PROLOG
„Sie werden sich noch die Augen verderben, wenn Sie weiter im Halbdunkeln zeichnen.“
Noch bevor sie sich umdrehte, wusste Christina, wer zu ihr auf die Hotelterrasse getreten war. Die Stimme von Alexandros Galanis war einfach unverkennbar. Sie hatte ihn in den vergangenen zwei Wochen oft genug mit ihrem Vater sprechen hören. Ein sinnlicher Schauer überlief sie.
Alexandros schwieg, und sie blieb einen Augenblick lang so sitzen, während seine Worte in ihr nachklangen. Plötzlich nahm sie nichts anderes mehr um sich herum wahr. Weder die leise Musik, die durch die geöffnete Terrassentür ins Freie drang, noch die gedämpften Unterhaltungen der Gäste. Es gab nur noch Alexandros und sie.
Langsam erhob sie sich und drehte sich zu ihm um. Sofort war es wieder da, das Flattern in ihrem Herzen, wie jedes Mal, wenn sie ihn sah. Er war der attraktivste Mann, dem sie je begegnet war. Dunkles Haar umrahmte ein kantiges, ausgesprochen maskulines Gesicht. Doch am auffälligsten waren seine Augen, so tiefblau wie das Meer vor der Küste Korfus. Und seine Statur glich der eines Athleten.
Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie sein Oberkörper wohl unter seinem schlichten weißen Hemd aussehen mochte. Dabei hatte sie ihn schon oft so gesehen, zumindest in ihren Träumen oder wenn sie sich schlaflos in ihrem Bett herumwälzte, weil ihre Gedanken sich mal wieder nur um ihn drehten. Seit sie ihm vor zwei Wochen zum ersten Mal begegnet war, als er aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters kam, hatte sie versucht, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen. Damals hatte er sie nicht einmal bemerkt. Doch all ihre Bemühungen waren vergeblich: Es schien einfach keine Möglichkeit zu geben, ihm zu entkommen. Dabei hatte sie bis gerade eben nicht einmal ein Wort mit ihm gewechselt.
„Sie haben mich erschreckt.“ Mit zitternden Fingern schob sie sich eine blonde Locke aus dem Gesicht. „Ich habe Sie nicht kommen hören.“
„Das lag nicht in meiner Absicht.“ Er sah nicht gerade reumütig aus, aber immerhin nahm er sie überhaupt einmal wahr. Das war weit mehr, als sie zu hoffen gewagt hatte.
Verstohlen ließ sie ihren Blick ein zweites Mal über seinen Körper gleiten. Das schlichte weiße Hemd spannte sich über seinen breiten Schultern. Er trug die langen Ärmel ein Stück weit hochgerollt, sodass seine muskulösen Unterarme zum Vorschein kamen.
Christina zwang sich, tief durchzuatmen. Noch nie hatte ein Mann solches Interesse in ihr geweckt. Alles, was sie über ihn wusste, war, wie er hieß und für wen er arbeitete. Mehr nicht. Und trotzdem wäre sie ohne mit der Wimper zu zucken bereit gewesen, alles für ihn zu tun.
Als er ihr den Skizzenblock aus der Hand nahm, wollte sie protestieren, brachte jedoch keinen Laut über die Lippen.
„Sie haben mich beobachtet“, stellte er fest, ohne von dem Block, den er jetzt durchblätterte, aufzusehen. Dabei verzog er keine Miene. „Vorhin, als ich die Champagnervorräte in der Bar aufgefüllt habe.“
Sie spürte, wie sie rot wurde. „Sie müssen sich täuschen“, widersprach sie leise. „Ich habe Sie nicht beobachtet.“
In seinem Gesicht regte sich noch immer nichts. „O doch, das haben Sie. Und ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen.“
„Christina“, sagte sie sofort. „Mein Name ist Christina. Ich …“ Sie stockte. „Ich besuche eine Freundin, die hier im Palace Hotel arbeitet.“
„Und betätigen sich nebenbei als Künstlerin.“
„Ja, genau.“ Sie streckte die Hand nach dem Block aus. „Bitte, ich glaube kaum, dass mein Gekritzel interessant für Sie sein könnte.“
„Alles, was Sie betrifft, ist interessant für mich“, sagte er lächelnd, gab ihr aber trotzdem das Skizzenbuch zurück, wobei seine Hand wie zufällig die ihre streifte.
Diese harmlose kleine Berührung ließ Hitzewellen durch ihren Körper pulsieren. Christina unterdrückte ein Aufstöhnen, denn sie wollte auf keinen Fall unerfahren oder gar kindisch auf ihn wirken. Alexandros umgab eine Aura von solch selbstbewusster Männlichkeit – wüsste er, dass sie mit ihren achtzehn Jahren bisher so gut wie keine Erfahrung in Liebesdingen besaß, hätte er sich wohl kaum mit ihr abgegeben.
Im Grunde war es ein Spiel mit dem Feuer, bei dem sie sich nur die Finger verbrennen konnte. Doch aus irgendeinem Grund hatte sich die stets vorsichtige und zurückhaltende Christina mit einem Schlag in eine andere Person verwandelt.
Sie erkannte sich selbst kaum wieder.
Alexandros machte einen Schritt auf sie zu, legte ihr einen Finger unters Kinn und hob ihr Gesicht an. Ihr blieb keine andere Wahl, als ihm direkt in die Augen zu schauen, und der Anblick machte sie schwindelig.
„Wie schön Sie sind“, schwärmte er. „Ich kann nicht begreifen, dass Sie mir bisher nicht aufgefallen sind.“
Aber du bist mir aufgefallen, dachte Christina und spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Sie war ihrem Ziel jetzt ganz nah. Dies war ihre große Chance, ihr Leben vielleicht doch noch in die richtigen Bahnen zu lenken.
Kurz kam ihr das Ultimatum ihres Vaters in den Sinn, und ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Doch dann schüttelte sie den Gedanken daran ab. Dies war nicht der rechte Moment dafür.
Ihr war heiß und kalt zugleich, als sie all ihren Mut zusammennahm, sich auf die Zehenspitzen stellte und Alexandros einen Kuss auf die Lippen hauchte.
Er wirkte überrascht – jedoch nur kurz, dann zog er sie an sich und streichelte mit den Fingerspitzen ihren Rücken, sodass Schauer der Erregung durch ihren Körper rieselten.
„Sie sind eine ganz besondere Frau“, raunte er mit heiserer Stimme. „Eine Frau, die offenbar genau weiß, was sie will.“
Christina beschloss, auch die letzten Zweifel über Bord zu werfen. Sie wollte Alexandros. Und deshalb würde sie auch auf keinen Fall der Forderung ihres Vaters nachkommen. Schließlich war sie kein Gegenstand, den er nach Bedarf einfach weiterreichen konnte, bloß weil er sich einen geschäftlichen Vorteil davon versprach.
Und wenn Alexandros erst einmal begriffen hatte, dass sie füreinander geschaffen waren, würde er ihr dabei helfen, ihrem Vater die Stirn zu bieten.
Und sie würde nicht allein dastehen.
„Meine Freundin ist heute die ganze Nacht unterwegs. Gehen wir auf ihr Zimmer?“, fragte sie, atemlos vor Entsetzen über ihre eigene Schamlosigkeit.
Er lachte leise. „Sie sind sehr direkt – und außerdem eine Versuchung, der ich unmöglich widerstehen kann.“
Plötzlich bekam Christina es doch mit der Angst zu tun. „Aber ich bin keine Frau für eine Nacht“, stieß sie eilig aus.
Er verharrte kurz, dann senkte er seine Lippen auf ihren Mund und küsste sie so stürmisch, dass die Welt um sie herum in Bedeutungslosigkeit versank.
1. KAPITEL
Sieben Jahre später.
„Das kann nicht dein Ernst sein!“ Christina stand auf dem Balkon ihres Hotelzimmers und starrte den Mann, der soeben dabei war, sie endgültig in den Ruin zu stürzen, ungläubig an.
Ihren Vater.
Doch Charles Gallagher verzog keine Miene. Seine Züge wirkten wie eingefroren. „Sag du mir nicht, was ich tun kann!“, wies er seine Tochter zurecht.
„Aber ich habe ein Anrecht auf dieses Geld!“, stieß sie heiser hervor. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, doch sie drängte sie tapfer zurück. Sie wollte jetzt nicht weinen, nicht vor ihrem Vater! „Ich habe hart dafür gearbeitet“, erinnerte sie ihn. „Und nicht nur ich.“
„Du hast es für die Familie getan. Wie hätte ich denn annehmen sollen, dass du ernsthaft ein Honorar dafür erwartest?“
„Für die Familie?“ Sie atmete tief durch. „Das hat nichts mit unserer Familie zu tun, und das weißt du genau. Ich habe das Hotel in deinem Auftrag umgestaltet. Die Konditionen waren von Anfang an klar geregelt. Nachdem ich den Zuschlag bekam, habe ich …“
„Diesen Zuschlag hättest du ohne mich niemals erhalten.“
„Das stimmt nicht!“ Erbost stemmte sie die Hände in die Seiten. „Es gab eine Ausschreibung, und ich habe einen Vorschlag eingereicht, der durch eine unabhängige Kommission geprüft wurde.“
„Wie ich schon sagte: Ohne mich wäre dein Vorschlag niemals auf fruchtbaren Boden gestoßen.“ Er kniff die Augen zusammen, und plötzlich wurde Christina alles klar.
„Dann hast du also … Nein, das kann ich nicht glauben! Du hast die Kommission bestochen?“
Unwirsch winkte er ab. „Von Bestechung kann keine Rede sein. Sagen wir einfach, ich habe meine Beziehungen spielen lassen.“
„Bitte sag, dass das nicht wahr ist!“ Christina schloss die Augen. Mit einem Schlag drohte all ihre Hoffnung, die sie seit der Ausschreibung gehabt hatte, wie ein Kartenhaus zusammenzubrechen. „Wie konntest du nur?“, fragte sie heiser. „Unter diesen Umständen hätte ich niemals …“
„Genau deshalb blieb mir keine andere Wahl. Ich wollte nun mal, dass du den Auftrag bekommst. Es sollte in der Familie bleiben.“
„Aber ich …“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das kann ich nicht zulassen. Es geht hier nicht nur um mich. Das Innenarchitekturbüro gehört mir nicht allein.“
Doch ihr Vater lachte nur. „Und was willst du jetzt tun? Mich verklagen? Oder aller Welt verkünden, dass es bei der Ausschreibung, die du gewonnen hast, nicht mit rechten Dingen zuging?“ Er sah sie mit jenem herablassenden Blick an, den sie schon als kleines Kind so sehr an ihm gehasst hatte. „Du wirst dieses Geld nicht bekommen, finde dich besser damit ab. Ich bin nicht bereit, dir auch nur einen Penny zu zahlen.“
„Aber ich bin deine Tochter!“ Sie stockte, als ihr die Sinnlosigkeit ihrer Worte bewusst wurde. Mit so etwas brauchte sie ihrem Vater nicht zu kommen. Sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Rasch fügte sie hinzu: „Und Jenna und ich haben hart dafür gearbeitet, dass dieses Hotel“, sie machte eine alles umfassende Handbewegung, „so aussieht, wie es jetzt der Fall ist.“
„Meine Tochter hat mich vor sieben Jahren im Stich gelassen“, entgegnete Charles Gallagher, nun betont leise. Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit.
„Nein, das habe ich nicht!“, protestierte sie. „Ich habe dich nicht im Stich gelassen. Ich habe mir lediglich das Recht herausgenommen, deinem Schatten zu entkommen und mir ein eigenes Leben aufzubauen, damals, nachdem …“ Sie brach abrupt ab, als die Erinnerung an die größte Enttäuschung ihres Lebens auf sie einzustürzen drohte.
„Nun, wie dem auch sei.“ Er deutete hinunter zum Garten. „Statt dich hier in Selbstmitleid zu ergehen, solltest du besser diese einmalige Gelegenheit nutzen. Dort unten gibt es mehr potenzielle Auftraggeber für dein Büro, als du je wieder auf einen Schlag finden wirst. Und jetzt habe ich noch zu tun. Du entschuldigst mich?“
Mit diesen Worten drehte er sich um und trat vom Balkon. Kurz darauf hörte sie, wie die Tür ihres Hotelzimmers zufiel.
Christina stützte sich mit beiden Armen auf das Balkongeländer und schloss die Augen. Es dauerte einige Sekunden, aber dann spürte sie, wie sich ihr Herzschlag langsam beruhigte. Sie öffnete die Lider wieder und versuchte, sich ein wenig abzulenken, indem sie das bunte Treiben unter sich beobachtete.
Das Wetter war einfach traumhaft für eine Gartenparty. Die Sonne über Korfu strahlte vom wolkenlosen Himmel, der sich blau im Wasser des Mittelmeeres spiegelte. Schlanke Zypressen und hohe, knorrige Ölbäume spendeten wohltuenden Schatten gegen die Mittagshitze. Blumenduft erfüllte die Luft. Vom Meer her wehte eine leichte Brise. Wenn Christina mit der Zunge über ihre Lippen fuhr, schmeckte sie einen leichten Hauch von Salz.
Gruppen von Partygästen standen überall in dem parkähnlichen Garten des Hotels verteilt. Geräuschfetzen schwebten durch die Luft, sie hörte eine Frau laut auflachen. Serviererinnen liefen mit Tabletts umher, verteilten Häppchen und Champagner. Die Stimmung war ausgelassen.
Inmitten der Festgesellschaft entdeckte Christina ihre Freundin und Geschäftspartnerin Jenna, die gerade ziemlich eifrig versuchte, einen älteren Herrn in ein Gespräch zu verwickeln. Ärgerlich hob Christina eine Braue, als sie anhand der Farbe des Einbands erkannte, was Jenna dem Mann da unter die Nase hielt: Es handelte sich nicht etwa um die offizielle Marketingmappe ihres Büros, sondern um ihre eigenen, ganz persönlichen Aufzeichnungen, in denen sie sämtliche Entwürfe und Skizzen, aber auch alle bisherigen Erfolge dokumentierte.
Dieses Buch war für sie unersetzbar – was hatte Jenna sich bloß dabei gedacht, es einfach so an sich zu nehmen? Christina seufzte. Aber im Grunde konnte sie ihr nicht einmal einen Vorwurf machen, dass Jenna sämtliche Register zog, um einen neuen Auftrag zu ergattern. Nach der Katastrophe, die vor einigen Monaten ihr Unternehmen beinahe in den Ruin gestürzt hätte, brauchten sie unbedingt eine kräftige Finanzspritze.
Die Umgestaltung des Hotels ihres Vaters war ein Anfang gewesen. Zumindest habe ich das bis vor wenigen Minuten noch geglaubt, dachte Christina frustriert. Jetzt aber standen sie wieder vor einem Scherbenhaufen – und Jenna wusste noch nicht einmal etwas davon.
Christina schüttelte den Kopf. Vermutlich hatte sie selbst ihre Mappe in der Hektik der letzten Vorbereitungen für die große Neueröffnung einfach irgendwo liegen lassen. Nun, sie würde sie sich gleich zurückholen.
Noch einmal ließ sie ihren Blick über die Landschaft schweifen. Wie wunderschön Korfu doch war. Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zurück zu dem Tag, an dem sie mit ihrem Vater hierhergekommen war, nachdem ihre Mutter …
Damals war sie ein zehn Jahre altes Mädchen gewesen, doch auch heute, so viele Jahre später, saß der Schmerz noch tief, und sie hatte gelernt, dass es besser war, nicht zu intensiv darüber nachzudenken. Jedenfalls hatte sie Korfu immer geliebt, auch wenn es manchmal recht einsam hier für sie gewesen war. Aber diese wunderschöne Insel war ihr Zuhause, hier war sie aufgewachsen, und sie hatte sich nicht vorstellen können, jemals von hier wegzugehen.
Doch dann, kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag, hatte ausgerechnet die Liebe zu einem Mann ihr das Leben auf Korfu unerträglich gemacht.
Sieben Jahre lag dieses schicksalhafte Ereignis nun schon zurück. Danach war sie nach England zurückgekehrt und hatte noch einmal ganz von vorn angefangen. Im Grunde verdankte sie ihrer unglücklichen Liebe, dass sie frühzeitig gelernt hatte, auf eigenen Beinen zu stehen. Sie war eine erfolgreiche Geschäftsfrau geworden, unabhängig von ihrem mächtigen Vater.
Tief atmete sie durch. Sie sollte jetzt nicht an die Vergangenheit denken, sondern an das Hier und Jetzt. Fest stand, dass das Innenarchitekturbüro, das sie zusammen mit Jenna ins Leben gerufen hatte, nach einem erfolgreichen Start nun vor dem Ruin stand. Der Auftrag ihres Vaters hätte sie gerettet, aber jetzt …
Wut kochte in ihr hoch. Wie konnte er ihr nur so etwas antun? Besaß er denn überhaupt kein Gewissen?
Und das fragst du dich allen Ernstes? Nach allem, was …
Ihr Blick fiel wieder auf Jenna, die sich nun im Gespräch mit einem anderen, wesentlich jüngeren Mann befand. Christina stutzte. War das nicht …? Aber nein, das konnte nicht sein! Und doch … Sie kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Jetzt konnte kein Zweifel mehr bestehen. Fassungslos schnappte sie nach Luft. Wie konnte er es wagen!
„… haben meine Partnerin und ich entworfen. Möchten Sie sich die Zeichnungen vielleicht einmal ansehen?“
Alexandros Galanis stand, ein Glas Champagner in der Hand, in der herrlichen Parkanlage des Hotels und schaute sich neugierig um, während er mit einem Ohr den Worten der jungen Frau lauschte, die ihn gleich nach seinem Eintreffen in Beschlag genommen hatte. Unter normalen Umständen hätte er sie gleich mit ein paar höflichen, aber bestimmten Worten abgefertigt. Doch da sie offenbar zu dem Innenarchitekturbüro gehörte, das für die Umgestaltung dieses Hotels verantwortlich war, ließ er sie reden.
Er war ohnehin nur hier, um den Innenarchitekten kennenzulernen, den sein Konkurrent und Erzfeind Charles Gallagher mit der Umgestaltung seines aktuellen Projekts beauftragt hatte. Die Präsentation, die anlässlich der feierlichen Neueröffnung wohl versehentlich auch an seine Adresse gegangen war, hatte ihn nämlich ernsthaft beeindruckt. Wer immer dafür verantwortlich zeichnete, war wirklich äußerst begabt. Und seine Gesprächspartnerin bot ihm eine gute Chance, diesem kreativen Kopf auch vorgestellt zu werden.
Er schätzte die junge Frau auf etwa Mitte zwanzig. Sie trug einen lindgrünen Hosenanzug, der ihre überschlanke Figur noch betonte. Das in einem grellen rubinroten Ton gefärbte Haar hatte sie zu einer wilden Hochsteckfrisur auftoupiert, und er empfand den Klang ihrer Stimme als äußerst unangenehm. Kurz gesagt: Sie war überhaupt nicht sein Typ, und das lag weder an ihrer Frisur noch daran, dass er Frauen mit weiblichen Rundungen und Kurven bevorzugte.
„Hören Sie“, sagte er, um sich sein Interesse nicht allzu deutlich anmerken zu lassen, „ich habe wenig Zeit, und …“
„Keine Sorge, es wird nicht lang dauern, Mr …“
„Galanis“, erwiderte er. „Alexandros Galanis.“
„Bitte, Mr Galanis, nur auf einen Blick. Ich versichere Ihnen, dass Sie es nicht bereuen werden.“
Wieder hielt sie ihm die Mappe, die sie schon die ganze Zeit mit sich herumtrug, hin. Alexandros nahm sie schulterzuckend entgegen – und staunte nicht schlecht, als er sie gleich darauf aufschlug.
Das, was er hier zu sehen bekam, war schlicht beeindruckend. Es handelte sich ganz offensichtlich um ein persönliches Sketchbook, nicht um eine Marketingmappe zur Kundenwerbung. Einige der Skizzen waren hastig mit einem Kohlestift hingekritzelt, wiederum andere sauber und so exakt zu Papier gebracht worden, als seien sie gedruckt worden. Eines hatten sie jedoch allesamt gemeinsam: Sie waren von jemandem gezeichnet worden, der sein Handwerk verstand.
Die meisten Studien waren Entwürfe für Innenräume. Mal glaubte Alexandros ein Büro zu erkennen, dann wieder etwas, das wie ein Salon aussah. Er stutzte. Es war nicht nur die Qualität der Zeichnungen, die eindeutig die Handschrift des Innenarchitekten trug, der dieses Hotel umgestaltet hatte, die ihn aufmerksam werden ließ. Nein, es war der Stil selbst. Er kam ihm irgendwie bekannt vor. In der Präsentationsmappe hatte er nur Fotos des fertigen Hotels gesehen, doch diese Zeichnungen schienen eine ganz eigene Sprache zu sprechen. Der energische Strich, die gekonnte Darstellung von Räumen und Dimensionen … Etwas Ähnliches hatte er erst ein einziges Mal gesehen, damals …
Er schüttelte den Kopf. Nein, das konnte unmöglich sein! Es war Jahre her, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte, in jener Nacht, die sein Leben für immer verändern sollte.
Wie immer, wenn er daran dachte, kochte eine heiße Wut in ihm hoch, die er kaum im Zaum zu halten vermochte. Normalerweise war er kein Mensch, der so leicht die Beherrschung verlor, aber bei dieser Frau gelang es ihm einfach nicht gelassen zu bleiben. Und das, obwohl ihre letzte und einzige Begegnung so lange Zeit zurücklag.
„Ich wusste, dass Sie beeindruckt sein würden, wenn Sie sich die Zeichnungen erst einmal angeschaut haben.“
Abrupt kehrte Alexandros in die Realität zurück. „Von wem sind sie?“ Er fixierte sein Gegenüber scharf. „Haben Sie diese Skizzen gezeichnet?“ Er hielt ihr die Mappe vor die Nase. „Sind das Ihre Unterlagen?“
Plötzlich wirkte sie nervös. „Ähm … Nein, ich …“
„Nun reden Sie schon!“ Ungeduldig sah Alexandros sie an, als auf einmal eine Stimme direkt hinter ihm erklang.
„Diese Mappe gehört mir. Geben Sie sie mir gefälligst zurück!“
Alexandros kniff die Augen zusammen. Er hatte die Stimme sofort wiedererkannt, auch wenn er sie seit sieben Jahren nicht mehr gehört hatte.
Langsam drehte er sich um.
Christina stockte der Atem.
Bis zuletzt hatte sie gehofft, sich zu täuschen, doch jetzt gab es keinen Zweifel mehr: Es war wirklich Alexandros, der vor ihr stand – und noch immer war die Wirkung, die er auf sie ausübte, im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend. Ihre Knie wurden weich, und sie musste sich am Rand eines Gartentisches festklammern, um nicht einfach zu Boden zu sinken.
„Alexandros …“ Wie eine Flutwelle brach die Vergangenheit über sie herein. So lange hatte sie die Erinnerungen an das, was vor sieben Jahren geschehen war, verdrängt, dass es ihr beinahe unwirklich vorkam, ihm plötzlich wieder gegenüberzustehen. Und es ärgerte sie, dass es ihm noch immer spielend gelang, sie derart die Kontrolle über sich verlieren zu lassen. „Was hast du hier zu suchen?“ Sie maß ihn mit einem feindseligen Blick. „Ich kann mir offen gestanden nicht vorstellen, dass mein Vater dich zu seiner Eröffnungsparty eingeladen hat.“
Er lachte, doch seine Augen blickten kalt. „Nein, natürlich nicht. Ich wüsste nicht, wann Charles Gallagher auch nur ein einziges Mal etwas für mich getan hätte.“
Christina war ein bisschen überrascht darüber, dass er offenbar inzwischen ihre Identität kannte, denn sie hatte ihm damals nicht verraten, wer sie war, und danach waren sie einander nie wieder begegnet. Aber vermutlich hatte er irgendwann in den letzten Jahren ein Bild in einer Illustrierten gesehen, das sie zusammen mit ihrem Vater zeigte.
Nun, sie wusste ebenfalls, was aus ihm geworden war. Er hatte es ihr allerdings auch nicht gerade schwer gemacht, seinen Werdegang zu verfolgen, schließlich war er nicht nur einer der erfolgreichsten Hoteliers von ganz Griechenland, sondern auch ein in den Kreisen der griechischen High Society äußerst begehrter Junggeselle.
Doch das brauchte sie jetzt nicht mehr zu interessieren. Er war ganz offensichtlich seinen Weg gegangen – und sie den ihren. Außerdem gehörte das, was zwischen ihnen passiert war, der Vergangenheit an. Und obwohl gerade sie im Moment kaum Grund hatte, ihren Vater zu verteidigen, ärgerte sie sich über Alexandros’ gehässige Worte. Doch sie gönnte ihm die Genugtuung nicht, und deshalb ließ sie sich nichts anmerken.
„Was willst du von mir?“, fragte sie kühl.
Wieder lachte er. „Du hast dich wirklich nicht verändert, matia mou. Offenbar glaubst du immer noch, dass sich die ganze Welt nur um dich dreht. Aber ich muss dich enttäuschen. Ich wollte mir einfach nur ansehen, was dein Vater hier auf die Beine gestellt hat. Du kennst doch meine Devise: Sei deinen Freunden nah, aber deinen Feinden noch näher.“
Er sagte es mit einer solchen Anzüglichkeit und ohne wirklich klarzustellen, auf wen – Christina oder ihren Vater – seine Worte sich bezogen, dass ihr das Blut ins Gesicht schoss. Jenna warf ihr einen fragenden Blick zu, den sie jedoch ignorierte. Und als Alexandros ohne ein Wort in einen stilleren Bereich des Gartens ging, folgte sie ihm langsam, während Jenna irritiert zurückblieb.
„Gib mir meine Mappe“, fauchte sie. „Und dann verschwinde!“
Auf einmal ging alles ganz schnell: Unvermittelt machte Alexandros einen Schritt auf sie zu. Christina wich instinktiv zurück und fand sich im nächsten Augenblick mit dem Rücken an einem Baumstamm wieder.
Schwer atmend stand sie da. Alexandros war ihr jetzt so nah, dass sie den betörenden Duft seines Rasierwassers roch, der sie schon damals hatte schwach werden lassen. Doch sie war nicht mehr das unerfahrene junge Mädchen von vor sieben Jahren – auch wenn er ihr Herz noch immer schneller pochen ließ.
Energisch legte sie ihm die Hände auf die Brust und versuchte, ihn von sich wegzudrücken – erfolglos, wenn man von der Tatsache absah, dass das Spiel seiner Muskeln unter ihren Fingern heiße Wellen der Erregung durch ihren Körper sandte.
„Hör auf damit, verdammt!“ Sie warf den Kopf zurück und funkelte ihn wütend an.