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Historical Exklusiv Band 74
Erscheinungstag: | Di, 04.12.2018 |
Erscheinungstag: | Di, 04.12.2018 |
Bandnummer: | 74 |
Bandnummer: | 74 |
Seitenanzahl: | 512 |
Seitenanzahl: | 512 |
ISBN: | |
ISBN: | 9783733734022 |
E-Book Format: | ePub oder .mobi |
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Ein Teil von ihr
Mutter. Heldin. Lügnerin. Mörderin?
Im Bruchteil einer Sekunde kann sich dein Leben für immer verändern….
Du hast die Nachrichten gesehen, über die Gewalt in dieser Welt den Kopf geschüttelt und weitergemacht wie immer. Nie könnte dir so etwas passieren, dachtest du.
Andrea Oliver erlebt das Entsetzlichste. Einen Amoklauf. Was sie noch mehr schockiert: Ihre Mutter Laura entreißt dem Angreifer ein Messer und ersticht ihn. Andrea erkennt sie nicht wieder. Offenbar ist Laura mehr als die liebende Mutter und Therapeutin, für die Andrea sie immer gehalten hat. Sie muss einen Wettlauf gegen die Zeit antreten, um die geheime Vergangenheit ihrer Mutter zu enthüllen, bevor noch mehr Blut vergossen wird …
Laura weiß, dass sie verfolgt wird. Und dass ihre Tochter Andrea in Lebensgefahr ist …
»Dieser Thriller wird Sie um den Schlaf bringen. Für Slaughter-Fans ist „Ein Teil von ihr“ ein absolutes Lese-Muss.«
ok!
»Wie immer hat Slaughter … keine Scheu, Verbrechen in all ihrer Brutalität und Grausamkeit zu schildern. […] Daneben aber beweist sie ebenso viel Gespür für die Zerrissenheit, für Sehnsüchte und Ängste, für starke Gefühle und damit verbundene innerliche Eruption, kurz: für die Komplexität ihrer Charaktere.«
dpa
»Karin Slaughters „Ein Teil von ihr“ liest sich als moderne Geschichte über komplizierte Vereinigte Staaten von Amerika, in der charakteristische Merkmale des American Way of Life ebenso aufscheinen wie der Mythos vom Grenzland.«
krimi-couch.de
»Provokanter und raffinierter als alles, was sie zuvor geschrieben hat.«
vol.at
»Eine spannende Lektüre bis zum Schluss.«
SpotOnNews
»Fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite.«
Magazin-frankfurt.com
»Karin Slaughter gilt völlig zu Recht als eine der besten Krimi-Autoren der USA. Ihre Geschichten fesseln von Anfang bis Ende.«
IN
»Karin Slaughter zählt zu den talentiertesten und stärksten Spannungsautoren der Welt.«
Yrsa Sigurðardóttir
»Jeder neue Thriller von Karin Slaughter ist ein Anlass zum Feiern!«
Kathy Reichs
»Karin Slaughter bietet weit mehr als unterhaltsamen Thrill.«
SPIEGEL ONLINE über »Pretty Girls«
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Mein irischer Held
1. KAPITEL
Irland 1171
Genevieve de Renalt keuchte. Jeder Atemzug brannte ihr in der Lunge. Jeder Muskel ihres Körpers schien gegen die Bewegung zu protestieren. Aber sie wollte nicht aufgeben. Es war allein ihrer Willenskraft zu verdanken, dass sie nicht zusammenbrach. Ihrer Willenskraft und der Hoffnung, ihm zu entrinnen. Denn mit jedem Schritt, den sie tat, kam sie der Freiheit näher.
Dann hörte sie hinter sich Hufgetrappel. Sie wusste, dass nur er es sein konnte. Er hatte die Verfolgung aufgenommen.
„Du Dummkopf“, schalt sie sich selbst. Sie wusste, dass sie ein Pferd gebraucht hätte, warme Kleidung, einen kleinen Vorrat an Lebensmitteln und Geld, um ihm zu entkommen. Aber sie hatte keine Zeit gehabt, irgendwelche Vorbereitungen zu treffen. Als sie eine Gelegenheit sah, zu fliehen, hatte sie sie, ohne nachzudenken, ergriffen. Sie hatte gar nicht anders handeln können, denn im Allgemeinen wurde sie gut bewacht. Daher war sie sicher gewesen, dass eine solche Chance sich nur ein einziges Mal bot. Sie musste sie ergreifen, wenn sie ihrem Verlobten Sir Hugh Marstowe entrinnen wollte.
Der Gedanke an Hugh schmerzte beinahe ebenso sehr wie das Atmen oder das Laufen. Einst hatte sie ihn geliebt. Das Leben an seiner Seite war ihr wie ein wunderschöner Traum erschienen. Aber der Traum hatte sich in einen Alptraum verwandelt.
Trotz aller Angst und Erschöpfung fiel Genevieve auf, dass ihr Verfolger sein Pferd zurückhielt. Zweifellos hätte er sie längst einholen können. Aber vermutlich genoss er es, mit ihr zu spielen. Sie musste an einen Raubvogel denken, der über seinem Opfer kreist, ehe er zustößt. Oder an eine Katze, die die Maus belauert, ehe sie angreift. Himmel, während des gesamten letzten Monats hatte sie sich wie eine hilflose Maus in den Fängen des Katers gefühlt. Hugh hatte ihr bewiesen, wie mächtig er war. Sie durfte ihm nicht erneut in die Hände fallen.
Jeder Schritt war inzwischen zur Qual geworden. Sie wusste, dass sie nicht mehr lange weiterlaufen konnte. Wenn nicht ein Wunder geschah, würde sie aufgeben müssen. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel.
Wenn Hugh sie ergriff und seine Bemühungen, sie zu einer richtigen Ehefrau zu machen, wieder aufnahm, würde sie zerbrechen. Sie würde allen Mut, allen Widerspruchsgeist verlieren, sie würde zu einer leeren Hülle werden, einer Frau ohne Eigenschaften. Sie würde sterben.
Ihr war schwindelig vor Anstrengung. Ihre Beine wollten nachgeben. Sie stolperte, streckte die Hand aus, um sich irgendwo zu stützen, und griff in die Dornen eines Brombeerstrauchs. Der Schmerz ließ einen Moment lang ihre Schwäche vergessen. Sie bemerkte, dass das Licht schwächer geworden war. Der Tag neigte sich dem Ende zu. Würde die Dunkelheit rechtzeitig hereinbrechen, um sie zu beschützen?
„Genevieve!“
Hughs Stimme jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Sie musste wissen, wie weit er noch entfernt war. Rasch wandte sie sich um. Er hatte sein Pferd zum Stehen gebracht. Er sah groß und stark aus. Ritterlich. Aber sein Anblick ließ sie erneut erzittern. Sie nahm all ihre Kräfte zusammen und rannte weiter.
Das Unterholz wurde dichter, doch es gelang ihr, sich einen Weg hindurchzubahnen. Unvermutet erreichte sie eine Lichtung. Das Gras war von Raureif überzogen, und sie geriet ins Rutschen. Im Fallen bemerkte sie vor sich eine Bewegung. Hatte Hugh sie überholt? Wartete er auf der anderen Seite der Lichtung schon auf sie? Einen Moment lang blieb sie im frostigen Gras liegen. Sie kniff die Augen zusammen, bemüht, genauer zu erkennen, was sich dort vorn befand.
Es war nicht ein einzelner Mann, es waren mehrere. Iren, die die Farben ihrer Kleidung so gewählt hatten, dass man sie im Dämmerlicht unter den Bäumen kaum sehen konnte. Sie waren zu Fuß unterwegs, nur einer – es schien ihr Anführer zu sein – besaß ein Pferd. Er hatte die stolze Haltung eines Kriegers. Sein dunkelgrüner Umhang wurde von einer Spange zusammengehalten, die mindestens so groß war wie ihre Hand. Jetzt bemerkte sie auch das Schwert, das er an der Seite trug. Er wirkte wachsam, kampfbereit und gleichzeitig ruhig. Eine Kapuze sorgte dafür, dass man sein Gesicht nicht deutlich erkennen konnte. Reglos und Selbstbewusstsein ausstrahlend beobachtete er sie.
Trotz ihrer Erschöpfung war sie fasziniert. Obwohl das Gewand des Fremden, abgesehen von der Spange, einfach und unauffällig war, verhielt er sich wie ein König. Jede seiner Bewegungen war voller Kraft. Jetzt gebot er seinen Männern mit einer Geste, sich zurückzuziehen. Sie verschwanden so plötzlich, als verfügten sie über die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen.
Genevieves Faszination schlug in Furcht um. Dieser irische Krieger konnte sie als Feindin betrachten und ihr mit einem einzigen Hieb seines Schwertes den Kopf vom Körper trennen. Aber – und plötzlich regte sich Hoffnung in ihr – es bestand auch die Möglichkeit, dass er freundlich war und ihr womöglich half.
Sie nahm all ihren Mut zusammen, richtete sich auf, straffte die Schultern und schritt langsam auf den Fremden zu.
Sie hatte viele Geschichten über das Schicksal unvorsichtiger normannischer Frauen gehört. Es hieß, dass alle, die sich freiwillig in die Gewalt von barbarischen Iren begaben, bitter dafür gebüßt hatten. Doch dieser Barbar besaß ein Pferd. Und sie brauchte ein Pferd, wenn sie Hugh entkommen wollte.
„Bitte“, stieß sie atemlos hervor, „helft mir!“
Er reagierte nicht, und ein paar Sekunden lang fragte sie sich, ob er sie überhaupt gehört hatte. Ihr Atem schien lauter zu sein als ihre Stimme. Dann bemerkte sie das keltische Muster auf seinem Umhang. Natürlich, sie durfte ihn nicht auf Englisch ansprechen. Rasch wiederholte sie ihre Bitte auf Gälisch.
Er beugte sich leicht in Genevieves Richtung, betrachtete die junge Frau eingehend.
Voller Hoffnung blickte sie zu ihm auf.
Doch da wandte er sein Pferd. Und gleich darauf waren Ross und Reiter zwischen den Bäumen verschwunden.
Bevan MacEgan verfluchte sich für seine Schwäche. In dem Moment, da sie ihn angesprochen hatte, war ihm klar gewesen, dass es sich bei der Fremden um eine Normannin handelte. Der altbekannte Hass war in ihm aufgestiegen. Und doch hatte er gleichzeitig das Bedürfnis verspürt, ihr zu helfen.
Sie hatte Erinnerungen in ihm geweckt, schmerzhafte Erinnerungen … Mit ihrem ovalen Gesicht und dem dunklen Haar hatte sie die Vision eines Frauengesichts heraufbeschworen, das untrennbar mit Bevans schrecklichstem Alptraum verbunden war. Seit zwei Jahren bemühte er sich, jene Ereignisse zu vergessen. Jetzt schloss er die Augen, um das Bild der Fremden zu vertreiben. Vergeblich.
Er hatte ihre verzweifelte Flucht schon eine Zeit lang beobachtet, ehe er seinen Männern den Befehl gab, sich zurückzuziehen. Der Reiter, der ihr auf den Fersen war, hatte offensichtlich nicht die Absicht, sie zu töten. Denn das hätte er längst tun können. Es war unübersehbar, dass der normannische Ritter die Frau lebendig wollte.
Er hatte sie bekommen. Und dafür trug er, Bevan, die Verantwortung.
Natürlich hatte er keine andere Wahl gehabt. Er hatte sich entscheiden müssen, ob er seine Männer schützen oder der Fremden helfen wollte. Selbstverständlich war er in erster Linie seinen eigenen Leuten verpflichtet. Trotzdem fühlte er sich schuldig, weil er auf den Hilferuf der Frau nicht reagiert hatte. Die Ehre eines Mannes erforderte, dass er die Schwachen vor Leid bewahrte.
Allerdings erforderte sie in diesem Moment vorrangig etwas anderes: Er musste dafür sorgen, dass seine Männer nicht entdeckt wurden. Sie planten einen Überfall gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner. Da war es eine strategische Notwendigkeit, überraschend anzugreifen. Sie mussten auf den richtigen Augenblick warten. Und bis dahin mussten sie im Verborgenen agieren.
MacEgan öffnete die Augen. Er war jetzt wieder ganz der überlegene Anführer. „Ich brauche fünf Männer, die mit mir in die Burg eindringen“, sagte er. „Die anderen verteilen sich um die Palisade herum. Bei Sonnenuntergang entzünden wir die Feuer.“
„Ihr wollt der Frau folgen?“, erkundigte sein Hauptmann sich.
„Ja.“
„Es ist unmöglich, alle zu retten. Und sie ist eine Fremde.“
„Tut, was ich Euch aufgetragen habe“, gab MacEgan zurück, obwohl kein Zweifel daran bestehen konnte, dass der Hauptmann recht hatte. Es war ein unnötiges Risiko, einer Normannin Unterstützung anzubieten. Aber er hatte die Angst in den Augen der Frau gesehen, die gleiche Angst, die auch in den Augen seiner Gemahlin gestanden hatte, als sie in die Hände der Feinde gefallen war. Damals hatte er sich hilflos gefühlt, ähnlich wie heute. Es war furchtbar …
Er suchte die Männer aus, die ihn begleiten sollten, und führte sie in Richtung der Festung. Die Burg und das sie umgebende Land waren sein Eigentum. Die normannischen Eindringlinge hatten es ihm fortgenommen. Aber er würde es sich zurückholen.
Rionallís war eine verhältnismäßig ausgedehnte Anlage. Im Inneren der Festungsmauern befanden sich mehrere Gebäude und der Wohnturm. Alles war gut geschützt. Bevan war vertraut mit jeder Kammer, jedem Gang, jedem Winkel. Er wusste um alle Schwachpunkte und alle Stärken. Er kannte jedes Geheimnis der Burg. Deshalb würde er den Feind überwinden.
Er gab ein kurzes Kommando, und seine Männer nahmen ihre Positionen ein. MacEgan schob die dornigen Zweige des Brombeergestrüpps beiseite, hinter dem sich der Eingang zu dem unterirdischen Gang befand, von dem kaum jemand etwas wusste. Der Tunnel führte unter der Mauer hindurch ins Innere der Burg, wo er in einer der Vorratskammern endete.
Er warf einen letzten Blick auf den Bergfried, der sich dunkel vor dem noch schwach rötlich gefärbten Abendhimmel abhob. In Gedanken sprach er ein kurzes Gebet, dann gab er seinen Leuten ein Zeichen und verschwand selbst als Erster in dem geheimen Gang.
Im Tunnel war es feucht, aber der Weg war nicht weit. Vorsichtig betrat MacEgan die Vorratskammer am Ende des Verbindungsweges, schaute sich forschend um. Seit fast zwei Jahren war er nicht mehr hier gewesen. Damals war die Kammer gut gefüllt gewesen. Schließlich galt es, während des strengen Winters eine Menge Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Jetzt gab es nur wenige Säcke mit Getreide, und die großen Tontöpfe, in denen Jahr für Jahr die unterschiedlichsten Vorräte aufbewahrt wurden, waren leer. Die Normannen hatten nicht vorgesorgt. Und das bedeutete, dass die Iren, die nach wie vor auf Rionallís lebten, hungern würden. Als ihr rechtmäßiger Herr war Bevan für sie verantwortlich. Er würde ihnen helfen müssen.
MacEgan hatte erst vor Kurzem erfahren, dass sein Besitz in die Hände der Normannen gefallen war. Dennoch machte er sich jetzt Vorwürfe. Damals, als er fortging, hatte er falsch gehandelt. Statt sich von seiner Trauer überwältigen zu lassen und seinem Land den Rücken zu kehren, hätte er sich um seine Leute kümmern müssen. Er jedoch ließ sich vom Schmerz über den Verlust seiner Frau fast überwältigen. Um diesem zu entgehen, hatte er sich irischen Fürsten als Söldner angeboten. Nicht seinen eigenen Kampf hatte er gekämpft, sondern sein Schwert und seine Kraft anderen Kriegsherren zur Verfügung gestellt. Es war ein Fehler gewesen, wie er jetzt wusste. Denn dadurch war es den Normannen gelungen, über Rionallís herzufallen, den Besitz an sich zu bringen und die darauf lebenden Menschen auszunutzen.
Nun, es war an der Zeit, das zu ändern.
Dem Feind standen wesentlich mehr Soldaten zur Verfügung. Aber er, Bevan, kannte Land und Leute und konnte auf die Unterstützung der Einheimischen rechnen. Er würde die Normannen vertreiben.
Gefolgt von seinen Männern kletterte er über eine Leiter aus der unterirdischen Vorratskammer in den Innenhof der Burg hinauf. Sie hielten sich im Schatten, schauten sich zunächst aufmerksam um.
Die normannische Frau fiel ihm ein. Alles wäre einfacher gewesen, wenn er ihr nicht begegnet wäre. Wenn sie ihn nicht um Hilfe angefleht hätte, dann hätte er sich um sie keine Sorgen zu machen brauchen. Er hätte sie, genau wie die anderen Normannen, hassen können. Jetzt aber war die Situation bedeutend komplizierter.
Sie war eine hübsche junge Frau mit einem sanften Gesicht und großen tiefblauen Augen. Unverkennbar war sie ebenso ein Opfer der normannischen Soldaten wie seine eigenen Leute, eine Unschuldige, der er seine Hilfe nicht verwehren konnte. Wenn nichts schiefging, würde er sie – anders als damals seine Gemahlin – retten können.
Plötzlich drehten sich all seine Gedanken um die Gefahr, die mit dieser Rettungsaktion verbunden war. Die Bemerkung seines Hauptmanns fiel ihm ein. Seine Leute waren der Meinung, es sei unklug und unnötig, der Fremden zu helfen. Dabei hatten sie allerdings nicht bedacht, dass man sie auch als Geisel benutzen konnte. Er würde sie eine Zeit lang festhalten müssen. Doch sobald er sicher sein konnte, dass er sein Eigentum endgültig zurückgewonnen hatte, würde er ihr die Freiheit schenken.
Mit einer Geste bedeutete MacEgan seinen Männern, in einem der Cottages, die am Rande des Burghofs standen, Zuflucht zu suchen. Er selbst betrat das kleine Haus als Letzter. Der Schmied und seine Familie begrüßten ihn mit leuchtenden Augen, aber ohne ein einziges Wort zu wechseln, denn die Aufmerksamkeit der Normannen durfte nicht geweckt werden.
Flüsternd erkundigte Bevan sich danach, wie viele normannische Kämpfer sich auf Rionallís aufhielten. Dann nickte er seinen Männern zu. In dieser Nacht würden sie sein Eigentum zurückerobern. Der Schmied griff nach einem schweren Hammer, um Bevan zu verstehen zu geben, dass er auf seine Unterstützung rechnen konnte.
„Genevieve, ich bin froh, dich in Sicherheit zu wissen.“
Hugh umarmte sie, während sie vor Angst und Erschöpfung kaum zu atmen vermochte. Sie hatte sich völlig verausgabt. Und doch war alles vergeblich gewesen. Jetzt spürte sie, wie eine eisige Kälte über ihre Haut kroch, und verzweifelt versuchte sie, die Tränen zurückzuhalten. Schreckliche Erinnerungen stürmten auf sie ein. Sie wusste genau, was er tun würde. Er würde sie strafen. Dann gab es nur eine Möglichkeit, die Demütigungen und Schmerzen zu ertragen: Sie musste ihre Seele getrennt von ihrem misshandelten Körper halten.
Es gab niemanden, der ihr zu Hilfe kommen würde. Ihr Vater hatte ihr seinen Freund Sir Peter Harborough und dessen Gemahlin zur Seite gestellt, solange er selbst nicht zu ihr stoßen konnte. Die Harboroughs hätten sie schützen sollen. Aber statt ihr zu helfen, stellten die beiden sich blind und taub in Bezug auf alles, was Hugh ihr antat. Sie sahen nur den tapferen Ritter, den starken Anführer, der von all seinen Untergebenen respektiert wurde.
Natürlich hatte sie sich bei den beiden über die Quälereien beklagt, denen sie als Hughs Verlobte ausgesetzt war. Doch Sir Peter hatte nur mit einem Schulterzucken gemeint, dass ein Mann das Recht habe, seine ungehorsame Gemahlin zu strafen. Es interessierte ihn weder, dass sie bislang nicht verheiratet war, noch, dass ihr Ungehorsam allein Hughs Fantasie entsprang.
Genevieve schickte ein stummes Gebet zum Himmel. Möge Gott verhindern, dass sie je Hughs Eheweib wurde.
Wenn wenigstens die ihrem Vater unterstellten Soldaten es gewagt hätten, ihr zu helfen. Doch der Einzige, der sich je schützend vor sie gestellt hatte, war ein paar Tage später tot aufgefunden worden. Seitdem hatten die anderen jeden von Hughs Befehlen befolgt, ohne eine einzige Frage zu stellen. Zweifellos fürchteten sie um ihr Leben. Hugh wusste das und machte keinen Hehl daraus, wie gut es ihm gefiel, überall Angst und Schrecken zu verbreiten.
„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht“, sagte Hugh jetzt zu Genevieve. „Du solltest nicht allein hier draußen sein.“ Er berührte mit den Lippen leicht ihre Schläfe.
Ihr war, als habe sein Mund sie verätzt, als habe er ihr mit der vermeintlich zärtlichen Geste nur sein Brandzeichen aufdrücken wollen. Auch das, was er sagte, war eine einzige Lüge. Er war nicht besorgt um ihr Wohlergehen, er war zornig. Deutlich hörte sie die Wut, die sich hinter den scheinbar freundlichen Worten verbarg. Er würde sie strafen, so viel stand fest.
Mit seinen blauen Augen betrachtete er die junge Frau abschätzend und zugleich besitzergreifend. Früher einmal hatte sie ihn für gut aussehend gehalten. Der klare Blick und die kurzen blonden Haare hatten ihr gefallen. Sein kraftvoller Körper mit den breiten Schultern, den muskulösen Armen und Schenkeln war ihr wie ein Versprechen vorgekommen: Hier war jemand, der sie vor allen Gefahren schützen würde.
O Gott, wie hatte sie sich nur so irren können? Inzwischen wusste sie, dass sein Herz ebenso kalt war wie seine eiserne Rüstung.
Sie nahm all ihren Mut zusammen und sagte: „Bitte, Hugh, lasst mich zu meiner Familie zurückkehren. Ich bin nicht die richtige Frau für Euch.“
Er legte ihr die Hand auf die Wange. „Ich werde dich lehren, die richtige Frau für mich zu werden.“
„Warum wählt Ihr nicht eine andere? Es gibt viele, die eine reichere Mitgift besitzen als ich.“
Er umfasste mit beiden Händen ihre Taille. „Aber keine, die einer so angesehenen Familie entstammt wie du. Und keine, die einen so wertvollen Besitz wie Rionallís in die Ehe mitbringt.“ Er presste seine Finger auf den blauen Fleck, den er ihr mit seinen Schlägen vor einiger Zeit zugefügt hatte und der immer noch bei jeder Berührung schmerzte. „Hier werde ich wie ein König herrschen können. Diese Iren sind Wilde, die nichts vom Kampf verstehen. Ich werde ihr Herr sein.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln. „Und du, Genevieve, wirst an meiner Seite regieren. Du weißt, dass das auch der Wille des Königs ist.“
Sie erwiderte nichts darauf. Es stimmte: Hughs Geschick auf dem Schlachtfeld hatte dazu geführt, dass der englische König Henry auf ihn aufmerksam geworden war und ihn zu belohnen gedachte. Als Hugh um Genevieve angehalten hatte, wurde dieses Anliegen sogleich von Henry unterstützt. Tatsächlich hatte Genevieve sich zuerst geschmeichelt gefühlt. Hugh hatte sie umworben und dabei beträchtliches schauspielerisches Talent an den Tag gelegt. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie ihren Vater gebeten hatte, der Verlobung zuzustimmen.
Nie zuvor hatte sie etwas so bereut wie diese Bitte.
Hugh hob sie aufs Pferd und schwang sich hinter ihr in den Sattel. Er presste sie an sich, ohne darauf zu achten, dass ihr Körper sich vor Angst und Abneigung versteifte. Dann gab er dem großen Schlachtross die Sporen.
Als die Burg in Sicht kam, hatte Genevieve jede Hoffnung verloren. Nur noch Furcht vor der Zukunft erfüllte sie. Was konnte sie tun, um die bevorstehende Hochzeit zu verhindern? Allein war sie völlig hilflos, das war ihr seit Langem bewusst. Sie brauchte die Unterstützung ihres Vaters. Doch Thomas de Renalt, Earl of Longford, war noch immer nicht auf Rionallís eingetroffen. Hatte er ihre Briefe mit der flehenden Bitte um Hilfe nicht erhalten?
Als Hugh das Pferd in den Burghof lenkte, fiel Genevieve auf, dass die Iren, die noch hier lebten, ihr mitleidige Blicke zuwarfen. Ihr Verlobter schwang sich aus dem Sattel. „Ich werde dich hinauf zu deinem Gemach begleiten“, sagte er. „Du musst erschöpft sein.“
Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Sobald Hugh die Tür ihrer Kammer hinter ihnen geschlossen hatte, würde er mit seiner Bestrafung beginnen. Was konnte sie nur tun, um das zu verhindern? Gab es eine Möglichkeit, das Schreckliche, das sie erwartete, zumindest hinauszuzögern?
„Ich bin hungrig“, sagte sie leise. „Darf ich etwas essen?“
„Ich werde dafür sorgen, dass man dir etwas bringt. Aber erst wollen wir über … deinen Ausflug sprechen.“ Er umfasste ihren Arm und zog sie mit sich fort.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, eher aus Angst vor dem, was ihr bevorstand, als aus Schmerz – obwohl Hughs Griff unbarmherzig war. Sie blinzelte, schluckte. Die Befriedigung, sie weinen zu sehen, wollte sie ihm nicht gönnen.
Auf der Treppe schienen ihre Füße immer schwerer zu werden. Sie konnte sie kaum heben, und obwohl sie zwei- oder dreimal stolperte, zog Hugh sie unnachgiebig weiter. Erst als sie Genevieves Kammer betreten hatten, ließ er sie los. Er verschloss die Tür von innen mit einem hölzernen Riegel und maß seine Verlobte mit einem strengen Blick.
„Warum bist du fortgelaufen?“
Sie antwortete nicht. Was hätte sie auch sagen sollen?
„Weißt du denn nicht, dass ich dich immer zurückholen werde? Du gehörst mir. Ich bin für dich verantwortlich. Ich beschütze dich.“ Sanft strich er ihr mit den Fingern übers Haar, begann mit einer Locke zu spielen. „Meine Genevieve …“
Sie rührte sich nicht, starrte zu Boden.
„Der König hat uns nach Tara gerufen. In ein paar Tagen werden wir verheiratet sein.“ Stolz spiegelte sich in seinen Augen wider. „Vielleicht wird er uns ein Stück Land als Hochzeitsgeschenk geben.“ Jetzt beugte er sich zu Genevieve hinunter und berührte ihre Lippen leicht mit seinem Mund. „Schau nicht so betrübt drein. Es dauert nicht mehr lange, bis wir am Ziel sind.“
Da ihr Ziel ein ganz anderes war als seines, beruhigte Hughs Versicherung Genevieve überhaupt nicht. Im Gegenteil. Sie war froh darüber gewesen, dass König Henry das Ersuchen ihres Verlobten, die Eheschließung vorzuverlegen, abgelehnt hatte. Henry hatte auf Tara Verhandlungen mit dem irischen Hochkönig geführt, was ihm eindeutig wichtiger gewesen war als der private Wunsch eines seiner Untertanen.
„In Abwesenheit meines Vaters werde ich nicht heiraten“, erklärte Genevieve.
„Er wird kommen. Eigentlich hätte er längst hier sein sollen.“
„Mein Vater war krank.“ Deshalb hatte Thomas de Renalt, Earl of Longford, die Reise unterbrechen müssen. Deshalb hatte er die junge Frau seinem Freund Sir Peter Harborough anvertraut. Er hatte geglaubt, solange seine Tochter unter der Aufsicht dieses Ritters und unter dem Schutz ihres Verlobten stand, wäre sie sicher. Dass er sich darin täuschte, hatte er womöglich noch immer nicht erfahren. Genevieve hatte einen Priester bestochen, der dafür sorgen sollte, dass ihr Vater ihre Briefe mit der Bitte um eine Auflösung der Verlobung erhielt. Aber es ließ sich nicht ausschließen, dass die Schreiben trotz aller Vorsichtsmaßnahmen Hugh in die Hände gefallen waren und den Earl nie erreicht hatten.
„Wie dem auch sei“, Hugh Marstowe schüttelte ungeduldig den Kopf, „ich werde nicht länger auf ihn warten. Alle Papiere, die die Eheschließung betreffen, sind unterzeichnet. Es ist der Wunsch des Königs und deines Vaters, dass wir heiraten. Also werden wir das sobald wie möglich tun.“
„Nicht, solange mein Vater nicht dabei ist.“
Hugh lachte spöttisch, und in diesem Moment verlor Genevieve die Beherrschung. „Ich würde selbst dann nicht Euer Weib werden wollen, wenn Ihr der letzte Mann auf Erden wäret“, brach es aus ihr heraus.
Seine Faust traf sie hart an der Schläfe. In ihrem Kopf explodierte ein heftiger Schmerz, aber mit all der ihr zur Verfügung stehenden Willenskraft unterdrückte sie einen Aufschrei.
„Du bist also noch immer aufsässig?“
Sie schluckte. Wenn sie ihn doch nur nicht gereizt hätte. Nun würde die Strafe umso schrecklicher ausfallen. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass Hugh weniger brutal war, wenn sie vorgab, ihm in Zukunft gehorchen zu wollen. Sie durfte ihm nicht widersprechen, sie durfte sich nicht wehren, wenn sie überleben wollte. Schließlich war er weitaus stärker als sie.
Ein Lächeln zeigte sich jetzt auf seinem Gesicht. Es war ein grausames Lächeln, das Genevieve hasste, fürchtete und verachtete.
„Zieh dich aus!“, befahl er.
Ein bitterer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus. Er würde sie festhalten, ihr seine Stärke demonstrieren, sie demütigen, wie er das in den vergangenen Wochen so oft getan hatte. Er genoss es, ihr seine körperliche Überlegenheit zu beweisen. Wenn sie nicht tat, was er von ihr verlangte, dann schlug er sie, bis sie zusammenbrach. Sie fürchtete ihn, und das nicht nur wegen der Schmerzen, die er ihr zufügen würde. Vielleicht würde er sie ihrer Jungfräulichkeit berauben. Es grenzte an ein Wunder, dass es bisher nicht so weit gekommen war. Doch früher oder später musste sie damit rechnen. Ihr war übel vor Angst.
Ein paar Sekunden lang war sie unfähig, sich zu rühren. Und schon hatte Hugh die Hand erhoben und zur Faust geballt. Er schlug Genevieve so heftig in den Magen, dass sie sich zusammenkrümmte und laut aufstöhnte.
Würde so ihre Zukunft aussehen? Würde sie für den Rest ihres Lebens der Brutalität dieses Mannes ausgeliefert sein? Vor Entsetzen schloss sie die Augen.
Während der letzten Tage hatte sie gelegentlich an Selbstmord gedacht. Und manch eine Frau hätte sich vielleicht wirklich entschlossen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Aber noch hatte Genevieve die Hoffnung auf eine Lösung der Verlobung nicht endgültig aufgegeben. Im Übrigen wollte sie ihr Seelenheil nicht wegen eines Schurken wie Hugh aufs Spiel setzen. Er konnte Macht über ihren Körper ausüben, aber nie würde sie zulassen, dass er dieselbe Macht über ihre Gedanken erhielt.
Als sie die Augen aufschlug, sah sie, dass er seinen Dolch gezogen hatte. Beim Anblick der glitzernden Klinge stieg erneut Übelkeit in ihr auf. Er hob die Waffe – und durchschnitt die Bänder, die Genevieves Kleid zusammenhielten. Es sank zu Boden, und sie stand zitternd da. Nur mit ihrem Hemd bekleidet, fühlte sie sich noch schutzloser.
„Du gehörst mir, Genevieve.“ Er legte den Dolch auf den Tisch und stellte sich dann breitbeinig vor seine Verlobte hin.
Sie warf einen kurzen Blick auf die Waffe, bemerkte aber noch rechtzeitig, dass Hugh zu einem neuen Schlag ausholte. Um nicht getroffen zu werden, ließ sie sich gegen den Tisch fallen. Der Dolch rutschte über die Kante und fiel polternd zu Boden.
„Bitte“, flüsterte sie, „verzeiht mir. Es tut mir leid, wenn ich einen Fehler begangen habe.“ Jedes Wort war gelogen, aber vielleicht würde er sie, wenn sie sich entschuldigte, weniger hart bestrafen.
Hugh begann sich auszuziehen. Sein durchtrainierter muskulöser Körper wirkte sehr männlich.
„Ich glaube nicht, dass deine Entschuldigung ernst gemeint ist. Aber ich werde dafür sorgen, dass du deine Fehler wirklich bereust.“ Er machte einen weiteren Schritt auf sie zu. „Es ist an der Zeit, dass du begreifst, wie ein gehorsames Weib sich zu benehmen hat.“ Seine Finger schlossen sich um ihre Schulter. „Bald ist es so weit, Genevieve.“ Er küsste sie so rücksichtslos, dass sie schon bald Blut schmeckte. „Noch aber ahnst du nicht, welche Wonnen ich dir verschaffen kann.“
Sie zwang sich, zu schweigen.
„Ich will dich zu nichts zwingen“, fuhr er fort. Seine Berührungen waren jetzt sanfter. „Ich hätte dich längst nehmen können, wenn es mir nur darum ginge. Aber ich bin geduldig und großzügig. Ich wünsche mir, dass du dich mir schenkst. Komm freiwillig zu mir, dann werde ich dir zeigen, wie ein echter Mann ein gehorsames Weib belohnt.“ Mit der Hand umschloss er ihr Kinn. „Ich kenne dich besser, mein Liebling, als du dich selbst kennst. Warum kämpfst du gegen mich an, obwohl du dich doch danach sehnst, die meine zu werden?“
Nie würde sie sich ihm freiwillig hingeben. Seine Berührungen verursachten ihr Unwohlsein. Alles in ihr wehrte sich gegen seine Nähe. Sie hob den Kopf, betrachtete sein markantes Gesicht. Und wieder war ihr Hass stärker als ihre Vernunft. „Ich verabscheue Euch“, schrie sie und spuckte ihn an.
Seine Miene spiegelte unbändige Wut wider. Er gab Genevieve eine Ohrfeige, die ihr das Gleichgewicht raubte. Sie fiel zur Seite, stützte sich mit den Händen ab und sah im gleichen Moment, dass direkt vor ihr der Dolch lag. Sie griff danach, obwohl sie nicht wusste, ob sie den Mut aufbringen würde, ihn zu benutzen.
Ehe sie auch nur einen Versuch machen konnte, sich aufzurichten, klopfte jemand laut an die Tür.
Hugh stieß einen Fluch aus, zog rasch seinen Waffenrock über und schob den Riegel zurück. „Was ist los?“
„Wir werden angegriffen, Sir“, informierte ihn der Knecht. „Ein paar Iren haben die äußere Palisade in Brand gesetzt.“
Ein weiterer Fluch. Dann wandte Hugh sich zu Genevieve. „Du wartest hier auf mich.“ Schon war er zur Tür hinaus.
Sie konnte es kaum glauben: Das Schicksal war ihr gnädig gewesen, ihre Bestrafung aufgeschoben worden. Sie ließ den schmerzenden Kopf gegen die Wand sinken. Ihr war kalt, aber ihr fehlte die Kraft, sich anzukleiden oder sich ins Bett zu legen und die warme Decke über sich zu ziehen. Sie zitterte, und plötzlich liefen ihr Tränen über die Wangen.
Nach einer Weile wurde ihr klar, dass es sinnlos war, den Dolch weiter festzuhalten. Sie würde keine Gelegenheit finden, Hugh damit ernsthaften Schaden zuzufügen. Er war so viel stärker als sie, und im Kampf war er schnell und geschickt. Mit einem einzigen Schlag hatte er ihr eine blutende Wunde an der Schläfe zugefügt. Sie hatte es zunächst nicht einmal bemerkt. Nun jedoch spürte sie, dass ihr Haar ebenso wie ihre Haut klebrig von Blut war.
Von unten her drangen Stimmen an ihr Ohr, die Befehle schrien. Wie gefährlich mochten die Angreifer sein? Würden sie ihr eine Chance verschaffen, sich von Hughs Willkür zu befreien?
Sie versuchte, ein paarmal tief durchzuatmen, um die Übelkeit und den Schwindel zu vertreiben. Doch jeder Atemzug schmerzte. Ob Hugh ihr die Rippen gebrochen hatte? Vorsichtig richtete sie sich auf. Es war schwierig, aber es gelang. Sie schaffte es sogar, ihr Kleid aufzuheben und es anzuziehen. Schließen ließ es sich nicht mehr, aber es bot zumindest einen gewissen Schutz gegen die Kälte.
Ich muss fort, dachte sie, dieser Angriff bietet mir eine Möglichkeit, Hugh zu entkommen; vielleicht helfen die Iren mir sogar.
In diesem Moment vernahm sie ein seltsames Geräusch. Irgendetwas bewegte sich hinter ihrem Rücken. Sie wandte sich um und beobachtete ungläubig, wie der Wandteppich, der die hintere Mauer bedeckte, sich bewegte. Ungeachtet ihrer Schmerzen, bückte sie sich nach dem Dolch. Sie wollte nicht völlig wehrlos sein, wenn ihr Gefahr drohte.
Ein bewaffneter Mann trat hinter dem Wandteppich hervor. Er hatte ein Schwert umgegürtet und sein grüner Umhang wurde vorn von einer Spange zusammengehalten, die Genevieve sofort erkannte. Der Krieger, den sie im Wald gesehen hatte! Jetzt, da er sich in der gleichen Kammer mit ihr befand, konnte sie die Autorität spüren, die er ausstrahlte.
„Wer seid Ihr?“, fragte sie, während sie den Dolch fest umklammert hielt. Dabei musterte sie ihn eingehend. Sein schwarzes Haar fiel ihm offen auf die Schultern, seine Augen blickten selbstbewusst. Eine alte Narbe zog sich über seine linke Wange. Seine Arme waren muskulös, seine Oberschenkel kräftig.
Er könnte für mich eine größere Gefahr darstellen als Hugh, fuhr es Genevieve durch den Kopf.
„Ich bin Bevan MacEgan. Und wie heißt Ihr?“ Während er auf ihre Antwort wartete, betrachtete er sie prüfend, so als wolle er sie einschätzen.
Ihr Mund fühlte sich plötzlich trocken an. „Ich bin Genevieve de Renalt.“
Er ließ den Blick über ihr zerschnittenes Kleid wandern, registrierte jede einzelne ihrer für ihn sichtbaren Verletzungen. „Was ist Euch geschehen?“
Sie errötete und zog beschämt das Kleid vor der Brust zusammen. „Ich bin bestraft worden, weil ich fliehen wollte.“
„Bestraft? Von wem?“
Sie zögerte nur einen Moment lang, bevor sie offen antwortete: „Von Sir Hugh Marstowe.“
„Er war es, der Euch verfolgt hat? Warum?“
„Weil ich mich geweigert habe, mich ihm hinzugeben.“
MacEgans Augen blitzten zornig auf. „Wenn Ihr wollt, werde ich ihn deshalb töten.“
„Die Gelegenheit dazu habt Ihr vertan.“ In Genevieve stieg plötzlich Zorn auf. „Ihr hättet mich vor ihm in Sicherheit bringen können. Aber Ihr habt es vorgezogen, mich im Stich zu lassen.“
„Jetzt“, gab er zurück und schaute sie fest an, „bin ich hier.“
Er war nichts weiter als ein Ire, der unrechtmäßig auf Rionallís eingedrungen war. Ein Fremder, der ihre Hoffnungen bereits einmal enttäuscht hatte. Und dennoch fasste Genevieve Vertrauen zu ihm. Irgendetwas in seinem Gesicht und an seiner Haltung verriet ihr, dass er ein ehrlicher Mann war. Auch seine Stimme war nicht die eines rücksichtslosen Barbaren. Und seine Augen … Genevieve kam zu dem Schluss, dass es besser war, sich ihm anzuvertrauen, als auf Hugh zu warten.
„Ich verlange nicht, dass Ihr Marstowe tötet“, erklärte sie. „Aber ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr mich von hier fortbringen könntet. Wie seid Ihr überhaupt hereingekommen?“
Er schob den Wandteppich so weit zur Seite, dass sie einen schmalen Durchgang sehen konnte, der in einen dunklen Schacht führte.
Ein Schauer überlief Genevieve. „Ihr erwartet hoffentlich nicht, dass ich in dieses Loch steige?“
„Nein.“ Kein Lächeln hellte seine Miene auf. „Wir werden einen anderen Weg wählen. Kommt!“
„Wohin?“
„Nach unten. Dort werden wir die Bedingungen festlegen, unter denen ich Euch helfe.“
„Bedingungen?“
Bevan nickte. „Ihr werdet meine Geisel sein.“
Sie zögerte. Sie wusste nichts über diesen Mann, und die Möglichkeit, dass er nicht besser war als Hugh, ließ sich nicht ausschließen. Andererseits war er der Erste, der ihr überhaupt Unterstützung angeboten hatte. „Ihr werdet mich unter keinen Umständen an Marstowe ausliefern?“, vergewisserte sie sich.
„Ich stehe zu meinen Versprechen“, erwiderte er kühl.
„Aber wofür braucht Ihr eine Geisel?“
„Um Zeit zu gewinnen.“
Das verstand sie. Allerdings hätte sie gern gewusst, warum er und seine Leute die Burg angriffen. Also fragte sie ihn.
„Ich bin der rechtmäßige Besitzer von Rionallís.“
„Ach …“ Nun, jetzt war nicht die richtige Zeit, um ihn darüber zu informieren, dass die Burg und das dazugehörige Land ein Teil ihrer Aussteuer waren. Sie würde es ihm sagen, wenn er sie in Sicherheit gebracht hatte.
„Gehen wir“, meinte sie und wollte die Tür öffnen.
MacEgan umfasste ihre Taille und zog sie zurück. Vor Qualen stöhnte Genevieve laut auf.
Er warf einen kurzen Blick auf ihr schmerzverzerrtes Gesicht. „Ich gehe vor, Ihr folgt mir.“
Sie schritten den Flur entlang, bis sie zur Treppe kamen. Aus den Schatten traten plötzlich Krieger hervor. MacEgan gab einen knappen Befehl auf Gälisch, und die Männer reihten sich hinter ihm und Genevieve ein, der er eine Hand in den Nacken gelegt hatte. Sie stiegen die Wendeltreppe hinunter und erreichten den von Fackeln erleuchteten Rittersaal.
Plötzlich legte Bevan Genevieve ein Messer an die Kehle. „Macht keine unüberlegten Bewegungen“, riet er ihr. „Ich möchte Euch nicht verletzen.“
Es überraschte sie, dass sie nicht die geringste Angst empfand. Stattdessen fühlte sie sich sicher. Wie absurd, dachte sie.
Dann bemerkte einer der normannischen Wachleute die Eindringlinge. Er stieß einen warnenden Ruf aus, und weitere Normannen strömten herbei.
„Halt!“, rief MacEgan.
Die Wachen, die inzwischen erkannt hatten, wen er als Geisel genommen hatte, senkten die Waffen und blieben abwartend stehen. Hugh befand sich nicht im Saal, was Genevieve beunruhigte.
„Mein Name ist Bevan MacEgan. Teilt Sir Hugh mit, dass ich ihn sprechen möchte.“
Genevieve nahm überdeutlich die Stelle wahr, wo die Finger des Iren ihren Hals berührten. Ihre Haut hatte dort zu kribbeln begonnen. Das Messer erschien ihr nicht als Bedrohung. Es war Teil eines Spiels, das sie spielten. Aber was war mit Hugh? Je länger sie auf sein Kommen warteten, desto nervöser wurde sie.
Auch die normannischen Soldaten wurden unruhig. Noch hielten sie ihre Waffen gesenkt. Aber wann würden sie die Nerven verlieren und etwas Unüberlegtes tun?
Endlich erschien Sir Peter. Das graue Haar stand wirr von seinem Kopf ab, seine Rüstung war blutverschmiert. Er griff nach seinem Schwert. „Lasst die Frau los!“, befahl er.
„Wartet, Sir Peter!“, schrie Genevieve.
MacEgan rührte sich nicht. Seine Stimme klang ruhig, als er erklärte: „Seht Ihr das Messer? Wenn Ihr nicht wollt, dass die Lady stirbt, dann sorgt dafür, dass niemand uns angreift und Sir Hugh mit mir redet.“
Genevieve spürte, dass Hugh den Saal betreten hatte, irgendwo im Schatten stand und alles beobachtete. Was würde er tun? Und wie würden seine Männer sich verhalten?
Ein paar Sekunden lang geschah gar nichts. „Bringt den Gefangenen“, befahl Sir Peter dann.
Den Gefangenen? MacEgan ließ sich nicht anmerken, wie sehr die Ankündigung ihn erschreckte. Doch dann, als ein rothaariger, knochiger Junge, der kaum älter als vierzehn Jahre alt sein mochte und dessen Arme gefesselt waren, nach vorn gestoßen wurde, explodierte er förmlich. Ein Schwall von Vorwürfen und Beschimpfungen ergoss sich über den Knaben.
Dieser ließ den Kopf hängen und murmelte kleinlaut: „Es tut mir leid, Bruder. Ich dachte …“
„Du dachtest, du könntest dich uns anschließen und mit uns kämpfen? Ha! Wie lange hat es gedauert, bis man dich gefangen nahm, Ewan?“
Das Gesicht des Jungen wurde beinahe so rot wie sein Haar. Mitleid erwachte in Genevieve. „Lasst ihn zufrieden“, bat sie, „er ist doch noch ein Knabe.“
„Ein Knabe, der das Mannesalter nicht erreichen wird, wenn er sich weiter so unvernünftig benimmt“, stieß Bevan hervor.
„Ich möchte unsere Bedingungen nennen“, mischte Sir Peter sich mit einem siegesgewissen Lächeln ein. „Ihr, MacEgan, werdet Eure Männer zurückziehen und Lady Genevieve freigeben. Im Gegenzug lassen wir den Jungen gehen.“
„Was geschieht, wenn ich mich damit nicht einverstanden erkläre?“
„Unsere Bogenschützen stehen bereit, Euch und Eure Leute zu erschießen.“
Genevieve war klar, dass Sir Peter versuchte, ihr zu helfen. Aber das stimmte sie keineswegs versöhnlich. Während der letzten Wochen hatte er keinen Finger gerührt, um sie vor Hughs Brutalität zu schützen. Erst jetzt, da sie einen Retter gefunden hatte, mischte er sich ein – und tat genau das Falsche.
„Rionallís gehört mir“, erklärte MacEgan. „Die Iren, die hier leben, stehen auf meiner Seite. Tötet mich, und Ihr seid gewiss, dass einer meiner Leute sich schon bald an Euch rächen wird.“
„Für meine Sicherheit und die aller Normannen hier wird Sir Hugh garantieren“, entgegnete Harborough herablassend. „Meine Aufgabe ist es, Lady Genevieve bis zu ihrer Hochzeit zu beschützen. Also fordere ich Euch nochmals auf, sie freizugeben.“
„Ihr scheint der Aufgabe nicht gewachsen zu sein.“
Wütend trat Sir Peter einen Schritt nach vorn. Und Genevieve spürte, wie MacEgan den Druck seines Messers verstärkte. Jetzt hatte sie doch Angst. Obwohl er versprochen hatte, ihr kein Leid zuzufügen, fürchtete sie, er könne sie verletzen. Außerdem machte sie sich Sorgen, weil Hugh immer noch nicht erschienen war. Was plante er? Er war hinterlistig. Und gefährlich. Wenn sie nur wüsste, wo genau er sich aufhielt.
In diesem Moment nahm sie aus dem Augenwinkel wahr, wie das flackernde Licht der Fackeln sich in etwas Metallenem brach. Die Spitze eines Pfeils! Instinktiv ließ Genevieve sich rückwärts gegen MacEgan fallen. Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück – und so traf ihn der Pfeil nur an der Schulter.
„Ergreift ihn!“, rief eine harte Stimme.
Fünf Männer stürzten sich auf den Iren. Er ließ Genevieve los, um sich mit dem Messer gegen die Angreifer zu wehren, doch gegen die Übermacht der Normannen hatte er keine Chance. Während Genevieve sich vergeblich bemühte, sich Sir Peters Griff zu entwinden, wurde Bevan überwältigt.
Dann erst trat Hugh aus dem Schatten. Ohne ein Wort zu sagen, legte er Genevieve die Hand auf die Schulter. Seine Miene war sanft, liebevoll, aber sie wusste nur zu gut, wie sehr dieser Ausdruck trog. Ein kalter Schauer durchlief ihren Körper.
Marstowe ließ den Blick kurz über MacEgan gleiten und wandte sich dann den Normannen zu. „Ich werde ihn töten, weil er es gewagt hat, meine Verlobte anzurühren“, verkündete er.
Niemand erwiderte etwas darauf.
„Ich könnte ihm jetzt gleich die Kehle durchschneiden. Aber ich ziehe es vor, ihn noch ein wenig leiden zu lassen. Morgen früh soll er gehängt werden. Aber erst, nachdem er zugeschaut hat, wie der Knabe am Galgen baumelt.“
„Es wäre ritterlicher, den Jungen freizulassen“, sagte Genevieve.
Lachend schüttelte Hugh den Kopf. „Dieser Ire wollte mir Rionallís fortnehmen. Niemand würde erwarten, dass ich ein solches Verbrechen ungesühnt lasse.“
Genevieve zitterte vor Zorn über seine Unverschämtheit und ihre eigene Hilflosigkeit. Noch gehörte Rionallís nicht ihm. Es war Teil ihrer Mitgift und würde Marstowe erst zufallen, wenn sie vor Gott und der Welt seine Gemahlin geworden war. Und das würde sie – hoffentlich – irgendwie verhindern können.
„Ich danke Euch für Eure Unterstützung, Sir Peter“, sagte Hugh. Dann wandte er sich an seine Soldaten. „Bringen wir die Sache zu Ende. Sorgt dafür, dass keiner der Iren entkommt.“
2. KAPITEL
Hugh hatte Genevieve in ihre Kemenate geschickt, und sie hatte gehorcht. Aber der Gedanke, dass sie nicht tatenlos zuschauen durfte, wie MacEgan und seine Leute ermordet wurden, hatte sie nicht losgelassen. Der irische Krieger war der Erste gewesen, der bereit gewesen war, ihr zu helfen. Nun war es ihre Pflicht, für ihn und seine Leute alles zu tun, was in ihrer Macht stand.
Leise verließ sie ihr Gemach und schlich zu der Kammer, in der Vorräte, darunter auch verschiedene Kräuter, aufbewahrt wurden. Nach kurzer Suche fand sie die bittere Wurzel, die sie brauchte, um ihren Plan auszuführen. Sie würde die Wurzel zerstoßen und mit Ale vermischen, das sie dann den Wachen anbieten wollte. Diese würden nur das Bier schmecken – und bald darauf in einen tiefen Schlaf sinken.
Nachdem sie ihre Vorbereitungen abgeschlossen hatte, begab Genevieve sich in das Verließ im Keller, in dem MacEgan festgehalten wurde. Den schweren Krug in einer Hand haltend, stieg sie die Leiter hinab. Die Iren wurden von vielen schwer bewaffneten Männern beaufsichtigt, und sobald die Wachleute Genevieve bemerkten, rief einer von ihnen, erstaunt über ihr Auftauchen, aus: „Mylady, Ihr solltet nicht hier sein.“
„Ich dachte“, begann sie freundlich und hielt ihnen den großen Krug mit Ale hin, „dass Ihr eine Belohnung für Euer beherztes Verhalten heute Abend verdient habt.“
Der Hauptmann der Wachen lächelte ihr zu. „Danke!“ Er holte einen Becher aus einer Ecke und hielt ihn Genevieve hin, damit sie ihn füllen konnte. Durstig trank er ihn aus.
Sie goss auch den anderen Soldaten großzügig Ale ein. Da sie nicht genau wusste, wie lange das Gift brauchen würde, um seine Wirkung zu entfalten, beobachtete sie die Männer nervös. Zum Glück brachte man ihr keinerlei Misstrauen entgegen. Die meisten der Wachleute wandten sich wieder dem Würfelspiel zu, mit dem sie sich zuvor im Schein der Fackeln die Zeit vertrieben hatten.
Noch schien niemand müde zu werden. Ob sie eine zu geringe Dosis gewählt hatte? Sie war vorsichtig gewesen, weil sie den Leuten keinen ernsthaften Schaden zufügen wollte. Aber wenn es ihr nicht in dieser Nacht gelang, MacEgan und seine Krieger zu befreien, dann würde sie nie mehr Gelegenheit dazu haben. Hugh war fest entschlossen, die Gefangenen am Morgen hinzurichten. Im Moment allerdings war er damit beschäftigt, die Angreifer an der äußeren Palisade zurückzuschlagen. Es hatte fast den Anschein, dass er die Kraft und Geschicklichkeit der Iren unterschätzt hatte.
MacEgan hatte sich, seit Genevieve das Gefängnis betreten hatte, nicht gerührt. Aber sie spürte, dass er sie aufmerksam und misstrauisch beobachtete. Er hockte auf dem Boden, die Hände mit Ketten gefesselt. Trotz seiner hilflosen Lage ging von ihm eine Aura der Stärke aus. Er wirkte wie ein Raubtier, das nur darauf wartete, zuzuschlagen.
Sie wusste so wenig über ihn, dass Genevieve einen Moment lang an der Klugheit ihrer Unternehmung zweifelte. Woher nahm sie die Gewissheit, dass er ein Ehrenmann war? Vielleicht würde er sie im Stich lassen, wenn sie ihm zur Freiheit verhalf. Und dann würde Hughs Rache an ihr fürchterlich sein.
Gänsehaut breitete sich aus Furcht auf ihren Armen aus, aber dann straffte sie die Schultern. Mit einem letzten Blick auf MacEgan zog sie sich langsam in Richtung der Leiter zurück, so als wolle sie wieder nach oben steigen. Schließlich wollte sie durch ihr Verhalten nicht das Misstrauen der Wachen wecken. Zum Glück war deren Aufmerksamkeit auf anderes gerichtet, unbemerkt konnte Genevieve in den Schatten hinter der Leiter treten. Nun galt es, geduldig zu warten.
Das war aus mehreren Gründen nicht leicht: Die Wachen schienen überhaupt nicht schläfrig zu werden, und vor MacEgan hatte Genevieve ihr Versteck nicht geheim halten können. Ab und zu fühlte sie, wie er seinen Blick zu ihr lenkte. Der Junge, den er Ewan genannt hatte und der auch in Ketten gelegt worden war, suchte immer wieder vergeblich nach einer einigermaßen erträglichen Stellung, was lautes Klirren der eisernen Fessel zur Folge hatte. Außerdem fror Genevieve erbärmlich.
Dann hörte sie von oben Schritte, und gleich darauf stieg Hugh die Leiter hinunter. „Ich will allein mit den Gefangenen sprechen“, sagte er zu den Wachen.
Genevieve presste sich noch fester an die kalte Wand.
Gehorsam zogen Marstowes Männer sich zurück, und Hugh trat, mit einem Messer spielend, vor MacEgan. „Ihr hättet sie nicht berühren sollen. Sie gehört mir, und wer sie bedroht, muss sterben.“
Ewan wurde blass, doch Bevan erklärte ruhig: „So ist Euch als Erstem der Tod gewiss, denn Ihr wart es, die der Dame alle möglichen Verletzungen zugefügt habt.“
Die Hand des Normannen schnellte vor, und die Spitze seines Messers ritzte MacEgans Wange.
Dieser rührte sich nicht.
Hugh, der vor Wut keuchte, stach nun in die verletzte Schulter des Iren.
Genevieve war sicher, dass niemand das ertragen konnte, ohne einen Schmerzenslaut von sich zu geben. Aber MacEgan presste nur die Lippen fest aufeinander und starrte dem Angreifer ins Gesicht.
In diesem Moment wurde Genevieve klar, dass sie handeln musste. Wenn sie nichts unternahm, würde ihr Verlobter dem irischen Krieger gleich die Kehle durchschneiden. Sie umklammerte den großen Krug fest mit beiden Händen, trat lautlos aus ihrem Versteck und schlug Hugh das Tongefäß mit aller Kraft auf den Kopf. Der Krug zersprang in hundert Stücke, Hugh schwankte, hielt sich jedoch aufrecht. Und ehe Genevieve zurücktreten konnte, hatte er ihren Arm gepackt. Mit der anderen Hand holte er aus und gab ihr eine so heftige Ohrfeige, dass sie meinte, ihr Kopf würde explodieren. Ein spitzer Schrei löste sich von ihren Lippen.
Hugh hatte erneut ausgeholt. Diesmal traf seine Faust ihre verletzten Rippen. Sie schnappte nach Luft. Einen Moment lang empfand sie Todesangst, dann sank sie zu Boden.
Bevan erkannte seine Chance. Als Hugh sich über Genevieve beugte, hob der Ire beide Arme. Die Kette, mit der er gefesselt war, spannte sich, und mit einem leisen Klirren legte sie sich um Marstowes Hals.
Ein paar Sekunden lang war Hugh zu überrascht, um zu reagieren.
MacEgan taumelte. Die Schmerzen in seiner Schulter waren beinahe unerträglich. Doch er konzentrierte sich ganz auf sein Ziel, blendete die Qualen aus, zog die Kette so fest wie nur möglich.
Er wusste, was er zu tun hatte. In dem Augenblick, da Hugh Genevieve geschlagen hatte, war die Erinnerung an seine verstorbene Frau mit aller Macht über Bevan hereingebrochen. Deutlich sah er sie vor sich, wie sie um Hilfe rufend über das Schlachtfeld geflohen war, verfolgt von normannischen Reitern, die sie schließlich erreicht hatten – lange ehe Bevan, der sich mit dem Schwert einen Weg zu ihr erkämpfen musste, bei ihr sein konnte. Damals hatte er versagt. Heute würde er dafür sorgen, dass nicht wieder ein Normanne über eine unschuldige Frau herfiel.
Hugh schlug um sich, zerrte an der Kette, stieß unartikulierte Laute aus. Doch nach und nach wurden seine Bewegungen schwächer. Er verlor das Bewusstsein.
Aus den Augenwinkeln sah MacEgan, das jemand die Leiter hinunterstieg. Vermutlich hatten die Wachen etwas gehört, was ihr Misstrauen geweckt hatte. Nun kehrten sie zurück. Schwer atmend ließ Bevan von Marstowe ab. Der Mann hatte den Tod verdient. Jeder, der sich nicht schämte, Unschuldigen Gewalt anzutun, hatte ihn verdient. Doch im Moment gab es Wichtigeres, als diesen Feigling zu töten. Bevan musste sein eigenes Leben ebenso wie das seines Bruders Ewan und das der Normannin schützen.
Metall blitzte auf. Einer der Wachen versuchte, den Iren mit dem Messer zu treffen. Dieser sprang zur Seite. Er war ein geübter Kämpfer, schnell, geschickt, ausdauernd. Aber er war verwundet, und er stand vier oder fünf Feinden gegenüber. Wie lange würde er sich erfolgreich gegen diese Übermacht wehren können?
Dann bemerkte er, dass die Männer unsicher auf den Füßen wurden. Sie bewegten sich wie Betrunkene. Zwei von ihnen taumelten auf Ewan zu. Bevan kam dem Jungen zu Hilfe. Der hatte sich mit dem Rücken gegen die Mauer gelehnt und trat einen der Angreifer mit aller Kraft in den Magen, während sein Bruder dem anderen die mit Ketten gefesselten Fäuste ins Gesicht schlug.
Wenig später war es MacEgan gelungen, das Schwert eines gestürzten Normannen an sich zu bringen. Ohne zu zögern, tötete er den Mann. In der Nähe der Leiter sank ein anderer zu Boden. Genevieve stand hinter ihm, ein Messer in der Hand haltend. Sie war weiß wie ein Leichentuch.
Bevan warf ihr einen kurzen Blick zu. Zweifellos war es das erste Mal, dass sie einen Menschen getötet hatte. Sie sah so verängstigt aus, als rechnete sie damit, dass Gott sie als Strafe für ihre Sünde mit einem Blitz niederstrecken würde. Der Ire hingegen fürchtete die himmlische Gerechtigkeit seit Langem nicht mehr. Während der letzten zwei Jahre war sein Leben schrecklicher gewesen, als er sich die ewige Verdammnis je vorgestellt hatte. Ohne die geringsten Gewissensbisse erschlug er einen weiteren Wachmann. Jetzt hielt sich nur noch einer der Normannen aufrecht. Panik flammte in dessen Augen auf, und er wandte sich der Leiter zu.
Bevan schlang die Ketten um den Hals des Flüchtenden. „Den Schlüssel!“, befahl er.
Der Soldat stand wie erstarrt.
„Wenn dir dein Leben lieb ist, tu, was ich dir sage.“
Mit zitternden Fingern zeigte der Normanne auf einen der gefallenen Wachmänner. Jetzt bemerkte auch Bevan, dass am Gürtel des Toten ein metallener Ring befestigt war. Daran hingen mehrere Schlüssel.
„Rasch!“
Der Wachmann bückte sich, ohne dass Bevan ihn freigegeben hätte, löste den Ring und begann mit einem der Schlüssel am Schloss der Fesseln herumzuhantieren. Mit lautem Rasseln fielen die Ketten zu Boden, im nächsten Augenblick hielt MacEgan ein Schwert in der Hand. Die Spitze dieser Waffe auf das Herz des Normannen gerichtet, sagte er: „Jetzt befreie meinen Bruder.“
Er gehorchte. Doch dann, kaum dass Ewan frei war, machte der Wachmann einen gewaltigen Satz in Richtung Leiter. Bevan schlug ihm die flache Seite des Schwertes auf den Kopf. Mit einem Stöhnen sank der Normanne zu Boden.
„Ihr habt ihn nicht getötet“, murmelte Genevieve, die noch immer sehr blass war.
„Ich habe ihm das Leben versprochen.“ MacEgan wandte sich seinem Bruder zu. „Hol unsere Waffen und befreie unsere Leute. Sie sollen den anderen Bescheid geben und so schnell wie möglich nach Laochre zurückkehren.“
Ewan verschwand, und Bevan fand endlich Zeit, sich um Genevieve zu kümmern. Sie stand gegen die Wand gelehnt und hatte eine Hand schützend auf die Rippen gelegt.
„Ihr seid verletzt?“
„Es ist nichts. Erlaubt mir, mich um Eure Wunde zu kümmern. Eure Schulter blutet heftig.“
„Dafür ist jetzt keine Zeit.“ Obwohl der Blutverlust und die Schmerzen ihm zu schaffen machten, wusste er, dass er sich keine tödliche Verletzung zugezogen hatte. „Ich muss fort. Begleitet Ihr mich?“
Tränen standen in ihren Augen, als sie jetzt zu Hugh hinsah. „Lebt er noch?“
„Ja.“
„Dann kann ich nicht mehr hier sein.“
Ewan kam zurück, beladen mit zwei Bogen, Pfeilen und zwei Schwertern, die für seine schmächtige Gestalt viel zu groß und zu schwer wirkten. „Die Männer sind im Begriff, die Burg durch den Gang zu verlassen.“
„Gut.“ Bevan nahm ein Schwert, ehe er sich erneut an Genevieve wandte. „Es steht Euch frei, mit uns zu kommen.“
Sie warf einen letzten furchtsamen Blick auf den am Boden ausgestreckt liegenden Hugh. „Ich gehe mit Euch. Auf Rionallís kann ich nicht bleiben.“
MacEgan führte sie zu der Vorratskammer, von der aus der unterirdische Gang begann. Die schlechte Luft machte ihr, der nach wie vor jeder Atemzug Schmerzen bereitete, zu schaffen. Auch das rasche Gehen in gebückter Haltung fiel ihr schwer. Doch sie beklagte sich nicht. Endlich traten sie in die frische Nachtluft hinaus, Kälte schlug ihnen ins Gesicht. Obwohl Genevieve daran gedacht hatte, einen Umhang mitzunehmen, begann sie zu zittern.
Bevan reichte ihr die Hand, und sogleich wurde sie ruhiger. Sie ahnte nicht, was in ihm vorging. Genau wie sein Bruder hatte er während ihrer gemeinsamen Flucht kein Wort gesprochen. Doch in Gedanken plante er jeden weiteren Schritt. Er wusste, dass es ein Fehler gewesen war, der jungen Lady seine Hilfe anzubieten. Er setzte damit das Leben seiner Leute ebenso wie seine eigene Zukunft aufs Spiel. Aber er konnte es nicht ertragen, dass schutzlose Frauen geschlagen wurden. Er hasste und verachtete Hugh für seine Brutalität.
Glücklicherweise war es nicht allzu weit bis zu einem Ort, an dem sie Unterschlupf finden würden, ehe sie ihre Flucht fortsetzen mussten. Ihr endgültiges Ziel war die Burg seines älteren Bruders, doch die lag mehr als eine Tagesreise entfernt. Er war zu Pferd nach Rionallís gekommen, doch nach den Ereignissen der letzten Stunden konnte er unmöglich das Risiko eingehen, sein Reittier zu holen. Er musste Ewan und die Normannin so schnell und unauffällig wie nur möglich zum Turm bringen.
Von seinen Männern gab es nirgends eine Spur. Das erfüllte ihn mit Besorgnis. Diejenigen, die sich im Inneren der Burg aufgehalten hatten und gefangen genommen worden waren, waren von Ewan befreit worden. Aber war ihnen die Flucht tatsächlich gelungen? Und wie stand es um jene, die an der äußeren Palisade gekämpft hatten?
Er blieb stehen und schaute sich um. Überall waren im Umkreis der Burg brennende Fackeln zu sehen. Hatte Marstowe seine Leute bereits ausgeschickt, um die Verfolgung der Iren aufzunehmen? Himmel, sie mussten sich beeilen.
Er umfasste Genevieves Hand fester und zog die junge Frau mit sich fort. Ewan schien es leichtzufallen, mit ihm Schritt zu halten. Das mochte daran liegen, dass Bevan durch die Schulterverletzung geschwächt war. Er litt große Schmerzen und spürte, dass die Wunde noch immer blutete. Aber er musste durchhalten.
Tatsächlich war es Genevieve, die als Erste nicht mehr weiter konnte. Sie ließ sich gegen den rauen Stamm eines Baumes sinken und keuchte: „Bitte, lasst uns einen Moment lang ausruhen.“
Ewan warf ihr einen mitleidigen Blick zu. Er selbst war erschöpft, verfügte jedoch noch über ausreichende Kraftreserven. Eine Frau hingegen – zumindest eine vornehme normannische Frau – war an solche Anstrengungen nicht gewöhnt. Zudem schien sie verletzt zu sein, denn immer wieder legte sie die Hand schützend auf die Rippen, auch atmete sie auffallend flach. Ewan hatte gesehen, wie Hugh sie niedergeschlagen hatte. Er bedauerte sie.
Bevan hingegen wusste, dass jetzt keine Zeit für solche Gefühle war. Er musterte Genevieve prüfend, wobei er sagte: „Wir werden verfolgt. Wenn wir nicht riskieren wollen, dass man uns einholt, müssen wir weiter. Oder wollt Ihr lieber nach Rionallís zurückkehren?“
„Nein!“ Ihre Augen blitzten auf, sie versuchte die Schultern zu straffen. „Niemals werde ich zu ihm zurückkehren.“ Mit schleppenden Schritten ging sie weiter.
„Ist er Euer Gemahl?“
„Mein Verlobter.“ Sie schaffte es tatsächlich, das Tempo zu steigern. „Aber ich werde die Verlobung lösen, sobald ich in Sicherheit vor ihm bin.“
Sie durchquerten ein Wäldchen, was im Dunkeln ausgesprochen mühsam war. Glücklicherweise erreichten sie bald wieder offenes Land. Suchend schaute Bevan sich um. Wenn er jetzt den falschen Weg wählte, konnte ihn das sein Leben kosten. Zudem war er für Ewan und die Frau verantwortlich. Er musste sie retten.
Endlich entdeckte er, wonach er so verzweifelt Ausschau gehalten hatte: einen schwachen Lichtschein. Dort musste sich die Kirche befinden. „Weiter“, rief er aus, obwohl er spürte, dass auch seine Kräfte zu Ende gingen.
Genevieve legte ihm vorsichtig die Hand auf den Arm. „Gestattet mir, Eure Wunde zu verbinden.“
Er schüttelte den Kopf. „Wir können es uns nicht erlauben, eine Pause zu machen.“
„Bruder“, Ewan stellte sich ihm in den Weg, „sie hat recht. Du wirst nicht durchhalten, wenn deine Wunde nicht versorgt wird.“
Es widerstrebte ihm zutiefst, zuzugeben, wie geschwächt er war. Diese beiden Menschen waren abhängig von ihm, er war für sie verantwortlich. Aus diesem Grund musste er stark sein. Aber er wusste auch, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er das erste Mal stolpern und vielleicht sogar stürzen würde. Er richtete den Blick fest auf das schwache Licht. „Ich kenne einen Ort, an dem wir uns verstecken können“, erklärte er. „Es ist nicht mehr weit.“
„Gut.“ Ewan nickte, und sie setzten ihren Weg unter größten Anstrengungen fort.
Nach einer Weile – sie mussten die Grenze des zu Rionallís gehörenden Landes fast erreicht haben – tauchte rechts von ihnen ein Cottage auf. Genevieve zeigte darauf. „Bitte!“
„Nein.“ Bevan war unerbittlich. „Ich bringe nicht wissentlich das Leben meiner unschuldigen Pächter in Gefahr.“
Er hatte natürlich recht. Wenn Hugh erfuhr, dass jemand ihnen Unterschlupf gewährt hatte, würde seine Rache furchtbar sein.
„Seht Ihr den Turm?“ MacEgan zeigte nach vorn. „Dort werden wir uns ausruhen.“
Der steinerne Rundturm stand in der Nähe der kleinen Kirche, an deren Licht er sich orientiert hatte und die sie nach wenigen Minuten erreichten. Mit Gesten forderte Bevan seinen Bruder auf, das Gebäude zu umrunden, um nach Feinden Ausschau zu halten. Rasch und mit einem Lächeln auf den Lippen kehrte der Junge zurück. Alles schien sicher zu sein. Jetzt erst hob MacEgan die Faust und klopfte an die Tür eines gleich neben der Kirche stehenden Gebäudes.
Ein großer Mann öffnete, es war Pater Ó Brian, der Priester. Jeder in der Gegend wusste, dass er als junger Mann selbst ein Krieger gewesen war, und man achtete ihn dafür.
„Wir brauchen eine Unterkunft, Vater“, sagte Bevan.
Der Priester musterte die drei Menschen aufmerksam. Er bemerkte den großen Blutfleck auf MacEgans Umhang, sah, wie erschöpft die Frau war und wie erleichtert der Junge, dass sie ihr vorläufiges Ziel erreicht hatten.
„Ihr wart lange fort, MacEgan“, meinte er. „Es muss beinahe zwei Jahre her sein, dass Ihr Rionallís verlassen habt. Kommt herein.“ Er machte einen Schritt zur Seite, damit sie eintreten konnten. „Es ist gut, Euch zu sehen. Viele haben gebetet, damit Ihr den Weg nach Hause findet.“
Bevan verstand den versteckten Tadel sehr wohl. Er hätte Rionallís und die dort lebenden Menschen nicht allein lassen dürfen, dann wären Burg und Land nie in die Hände der Normannen gefallen. Aber nach Fionas Tod hatte er es in der vertrauten Umgebung, in der ihn alles an sie erinnerte, nicht mehr ausgehalten. Deshalb hatte er sich entschlossen, sich eine Zeit lang als Söldner zu verpflichten.
„Ich werde zurückkommen und mich meinen Pflichten stellen“, versprach Bevan. „Doch jetzt …“ Aus den Augenwinkeln sah er, wie Ewan errötete. Vermutlich machte auch der Junge ihm insgeheim Vorwürfe wegen des Schicksals, das Rionallís ereilt hatte. Erschwerend kam hinzu, dass es ihm in dieser Nacht nicht gelungen war, seinen Besitz zurückzuerobern.
„Gut!“ Pater Ó Brian nickte. „Was kann ich tun, um Euch zu helfen?“
„Wir werden verfolgt und brauchen ein sicheres Versteck, auch etwas zu essen. Und wenn möglich Pferde, um unsere Reise fortsetzen zu können.“
„Ich werde sehen, was ich machen kann.“ Ó Brian runzelte nachdenklich die Stirn. „Aber zuerst bringe ich Euch in den Turm.“
Der Eingang lag einige Meter über der Erde, eine Treppe gab es nicht. Aus einem Versteck holte der Priester eine Leiter, damit die drei Flüchtlinge hinaufsteigen konnten. Im Inneren des Turms fanden sie eine Fackel vor sowie eine Strickleiter, über die sie die nächste Ebene erreichen konnten.
„Zu welchem Zweck wurde dieser Turm erbaut?“, erkundigte Genevieve sich.
„Das weiß niemand genau, denn er ist sehr alt. Uns hat er von jeher als Vorratskammer gedient, aber auch als Aussichtsturm, von dem aus wir unsere Feinde schon von Weitem erkennen konnten“, antwortete Bevan. „Man sagt, dass die ersten christlichen Priester in Irland solche Türme benutzt haben, um Schätze, die der Kirche gehörten, sicher zu verwahren.“
Mühsam stiegen sie zu dem Raum hinauf, der sich oben im Turm befand. Hier gab es sechs Öffnungen, von denen aus man das Land überblicken konnte. In einer Ecke lag ein Haufen sauberes Stroh, das als Bett dienen konnte. Sehnsüchtig schaute Genevieve dorthin.
In diesem Moment tauchte Pater Ó Brian mit einem Schlauch voll Wasser und einigen Streifen sauberen Leinens auf. „Ich werde mich um Eure Verletzungen kümmern, MacEgan.“
„Lasst mich das machen“, bat Genevieve. „Könnt Ihr mir Nadel und Faden besorgen? Ich fürchte, dass die Wunde an der Schulter genäht werden muss.“
Der Priester sah sie misstrauisch an, doch dann nickte er und verschwand, um das Gewünschte zu holen.
Es dauerte eine Weile, bis er zurückkehrte. Er hatte