1. KAPITEL
„Willkommen zu Hause, meine verehrte
Ehefrau.“
Morgan erstarrte, als sie seine Stimme hörte.
Sie stand im Türrahmen des eleganten Wohnzimmers der Villa
Angelica. Der kühle Marmorboden glänzte im Licht der
hereinscheinenden Sonne. Die Aussicht auf Meer und Himmel war
spektakulär. Doch das alles nahm sie gar nicht wahr.
Fünf Jahre waren vergangen, seit sie Drakon
zuletzt gesehen hatte. Vor fünfeinhalb Jahren hatten sie
geheiratet. Es war eine typisch pompöse Milliardärshochzeit
gewesen. Mit allem, was dazugehörte. Ihre Ehe hatte gerade einmal
sechs Monate gehalten.
Sie hatte sich vor diesem Moment gefürchtet.
Mehr, als sie sich eingestehen wollte. Dabei klang Drakon
unerwartet entspannt, fast herzlich. So, als wäre sie nur eine
Weile allein im Urlaub gewesen. Dabei war es tatsächlich so
gewesen, dass sie ihn vor fünf Jahren verlassen hatte.
„Du weißt genau, dass ich nicht mehr deine
Ehefrau bin, Drakon“, antwortete sie leise. Sie waren Fremde
füreinander. Seit Jahren. Es gab keinerlei Kontakt zwischen ihnen,
seitdem sie die Scheidung eingereicht hatte.
Doch er hatte die Einwilligung verweigert. Und
sie hatte ein kleines Vermögen für den Rechtsstreit mit ihm
ausgegeben. Doch kein Anwalt, kein Prozess und kein Geld der Welt
hatten ihn dazu bringen können, sie gehen zu lassen. Ein Heiratsschwur ist heilig. Das waren seine Worte
gewesen. Wenn man sich einmal dafür entschieden habe, mit jemandem
den Rest seines Lebens zu verbringen, dann könne man es sich nicht
einfach aus einer Laune heraus anders überlegen. Sie gehörte ihm.
Und die Gerichte in Griechenland waren auf seiner Seite.
Möglicherweise hatte er sie sogar mit Geld bestochen. Zutrauen
würde sie es ihm.
„Natürlich bist du noch meine Ehefrau. Aber ich
hab keine Lust, quer durch das Wohnzimmer mit dir darüber zu
diskutieren. Komm rein, Morgan, und setz dich. Was möchtest du
trinken? Champagner? Bellini? Oder etwas Stärkeres?“
Ihre Knie waren so weich, dass sie Angst hatte,
das Gleichgewicht zu verlieren, sobald sie einen Schritt machte.
Außerdem irritierte sie Drakons Aussehen. Sie hatte ihn auf den
ersten Blick fast nicht erkannt.
„Ich möchte nichts, danke“, gab sie zurück und
sah an ihm vorbei hinaus auf die rauen Klippen und das leuchtend
blaue Meer. Es war ein wunderschöner Tag. Ein perfekter
Frühlingstag an der Amalfiküste.
Eigentlich hätte sie gern etwas Wasser
getrunken. Ihr Mund war furchtbar trocken, und ihr Herz raste.
Alles um sie herum schien sich zu drehen. Dieser Mann hier vor ihr
machte sie total nervös. Er erschien ihr wie ein Fremder. Und doch
war er ihr so vertraut.
Der Drakon Xanthis, den sie geheiratet hatte,
hatte raspelkurzes dunkles Haar gehabt und eine schlanke, fast
geschmeidig wirkende Erscheinung.
Der Mann dort vor ihr am Fenster hingegen hatte
auffällig breite Schultern, einen muskulösen Oberkörper und dickes
tiefschwarzes Haar, das ihm in wilden Locken fast bis auf die
Schultern fiel. Seine kantigen Gesichtszüge waren hinter dem
buschigen Vollbart kaum noch zu erkennen.
Dennoch schien sein neues Aussehen seine
Schönheit noch hervorzuheben. Seine gebräunte Haut ließ seine
bernsteinfarbenen Augen leuchten. Und sein feuchtes Haar erinnerte
Morgan an den griechischen Meeresgott Poseidon …
Es gefiel ihr nicht. Es gefiel ihr überhaupt
nicht. Sie war nicht darauf vorbereitet … Auf ihn.
„Du siehst blass aus“, bemerkte er spöttisch.
Seine tiefe Stimme jagte ihr noch immer Schauder über den
Rücken.
Sofort richtete sie sich auf. Sie würde sich
nicht von ihm einschüchtern lassen.
„Es war eine ziemlich lange Reise …“
„Dann solltest du dich vielleicht doch besser
setzen, meinst du nicht?“
Instinktiv ballte sie die Hände zu Fäusten. Sie
wollte überhaupt nicht hier sein. Und sie hasste ihn dafür, dass er
darauf bestanden hatte, sie in der Villa Angelica zu treffen. Hier,
wo sie damals ihre Flitterwochen verbracht hatten. Es waren die
glücklichsten vier Wochen ihres Lebens gewesen. Danach waren sie
nach Griechenland geflogen. Und damit hatte sich alles zwischen
ihnen verändert.
„Ich stehe hier ganz gut“, entgegnete sie
trotzig.
„Du brauchst keine Angst vor mir zu haben“,
murmelte er. „Ich werde dir nicht wehtun.“
Morgan versuchte, stark zu bleiben. Hinter
ihren Augenlidern brannten Tränen. Am liebsten hätte sie sich auf
dem Absatz umgedreht und das Haus verlassen. Um sich vor ihm zu
retten. Dummerweise war Drakon der Einzige, der ihr helfen konnte.
Ausgerechnet der Mann, der sie fast um den Verstand gebracht hatte.
Der ihr Leben zerstört hatte.
„Das hast du bereits getan.“
„Ach ja?“ Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch.
„Ich weiß immer noch nicht, womit ich dir wehgetan habe …“
Sie seufzte.
„Ich bin nicht hier, um über uns und unsere
Probleme von damals zu sprechen. Ich bin hier, weil ich deine Hilfe
brauche. Du weißt, worum es geht …“ Sie zögerte und sah ihn flehend
an. „Hilfst du mir?“
„Sechs Millionen Dollar ist eine Menge
Geld.“
„Nicht für dich.“
„Die Dinge haben sich geändert. Dein Vater hat
mehr als vierhundert Millionen Dollar meines Kapitals
verloren.“
Drakon schüttelte den Kopf.
„Es war nicht sein Fehler“, versuchte Morgan,
ihren Vater zu verteidigen. Sie würde verlieren, wenn sie jetzt
klein beigab. So wie damals, als sie es nicht geschafft hatte, sich
gegen ihn durchzusetzen.
Ihr griechischer Reederei-Tycoon spielte
ausschließlich nach seinen eigenen Regeln. Genau wie Morgans Vater
Daniel auch. Drakon Sebastian Xanthis war geradezu besessen von
Macht und Geld. Und von einer Frau, die nicht seine Ehefrau war.
Bronwyn. Eine hübsche Australierin, die seine Geschäftstätigkeiten
in Südostasien regelte.
Sofort verkrampfte Morgan sich. Sie würde jetzt
nicht an Bronwyn denken. Außerdem spielte es gar keine Rolle, ob
die attraktive Blondine noch immer für ihn arbeitete. Drakon
gehörte schon lange nicht mehr zu ihrem Leben. Es interessierte
Morgan nicht, wie er mit seinen Geschäftsleiterinnen umging und ob
er sich auf seinen Geschäftsreisen ein Zimmer mit ihnen teilte oder
nicht.
„Glaubst du das etwa wirklich?“, fragte er und
warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Dass deinen Vater keine
Schuld trifft?“
„Aber natürlich! Er ist manipuliert worden
…“
Morgan spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht
stieg. Wie sollte sie Drakon bloß davon überzeugen, dass ihr Vater
unschuldig war?
„Morgan“, sagte er jetzt beschwörend. „Dein
Vater ist einer der wichtigsten Drahtzieher bei einem der größten
Betrugsskandale überhaupt. Fünfundzwanzig Milliarden Dollar sind
spurlos verschwunden. Und dein Vater hat fünf Milliarden davon
Michael Amery zukommen lassen. Damit hat er sich zehn Prozent
Zinsen gesichert.“
„Er hat das Geld nie bekommen …“
„Verdammt noch mal, Morgan! Ich kenne deinen
Vater. Hör doch auf, mich für dumm zu verkaufen!“
Morgan presste die Lippen aufeinander. Sie
durfte jetzt keinen Streit mit Drakon anfangen. Ihr Vater war kein
Monster. Er hatte seine Kunden nicht betrogen. Ihr Vater war
genauso betrogen worden wie seine Kunden. Und er bekam nicht einmal
die Chance, sich zu verteidigen und zu erklären. Die Medien hatten
ihn als den Täter dargestellt, und die Öffentlichkeit zweifelte
nicht an, was in den Zeitungen stand.
„Mein Vater ist unschuldig, Drakon. Er hatte
keine Ahnung, dass Michael Amery illegale Geschäfte betrieb.“
„Warum hat er dann so eilig das Land verlassen,
wenn er sich nichts vorzuwerfen hat?“
„Drakon, er hatte Angst! Er war völlig panisch,
als er merkte, dass man ihm nicht glaubte.“
„So ein Blödsinn! Wenn das der Grund ist, dann
ist dein Vater ein Feigling und verdient sein Schicksal zu
Recht.“
Morgan schüttelte bloß den Kopf. Sie wusste
nicht mehr, was sie noch sagen sollte. Unauffällig musterte sie
ihren Ehemann. Er sah anders aus, aber seine tiefe sanfte Stimme
war noch immer die gleiche. Und diese Augen. Sie hatte sich
zuallererst in seine Augen verliebt. In diesen intensiven Blick. Er
hatte sie auf dem Ball in Wien, wo sie sich das erste Mal begegnet
waren, den ganzen Abend mit Blicken verfolgt. Sie erinnerte sich
noch, wie es ihr anfänglich unangenehm gewesen war, von ihm
beobachtet zu werden. Dann hatte sie festgestellt, dass es ihr
gefiel. Sogar sehr gefiel.
Während der ersten Wochen ihres Kennenlernens
hatte Drakon sie nur mit Blicken verführt. Noch bevor er ihren
Körper überhaupt berührt hatte, hatte sie längst ihm gehört.
Die letzten fünf Jahre jedoch waren der
absolute Horror gewesen. Und kaum, dass Morgan wieder etwas Kraft
geschöpft hatte und anfing, hoffnungsvoller in die Zukunft zu
blicken, war ihre Welt erneut eingestürzt. Auslöser war die
Veröffentlichung der Behauptung, dass der Bankier Daniel Copeland,
ihr geliebter Vater, in Michael Amerys berüchtigtes Ponzi-Schema
verwickelt war. Zu ihrem Entsetzen war ihr Vater sofort aus dem
Land geflüchtet, statt sich den Medien zu stellen und die ganze
Situation gewohnt souverän zu handhaben. Damit hatte er einen
internationalen Skandal ausgelöst.
Morgan holte tief Luft.
„Ich kann ihn nicht in Somalia sterben lassen,
Drakon. Die Piraten bringen ihn um, wenn sie das Lösegeld nicht
bekommen.“
„Das würde ihm nur recht geschehen.“
„Drakon, er ist mein Vater!“
„Du willst dich also für den Rest deines Lebens
in Schulden stürzen, obwohl du weißt, dass er nach seiner
Freilassung sofort ins Gefängnis wandert?“
„Ja, das will ich.“
Ihre Stimme zitterte.
„Dir ist also klar, dass er sofort festgenommen
wird, sobald er ein nordamerikanisches oder europäisches Land
betritt?“
„Ja, das weiß ich.“
„Er wird lebenslänglich bekommen. Genau wie
Michael Amery, wenn sie ihn schnappen.“
„Das weiß ich doch alles“, verteidigte sie
sich. „Trotzdem ist es tausend Mal besser für meinen Vater, in
einem amerikanischen Gefängnis zu sitzen, als von den somalischen
Piraten gefangen gehalten zu werden. Im Gefängnis bekommt er
zumindest die Medikamente, die er für seinen Blutdruck braucht. Er
darf Besuch empfangen und Briefe und kann Kontakt mit der Außenwelt
halten. Ich möchte nicht wissen, unter welchen Umständen er bei den
Piraten lebt.“
„Sicher nicht besonders luxuriös. Ich sehe
allerdings nicht ein, warum der amerikanische Steuerzahler für
deinen Vater aufkommen soll. Lass ihn bleiben, wo er ist, Morgan.
Ehrlich. Er hat es nicht anders verdient.“
Wutentbrannt funkelte sie ihn an.
„Wie kannst du das von mir erwarten? Sagst du
das, weil er dein ganzes Geld verloren hat oder weil du mir nicht
helfen willst?“
Drakon zuckte die Schultern.
„Ich bin Geschäftsmann. Natürlich ärgert es
mich, wenn ich Geld verliere. Genauso, wie es all die anderen Leute
geärgert hat, die ihm ihr Geld anvertraut haben. Ihre ganzen
Ersparnisse. Er hat das Geld einfach an Amery weitergeleitet, und
nun stehen all diese Leute vor dem Nichts. Ohne Altersabsicherung,
ohne jegliche Rücklagen. Sie haben deinem Vater vertraut,
Morgan.“
„Michael Amery war sein bester Freund“,
verteidigte Morgan ihren Vater. „Es war fast so, als würde er zur
Familie gehören. Mein Vater hat ihm blind vertraut.“ Morgans Stimme
wurde brüchig. Sie schluckte. „Ich hab ihn als Kind immer Onkel
Michael genannt … Er war eine ganz enge Bezugsperson für mich.“
„Ja, das hast du mir damals erzählt. Sonst
hätte ich deinem Vater sicher nicht die vierhundert Millionen
Dollar gegeben, die er für mich investieren sollte. Leider hat er
mein Vertrauen missbraucht.“
Langsam atmete sie aus.
„Heißt das nun, dass du mir nicht helfen
wirst?“
Drakon schwieg.
„Wahrscheinlich nicht …“, sagte er dann.
„Wahrscheinlich?“, wiederholte sie mit rauer
Stimme. Wenn Drakon ihr nicht half, dann würde ihr niemand helfen,
das wusste sie. Die ganze Welt hasste ihren Vater seit dieser
Geschichte. Niemand hätte auch nur das geringste Interesse daran,
dass er befreit wurde. Ganz im Gegenteil. Wahrscheinlich würden die
meisten sogar hoffen, dass er elendig umkam bei den Piraten.
„Dir ist klar, dass ich zurzeit nicht gut auf
deinen Vater zu sprechen bin, glykia
mou, oder?“
„Deswegen kannst du mir doch trotzdem das Geld
leihen“, murmelte sie und sah ihn bittend an. „Wir werden alles
vertraglich festhalten, und ich werde es dir mit Zinsen
zurückzahlen. Mein Geschäft läuft gut. Ich hab gerade eine ganze
Menge Aufträge hereinbekommen. Ich verspreche dir …“
„Versprechen?“,
unterbrach er sie abrupt. „So, wie du mir versprochen hast, mich zu
lieben, bis dass der Tod uns scheidet? In guten wie in schlechten
Zeiten?“
Sie seufzte. Er tat ja gerade so, als sei er
ihr völlig egal gewesen. In Wirklichkeit hatte sie ihn viel zu sehr
geliebt. Und dabei sich selbst verloren.
„Warum hast du dich dann nicht von mir scheiden
lassen? Warum lässt du mich nicht gehen, wenn du mich doch so
verachtest?“
„Weil ich nicht so bin wie du. Ich gebe keine
Versprechungen und halte sie dann nicht. Und ich laufe auch nicht
davon, wenn es schwierig wird. Ich hab dir vor fünf Jahren
versprochen, loyal zu sein, und ich habe mein Versprechen
gehalten.“
Seine raue tiefe Stimme ließ sie ganz weich
werden. Sie wandte den Blick ab.
Drakon ließ sie nicht aus den Augen.
„Das sind doch bloß Worte, Drakon. Sie bedeuten
mir nichts. Was zählt, sind Taten. Und deine Taten haben leider
sehr zu wünschen übrig gelassen.“
„Meine Taten?“
„Ja, deine Taten. Oder vielmehr deine
mangelnden Taten. Du machst immer nur das, was dir Vorteile
verschafft. Du hast mich geheiratet, weil du geglaubt hattest, es
würde dir guttun. Und dann, als es mit einem Mal nicht mehr so
einfach war zwischen uns, bist du einfach … verschwunden. Du hast
nichts unternommen, um mich zurückzuholen. Du hast kein bisschen um
mich gekämpft. Aber die Scheidung hast du mir auch nicht gegönnt.
Und als meine Familie dann in diesen Schlamassel geraten ist, hast
du nicht einmal versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen.“ Sie rang
nach Luft. „Du hattest wohl Angst um deinen guten Ruf, ja? Wenn die
Presse rausbekommt, dass du etwas mit der Copeland-Familie zu
schaffen hast …“
Einen endlos langen Moment sah er sie nur
an.
„Interessant, was du dir da alles
zusammengereimt hast. Es überrascht mich allerdings nicht. Du
scheinst deinen Sinn für Dramatik von deiner Mutter geerbt zu
haben.“
„Weißt du was, ich hasse dich!“, schrie sie ihn
an. Ihre Stimme zitterte, ihre Augen brannten. Sie würde ihm jetzt
nicht auch noch die Genugtuung geben und anfangen zu heulen. „Ich
wusste, dass du dich über mich lustig machen würdest. Und ich
wusste auch, dass du dafür sorgen würdest, dass ich vor dir auf die
Knie falle und darum bettele, dass du mir hilfst …“
„Entschuldige bitte, dass ich deine kleine
theatralische Rede unterbreche, aber ich möchte erst einmal etwas
klarstellen“, fuhr er dazwischen. „Du kommst nach all den Jahren
hierher und bittest mich um Geld. Nein, du bittest nicht, du
forderst es sogar ein. Findest du das nicht ein bisschen frech? Und
dann tust du auch noch so, als würde ich dich zwingen zu
betteln.“
Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an.
Sie fühlte sich, als würde ein Orkan in ihr toben, so wütend machte
er sie.
„Du willst also, dass ich bettele, ja? Ist es
das? Es passt dir nicht, dass ich einfach davon ausgegangen bin,
dass du mir helfen wirst …“
Drakon erwiderte ihren Blick, ohne mit der
Wimper zu zucken.
„Es wäre höflicher gewesen, mich erst einmal zu
fragen.“
„Es wäre höflicher gewesen?“, wiederholte sie
tonlos. Ihr Mund war mit einem Mal ganz trocken.
Er schwieg und beobachtete sie.
Und sie merkte, dass sie kaum noch atmen konnte
unter seinen prüfenden Blicken und bei dem Gedanken an ihre
gemeinsamen Flitterwochen in diesem Haus. Hier hatte sie alles über
Liebe und Lust gelernt, was man sich nur vorstellen konnte. Dazu
hatte auch Schmerz, Macht und Kontrollverlust gehört.
Drakon hatte nie die Kontrolle verloren. Morgan
jedoch hatte er dazu gebracht, dass sie sich ihm mindestens ein Mal
am Tag, wenn nicht öfter, willenlos hingab.
Sie hatten ein heißes Sexleben gehabt. Es war
immer aufregend und erotisch zwischen ihnen gewesen. Als sie ihn
heiratete, war sie noch Jungfrau. Ihr erstes Mal war für sie
unangenehm gewesen. Er war sehr groß gewesen, und es hatte
wehgetan, als er in sie eingedrungen war. Drakon hatte sich alle
Mühe gegeben, damit es schön für sie war. Doch Morgan war viel zu
überwältigt gewesen, um sich wirklich fallen lassen zu können. Es
war ziemlich enttäuschend für sie gewesen. Sie wusste, er hatte es
sich anders vorgestellt. Sie war weder auf ihn eingegangen, noch
hatte sie einen Orgasmus gehabt.
Als sie hinterher gemeinsam duschten, küsste er
ihre Brüste, ihren Bauch, tastete sich weiter vor, bis er ihre
empfindsamste Stelle erreichte. Das warme Wasser der Dusche lief
ihm über das Gesicht, als er vorsichtig begann, mit den Lippen ihre
Klitoris zu liebkosen. Bis er endlich das erreichte, was er zuvor
im Bett nicht geschafft hatte. Sie kam. Und er hielt sie in seinen
Armen, als sie aufstöhnte und ihre Beine unter ihr nachzugeben
drohten. Und dann küsste er sie mit einer Leidenschaft, dass ihr
der Atem wegblieb. Er versprach ihr, es würde beim nächsten Mal
nicht mehr wehtun.
Und so war es dann auch.
Das hieß jedoch nicht, dass ihr Sex von nun an
immer leicht und angenehm war. Drakon liebte es intensiv. Sinnlich.
Ursprünglich. Und unvorhersehbar. Manchmal stand er einfach nur am
anderen Ende des Raums – so wie jetzt in diesem Moment –
und sagte ihr, was sie tun sollte. Mal verlangte er, dass sie sich
auszog und nackt auf ihn zuging. Dann wieder wollte er, dass sie
nichts außer ihren Stöckelschuhen trug und sich langsam über den
Tisch beugte. Oder einen Fuß auf den Stuhl stellte, während er ihr
sagte, wo sie sich berühren sollte.
Jedes Mal protestierte Morgan lautstark. Doch
ein Blick von ihm unter seinen gesenkten Lidern hindurch ließ sie
dahinschmelzen. Wenn er ihr dann noch sagte, wie schön sie sei und
wie gern er sie ansah und es genoss, dass sie ihm vertraute … ihm
gehorchte …
Sie hasste diese Dominanz, aber sie war Teil
ihres Vorspiels. Im Bett hatten sie immer guten Sex. Doch es gab
noch diese andere Art von Sex. Die Art, wo sie all diese erotischen
Spiele spielten, die sie an ihre Grenzen brachte. Sie tat immer,
was er ihr sagte. Anfangs hatte es sie verwirrt. Irgendwann jedoch
begann sie, ihre kleinen Spiele zu genießen. Sie liebte es, wenn er
zu ihr kam und sie mit seinem Mund und seinen Fingern verwöhnte.
Und mit den Händen über ihren Po und durch ihr Haar strich, nach
ihren Schenkeln griff und sie auseinanderdrückte. Er stimulierte
sie so langsam, dass sie jedes Mal glaubte, sie würde nie zum
Höhepunkt gelangen. Und dann, wenn vor Verlangen fast alles in ihr
schmerzte, gab er ihr endlich, wonach sie sich sehnte. Entweder
ließ er seine Zunge über ihre empfindlichste Stelle gleiten, oder
er drang in sie ein und bewegte sich in ihr, bis sie sich vor
Ekstase nicht mehr halten konnte. Ihre Höhepunkte schienen endlos
zu sein. Dafür sorgte er. Und wenn es vorbei war, hielten sie sich
still und erschöpft in den Armen. Er hatte wieder einmal bekommen,
was er wollte.
Das waren die Momente, in denen sie ihm am
besten gefiel. Wenn sie sich völlig verausgabt an ihn schmiegte mit
ihrem erhitzten Körper. Wenn sie still und gefügig war. Und
keinerlei emotionale Forderungen stellte. Nicht reden wollte.
Nichts von ihm erwartete.
Morgan spürte, wie sich ihr Herz
zusammenkrampfte. Sie war damals so jung gewesen. So naiv. Sie
hatte alles getan, um ihrem schönen griechischen Göttergatten zu
gefallen.
Die Flitterwochen hier mit ihm, diese
vier Wochen voller erotischer Leidenschaft, hatten sie für immer
verändert. Sie konnte nicht einmal an diese Villa denken, ohne sich
sofort daran zu erinnern, wie sie sich in jedem einzelnen Raum
geliebt hatten, auf jede nur vorstellbare Art. Auf Betten, Stühlen,
Fensterbänken und Treppen. Auf kostbaren Teppichen, Marmorböden
und den kühlen smaragdgrünen Fliesen in der Eingangshalle.
Ihr wurde leicht übel bei dem Gedanken daran.
Er hatte sie nicht nur genommen. Er hatte sie gebrochen. Er hatte
ihren Willen gebrochen, wie bei einem jungen Pferd, das sich immer
wieder aufbäumte, bis es schließlich aufgab und seinem
unnachgiebigen Reiter gehorchte.
„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich dich
richtig verstanden hab, Drakon“, murmelte sie heiser. „Und ich weiß
nicht, ob wir hier nun ein kulturelles, ein persönliches oder ein
sprachliches Problem haben … Willst du,
dass ich bettele? Geht es dir darum?“ Stolz hob sie ihr Kinn,
während Tränen in ihren Augen glänzten und ihr Herz brannte, als
hätte jemand hineingestochen. „Erwartest du, dass ich dich anflehe?
Ist das der einzige Weg, um an dich heranzukommen?“
Er erwiderte ihren Blick, ohne eine Miene zu
verziehen. Plötzlich erschien ihr das großzügige Wohnzimmer, in dem
sie standen, furchtbar klein.
„Es gefällt mir, wenn du vor mir auf die Knie
gehst“, antwortete er unbeeindruckt.
Morgan bemühte sich, sich ihre Enttäuschung
nicht ansehen zu lassen.
„Ich erinnere mich“, gab sie zurück. Sie
wusste, der Zeitpunkt war gekommen. Sie sollte jetzt besser gehen.
Solange sie noch konnte. Solange sie sich noch einen Funken Stolz
bewahren konnte. „Auch wenn ich es lieber vergessen hätte.“
„Warum hättest du es vergessen wollen? Unser
Sexleben war grandios.“
Fast angewidert entgegnete sie Drakons Blick.
Er hatte recht. Was Sex anging, war es wunderbar gewesen zwischen
ihnen. Ihre Ehe jedoch war leer und gefühllos gewesen.
Ihm schien das nichts ausgemacht zu haben.
Wahrscheinlich hatte er nicht einen einzigen Gedanken daran
verschwendet, dass seine Braut möglicherweise unglücklich sein
könnte. Dass sie Gefühle hatte. Bedürfnisse. Warum auch? Drakons
Bedürfnisse waren schließlich viel einfacher. Er brauchte lediglich
eine Frau, die immer bereit und willig war.
„Gut, dann gehe ich also auf die Knie“,
murmelte sie schließlich und warf ihm einen höhnischen Blick
zu.
„Lass das!“, fuhr er sie an, als sie ihren Rock
anhob und ein Knie auf den Marmorboden setzte.
„Ich dachte, du willst es so?“
„Herrgott noch mal, Morgan! Glaubst du
ernsthaft, es gefällt mir, wenn du mich anbettelst?“
Morgan schwieg. Sie wusste nicht mehr, was sie
denken sollte. Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte.
Er musste ihr einfach helfen.
Wenn er es nicht tat, dann war ihr Vater für
immer verloren.
„Ich habe absolut kein Verlangen danach, dass
meine Frau sich vor mir klein macht“, fuhr Drakon mit gefährlich
leiser Stimme fort. „Auch nicht für ihren Vater. Ganz im Gegenteil,
ich finde es abstoßend …“
„Er ist mein Vater!“
„Und er hat dich im Stich gelassen! Und darum
macht es mich ganz krank, dass du dich hier für einen Mann
einsetzt, der dich und den Rest deiner Familie sitzen gelassen hat.
Ein Mann hat für seine Familie zu sorgen, statt sie
auszubeuten.“
„Mein lieber Drakon Xanthis“, entgegnete sie
leise. „Nicht jeder lebt in einem Elfenbeinturm, so wie du. Behütet
von Bodyguards und über alles erhaben. Ich habe dieses Privileg
leider nicht. Ich habe überhaupt nichts mehr. Unsere Familie hat
alles verloren, Drakon. Geld, Sicherheiten, Häuser, Autos … ihren
guten Ruf. Es ist mir nicht wichtig, dieses Luxusleben nicht mehr
führen zu können. Am schlimmsten ist, dass meine Familie mit den
Nerven am Ende ist. Wir leben im absoluten Chaos …“
Sie brach ab und rang nach Luft. Es brachte
nichts, in Selbstmitleid zu baden. Erst recht nicht bei Drakon. Er
hasste Gefühlsduselei und Emotionen. Schon damals hatte er seine
Ohren auf Durchzug gestellt, wenn sie auch nur die Stimme erhoben
hatte.
Da war es wieder. Wieder einmal machte sie sich
Gedanken darum, was Drakon wollte. Nach all den Jahren besaß er
immer noch diese Macht über sie.
Was war mit ihr? Warum ging es nie um ihre
Bedürfnisse und Gefühle?
Morgan spürte, dass sie schon wieder einen Kloß
im Hals hatte. Hastig blinzelte sie und richtete sich auf. Sie
würde sich jetzt keine Blöße vor ihm geben.
„Ich weiß, es ist dir unangenehm, mich so zu
sehen. In dieser verzweifelten Situation. Aber so sieht es nun
einmal gerade aus bei mir. Und ich bin mittlerweile so weit, bis
zum Äußersten zu gehen, um meiner Familie zu helfen.