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Der Teufel und die Lady
Nicht umsonst nennt man James Vaughn, Earl of Somerset, den Vollstrecker. Gnadenlos verfolgt er Aufrührer wie Lady Brennas Vater. Nur die Heirat der jüngeren Tochter mit James kann sein Leben retten. Anstelle ihrer ängstlichen Schwester schlüpft Brenna in die Rolle der Braut. Denn sie weiß mit einem Messer umzugehen und will den vermeintlichen Feind in der Hochzeitsnacht erdolchen. Doch sie scheitert. Brenna wird in Ketten gelegt, ihr Protest vom zornigen Gemahl erstickt: mit einem glühenden Kuss, der sie verwirrt und erregt. Hat sie mit ihrem wilden Temperament in ihrem teuflisch attraktiven Ehemann verborgene Leidenschaften erweckt?
Erscheinungstag: | Di, 24.08.2010 |
Bandnummer: | 0226 |
Seitenanzahl: | 320 |
ISBN: | 9783942031899 |
E-Book Format: | ePub oder .mobi |
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Die gute Tochter
"Lauf!", fleht ihre große Schwester Samantha. Mit vorgehaltener Waffe treiben zwei maskierte Männer Charlotte und sie an den Waldrand. "Lauf weg!" Und Charlie läuft. An diesem Tag. Und danach ihr ganzes Leben. Sie ist getrieben von den Erinnerungen an jene grauenvolle Attacke in ihrer Kindheit. Die blutigen Knochen ihrer erschossenen Mutter. Die Todesangst ihrer Schwester. Das Keuchen ihres Verfolgers.
Als Töchter eines berüchtigten Anwalts waren sie stets die Verstoßenen, die Gehetzten. 28 Jahre später ist Charlie selbst erfolgreiche Anwältin. Als sie Zeugin einer weiteren brutalen Bluttat wird, holt ihre Geschichte sie ganz ungeahnt ein.
"Die gute Tochter" ist ein Meisterwerk psychologischer Spannung. Nie ist es Karin Slaughter besser gelungen, ihren Figuren bis tief in die Seele zu schauen und jede Einzelne mit Schuld und Leid gleichermaßen zu belegen.
"Die dunkle Vergangenheit ist stets gegenwärtig in diesem äußerst schaurigen Thriller. Mit Feingefühl und Geschick fesselt Karin Slaughter ihre Leser von der ersten bis zur letzten Seite."
Camilla Läckberg
"Eine großartige Autorin auf dem Zenit ihres Schaffens. Karin Slaughter zeigt auf nervenzerfetzende, atemberaubende und fesselnde Weise, was sie kann."
Peter James
"Karin Slaughter ist die gefeiertste Autorin von Spannungsunterhaltung. Aber Die gute Tochter ist ihr ambitioniertester, ihr emotionalster - ihr bester Roman. Zumindest bis heute."
James Patterson
"Es ist einfach das beste Buch, das man dieses Jahr lesen kann. Ehrlich, kraftvoll und wahnsinnig packend - und trotzdem mit einer Sanftheit und Empathie verfasst, die einem das Herz bricht."
Kathryn Stockett
„Die Brutalität wird durch ihre plastische Darstellung körperlich spürbar, das Leiden überträgt sich auf den Leser.“
(Hamburger Abendblatt)
„Aber es sind nicht nur die sichtbaren Vorgänge und Handlungen von guten oder schlechten Individuen, die die (…) Autorin penibel genau beschreibt. Es sind vor allem die inneren, die seelischen Abläufe, die überzeugen.“
(SHZ)
„Das alles schildert Slaughter mit unglaublicher Wucht und einem Einfühlungsvermögen, das jedem Psychotherapeuten zu wünschen wäre.“
(SVZ)
„Die aktuelle Geschichte um die Quinns ist eine Südstaaten-Saga der besonderen Art, von der ihr nicht weniger erfolgreiche Kollege James Patterson sagt, sie sei ‚ihr ambitioniertester, ihr emotionalster, ihr bester Roman. Zumindest bis heute‘.“
(Focus Online)
„Die Autorin hat hier ein ausgezeichnetes Buch vorgelegt, dass mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt hat.“
(Krimi-Couch.de)
„Es gibt Bücher, bei denen man das Atmen vergisst. Die Romane der amerikanischen Schriftstellerin gehören dazu. So auch dieser Pageturner. (…) Karin Slaughter versteht es meisterhaft, glaubwürdige Charaktere zu erschaffen und ihre Leser fortwährend zu überraschen.“
(Lebensart)
„Atmosphärisch dichter Thriller über die sozialen Gespinste einer Kleinstadt, psychologisch sehr stimmig, mit vielen Schichten und Überraschungen.“
(Bayrischer Rundfunk)
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1. KAPITEL
Lady Brenna genoss ihre Verbannung in den moderigen Nordturm durchaus.
Höchst befriedigt über ihr Aufbegehren ließ sie ihre Tunika zu Boden sinken, setzte sich nackt auf einen dreibeinigen Hocker und griff nach einem ihrer vielen Pinsel, um das festzuhalten, was sie im Spiegel erblickte.
Allein und abgeschieden von den übrigen Burgbewohnern genoss sie es zutiefst, endlich die Kleider ablegen zu können, die sie als bloße Schachfigur in einer kriegerischen, von Männern beherrschten Welt auswiesen. Ihre Weigerung zu heiraten und ihr Bestehen darauf, in ein Kloster einzutreten, hatte nicht gerade die Zustimmung ihres Vaters gefunden.
Der Duft von Lavendelöl breitete sich aus, als sie mit dem Pinsel über das Pergament strich, und verwandelte so die Kammer, in der man sie gefangen hielt, in einen beinahe geheiligten Zufluchtsort.
Hier konnte sie malen. Hier konnte sie träumen. Hier war sie befreit von allen gesellschaftlichen Zwängen und Pflichten.
Die Pinselspitze hinterließ einen blutroten Strich auf dem Pergament – die Farbe der Leidenschaft, mit der Brenna das Abbild einer nackten jungen Frau mit widerspenstigem kupferrotem Haar auf dem Kopf und am Schoß wiedergab. Ein Aktbild von ihr selbst, gemalt, während sie immer wieder in den kleinen Spiegel sah. So viel lebendiger und reizvoller als die vielen braven Gemälde von Heiligen und Engeln, die überall in der Kammer herumstanden.
Jemand machte sich am Riegel ihrer Kammertür zu schaffen. Brenna sprang auf und verschmierte prompt die gerade aufgetragene Farbe. „Verdammt!“, fluchte sie. In fieberhafter Eile zog sie ihre Tunika an und warf hastig ein Tuch auf das Pergament, gerade noch rechtzeitig, bevor die Tür aufflog. In diesem Moment fiel auch der dreibeinige Hocker geräuschvoll um.
„Brenna, du musst uns helfen!“ Ihre Schwester Gwyneth stürzte in die Kammer, gekleidet in eine zerknitterte silberblaue Hochzeits-Houppelande mit langen Flügelärmeln. Eine riesige Hörnerhaube mit langem Schleier wippte bedenklich auf ihrem Kopf. Ihre blonden Locken flogen, zusammen mit den Pompons aus weißem Hermelin, die ihre Kleidung halten sollten.
Mit klopfendem Herzen stellte Brenna sich vor ihre Miniatur, wie eine Mutter, die ihr Kind beschützt. Sie war vor einem Jahr in diesen Turm verbannt worden, weil sie sich ein eigenes Leben gewünscht hatte, eine Chance, selbst ihren Weg in der Welt zu machen. Sie hatte ihrem Vater getrotzt, hatte sich geweigert zu heiraten und ihm angedroht, ins Kloster zu gehen. Wenn er ihre erotischen Arbeiten fand, würde er ihre Malutensilien verbrennen. Wenn der oberste Geistliche der Stadt, Bischof Humphrey, sie entdeckte, würde Brenna selbst verbrannt werden.
„Mein Bräutigam … James … die Hochzeit …“ Die Worte sprudelten nur so über Gwyneths Lippen, von Wort zu Wort wurde ihre Stimme schriller. Immer mehr goldblonde Strähnen lösten sich aus ihrer Frisur, als hätte Gwyneth sich vor lauter Angst und Furcht die Haare gerauft. Die Hörnerhaube rutschte endgültig zur Seite und wurde nur noch von einer Haarnadel gehalten.
Brenna stellte ihren Pinsel in einen Krug mit Lavendelöl und zwang sich zu einer gefassten Miene, als ihre Schwester auf sie zutrat. „Die Hochzeit hat doch heute Morgen stattgefunden, nicht wahr?“ Sie hatte nach Jubelrufen gelauscht, die in der Großen Halle schon vor Stunden hätten ertönen müssen, war dann aber zu dem Schluss gekommen, dass es vielleicht zu wenig Gäste waren, um sie bis hier hinauf hören zu können.
„Papa … in den Wäldern … Sonnenaufgang …“ Mit bebenden Händen hastete Gwyneth in der Kammer hin und her. Dabei stolperte sie fast über ein Gemälde, das die Geburt Christi darstellte und zum Trocknen auf dem Boden lag.
Brenna schürzte die Lippen, ihre Sorge wegen des erotischen Bildes verflog. Gwyneth war viel zu aufgelöst, ihr wäre nicht einmal aufgefallen, was es zum Ausdruck brachte, selbst wenn sie es gesehen hätte. „Nun atme erst einmal tief durch, Schwester.“
Nach Luft schnappend, legte Gwyneth die Hand auf den Ärmel von Brennas schlichtem Gewand. Die weiche Hand wirkte irgendwie fehl am Platz auf dem farbverschmierten, abgetragenen Stoff. „Papa ist gefangen genommen worden!“, stieß sie endlich hervor.
Brennas Magen fühlte sich an, als wäre er ein eiskalter Klumpen. „Großer Gott! Was ist passiert?“
„Papa hat die Hochzeitsgäste auf ihrem Weg hierher aus dem Hinterhalt angegriffen – und ‚der Vollstrecker‘ hat ihn als Geisel genommen.“
Der Vollstrecker.
James Vaughn, Earl of Montgomery. Ein Freibeuter des Königs mit der Aufgabe, Schmuggler und Rebellen zur Strecke zu bringen.
Der Verlobte ihrer Schwester.
„Hölle und Verdammnis“, fluchte Brenna, zuckte aber sofort zusammen, als sie sich daran erinnerte, wie ihr Vater sie geschlagen hatte, als sie das letzte Mal solche Worte in den Mund genommen hatte. Sie packte die Schultern ihrer Schwester. Der Vollstrecker bestrafte jeden, der es wagte, die Autorität des Königs infrage zu stellen. Man sagte ihm nach, dass er ganze Schiffsmannschaften tötete und die redlich erworbenen Waren beschlagnahmte, dass er mordete und stahl – und alles im Namen der Krone.
Sie und ihr Vater mochten ihre Auseinandersetzungen haben, aber er war immer noch ihr Vater. Sie wollte nicht, dass er durch die Hände eines Ungeheuers umkam.
„Papa hat versucht, die Hochzeit zu verhindern.“
Das eisige Gefühl schlug um in Zorn. Verzweiflung überfiel sie, weil sie hier in dieser Kammer eingesperrt sein musste und so wenig von den Vorgängen außerhalb dieser erfuhr. „Das ist doch wohl … Papa ist ein Dummkopf, wirklich! Warum, zum Teufel, hat er dem Earl einen Hinterhalt gelegt? Ich dachte, er wollte, dass du ihn heiratest!“ Am liebsten hätte sie noch hinzugefügt: „Und du tust schließlich immer alles, was man dir sagt.“ Aber sie hielt sich gerade noch zurück.
„Das wollte er auch. Aber ich … ich …“ Tränen strömten über Gwyneths blasses, herzförmiges Gesicht.
Brenna widerstand nun dem Bedürfnis, ihre Schwester zu schütteln. „Erzähle es mir.“
„James of Montgomery ist ein U…Ungeheuer! Er hat seine letzte Gemahlin kaltblütig ermordet.“ Gwyneth schlug die Hände vor das Gesicht und begann laut zu weinen. „Ich wollte ihn nicht heiraten – und das sagte ich Vater – und da …“
Brenna schnalzte mit der Zunge. Sie fasste Gwyneth an den Schultern, führte sie zu dem großen Himmelbett und setzte sich mit ihr darauf. Sie nahm ihre Schwester fest in den Arm, während Gwyneth Unzusammenhängendes vor sich hinstammelte. Ihre Augenbrauen waren frisch gezupft, und die typischen Hochzeitsdüfte hafteten ihr an – frischer Lavendel, der Geruch von Seide und Wildblumen.
Tief im Herzen empfand Brenna einen Stich der Eifersucht. Sie beide hatten sich geweigert zu heiraten. Doch ihr Vater hatte sie deswegen zur Strafe eingesperrt, während er zu Gwyneths Verteidigung einen Krieg angezettelt hatte!
Entschlossen verdrängte sie das unangenehme Gefühl und betrachtete die Vase mit dem dunkelroten Fingerhutstrauß auf ihrem Maltisch. Alle anderen hatten sie vergessen, nur Gwyneth brachte ihr immer wieder Blumen mit. Es war nicht die Schuld ihrer Schwester, dass ihr Vater sie Brenna gegenüber bevorzugte.
Gwyneth schniefte und rieb sich die Augen. Vom Bett aus spähte Brenna durch die offene Tür und drückte ihre Schwester noch heftiger an sich. Jetzt war die perfekte Gelegenheit zu fliehen. Sie war vorbereitet – Gold und Lebensmittel befanden sich in einem Bündel unter ihrem Bett, dazu Tontöpfe mit Farben und ihr Lieblingspinsel, der winzige aus Schweineborsten. Sie besaß einen Brief von Mutter Isabella, der Äbtissin von La Signora del Lago, einem Nonnenkloster in Italien irgendwo am Meer.
Bruder Giffard, der Wanderprediger, hatte für sie die Passage auf einem Schiff gebucht, das Ende der Woche in See stechen sollte. Es war eine Reise voller Gefahren, aber es war eine Eskorte für sie bereitgestellt worden. Brenna hatte vor, bei ihrem Bruder Zuflucht zu suchen, bis sie nach Italien aufbrechen konnte. Wenn Nathan gewusst hätte, dass sie kommen wollte, hätte er sicher versucht, sie daran zu hindern. Aber er würde sie niemals abweisen, wenn sie plötzlich vor seiner Tür stand. Außerdem hatte sie monatelang den Umgang mit einem Messer geübt, um sich notfalls selbst verteidigen zu können. Es würde ein Leichtes sein, ihr Bündel zu nehmen und zu fliehen, solange die Tür offen stand und Chaos in der Burg herrschte. Ihre Schwester würde Montgomery heiraten, ihr Vater die Freiheit wiedererlangen, und sie, Brenna, würde bereits weit fort sein, ehe überhaupt jemand bemerkte, was geschehen war.
Gwyneth schien sich ein wenig zu beruhigen. Sie wandte ihr tränenüberströmtes Gesicht Brenna zu und begann, an den Perlmuttknöpfen ihrer Houppelande zu nesteln.
„Gwyneth! Was tust du da?“
„Montgomery will Vater bei Sonnenuntergang hängen lassen, wenn ich nicht einwillige, ihn zu heiraten. Aber das kann ich nicht. Du musst mir helfen.“
Ach, du liebe Güte. Brenna löste Gwyneths Finger von den Knöpfen und strich beruhigend über ihre Hand. „Ruhig, Schwester. Montgomery ist ein Earl, ein sehr wohlhabender noch dazu. Es ist kein Opfer, ihn zu heiraten.“
„Brenna“, stieß Gwyneth schluchzend hervor, „ich … ich habe ihn auf dem Jahrmarkt gesehen. Er ist eine Ausgeburt der Hölle. Beinahe hätte er mit bloßen Händen einen Mann totgeschlagen! Er ist riesengroß und stark. Es bedurfte dreier kräftiger Männer, ihn von dem Unglücklichen wegzuzerren.“
„Er wird gewiss einen Grund gehabt haben.“
„Nein, Schwester, den hatte er nicht. Der Mann hatte nur ein paar Tropfen Ale auf sein neues Wams verschüttet. Adele und ich waren ihm vom Turnierplatz aus gefolgt, weil wir ihn einmal ohne Rüstung und Helm sehen wollten. Er ist ein abstoßendes, narbiges Ungeheuer, sein Gesicht ist voller weißer, wulstiger Narben. Kinder laufen schreiend weg, wenn sie ihn sehen.“ Mit einem Ruck zog Gwyneth einen gefährlich aussehenden Dolch aus dem Mieder ihres üppigen Gewandes. Die Klinge war kurz, nicht länger als die Handfläche einer Frau, wirkte aber außerordentlich scharf. Ein Rubin schimmerte auf dem Heft. „Unsere Familie wird nie in Sicherheit sein, wenn ich ihn heirate. Er muss sterben!“
Ihre Schwester hatte den Verstand verloren. „Beruhige dich, Gwyneth. Das ist doch albern. Du kannst gar keinen Menschen ermorden.“
„Nein, Schwester, ich nicht – aber du!“
„Ich?“
Gwyneth schwenkte den Dolch und zeigte mit seiner Spitze auf eine hölzerne Zielscheibe, die halb verdeckt wurde von einer großen Leinwand, auf der ein strahlender auferstandener Christus inmitten seiner ihn anbetenden Jünger zu sehen war. Leinwand – ein Geschenk von Bruder Giffard – statt Holztafeln oder Pergament zu benutzen, war für Brenna etwas ganz Neues, daher war sie so besonders stolz auf dieses Bild.
„Ich weiß, wie gut du mit einem Messer umgehen kannst“, fuhr Gwyneth fort. Ihr fiel das neue Gemälde gar nicht auf. „Und dass du heimlich damit übst.“
Brenna zuckte ertappt zusammen und war gleichzeitig ein wenig enttäuscht, weil Gwyneth die Leinwand gar nicht bemerkte. Es stimmte, sie hatte viele Stunden damit verbracht, Messer auf die Holzscheibe zu werfen, als Vorbereitung auf ihre Reise nach Italien. Aber sie war doch keine Mörderin! „Meine Messer sollen beschützen!“
„Dann beschütze uns.“ Gwyneth hielt den Dolch hoch in die Luft. Die scharfe Klinge bebte in ihrer zitternden Hand. „Töte den Vollstrecker. Das hier ist ein ganz besonderer Dolch – l’occhio del diavolo.“
Italienisch, die Sprache, die Brenna studiert hatte. L’occhio del diavolo. Das Auge des Teufels. Was für ein seltsamer Name für einen Dolch.
Brenna sprang auf. Sie musste unbedingt etwas unternehmen, ehe ihre Schwester sich noch selbst eine Verletzung zufügte. „Gib mir das, du Dummchen. Hier wird niemand getötet.“ Sie nahm die Waffe, trat an ihren Tisch und schob die Schalen beiseite, in denen sie ihre Farben mischte. Ein paar Pinsel fielen zu Boden, der Geruch von Terpentin und Lavendelöl breitete sich aus. Behutsam legte sie den Dolch ans andere Ende des Tisches und zog gleichzeitig mit einer flinken Handbewegung den Lappen ein Stück weiter über ihr Aktgemälde. Auf Gwyneths betretenen Blick hin fügte sie rasch hinzu: „Du wirst dir noch deine schönen Hände verunstalten, Schwester.“
„Zum Teufel mit meinen Händen.“
In diesem Moment stürmten Duncan, ein lebhafter schwarzbrauner Terrier, und die schmächtige Adele, Brennas jüngere Schwester, in die Kammer. Auch Adele trug ein Festtagsgewand aus schwerem dunkelblauem Samt mit modisch geschlitzten Flügelärmeln, ihr Kopf zierte eine hohe Spitzhaube. Unter dem einen Arm hatte sie sich St. Paul geklemmt, ihren grauen Kater, in der anderen Hand hielt sie ihren Stock. Ihr lockeres schwarzes Haar bauschte sich um ihre Schultern und reichte bis zu dem bestickten goldenen Gürtel um ihre Hüften. Panthos, ihr riesiger grauer Mastiff, stand neben ihr und hechelte.
Sich schwer auf ihren Stock stützend, bahnte Adele sich ihren Weg durch die überall herumliegenden und -stehenden bemalten Holztafeln, wobei sie ihnen ebenso wenig Aufmerksamkeit schenkte wie Gwyneth. „Montgomery hat die Burg erreicht! Vater ist gefesselt und wird auf den Knien über den Burghof geschleift. Beeil dich! Du musst während der Trauung Gwyneths Stelle einnehmen und Montgomery heute Nacht töten.“
Brenna sah ihre beiden Schwestern abwechselnd an. Wie konnten sie das von ihr verlangen, nach allem, was sie durchgemacht hatte, ohne je eine von ihnen um Hilfe gebeten zu haben? Sie ließ den Blick über all die Gemälde von Heiligen und Engeln schweifen, die in den letzten Monaten ihres Eingesperrtseins ihre Gefährten gewesen waren. „Ich werde niemanden töten.“
„Du musst“, drängte Gwyneth. „Du bist die Einzige, die eine Chance hat.“
Der Mastiff bellte und Adele streckte die Hand aus, um ihn zu beruhigen. Ihr ovales Gesicht wirkte nachdenklich. „Unser Sieg beginnt mit Montgomerys Tod. Wir werden Pater Peter in den Brauttausch einweihen. Sobald du siehst, dass in der Kammer auf der gegenüberliegenden Seite des Bergfrieds die Kerze erlischt, musst du den Vollstrecker im Hochzeitsgemach ermorden. Das Ausgehen des Lichts wird für dich auch das Zeichen dafür sein, dass unsere Männer zur Stelle und bereit sind, die Burg zurückzuerobern und unseren Vater zu befreien.“
„Und dann würde dein Vater dich lieben“, flüsterte ihr eine dunkle Stimme in ihrem Kopf zu. „Dann wärst du keine Last mehr, sondern eine Heldin.“
„Das ist doch Wahnsinn.“ Aus Gewohnheit fasste Brenna nach dem großen Holzkreuz, das sie normalerweise um den Hals trug. Als sie merkte, dass das an diesem Tag nicht der Fall war, griff sie nach einem Pinsel und drehte ihn zwischen ihren Fingern. „Ich werde eine Braut Christi sein. Ich kann niemandem ein Leid zufügen.“
Gwyneth verdrehte die Augen. „Wie Vater schon sagte, du bist nicht für ein Leben im Kloster geeignet.“
„Trotzdem habe ich fest vor, mein Leben Gott zu weihen.“ Brenna zeigte auf die unzähligen religiösen Gemälde in der Kammer und hoffte, ihren Entschluss damit deutlicher zu machen. Sie wollte verdammt sein, wenn sie so enden sollte wie ihre Mutter – einen sie nicht weiter beachtenden Gemahl von vorne bis hinten zu bedienen und dazu noch eine Horde von Kindern zu versorgen, bis sie vor lauter Erschöpfung zusammenbrach. Dann schon lieber ein Leben im Kloster.
Die Tatsache, dass Bischof Humphrey sich weigerte, auch nur eines ihrer Werke in der Kathedrale aufzuhängen, und sei es in der verborgensten Nische, war ein weiterer Beweis, warum sie England verlassen und nach Italien reisen musste. Dort konnte sie in ein Nonnenkloster eintreten und eine eigenständige Persönlichkeit werden.
„Ich habe dich doch beobachtet“, beharrte Adele. „Du gehst mit einem Dolch genauso geübt um wie mit dem Pinsel. Du kannst das schaffen!“
„Ein paar Monate Übung machen einen nicht gleich zum Meister …“
„Du kannst es schaffen!“ Gwyneth wirbelte zu ihr herum. „Du hast mich vor Lord Brice beschützt. Du hast Sir Edwards Beinlinge in Brand gesetzt. Und du hast Thomas einen Pfeil in den Hin…“
„Schluss, Schwester, hör auf damit.“ Brenna hielt sich mit den Händen die Ohren zu. Sie hatte keine Lust, sich noch länger die Auflistung ihrer vermeintlichen Sünden anzuhören. Ihr Vater schimpfte schon genug über sie. „Diese Männer hatten es verdient. Außerdem …“, sie sah sich mit vielsagendem Blick in ihrem Gefängnis um, „… muss ich dafür immer noch büßen.“
Gwyneth stellte sich neben sie und legte ihr die Hand auf den Arm. „Ich weiß von deinem Vorhaben, nach Italien zu gehen. Ich weiß, dass es einen Briefwechsel zwischen dir und der Äbtissin von La Signora del Lago gibt.“
Brenna zuckte erneut zusammen. Aber es war eigentlich ganz natürlich, dass Gwyneth darüber Bescheid wusste. Ihre Schwester, immer fröhlich und gesellig, wurde von den Bediensteten vergöttert, daher war sie mit allen Vorgängen in der Burg stets bestens vertraut.
„Nur noch diese eine letzte Tat, dann helfen wir dir, dass du diese Reise antreten kannst. Ganz gewiss wird Vater dir danach die Genehmigung erteilen, ins Kloster einzutreten.“
Die Genehmigung. Das Einzige, was sie für den Eintritt in einen Orden brauchte, ohne heimlich fliehen zu müssen.
Adele stieß mit ihrem Stock energisch auf den Holzboden. Duncan bellte und sprang auf eine Truhe. „Sobald Montgomery tot ist, werden Männer bereitstehen, die dich hier herausholen. Sie werden vor dieser Tür Aufstellung nehmen, wenn wir ihnen das Signal geben, und dann führt dich Panthos durch den Geheimtunnel zu einer sicheren Kate am Fluss.“
„Panthos?“ Der Mastiff? „Ich soll einen Mord begehen und mir dann von einem Hund helfen lassen, dem Zorn der Männer des Vollstreckers zu entgehen?“ Ihre beiden Schwestern hatten wohl endgültig den Verstand verloren.
„Ja“, bestätigte Adele ruhig. In ihren ernsten dunklen Augen spiegelte sich Intelligenz, nicht Wahnsinn wider. St. Paul streckte sich genüsslich unter ihrem Arm und ließ ein lautes Schnurren hören. „Ich habe Panthos erzählt, in welcher Gefahr du bist, und er hat eingewilligt, dich zu beschützen. Duncan wird dich ebenfalls begleiten, er ist sehr gut im Fangen von Kaninchen.“
Brenna betrachtete ihre dunkelhaarige Schwester, die sehr gefasst wirkte. Wie immer schien sie in irgendwelchen geheimnisvollen Sphären zu schweben, die sie über die Schmerzen ihres verkrüppelten Beines und das Unheil auf der Welt erhaben sein ließen. Zugegeben, Adele hatte ein fast unheimliches Verhältnis zu Tieren, aber – sich von einem Hund führen und von einem anderen ernähren zu lassen? „Ihr seid beide verrückt.“
Panthos setzte sich auf die Hinterbeine, neigte den Kopf zur Seite und sah sie an.
„Du auch“, sagte Brenna zu ihm.
„Bitte, Brenna!“ Gwyneth erschauerte, und die steife silberblaue Houppelande raschelte dabei.
Wie sehr sich dieses seidene Kleid von Brennas eigener schäbigen Wolltunika abhob … ein weiterer Beweis für die Zuneigung ihres Vaters zu seiner Lieblingstochter. Brenna kämpfte gegen den Schmerz in ihrer Brust an. Wenn sie doch nur die Hälfte von dieser Zuneigung hätte erringen können. Schon vor Jahren hatte ihr Vater all ihre schönen Gewänder fortgenommen. Als Nonne hätte sie ohnehin auf sie verzichten müssen, aber die Erinnerung daran tat immer noch weh.
Gwyneth nahm die schon gefährlich schief sitzende Haube mit dem Schleier von ihrem blonden Kopf und setzte sie Brenna auf. Der Schleier war aus einem schweren Stoff, bestickt mit winzigen Perlen. Das harte Gestell, das der Haube ihre ungewöhnliche Form verlieh, fühlte sich unbequem und ungewohnt an.
„Wir sind beinahe gleich groß, und wenn wir dein rotes Haar verbergen, wird er keinen Verdacht schöpfen“, vermutete Gwyneth.
Brenna schnaubte. Die elegante Kopfbedeckung stand in einem seltsamen Kontrast zu ihrem schlichten Gewand. Abgesehen von der Größe, sahen sie und Gwyneth sich überhaupt nicht ähnlich, erst recht nicht, seit Brenna sich ihre bis zu den Oberschenkeln reichenden Locken abgeschnitten hatte. Gwyneths Haar war, wenn sie es offen trug, eine schimmernde goldene Masse, ihr eigenes ein kurz geschnittener Wirrwarr. Brenna hob die Hand und berührte die Narbe auf ihrer Wange, die sich vom Ohr bis zum Nasenrücken zog, ehe sie eine Strähne ihres kupferfarbenen Haars zwischen die Finger nahm. Sie war kürzer als l’occhio del diavolo – und nicht annähernd so ebenmäßig bearbeitet.
„Montgomery hat doch bestimmt gehört, dass du die hübscheste Dame in ganz England bist“, sagte Brenna zu Gwyneth.
Gwyneth warf ihr einen mitfühlenden Blick zu, widersprach aber nicht. Beide wussten, dass Gwyneths Schönheit ihre von ihrem Vater am meisten geschätzte Eigenschaft war. Dadurch würde sie die Blicke eines reichen Mannes auf sich ziehen, und ihrem Vater stand dann noch mehr Gold für sein Vorhaben zur Verfügung, den englischen König von seinem Thron zu stürzen.
„Das mit deinem Haar tut mir leid“, meinte Gwyneth sanft. „Ich weiß das Opfer zu schätzen, das du gebracht hast, nur um mich vor Lord Brice zu retten. Es war so tapfer von dir, es abzuschneiden und so zu tun, als wärest du ich, damit ich ihn endlich loswerden konnte.“
Tapfer? Von wegen. Es hatte genügt, sich ihm einfach als Gwyneth vorzustellen. Ohne ihre langen herrlichen Locken, die ihre Züge hatten weicher wirken lassen, hatte ihr Gesicht ihm einen solchen Schrecken eingejagt, dass er davongelaufen war, als sei ihm der Teufel auf den Fersen. Als ob sie eine Aussätzige wäre. Kein Mann wollte eine narbige, hässliche und kurz geschorene Frau als Gemahlin. Ein weiterer Grund, warum ihr Vater ihr hätte erlauben sollen, ins Kloster zu gehen. Insgeheim verfluchte sie seine Sturheit. Warum musste er bloß so dickköpfig sein?
„Was geschehen ist, ist geschehen“, winkte Brenna ab und wollte nicht mehr ihren verlorenen Locken nachtrauern. Eitelkeit war schließlich nichts für eine Künstlerin und Nonne. Gwyneth strich ihr liebevoll über den Kopf. „Aber ich weiß, dass du dein langes Haar vermisst. Ich habe dich immer wieder dabei ertappt, wie du an den kurzen Locken herumzupfst.“
Erneut stieß Adele mit dem Stock auf den Boden, worauf der Terrier im Kreis um sie herumlief. „Wir haben nicht die Zeit, uns über Haare zu unterhalten! Zieh dich an, Brenna. Benutze den Schleier, um die Narbe zu verdecken. Er ist groß genug, um dein ganzes Gesicht zu bedecken. Ich schwöre, ich würde Montgomery selbst töten, wenn ich nicht dieses lahme Bein hätte. Außerdem sehe ich Gwyneth einfach nicht ähnlich genug, um ihn täuschen zu können – und nur eine Braut wird in der Lage sein, ihm so nahe zu kommen, dass sie ihn ermorden kann.“
Ehe Brenna sie noch darauf hinweisen konnte, dass auch sie nicht wie die wunderschöne Gwyneth aussah, hatte diese ihr Hochzeitsgewand abgestreift und hielt es ihr hin. „Du hast dich schon einmal für mich ausgegeben, du kannst es wieder tun.“
Nur mit ihrem Unterhemd bekleidet, erinnerte Gwyneth Brenna an einen Geist. Einen Geist aus ihrer Vergangenheit. Auf sie wartete ein neues Leben in Italien. Ihr Blick fiel auf die offene Tür – und sie musste an das Bündel unter ihrem Bett denken. „Ach, zum Teufel mit der ganzen Sache. Ich habe mit alldem nichts mehr zu schaffen.“ Sie musste fort von hier. Schließlich konnte sie nicht ihr ganzes Leben damit verbringen, ihre Schwester vor immer neuen Verehrern zu retten. „Heirate den Mann, und er wird Vater freilassen. Mit deiner Schönheit wirst du ihn dir schon gefügig machen.“
In diesem Moment wurden polternde Schritte auf der Treppe des Turmes laut.
Die Kammertür flog noch weiter auf. Erschrocken hielten die drei Schwestern den Atem an, die Hunde bellten, und St. Paul flüchtete unter das Bett.
Die beiden größten Männer, die Brenna je gesehen hatte, betraten die Kammer. Sie hatten eine Rüstung an und waren schwer bewaffnet, es schien, als würden sie beinah sieben Fuß messen.
Der eine von ihnen hatte so intensive dunkle Augen, dass sie wie glühende Kohlen durch die Sehschlitze seines das ganze Gesicht bedeckenden Helms funkelten. Kohlen, die das Feuer in der Hölle in Gang hielten. In seiner Hand trug er ein riesiges Breitschwert. Der andere war mit einer Armbrust bewaffnet. Prüfend ließen die Männer den Blick über das Bett, die Truhen, den Tisch und die Gemälde schweifen, ehe sie gezielt Brenna und ihre Schwestern anstarrten.
Gwyneth, immer noch im Hemd, versuchte, sich hinter Brenna und Adele zu verstecken.
Der Mastiff bellte wütend und richtete sich auf den Hinterbeinen auf. Adele hielt ihn am Halsband fest, wobei sie sich mit beiden Füßen fest in den Boden stemmen musste. Ihre Spitzhaube wackelte bedenklich, und der Terrier sprang auf den Sitz in der Fensteröffnung und knurrte bedrohlich.
„Haltet den Hund zurück!“, befahl der Hüne mit der Armbrust und richtete seine Waffe auf den Mastiff. Er war ein gefährlich aussehender Mann, dem ein Finger fehlte.
Gwyneth klammerte sich an Brennas Hand. Mit ein paar geflüsterten Worten beruhigte Adele Panthos, während Duncan den Schwanz einzog und zu St. Paul unter das Bett kroch.
„Ich bin hier, um meine Braut abzuholen. Wer von Euch ist sie?“, fragte der Koloss mit den finster dreinblickenden dunklen Augen. Er drehte sich zu Gwyneth um und schien ihre engelsgleiche Schönheit zu begutachten. Das Kettenhemd klirrte, als er die Pranke nach ihr ausstreckte, die eher die eines Tieres denn die eines Mannes war. Riesige Hände, gewaltige Schultern. Eine über alle Maßen arrogante männliche Kraft. Verdammt!
Er war noch schlimmer als Lord Brice.
Er würde ihre Schwester bei lebendigem Leib fressen.
Gwyneth warf Brenna einen verzweifelten, flehenden Blick zu, als der Mann mit seiner groben Hand das makellose Leinen ihres Hemdes berührte. Ihr Puls raste unter der zarten Haut ihres Halses.
Mit einem letzten Blick zu dem Bündel unter dem Bett trat Brenna vor, zog Gwyneth energisch hinter ihren Rücken und stellte sich dem Ungeheuer. Sie konnte nicht zulassen, dass ihrer Schwester von diesem Teufel Gewalt angetan wurde. Sie würde sich auf ihr Geschick mit dem Messer verlassen müssen.
Insgeheim stieß sie ein Dankesgebet aus, dass Gwyneth ihr die Haube mit dem Schleier aufgezwungen hatte, sodass der Mann ihre Narbe und das ungleichmäßig geschnittene kurze Haar nicht sehen konnte.
„Ich bin Eure Braut, Mylord. Gebt mir noch einen Moment Zeit, damit ich mein Hochzeitsgewand anlegen kann.“ Und den Dolch darin zu verbergen vermag.
2. KAPITEL
Er würde sich rächen.
Durch die Sehschlitze in seinem Helm betrachtete James of Montgomery finster die feindselige Menge, die sich für die Hochzeit vor den Stufen zur Kirche eingefunden hatte. Lecrow, Herr dieser Burg und der Schurke, der ihn an diesem Morgen in einen Hinterhalt gelockt hatte, kniete mit Stricken gefesselt zwischen zwei Wachen. Er war ein nervöser, grauhaariger Mann mit fanatischem Blick. James schwor sich, dafür zu sorgen, dass an ihm ein Exempel statuiert und er in den Straßen Londons öffentlich ausgepeitscht wurde.
„Drinnen ist es leichter, wachsam zu sein“, sagte er zu seinen Männern, während er die Kirchentür aufstieß und seine Leute in das dunkle Innere führte. Sein Rang als Earl gestattete es ihm, direkt vor dem Altar getraut zu werden und nicht auf der Treppe draußen vor dem Gotteshaus. Er schloss die Finger fest um das Handgelenk seiner zukünftigen Gemahlin und zerrte sie mit sich. „Bringt ihren Vater nach vorn, damit er die Zeremonie mitverfolgen kann“, rief er den beiden Männern zu, die den Baron of Windrose festhielten.
Seine Pflicht war es, Frieden in die Region zu bringen, und er hatte fest vor, dem alten Mann die Kampfeslust nachhaltig auszutreiben. Und zwar indem er ihm zeigte, dass die Hochzeit trotz des kleinen Hinterhalts stattfinden würde. Genau wie der König es angeordnet hatte. Der günstig gelegene Hafen der Stadt – momentan noch unter dem Kommando von Lecrow, aber nach der Hochzeit laut Ehevertrag unter seiner – würde sich als enormer Segen für sein Seehandelsgeschäft erweisen.
James schritt an den Reihen der Kirchenbänke entlang, die anderen folgten. Sie trieben den Baron mit den Spitzen ihrer Schwerter an, und er rutschte auf den Knien vorwärts.
„Damit werdet Ihr niemals durchko…“
Einer von James’ Leuten zog einen kurzen Dolch, hielt ihn Lecrow an die Kehle und brachte ihn damit wirkungsvoll zum Schweigen.
James nickte anerkennend und wandte sich der Frau zu, die er heiraten sollte. Zum Glück war seine zukünftige Gemahlin die Starke, Sturköpfige und nicht die weinerliche Blonde, wie er erst befürchtet hatte. Dieser hier mochte es zwar vielleicht nicht gefallen, mit ihm verheiratet zu werden, aber wenigstens würde er sich kein zimperliches Flehen um Gnade in der Hochzeitsnacht anhören müssen. Dessen war er sich ziemlich sicher. Er hatte nichts übrig für flennende Frauen. Und er hatte auch nicht vor, Gnade walten zu lassen.
Drei seiner Männer waren bei dem morgendlichen Überfall getötet worden. Jacob, Robert und Collin. Gute Männer, allesamt.
Schuldgefühle nagten an ihm, weil er sie wie wehrlose Schafe in den Tod geführt hatte.
Es war seine Pflicht, die Gesetze des Königs durchzuführen und die Rebellen unter Kontrolle zu bringen, die eine Bedrohung für den Frieden in England darstellten. Der Hafen wurde dazu benutzt, Wein und Waffen ins Land zu schmuggeln; er musste strenger kontrolliert werden. Diese Hochzeit war arrangiert worden, um Stabilität in den Landstrich zu bringen – und sowohl diese Frau als auch der Hafen würden ihm gehören.
Der König hatte ihn vor einem möglichen Verrat gewarnt, aber mit einem derart direkten Angriff hatte er nicht gerechnet. Zorn regte sich in ihm gleich einem wütenden Dämon, wenn er an den Preis dachte, den seine Männer dafür hatten zahlen müssen. Der Hinterhalt war eine Intrige der niederträchtigsten Weise gewesen. Ihr Vater hatte ihn überredet, die Trauung doch lieber hier auf Windrose zu vollziehen als auf James’ viel größerer Burg Montgomery, und seine zukünftige Braut hatte ihm eine süße, parfümierte Nachricht zukommen lassen.
Alles nur eine List, um ihn zu töten.
Er konnte sich kaum vorstellen, dass die wie eine Amazonenkriegerin wirkende Frau an seiner Seite so zarte, blumige Briefe zustande brachte.
James verstärkte den Griff um ihr Handgelenk und schwor sich bei allem, was ihm heilig war, dass sie und ihre Familie begreifen sollten, was es bedeutete, sich seiner Macht unterzuordnen. Unter der eisernen Hand des Vollstreckers zu leben.
Mit jedem weiteren Schritt den Mittelgang der Kirche entlang packte ihn erneut die Wut.
„Nicht so schnell“, flüsterte die Frau neben ihm, wobei ihr ausladendes silberblaues Gewand raschelte. „Mein Schuh … ach, hol’s der Teufel!“ Sie geriet leicht ins Stolpern, schüttelte einen ihrer spitzen Samtschuhe ab und richtete sich danach wieder auf.
Der Vater seiner zukünftigen Gemahlin sah ihn aus schmalen Augen empört an und zerrte an seinen Fesseln.
James hätte sich den Mann am liebsten gegriffen und an der großen Eiche vor dem Kirchenportal aufgehängt, aber das ging nicht – nein. Er war ein politischer Gefangener, und der König selbst musste sich mit seinem Verrat befassen. Unwillkürlich legte James die Hand auf das Heft seines Schwerts, für den Fall, dass ihr Stolpern eine List war, um ihn abzulenken, damit ihr Vater ihn angreifen konnte. Das würde ihm jedoch nicht noch einmal passieren.
Der schwere Schleier verbarg ihr Gesicht, aber James spürte, dass sie ihm einen finsteren Blick zuwarf. „Ich komme ja schon! Kein Grund, mich mit Euch zu zerren!“
„Hütet Eure Zunge, Gemahlin.“
Sie stemmte eine Hand in die Hüfte, und die schwere Hörnerhaube geriet ins Wanken. „Noch bin ich nicht Eure Gemahlin!“
„Noch nicht, aber bald, Weib.“ Er zog sie die letzten paar Schritte am Handgelenk vorwärts. Zähnefletschend schwor er sich, dass sowohl der sturköpfige alte Mann als auch seine widerborstige Tochter klein beigeben würden, noch ehe die Zeremonie vorüber war. Begriff denn niemand in dieser Familie, wann der Zeitpunkt gekommen war, dass man sich geschlagen geben musste?
Ein Mann an einer Harfe und ein Geiger begannen ziemlich falsch ein Hochzeitslied zu spielen, als wären sie nicht dazu gekommen, ihre Instrumente zu stimmen. Der Geistliche vor dem Altar räusperte sich. Er hatte eine große Nase und ständig tränende Augen, die er sich von Zeit zu Zeit mit dem Ärmel seines Talars trocken rieb. „Können wir anfangen, Mylord?“
James nickte. „Nur zu, Priester. Es juckt mich allmählich unter diesem Helm.“
Der Geistliche schlug die Bibel auf. „Liebe Gemeinde im Haus des Herrn …“
Ohne ihr Handgelenk loszulassen, sah James auf die Frau an seiner Seite. Aufrecht wie eine Kriegerin stand sie da, stolz und unbeugsam. Jeder Zoll ihres Körpers war von Stoff bedeckt, so wie sein eigener von seiner Rüstung. Perlmuttknöpfe schimmerten auf ihren Ärmeln wie winzige Schutzschilde. Sie versuchte nicht, sich seinem Griff zu entziehen, rückte aber auch nicht näher an ihn heran, als sie unbedingt musste. Ihre Knochen fühlten sich unter seiner Hand zerbrechlich an, aber gleichzeitig strahlte sie eine ungeheure Willenskraft aus.
Ja, diese Hochzeit war wie eine Schlacht, und es würde nur gerecht sein, wenn er sich diese Frau gefügig machte. König Edward hatte diese Verbindung angeordnet, um Frieden in dieses aufrührerische Gebiet zu bringen, und James wollte den Anfang damit machen, dass er seine eigene Gemahlin eroberte.
Während Pater Peter die Hochzeitspredigt herunterleierte, kochte Brenna vor Wut, weil ihr angehender Gemahl sie wie ein Stück Vieh vor den Altar geschleift hatte. Der Steinfußboden fühlte sich kalt an unter ihrem nackten Fuß – und sie fror. Verdammter Barbar!
Verstohlen sah sie ihn von der Seite her an. Er war tatsächlich der größte Mann, den sie je gesehen hatte – über sechs Fuß groß musste er sein, mit Schultern so breit wie die eines Stiers. Riesig. Gewaltig. Überaus verstörend. Er erinnerte sie an einen der Furcht einflößenden Krieger auf ihren Gemälden, nur dass er vollständig mit einer Rüstung bekleidet und nicht nackt war wie die meisten Gestalten auf ihren Bildern.
Er roch nach Leder, Blut und Moschus. Genau in Augenhöhe entdeckte sie ein paar Blutspritzer auf seinem blauen Umhang.
Sie atmete erleichtert auf, dass er nicht zusammenzuckte, als Pater Peter aus Versehen ihren richtigen Namen nannte. Gott sei Dank merkte er nicht, dass man ihn überlistet hatte und er die falsche Schwester heiratete. Diese Ehe war von dem verfluchten König Edward arrangiert worden, daher kannte er vielleicht nicht einmal den Namen seiner zukünftigen Gemahlin. Oder er hörte einfach nur schlecht wegen des Helms.
„Mit meinem Körper ehre ich dich“, stieß sie hervor, als sie dazu aufgefordert wurde, und wünschte, sie hätte den in ihrem Mieder verborgenen Dolch berühren können, um ihre Nerven zu beruhigen. Sie fühlte sich winzig, wie sie so neben ihm vor dem Altar stand, sogar noch kleiner als sonst.
Sie wandte den Blick von den Blutflecken auf seinem Umhang ab und legte den Kopf in den Nacken. Wenn sie doch nur unter den glänzenden silbernen Helm hätte blicken können, der seine Züge verbarg! Sie schluckte, als sie daran dachte, wie ihre Schwester sein narbiges Gesicht beschrieben hatte. Großer Gott. Gab es denn nichts an dem Mann, was nicht abschreckend war? Kein Wunder, dass Kinder vor ihm wegliefen.
Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, intonierte sie insgeheim und wusste nicht so recht, ob sie einfach nur betete oder sich schon auf ihr Ende vorbereitete. Gwyneth hatte erwähnt, dass er seine letzte Frau ermordet hatte …
Sie hatte mit ihrer Waffe nur eine einzige Chance. Gott allein wusste, welche Strafe sie erwartete, wenn sie versagte. Mit viel Glück würde er sie hängen lassen, doch der Vollstrecker stand nicht gerade in dem Ruf, diejenigen, die sich ihm entgegenstellten, einfach nur baumeln zu lassen.
Sie unterdrückte ein Erschauern. Vielleicht war er abstoßend und bedrohlich, aber nach einem Stich ihres Dolchs würde er bluten wie jedes andere Tier auch.
„Küsst Eure Braut“, sagte Pater Peter und schielte nach oben zu dem verdeckten Gesicht des Mannes. Dann rieb er sich die tränenden Augen und warf Brenna einen mitfühlenden Blick zu.
„Mylady?“, forderte ihr neuer Gemahl sie spöttisch auf. Seine Stimme klang gedämpft durch den Helm.
Brennas Herz klopfte zum Zerspringen, und sie bekam eine Gänsehaut. Mit äußerster Beherrschung blieb sie stocksteif vor dem Altar stehen, anstatt ihrem Bedürfnis zu fliehen nachzugeben. Nein, dieses Ungeheuer würde sie nicht küssen. „Das ist keine Liebesheirat“, zischte sie. „Wir brauchen uns nicht zu küssen.“
Der Krieger legte seine Hand auf ihre. Sie fühlte sich rau und groß an. Fordernd. „Dieser Kuss besiegelt unsere Abmachung.“
Brennas Magen zog sich zusammen. Während der ganzen Trauung hatte er ihr Handgelenk umfasst gehalten. Jetzt sah sie nach unten und war einen Moment lang überrascht, dass er tatsächlich Männerhände hatte und keine Bärenpranken. Seine Finger waren kräftig, lang und voller Schwielen. Er war Freibeuter, also waren seine Hände bestimmt durch das Ziehen der Schiffstaue so rau geworden. Sein Griff war zupackend und stark, aber nicht schmerzhaft. So unmittelbar nach der Schlacht hätten seine Hände eigentlich schmutzig sein müssen, stattdessen sahen sie so aus, als hätte er sie eigens für die Hochzeit gewaschen. Dieses kleine Anzeichen von Respekt verwunderte sie.
Er zog sie näher zu sich heran, und Brenna widerstand dem Bedürfnis, ihm ihre Hand zu entziehen. Besser, sie ließ ihn in dem Glauben, sie wäre eingeschüchtert und unterwürfig.
Verdammtes Ungeheuer. Abscheulicher, gottloser Barbar. Sie senkte den Kopf, damit man ihr ihren Zorn nicht ansah. „Wie Ihr wünscht, Mylord“, stieß sie gepresst hervor. In dieser Nacht, so schwor sie sich, würde sein Blut fließen.
Sein Kettenhemd klirrte, als er sie losließ, um seinen Helm abzunehmen.
Geduld, Mädchen, Geduld, redete sie sich Mut zu. Schon bald wird er ohne seine Wachen sein, dann kannst du den Dolch benutzen.
Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, wie seine Krieger die Hefte ihrer Schwerter fester umfassten. Sie standen im Halbkreis um den Altar herum, jeder von ihnen ebenfalls in voller Rüstung.
Ihr Gemahl löste den Kinnriemen und nahm langsam den Helm ab.
Gemahl. Dieses Wort entfachte ihren Zorn aufs Neue. Eine verheiratete Frau zu sein, war für eine Künstlerin beinahe so etwas wie ein Todesurteil. Eine Horde Kinder. Ein Haushalt, den man zu führen hatte. Pflichten, Pflichten und noch mehr Pflichten. Doch zum Glück würde sie nicht lange verheiratet bleiben. Bis zum ersten Hahnenschrei würde sie eine Witwe sein. Sie lächelte verstohlen bei diesem Gedanken. Witwen verfügten über Freiheiten, die Jungfrauen nicht vergönnt waren.
Der Helm hob sich. Das Erste, was sie sah, war ein kräftiger, wie gemeißelt wirkender Unterkiefer. Sie legte den Kopf in den Nacken, damit sie der Bestie, die sie schon bald töten würde, geradewegs ins Gesicht sehen konnte. Nicht ein einziges übersehenes Barthaar wuchs auf seinen glatt rasierten Wangen.
Sie hielt den Atem an.
Er war kein Ungeheuer.
Er war vollkommen.
Zu vollkommen. Wie ein wunderschönes Gemälde, von dem keine Leidenschaft ausging. Als ob er menschliche Schwächen einfach nicht duldete.
Sein schwarzes Haar war dicht und so kurz geschnitten wie das eines römischen Kriegsherrn. Kobaltblaue Augen sahen auf sie herab und funkelten vor Entschlossenheit. Er hatte eine Adlernase, hohe Wangenknochen und einen schön geschwungenen, strengen Mund. Selbst seine Wimpern bildeten vollendet geschwungene Halbmonde, die genauso schwarz waren wie seine Seele.
Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Gwyneth hatte ihr etwas Falsches berichtet – nicht eine Narbe verunstaltete die Vollkommenheit dieses Männergesichts.
Er war atemberaubend. Prachtvoll. Das Werk eines arroganten Künstlers, der zu hochmütig war, den einen winzigen Makel zu zeigen, durch den seine Arbeit zu einem wahren Meisterwerk geworden wäre.
So einen Mann hatte sie noch nie zuvor gesehen.
Ihn töten? Wie konnte sie so viel Schönheit vernichten?
Sie biss sich auf die Innenseite ihrer Wange – und ihre Entschlossenheit kehrte zurück. Schön oder nicht, sie würde nicht die Leibeigene eines Mannes werden, der sie nach Belieben schlagen oder mit Gewalt nehmen konnte. Auch würde sie ihm niemals ihre Familie auf Gedeih und Verderb ausliefern.
Obwohl sie ihm den Rücken zuwandte, spürte sie den eindringlichen, erwartungsvollen Blick ihres Vaters. Das war ihre Gelegenheit, sich in seinen Augen zu rehabilitieren und die Kluft zu beseitigen, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte. Danach konnte sie mit seinem Segen nach Italien aufbrechen.
Gwyneth saß neben ihrem Vater auf der Kirchenbank und rang die Hände. Sie trug einen losen blauen Wollumhang über einem dunkelroten, schlichten Gewand und anstelle einer ihrer sonst so eleganten Hauben nur ein einfaches Kopftuch. Es war nicht zu übersehen, dass sie so unscheinbar wie möglich aussehen wollte. Doch ihre Schönheit glich der Sonne – zu strahlend, um sie verbergen zu können.
Adele war es mit ihren unheimlichen Fähigkeiten irgendwie gelungen, der Zeremonie zu entfliehen.
Brennas Schultern spannten sich an. Zum ersten Mal war sie froh über die außerordentliche Perfektion ihres neuen Gemahls. Hätte er auch nur über den geringsten Makel verfügt, der ihn menschlicher und weniger kalt hätte wirken lassen, wäre sie wahrscheinlich außerstande gewesen, ihn zu töten.
„Gemahlin“, sagte er jetzt und hob den Saum des silbernen Schleiers an, der ihr Gesicht verdeckte. „Ihr seid mein“, verkündete er mit leicht rauer Stimme.
Ihre Knie gaben etwas nach, als er den perlenbesetzten Stoff über ihren Kopf zurückschlug. Doch dann spürte sie den versteckten Dolch an ihrer Haut, und das gab ihr Kraft. Wenn er nicht gerade Reißzähne besaß, würde sie diesen Kuss doch sicherlich überleben können.
Er legte die Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an. Als er keine Anstalten machte, sie zu küssen, sah sie ihn finster an. Er ließ den Blick über ihr Gesicht schweifen und stutzte beim Anblick der Narbe, die sich über ihre Wange zog.
Brenna hatte fest geglaubt, er hätte ihre Narbe schon vorher bemerkt. Aber vielleicht hatte der Helm ja seine Sicht eingeschränkt, und nun bereute er womöglich, eine so hässliche Frau gezwungen zu haben, ihn zu heiraten. Bitte sehr, geschah ihm recht.
„Beeilt Euch und bringt es hinter Euch, Gemahl“, spottete sie leise. Vielleicht sollte sie die Haube ganz herunterreißen und ihm noch mehr zeigen, was er da geheiratet hatte. Vielleicht rannte er dann genauso schnell weg wie Lord Brice.
Doch so befriedigend das auch sein würde – sie musste irgendwann mit ihm allein sein, wenn er unbewaffnet war, um ihn töten zu können.
„Man sagte mir, Ihr wärt hübsch.“
Seine Worte verletzten sie. Es gab zwar keinen Grund dafür, aber sie verletzten Brenna trotzdem. „Nun, das bin ich nicht.“ Sie sah ihn wütend an. Natürlich erwartete ein so gut aussehender Mann auch eine hübsche Frau.
Er strich mit dem Daumen über ihre Narbe, und ihr Entschluss festigte sich. Ja, sie würde ihn umbringen und sich an dieser Tat auch noch weiden. Es war kein Geheimnis, dass sie keine Schönheit war, aber dass er so dastand in seiner ganzen Vollkommenheit und sie begutachtete wie eine beschädigte Ware, das war wirklich grausam.
„Wie ich bereits sagte“, stieß sie hervor und zog den Kopf weg, „es besteht kein Grund, dass wir uns küssen.“
Er griff erneut nach ihrem Kinn und zwang sie, ihn wieder anzusehen. Interesse flammte auf in seinem Blick.
Plötzlich wurde ihr seltsam heiß. So einen Blick hatte sie schon tausendmal gesehen; da hatte er dann Gwyneth gegolten oder manchen Dienstmädchen, gelegentlich sogar Adele. Aber noch nie zuvor war Brenna die Empfängerin eines solchen Blicks gewesen. Die Eindringlichkeit verschlug ihr beinahe den Atem. So fühlte es sich also an, begehrt zu werden – es war berauschend.
Er starrte sie weiterhin unverwandt an, und eine tiefe Furche hatte sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet. „Bittet mich darum, Euch zu küssen, meine gefangene Gemahlin“, raunte er heiser und verführerisch.
Noch immer wie gebannt, öffnete sie schon den Mund, um ihm zu gehorchen, doch dann begriff sie plötzlich. Es war kein Verlangen, das sein Interesse an ihr geweckt hatte, sondern das Bedürfnis, sie zu erobern, sie einzuschüchtern und gefügig zu machen.
Dieser Teufel! Sie bedachte ihn mit einem wütenden Blick. Wie auch immer dieser Tag endete, niemals würde sie seine geistlose Sklavin werden, die er herumkommandieren konnte. „Ich bitte Euch um gar nichts, Barbar. Also, jetzt oder nie.“
Das Interesse in seinen Augen verwandelte sich in eine blau schimmernde, sanfte Glut. Sie spürte seine Lippen weich und heiß auf ihren – nicht kalt und hart, wie sie erwartet hatte. Sein Atem war frisch und rein, als hätte er Minzeblätter gekaut, und der Duft seiner Haut stieg ihr zu Kopf wie ein edler Wein.
Ihr Herzschlag stockte. Sie erstarrte und wollte zurückweichen, denn er hatte sie geküsst – und die Abmachung war damit besiegelt.
Doch seine Lippen blieben, wo sie waren.
Brenna versuchte einen Schritt zurückzugehen, aber seine Arme um ihren Rücken ließen das nicht zu. „Öffnet Eure Lippen für mich, meine gefangene Gemahlin“, flüsterte er an ihrem Mund. „Ich möchte kosten, was mir gehört.“
Ihr Atem ging schneller, und ihre Wangen begannen zu glühen. Noch nie hatte ein Mann sie küssen wollen.
Das Gefühl war so überwältigend wie der erste gelungene Pinselstrich nach einer Reihe von Misserfolgen beim Malen.
Ihr Vater ließ ein böses Knurren vernehmen, und sofort durchzuckte sie heiße Scham. Sie konnte seinen zornigen Blick förmlich im Rücken spüren. Sofort presste sie die Lippen aufeinander.
„Ach so“, meinte ihr Gemahl gedehnt und wich etwas zurück. „Also doch nicht ganz so fügsam, wie ich ursprünglich glauben sollte. Vielleicht sollten wir uns geradewegs ins Hochzeitsgemach begeben und mit Eurer Zähmung beginnen. Auf meine Küsse reagiert Ihr bereits sehr vielversprechend.“
Wie abscheulich, so etwas zu sagen! Brenna glaubte, an seinen Worten ersticken zu müssen. Sie holte aus und schlug ihm ins Gesicht. Das Geräusch hallte durch die Kirche. „Ich bin kein Haustier, das gezähmt werden muss, Ihr Schuft!“
Ihr Vater schnaubte.
Montgomery presste die Hand an seine Wange. Das Funkeln in seinen Augen war nicht mehr das des belustigten Jägers, sondern des gnadenlosen Bezwingers. Das Herz schlug Brenna bis zum Hals. Erneut dachte sie daran, dass es kein Wunder war, wenn Kinder vor ihm davonrannten. Sie raffte den Saum ihres Gewandes, wirbelte herum und wollte fliehen.
Blitzschnell streckte er den Arm aus, packte ihr Handgelenk und zerrte sie mit sich den Mittelgang entlang. Ein paar seiner Männer johlten.
O Gott, er würde sie umbringen! Kein Gemahl, der etwas auf sich hielt, würde eine solche Anmaßung einfach hinnehmen. Und dieser Mann hier war der Vollstrecker … „Ich … nun, das heißt … ich wollte gar nicht …“, begann sie, um Zeit zu gewinnen. Sie musste ihn besänftigen. Nur so bot sich ihr die Gelegenheit, irgendwann mit ihm allein zu sein und den Dolch zu benutzen.
„Schweigt still, Gemahlin. Ich werde mich mit Euch in unserem Gemach befassen. Wenn ich damit fertig bin, werdet Ihr Euch noch wünschen, Ihr hättet mir den Gefallen getan, mich um Küsse zu bitten.“ Seine Rüstung klirrte, als er auf den Ausgang der Kirche zuschritt. „Schon bald werdet Ihr mich nämlich um sehr viel mehr bitten.“
Erschrocken grub sie die Zehen ihres nackten Fußes in den Läufer des Mittelgangs, um Montgomery dazu zu bringen, langsamer zu gehen. Im Gegensatz zu ihrer eigenen schlichten Tunika engte sie die üppige Houppelande in ihrer Bewegungsfreiheit ein. Er ging unbeirrt weiter – und sie stolperte neben ihm her. Ihre Haube schwankte, und die Haarnadeln, die für den richtigen Sitz dieses Ungetüms von einer Kopfbedeckung sorgen sollten, kratzten über ihre Kopfhaut.
Er wurde erst langsamer, als Brenna hinzufallen drohte.
„Bastard“, murmelte sie vor sich hin, während sie sich wieder gerade aufrichtete.
„Was sagtet Ihr?“ Sein Tonfall war durchaus sanft, aber seine kobaltblauen Augen glitzerten gefährlich.
Sie befeuchtete sich nervös die Lippen und versuchte, die warmen Küsse von vorhin mit diesem gnadenlosen, groben Mann in Einklang zu bringen. Sie hatte gar nicht vorgehabt, ihn zu ohrfeigen, aber für Reue war es jetzt zu spät. Sie öffnete den Mund, um ihre Beschimpfung zu wiederholen, besann sich dann jedoch eines Besseren. „Nichts“, erwiderte sie gepresst.
Mit finsterer Miene zog er sie ruckartig nach vorn, sodass sie gegen seine Brust prallte, die genauso hart war wie die Holzbretter, die Brenna bemalte. Mit dem Daumen seiner freien Hand strich er über ihren Halsansatz und legte ihr danach die Hand in den Nacken.
Brennas Herz klopfte mittlerweile zum Zerspringen, und um ein Haar hätte sie in einem verzweifelten Versuch ihren Dolch hervorgezogen. Aber nein, so töricht wollte sie nicht sein und ihren einzigen, winzigen Vorteil vertun, solange er noch seine Rüstung trug und von seinen eigenen Männern umringt war.
Sie drehte sich zur Seite und wollte davonlaufen. Ihr war klar, dass er sie verfolgen würde, aber wenn er das allein tat, konnte sie vielleicht den Überraschungsmoment nutzen und l’occhio del diavolo zum Einsatz bringen.
„Hört auf, Euch zu wehren, sonst lege ich Euch noch hier in der Kirche übers Knie.“
Einer seiner Leute lachte.
„Nein! Wagt es nicht, meine Tochter grob zu behandeln!“ Brennas Vater sprang auf und schüttelte die beiden Männer ab, die ihn bewachten. Trotz seiner Fesseln trat er mutig einen Schritt vor. Sein kurzer Bart und sein graues Haar sahen zerzaust aus, und er rümpfte die Nase, als hätte er etwas besonders Übles gerochen. Er trug eine einfache Tunika und Beinlinge in den Farben des Waldes, seine Knie waren schmutzig.
„Meine Geduld neigt sich auch bei Euch ihrem Ende zu, alter Mann.“ Montgomery ging auf ihn zu – und Brennas Herzschlag setzte für einen Augenblick aus.
In diesem Moment erhob Gwyneth sich und streckte klagend die Hände aus. „Bitte, Sir, ich flehe Euch an, tut ihr nichts!“ Sie eilte nach vorn und schlang die Arme so stürmisch um ihre Schwester, dass Montgomery sie loslassen musste und sie beinahe aus dem Gleichgewicht geraten wäre. Gwyneths Kopftuch löste sich, und ihr langes blondes Haar fiel ihr ungehindert über den Rücken und hüllte Brenna mit ein.
Auch das noch. Brenna hatte das Gefühl, in ein Spinnennetz geraten zu sein, als sie versuchte, sich aus dem Gewirr der langen Strähnen zu befreien.
„Dafür werde ich Euch umbringen“, drohte ihr Vater und wehrte sich vergeblich gegen seine Handfesseln.
Montgomery nahm Kampfhaltung ein. Er trug eine Rüstung, während ihr Vater gefesselt, unbewaffnet und nicht ansatzweise so groß war wie sein Gegner.
„Sei nicht töricht, Papa!“ Endlich hatte sie sich aus der Umklammerung ihrer Schwester befreit und legte ihrem Gemahl die Hand auf den gepanzerten Unterarm.
Die Wachen hielten ihren Vater zurück.
Montgomery fuhr zu Brenna herum – und ihre Blicke verfingen sich ineinander. Sie schluckte und nahm ihren ganzen Mut zusammen. Gwyneth mochte sich in Bezug auf sein Aussehen geirrt haben, aber eins stimmte – er war ein Wilder. „Bitte, lasst meine Familie in Ruhe. Ich werde mit Euch gehen. Bestraft mich, wie Ihr wollt.“
Mit dem Daumen berührte er leicht ihre Halsgrube.