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Historical Exklusiv Band 46
Erscheinungstag: | Di, 15.04.2014 |
Erscheinungstag: | Di, 15.04.2014 |
Bandnummer: | 46 |
Bandnummer: | 46 |
Seitenanzahl: | 512 |
Seitenanzahl: | 512 |
ISBN: | |
ISBN: | 9783733760601 |
E-Book Format: | ePub oder .mobi |
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Ein Teil von ihr
Mutter. Heldin. Lügnerin. Mörderin?
Im Bruchteil einer Sekunde kann sich dein Leben für immer verändern….
Du hast die Nachrichten gesehen, über die Gewalt in dieser Welt den Kopf geschüttelt und weitergemacht wie immer. Nie könnte dir so etwas passieren, dachtest du.
Andrea Oliver erlebt das Entsetzlichste. Einen Amoklauf. Was sie noch mehr schockiert: Ihre Mutter Laura entreißt dem Angreifer ein Messer und ersticht ihn. Andrea erkennt sie nicht wieder. Offenbar ist Laura mehr als die liebende Mutter und Therapeutin, für die Andrea sie immer gehalten hat. Sie muss einen Wettlauf gegen die Zeit antreten, um die geheime Vergangenheit ihrer Mutter zu enthüllen, bevor noch mehr Blut vergossen wird …
Laura weiß, dass sie verfolgt wird. Und dass ihre Tochter Andrea in Lebensgefahr ist …
»Dieser Thriller wird Sie um den Schlaf bringen. Für Slaughter-Fans ist „Ein Teil von ihr“ ein absolutes Lese-Muss.«
ok!
»Wie immer hat Slaughter … keine Scheu, Verbrechen in all ihrer Brutalität und Grausamkeit zu schildern. […] Daneben aber beweist sie ebenso viel Gespür für die Zerrissenheit, für Sehnsüchte und Ängste, für starke Gefühle und damit verbundene innerliche Eruption, kurz: für die Komplexität ihrer Charaktere.«
dpa
»Karin Slaughters „Ein Teil von ihr“ liest sich als moderne Geschichte über komplizierte Vereinigte Staaten von Amerika, in der charakteristische Merkmale des American Way of Life ebenso aufscheinen wie der Mythos vom Grenzland.«
krimi-couch.de
»Provokanter und raffinierter als alles, was sie zuvor geschrieben hat.«
vol.at
»Eine spannende Lektüre bis zum Schluss.«
SpotOnNews
»Fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite.«
Magazin-frankfurt.com
»Karin Slaughter gilt völlig zu Recht als eine der besten Krimi-Autoren der USA. Ihre Geschichten fesseln von Anfang bis Ende.«
IN
»Karin Slaughter zählt zu den talentiertesten und stärksten Spannungsautoren der Welt.«
Yrsa Sigurðardóttir
»Jeder neue Thriller von Karin Slaughter ist ein Anlass zum Feiern!«
Kathy Reichs
»Karin Slaughter bietet weit mehr als unterhaltsamen Thrill.«
SPIEGEL ONLINE über »Pretty Girls«
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PROLOG
Im harten Takt seines donnernd pochenden Herzens schlugen seine Absätze auf den steinernen Boden. Entschlossenen Schrittes ging Sir Simon Lockhart den Gang hinunter, seine schwarzen Reitstiefel glänzten im Schein der Fackeln. Als er an der langen Reihe kleiner modriger Zellen vorbeikam, bemerkte er die neugierigen Blicke der Gefangenen, hielt aber unbeirrt weiter auf die letzte Tür zu.
Halte dich von meiner Tochter fern.
Auch nach vier Jahren hatte Simon die Worte noch nicht vergessen, die Jock Colvin einst zu ihm gesagt hatte, und er hatte nie den Schmerz verwunden, den sie ihm bereitet hatten. Jenny Colvin wird niemals einen Schmuggler heiraten.
Nun, dachte Simon bei sich, der Schmuggler hatte sich verändert und war als gemachter Mann zurückgekehrt. Er war nun Baronet und Writer to the Signet, ein Anwalt des Obersten Gerichtshofes in Edinburgh. Nun hatte er für ein Jahr eine Stelle hier in der Gegend angenommen, wo er aufgewachsen war. Aus dem Schmuggler war ein ehrenwerter Mann geworden, und er hatte vor, Jenny Colvin den Hof zu machen, wie es sich gehörte und wie sie es verdiente.
Wenngleich seine Aussichten als Verehrer sich verbessert hatten, so schien es doch, als sei er zu spät gekommen. Der Sheriff von Whithorn hatte ihn wissen lassen, dass Jock Colvin im Tolbooth einsaß und morgen an den Galgen kommen würde.
Zwar hatte er sich nichts von seinen Gefühlen anmerken lassen, aber Simon war es gewesen, als würden all seine Hoffnungen dahinfahren, zerstört wie ein Schiff, das auf ein Riff gelaufen war. Jock Colvin war Simons Mentor und Freund gewesen, und Simon hatte sich schon darauf gefreut, ihre einst gute Beziehung wieder aufzufrischen. Doch vergebens, wie es schien. Zudem würde er Jennys Gunst wohl kaum dadurch gewinnen, dass man ihren Vater im Namen des Königs hinrichtete – in dessen Diensten Simon ja nun stand. Er kannte Jenny gut genug, um zu wissen, dass sie ihm das nie verzeihen würde.
Verdammter Narr, schalt er sich, weil sein felsenfester Stolz ihn viel zu lange hatte fortbleiben lassen. Er hätte längst zurückkommen sollen, oder die beiden zumindest wissen lassen, dass es ihm gut ging, dass er oft an sie dachte und sie stets in seinem Herzen waren – trotz allem.
Vor der Tür am Ende des Ganges blieb er schließlich stehen, spähte durch das in das dicke Holz eingelassene Eisengitter, konnte in der Zelle jedoch nur dunkle Schatten ausmachen. Durch ein winziges Fensterloch sah Simon den Vollmond blass und hell am dämmerigen Abendhimmel stehen.
Ein großer Mann regte sich im Dunkel der Zelle. Der Fackelschein aus dem Gang beleuchtete sein hageres Gesicht, ließ seine blauen, wässrigen Augen und einen matt herabhängenden grauen Bart erkennen. Er sah alt und erschöpft aus, wäre nicht dieses Funkeln in seinen Augen gewesen.
„Jock Colvin“, sagte Simon leise.
Jock starrte seinen Besucher an. „Sieh mal einer an“, rief er dann. „Wenn das mal nicht der Laird of Lockhart ist, zurückgekehrt von den Toten.“
„Nein, nur aus Edinburgh“, erwiderte Simon.
Jock schnaubte verächtlich. „Vier Jahre warst du fort, ohne ein Abschiedswort für jene, die dich gelehrt und die dir vertraut haben. Aber wie ich sehe, bist du ein richtiger Gentleman geworden.“
„So scheint es. Ich bin froh, dich endlich wiederzusehen, Jock.“
„Beinah wärst du dazu zu spät gekommen.“ Colvin kam näher, streckte einen seiner schmutzigen Finger durch die Eisenstäbe und schnippte das schneeweiße Krawattentuch beiseite, das über Simons Hemdbrust und seiner dunkelblauen, eng geschnittenen Weste und dem dazu passenden Gehrock hing. „Uh … das ist richtig guter Stoff – flämisches Tuch, würde ich mal sagen. Und dann auch noch Goldknöpfe, Teufel aber auch.“ Er beugte sich vor. „Wie kannst du dir das leisten? Schmuggelhandel an fremden Küsten? Französischer Brandy und kostbare Spitzen?“
„Ich arbeite jetzt auf der Seite des Gesetzes“, ließ Simon ihn wissen.
„Ach ja?“, knurrte Jock ungläubig.
„Du wusstest, dass ich dem Wunsch meines Vaters gefolgt bin, auf die Universität zu gehen. Ich bin Writer to the Signet in Edinburgh. Oder vielmehr, ich war es. Jetzt habe ich ein neues Amt angetreten.“
„Bist du gekommen, um mich zu verteidigen und meine Freilassung zu bewirken?“
„Über deinen Fall ist verhandelt und entschieden worden, Jock.“
„Was willst du dann hier?“
Simon zögerte kurz. „Ich bin gerade zum Zollinspektor für die Küste am Solway Firth ernannt worden – genauer gesagt, für diese Gegend hier.“
Jock lachte harsch. „Ein Steuereintreiber? Ein Gesetzeshüter? Das ist wirklich ein herber Schlag! Der cleverste Schmuggler, den ich je kannte, verschwindet für vier Jahre spurlos wie ein Fuchs in seinem Bau – nur um dann auf einmal zurückzukehren und Jagd auf die zu machen, die ihm Brot und ein Dach über dem Kopf gegeben haben, als er noch ein Junge war.“
„Jock, es ist keineswegs so, dass …“ Simon verstummte, denn er hätte nicht erklären können, wie es stattdessen war. Nicht hier.
„Wissen sie denn davon, Simon Lockhart? Wissen sie, dass sie sich einen Wolf im Schafspelz geholt haben?“, zischte Jock.
„Sie wissen davon“, erwiderte Simon kurz angebunden.
Jock betrachtete ihn argwöhnisch. „Dann hast du sicher einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, um dem Galgen zu entkommen.“
„So ähnlich.“
„Ein Verräter“, knurrte Jock. „Mach, dass du wegkommst.“
„Ich habe den Auftrag angenommen, Schwarzbrennereien hier in der Gegend aufzuspüren – und all jene, die es umgehen, für ihre Handelsware die der Krone zustehenden Abgaben zu zahlen. Zu meinen Pflichten zählt zudem, Pferdediebe ausfindig zu machen.“ Simon sah Jock vielsagend an.
„Ich hab dieses Pferd nicht gestohlen“, entgegnete Jock, „aber trotzdem wird man mich deswegen hängen. Irgendwas fällt denen schließlich immer ein – hätten sie mir den Handel mit Schmuggelware nachweisen können, wäre ich eben dafür an den Galgen gekommen.“ Jock schnaubte bitter.
„Mir sagte man, du hättest die Dreistigkeit besessen, die graue Connemara-Stute aus dem Stall des Friedensrichters zu stehlen und sie dann auf ein Schiff zu verkaufen, das nach Frankreich ablegte. Zeugen sollen dich dabei beobachtet haben.“
„Aye … das war Angus MacSorleys Cousin, der das gesehen haben will – halb blind, dieser Schurke. Ich war in jener Nacht überhaupt nicht draußen. Er hätte mich also gar nicht sehen können, selbst wenn er etwas sehen könnte! Ich bin unschuldig. Und jetzt mach die Tür auf, Junge.“
„Das kann ich nicht. Doch als ich von deiner Lage erfuhr, kam ich sofort hierher, obwohl ich ahnte, dass du gar nicht mit mir reden willst. Kann ich dir irgendwie helfen? Brauchst du irgendetwas?“
„Ja, den Schlüssel“, erwiderte Jock trocken.
Simon lachte ein wenig zögerlich. „Den würde mir der Sheriff nicht anvertrauen, kaum dass ich meine Stelle angetreten habe. Er weiß, dass ich früher einmal zu eurer Bande gehört habe. Deshalb waren sie ja so erpicht darauf, dass ich die Aufgabe hier übernehme. Ich kenne all eure Geheimnisse“, fügte er hinzu.
„Ach ja? Und wenn schon. Warum bist du jetzt zurückgekommen? Um mich hängen zu sehen?“ Er lehnte sich vertraulich vor. „Oder um meiner Tochter wieder das Herz zu brechen?“
Simon schwieg.
„Nur gut, dass Jenny gegangen ist, bevor du gekommen bist“, setzte Jock hinzu.
„Sie war hier?“, fragte Simon rasch.
„Aye, und sie war in Tränen aufgelöst, weil sie mich in einer Zelle sehen musste. Mir hat es auch das Herz gebrochen, denn meine Jenny ist ein temperamentvolles Mädchen, und mutig noch dazu. Ich habe sie nicht mehr weinen sehen seit du fortgegangen bist.“
Simon runzelte besorgt die Stirn. „Ich bin in der Hoffnung zurückgekommen, es wiedergutmachen zu können.“
„Zu spät. Sie wird dir nie verzeihen. Ich übrigens auch nicht.“ Jock umklammerte die Gitterstäbe. „So, Laird of Lockhart, und jetzt hörst du mir genau zu, denn trotz unserer Zwietracht muss ich dich um zwei Dinge bitten.“
„Einverstanden.“ Simon wartete.
„Da du nun hier der neue Inspektor bist, finde diese Schurken, die mir das eingebrockt haben! Ich bin ein Whisky-Schmuggler, jawohl, das will ich gar nicht leugnen. Aber solange ein Mann nur Schmuggel betreibt, um seine Familie über Wasser zu halten, drücken die Steuereintreiber gern mal ein Auge zu. Die meiste Zeit meines Lebens bin ich Weber gewesen, und damit verdiene ich kaum mehr als ein Tagelöhner, obwohl ich ein wahrer Künstler am Webstuhl bin und sogar ein wenig lesen und schreiben kann. Was bleibt mir denn da noch?“
„Du bist nicht wegen des geschmuggelten Whiskys hier, Jock“, erinnerte Simon ihn.
„Und gewiss auch nicht wegen Pferdediebstahls! Wenn du herausfindest, wer mir ein Verbrechen angehängt hat, das ich gar nicht begangen habe, dann würde ich dir verzeihen, was du getan hast.“
Simon lächelte unmerklich. „Nun, das nenne ich einen Pakt mit dem Teufel. Und was war die zweite Sache, um die du mich bitten wolltest?“
„Halte dich von meiner Tochter fern.“
„Ah ja.“ Simon spürte sein Herz heftig schlagen. „Deine Vergebung hat ihre Grenzen.“
„Und daran wird sich auch nie etwas ändern. Ich werde dir nie verzeihen, dass ich dich damals oben auf dem Dörrboden mit ihr erwischt habe. Aber wie du sicher noch weißt, habe ich deutlich Nein gesagt, als du mich um ihre Hand gebeten hast.“
„Daran kann ich mich sehr gut erinnern“, murmelte Simon.
„Jenny hat wie ihre Mutter eine gute Erziehung und Bildung genossen. Sie ist nichts für einen Banditen wie dich, und sie wird es auch nie sein.“
„Ich bin kein Schmuggler mehr, Jock.“
„Du bist aber immer noch durch und durch ein Bandit.“
„Genau wie du“, bemerkte Simon.
„So ist es. Und ich war ja auch nicht gut genug für meinen Schatz, wenngleich sie mich dafür nur noch mehr geliebt hat. Aber dir verdanke ich es, dass Jenny nun keinen anderen mehr heiraten will – sagt sie zumindest. Sie meint, sie wolle lieber ihrem Vater helfen … bis dann das hier passiert ist. Ein Glück, dass ich mich wenigstens darauf verlassen kann, dass meine Leute sich um das Mädchen kümmern werden, obwohl sie ja auch nur Ganoven sind.“ Jock seufzte tief und sah zu dem winzigen Fenster hinüber. „Vollmond, Lockhart. Heute Nacht wird wohl kein einziger Bandit unterwegs sein.“
„Nur ich“, murmelte Simon. „Ich werde mich dennoch auf den Weg machen. Sollte man dich zu Unrecht angeklagt haben, so will ich den Verantwortlichen finden.“ Er wusste gleichwohl, dass Colvin durchaus schuldig sein konnte. Zudem konnte er kaum noch etwas unternehmen, um ihn zu retten, aber er wollte für seinen einstigen Freund nichts unversucht lassen – ganz gleich, was der Mann nun von ihm halten mochte. „Darauf hast du mein Wort.“
„Das hast du mir schon vor Jahren gegeben.“
Simon runzelte die Stirn. „Dann verspreche ich dir jetzt noch etwas: Ich werde dafür sorgen, dass Jenny immer glücklich und sicher sein wird“, fügte er nachdrücklich hinzu.
„Gut“, sagte Jock, „dann kann sie ja wohl kaum mit dir zusammen sein.“
1. KAPITEL
17. April 1803
Schottland, an der Küste des Solway Firth
Der Reiter verfolgte sie. Rasch kam er durch dunkle Schatten und helles Mondlicht über das Moor geritten. Besorgt blickte Jenny über ihre Schulter und packte die Zügel fester, während sie in ihrem Pferdekarren weiterrumpelte. Bald würde er sie eingeholt haben – schon konnte sie seinen dunklen Umriss deutlich im violetten Licht der hereinbrechenden Nacht ausmachen und auch erkennen, dass ihm noch drei weitere Männer zu Pferde folgten.
Der erste Reiter war ein hochgewachsener Mann mit breiten Schultern und langen Beinen. Sein Mantel und seine Stiefel waren ebenso schwarz wie sein Pferd, selbst sein Haar war schwarz, dicht und schulterlang wehte es im Wind. Er folgte ihr scheinbar ohne jede Anstrengung und war ihr nun schon so nah, dass Jenny sich weit vorbeugte, um ihre Stute noch mehr anzutreiben.
„Halt!“, rief der Mann. „Zollinspektion!“
Auf einmal bekam sie es mit der Angst zu tun. Die Inspektoren würden sie nicht nur von ihrem Vorhaben abhalten, sondern fanden zudem oft Gefallen daran, Frauen zu durchsuchen, die sie des Schmuggelns verdächtigten. Ihr Vater hatte sie daher nach Einbruch der Dunkelheit nie allein über Land fahren lassen.
Doch heute war ihr gar keine andere Wahl geblieben, und Jock Colvin war ja auch nicht da, um seine Tochter von ihrem Tun abzuhalten. Vielmehr hatte er sie sogar an seiner Stelle geschickt, saß er schließlich selbst in einer Zelle im Tolbooth, des Pferdediebstahls beschuldigt, und sah dem Tod durch den Strang entgegen.
Jenny blieb nur noch eine einzige Gelegenheit, die Unschuld ihres Vaters zu beweisen, und sie konnte sich keine Verzögerung leisten. Wenn die Steuerinspektoren sie ergriffen und erkannten, dass sie Jock Colvins Tochter geschnappt hatten, würden sie sie so bald nicht mehr gehen lassen.
Sie schlug kräftig mit den Zügeln, woraufhin die Stute stürmisch lospreschte und der Pferdekarren schwankend über den holperigen Moorboden rumpelte. In der Ferne konnte Jenny schon die funkelnde Weite des Solway Firth sehen. Darüber erhob sich am Abendhimmel der Mond wie eine hell schimmernde Perle auf dunkelviolettem Samt.
Jenny wusste, dass man als Schmuggler bei Vollmond besser zu Hause blieb und auf dunklere Nächte wartete, aber sie hatte keine andere Wahl. Wenn sie ihren Auftrag heute Nacht nicht erfüllen konnte, würde man ihren Vater des Morgens hängen.
Ihr Vater hatte sie geschickt, um herauszufinden, wo man seine gestohlenen Waren versteckt hatte. Bei diesem Vorhaben wollte sie ungestört sein. Der Schutz der Dunkelheit war ihr dank des Vollmondes schon nicht vergönnt, und nun wurde sie auch noch verfolgt!
Über das Gerumpel des Wagens und den dumpfen Schlag der Pferdehufe ihrer Stute hinweg, konnte Jenny einen weiteren trommelnden Hufschlag hören. Als sie sich umblickte, sah sie, dass der erste Reiter ihr schon wieder ein Stück näher gekommen war. Sie konnte seine Entschlossenheit förmlich spüren. Auch die anderen Reiter – darunter zwei Dragoner, deren weiße Gamaschen im Mondlicht gut zu erkennen waren – folgten ihr noch immer.
„Halt!“, rief der schwarze Reiter abermals.
Jenny schlug mit den Zügeln, und die Stute legte sich erneut ins Zeug. Der kleine Pferdekarren holperte über den torfigen Boden, die auf den Wagen geladenen Holzkisten schlingerten hin und her.
Verfolgte der neue Steuerinspektor sie etwa? Ihre Leute hatten bereits gehört, dass der neue Inspektor kein Vergleich zu dem alten sein würde, der ein fauler, doch listiger Geselle gewesen war, der sich über Jahre hinweg hatte bestechen lassen. Der neue Zoll- und Steuerinspektor würde das hiesige Schmugglernetz so rasch zerschneiden wie ein heißes Messer durch Butter fuhr – so zumindest sagte man.
Niemand kannte auch nur seinen Namen oder hatte ihn gar selbst schon zu Gesicht bekommen, aber sein Ruf war ihm in den Dörfern, den Gehöften und Tälern längst sicher. Wer immer in seinem Keller oder in irgendeinem Schrank unversteuerte Waren hortete, im Wald versteckt oder entlegen in den Bergen eine Schwarzbrennerei betrieb, würde wachsam bleiben, bevor nicht klar war, was man von dem Neuen zu halten hatte.
Hatten diese Männer, die sie nun verfolgten, etwa das Haus ihres Vaters in Glendarroch beobachtet und gewartet, bis sich bei Jack Colvins Leuten etwas Verdächtiges tat? Hatten sie Jenny den Karren anspannen und in Richtung der Küste aufbrechen sehen?
Ein erneuter rascher Blick zurück bestätigte Jenny ihre Befürchtung, dass der Reiter ihren Pferdekarren nun fast erreicht hatte. In wilder Verzweiflung peitschte sie mit den Zügeln und beugte sich immer weiter vor, je schneller sie fuhr.
Ihr Verfolger rief ihr wieder etwas zu, und dann hatte er sie auch schon eingeholt, ritt neben ihr einher und bedachte sie mit einem finsteren Blick. Daraufhin überholte er sie mühelos und beugte sich vor, um die Stute beim Zaum zu packen.
Jenny zog die Bremse an, woraufhin der Wagen und beide Pferde zum Stehen kamen. Der Reiter drehte sich zu ihr um und sah sie über den Kragen seines Mantels wütend an. Seine blauen Augen funkelten vor Zorn.
„Was zum Teufel fällt Ihnen eigentlich ein, so mit einem Pferdekarren zu fahren?“, wollte er von ihr wissen.
Jenny sah ihn sprachlos an. Sein Gesicht war so vertraut – und es nun wiederzusehen so gänzlich unerwartet.
Simon Lockhart.
Das Mondlicht fiel hell auf seine schönen, ihr noch allzu gut vertrauten Gesichtszüge. Sie hätte seine hochgewachsene Gestalt erkennen müssen, die anmutige Wendigkeit, mit der er sich im Sattel hielt. Sie hätte es wissen müssen. Das Herz schlug ihr heftig in der Brust, als sie den Mann ansah, der vor vier Jahren plötzlich aus ihrem Leben verschwunden war und dabei all ihr Glück und ihre Hoffnungen mit sich genommen hatte.
„Ich könnte genauso gut dich fragen, was zum Teufel dir eingefallen ist“, sagte sie scharf, „damals vor vier Jahren.“
„Jenny Colvin“, bemerkte er grimmig und ließ den Zaum ihrer Stute los, „und flucht noch immer wie ein waschechter Bandit.“
„Ich bin nun mal die Tochter eines Banditen“, fuhr sie ihn an.
Sie konnte seine Miene nicht recht deuten und hätte nicht sagen können, wann genau auch er sie erkannt hatte. Aber so war er immer gewesen – er behielt nicht nur seine Geheimnisse, sondern auch seine Gedanken für sich. Nun streichelte er der Stute Hals und Nüstern, sprach sanft auf sie ein, und rasch beruhigte sie sich unter seiner Berührung.
Jenny runzelte verärgert die Stirn und wünschte sich, ihr Pferd würde ihm nicht so zugetan sein.
„Hallo Sweetheart“, begrüßte er die Stute. „Wie ich sehe, hast wenigstens du mich in guter Erinnerung behalten.“
„Sweetheart erinnert sich gern an dich, weil du ihr immer Karotten gegeben hast“, sagte Jenny. „Bei uns andern dürften Karotten nicht genügen, damit wir dich in guter Erinnerung behalten.“
Er faltete seine Hände über dem Sattelknauf und schaute sie an. „Seien auch Sie recht herzlich gegrüßt, Miss Colvin. Wie schön, Sie wiederzusehen.“
„Das Vergnügen ist leider nicht meinerseits, Mr Lockhart.“ Wie hatte sie davon geträumt, ihn eines Tages wiederzusehen, wie hatte sie sich danach gesehnt – aber das würde sie natürlich niemals zugeben.
„Es heißt jetzt übrigens ‚Sir Simon‘. Ich wurde kürzlich zum Ritter geschlagen.“
„Wie schön“, erwiderte sie kühl.
Als er seinen Kopf ein wenig neigte, sie mit einem feinen Lächeln bedachte und dabei eine Augenbraue hob, machte ihr Herz einen kleinen Sprung. Im hellen Schein des Mondes stellte sie fest, dass er sogar noch besser aussah als früher: männlicher, erwachsener. Wo immer er all die Zeit gewesen sein mochte und was immer er getan hatte – insgeheim gehörte ihr Herz immer noch diesem elenden Schuft, der sie nun so aufmerksam beobachtete. Stolz reckte sie ihr Kinn.
„Bist du schon lange hier? Hast du deine Verwandten besucht?“ Was für einen Unsinn sie da redete, dachte sie sogleich, aber noch immer war sie völlig durcheinander und aufgeregt, weil sie ihn so unerwartet wiedersah. Sein Anwesen, das er vor Jahren von seinem Vater geerbt hatte, lag etliche Meilen nördlich des Firths in den Bergen. Während Simons langer Abwesenheit sollten seine Cousins das Schloss und die Ländereien verpachten – das hatte Jenny zumindest gehört.
„Noch nicht. Ich bin erst heute in Whithorn eingetroffen und wohne im Gasthaus, solange bestimmte Angelegenheiten noch nicht geklärt sind“, erwiderte er. Er schaute kurz über die Schulter zu den herannahenden drei Reitern und sah dann wieder Jenny an. „Miss Colvin, ich bitte um Entschuldigung, da ich Ihre abendliche Ausfahrt unterbreche, aber ich müsste Ihnen ein paar Fragen stellen.“
„Ach ja? Vielleicht möchtest du ja wissen, wie es uns ergangen ist, während du fort warst – keine Sorge, ich werde mich nicht davonmachen“, fügte sie hinzu, als er die Hand nach ihren Zügeln ausstreckte.
„Oh, aber ich mache mir Sorgen“, sagte er und schlang sich die Zügel um seine behandschuhte Hand. „Ich sorge mich sogar sehr um dich und die Deinen.“
„Was du uns mit deiner Abwesenheit ja bewiesen hast“, entgegnete sie ungehalten und versuchte, das Zittern zu verbergen, das ihr durch die Glieder fuhr. „Zunächst dachten wir, du seist tot oder hättest dich in jener Nacht mit Vaters Schmuggelware davongemacht. Dann haben wir erfahren, dass du in Edinburgh warst, einige Zeit sogar im Gefängnis saßest. Ich fand, dass du es wahrlich verdient hattest, in einer finsteren Zelle zu landen.“ Sie schaute ihn wütend an.
„Und scheinbar wäre es dir lieb, wenn ich noch immer dort wäre“, stellte er trocken fest. „Ich habe keineswegs einen herzlichen Empfang erwartet. Und zunächst wusste ich nicht einmal, dass du es bist, die ich gerade verfolgte, denn jeder Pferdekarren, der des Nachts so geschwind über das Moor fährt und so offensichtlich dem Appell des Steuerinspektors aus dem Weg geht, muss angehalten und untersucht werden.“
„Steuerinspektor!“ Über den Schreck des unverhofften Wiedersehens hatte sie ganz vergessen, dass er sich vorhin ja bereits als solcher zu erkennen gegeben hatte. „Du? Aber wie …“
„Ich habe kürzlich die Stelle des Obersten Zoll- und Steuerinspektors für diesen Küstenabschnitt des Solway Firth angenommen.“
Sie schüttelte ungläubig den Kopf und schaute zu den anderen Männern hinüber, die sie nun fast erreicht hatten. „Und das sind …“
„Ein weiterer Steuerinspektor und zwei Dragoner. Wir sind heute Abend auf Patrouille und waren einer Gruppe Männern und Pferden gefolgt – zu viele, als dass wir vier sie hätten anhalten können. Aber mich interessiert natürlich, was sie vorhaben. Wahrscheinlich Schmuggler“, meinte er leichthin. „Sie wissen nicht zufällig darüber Bescheid, Miss Colvin?“
„Wenn du wissen willst, ob es meine Leute waren, so werde ich dir das gewiss nicht sagen. Die Schmuggler hier scheren sich schon lange nicht mehr darum, ob sie unterwegs gesehen werden – je größer die Gruppe, desto besser, denn dann wagt niemand, sie aufzuhalten. Gewiss erinnern Sie sich noch daran, Sir Simon“, fügte sie spitz hinzu.
„Das tue ich. Während wir dort draußen waren, sahen wir dann Sie mit raschem Tempo in Richtung Küste fahren. Ein seltsamer Anblick, sagte ich mir – ein Mädchen, das in einer Vollmondnacht allein im Moor unterwegs ist, und eine große Gruppe Schmuggler …“
„Und dann hast du dir wahrscheinlich gesagt: ‚Ah, endlich finde ich Gelegenheit, mich bei diesem Mädchen zu entschuldigen, wie ich es schon längst hätte tun sollen!‘“, sagte sie spöttisch.
„Nein, das werde ich mir für ein andermal aufheben“, erwiderte er ruhig.
Sie beugte sich ein wenig vor. „Du meintest vorhin, du würdest dich um mich und die Meinen sorgen. Nun denn, mein Vater … er ist im Tolbooth in Whithorn und …“ Schlagartig versagte ihr die Stimme. „Er soll wegen Pferdediebstahls gehängt werden.“
„Ich weiß, Jenny. Ich habe Jock heute besucht.“ Seine Stimme, so sanft und auf einmal ganz freundlich, ließ sie wohlig erschauern.
Doch sie wollte seinetwegen nicht schwach werden, wie sie es schon einmal geworden war. Sie wollte wütend auf ihn sein, obwohl sie sehr dagegen ankämpfen musste, ihm nicht gleich in die Arme zu fallen. Während sie ihn nun einen Moment schweigend anschaute, erlaubte sie sich aber wenigstens, zutiefst froh und erleichtert darüber zu sein, dass ihm nichts zugestoßen war.
Sie wusste indes, dass er sie nicht mehr liebte, wenngleich er sie es einst hatte glauben lassen. Und die vergangenen vier Jahre hatte sie damit verbracht, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie ihn nicht liebte.
Vor Jahren war er der Protegé ihres Vaters gewesen und war im Laufe der Zeit auch ihr Freund und ihr Held geworden – tapfer, wagemutig, scharfsinnig und so charmant und faszinierend, dass sie dahinschmolz, sobald er sie nur anlächelte oder sie berührte. Wenn sie sich gegen den Willen ihres Vaters mit auf mitternächtliche Schmuggeltouren geschlichen hatte, war es stets Simon gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass ihr nichts passierte. So hatten sie immer mehr Zeit miteinander verbracht, bis er dann irgendwann all ihre Träume kannte und ihr die seinen erzählt hatte. Und als er ihren Körper zu erkunden begann, hatte sie auch den seinen kennengelernt und hatte es genossen, mit ihm gemeinsam die Leidenschaft zu entdecken. An jenem letzten gemeinsamen Abend hätte sie sich ihm beinahe ganz hingegeben.
Gott sei Dank hatte sie es nicht getan! Obwohl er ihr versichert hatte, dass er sie liebte, war er noch in derselben Nacht verschwunden – samt einer Ladung Schmuggelware ihres Vaters. Sein Verrat hatte nicht nur sie zutiefst verletzt, und Jenny hatte geglaubt, sie würde sich nie wieder davon erholen.
Nun konnte und wollte sie ihm nicht gestatten, ihre so hart errungene Stärke zu untergraben. Sie hob das Kinn. „Ich hoffe, du hast deinen Frieden mit Vater gemacht. Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit.“
„Ich habe es zumindest versucht, aber er ist noch immer … nun ja, nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen. Und mir scheint, dass es auch nicht leicht sein wird, mit dir Frieden zu schließen.“
„Wir hatten dich aufgegeben, Simon Lockhart! Wir dachten, du seist verschollen oder gar tot. Vor Sorge um dich sind wir durch die Hölle gegangen. Dann hörten wir auf einmal, dass du ein angenehmes Leben führst – und kein Wort mehr für uns übrig hattest.“
„Ich habe euch geschrieben.“
„Ach ja? Die Postkutsche aus Edinburgh kommt einmal die Woche hier vorbei“, ließ sie ihn wissen, „aber von dir kam nie eine Nachricht.“
„Ich … dafür ist jetzt keine Zeit, Jenny“, sagte er unvermittelt, als die drei anderen Reiter hinter ihnen angetrabt kamen, ihre Pferde zügelten und zum Stehen brachten. Jenny drehte sich um.
„Wen haben wir denn da? Ah, Miss Colvin, guten Abend!“ Der zweite Steuerinspektor tippte sich höflich an seinen schwarzen Hut. „Sie machen wohl eine kleine Ausfahrt, was? Wir würden uns gern mal anschauen, was Sie da so dabeihaben, Miss.“
„Mr Bryson“, erwiderte sie steif. Donald Bryson hatte sich von Jock Colvin seit Jahren schon mit Whisky und anderen Gütern bestechen lassen. Sie teilte die Ansicht ihres Vaters, dass der Inspektor nicht nur unfähig, sondern auch unangenehm war, wenngleich nicht gänzlich verkommen, wie manch anderer in einem solchen Amt.
„Was ist denn in dem Karren, Miss?“, fragte Bryson und zeigte auf die Holzkisten.
„Leere Kisten. Können Sie sich gerne anschauen. Wir verpacken unseren in Flaschen abgefüllten Whisky darin – legalen Whisky, den wir in unserer lizensierten Destillerie in Glendarroch herstellen“, fügte sie nachdrücklich hinzu und warf Simon einen kurzen Blick zu. „Wir brennen weniger als fünfhundert Gallonen im Jahr, ausschließlich für den Eigenbedarf.“
„Ah ja.“ Simon nickte. „Weniger als fünfhundert – dann müssen Sie ja auch keine Steuern darauf zahlen.“
Sie nickte. „So ist es. Sie verschwenden also Ihre Zeit mit mir.“
„Glauben Sie ihr kein Wort, Sir Simon“, sagte Bryson. „Glendarroch ist der beste Whisky im Südwesten Schottlands – manche meinen gar, der beste in ganz Schottland. Jock hat hier im Tal überall seine Schwarzbrennereien versteckt.“
„Wirklich?“, fragte Simon und klang dabei ehrlich überrascht. Jenny funkelte ihn wütend an. Er wusste ganz genau, dass ihr Vater einige nicht genehmigte Brennereien in den Bergen und Wäldern um Glendarroch hatte, wo die Familie schon seit Generationen lebte.
„Aye“, meinte Bryson, „wir können sie bloß nicht finden. Aber seine Wässerchen sind unten im Süden heiß begehrt, und er verdient sich mit dem Schmuggel ordentlich was dazu. Jede Wette, dass die Tochter mehr weiß, als sie zugeben will.“
„Ich verstehe“, murmelte Simon.
Jenny beugte sich ein wenig vor. „Kennt Bryson deine Vergangenheit?“, fragte sie ihn leise.
„Ja, wenn auch nicht die ganze. Die Zollbehörde sieht meine zwielichtige Vergangenheit als Pluspunkt – nun, da ich mich gebessert habe“, erwiderte er.
„Jock Colvin ist ein Bandit und ein Dieb, und deshalb sitzt er auch im Gefängnis. Er wird hängen“, ließ Bryson ihn wissen und stieg von seinem Pferd. „Sir, sie muss durchsucht werden. Die Frauen hier in der Gegend sind berüchtigt dafür, den Männern ihrer Familie beim Schmuggeln zur Seite zu stehen. Meist verstecken sie die Ware dort, wo … ähm, wo es sich für einen Gentleman nicht gehört zu suchen. Aber wir Steuerinspektoren können da natürlich kein Auge zudrücken. Kommen Sie runter, Miss.“ Bryson streckte die Hand nach ihr aus. Jenny erstarrte und wich vor ihm zurück.
„Mr Bryson!“, fuhr Simon ihn an und stieg gleichfalls von seinem Pferd. „Ich bin der Oberinspektor. Und wenn Miss Colvin schon durchsucht werden muss …“
„Oho, Sie wollen es selbst machen?“, feixte Bryson. „Doch nicht so grün hinter den Ohren wie ich dachte.“ Er grinste nun auch Jenny an. „So will es das Gesetz, mein Mädchen. Kommen Sie schon runter, meine Hübsche, und zeigen Sie uns, was Sie da Schönes unter Ihren Röcken versteckt haben.“ Er packte sie um die Taille.
„Ich sagte bereits, dass ich mich darum kümmern werde, Sir.“ Simon legte Bryson mit Nachdruck seine Hand auf die Schulter und schob ihn unsanft beiseite. Dann streckte er die Arme aus und hob Jenny geschwind vom Sitz des Pferdekarrens. Noch ehe sie es sich recht versah, stand sie auch schon vor Simon.
„Wenn ich dich nicht durchsuche, wird er es tun“, sagte er leise. „Und ich möchte mich nicht gleich an meinem ersten Tag als Steuerinspektor mit einem Mann des Königs prügeln müssen“, fügte er grinsend hinzu.
Sie nickte, mit klopfendem Herzen, und war sich dabei bewusst, dass Bryson sie beobachtete, mit offenem Mund und durchdringenden Augen. Die beiden Dragoner saßen scheinbar unbeteiligt auf ihren Pferden, doch auch ihre Augen funkelten.
Simon fasste sie bei den Schultern und drehte sie, sodass sie den anderen Männern den Rücken zuwandte. Ihr langer Kapuzenumhang bewahrte sie vor lüsternen Blicken.
Doch Simon Lockhart würde nichts verborgen bleiben.
Reglos stand sie da, als er seine Hände um ihre Taille legte und sie abtastete, mit den Fingern über ihren Rücken fuhr, dann über ihre Arme, ihr geschnürtes Mieder. Seine Berührungen waren federleicht, kaum zu spüren, trotzdem durchfuhren sie so wohlige Schauer, dass sie meinte, ihre Knie würden unter ihr nachgeben. Sie errötete, schloss wütend über sich selbst fest die Augen und stand in stolzer Ruhe da.
Aber gut, dass Simon Lockhart das an Brysons Stelle machte, dachte sie. Obwohl sie noch nie zuvor durchsucht worden war, kannte sie Frauen, die das über sich hatten ergehen lassen müssen. Nur wenigen war es gut bekommen.
Simon ging vor ihr in die Knie und fasste unter ihren Rock. Sie spürte, wie seine Finger sich um ihren linken Knöchel schlossen und dann ihre Beinkleider hinauf weiter nach oben wanderten. Seine Hände waren warm, kaum merkte sie, dass er sie anfasste, und doch hüpfte ihr das Herz in der Brust, als er sich langsam immer weiter ihren Schenkel hinaufbewegte. In diesem Moment wandte er sich auch schon dem rechten Bein zu und ließ seine Finger wieder nach unten gleiten.
Noch immer hielt sie die Augen geschlossen, wünschte sich, er würde endlich fertig sein – und erinnerte sich zugleich lebhaft an all die Freuden, die seine Hände ihr einst bereitet hatten. Plötzlich überkam sie so wildes Verlangen, dass sie unwillkürlich die Hände ballte. Gewiss waren ihre Wangen glühend rot.
„Jeannie Simpson war eine Witwe aus den Highlands“, begann Simon, während er mit der flachen Hand über ihre Hüften strich und dabei nicht nur ihre Chemise durcheinanderbrachte, „die geschmuggelten Whisky in Schafsblasen unter ihren Röcken versteckte. Jeden Tag ritt sie an den Steuerinspektoren vorbei, die sie stets höflich grüßten, und brachte auf diese Weise jeden Monat etliche Gallonen Whisky über die Grenze. Sie hatte damit ein recht ordentliches Einkommen für sich und ihre Familie.“
„Ich bin keine Witwe, die für eine Familie zu sorgen hat“, entgegnete Jenny. „Aber wenn dem so wäre, so kannst du gewiss sein, dass auch ich Schafsblasen unter meinen Röcken und Flaschen in meinem Mieder verstecken und die Steuereintreiber zum Teufel schicken würde.“
„Dessen bin ich mir bewusst“, meinte er. Seine Hände legten sich sanft um ihr Gesäß, tasteten sich hinten an ihren Schenkeln hinab. Sie begann schneller zu atmen. Seine Berührung hatte nichts von ihrem Zauber auf sie verloren, und dieser Umstand gefiel ihr gar nicht. Am liebsten hätte sie ihn von sich gestoßen, aber ebenso sehr wünschte sie sich, wieder seine Arme um sich zu spüren. Doch das war ein Traum, der nicht mehr in Erfüllung gehen würde.
Er zog seine Hände zurück, strich ihren Rocksaum glatt und stand auf. Sie hatte gerade schon die Hand gehoben, um ihm einen Schlag zu versetzen, da fing er diese rasch ab, verschränkte seine Finger mit den ihren und verbarg ihrer beider Hände vor den Blicken der anderen Männer in den Falten ihres weiten Umhangs. „Sie trägt nichts bei sich“, teilte er Bryson mit. „Wir werden sie weiterfahren lassen.“
Er führte sie zurück zum Wagen und half ihr auf den Sitz hinauf. Noch immer pochte ihr das Herz, und Jenny musste nun sowohl gegen ihre schwelende Wut ankämpfen als auch gegen die Gefühlsverwirrung, in die seine Berührung sie gestürzt hatte.
Simon sah zu ihr auf. „Ich möchte mich für die Durchsuchung entschuldigen.“
„Das war noch die geringste Ihrer Verfehlungen, Sir“, erwiderte sie und griff nach den Zügeln.
2. KAPITEL
Hoppla!“, rief Bryson. „Das Mädel fährt ja gar nicht nach Hause!“
„In der Tat“, meinte Simon und schwang sich in den Sattel. Er nahm die Zügel und wendete seinen schwarzen Hengst. „Ich werde ihr sagen, dass sie umkehren soll. Irgendetwas ist hier im Gange … und ich will nicht, dass sie heute Nacht an der Küste unterwegs ist.“
„Diese Männer, die wir vorhin gesehen haben, die hatten bestimmt Schmuggelware bei sich. Und das bei Vollmond – dreiste Burschen! Denen macht es gar nichts, ob wir sie sehen oder nicht.“
„Wenn wir sie aufhalten wollen, brauchen wir Verstärkung“, stellte Simon fest. „Reiten Sie am besten zurück nach Whithorn und verständigen Sie den Sheriff, damit er uns noch ein paar Dragoner und Küstenwächter schickt.“
„Mehr als ein Dutzend werden wir nicht zusammenbekommen“, murrte Bryson. „Die Kürzungen bei den Inspektoren sind hier an der Küste ein richtiges Problem.“
„Tun Sie, was immer in Ihrer Macht steht.“ Simon sah prüfend zum Himmel hinauf. „Diese Schmuggler haben irgendetwas vor, und ich will wissen, was.“
„Na, wenn Sie meinen … Wir kommen an den Aussichtspunkt bei der Kelpie’s Cave. Wissen Sie, wo die Höhle ist?“
„Weiß ich“, erwiderte Simon und preschte dann Jennys Pferdekarren hinterher, derweil Bryson und die Dragoner sich in nordöstlicher Richtung aufmachten.
Diesmal war sie leichter einzuholen, da sie in gemächlicherem Tempo unterwegs war. Als Simon auf einmal wieder neben ihr ritt, drehte sie sich überrascht nach ihm um und schaute ihn dann finster an.
„Haben Sie denn nichts Besseres zu tun, Sir Simon?“
„Miss Colvin“, sagte er milde, „Glendarroch ist nördlich von hier gelegen. Sie fahren indes nach Süden.“
„Es geht dich überhaupt nichts an, wohin ich fahre.“
„Ich verstehe durchaus, dass du wegen der Durchsuchung wütend auf mich bist. Aber was hätte ich tun sollen? Bryson hat es schon förmlich in den Fingern gejuckt, dir unter die Röcke zu greifen.“
„Dann sollte ich dir wahrscheinlich dafür danken, dass du dich wie ein Gentleman verhalten hast“, spottete sie und sah stur geradeaus.
„Keine Ursache. Und jetzt sag mir, wohin du fährst und was du vorhast.“
„Ich kümmere mich um meine Angelegenheiten, und du kümmerst dich um deine.“
„Das tue ich ja“, erwiderte er.
„Gewiss hast du doch richtige Banditen zu fangen und musst nicht mir die ganze Nacht nachstellen.“
„Ach, Miss Colvin, Sie sind ja noch viel reizender, als ich Sie in Erinnerung hatte.“ Er streckte den Arm aus und griff abermals Sweetheart beim Zaumzeug, um Pferd und Wagen aufzuhalten. Unter Jennys aufgebrachtem Blick sprang er aus dem Sattel, band seinen Hengst mit der Laufleine hinten am Karren an und kletterte neben Jenny auf den Sitz. Dann nahm er ihr die Zügel aus der Hand.
„Was genau willst du eigentlich?“, fragte sie verärgert.
„Dich sicher nach Hause bringen. Heute Nacht sind ein paar schlimme Jungs unterwegs.“
„Und einer davon sitzt neben mir. Halt, hör auf damit – ich werde nicht nach Hause fahren!“, begehrte sie auf, als er mit einem kurzen Schlag der Zügel die Stute gen Norden wendete, wo sich hinter den Moorflächen der Küste das Hügelland erhob.
„Ich begleite dich, wohin auch immer du willst, wenn du mir sagst, was du vorhast.“
„Das bezweifle ich.“ Sie verschränkte die Arme.
„Vertrau mir“, meinte er und lehnte seine Schulter an die ihre.
Jenny warf ihm einen bitterbösen Blick zu und schwieg.
„Na schön. Du hast allen Grund, auf mich wütend zu sein.“
„So ist es. Wie du damals einfach gegangen bist … das war gemein.“ Sie reckte ihr Kinn und wandte den Blick ab.
Simon betrachtete sie von der Seite. Im hellen Schein des Mondes sah er tiefen Schmerz in ihren Augen aufschimmern. Sie einst so sehr verletzt zu haben, versetzte ihm nun selbst einen Stich ins Herz. Vielleicht war es genau das, was er verdiente. Zumindest wusste er nun, dass ein langer Weg vor ihm lag, wollte er das Geschehene wiedergutmachen.
Fast schon gierig ruhte sein Blick im blaugrauen Dämmerlicht auf ihr. Oh, wie sehr er sie vermisst hatte! Ihre schlichte und doch so ungewöhnliche Schönheit nahm ihm immer noch den Atem. Ihre zarten, ebenmäßigen Gesichtszüge, die Augen von einem strahlenden Blau, das dunkel glänzende braune Haar, das ihr weich über die Schultern fiel und nun zu einem locker geflochtenen Zopf gebunden war, entsprachen genau den Erinnerungen, die er in seinem Herzen bewahrt hatte. Sie hatte sich kaum verändert, war etwas schlanker im Gesicht geworden, ihr Körper dafür gerundeter in weiblicher Vollendung. Davon hatte er sich soeben überzeugen können, als er sie durchsucht hatte – was ihm schier die Besinnung geraubt hatte.
Nun hier mit ihr zusammen zu sein, brachte denn auch fast seinen Entschluss ins Wanken, ihr gegenüber zurückhaltend und beherrscht zu sein. Seit Jahren schon hatte er von ihr geträumt, und nun stellte er fest, dass ihre Schönheit und ihr Wesen zur Reife gelangt waren. Ihre Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit, ihr wacher Verstand, ihr Mut und die Tatkraft, für die er sie immer bewundert hatte, waren ungebrochen – ebenso wie ihr Stolz und ihr feuriges Temperament.
Früher war ihm auch die Gunst ihres herzlichen Wohlwollens und ihrer Zärtlichkeit beschieden gewesen, und er hatte es stets verstanden, sie zum Lachen zu bringen, wenn sie zu ernst wurde. Aber heute Abend würde es ihm schwerfallen, ihr auch nur ein Lächeln oder ein freundliches Wort zu entlocken.
Plötzlich wünschte er sich nichts sehnlicher, als sie endlich wieder lächeln zu sehen. Er war sich des Kummers bewusst, den er ihr zugefügt hatte, und wusste, dass sie sich auch wegen ihres Vaters Sorgen machte. Sicher brach ihr beinah das Herz. Er seufzte tief.
„Jenny“, sagte er. „Ich hatte keineswegs beabsichtigt, was damals geschehen ist. Es gab gute Gründe für mein Verhalten, aber die kann ich dir hier und jetzt nicht erklären – nicht mitten in der Nacht, wo Banditen sich in der Nähe herumtreiben.“
„Ich will deine Erklärung gar nicht hören. Ich will …“ Ratlos warf sie die Hände in die Luft.
„Ich glaube, du willst wütend auf mich sein.“
„Jetzt schon. Aber dann will ich dich schnell wieder vergessen.“
„Ich habe dich nie vergessen.“
Sie schwieg einen Augenblick. „Warum bist du zurückgekommen, Simon?“
„Um schwarzgebrannten Whisky zu beschlagnahmen und gut versteckte Kupferkessel zu zählen – weshalb sonst?“, erwiderte er leichthin. „Um des Nachts an der Küste und in den Bergen auf Patrouille zu gehen und die Schmugglerbanden daran zu hindern, durch die Maschen des Gesetzes von König und Krone zu schlüpfen.“ Und um die Freunde und das reizende Mädchen wiederzufinden, die ich verloren habe, fügte er bei sich hinzu.
„Einst bist du auch durch die Maschen der königlichen Gesetze geschlüpft, und keineswegs ungern“, erinnerte sie ihn.
„Ich habe mich verändert“.
„Ich auch“, ließ sie ihn wissen. „Ich bin nun nicht mehr das arglose kleine Mädchen, das in Simon Lockhart seinen strahlenden Helden sieht.“
„Das kann ich dir nicht verübeln.“
„Dann sind wir ja einer Meinung.“ Sie sah beiseite und ließ ihren Blick über die fernen Hügel schweifen. Schwarz zeichneten sie sich gegen den violett gefärbten Himmel ab, an dem der Mond über einem leichten Wolkenschleier blass und hell erstrahlte.
„Hast du vor, auch die Kessel zu beschlagnahmen – wenn du sie denn findest – und die Brennereien stillzulegen?“, fragte sie.
„Einige schon“, meinte er.
„Wahrscheinlich wirst du fünf Pfund pro Kessel bieten und hoffen, dass die Leute sich freiwillig melden. Bryson und die anderen Inspektoren sind so vorgegangen.“
„So sieht es die Steuerbehörde vor. Ich habe allerdings den Verdacht, dass jeder, der seinen alten Kessel gegen die fünf Pfund eintauscht, sich von dem Geld sogleich einen neuen kaufen wird und mit der Schwarzbrennerei weitermacht.“ Er hob erwartungsvoll eine Augenbraue.
„Das kann ich mir nicht vorstellen“, meinte sie arglos. Simon lachte stillvergnügt.
„Jane Colvin“, sagte er und nannte sie mit gespielter Strenge bei ihrem Taufnamen, „nun aber mal ganz ehrlich: Wie viele Kessel hat Jock schon eingetauscht?“
„Jedes Jahr einige von den älteren aus seinen Destillerien – die du übrigens niemals finden wirst, weil wir nicht mit einem Verräter zusammenarbeiten“, meinte sie. „War das ehrlich genug?“
„Erschütternd“, entgegnete er.
„Warum bist du damals ohne ein Wort verschwunden?“
„Ich dachte, du wolltest meine Erklärung nicht hören.“
„Reine Neugier.“
„Ich werde es dir erzählen – aber nicht jetzt.“ Ich bin fortgegangen, weil ich dich zu sehr liebte, Jenny Colvin, und dich beschützen wollte, dachte er bei sich. Und weil ich für uns beide ein besseres Leben wollte.
Aber zunächst würde er behutsam wieder den Weg zu ihrem Herzen finden müssen. Die Liebe zu ihr, und auch sein verletzter Stolz, hatten ihn dazu bewegt fortzugehen. Doch von der Liebe hatte er zehren können – mit seinem Stolz rang er indes noch immer.
„Wirst du auch dort sein?“, fragte sie ihn plötzlich.
„Wo sein?“ Er sah sie kurz von der Seite an.
„Wenn mein Vater … wenn sie ihn … Der Galgen steht für morgen früh bereit.“
„Ich werde dort sein“, versprach er ihr. „Das bin ich Jock schuldig – und dir.“
Schweigend senkte sie den Kopf.
„Es tut mir leid, Jenny“, sagte er leise.
„Man darf einen Mann nicht für ein Verbrechen hängen, das er nicht begangen hat. Mein Vater ist kein Pferdedieb.“
„Jock hat mir genau dasselbe versichert. Der Sheriff sieht das leider anders. Was zum Teufel …“ Er zog die Zügel an und fuhr langsamer.
Ein knappes Dutzend Männer kam auf sie zu geritten. Sie führten noch einige weitere Pferde bei sich, und Simon überlegte, ob es wohl die Bande sein könnte, die sie vorhin schon gesehen hatten. Unmerklich schob er seine Hand unter den Mantel und berührte den Griff seiner Pistole.
„Das sind meine Leute“, beruhigte Jenny ihn.
„Ah ja. Jock Colvins Bande. The Royal – wie nennen sie sich doch gleich?“
„The Royal Defiance Bladder Band“, erwiderte sie. „Als sie sich den Namen ausgedacht haben, waren sie gerade nicht besonders gut auf den König und seine Gesetze zu sprechen.“
„Und betrunken“, fügte Simon trocken hinzu.
„Sturzbetrunken“, meinte sie. Er lachte leise, und sie stimmte unwillkürlich ein. Der Klang ihres Lachens ließ ihn ganz warm ums Herz werden. „Sie lieben ihren guten Glendarroch-Whisky eben sehr“, fuhr sie fort. „Immerhin ist es ja auch der beste Whisky an der ganzen langen Solway-Küste und vielleicht der beste in ganz Schottland.“
„Aber nur vierhundertneunundneunzig Gallonen“, knurrte er.
„Steuerfrei!“, fügte sie frohgemut hinzu. Simon sah sie belustigt an und verdrehte die Augen.
Der Anführer der Gruppe winkte ihnen zu. „Jenny Colvin!“, rief er.
„Onkel Felix!“, rief sie zurück. Als die Männer näher kamen, brachte Simon den Wagen ganz zum Stehen.
„Jenny, was soll das? Du sollst doch nicht nachts hier draußen unterwegs sein. Und was haben Sie bei meiner Nichte zu suchen, Sir?“, fragte Felix finster. Er war ein kräftiger Mann mit einem wild zerfurchten Gesicht und dunklem Bart.
Simon nickte ihm zu. „Sei gegrüßt, Felix Colvin.“
„Lockhart! Du bist zurückgekommen!“ Felix strahlte über das ganze Gesicht. „Er lebt und weilt wieder unter uns! Ein Wunder ist geschehen!“ Er drehte sich zu seinem Gefolge um – allesamt Cousins von ihm, wie Simon wusste, der manche von ihnen auch sogleich wiedererkannte. „Simon of Lockhart ist endlich zurück!“ Zwei oder drei der Männer lächelten und grüßten Simon, die anderen jedoch schauten argwöhnisch, unfreundlich und gar feindselig drein.
„Hallo Jungs“, sagte Simon unbekümmert, wenngleich der kühle Empfang seitens mancher seiner einstigen Bandenbrüder ihm mehr zusetzte, als er sich anmerken ließ. Nun, sagte er sich, das war eben der Preis dafür, dass er so lange von Glendarroch fortgeblieben war.
„Mädchen, fahr den Karren zurück nach Hause“, sagte Felix zu Jenny. „Simon, du kommst mit und erzählst uns, wo du gesteckt hast. Du kannst uns heute Abend dabei helfen …“
„Sei ruhig, Felix“, warnte Jenny ihn.
„… wir haben da nämlich noch was vor …“, fuhr Felix unverdrossen fort.
„Kommt ein Schiff an der Küste vorbei?“, fragte Simon.
„Sei bloß ruhig, Felix!“, sagte Jenny nun nachdrücklich.
„Aye, ein Logger von der Isle of Man, hat gute französische Ware geladen, die sie gerne gegen schottischen Whisky eintauschen wollen, und wir …“
„Er ist der neue Steuerinspektor!“, platzte Jenny heraus.
„Ach was“, sagte Felix. „Simon doch nicht, oder?“
„Doch, das stimmt“, erwiderte Simon. „Oberster Zoll- und Steuerinspektor, um genau zu sein.“
„Was?“ Felix tastete sofort nach dem Messer, das er gut verborgen bei sich trug.
„Er will dich nicht verhaften“, beschwichtigte Jenny ihn rasch. „Aber du solltest ihn besser nicht voreilig in eure Pläne einweihen.“
„Aye“, schnaubte Felix verächtlich.
Simon runzelte die Stirn. „Sollte heute Nacht wirklich noch ein Schiff erwartet werden, wüsste ich darüber gern Bescheid.“
„Was für ein Schiff?“, fragte Felix. „Hat hier jemand Schiff gesagt?“
„Was habt ihr denn dann Schönes vor?“, erkundigte sich Simon.
„Wir wollen Jock einen Besuch abstatten“, sagte Felix. „Nichts weiter.“
„Wollt ihm wohl einen schönen Schlaftrunk bringen und ein paar tröstende Worte sprechen, was?“
„So ist es.“ Felix nickte und sah Simon finster an. „Ich wüsst’ ja gern, wie du einer von denen geworden bist, nachdem wir dich alles über das Schmuggeln gelehrt haben. Und dann will ich auch wissen, was in der Nacht passiert ist, als du dich mit Jocks Beute davongemacht hast. Das war ein richtig herber Schlag für uns.“„Widrige Umstände“, meinte Simon. „Eines Tages werde ich alles erklären.“
„Ich werde mir das anhören“, sagte Felix, „oder auch nicht. Hängt davon ab, welche Sorte Inspektor du bist. Jenny, bring jetzt den Wagen zurück nach Glendarroch und bleib dort. Und Simon, wenn das da hinten dran dein Pferd ist, dann rate ich dir, dass du dich davonmachst – Sir“, fügte er hinzu, ohne die Miene zu verziehen oder die Hand vom Griff seines Messers zu nehmen.
„Ich werde Miss Colvin zurück nach Glendarroch begleiten“, entgegnete Simon.
„Ich kann alleine nach Hause fahren“, meinte Jenny.
„Hier draußen treiben sich üble Leute rum“, sagte Felix. „Du fährst mit Simon.“
„Aber Felix“, wandte sie leise ein. „Ich muss doch noch etwas erledigen.“
Felix nickte daraufhin, und die beiden sahen sich wissend an. Simon war wenig überrascht, dass weder Onkel noch Nichte sich erboten, den Zollinspektor einzuweihen.
Er hob gerade schon die Zügel und wollte sich von Felix verabschieden, da rannte auf einmal ein schlaksiger Junge auf sie zu. Simon erkannte in ihm Felix’ jüngsten Sohn, der nun auch schon fast zum Manne herangereift war. Er kam zum Pferdewagen herüber, nickte Simon schüchtern zu und schaute dann Jenny an.
„Nicky, was ist los?“, fragte sie ihn.
„Jenny, ich wollte dir nur sagen …“, Nicky kam noch näher, „Walter und ich haben heute Abend die Beauty gesehen! Wir haben Dad gleich davon erzählt, und er meinte, wir sollten uns heute Nacht von den Klippen fernhalten.“
„Die Beauty!“ Jenny sah ihren Onkel fragend an. „Was genau hast du gesehen?“
„Sie leuchtete so hell wie der Mond, rannte unten bei den Klippen am Strand entlang, gerade als die Flut kam“, sagte Nicky. „So etwas habe ich noch nie gesehen! Ein wunderschönes Pferd, vollkommen weiß – es funkelte fast wie Feenstaub. Es stellte sich schnaubend auf die Hinterbeine, dann galoppierte es davon und war verschwunden. Walter ist weggelaufen“, fügte Nicky hinzu, „aber ich bin geblieben und habe es mir angeschaut. Es galoppierte hinter ein paar Felsen und war plötzlich nicht mehr zu sehen.“
„Das ist ja allerhand, Nicky“, meinte Jenny. „Bist du dir auch ganz sicher?“
„Aye. Wunderschön anzusehen, aber ein böses Omen.“
„Die Beauty?“, fragte nun Simon. „Du meinst diese alte Geschichte?“
Jenny wandte sich zu ihm um. „Erinnerst du dich noch daran? Die Beauty soll ein den Kelpies verwandtes Geschöpf sein, ein weißes Pferd, das in manchen Vollmondnächten aus dem Meer steigt.“
„Meist kurz bevor sich irgendetwas Schlimmes ereignet. Aber soweit ich mich erinnere, haben nur wenige die Beauty jemals gesehen.“
„So ist es“, pflichtete Felix ihm bei. „Hin und wieder taucht sie hier an der Küste des Solway Firth auf, und das schon seit Jahrhunderten. Ich habe sie aber nie mit eigenen Augen gesehen. Ein sehr böses Omen, in der Tat.“ Er blickte zum Mond hinauf, der gerade halb von dunklen Wolken verdeckt war. „Irgendeine arme Seele wird noch in dieser Nacht den Tod finden. Und das kommt jetzt wirklich ungelegen, wo doch …“ Er verstummte und sah Simon an.
„Ich habe vorhin eine große Gruppe bemerkt, die etwas weiter nördlich unterwegs war“, meinte dieser. „Ungefähr dreißig Mann und bestimmt noch einmal doppelt so viele Pferde, robuste Tiere mit schweren Lasten auf dem Rücken. Können eigentlich nur Schmuggler gewesen sein. Ihr wart nicht zufällig mit dabei?“
„Bei denen? Och nö.“ Felix schüttelte den Kopf. „Das war bestimmt Captain MacSorleys Bande. Früher haben wir ja mal mit denen gemeinsame Sache gemacht – damals, als du noch dabei warst, Simon Lockhart … Sir Simon.“
„Wie könnte ich das vergessen?“, murmelte Simon. Angus MacSorley war im selben Alter wie Jock und Felix, und Simon war oft dabei gewesen, wenn die drei mit ihren Schmuggelkumpanen unterwegs waren.
„Heutzutage sind MacSorley und seine Leute aber eher Piraten als Schmuggler. Jock und ich haben mit dieser Bande nichts mehr zu tun.“ Felix betrachtete Simon mit düsterem Blick. „Wenn du dich fragen solltest, ob MacSorley Jock das eingebrockt hat – ich denke schon.“
„Hast du dafür Beweise?“, fragte Simon.
„Keinen einzigen, aber ich spür’s in meinen alten Knochen. Wenn du deine Arbeit als neuer Zollinspektor gut machen willst, dann solltest du ein Auge auf MacSorleys Bande haben. Die werden dich nicht so schnell zur Ruhe kommen lassen.“
„Weshalb ich gewiss keine Zeit mehr finden werde, ein Auge auf dich zu haben.“
Felix grinste. „Könnte sein. Aber ich meine das ernst, beim Leben meiner Mutter. Wenn du den Captain aufspürst, dann hast du den Mann, der Jock Colvin aus dem Weg räumen und den Whiskyschmuggel hier an der Küste für sich allein haben will.“
Simon nickte nachdenklich. Dann sah er Jenny an. „Wenn da etwas dran ist, werde ich es herausfinden“, versprach er ihr.
„Tu das. Bitte“, sagte sie, und ihr flehender Ton überraschte ihn.
„Ich denk mal, in dieser Nacht werden sie wohl auf dem Weg zur Küste sein“, meinte Felix. „Wenn du und deine Dragoner sie heute noch aufhalten, bevor sie ihren Handel gemacht haben, wären manch andere dir sehr dankbar dafür.“
„Schmuggelhandel bei Vollmond?“, fragte Simon skeptisch.
„Manchmal muss es sein – gefallen tut uns das nicht“, sagte Felix. „Wenn es unser Geschäft wäre, würden wir natürlich hoffen, dass du nicht so genau hinschaust. Aber bei denen … na ja.“
Simon gab Jenny die Zügel. „Fahren Sie schon einmal zurück nach Glendarroch, Miss Colvin. Nicky, mein Junge“, wandte er sich dann an den jungen Mann. „Sieh zu, dass deine Cousine sicher nach Hause kommt.“ Geschwind sprang er von dem Pferdewagen, und Nicky kletterte neben Jenny auf den Sitz.
Simon machte den schwarzen Hengst vom Karren los und saß auf, doch bevor er in Richtung der Klippen davonpreschte, drehte er sich noch einmal um.
Er schaute über die Schulter zurück und begegnete Jennys Blick. Mit großen Augen beobachtete sie ihn. Im blassen Schein des Mondes sah sie wunderschön aus, zart und irgendwie verletzlich. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er sie schon wieder ohne ein Wort verließ, und das bereitete ihm Unbehagen.
Er beugte sich zu ihr herab. „Ich werde zurückkommen. Das verspreche ich dir“, sagte er leise. Während sie ihn weiterhin schweigend ansah, gab er seinem Pferd die Sporen und ritt davon.
3. KAPITEL
Nachdem sie den Karren in eine Lichtung zwischen Ginsterbüschen und Weißdornbäumen gezogen hatte, schirrte Jenny Sweetheart ab. Nahe des kleinen Bachs, der hier reißend schnell mitten durch das Moor floss, band sie die Stute an einem kräftigen Ast an. Dann nahm sie die Laterne vom Wagen, drehte den Docht herunter, bis das Licht nur noch schwach schien, und schob die Blende vor das Lichtfenster.
Da sie keineswegs beabsichtigte, nach Hause zu fahren, hatte sie Nicky gebeten, zu der Gruppe ihres Vaters zurückzukehren, was der Junge auch nur zu gern tat. Sie erinnerte ihren Onkel daran, wie Jock sie gebeten hatte, heute Nacht etwas für ihn zu erledigen. Daraufhin hatte Felix sie bereitwillig gehen lassen und ihr seinerseits versprochen, sie später an den Klippen zu treffen, um ihr zu helfen.
Als Jenny sich nun umsah, konnte sie weit und breit niemanden entdecken. Geschwind lief sie von der Lichtung hinüber zu den Klippen. Kalt und gespenstisch schien der Mond auf das offene Moorland. Unten in der Bucht toste laut die Flut. Schaumig weiße Wogen brandeten an dunkles Felsgestein und strömten über den Strand.
Bislang hatte Jenny diesen Teil der Küste mit seinen steilen Klippen und weitverzweigten Höhlen eher gemieden. Es hieß, dass ein wahrhaft verwirrendes Wabennetz von Höhlen und unterirdischen Gängen sich über Meilen unter dem Moor erstreckte. Zudem sollten dort unheimliche Geschöpfe hausen. Sie erinnerte sich noch gut an die Geschichten aus ihrer Kindheit, die von den schönen und ebenso schrecklichen Kelpies erzählten, die in der Gestalt von Pferden dem Meer entstiegen. Oder an die Erzählungen von den bösen Feen und dem Geist des verschollenen Dudelsackspielers.
Ihr gesunder Menschenverstand sagte Jenny indes, dass die Höhlen auch ohne derlei übernatürliche Beigaben gefährlich waren, denn sie wurden von den Schmugglern benutzt. Wenngleich Jock Colvin und seine Bande ihr Schmuggelgut zwar nicht dort versteckten – die rasch steigende Flut war einfach zu unberechenbar – so scherten andere sich nicht um die gruseligen Erzählungen und tückischen Gezeiten und betrieben ihren Schmuggel seit Jahren schon von der Kelpie’s Cave aus.
Als sie sich nun daran erinnerte, dass Nicky heute die Beauty gesehen haben wollte, jenes legendäre weiße Pferd, das an der Küste des Solway Firth umging, verspürte Jenny kurz ängstliches Unbehagen. Im nächsten Moment hingegen tat sie die Geschichte als bloße Einbildung ab – hatte auch sie nicht schon geglaubt, in den hohen, von weißer Gischt gekrönten Wellen die Gestalt eines Schimmels zu erkennen?
Ihr Ziel waren die Höhlen tief in den Klippen, und von einem unbestimmten Gefühl der Angst würde sie sich gewiss nicht davon abhalten lassen, zu tun, was getan werden musste. Sie hatte ihrem Vater versprochen, hier nach dem zu suchen, was ihm gestohlen worden war.
Fünfzig Fässer besten Glendarroch-Whiskys waren nämlich aus jenen Höhlen weiter die Küste entlang gestohlen worden, in denen Jock sein Schmuggelgut lagerte. Unten im Süden würden die Fässer ein Vermögen wert sein, denn die Nachfrage nach Whisky aus Glendarroch war hoch. Jock hegte den Verdacht, dass MacSorley sie ihm gestohlen hatte, und hatte deshalb seine Tochter gebeten, die Wahrheit herauszufinden.
Es war bekannt, dass MacSorleys Bande an der Kelpie’s Cave ihr Unwesen trieb, und so hatte Jenny sich bereit erklärt, dort nach den verschwundenen Fässern zu suchen. Wenn sie fündig wurde, solle sie umgehend Jocks Leuten Bescheid geben, damit sie den gestohlenen Whisky zurückholten und Rache für den Diebstahl übten.
Ihr Vater hatte sie eindringlich ermahnt, nur dann in die Höhlen zu gehen, wenn die Flut weit draußen war und MacSorleys Leute anderswo beschäftigt waren. Jenny wusste zwar, dass MacSorley und seine Kumpane noch auf dem Moor unterwegs waren, doch Simon Lockharts Rückkehr war ein Schock für sie gewesen – und hatte sie eine ganze Weile aufgehalten.
Wer auch immer Jocks Whisky gestohlen hatte, könnte ihn auch des Pferdediebstahls bezichtigt haben, um sich einen Konkurrenten beim Schmuggeln von Waren vom Hals zu schaffen. Ihr Vater hatte ihr nachdrücklich versichert, er könne nur dann in Frieden sterben, wenn er wisse, dass sein beträchtliches Vermögen in Form besten Whiskys nicht verloren war.
Am Rande der Klippen angekommen, sah Jenny sich erneut um und stellte erleichtert fest, dass weit und breit niemand zu sehen war. Als sie einen steilen, unwegsamen Pfad zum Strand hinunterkletterte, war sie für den hell scheinenden Mond dankbar, der ihr den Weg zur Mündung der dunklen Höhle wies.
Das Gestein war nass und gefährlich glitschig, und vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen. Das Mondlicht brach sich auf der bewegten See, und weiß schäumende Wellen brandeten an den Strand. Immer weiter drangen die wogenden Fluten in die Höhlenmündung vor. Über den Strand könnte sie nicht mehr in die Höhle gelangen.
Das Wasser stand bereits so hoch, dass es den weiten dunklen Schlund füllte, und so kletterte Jenny weiter, bis sie zu der Stelle kam, von wo man auf einem Felsgesims, das halbmondförmig geschwungen im Innern der Höhle verlief, hineingelangen konnte.
Jenny folgte dem Gesims, das einen von der Natur geschaffenen Weg bildete, der weit in die Höhle hineinführte. Mit einer Hand raffte sie ihren Rock und ihren Umhang hoch, denn die Wellen schwappten bereits über den Rand des Simses. In der anderen Hand hielt sie ihre Laterne.
Vorsichtig lief sie dicht an der feuchten, leicht gewölbten Felswand entlang. Auf einmal jedoch barst über ihr ein plötzlicher Ansturm von Lärm und Bewegung, sodass sie erschrocken aufschrie und si