt. In diesem Moment befindet er sich hinten im Laden. Der Schein einer Öllampe erhellt nur sein Gesicht. Der Mann spricht seine Morgengebete und stellt dabei vor die kleinen, in einer Nische stehenden Bronzestatuen Wein und Essen als Opfergabe hin. Diese mit kleinen Holzsäulen verzierte Nische ist das lararium, ein kleiner Hausaltar, der für den Alltag der Römer von zentraler Bedeutung ist. Mit den Gaben sichert man sich die Gunst der Laren, der Schutzgötter der Familie. Sie behüten vor Diebstählen, Bränden, Krankheiten und anderen schlimmen Erfahrungen allgemein.

Es ist auch kein Zufall, dass häufig erigierte Phallen zu sehen sind, aufgehängt, gemalt oder sogar vor einem Geschäft ins Straßenpflaster gemeißelt. Mancher Historiker meint, es handle sich dabei um Schilder, die auf lupanare, also Bordelle, hinweisen. Doch dem ist nicht so. Es sind ganz einfach Glücksbringer. Sie sollen den Inhaber vor Krankheiten schützen, ihm Vitalität verleihen und ordentlichen Gewinn bescheren. Vor allem aber haben sie die Funktion, wie Blitzableiter die Verwünschungen der Passanten oder neidischen Konkurrenten abzuwehren. Manchmal stellt eine der Statuen des Larariums Merkur dar. Er ist zugleich Schutzgott der Kaufleute und der Diebe. In diesen Straßen liegen die Gegensätze oft nahe beieinander.

Artemidor setzt seinen Weg fort. Das nächste Geschäft ist das eines Töpfers. Amphoren, bemalte Teller und Krüge sind auf Holztischen und Schemeln am Eingang ausgestellt. Einige Becher und Teller aus terra sigillata fallen besonders auf. Diese spezielle Art von Keramik zeichnet sich durch ihre typische rote Farbe und ihren Glanz aus. Das elegante Tafelgeschirr, das serienmäßig mit Formen gefertigt wird, ist mit auserlesenen Reliefs verziert. Die dafür verwendete Technik nennt man heute Barbotine-Technik. Dabei wird mit einem Pinsel oder Spatel dickflüssiger Ton aufgebracht, sodass kleine Tonklümpchen oder gekräuselte Wellen entstehen. Zur Römerzeit entsprach dieses Geschirr etwa dem feinen Porzellan aus Capodimonte oder Sèvres. Jede bessere Familie nennt ein solches Tafelgeschirr für Gäste ihr Eigen. Wahrscheinlich hat auch Kleopatra von Terra-Sigillata-Geschirr gegessen. Allerdings war das für sie Massenware, da sie an Silberteller, Alabasterbecher oder Glaskelche gewöhnt war. Sie pflegte einen noch exklusiveren und luxuriöseren Lebensstil.

Da klirrt es, und Artemidor blickt sich um. Ein unachtsamer Sklave hat einen Krug fallen lassen. Sein Herr überhäuft ihn mit einem Schwall unübersetzbarer Beschimpfungen, gefolgt von Ohrfeigen und Fußtritten. Seine Brutalität erinnert daran, wie gewalttätig die Gesellschaft damals im Vergleich zu heute war. Heute spricht man von der römischen »Zivilisation«. Die Bezeichnung ist durchaus zutreffend, weil soziale Organisation, Kunst und Kultur noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit ein so hohes Niveau erreicht hatten, zumindest im Okzident nicht. Aber in Sachen Freiheit und Menschenrechte war die römische Gesellschaft damals noch barbarisch und grausam, vor allem im Umgang mit den Schwächsten, den Sklaven. Und nicht nur das. In jener Zeit gelten Pädophilie, Sklavenhaltung, Todesstrafe und Massaker an den Grenzen als völlig normal. Sie erregen kein Aufsehen und sorgen nicht für Skandale.

Artemidor beschleunigt seinen Schritt und durchquert weiter das frühmorgendliche Rom Cäsars und Kleopatras. Nach wenigen Metern hört er einen dumpfen Schlag. Dann noch einen und noch einen. Ein Metzger zerteilt auf einem dreibeinigen Holzklotz mit einem Hackbeil einen Rinderrücken. Bei jedem Schlag flattern ein paar Hühner auf, die unweit des Mannes aneinandergebunden sind. Vielleicht ahnen sie, welches Schicksal sie bald ereilen wird. Schweineköpfe liegen herum, geschlachtete Lämmer baumeln von der Decke, umschwärmt von unzähligen Fliegen. Hinten im Laden sitzt eine Frau. Es ist die Gattin des Metzgers, die auf Kundschaft wartet und derweil ein großes Rechenbrett putzt. Im antiken Rom kümmern sich in der Regel die Frauen um Kasse und Buchhaltung. Nicht nur, weil sie sorgfältig sind. Sie verwalten die Sesterzen zuverlässiger als ihre Ehemänner.

Artemidor verzieht das Gesicht und vertreibt mit einer unwirschen Handbewegung die lästigen Fliegen, bevor er die Straße überquert. Auf der anderen Seite umfängt ihn der stechende Duft von Gewürzen, die in der Auslage einer taberna angeboten werden. Doch noch viel verlockender riecht das frische Brot, das in der benachbarten popina gerade aus dem Ofen geholt wird. Es handelt sich um eine für die Römerzeit typische Gaststätte, wie sie heute noch in archäologischen Stätten wie Ostia oder Pompeji zu sehen sind. In die gemauerten Theken in L-Form sind großzügige Vertiefungen eingelassen. Oft heißt es, diese Löcher wären für Weinkrüge gewesen, doch das ist nicht richtig. Der Wein wurde in Amphoren aufbewahrt, die entlang der Theke aufgereiht waren. In den Vertiefungen verwahrte der Händler Hülsenfrüchte, Weizen, Dinkel und andere Nahrungsmittel, die er verkaufte. Damals waren Gaststätten gleichzeitig Lebensmittelgeschäfte, in denen man sowohl etwas trinken als auch Lebensmittel kaufen konnte.

Ein paar Kunden schlürfen warmen Wein und essen gekochte Eier und Fladenbrot mit Honig. Eine Art »kontinentales Frühstück« im alten Rom. Zum Frühstück bevorzugen die Römer üppige Kost. Je nach Geldbeutel gehören dazu Milch, Fleisch oder Käse, Wein und Obst. Diese Nahrungsmittel liefern die nötige Energie für den Tag. Dieser beginnt mit Anbruch der Morgendämmerung. Denn das Tageslicht muss genutzt werden.

Dieser Mann könnte den Lauf der Geschichte ändern

Artemidor geht an der popina vorbei. Er ist nicht hungrig, steht er doch unter starker Anspannung. Seine Hände schwitzen, sein Mund ist trocken, alle seine Sinne sind hellwach, die Nerven zum Zerreißen gespannt. Er geht durch kleine Gassen und nimmt Abkürzungen, meidet allzu belebte Orte. Oft dreht er sich unvermittelt um und vergewissert sich, dass ihm niemand folgt. Dann biegt er rasch in eine Nebenstraße ein. Er hat nur eines im Kopf. Er muss die Nachricht so schnell wie möglich zustellen, ohne dass jemand davon erfährt. Es geht um Leben und Tod. Doch für wen ist sie bestimmt? Und was steht so enorm Wichtiges in der versiegelten Rolle? Wenn die Sache so eilig ist, warum hat er nicht einen treuen und schnellen Sklaven mit der Zustellung beauftragt? Nun, der Sklave könnte aufgegriffen werden. Wenn aber diese Nachricht in falsche Hände geriete, wäre das für Artemidor der sichere Tod. Und für den Adressaten der Botschaft ebenfalls.

Diese Zeilen könnten also den Lauf der Geschichte verändern. Aber was steht denn nun in diesem Papyrus?

Die Nachricht hat es laut Appian tatsächlich gegeben, und sie befand sich am Morgen des 15. März 44 v. Chr. in den Händen von Artemidor. Ihr Ziel: Sie soll Gaius Julius Cäsar retten.

In wenigen Zeilen warnt der Philosoph seinen Freund vor einer Verschwörung: Er soll während der nächsten Senatssitzung hinterrücks ermordet werden. Vielleicht nennt die Botschaft sogar einige der Verschwörer beim Namen, in der Hoffnung, dass Cäsar sich von ihnen fernhält. Oder der Verfasser bittet ihn schlicht, nicht an der Sitzung teilzunehmen. Wir werden es nie erfahren. Doch wir wissen, dass der Mord an den Iden des März hätte vereitelt werden können, hätte die Nachricht ihren Adressaten erreicht und Cäsar sie gelesen. Es hätte unabsehbare und sicherlich tief greifende Folgen für die kommenden Jahrhunderte gehabt.

Im Laufe der Jahrtausende ist es nur selten vorgekommen, dass ein einzelner Mann die Geschicke der Welt und das Schicksal so vieler Menschen in seiner Hand gehalten hat. Jene Papyrusrolle ist ein Schlüssel, der die Tore zu zwei völlig unterschiedlichen Szenarien öffnen kann: die Zukunft ohne Cäsar, so wie wir sie heute kennen. Oder die Geschichte mit einem Cäsar, der weiterlebt. In diesem Fall wäre es nicht zum Streit zwischen Oktavian und Marcus Antonius gekommen. Kleopatra verliebte sich nicht in Antonius, sondern bliebe Cäsars Lebensgefährtin. Unter dieser Voraussetzung hätten die Römer das ägyptische Reich als Vasallenstaat anerkannt, statt sich das Land als römische Provinz einzuverleiben. Oktavian gelänge nicht oder zumindest nicht sofort an die Macht. Er erhielte weder den Ehrennamen Augustus noch baute er geduldig und klug ein Kaiserreich auf. Er würde den cursus publicus nicht entwickeln, ein Netz aus 80 000 Kilometern Straße, die wir zum Teil heute noch benutzen. Augustus’ Gesetze und Reformen blieben aus. Ob ein anderer all das an Augustus’ Stelle hätte schaffen können? Möglicherweise. Aber vermutlich nicht wie er, denn Augustus hatte dank seines langen Lebens viel Zeit, sein Werk mit viel Sorgfalt zu vollenden. Er starb erst im Alter von 77 Jahren, was damals eine Seltenheit war.

Cäsar, der schon älter ist, hätte nicht so viel Zeit gehabt. Selbst wenn ihm ein langes Leben beschieden gewesen wäre, hätten seine Reformen sowie sein höheres Alter der Welt ein anderes Gepräge gegeben.

Wer weiß also, wie unsere Welt heute aussähe, hätte Artemidors Nachricht ihren Adressaten erreicht.

Sicher ist, dass sich in diesen Stunden der Motor der Geschichte in Gang setzt. Er wird einen Dominoeffekt auslösen, der über die Geschicke kommender Jahrhunderte und zukünftiger Generationen bestimmen und sich letztlich bis in die Moderne auswirken wird. Denn wäre am 15. März 44 v. Chr. alles anders gekommen, wären Sie und ich vielleicht gar nicht hier.

Jener griechische Philosoph hält also buchstäblich das Schicksal von Milliarden Menschen, die erst noch geboren werden, in seinen verschwitzten Händen. Das ist unglaublich. Total verrückt.

Aus den Geschichtsbüchern weiß man, was geschehen ist. Angesichts der 23 Dolchstöße, die Cäsar in wenigen Stunden treffen werden, müssten wir eigentlich annehmen, dass er die Nachricht nie erhalten hat. Aber so war es nicht. Artemidors Mission ist von Erfolg gekrönt, er übergibt Cäsar die Papyrusrolle. Was danach geschieht, ist allerdings kaum zu glauben.

Kleopatras Morgentoilette

Kleopatras Lider sind geschlossen. Kaum merklich zucken sie, als die Dienerin Eiras sie sanft mit einem Goldstäbchen berührt. Mit Khol malt sie Kleopatra von den Augen bis zu den Schläfen jene lange schwarze Linie auf, die als das bekannteste Merkmal der ägyptischen Schminkkunst gilt. Eiras’ Bewegungen sind langsam, aber souverän und harmonisch. Das Goldstäbchen gleitet mehrmals über das Unterlid und dann weiter über die Haut. So entsteht eine vollkommene schwarze Linie. Eiras ist eine Meisterin ihres Fachs. Nachdem der Kajal jede Unvollkommenheit kaschiert hat, schlägt Kleopatra die Lider wieder auf. In der schwarzen Umrandung funkeln ihre Augen wie der Vollmond am Nachthimmel. Ihr ohnehin faszinierender Blick hat noch an Intensität gewonnen.

Wäre die Nase der Kleopatra kürzer gewesen, sähe das Gesicht der Erde anders aus, meinte der Philosoph Blaise Pascal. Mit Gesicht ist hier die Geschichte gemeint. Die Wahrheit über die Nase der Königin werde ich im Laufe meiner Erzählung noch enthüllen. Sicher ist, dass dieses extravagante und verführerische Make-up eine geräuschlose und selten erwähnte Waffe ist, die zu Kleopatras legendärer Ausstrahlung entscheidend beiträgt.

Eiras ist in Sachen Schminkkunst am ägyptischen Hof unübertroffen. Aber das dürfte nicht der einzige Grund sein, weshalb die Königin sie immer an ihrer Seite wünscht. Wahrscheinlich kann Eiras gut zuhören und behält für sich, was Kleopatra ihr anvertraut. In ein paar Jahren wird sie der berühmten Schlacht bei Actium beiwohnen. Sie wird sich immer diskret in Kleopatras Nähe aufhalten, bis die Königin am Ende sogar in ihren Armen stirbt. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass sie Kleopatra auch nach Rom begleitet hat.

Aber wie schminkt sich eine Königin? Wie sieht ihre Morgentoilette aus?

Nicht wesentlich anders als bei anderen Ägypterinnen, abgesehen von der Qualität der Kosmetikprodukte, Parfüms und Utensilien. Für Kleopatra war nur das Beste und Teuerste gut genug. In Ägypten benutzen die Frauen Gesichtscremes. Sie bestehen aus natürlichen Fetten, denen natürliche Pigmente beigefügt werden, um der Haut ein wenig Farbe zu verleihen (wie bei einem Bronzing-Puder). Im Gegensatz zu heute aber soll der Teint möglichst ungebräunt wirken, die Haut soll so blass wie möglich aussehen. Deshalb verwendet man eine helle, auf der Basis verschiedener Tonsorten hergestellte Grundierung. Fettstoffe sind die Grundzutat der ägyptischen Kosmetika. Sie können pflanzlichen Ursprungs sein, zum Beispiel auf der Basis von Rizinus-, Lein- oder Olivenöl. Diese Produkte sind jedoch sehr teuer. Tierische Fettstoffe kosten wesentlich weniger. Natürliche Pigmente dienen auch als Farbstoffe. Sie sind fast immer mineralischen Ursprungs. Azurit liefert blaue, Malachit grüne, Ocker gelbe und rote Farbe. Für schwarze Farbe verwertet man neben Mineralien auch die Asche aus verbrannten Substanzen. Die Mineralien werden zerbröselt, pulverisiert und auf kleinen Holz- oder Elfenbeinpaletten mit dem Fett vermengt. Genau so macht es Eiras jeden Morgen. Die Mischung verstreicht sie dann vorsichtig mithilfe kleiner Spatel. Für Wangen und Lippen benutzt man gewöhnlich Ocker. Das Gesicht strahlt so mehr Wärme und Lebendigkeit aus. Aber wie sollte man sich den Lippenstift Kleopatras oder der anderen Ägypterinnen vorstellen? Vergessen Sie das kleine zylinderförmige Behältnis mit dem Schraubmechanismus, das heute üblich ist. Der »erotische Papyrus«, der im Ägyptischen Museum von Turin aufbewahrt wird, zeigt eine Frau beim Auftragen von Lippenstift. Sie befeuchtet ihre Lippen mit einem langen Griffel, vielleicht einem Pinsel.

Die Schminkutensilien trägt man nicht in der Handtasche (die es noch nicht gibt) mit sich herum. Sie sind weniger praktisch als heute und man benutzt sie nur am Morgen zu Hause. Das Necessaire besteht aus einer Holzschatulle mit verschiedenen Fächern, die Glasfläschchen für Salben, Öle, Parfüms und verschiedene Kosmetika enthalten. Um den Schachteln eine persönliche Note zu verleihen, werden sie außen bemalt und verziert.

Kleopatra sitzt reglos da, während Eiras sie mit Unterstützung einiger Dienerinnen für den Tag zurechtmacht. Ein Tag wie jeder andere, so scheint es. Niemand weiß, dass heute die Geschichte der alten Welt eine entscheidende Wendung nehmen wird. Die Vorbereitungen sind aufwändig. Kleopatras Hand ruht auf einem Tischlein. Eine Dienerin ist dabei, ihr die Nägel zu bemalen. Die Ägypterin trägt lackierte Nägel, wie die Frauen heute. Aber welche Substanz verwendet sie dafür? Sie werden überrascht sein: Henna.

Doch die ägyptische Kosmetik ist nicht nur zur Verschönerung da. Sie hat zusätzlich auch eine Schutzfunktion. Die Cremes sollen die Haut vor der intensiven Sonne und den Einflüssen des trockenen Klimas in Ägypten bewahren.

Ein typisches Beispiel ist der Khol oder Kajal. Wahrscheinlich stellt man ihn aus verbranntem Holz, Fett und dem desinfizierenden Halbmetall Antimon her. So entsteht ein natürliches Antiseptikum, das dem Befall mit Bakterien, Pilzen und Ungeziefer vorbeugt. Es schützt das Auge auch vor Reizungen durch die Sonne und den Staub, den der Wüstenwind mit sich bringt.

Mit Kosmetik schützen die Ägypter also vor allem ihren Körper.

Das erklärt auch einen anderen Aspekt, der mit der Intimpflege zusammenhängt. Vielleicht fragen Sie sich, wie Kleopatra Cäsar in ihrer ersten gemeinsamen Nacht vor Augen trat. Das wissen wir ziemlich genau, auch wenn kein Schriftstück der Antike darüber Auskunft gibt: Ihr Körper war vollständig enthaart. Die Gewohnheit, jedes Körperhaar zu entfernen, mit Ausnahme der Wimpern und Augenbrauen, hat mit Hygiene zu tun. Eine perfekte Körperpflege soll dem Befall mit Ungeziefer vorbeugen. Sowohl in ägyptischen Grabstätten als auch in Pompeji fand man kleine Kämme mit extrem feinen Zinken. Sie beweisen, dass bereits in der Antike der Kampf gegen Läuse ein Dauerthema war. Haarentfernung war eine in allen sozialen Schichten verbreitete Gewohnheit. Das belegen Fundstücke aus dem berühmten Grab des Kha, dessen Schätze im Ägyptischen Museum in Turin zu sehen sind. Dazu gehören kleinere und größere scharfe Klingen, aber auch kleine Pinzetten und ein noch mit Wachs gefülltes Töpfchen. Es lässt vermuten, dass der Körper nach der Rasur mit pflegenden Substanzen eingecremt wurde.

Auch die Römerinnen enthaarten sich für gewöhnlich, nicht jedoch die römischen Männer. Sie stutzten sich lediglich jeden Tag den Bart. Außer Oktavian. Der römische Schriftsteller Sueton erinnert an seine Gewohnheit, die Körperbehaarung mit glühenden Nüssen abzubrennen, damit die Haut so glatt wie möglich würde. Eine merkwürdige Gepflogenheit für einen Mann, der zeitweise das raue Militärleben auf sich nehmen musste.

Interessant ist, dass im Alten Ägypten in Sachen Make-up und Kosmetik kein Unterschied zwischen Frau und Mann besteht. Beide Geschlechter schminken sich, entfernen die Körperbehaarung und tragen Perücken.

So auch Kleopatra. Das Aufsetzen der Perücke besiegelt die lange und königlich aufwändige Make-up-Sitzung. Da Kleopatra griechisch-makedonischen Ursprungs ist, trägt sie normalerweise nicht die klassische ägyptische Perücke. Heute aber will sie der ägyptischen Tradition, der Religion und der mächtigen Priesterkaste ihres Landes Respekt zollen, da sie einen Ritus zelebrieren soll. Unter allen ptolemäischen Herrscherinnen achtet Kleopatra das ägyptische Volk und seine Kultur am höchsten, wenn vielleicht auch eher aus Berechnung denn aus Überzeugung.

Eine Dienerin bringt eine große Holzschatulle. Darin liegt eine voluminöse Echthaarperücke, die sie vorsichtig herausnimmt. Wohlriechende Öle verströmen einen starken Duft. Das schwarze glänzende Haar ist ordentlich in zarten lockigen Strähnen frisiert. Sie ergießen sich zu beiden Seiten des Gesichts wie Wasserstrahlen aus einem Brunnen und enden in kleinen, eng geflochtenen Zöpfchen. So erhält die Haartracht Gewicht und fliegt nicht beim ersten Windstoß davon.

Die Perücke besteht aus drei großen Haarteilen. Das erste bedeckt den Nacken und reicht bis zu den Schultern. Die anderen beiden fallen seitlich hinter den Ohren bis auf Brusthöhe hinab. Diese dreiteilige Anordnung verleiht der Perücke mehr Stabilität. Jahrhundertelang haben alle Ägypter, Männer wie Frauen, solche und ähnliche Perücken getragen. Natürlich fielen sie je nach Geldbeutel unterschiedlich aus. Darunter verbergen sich die echten Haare, die man sich nur vorstellen kann: glatt oder kraus, lang oder kurz (sehr häufig) oder komplett abrasiert. Im Alltag tragen die Ägypter nicht immer Perücke. Sie frisieren ihr eigenes Haar auf verschiedene Arten, und immer wird es mit Öl gepflegt.

Nun sitzt die Perücke perfekt auf dem Haupt der Königin, befestigt mit Elfenbeinkämmchen und vergoldeten Haarnadeln. Zuletzt sind die Düfte an der Reihe. Kopf und Kleidung werden damit benetzt, der Hals mit ein paar Tropfen betupft. So geht ein langes Ritual zu Ende, das mit der Wahl der Kleidung durch die treuesten Dienerinnen begann. Seit Jahren wiederholt es sich Tag für Tag.

Kleopatra betrachtet sich im Spiegel aus polierter Bronze, den Eiras ihr vorhält. Ein raffiniertes Lächeln umspielt unwillkürlich ihre Lippen. Der Tag kann beginnen.

Ein sympathisches Schlitzohr

Kleopatra steht auf und macht sich auf den Weg, der sie durch einen Säulengang führt. Ihr Schritt ist anders als noch am frühen Morgen, königlicher. Wer ihr begegnet, verneigt sich stumm vor ihr. Die Königin entschwindet durch eine Tür und lässt das herrliche Panorama des majestätischen Kapitols zurück, das in der Ferne zu sehen ist. Zu seinen Füßen liegt das Forum und auf der einen Seite eine große domus, ein römisches Stadthaus. Dort wartet in diesem Moment ein Sklave darauf, dass sein Herr aus dem Schlafgemach kommt. Er hält ein Silbertablett mit einem Kelch Wein und einer Arznei bereit, die der Herr jeden Morgen einnehmen muss. Die ganze Nacht hat dieser laut geschnarcht. Er hat am Vorabend an einem Bankett teilgenommen, bei dem reichlich gelacht wurde und der Wein in Strömen floss. Gern umgibt er sich mit Lebemännern von zweifelhaftem Ruf, schlägt sich in ihrer Gesellschaft manchmal ganze Nächte um die Ohren. Sicherlich hat er auch mit irgendeiner der anwesenden Frauen geschlafen. Obschon er verheiratet ist, pflegt er diesen Lebensstil immer noch.

In der Vergangenheit sorgte seine Liebschaft mit einer »Soubrette« für einen Skandal. Lykoris, eine auch unter dem Namen Kytheris bekannte Mimin, ist als Sexbombe gern gesehener Gast in der besseren Gesellschaft. Sie pflegt intensiven Kontakt zu mächtigen Männern. Wie ich später noch berichten werde, hatte die Schauspielerin dem Mann total den Kopf verdreht. Er ließ sich mit ihr sogar in einer Sänfte durch die Stadt tragen, der seinem Amt gemäß Liktoren vorangingen. Julius Cäsar höchstpersönlich hatte damals von dem Playboy verlangt, er solle angesichts seines Amtes als Konsul seinen Lebenswandel ändern. Was er auch tat.

Cicero behauptet, bei ihm seien die Muskeln besser entwickelt als das Gehirn. Aus diesem Grund bezeichnet der große Redner ihn auch als »Gladiator«. Und tatsächlich legt der Mann viel Wert auf sein Äußeres. Gern stellt er seine muskulöse Heldenbrust zur Schau. Wenn er Frauen und Freunde mit entwaffnendem Lächeln anstrahlt, verzeihen sie ihm alles. Ein sympathisches Schlitzohr also.

Sein Name ist Marcus Antonius. Wir kennen ihn auch als Mark Anton, werden ihn hier aber Antonius oder Marcus Antonius nennen.

Der Sklave vor Antonius’ Tür schüttelt resigniert den Kopf und geht.

Das Haus des Konsuls ist sehr groß. Es steht neben Cäsars Anwesen, auf dem Velia-Hügel, einer kleinen Anhöhe, die heute nicht mehr existiert. Sie befand sich zwischen dem Palatin- und dem Oppius-Hügel. Letzterer ist inzwischen ebenfalls verschwunden. Er fiel dem Bau einer Straße zum Opfer, der Via dei Fori Imperiali. Antonius’ Haus hat eine Fläche von gut 2200 Quadratmetern. Der Archäologe Andrea Carandini meint, es »handelte sich um ein stattliches Heim, gerade im Vergleich zu einem üblichen mittelgroßen Wohnhaus auf dem Palatin, das zwischen 915 und 1340 Quadratmetern umfasste.«1 Dennoch beklagte sich der Hausherr über sein soeben gekauftes Haus. Er empfand es als zu klein für seine Bedürfnisse und ließ es daher ausbauen.

Der Innenhof des Hauses (Peristyl) umfasst einen großen Garten, der von eleganten Kolonnaden gesäumt ist, die sich über 86 Meter erstrecken. Ein wahrer Palast im Herzen Roms. In der Mitte des Gartens befindet sich etwas, das einen weiteren Aspekt von Antonius’ Persönlichkeit offenbart: eine Sporthalle, die er zur körperlichen Ertüchtigung nutzt.

Vom Peristyl aus gelangt man in jenen Teil der Anlage, der der Körperpflege dient. Dazu gehört ein großes balneum, eine häusliche Badeanstalt mit einer Privatsauna (laconicum).

Dieses wunderschöne Domizil gehörte einst dem größten Widersacher von Julius Cäsar, dem Politiker und Feldherrn Gnaeus Pompeius Magnus, und davor dessen Vater, Gnaeus Pompeius Strabo. Wie aber ist es in Antonius’ Besitz gelangt? Nun, er machte sich Cäsars Sieg über Pompeius zunutze. Als Pompeius 48 v. Chr. starb, wurde sein unermessliches Vermögen beschlagnahmt und seine Güter versteigert. Laut Cicero brachte der Verkauf von Pompeius’ Anwesen 700 Millionen Sesterzen ein. Cäsar beauftragte Antonius mit der Versteigerung. Dieser aber riss sich das Anwesen zusammen mit weiteren Ländereien auf dem Marsfeld schlichtweg unter den Nagel, und zwar zu einem geradezu lächerlichen Preis. Ein Haus also, das Geschichte geschrieben hat. Und es weiterhin tun wird.

Ein römisches Fest

Der Tag schreitet voran, immer mehr Menschen bevölkern die Straßen. Die Bewohner der insulae, der riesigen Mietshäuser, verlassen ihre Behausungen. Männer schleppen Taschen voller Nahrungsmittel oder kleine Amphoren mit Wein. Frauen haben Tücher, Decken und Kissen dabei. Es wird gelacht und gescherzt. Noch bevor wir in die Menschenmenge eintauchen, nimmt sie uns mit ihrem Geruch, in dem sich Parfüm, Speisen und Gewürze mischen, und dem fröhlichen Stimmengewirr gefangen. Wohin sind all diese Menschen wohl unterwegs? Die Antwort ist simpel: Heute sind die Iden des März. Im römischen Kalender entsprechen die Iden der Monatsmitte, während die Kalenden für den ersten Tag des Monats stehen. Für die Einwohner Roms bedeutet das, dass heute das Fest der Anna Perenna gefeiert wird. Es findet einige Kilometer außerhalb von Rom an einem ganz bestimmten Ort statt, der zu Fuß gut zu erreichen ist. Am ersten Meilenstein der Via Flaminia liegt ein kleines grünes Tal, umrahmt von bewaldeten Hügeln. Diese Wälder gelten als heilig. Es ist verboten, ihre Bäume zu fällen, Holz zu sammeln oder Tiere zu erlegen. In der Mitte des Hains entspringt eine heilige Quelle, die der Anna Perenna geweiht ist. Uns sagt dieser Name nicht viel, er klingt nach einer italienischen Schauspielerin aus den 1970er-Jahren. Doch Anna Perenna ist eine Göttin, die den Römern viel bedeutet. Sie verkörpert die stetige Erneuerung der Jahreszeiten. Lateinisch perennis heißt »beständig wiederkehrend«. Am 15. März also füllt sich das Tal mit Menschen. Eine Art Festival der Römerzeit. Man zelebriert religiöse Riten und trinkt Wasser aus dem heiligen Brunnen. Vor allem aber fließt der Wein in Strömen. Auf dem Boden ausgestreckt, schlemmen die Leute bis zum Morgengrauen.

Die Tradition besagt, dass es Glück bringt, wenn eine Frau an diesem Ort zum ersten Mal mit einem Mann schläft. Ob es wirklich dazu kommt, kann niemand sagen. Aber sicher stellen viele Paare im Schutz der Nacht kleine improvisierte Zelte aus Tüchern auf, die ihnen ein wenig Privatsphäre garantieren. Die nur von wenigen Öllampen durchbrochene Dunkelheit kommt ihnen sicher entgegen. Bei ihrer Rückkehr in die Stadt am Morgen danach sind viele noch wacklig auf den Beinen, gezeichnet von den Ausschweifungen einer leidenschaftlichen Nacht.

Die Überreste der heiligen Quelle gibt es heute noch. Man kann ihre rechteckige Einfassung besichtigen, auch wenn sie kaum noch zu erkennen ist. Geblieben sind ein paar Ziegelmauern und Marmorplatten, deren Inschriften immer noch lesbar sind. Das ehemalige Heiligtum findet sich in ein paar Metern Tiefe unterhalb der Straßenoberfläche. Es wurde, wie das in Rom so oft der Fall ist, beim Bau einer Tiefgarage zufällig entdeckt. Die bewaldeten Hügel hingegen mussten einem Dschungel aus modernen Gebäuden weichen. Wo einst Gras wuchs, fahren heute täglich Tausende von Autos über den Asphalt. Was für die Römer vor 2000 Jahren eine unauslöschlich im kollektiven Gedächtnis verankerte heilige Stätte war, ist für die heutigen Stadtbewohner ein gewöhnlicher Platz mit einer großen Kirche. Piazza Euclide, ein Treffpunkt mitten im Verkehrschaos. Nur wenige wissen, dass genau dort, wo jetzt die Kirche steht, in der Römerzeit jedes Jahr eine Art »Woodstock« abgehalten wurde. Was sich dort abspielte, ist im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten.

Doch zurück zu jenem Tag im Jahr 44 v. Chr.

Artemidor hat nicht daran gedacht, dass sich heute alle so früh auf den Weg machen würden. Als er aus einer Gasse in die nächstgrößere Straße einbiegt, sieht er sich einer riesigen Menschenmenge gegenüber. Der griechische Philosoph kann ihr nicht ausweichen, er gerät mitten ins Gewühl und wird mitgerissen. Fest drückt er die Papyrusrolle an sich. Wird er Julius Cäsar rechtzeitig erreichen?

Ägypten am Ufer des Tibers

In dieser Stadt, in diesen Stunden, geraten also die Räder der Geschichte in Bewegung. Artemidor ist nur ein kleiner Bauer im Schachspiel des Lebens, das nicht nur über das Schicksal Roms, sondern über das vieler anderer Völker entscheiden wird. Einige von ihnen gibt es noch gar nicht. Und Artemidor ist nicht allein. Ganz in der Nähe befinden sich auch Julius Cäsar und Antonius. Zudem spielen bei dem folgenden Geschehen auch Brutus und Cassius sowie Cicero eine Rolle. Als würden sie von einem riesigen Magneten angezogen, bewegen sie sich unbewusst in diesem zentralen Moment der Geschichte auf denselben Ort zu. Nur noch wenige Stunden, dann ist es so weit.

Und Kleopatra?

Die Königin hält sich zwar in der Stadt auf, wird aber nicht in die kommenden Ereignisse verwickelt werden. Dennoch werden eben diese Stunden sie in den nächsten Jahren zur Hauptdarstellerin auf der Weltbühne machen. Momentan befindet sie sich jedoch rein physisch weit weg vom Schauplatz des Geschehens. Sie lebt außerhalb der Stadtgrenzen, in Cäsars luxuriöser Residenz am anderen Ufer des Tibers (trans Tiberim, jenseits des Tibers. Heute heißt dieses Stadtviertel Trastevere). Dort kommen üblicherweise die peregrini unter, Fremde also, die das römische Bürgerrecht nicht besitzen. Wie Kleopatra. Es ist kein Zufall, dass sie dort logiert. Laut römischem Gesetz darf kein fremder Herrscher, der nicht ausdrücklich als »Freund und Bundesgenosse« Roms eingeladen wurde, die heilige Begrenzungslinie des Pomeriums (von post moerium, »hinter der Mauer«) überschreiten. Sie umfasst die ganze Stadt und markiert ihre Grenzen. Alles, was sich innerhalb des Pomeriums befindet, gehört zum Stadtgebiet mit seinen Tempeln, dem Senat, dem Forum. Und dem Chaos. Außerhalb liegen zwar einige andere Viertel, aber sie zählen nicht mehr zur eigentlichen urbs, wie Rom schlicht bezeichnet wird: »die Stadt«. Und selbst wenn sie noch zu Rom gehören, so haben sie sozusagen ein anderes religiöses »Vorzeichen«.

Heute ist Trastevere eines der schönsten Viertel Roms, das Herz des römischen Nachtlebens. 44 v. Chr. hingegen gilt es als leicht heruntergekommen. Es liegt in der Ebene, teilweise auf sumpfigem Boden. Die Luft ist im Sommer wie im Winter feucht und schwül. Die Bewohner werden regelmäßig von Überschwemmungen und einem Heer von Stechmücken heimgesucht. Aber wenn man die Häuser am Flussufer hinter sich lässt und den angrenzenden Hügel, den Ianiculum, hinaufsteigt, zeigt sich ein komplett anderes Bild. Keine Überflutungen, statt schwüler Wärme eine erfrischende Brise. Und eine spektakuläre Aussicht auf die Stadt. Genau aus diesem Grund besitzt Cäsar hier ein herrliches Anwesen, die Horti Caesaris, die sich an der Via Portuensis auf Höhe des ersten Meilensteins befinden. Leider sind keine Beschreibungen des Anwesens überliefert. Nur Kenntnisse römischer Gärten können eine ungefähre Vorstellung davon liefern. Kleopatras Wohnsitz war umgeben von eleganten Gärten, Alleen, Brunnen, Statuen und kleinen Tempeln.

Der Gesang der Nachtigall, der beim ersten Licht der Morgenröte erklingt, ist inzwischen verstummt. Dafür zwitschert eine Schar anderer Vögel um die Wette. Das Chaos der Stadt ist weit weg, weder Straßenlärm noch die Stimmen der Händler und die Rufe der Fuhrleute dringen bis hierher. Wir befinden uns in einem Wald, inmitten unberührter Natur. Hohe Pinien und taufeuchte Kräuter verströmen einen intensiven Duft nach Harz und ätherischen Essenzen.

Eine Reihe Zypressen trennt uns von einer ganz anderen Art der Vegetation. Hier wächst die Natur nicht mehr ungehindert. Der Mensch hat sie gebändigt. Baumkronen und Büsche sind zu eleganten Formen geschnitten, lange Hecken umschließen wohlriechende Pflanzen. Myrtensträucher und Buchsbäumchen stehen am Rande der gepflegten Grasflächen. In deren Mitte erheben sich gewaltige Pinien mit ihren schirmförmigen Kronen, wahre Riesen, die sich dem Willen des Menschen nicht unterworfen zu haben scheinen. Wir betreten ein kleines Labyrinth gepflegter Wege, gesäumt von niedrigen Zäunen. In regelmäßigen Abständen kommen wir an Statuen aus vergoldeter Bronze vorbei, an kleinen Tempeln, farbig gefassten Altären mit schönen Blumenkränzen. Lauben laden ein, haltzumachen und in ihrem Schatten ein wenig zu plaudern. Ein wahrer Garten Eden.

Julius Cäsar hat dieses Anwesen laut Sueton 49 v. Chr. erworben, um den Pferden, mit denen er den Rubikon überquert hatte, ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Sie galten ihm als heilig. In der Mitte des Grundstücks stand ein ansehnliches Haus, das aber nur wenig gemein hatte mit dem Prachtbau, den Kleopatra heute bewundert. Das Gebäude wurde umgebaut und mit neuen Säulengängen und Arkaden erweitert. Mit seinen Fresken und Mosaiken ist es zu einem wahren Palast inmitten eines kleinen Pinienwaldes geworden. Es gibt zudem ein altes Sanktuarium, der Göttin Fortuna geweiht. Ganz in der Nähe erhebt sich ein anderer Tempel, wo eine Frau der ägyptischen Gottheit Isis opfert. Priester mit kahl geschorenen Köpfen, nacktem Oberkörper und einem bodenlangen, um die Hüften gewickelten Tuch umringen sie. Einige singen, andere schlagen mit dem Sistrum, der altägyptischen Rahmenrassel, monoton den Takt dazu. Weitere Instrumente begleiten wie jeden Morgen die Zeremonie. Die Frau kniet vor der Statue der Göttin nieder und spricht rituelle Formeln. Die Strähnen der schwarzen Perücke, die von einer kostbaren Spange festgehalten wird, verbergen ihr Gesicht. Ihr weißes Kleid mit den unzähligen Fältchen ist uns vertraut. Es sitzt wie angegossen. Sie hebt den Kopf und breitet mit geschlossenen Augen die Arme aus, die Handflächen nach oben gewandt. Dabei skandiert sie laut Sätze in ägyptischer Sprache. Es sind die letzten Worte des Rituals, ein feierlicher Augenblick. Für einen Moment kehrt Stille ein. Dann steht die Frau auf und dreht sich um. Es ist Kleopatra.

Schnell verlässt die Königin den Tempel. Ein Priester nach dem anderen verneigt sich vor ihr. Kleopatras Schritt ist wieder derselbe wie am Morgen. Leicht, kaum wahrnehmbar, sinnlich. Fast scheint sie über den Boden zu schweben. In wenigen Metern Entfernung folgen zwei ihrer treuesten Diener. Drei bewaffnete Wachmänner halten sich diskret im Hintergrund. Kleopatra ist eine Königin auf fremdem Staatsgebiet. Überdies hat sie ein Verhältnis mit Cäsar, was vielen Römern ein Dorn im Auge ist. Da erstaunt es nicht, dass Cäsar höchstpersönlich eine ganze Schar Wachmänner zu ihrem Schutz abgestellt hat. Sie bewachen nicht nur die Residenz, sie halten ihn auch auf dem Laufenden darüber, wen die Königin trifft. Und selbstverständlich hat sie auch ihre persönlichen Leibwächter aus Alexandria mitgebracht, die immer in ihrer Nähe sind.

Urlaub in Rom

Während wir den schwingenden Bewegungen von Kleopatras Kleid folgen, wird klar, dass sie nicht einfach nur durch den Park einer Villa schreitet, sondern ein ganzes Stück Ägypten nach Rom verfrachtet hat.

Die Königin ist vor mehr als zwei Jahren, also 46 v. Chr., in diesen luxuriösen Palast gezogen. Cäsar war damals schon seit geraumer Zeit von seinem siegreichen Feldzug in Afrika zurück und hatte sie nach Rom bestellt.

Es ist nicht bekannt, ob Kleopatra zwei Jahre ohne Unterbrechung bis zu den Iden des März in Rom geblieben ist. Vermutlich ist sie kurz nach Ägypten zurückgekehrt, als Cäsar nach Spanien aufbrach, und erst im Herbst 45 v. Chr. wiedergekommen. Einige Monate vor dem Mord an dem Diktator auf Lebenszeit.

Grund für ihre Rückkehr ist nicht allein die Liebe zu diesem Mann, sondern auch schiere Berechnung. Im unmittelbar bevorstehenden Feldzug gegen die Parther im Orient wird Ägypten eine strategisch wichtige Rolle spielen. Es wird Rom mit Schiffen und Soldaten unterstützen. Dieser Schachzug beweist Kleopatras strategische Intelligenz. Denn sie ist eben nicht nur Frau und Königin, sondern vor allem auch Staatsoberhaupt. Und entschlossen, zum Wohl ihres Volkes ins Geschehen einzugreifen.

Sie hat ihre Reise sorgfältig vorbereitet. Nachdem sie in Ägypten wirtschaftlich und verwaltungstechnisch für Stabilität gesorgt hatte, erklärte sie ihrem Volk, sie reise nun nach Rom, um die Interessen des Reiches zu vertreten. Ein heikles Unterfangen. Ein Land zu verlassen, das noch vor Kurzem von zahlreichen Fehden zerrissen war, war riskant. Auch glich die Fahrt nach Rom mit gut 2000 Kilometern damals quasi einer Weltreise. Aber Kleopatra fädelte alles äußerst geschickt ein. Sie hatte Cäsar mit einem »offiziellen« Sohn an sich gebunden, auch wenn seine Vaterschaft nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Im Gegenzug stationierte Cäsar in Ägypten Truppen zu ihrer Unterstützung und ermöglichte es ihr so, die Reise nach Rom anzutreten. Vielleicht hat auch Cäsar selbst Zweifel an der Vaterschaft, aber er macht kein großes Aufheben darum. Vor allem weil das Kind als Sohn einer Ausländerin in der römischen Welt ohnehin weder erbrechtliche noch andere gesetzliche Ansprüche hat. Außerdem ist Ägypten ein äußerst reiches Land, eine prall gefüllte Schatzkammer für Rom, die Cäsar für seine ehrgeizigen Vorhaben äußerst gelegen kommt. Und schließlich hätte ein feindlich gesinntes und unberechenbares Ägypten auch für ihn keinerlei Vorteile. Kleopatra aber garantiert Rom Stabilität in Ägypten. Neben ihren Gefühlen haben also sowohl Cäsar als auch Kleopatra handfeste Interessen.

Kleopatra ist aber auch eine Frau und dazu mit ihren 20 Jahren noch sehr jung. Obschon sie überdurchschnittlich intelligent ist, ist sie nicht nur aus politischem Kalkül nach Rom aufgebrochen. Sie hegte wohl zudem den spontanen Wunsch, das Leben und die Atmosphäre der größten und mächtigsten Stadt der bekannten Welt zu genießen. Vielleicht wollte sie das Leben im Herzen jener Macht kennenlernen, die den ganzen Mittelmeerraum kontrollierte. Und wie bereits gesagt, kann sie von hier aus die Geschicke Ägyptens zu ihren Gunsten beeinflussen.

Möglicherweise ist es nicht das erste Mal, dass Kleopatra nach Rom kommt. Vielleicht war sie schon im Alter von zwölf Jahren mit ihrem Vater Ptolemaios XII., auch Auletes, der Flötenspieler, genannt, in der Stadt. Er suchte hier Zuflucht, als Berenike, Kleopatras Schwester, mit ihrem Mann Archelaos von Komana in Alexandria eine Revolte anzettelte. Die römischen Truppen griffen damals brutal ein, sodass Kleopatras Vater auf seinen Thron zurückkehren konnte – mit einer römischen Garnison zu seiner Verteidigung. Das war im Jahr 55 v. Chr.

Viele sind der Meinung, dass sich Kleopatra bei ihrer neuerlichen Reise den Aufenthalt ihres Vaters zum Vorbild nahm. Sie stellte ihren Reichtum und ihre Exotik zur Schau und ließ sich in einer Sänfte herumtragen. Sicher ist, dass ihr die Römer mit großem Respekt begegneten, da sie offiziell als Bundesgenossin galt. Cäsar ließ sie sogar als Statue aus vergoldeter Bronze verewigen, die im Tempel der Venus Genetrix, der Schutzgöttin seines Geschlechts (gens), aufgestellt wurde. Sie und ihr Sohn Ptolemaios Cäsar oder Ptolemaios XV., den alle als Cäsarion, kleiner Cäsar, kennen, sind nicht als Sklaven nach Rom gekommen, sondern als Freunde und Verbündete. Das ist ein großer politischer Erfolg für die Königin.

Kaum angekommen, wohnte Kleopatra den Triumphzügen Cäsars bei. Bei dieser Gelegenheit wird ihre jüngere Schwester Arsinoë in Ketten durch die Straßen geführt. Arsinoë hatte versucht, die Macht zu übernehmen und Kleopatra und Cäsar zu töten. Eine merkwürdige Situation. Kleopatra sitzt auf der Tribüne als Königin und Bundesgenossin Roms, während ihre Schwester als Feindin Roms zur Schau gestellt wird. Cäsar löst später die heikle Situation, indem er die Schwester freilässt. Sie flüchtet sich daraufhin in den Artemistempel von Ephesos, der sich auf neutralem Boden befindet, ähnlich wie es die Schweiz während des zweiten Weltkriegs war.

Selbstverständlich hat die Königin einiges aus ihrer Heimat mitgebracht. Mit Unterstützung Cäsars haben sich die Horti Caesaris in einen ägyptischen Hof verwandelt. Kleopatra residiert hier mit ihren Beratern, Vertrauensleuten, Dienerinnen, Sklaven und Eunuchen. Außerdem hat sie Ärzte, Philosophen, Schneiderinnen, Köche und natürlich Kindermädchen sowie Hauslehrer mitgebracht, die sich um ihren Sohn Cäsarion kümmern.

Es ist bekannt, dass Ammonios, ihr wichtigster Berater, mit ihr in Rom war. Er war ein weiser und gewiefter Mann. Cicero hasste ihn, weil er ihm einige wertvolle Bücher verweigerte, die höchstwahrscheinlich aus der Bibliothek von Alexandria stammten. Kleopatra hatte sie ihm versprochen, vielleicht als Dank für einen Gefallen. Doch die Übergabe wird nach dem plötzlichen Tod Cäsars nie stattfinden.

Dann ist da noch Serapion, ein alter Berater von Kleopatras Vater. Er hatte schon Pharao Ptolemaios XII. in sein Exil nach Rom begleitet. Vom gesamten Hofstaat kennt er die Ewige Stadt und ihre politischen Dynamiken am besten.

Möglicherweise ist auch Kleopatras treuer Diener Apollodorus mit von der Partie, ein Mann mit herkulischen Kräften, der die Königin heimlich zu ihrem ersten Treffen mit Cäsar in dessen Palast gebracht hat.

Und schließlich ist da Olympos, Kleopatras alter Leibarzt, der ihr möglicherweise beim Selbstmord behilflich sein wird.

Kleopatra hat mit Erfolg gefordert, dass sie Dutzende von Funktionären mitbringen darf. Dazu gehört beispielsweise der dicke kahle Schreiber, der gerade vor ihr auf die Knie fällt, um ihr einige Papyrusblätter zu überreichen. Ihr Gefolge ist aber nicht nur für Verwaltungsaufgaben da. Es soll ihr vor allem Gesellschaft leisten und den mondänen und kultivierten Lebensstil Alexandrias nach Rom verpflanzen.

Kleopatra ist keineswegs nur an Macht interessiert, allerdings auch nicht am ausschweifenden Luxusleben aristokratischer Kreise. Sie liebt die hellenistische Kultur, ist wissensdurstig und lernbegierig. Wie Jahrhunderte später Hypatia, Theodora Angela von Byzanz, Eleonore von Aquitanien, Caterina Sforza, Isabella d’Este, Caterina de’ Medici, Elisabeth I. von England und Katharina die Große. Innerhalb von zwei Jahren sorgt Kleopatra dafür, dass Cäsars Anwesen zu einem Ort der Kultur wird. In den Gärten spricht man vor allem über Philosophie, und obgleich wir in Rom sind und in einem ägyptischen Umfeld, wird dort weder Latein noch Ägyptisch gesprochen, sondern Griechisch, die Sprache der Weisheit.

Während der Bankette hat man Gelegenheit, mit einem der berühmtesten Redner Alexandrias, Philostratos, über die Weltsysteme zu plaudern. Er war Kleopatras Privatlehrer und hat sie in Philosophie und Rhetorik unterrichtet.

Oder man unterhält sich mit Sosigenes von Alexandria, dem vielleicht bedeutendsten Astronomen jener Zeit. Kleopatra hat ihn Cäsar während seines Aufenthalts in Ägypten vorgestellt. Viele sind der Meinung, er habe bei der Entwicklung des julianischen Kalenders mitgewirkt, der erst in der Renaissance durch den gregorianischen Kalender ersetzt wurde.

Beim Spaziergang durch die Gärten stößt man gelegentlich auf Menschengruppen, die unter einer Laube aufmerksam einem Mann lauschen. Es ist Didymos, ein berühmter alexandrinischer Grammatiker und Intellektueller, dessen Meinung am Hof Kleopatras einiges Gewicht hat. Er gehört zur Schule des Aristarch in Alexandria und hat dort lange auch selbst unterrichtet. Seneca zufolge hat er mindestens 3500 Bücher und Abhandlungen geschrieben. Aufgrund seines literarischen Eifers trägt er den Spottnamen Chalkenteros, »mit ehernen Eingeweiden«. Mit einem Augenzwinkern nennt man ihn auch Bibliolathas, »den Büchervergesser«. Denn ab und zu widerspricht er sich selbst, weil er vergessen hat, was er in seinen früheren Büchern geschrieben hatte.

Mit sicherem Geschmack schafft Kleopatra genau die richtige Atmosphäre. Die Aristokraten, die in ihrem Salon verkehren, sind beeindruckt von ihrem auserlesenen Stil und dem orientalisch geprägten Luxus.

Die ägyptische Königin lanciert zudem neue Modetrends. Bald übernehmen die Römerinnen ihre Frisuren. Die Männer bewundern ihre weißen eng anliegenden Gewänder im Priesterinnen-Look.

Alle sind fasziniert von dieser jungen Frau. Sie wirkt so ganz anders als die römischen Matronen, die meist eher ungebildet sind und kaum Charisma besitzen. Kleopatra spricht gelehrt wie ein Mann, ist aber eine unglaublich attraktive Frau. Mit ihrer sanften Stimme und ihrer Klugheit zieht sie alle in ihren Bann.

Im Wesentlichen ist der Palast, in dem Kleopatra residiert, eher eine Oase als ein kultivierter Salon. Essen, Musik, Gespräche und Atmosphäre lassen Alexandria, Ägypten und den Nil in Rom lebendig werden. Selbst Kleopatras königliches Boot ankert dort an einem privaten Anleger. Von dieser faszinierenden Welt jenseits des Tibers sind, anders als beispielsweise von der Hadriansvilla und anderen prächtigen Residenzen, keine archäologischen Zeugnisse erhalten. Der Lauf der Jahrhunderte hat alles hinweggefegt. Deshalb kann man nicht genau beschreiben, wie Alltag und Architektur dort aussahen. Aber immerhin kann man versuchen, dies so gut wie möglich zu rekonstruieren.

Cäsar und Kleopatra, anderweitig verheiratet und doch ein Liebespaar

Und Cäsar? Hier ist er zu Haus. Er hat Kleopatra als seine Geliebte und zugleich als Königin und Kriegstrophäe nach Rom gebracht. Dabei weiß er genau, was für ein Risiko er damit eingeht. Rom ist kein einfaches Pflaster für ihn. Er hat viele Feinde in der Stadt, und die vox populi munkelt hämisch, die ausländische Königin habe den Eroberer erobert. Denn Cäsar hat Kleopatra mit größter Ehrerbietung empfangen und akzeptiert sogar ihren Anspruch, als Inkarnation der Göttin Isis zu gelten.

Aber Cäsar ist nicht dumm. Selbst aus heutiger Sicht wäre es ein Fehler anzunehmen, dass er die Beziehung zu Kleopatra nur aus Liebe eingegangen ist. Cäsar ist vor allem mit ihr zusammen, weil sie als Königin über politische Macht verfügt. Dabei geht er äußerst vorsichtig vor. Er hält sie fern von Rom, dem Senat, dem einfachen Volk und bringt sie im goldenen Palast jenseits des Flusses unter. Dort findet er auch die nötige Privatsphäre für seine Affäre mit ihr. Schließlich ist er ein verheirateter Mann. Seine Frau Calpurnia wartet jeden Abend in ihrem Haus im Herzen der Ewigen Stadt auf ihn.

Cäsar hat also Ehefrau und Geliebte in derselben Stadt. Und er pflegt den Kontakt zu beiden vor aller Augen. Nach heutigen Moralvorstellungen wäre eine so offen gelebte Dreiecksbeziehung der Ruin jedes Politikers. Im republikanischen Rom ist das anders, nicht nur, wenn es um Cäsar geht. Jeder Römer darf offiziell gleichzeitig eine Ehefrau und mehrere Konkubinen haben. Das ist gesetzlich erlaubt. Verboten ist lediglich, zwei Ehefrauen zu haben. Aber Kleopatras Situation ist nicht weniger kompliziert. Auch sie ist verheiratet. Ihr Mann lebt sogar mit ihr zusammen in Cäsars Palast am anderen Tiberufer. Allerdings handelt es sich dabei um ihren Bruder Ptolemaios XIV. Sie sind verheiratet, weil es diese merkwürdige Tradition in der Dynastie der Ptolemäer gibt. Die Heirat unter Geschwistern soll verhindern, dass göttliches oder halbgöttliches Blut verunreinigt wird. Für Kleopatra aber ist ihr Bruder mehr ein symbolischer denn ein wirklicher Gatte. Sie geht sicher nicht mit ihm ins Bett. Schon seines zarten Alters wegen. Er ist gerade einmal 13, also keine ernstzunehmende Konkurrenz für Cäsar.

Außerdem ist Kleopatra schlau. Dass sie ihren Brudergemahl mit nach Rom gebracht hat, zeigt erneut ihre große politische Weitsicht. Trotz der Versicherungen Cäsars und der Anwesenheit römischer Legionen in Ägypten ist es zu riskant, den Mitregenten in der Heimat zu lassen, solange sie selbst nicht in Alexandria weilt.

In dem Palast aber lebt noch jemand, der einen festen Platz in Kleopatras Herzen hat. Es ist der jüngste Bewohner, der knapp zweijährige Cäsarion. Er ist Cäsars Sohn, jedenfalls hat Kleopatra dies immer behauptet.

Unter den Historikern gehen die Meinungen diesbezüglich auseinander. Für Cäsars Vaterschaft spricht die Tatsache, dass die ptolemäischen Königinnen tendenziell nicht promiskuitiv lebten. Der große Feldherr könnte also sehr wohl Kleopatras erster Mann gewesen sein. Allerdings ist auch richtig, dass er trotz seiner zahlreichen Liebschaften nur eine einzige »offizielle« Tochter mit Namen Iulia hatte.

In den antiken Quellen finden sich unterschiedliche Angaben. Plutarch und Sueton befürworten die These, Cäsarion sei Cäsars Sohn gewesen. Sueton schreibt: »Ja, es haben einige griechische Schriftsteller überliefert, dass er [Cäsarion] mit Cäsar auch Ähnlichkeit besessen habe in seinem Äußeren und darin, wie er sich bewegte.«2 Andere, wie Gaius Oppius oder Cassius Dio, sprechen sich gegen Cäsars Vaterschaft aus. Cassius Dio schreibt dazu: »Dieses Kind, das sie Ptolemaios hieß, gab sie vor, von Cäsar zu haben, und legte ihm daher gewöhnlich den Beinamen Kaisarion zu«3.

Die Frage wird noch dadurch kompliziert, dass hinsichtlich Cäsarions Geburtsdatum Zweifel bestehen. Einige Wissenschaftler nennen das Jahr 47 v. Chr., andere gehen davon aus, dass er erst ein paar Jahre später zur Welt kam.

Diese These allerdings erscheint unwahrscheinlich, und zwar aus folgenden Gründen: Es ist schon recht gewagt, eine Schwangerschaft, die über 2000 Jahre zurückliegt, auf den Monat genau datieren zu wollen. Die Kenntnisse über diese Zeit sind dafür zu lückenhaft. Aber Cäsar und seine Vertrauten waren nicht dumm. Sie waren sicher genauso fähig wie wir, Schwangerschaftsmonate nachzuzählen. Das gilt sowohl für die politischen Feinde Cäsars als auch für die Kleopatras, von denen die beiden immer wieder verleumdet wurden. Außer Cicero, der Kleopatra aus persönlichen Gründen hasste, hat damals niemand an Cäsars Vaterschaft gezweifelt. Daher muss man zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Cäsarion tatsächlich Cäsars Sohn war.

Auch die Tatsache, dass Oktavian Cäsarion später töten lässt, spricht dafür, dass man nicht ausschließen kann, dass er Cäsars Sohn war. Und schließlich gibt es auch keine anderen glaubhaften Kandidaten, die für die Vaterschaft infrage kämen. Zudem sollte man nicht vergessen, dass Cäsar Ende des Jahres 45 v. Chr. zur Verschönerung seines Forums Kleopatra in einer Statue aus vergoldeter Bronze verewigen ließ. Aus all diesen Überlegungen heraus ist es besser, diese Frage offen zu lassen. Ich halte es aber durchaus für möglich, dass Cäsarion tatsächlich Cäsars Sohn ist, ohne weiter zu spekulieren.

Mehr kann ich nicht tun. Wie ein lateinischer Rechtsgrundsatz sagt: Mater semper certa est, »Die Mutter ist immer sicher«. Ich habe mich deshalb dafür entschieden, mich an die glaubwürdigste Theorie zu halten, die besagt, dass Cäsarion der Sohn von Cäsar ist und am 23. Juni des Jahres 47 v. Chr. geboren wurde.

In diesem Moment rennt er in einem der Säulengänge in Kleopatras Residenz auf seine Mutter zu. Eine Dienerin, die fürchtet, er könne hinfallen, eilt ihm nach. Mutter und Sohn umarmen sich lange und innig. Auf der Suche nach Geborgenheit vergräbt Cäsarion sein Gesicht in Kleopatras Tunika. Und die mächtigste Königin Afrikas wird für einen Moment zur zärtlichsten und fürsorglichsten Mutter der Welt.

Ein Mann spielt mit dem Dolch

Auf der anderen Seite des Tibers, weit weg vom Zauber und der Heiterkeit dieses Garten Eden, kämpft ein Mann gegen unzählige Dämonen, die seine Seele zerfleischen. Er hat sich allein in seinen Räumen verschanzt und sitzt an einem eleganten Tischlein, dessen Beine die Form von Löwenpranken haben. Eine Öllampe wirft ihren Schein auf sein müdes Gesicht. In der Mitte der kreisrunden Tischplatte aus Marmor befindet sich eine kleine, im Halbdunkel fast unsichtbare Kerbe. Darin steckt die Spitze eines Dolchs. Der Mann umfasst das Heft, und er lässt den Dolch mit einer brüsken Bewegung kreisen, als wäre er eine verrückt gewordene Ballerina, die Spitze tanzt. Er fixiert die Klinge, die bei jeder Drehung im Licht aufblitzt. Eine mechanische Geste, die er in dieser schlaflosen Nacht unzählige Male wiederholt hat. Jemand klopft an die Tür. Es ist sein treuester Sklave. Er erkundigt sich, ob er ihm das Frühstück bringen soll. Der Mann hebt den Blick und starrt auf die Tür, ohne zu antworten. Es ist Marcus Iunius Brutus.

Etwas liegt in der Luft. Kaum wahrnehmbar, unfassbar, unaussprechlich. Ein Gift, das die Stadtmauern überwindet, sich in den Straßen verbreitet und in die Gassen strömt. Es springt mit den geflüsterten Worten von Ohr zu Ohr und mischt sich mit den Dunstschleiern der Thermen. Bis zu den Triklinien der wichtigen Bankette dringt es vor, schleicht sich bei privaten Begegnungen in die Köpfe der Senatoren. Und zischt unheilvoll: »Tod. Tod dem Julius Cäsar.«

In der Stadt ist seit Langem eine Verschwörung im Gange. Eine der heimtückischsten der Geschichte. Sie richtet sich gegen jenen Mann, der sich beim römischen Volk großer Beliebtheit erfreut, vielleicht wie kein anderer vor ihm. Jener Mann, der zusammen mit Alexander dem Großen in den nachfolgenden Jahrhunderten zu den meistbewunderten Persönlichkeiten gehören wird. Doch wie kann das sein?

Cassius Dio, seines Zeichens Geschichtsschreiber aus römischer Zeit, liefert dafür folgende Erklärung: Verschiedene Männer haben Cäsar zu unterschiedlichen Zeitpunkten große Ehrungen erwiesen. Das trug ihm in Kürze so viel Hass und Neid ein, dass er dafür sehr schnell mit dem Leben bezahlte.

In Wirklichkeit aber gab es gewichtigere Beweggründe. Cäsar ist zum neuen Alleinherrscher Roms aufgestiegen. Er hat den Senat de facto entmachtet und trifft seine Entscheidungen, ohne die persönlichen Interessen der Senatoren zu berücksichtigen.

Seit jeher hielten die Adelsfamilien in Rom die Zügel der Macht und der Wirtschaft in Händen. Jede Sippe hatte ihre Vertreter im Senat. Und bei praktisch allen Senatsentscheidungen gaben persönliche Interessen und Vorteile den Ausschlag. Einigen Historikern zufolge wird die Republik im Jahre 44 v. Chr. längst nicht mehr von der verlässlichen Aristokratie getragen, die entstand, nachdem der letzte König aus Rom im Jahr 510 v. Chr. vertrieben worden war. Die Republik hat ihre Schubkraft verloren, ihre Ideale sind ihr abhandengekommen. Die umsichtigen und rechtschaffenen Männer von einst gibt es nicht mehr. Mit wenigen Ausnahmen, die im Senat in der Minderheit sind. Denn dort herrschen nun Korruption, Geschäftemacherei und Machtmissbrauch. Ein großer Baum mit morschem Stamm, wie manche sagen. Zwar ist es den Senatoren offiziell verboten, aus ihrem Amt Profit zu schlagen, doch dafür nutzen sie ihre Freigelassenen als Strohmänner. Die Habgier der Senatsmitglieder hat die Republik in eine schwere Krise geführt und den starken Männern den Weg geebnet, insbesondere dem nach der absoluten Herrschaft greifenden Julius Cäsar.

Auch er entstammt einer Aristokratenfamilie. Aber er gehört den populares an und vertritt damit auch die Anliegen des Volks, das ihn im Gegenzug zum größten Teil unterstützt. Nicht nur deshalb hat ihn ein Teil der konservativen Aristokratie ins Visier genommen.

Der Plan der Verschwörer ist einfach: Sie wollen Cäsars Tod. Denn er gebärdet sich inzwischen wie ein Monarch. Der Mord soll für ein Klima der Verwirrung und Unsicherheit sorgen. Ein Leichtes, wenn man bedenkt, dass es an charismatischen Persönlichkeiten fehlt, die an Cäsars Stelle treten könnten. Der Senat würde so seine alte Rolle zurückgewinnen und könnte weiter skrupellos seine Macht missbrauchen.

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