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Julia Arztroman Band 22
Erscheinungstag: | Fr, 29.05.2009 |
Bandnummer: | 0022 |
Seitenanzahl: | 380 |
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Die gute Tochter
"Lauf!", fleht ihre große Schwester Samantha. Mit vorgehaltener Waffe treiben zwei maskierte Männer Charlotte und sie an den Waldrand. "Lauf weg!" Und Charlie läuft. An diesem Tag. Und danach ihr ganzes Leben. Sie ist getrieben von den Erinnerungen an jene grauenvolle Attacke in ihrer Kindheit. Die blutigen Knochen ihrer erschossenen Mutter. Die Todesangst ihrer Schwester. Das Keuchen ihres Verfolgers.
Als Töchter eines berüchtigten Anwalts waren sie stets die Verstoßenen, die Gehetzten. 28 Jahre später ist Charlie selbst erfolgreiche Anwältin. Als sie Zeugin einer weiteren brutalen Bluttat wird, holt ihre Geschichte sie ganz ungeahnt ein.
"Die gute Tochter" ist ein Meisterwerk psychologischer Spannung. Nie ist es Karin Slaughter besser gelungen, ihren Figuren bis tief in die Seele zu schauen und jede Einzelne mit Schuld und Leid gleichermaßen zu belegen.
"Die dunkle Vergangenheit ist stets gegenwärtig in diesem äußerst schaurigen Thriller. Mit Feingefühl und Geschick fesselt Karin Slaughter ihre Leser von der ersten bis zur letzten Seite."
Camilla Läckberg
"Eine großartige Autorin auf dem Zenit ihres Schaffens. Karin Slaughter zeigt auf nervenzerfetzende, atemberaubende und fesselnde Weise, was sie kann."
Peter James
"Karin Slaughter ist die gefeiertste Autorin von Spannungsunterhaltung. Aber Die gute Tochter ist ihr ambitioniertester, ihr emotionalster - ihr bester Roman. Zumindest bis heute."
James Patterson
"Es ist einfach das beste Buch, das man dieses Jahr lesen kann. Ehrlich, kraftvoll und wahnsinnig packend - und trotzdem mit einer Sanftheit und Empathie verfasst, die einem das Herz bricht."
Kathryn Stockett
„Die Brutalität wird durch ihre plastische Darstellung körperlich spürbar, das Leiden überträgt sich auf den Leser.“
(Hamburger Abendblatt)
„Aber es sind nicht nur die sichtbaren Vorgänge und Handlungen von guten oder schlechten Individuen, die die (…) Autorin penibel genau beschreibt. Es sind vor allem die inneren, die seelischen Abläufe, die überzeugen.“
(SHZ)
„Das alles schildert Slaughter mit unglaublicher Wucht und einem Einfühlungsvermögen, das jedem Psychotherapeuten zu wünschen wäre.“
(SVZ)
„Die aktuelle Geschichte um die Quinns ist eine Südstaaten-Saga der besonderen Art, von der ihr nicht weniger erfolgreiche Kollege James Patterson sagt, sie sei ‚ihr ambitioniertester, ihr emotionalster, ihr bester Roman. Zumindest bis heute‘.“
(Focus Online)
„Die Autorin hat hier ein ausgezeichnetes Buch vorgelegt, dass mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt hat.“
(Krimi-Couch.de)
„Es gibt Bücher, bei denen man das Atmen vergisst. Die Romane der amerikanischen Schriftstellerin gehören dazu. So auch dieser Pageturner. (…) Karin Slaughter versteht es meisterhaft, glaubwürdige Charaktere zu erschaffen und ihre Leser fortwährend zu überraschen.“
(Lebensart)
„Atmosphärisch dichter Thriller über die sozialen Gespinste einer Kleinstadt, psychologisch sehr stimmig, mit vielen Schichten und Überraschungen.“
(Bayrischer Rundfunk)
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Vier Monate nach ihrer leidenschaftlichen Affäre besucht Melissa den faszinierenden Dr. Arun al’Kawali in seiner Heimat – und fühlt sich sofort wieder wie magisch von ihm angezogen. Doch ehe sie bei einem romantischen Ausflug in eine exotische Oase seine zärtlichen Küsse erwidern kann, muss sie ihm erst einmal beichten: Sie trägt sein Kind unter dem Herzen …
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Ein Baby für den Wüstendoktor
1. KAPITEL
Melissa schaute neugierig aus dem Fenster, als das Flugzeug zur Landung ansetzte. In den Glasfronten der neuen Hochhaustürme spiegelten sich vereinzelt kleine Häuser mit flachen Dächern in der Abendsonne. Auf diese Weise verbanden sich Altes und Neues.
Zaheer!
Sie freute sich darauf, dieses exotische Land kennenzulernen. Zaheer war berühmt für den roten Wüstensand und traumhafte Oasen. Im Schatten großer Dattelpalmen ruhten Kamele, und vor langer Zeit hatten Wüstenkrieger Reisende auf den Handelsrouten von West nach Ost beschützt. Einige Nachfahren dieser stolzen Krieger führten auch heute noch ein Nomadenleben.
„Ich würde dir gern die Wüste zeigen“, hatte Arun während ihrer letzten gemeinsamen Nacht zu ihr gesagt, als sie vom Bett aus den Sonnenaufgang über dem Meer beobachteten. Sie hatten sich auf einem vierzehntägigen Herzsymposium auf Hawaii kennengelernt und sich sofort zueinander hingezogen gefühlt.
Jetzt war Melissa hier und würde die Wüste sehen. Allerdings war nicht sicher, dass Arun sie ihr zeigte. Es ließ sich nicht vermeiden, dass sie ihn traf, schließlich heiratete ihre beste Freundin seinen Zwillingsbruder. Aber wie würden sie miteinander umgehen?
Auf jeden Fall höflich – er war immer sehr höflich.
Förmlich?
Wahrscheinlich. Dies war sein Land, und er musste eine gewisse Haltung wahren.
Aber der Arun, den Melissa auf Hawaii kennengelernt hatte, war ein starker und aufmerksamer Liebhaber gewesen. Kein höflicher, formeller Scheich.
Der Arun, den sie kannte …
Sie presste ihre Hand auf ihren Bauch. Es kam nicht darauf an, wie er mit ihr umging, sondern wie er auf ihre Neuigkeiten reagierte!
Leichte Panik ergriff Melissa.
Sie hätte es ihm eher sagen müssen.
Aber sie war so unsicher gewesen. Selbst jetzt hatte sie noch Zweifel. Seltsam, dass ausgerechnet sie, die als Leiterin eines kinderchirurgischen Teams blitzschnell Entscheidungen über Leben und Tod treffen konnte, sich von etwas so normalem und natürlichem wie einer Schwangerschaft derart aus der Bahn werfen ließ.
Trotzdem hätte sie es ihm sagen müssen …
Arun beobachtete, wie die Vordertür des Flugzeuges geöffnet und die Treppe in Position gebracht wurde.
Als er und sein Zwillingsbruder Kam in den Schulferien aus England nach Hause gekommen waren, wurden sie am Ende dieser Treppe bereits von Limousinen und den Bediensteten ihres Vaters erwartet, die sie zum Familienanwesen bringen sollten. Der Fortschritt hatte diesen Brauch beendet. Trotzdem durfte Arun sich jetzt im Zollbereich aufhalten, um die Eltern der zukünftigen Gemahlin des regierenden Scheichs in Empfang zu nehmen.
All das ging ihm durch den Kopf, als die Treppe befestigt wurde. Wollte er sich so nur von der Frau ablenken, die er gleich treffen würde?
Auf dem Herzsymposium, an dem sie beide teilgenommen hatten, hatte Melissa gehört, dass er aus Zaheer kam. Neugierig hatte sie ihn angesprochen, weil sie etwas über das Land erfahren wollte, in dem ihre beste Freundin arbeitete.
Neben ihrem lebhaften rotgoldenen Haar war Arun zuerst ihr Lächeln aufgefallen. Es ließ ihr Gesicht erstrahlen.
Sie hatten sich so voneinander angezogen gefühlt, dass sie eine kurze, aber sehr leidenschaftliche Affäre begannen. Auch wenn sie beide keine feste Bindung wollten.
Jetzt wollte es der Zufall, dass Melissas beste Freundin Aruns Bruder heiratete.
Oder war es Schicksal?
Seine Vorfahren mochten geglaubt haben, dass ihr Leben von den Launen des Schicksals bestimmt wurde, aber er war ein Mann der Wissenschaft. Und er weigerte sich, das zu glauben. Trotzdem war es seltsam, Melissa jetzt wiederzusehen.
Seltsam und erregend, flüsterte sein Körper. Könnten sie ihre Affäre fortsetzen? Aber Melissa war zu Jennys und Kams Hochzeit hier – also würde sie ihre freie Zeit mit ihrer besten Freundin verbringen.
Oder?
Als Arun hörte, dass sie kommen würde, hatte er ihr eine E-Mail geschickt und sie gefragt, ob sie ihn in einigen Dingen im Krankenhaus beraten würde.
Vielleicht gab es doch so etwas wie Schicksal. Gerade als er im Krankenhaus eine kinderchirurgische Station aufbauen wollte, besuchte eine Expertin auf diesem Gebiet sein Land. Melissa konnte ihm aus praktischer Erfahrung sagen, welche Ausrüstung und welches Personal er brauchte.
Wollte er so erreichen, dass Melissa länger blieb? Um ihre Affäre fortzusetzen?
Eigentlich sollte er sich darauf konzentrieren, eine Frau zu finden und eine Familie zu gründen. Das hatte er Kam und Jenny versprochen.
Melissa hatte ihm kurz geantwortet, dass sie gern behilflich wäre. Leider hatte sie nicht geschrieben, wie lange sie in Zaheer bleiben würde, und Jenny wollte er nicht über Melissas Pläne ausfragen. Sonst hätte er vielleicht unabsichtlich verraten, dass ihre Beziehung über eine Zufallsbekanntschaft hinausgegangen war.
Als Erste verließ eine Frau das Flugzeug, und Arun erkannte Melissa sofort.
Ihr wild gelocktes Haar hatte sie unter einem blauen Tuch versteckt, aber sogar aus der Entfernung erkannte Arun ihr warmes Lächeln, das ihr Gesicht unbeschreiblich schön erscheinen ließ.
Melissa!
Nach ihr kam ein älteres Paar, mit dem sie sich angeregt unterhielt. Das mussten Jennys Eltern sein.
Arun straffte die Schultern und trat vor, um sie zu begrüßen.
Unsicher stieg Melissa die Flugzeugtreppe hinunter. Jetzt war sie in dem Land, von dem Arun so leidenschaftlich erzählt hatte. Seine Begeisterung für sein Heimatland hatte sie selbst auf Hawaii, umgeben von tiefblauem Wasser, die trockene Wüstenluft riechen lassen.
Sie würde ihre beste Freundin Jenny wiedersehen, die kurz vor ihrer Hochzeit stand.
Hier war sie. Im vierten Monat schwanger, und niemand wusste davon …
Außer ihrem Arzt.
Melissa folgte Jennys Eltern über die Rollbahn. Jane Stapleton erzählte aufgeregt, wie schön es doch war, dass Jenny sich wieder verliebt hatte. Sie spekulierte, was das für ein Mann war, der das gebrochene Herz ihrer Tochter geheilt hatte.
Zumindest über sein Aussehen hätte Melissa ihr etwas erzählen können – schließlich waren Arun und Kam eineiige Zwillinge. Aber charakterlich waren sie das genaue Gegenteil. Kam stand kurz vor seiner Hochzeit, während Arun sich nicht vorstellen konnte, jemals wieder zu heiraten oder eine feste Beziehung einzugehen.
„Zwei Beziehungsunfähige – das perfekte Paar!“, hatte Melissa gescherzt.
Sie hatte vom Muttersein nicht die geringste Ahnung. Wie sollte sie da ein Kind aufziehen?
Melissa grübelte, wie sie Kind und Beruf unter einen Hut bekommen konnte. Und auch der Gedanke an die Geburt machte sie nervös. Vom Verstand her wusste sie, dass das Unsinn war. Nur interessierten sich ihre Gefühle nicht dafür, was ihr Verstand sagte.
Die Aussicht, eine alleinerziehende Mutter zu werden, war nicht unbedingt beruhigend. Ein Baby brauchte beide Elternteile.
Aber Arun hatte deutlich gemacht, dass Kinder in seinem Leben keinen Platz hatten.
In ihrem eigentlich auch nicht …
Oje!
Aus dem Augenwinkel nahm Melissa eine Bewegung hinter der Glaswand des Terminalgebäudes wahr.
„Das ist Kams Zwillingsbruder. Du hast ihn schon kennengelernt, oder? Er holt uns ab, weil Kam unterwegs ist.“ Jane sprudelte förmlich über vor Aufregung. „Aber mit den weißen Gewändern habe ich nicht gerechnet. Du?“
Melissa war nicht sicher, was sie erwartet hatte. Doch bestimmt nicht, dass sich ihr die Brust zuschnürte und ihr Puls raste.
Das war nur das Baby und hatte nichts damit zu tun, dass sie Arun sehen würde!
Ihn treffen …
Berühren …
Nicht daran denken!
Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, als Jane und Bob Stapleton durch eine Glastür in das Terminalgebäude geführt wurden und der Mann in seinen schneeweißen Gewändern auf sie zukam, um sie zu begrüßen.
„Mr. und Mrs. Stapleton, ich bin Arun Rahman al’Kawali.“
Melissa starrte Arun so erstaunt an, dass sie nicht mitbekam, wie die Stapletons ihn ebenfalls höflich begrüßten und ihm das Du anboten.
„Melissa.“
Seine grünen Augen schauten sie durchdringend an.
Würde ihr Baby diese hellen jadegrünen Augen erben?
„Ich freue mich, dich in meinem Land begrüßen zu können.“
Arun berührte sanft ihre Hand, und Melissa erschauerte. Ihre Reaktion zeigte ihm, dass er nicht allein war mit seinen Gefühlen, und er lächelte sie erfreut an.
Zweifellos erwartete er, dass sie ihre Affäre fortsetzten.
Oje!
Die Gedanken schwirrten nur so in ihrem Kopf herum: Er ist noch immer so attraktiv. Ich hätte ihm von dem Baby erzählen müssen. Wie wird er reagieren?
Du liebe Zeit!
„Ich hoffe, ich kann dir die Schönheit der Wüste zeigen, solange du hier bist.“
Arun sah sie so aufmerksam an, dass Melissa sich fragte, wie deutlich ihr ihre Gefühle anzusehen waren.
Dann wandte er sich wieder an die Stapletons. „Als wir uns auf Hawaii kennenlernten, hat mir Melissa erzählt, wie sehr sie das Meer liebt. Ich habe versucht, ihr die Wüste als etwas Ähnliches zu beschreiben. Aber es ist schwer, die Ähnlichkeiten zu erkennen, wenn man es noch nie gesehen hat.“
Arun klang so unbefangen. Warum auch nicht? Dies war sein Land. Hier regierte er mit seinem Zwillingsbruder. So hatte Jenny es ihr in einer E-Mail erklärt.
Er wollte ihr die Schönheit der Wüste zeigen. Die Untertöne in seinen Worten ließen Melissa nervös werden. Jetzt, wo das Schicksal sie wieder zusammengeführt hatte, gab es in seinen Augen keinen Grund, warum sie ihre Affäre nicht weiterführen konnten.
Ihr wurde heiß, und ihr Puls begann zu rasen.
Oje!
Kurz überlegte sie, zum Flugzeug zurückzulaufen und irgendwohin zu fliegen, bis sie wusste, wie sie das, was vor ihr lag, angehen wollte.
Aber es wäre feige, jetzt wegzulaufen, und ein Feigling war sie noch nie gewesen. Also straffte Melissa die Schultern und begegnete ihm scheinbar entspannt. „Ich würde die Wüste sehr gern sehen“, antwortete sie etwas verspätet. „Und Bob und Jane sicher auch.“
Arun nickte schmunzelnd. Doch Melissa bezweifelte, dass er ihr wirklich zustimmte.
Würde Arun für sie alle den Wüstenführer spielen?
Wahrscheinlich. Er war einfach ein höflicher Mensch.
Aber würde Melissa in seiner Gegenwart wirklich nur die Wüste sehen?
Wohl kaum.
Sie könnte ihm aus dem Weg gehen. Dann wäre sie sicher vor dem Gefühlschaos, das er in ihr verursachte. Denn die langen Gewänder boten leider keinen Schutz vor Anziehungskraft.
Aber wie sollten sie dann über das Baby sprechen?
O verdammt.
„Folgt mir bitte“, sagte Arun und führte Bob Stapleton zu einem wartenden Zollbeamten. „Euer Gepäck wird hier kontrolliert, und dann können wir fahren. So müsst ihr nicht durch die Menschenmassen durch.“
Viele Menschen wären hilfreich gewesen, dachte Melissa. Dann hätte ich in der Menge ungesehen verschwinden können.
Und Jenny müsste sich eine andere Brautjungfer suchen! Nein, das konnte sie ihrer besten Freundin nicht antun.
Melissa musste also nur die Anziehung zwischen ihnen ignorieren und ihre Schwangerschaft verheimlichen, bis sie mit Arun allein sprechen konnte. Glücklicherweise hatte sie ihre Kleidung an die örtlichen Sitten angepasst, sodass ihr Zustand nicht weiter auffiel. Inzwischen würde sie einfach weiter so tun, als ob Arun nur eine Zufallsbekanntschaft von einer Medizinerkonferenz wäre.
Wenn er das konnte, konnte sie das auch.
Allerdings geriet dieser Entschluss ins Wanken, als er die Stapletons zu dem Zollbeamten führte und dann zu ihr kam.
„Wie geht es dir? Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass du hier in meinem Land bist. Es gibt so viel, das ich dir zeigen kann. So viel, das wir gemeinsam genießen können.“
Seine raue Stimme voller verheißungsvoller Untertöne ließ ihren Entschluss noch weiter wanken. Aber sie weigerte sich, sich davon – oder von ihrem eigenen Körper – verführen zu lassen.
„Mach dir meinetwegen keine Umstände“, sagte Melissa. „Du bist doch gerade mit den Umbauarbeiten im Krankenhaus beschäftigt. Wir werden uns bestimmt ab und zu sehen, aber …“
„Willst du mir damit sagen, dass du unsere Affäre nicht fortsetzen möchtest?“
Jetzt klang seine Stimme hart.
Melissa zuckte die Schultern und versuchte, unbeteiligt zu wirken. Sie hoffte, Arun kaufte es ihr auch ab.
„Ich werde nicht lange hier sein. Das wäre sinnlos.“
„Ah!“, antwortete er. Aber es klang nicht so, als würde er es wirklich verstehen. „Wenn du das willst, Melissa …“
Melissa spürte, wie er sich kühl zurückzog und seine Aufmerksamkeit wieder den Stapletons widmete.
Was war denn das? Arun grübelte, während er dem Zollbeamten zusah, der den ersten Koffer öffnete. Er hatte verstanden, dass sie ihre Affäre nicht fortsetzen wollte, aber zwischen den Zeilen schien ihm etwas so verborgen zu bleiben wie ihr üppiger, sanft gerundeter Körper unter dem verhüllenden Kaftan, den sie trug.
Vielleicht verunsicherte sie die Nähe der Stapletons – und sie konnte nicht so antworten, wie sie es wollte.
Nein. Sie hatte deutlich gesagt, es wäre sinnlos …
Arun beobachtete Melissa, als sie ihren Koffer öffnete, und bemerkte die Anspannung in ihrem blassen Gesicht.
Hatte der Flug sie erschöpft, oder war es etwas anderes?
Er fragte sich, warum es ihn beschäftigte, ob sie müde oder gestresst war.
Weil ihn die Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit in den letzten vier Monaten bis in seine Träume verfolgt hatten?
Oder empfand er mehr für sie, als er sich eingestehen wollte?
Unmöglich! Es war nur eine angenehme Affäre gewesen und nichts weiter.
Allerdings eine sehr leidenschaftliche Affäre …
Der Zollbeamte kontrollierte flüchtig die Taschen, während ein anderer Beamter die Reisepässe abstempelte. Dann wurde ihr Gepäck zum Auto gebracht. Arun begleitete Bob Stapleton, Melissa und Jane folgten ihnen und unterhielten sich leise.
Die drei Gäste nahmen im bequemen Fond der großen Limousine Platz, während Arun vorn neben dem Fahrer saß. Auf der Fahrt zeigte und erklärte er ihnen die Wahrzeichen der Stadt.
„Oh!“
Bei Melissas Ausruf drehte er sich um und sah, wie sie begeistert nach Westen zeigte. Dort spiegelte sich der rote Wüstensand am Himmel, sodass die Sonne wie eine Scheibe aus flüssigem Gold in einem roten Meer wirkte. Durch seine Gäste erlebte Arun die für ihn alltägliche Magie eines Sonnenuntergangs in der Wüste neu.
Leise sprach er mit dem Fahrer, der daraufhin von der Hauptstraße abbog und sie zu einem Aussichtspunkt brachte. Von dort konnten sie das atemberaubende Spektakel noch besser beobachten.
„Unglaublich schön“, flüsterte Melissa. „Ich hätte nie gedacht, dass Sonnenuntergänge in der Wüste so beeindruckend sein würden.“ Sie wandte sich Arun zu. „Es erinnert wirklich an das Meer.“
Das Staunen in ihrer Stimme erregte Arun unglaublich. Sie hatten so gut zusammengepasst, dass ihre kurze Affäre weit über einfachen Sex hinausgegangen war. Auch wenn sie beide sich eingeredet hatten, dass es nicht mehr war. Arun hatte ihr erklärt, dass er nach dem tragischen Tod seiner Frau Hussa nicht noch einmal heiraten wollte. Melissa hatte ihm gestanden, dass sie mit ihrer Arbeit verheiratet war. Ihre Arbeit mit kranken Kindern gab ihr die Befriedigung, die sie in ihrem Leben brauchte.
Warum freute sie sich nicht, ihn wiederzusehen? Und warum konnten sie keine Freunde sein, wenn schon nicht Geliebte?
Innerlich musste Arun lachen. So wie zwischen ihnen die Funken flogen, würde eine Berührung genügen, um das Feuer in ihnen neu zu entfachen.
Nur eine Berührung …
„Wollen wir jetzt zu Jenny?“
Jane Stapletons Frage zeigte Arun, dass das abendliche Spektakel vorbei war und der Himmel nach dem atemberaubenden Farbspiel allmählich dunkel wurde. Arun wies den Fahrer an, zum Familienanwesen weiterzufahren.
Melissa schwieg den Rest der Fahrt. Dieser magische Moment hatte sie sehr berührt. Wie sollte sie stur und unnachgiebig bleiben, wenn um sie herum alles neu, aufregend und so unerwartet schön war? Aber wenn sie sich dafür öffnete, gehörte Arun dann nicht auch dazu?
Verstohlen sah sie in seine Richtung. Das schneeweiße Tuch, das er auf seinem Kopf trug, wurde von zwei gedrehten, schwarzen Bändern und einer goldenen Borte gehalten. Leider konnte sie durch das Tuch sein Gesicht nur im Profil sehen. Die kräftige Nase, das energische Kinn und die Lippen, die ihren Körper in Ekstase versetzen konnten.
In westlicher Kleidung war er exotisch gewesen, aber in diesen Gewändern schien ihn eine besondere Aura zu umgeben. Ein Gefühl von Macht, von …
Kaum gezügelter sexueller Anziehungskraft?
Denk nicht über ihn nach! Konzentrier dich auf die Fahrt, befahl sich Melissa.
Die Limousine näherte sich einer hohen Mauer, die ein hell erleuchtetes Gelände umgab. An der Mauer lehnten zwei Männer und dösten, doch als sie die Limousine erkannten, öffneten sie hastig das riesige Tor.
Innerhalb der Mauern begann eine andere Welt. Der Innenhof war taghell erleuchtet, sodass die kunstvollen Gärten und ornamentverzierten Brunnen gut zu erkennen waren.
„Sie möchten sicher gleich zu Ihrer Tochter“, sagte Arun. „Bis vor Kurzem hat Jenny im Haus der Frauen gewohnt. Aber jetzt ist sie in das Haus gezogen, in dem sie nach der Hochzeit mit Kam wohnen wird. Ihr werdet selbstverständlich bei ihr wohnen.“
„Haus der Frauen?“, fragte Melissa verwirrt.
„Für Fremde mag es seltsam klingen“, antwortete Arun, „aber es ist ein jahrtausendealter Brauch hier. Früher waren es natürlich Zelte und keine Häuser.“
Seine unverbindliche Erklärung zeigte Melissa, dass Arun sie verstanden hatte. Ihre Beziehung war Vergangenheit. Und dementsprechend distanziert verhielt er sich ihr gegenüber.
Warum war sie dann enttäuscht?
Die Limousine hielt vor einem der großen Häuser, die den Hofgarten einrahmten. Breite, flache Treppenstufen führten zu einer unauffälligen Tür, vor der unzählige Sandalen standen.
Melissa folgte den Stapletons die Treppe hoch. Aber bevor sie oben ihre Schuhe ausziehen konnte, berührte Arun leicht ihren Arm.
„Vielleicht solltest du ihnen etwas Zeit geben. Wenn du möchtest, zeige ich dir solange die Gärten.“
Sie starrte ihn kurz an. Jenny würde bestimmt gern etwas Zeit mit ihren Eltern allein verbringen. Aber sein Angebot machte sie misstrauisch.
Arun zeigte in Richtung der Gärten. „Wir gehen hier durch, zu den Ställen. Wie du siehst, sind genug Leute unterwegs. Du bist sicher vor mir.“
Ein Schauer durchfuhr Melissa – diesmal war es keine Enttäuschung, sondern Erinnerungen an die Zeit, als sie nicht sicher vor ihm gewesen war, weil sie die Finger nicht voneinander lassen konnten. Errötend drapierte sie ihr Kopftuch neu um ihr Gesicht. Hoffentlich hatte er es nicht bemerkt!
Arun deutete ihr Schweigen als Zustimmung und führte sie die Stufen wieder hinunter. Sie folgten einem geharkten Kiesweg, der von perfekt gestutzten Hecken eingesäumt war, zu den Teichen in der Mitte des Hofes.
Alles wirkte so idyllisch, dass Melissa die Stimmung nicht zerstören wollte. Sie würde ihm später von ihrer Schwangerschaft erzählen. Aber sie musste es ihm sagen. Und je früher, desto besser.
„Erklärst du es mir?“, fragte Arun, als sie an glitzernden Brunnen vorbeigingen.
Konnte er ihre Gedanken lesen?
Ahnte er, dass sie ihm etwas sagen wollte?
Nicht heute. Sie war erschöpft und unsicher.
„Was erklären?“, wich sie ihm aus.
„Ist es dir peinlich, dass wir uns hier wiedersehen?“
Könnte sie ihn anlügen? Ihn denken lassen, dass das der Grund war, warum sie nicht auf ihn reagierte?
Nein, das konnte sie nicht. Lügen wurden immer kompliziert.
„Es ist mir nicht peinlich“, erwiderte Melissa. Zu spät bemerkte sie, dass sie ihm keine andere Erklärung für ihr Verhalten geben konnte. Zumindest nicht, bevor sie ihre Gedanken geordnet hatte.
Als ob das klappen würde!
„Gibt es einen anderen Mann in deinem Leben?“, fragte Arun hartnäckig. Er suchte eine Erklärung dafür, warum sie ihre Beziehung nicht weiterführen wollte.
Wenn er nur wüsste, wie sehr sie auf ihn reagierte. Wie empfindlich ihre Haut sich anfühlte. Wie nervös er sie machte.
„Nein“, antwortete sie gepresst und lächelte angestrengt. „Beziehungsunfähige, erinnerst du dich?“
Arun nickte, aber er schien mit ihrer Antwort nicht zufrieden zu sein.
„Ist es deine Arbeit? Ich weiß, du hast gehofft, die Stelle in Boston zu bekommen, und dein Bewerbungsgespräch war gut gelaufen. Trotzdem bist du von Australien hergeflogen. Hast du die Stelle nicht bekommen? Bist du sehr enttäuscht?“
Melissa musste schmunzeln und schüttelte den Kopf. Das sollte sie besser nicht allzu oft tun, sonst verrutschte ihr Tuch.
„Muss es denn einen Grund geben?“, fragte sie. Sie setzte sich an den Rand eines Teiches und ließ ihre Hand durch das kühle Wasser gleiten. „Verlangt dein Stolz eine glaubhafte Begründung dafür, warum eine Frau nicht sofort wieder in dein Bett zurückkehren möchte?“
Die Spitze hatte gesessen. Für einen Moment war Arun sprachlos.
„Mir war nicht bewusst, dass ich dich in mein Bett eingeladen habe“, erwiderte er schließlich langsam. Rigoros unterdrückte er die Sehnsucht nach ihr, die er fühlte, seit sie aus dem Flugzeug gestiegen war. „Ich habe von Freundschaft gesprochen. Aber wenn deine Beziehungsphobie auch das nicht zulässt, tust du mir leid.“
Melissa wurde blass und sah Arun betroffen an. Leicht berührte sie seinen Arm und hinterließ dabei feuchte Spuren auf seinem Gewand.
„Nein, mir tut es leid, Arun. Es ist nur …“
Die Betroffenheit in ihrem Blick war einer stummen Bitte gewichen. Um Verständnis? Aber wie sollte er Verständnis haben, wenn er nicht wusste, was hier vor sich ging?
Warum wirkte diese starke Frau plötzlich so zerbrechlich? So verletzlich?
Melissa lächelte ihn müde an. „Kann ich es auf den Jetlag schieben, wenn ich im Moment etwas verwirrt bin?“
Sie könnte, aber Arun würde ihr nicht glauben. Diese Frau konnte nach einer leidenschaftlichen Nacht und völlig unausgeschlafen einen brillanten Vortrag auf einem schwierigen Symposium halten. Also bezweifelte er, dass ein Jetlag sie derart aus dem Konzept bringen konnte.
Er setzte sich zu ihr. Hier waren sie ganz allein. Er könnte sie küssen.
„Du möchtest also erst einmal nicht darüber sprechen?“, fragte er. Dabei erinnerte er sich so lebhaft an ihr Liebesspiel, dass sich sein Körper vor Erregung anspannte.
Wieder schenkte sie ihm ein mattes Lächeln. „Im Moment, ja“, antwortete Melissa. „Aber später – morgen oder nach der Hochzeit – unterhalten wir uns.“
„Versprichst du mir das?“
Sie nickte.
Er kam ihr näher, und sie zog sich nicht zurück. Aber sie wirkte nervös.
„Hier in Zaheer besiegeln wir Versprechen mit einem Kuss“, flüsterte Arun.
Er gab ihr keine Zeit zu protestieren und küsste sie verlangend.
2. KAPITEL
Ein Scheich sollte so etwas nicht in seinem Hofgarten tun!, war Melissas erster Gedanke.
Der zweite galt ihrem leicht gewölbten Bauch. Aber Gott sei Dank war unter ihrem weiten Kaftan nichts zu sehen.
Dann gab sie sich Aruns Küssen hin. Erregt erschauerte sie. Nur er hatte sie jemals solche Lust spüren lassen.
Verdammt! Gerade das hatte sie vermeiden wollen.
Und doch erwiderte Melissa hungrig seinen Kuss. Sie wusste, es war gefährlich, ihm zu zeigen, wie viel Macht er über sie hatte. Aber sein schwerer Atem zeigte, dass auch ihn die Leidenschaft zwischen ihnen nicht kaltließ.
Vor vier Monaten hatten sie die intensiven Gefühle völlig überrascht.
Wenn nur …
Ein Luftzug fuhr über ihre empfindlichen Lippen, und Melissa merkte, dass Arun sich zurückgezogen hatte. Und nicht nur das. Er war aufgestanden und schaute auf sie herunter.
„Die Anziehung ist also noch da“, sagte er leise.
Sein Gesicht war im Schatten verborgen. Trotzdem wusste sie, dass er sie aufmerksam beobachtete und zu erkennen versuchte, was in ihr vorging.
Oder bildete sie sich das ein? Interessierten ihn ihre Gefühle überhaupt?
„Ja“, antwortete Melissa. Er war ein feinfühliger Mann – natürlich interessierten ihn ihre Gefühle.
„Gut.“ Er nahm ihre Hand und half ihr auf die Füße. „Ich bringe dich jetzt zu Jenny. Ihr habt euch bestimmt viel zu erzählen. Die Frauen sind wegen dieser Hochzeit schon die ganze Woche aus dem Häuschen. Auch wenn Jenny sagt, es wäre nur noch eine Formalität.“
Arun brachte Melissa zu Jennys Haus zurück. An der Tür begrüßte sie eine junge Frau, die Arun ihr als Keira vorstellte. Er erklärte Melissa, dass ihr Gepäck bereits auf ihr Zimmer gebracht worden sei und Keira sie dorthin bringen würde.
Aber Keira kam nicht dazu, denn in dem Moment entdeckte Jenny sie.
„Mel! Ich dachte schon, Arun hätte dich auf einem Kamel in die Wüste entführt – wie ein richtiger Wüstenkrieger.“
Aus dem Augenwinkel schaute Melissa Arun an, als sie ihre Freundin begrüßte. Es war nicht schwer, einen Wüstenkrieger in ihm zu sehen, und es wäre ihr bestimmt nicht unangenehm, von ihm in die Wüste entführt zu werden.
Also wirklich! Sie musste sich unbedingt zusammenreißen.
„Ich reite doch lieber Pferde, Jenny“, erinnerte Arun sie. Dabei lächelte er sie so warmherzig an, als wäre sie bereits ein wichtiger Mensch in seinem Leben.
„Mel reitet auch“, erzählte Jenny.
Zu Melissa sagte sie: „Du musst dir unbedingt den Stall und die Pferde anschauen. Sie sind wunderschön. Du wirst sie lieben. Arun, du reitest doch fast jeden Morgen, oder?“
Melissa hatte sorgfältig darauf geachtet, Jenny bei ihrer Umarmung nicht zu nah zu kommen. Auch wenn ihr kleiner Bauch noch nicht als Schwangerschaft erkennbar war.
Aber Jennys offensichtlicher Versuch, sie zu verkuppeln, ließ sie erröten.
Sie schaute von Aruns ausdruckslosem Gesicht zu ihrer Freundin, die vor Freude und Aufregung strahlte. „Ich bezweifle, dass ich die nächsten Tage Zeit zum Reiten habe“, sagte Melissa und ersparte Arun damit eine Antwort. „Wir müssen uns schließlich auf eine Hochzeit vorbereiten, hm?“
„Wenn du reiten möchtest …“, begann Arun.
Aber Melissa lachte nur. „Dein Angebot kommt etwas zu spät“, neckte sie ihn. „Aber ich kann verstehen, dass du morgens lieber allein reitest. Als ich noch bei meiner Großmutter lebte, bin ich oft mit meinen Cousins und Cousinen ausgeritten, aber es war viel schöner, wenn ich allein reiten konnte. Besonders früh am Morgen, wenn das Gras taunass ist und die Welt noch frisch und neu riecht. Nur ich, das Pferd und die Landschaft“, erklärte Melissa.
Er lächelte sie an, und sie bereute, sich entspannt zu haben. Denn sein Lächeln berührte sie tief.
„Bei mir sind es das Pferd und die Wüste“, erwiderte Arun leise. „Und eine Möglichkeit, die Probleme der Welt zu lösen, wenn ich hellwach bin und alles um mich herum mit allen Sinnen wahrnehme.“
Mit einem breiten Lächeln fügte er hinzu: „Eigentlich sind es nicht die Probleme der ganzen Welt, sondern nur die des Krankenhauses und unseres Landes.“
„Aber das ist die Welt, die für dich wichtig ist“, erinnerte ihn Mel. Sie freute sich, dass sie ihn überrascht hatte. Denn er schaute sie lange an, bevor er zustimmend nickte.
„Ich lasse euch jetzt allein“, verabschiedete sich Arun, bevor er sich umdrehte und ging. Keinen Moment zu früh, wie er fand, als er vor der Tür in seine Sandalen schlüpfte. Es sprach nichts dagegen, Melissa Cartwright anziehend zu finden. Ihren scharfen Verstand hatte er während ihrer kurzen Affäre genauso genossen wie ihren Körper. Aber er mochte es gar nicht, dass sie seine Gefühle oder Gedanken lesen konnte. Diese Art Nähe hatte er seit Hussas Tod vermieden.
Jenny führte Melissa in einen riesigen Raum, der mit alten Wandteppichen geschmückt war. Als sie eintrat, fühlte sich Melissa von den vielen verschiedenen Farben fast erschlagen. Rot, Gold, Rosa und Lila, in unglaublichen geometrischen und floralen Mustern. Eine märchenhafte Atmosphäre – und Melissa brauchte einen Moment, bevor sie alles aufnehmen konnte.
Auf einer großen Lederottomane saßen Bob und Jane Stapleton und studierten eine Landkarte. Vor ihnen standen auf einem Tisch Teller mit Obst, Nüssen, verschiedenen Käsesorten, Brot und kleinen kuchenähnlichen Süßigkeiten.
„Komm.“ Jenny zog Melissa weiter. „Du musst etwas essen und trinken. Und ich muss dir so viel erzählen. Wenn wir später allein sind, musst du mir alles von dir erzählen.“
Sie stockte und schaute Melissa prüfend an. „Ist alles in Ordnung bei dir?“
Melissa ahnte, dass sie wissen wollte, warum sie ihren Traumjob in Boston nicht angetreten hatte.
„Wir reden später“, versprach Melissa. Aber solange sie nicht mit Arun gesprochen hatte, konnte sie nicht offen zu Jenny sein.
Nur, wie sollte sie es ihm sagen?
Wie sollte sie erklären, dass sie geschwiegen hatte?
Sie folgte Jenny in den Raum. Ein wenig neidisch hörte sie die Freude in Jennys Stimme. Aber wenn es jemand verdient hatte, glücklich zu sein, dann Jenny.
Melissa setzte sich zu den Stapletons auf die Ottomane. Ein junges Mädchen reichte ihr ein feuchtes, angenehm duftendes Tuch, mit dem sie sich die Hände reinigte. Dann nahm sie einen Teller und suchte sich einige der exotischen Köstlichkeiten aus, die sie probieren wollte.
„Ich habe keinen großen Hunger“, protestierte sie, als Jenny sie drängte, mehr zu nehmen. „Wir haben während des Fluges etwas zu Essen bekommen.“
„Aber du musst unbedingt den Dattelsaft kosten. Er ist wirklich lecker.“
Nachdem ihre Freundin versorgt war, lehnte Jenny sich zufrieden zurück und begann, ihre Geschichte zu erzählen.
„Ich dachte, es wäre einfach unmöglich. Egal, wie sehr ich Kam liebe, ich dachte, ich kann ihn nicht heiraten“, erzählte Jenny. „Als neuer Herrscher braucht er Erben, und ich wusste nicht …“
Gedankenverloren presste sie eine Hand auf ihren Bauch, und alle Zuhörer verstanden die Geste. Sie wussten alle, was Jenny durchgemacht hatte, als sie bei einem Autounfall ihren Ehemann und ihren ungeborenen Sohn verloren hatte. Noch schlimmer war, als die Ärzte ihr sagten, dass sie wohl keine Kinder mehr bekommen könnte.
Aber Jenny strahlte glücklich, und sie würde Kam heiraten. Es schien sie nicht mehr zu belasten, dass sie ihm wahrscheinlich keinen Erben schenken konnte.
„Und dann hat Arun uns ein Angebot gemacht“, sagte sie freudestrahlend.
Jenny lachte, als sie die verständnislosen Blicke ihrer Gäste sah. „Entschuldigt. Das versteht ihr natürlich nicht. Wisst ihr, Kam hat mir etwas über Arun erzählt. Er hat sehr früh geheiratet. Hussa – eine wunderschöne junge Frau. Während Arun in der Stadt gearbeitet hat, ist sie im Haus der Frauen auf dem Familienanwesen geblieben. Hussa war sehr jung und sehr schüchtern, und als sie starke Bauchschmerzen bekam, hat sie niemandem davon erzählt. Als endlich jemand bemerkte, dass ihr Blinddarm geplatzt war, hatte bereits eine Peritonitis eingesetzt, und sie starb, bevor ihr jemand helfen konnte.“
„Wie furchtbar. Aber leider passiert das auch heute immer noch“, sagte Jane betroffen. „Sogar bei uns zu Hause, wenn die Leute die Schmerzen auf etwas schieben, das sie gegessen haben, und bei der Infektion keine medikamentöse Behandlung anschlägt.“
Jenny nickte. „Arun war natürlich am Boden zerstört“, erzählte sie weiter, „und hat geschworen, nie wieder zu heiraten. Er ist Kam so ähnlich und doch ganz anders. Kam nennt ihn einen Playboy, aber ich glaube, ganz so schlimm ist er nicht. Allerdings kann ich verstehen, dass er nicht wieder heiraten will.“
Melissa hatte aufmerksam zugehört, um etwas mehr über Arun zu erfahren, aber das konnte noch nicht die ganze Geschichte gewesen sein. Jane und Bob sahen ebenso verwirrt aus.
„Und Aruns Angebot?“, fragte Melissa.
Jenny lächelte sie strahlend an. „Er sagte, ich soll mir keine Sorgen machen. Er würde heiraten und Kinder haben, die das Erbe antreten können. So hatte ich keinen Grund mehr, Kam nicht zu heiraten.“
Dafür reichte Oje nicht mehr aus. Melissa wünschte, sie könnte fluchen. Leider war ihre Großmutter in dieser Hinsicht sehr altmodisch. Als Studentin hatte Melissa jede Menge Flüche gehört, und auch im OP wurde des Öfteren geflucht, aber sie selbst hielt sich damit sehr zurück.
Sogar in Gedanken!
Das hier war ein Desaster. Wie sollte sie Arun von ihrer Neuigkeit erzählen, wenn er vielleicht schon seine Hochzeit plante?
Aber er wollte auch ein Kind … Ihr gemeinsames Kind? Bestimmt nicht!
Jenny erzählte weiter, und Melissa versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was sie sagte. Sie würde abwarten und später entscheiden, wie es weitergehen sollte.
„Ihr müsst wissen, hier folgen die Leute noch immer Traditionen von vor Hunderten von Jahren“, erklärte Jenny. „Und so eine Vernunftehe, wie Arun sie für sich arrangieren will, ist nicht unüblich.“
„Und hat er das getan? Ich meine, hat er sie arrangiert?“ Melissa hoffte, dass ihre Fragen unter diesen Umständen nicht ungewöhnlich waren.
Anscheinend hatte sie Glück, denn Jenny lächelte. „Er hat nichts gesagt. Aber so wie Kam und er Dinge angehen, die getan werden müssen, hat er alles im Griff. Ich wäre nicht überrascht, wenn er eine Doppelhochzeit vorschlagen würde.“
„Oh, er würde dir bestimmt nicht deinen großen Tag verderben wollen“, widersprach Jane.
Aber Jenny lachte nur. „Es ist nicht wirklich ein großer Tag für mich, Mum. Kam und ich fühlen uns schon verheiratet. Die Zeremonie ist eigentlich nur für die Familie und für alle ein willkommener Grund zum Feiern.“
Jane schaute sie zweifelnd an, aber Bob erwiderte nur: „Was zählt, ist, dass du glücklich bist. Und ich sehe, dass du das bist. Also, wann lernen wir deinen Mann kennen?“
Melissa sah, wie Jenny leicht errötete, und wusste, dass Bob recht hatte. Jenny war wirklich glücklich.
„Morgen Abend. Traditionell gibt es am Tag vor der Hochzeit ein großes Essen. Eigentlich sollte ich nicht daran teilnehmen, aber die Zeiten ändern sich, und darum bin ich dabei. Dann ist Kam auch aus dem Flüchtlingslager zurück.“ Zu Melissa sagte Jenny: „Vor ein paar Tagen hat er einen neuen Arzt dorthin begleitet und ist dort geblieben, um sicherzugehen, dass er sich gut eingewöhnt. Ihr werdet ihn dann morgen treffen.“
Das schien das Zeichen zu sein, den Abend zu beenden. Die Stapletons wollten sich zurückziehen, und Jenny stand auf, um ihre Eltern zu deren Zimmer zu begleiten.
„Wartest du hier?“, fragte sie Melissa. „Dann können wir uns noch unterhalten.“
Aber Melissa ahnte, worum sich dieses Gespräch drehen würde, und schüttelte den Kopf. Besser eine kleine Notlüge als eine große.
„Heute nicht, Jen“, antwortete sie. „Ich bin erledigt.“
Jenny sah sie ungläubig an, protestierte aber nicht. Sie brachte ihre Eltern zu deren Zimmer, bevor sie Melissa ihr Zimmer zeigte.
„Du und Kam, werdet hier in diesem kleinen Haus wohnen?“, neckte Melissa sie. „Ich sollte mir wohl besser eine Brotkrümelspur legen, damit ich zur Vordertür zurückfinde.“
„Keira wird dir den Weg zeigen. Solange du hier bist, ist sie deine persönliche Begleiterin und schläft in einem kleinen Alkoven in deinem Zimmer. Wenn du irgendetwas brauchst, frag sie einfach.“
„Spricht sie Englisch?“
Jenny lächelte. „Kam und Arun haben dafür gesorgt, dass alle Bediensteten eine gute Ausbildung bekommen und Englisch lernen. Sie haben sogar das Schulgeld für die Jüngeren bezahlt, die eine Universität besuchen wollen. Egal, ob hier oder in Übersee.“
Keira wartete in dem riesigen Raum, der für Melissa vorgesehen war.
„Ich habe für Sie ausgepackt“, sagte sie in klarem, akzentfreiem Englisch. „Möchten Sie etwas trinken, bevor Sie schlafen gehen? Vielleicht Tee oder Milch?“
„Nein, danke“, antwortete Melissa und folgte dann der jungen Frau in das opulent ausgestattete Bad.
Sie duschte und zog ein langes, fließendes Nachthemd an – so wollte sie verhindern, dass jemand von ihrer Schwangerschaft erfuhr, bevor sie Arun davon erzählen konnte.
Oder Jenny!
Melissa schlüpfte in ihr Bett. Sie genoss die weichen Laken und überlegte, wie sich Jenny in diesem Haus fühlen musste, nachdem sie jahrelang in Kriegsgebieten und Flüchtlingslagern gearbeitet hatte.
Der Luxus würde Jenny bestimmt nicht verändern.
Aber sosehr sie auch versuchte, über Jenny und ihre Zukunft in diesem Land nachzudenken, Melissas Gedanken kehrten immer wieder zu Arun und seiner bevorstehenden Hochzeit zurück. Was für ein Dilemma!
Als irgendwo eine Uhr dreimal schlug, beschloss sie, nicht weiter zu grübeln und es auch nicht länger aufzuschieben. Morgen früh würde sie ihn in den Ställen abpassen und es ihm sagen.
Dann sollte er entscheiden, was er mit dem Wissen anfangen wollte.
Arun führte gerade Saracen aus dem Stall, als er Melissa auf sich zukommen sah, begleitet von einer nervösen Keira.
„Melissa?“
Selbst im sanften Morgenlicht sah sie noch immer blass aus, und trotzdem reagierte er so heftig auf sie.
Ihr sonst so sicherer Gang war zögerlich, und als sie näherkam, konnte er sehen, wie unsicher sie war.
„Möchtest du reiten?“
Erst schüttelte sie den Kopf, doch dann nickte sie. „Ich weiß, du reitest lieber allein, aber ich dachte …“ Sie stockte und sah sich um, als würde sie verzweifelt einen Fluchtweg suchen.
„Ich würde mich über deine Gesellschaft sehr freuen.“ Gute Manieren hatten Arun schon in vielen peinlichen Lagen gerettet, und diese Situation gehörte auf jeden Fall dazu. Melissa, die sonst so selbstsicher war, wirkte im Moment beinahe gehetzt.
„Ich fürchte, ich bin nicht passend angezogen. Weil ich nicht wusste, ob es akzeptabel ist, habe ich keine Reithosen oder Jeans eingepackt.“
Arun sah sich Melissas Kleidung an. Die weite Hose und Tunika waren nicht unbedingt typische Reitkleidung, aber es würde schon gehen.
Er fragte sich, ob Keira wusste, warum Melissa so unsicher war. Aber Keiras Gesicht zeigte keine Reaktion, auch wenn sie sich sicherlich fragte, ob alle Ausländer so seltsam waren wie die Frau, auf die sie aufpasste.
„Hast du wirklich nichts dagegen, dass ich mit dir reite?“, fragte Melissa schließlich. Aber Arun hatte bereits einem Stalljungen zugerufen, dass er Mershinga satteln sollte. Eine sanfte Stute, die seine Schwestern oft ritten.
„Es wird mir ein Vergnügen sein“, antwortete Arun.
„Ich bringe Frau Dr. Cartwright dann später zum Haus zurück“, versprach er Keira.
Die junge Frau nickte und ging.
Melissa sah ihr nach, bevor sie sich Arun zuwandte. „Vielleicht wäre es besser, wenn wir nicht ausreiten, sondern irgendwo miteinander reden“, sagte sie hastig.
Saracen schien die Spannung zu spüren und begann zu tänzeln. Arun tätschelte leicht seinen Hals und sprach beruhigend mit ihm.
Wenn er seinen Besuch doch auch so leicht beruhigen könnte!
Er reichte Saracens Zügel einem Stalljungen und trat auf sie zu. „Melissa.“
Er kam ihr nah genug, um die dunklen Schatten unter ihren Augen zu sehen. Sanft nahm er ihre Hand. „Reite mit mir. Entspann dich und genieß die Wüste. Wenn du möchtest, unterhalten wir uns später. Aber für den Moment vergiss deine Sorgen und lass die Bewegungen des Pferdes und die klare Morgenluft auf dich wirken.“
Behutsam hob er ihr Kinn und schaute ihr in die Augen.
Das bereute er sofort, denn in ihren Augen sah er eine so tiefe Angst, dass er Melissa fest in die Arme nehmen und ihr versprechen wollte, dass alles in Ordnung käme.
Nur, wie sollte er das versprechen, wenn er nicht wusste, was ihr solche Angst machte?
„Komm!“ Arun nahm ihre Hand und führte sie zu einem jungen Mann, der eine hellgraue Stute hielt. „Das ist Mershinga. Sie wird dich sicher tragen.“
Arun hielt die Zügel, während Melissa sich in den Sattel zog. Dann stellte er ihr die Steigbügel ein. Er bemühte sich, sie nicht länger als nötig zu berühren. Denn trotz ihrer Unsicherheit fühlte er sich zu ihr hingezogen.
Sie trägt dich sicher! Diese Worte hallten in Melissas Kopf nach. Vielleicht hatte Arun recht. Sie sollte einfach den Wind, die Morgensonne und die Wüste genießen und die Magie des neuen Tages auf sich wirken lassen.
Später – irgendwann – würde sie mit Arun sprechen …
Arun hatte sein Pferd bestiegen. Einen lebhaften schwarzen Hengst, der seinen Reiter scheinbar daran erinnern wollte, wer wirklich der Boss war. Aber Arun hatte die Zügel fest im Griff.
Mershinga folgte den beiden gemächlich, und allmählich entspannte sich Melissa, und ihr Körper passte sich dem Schrittrhythmus ihrer Stute an. Sie genoss die frische Morgenluft.
Durch einen kleinen Seiteneingang verließen sie das Anwesen und waren zu Melissas Freude sofort in der Wüste.
„Es ist so nah“, staunte sie. „Ich dachte, wir müssten erst an den Stadtrand.“
Arun zügelte seinen Hengst und sagte lächelnd: „Das ist der Stadtrand. Die Wüste erstreckt sich von hier bis zu den Bergen dort hinten und in der anderen Richtung bis zu einem Binnenmeer.“
Er zeigte auf die vom Morgennebel verschleierten Berge. Sie waren wie ein Sinnbild für diesen Ort – verhüllte Berge, verschleierte Frauen, Verborgenes und Verstecktes – Geheimnisse.
„Wagen wir einen kurzen Galopp?“
„Ja!“
Melissa lächelte. Ein Galopp war genau das, was sie brauchte, um den Kopf frei zu bekommen. Ihr Geheimnis musste noch etwas warten.
Zuerst ließen sie es langsam angehen. Zweifellos wollte Arun sehen, wie gut sie im Sattel saß, aber dann drehte er sich zu ihr um.
Mit erhobener Augenbraue fragte er: „Schneller?“
„Gern“, antwortete sie begeistert, ließ die Zügel lockerer und spornte ihre Stute an. Aber bald übernahm der Hengst wieder die Führung.
Neben einigen niedrigen Palmen war ein Steinhaufen aufgestapelt worden. Dort holte Melissa wieder auf.
„Ist das eine Oase?“, fragte sie enttäuscht.
Wo war das Wasser? Und zählten drei Dattelpalmen als üppige Vegetation?
Arun lachte. „Eine recht kleine. Aber sie ist trotzdem sehr wichtig für Reisende in der Wüste. Komm, steig ab und probier das Wasser. Es schmeckt besser als jedes andere Wasser der Welt.“
Er glitt leicht aus dem Sattel und befestigte die Zügel seines Hengstes an einem Pfosten, bevor er Melissa beim Absteigen behilflich war.
Dann führte er sie zu einem kleinen Brunnen. „Das ist ein Wadi. Hier kommt ein unterirdischer Fluss so nah an die Oberfläche, dass Palmen wachsen und die Menschen früher einen Brunnen graben konnten.“
Mit einem Holzeimer holte Arun kristallklares Wasser aus der Tiefe herauf. Mit der Hand schöpfte er Wasser aus dem Eimer und bot es Melissa an.
Sie kostete mehr aus Höflichkeit als aus Durst. Aber bald trank sie, weil das Wasser so gut war, wie Arun gesagt hatte. „Es schmeckt fantastisch.“
Dann schaute Melissa ihn an und musste lachen. „Das klingt dumm, oder? Wasser hat doch eigentlich keinen Geschmack.“
„Auch nicht dümmer, als wenn ich behaupte, dass es besser schmeckt als jedes andere Wasser der Welt“, erwiderte er und trank selbst.
Fasziniert beobachtete sie, wie das Wasser von seinem stoppeligen Kinn auf seine Kleidung tropfte.
Der Vater ihres Kindes …
„Ich bin schwanger“, platzte Melissa plötzlich heraus.
Vergessen waren alle Erklärungen und Entschuldigungen, die sie sich letzte Nacht zurechtgelegt hatte.
In seinem Gesicht las sie erst Verwirrung und dann Zweifel, als er verstand, warum sie es ihm gesagt hatte.
„Wie lange schon?“
Bei der Kälte in seiner Stimme krampfte sich ihr Magen zusammen. „Vier Monate.“
„Unmöglich! Wir waren vorsichtig …“ Er stockte und runzelte die Stirn, als er zurückdachte.
Melissa fragte sich, ob er sich an diese eine bestimmte Situation erinnern würde.
An einem Abend hatten sie während des Symposiums in einem kleinen Restaurant am Strand gegessen. Auf dem Rückweg zum Hotel hatten sie dann eine kleine abgelegene Bucht entdeckt. Spontan waren sie dort schwimmen gewesen und hatten sich im warmen Wasser geliebt.
„Warum sagst du es mir erst jetzt, wenn es mein Kind ist?“ Arun stockte und starrte die blasse und zerbrechliche Frau an, die vor ihm saß. Er war so unglaublich wütend. „Hättest du es mir überhaupt gesagt, wenn du nicht zu Jennys Hochzeit nach Zaheer gekommen wärst? Oder bist du auf Geld aus? Jetzt, wo du das Anwesen gesehen hast?“
Melissa zuckte zusammen.
Aber er konnte kein Mitleid mit ihr haben. Nicht, wenn sie diese Neuigkeit so lange für sich behalten hatte. Und es ihm so schwerfiel, es überhaupt zu glauben.
„Arun“, begann sie, „ich weiß, es ist ein Schock. Du musst mir glauben, für mich war es nicht anders. Und ja, ich hätte es dir eher sagen müssen.“
Ihre blauen Augen schauten ihn ängstlich und um Verzeihung bittend an. „Aber ich wusste nicht, was ich denken oder tun sollte“, sagte Melissa leise.
Sie stockte und fügte dann hinzu: „Ich hatte schreckliche Angst.“
Der Schatten in ihren Augen war also tatsächlich Angst. Aber wovor?
Melissa senkte den Kopf, als könnte sie es nicht ertragen, dass er sie so genau beobachtete.
Aber er musste einfach nachhaken!
„Schreckliche Angst? Wovor?“
Zuerst schien es, als würde sie seine Frage ignorieren, doch dann hob sie den Kopf. Ihr klägliches Lächeln versetzte Arun einen Stich.
„Es ist dumm, oder? Ich kann ohne Probleme an Neugeborenen operieren.“
Jetzt verstand er – oder glaubte, es zu verstehen. Vorsichtig nahm er ihre Hand. „Machst du dir Sorgen, dass das Baby vielleicht nicht ganz gesund ist? Melissa, bei deiner Arbeit ist das kein Wunder.“
Aber sie schüttelte den Kopf. Dann entzog sie ihm ihre Hand und ging ein paar Schritte. „Ich hatte furchtbare Angst vor der Schwangerschaft.“
Dann blieb sie stehen, überrascht von ihrer Ehrlichkeit. Schnell versuchte sie, es ihm zu erklären. Aber in seinen Ohren klangen ihre Worte nicht wie die ganze Wahrheit.
„Was weiß ich denn davon, wie man ein Kind aufzieht? Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen. Dann ist da die Aussicht, als alleinerziehende Mutter Arbeit und Kind unter einen Hut bringen zu müssen. Irgendwie stürzte alles auf einmal auf mich ein, bis ich nicht mehr klar denken konnte. Also habe ich es verdrängt und niemandem davon erzählt. Nicht einmal Jenny. Ich dachte, wenn ich mich wieder beruhigt habe, könnte ich alles in überschaubare Probleme aufteilen und dann Lösungen dafür finden.“
Sie seufzte. „Aber ich bekomme sogar jetzt noch Panik, wenn ich darüber nachdenke. Ich weiß, das ist eine dumme Reaktion. Arun, ich erzähle dir das nur, damit du verstehst, warum ich es dir nicht eher gesagt habe. Oh, ich hatte auch alle möglichen anderen Ausflüchte, aber in Wahrheit wollte ich es mir einfach nicht eingestehen. Und nicht darüber zu sprechen, hat mir geholfen, es zu verdrängen.“
Arun spürte ihre Anspannung und merkte, dass sie zitterte. Das zeigte ihm, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Aber trotzdem verschwieg sie ihm etwas.
Konnte er deshalb kein Mitleid mit ihr haben?
„Warum hast du dann nicht abgetrieben?“
Seine harten Worte zeigten ihr deutlich, wie misstrauisch und wütend er war.
Ungläubig drehte sie sich zu ihm um. „Warum habe ich was nicht?“, fragte Melissa empört.
„Abgetrieben“, wiederholte er kalt.
„Wie hätte ich das tun sollen, wenn ich das Leben von Kindern rette? Das ist mein Leben, meine Berufung! Ich bin nicht gegen Abtreibung, und ich kann verstehen, dass man unter bestimmten Umständen diesen Weg wählt. Aber ich?“
Sie sah ihn so entsetzt an, dass seine Wut verrauchte. Aber er konnte sich kein Verständnis oder Mitleid erlauben. Er musste erst verstehen, dass diese Frau sein Kind erwartete …
„Wir sollten zurückreiten“, sagte er und ging zu seinem Pferd.
„Mehr hast du nicht dazu zu sagen?“
Abrupt drehte er sich wieder zu ihr um. „Du kannst es nach vier Monaten immer noch nicht glauben und erwartest von mir, dass ich diese Situation nach fünf Minuten verstehe?“
„Diese Situation?“, flüsterte sie schwach. Seine Worte hatten sie tief getroffen.
Aber sie straffte ihre Schultern und hob ihr Kinn. „Nein, natürlich nicht. Das war dumm von mir“, antwortete Melissa. „Reiten wir zurück.“
Mershinga wartete geduldig, als sie sich in den Sattel zog. Ihre Bewegungen zeigten Arun, dass sie sich auf dem Pferderücken wohlfühlte.
Fiel ihm das nur auf, damit er nicht über ihr Geständnis nachdenken musste?
Wahrscheinlich!
Arun schwang sich in Saracens Sattel und ließ den großen Hengst neben der Stute gehen.
„Was ist mit Boston?“
Mit einem schwachen Lächeln zuckte sie die Schultern. „Es wäre unmöglich gewesen. Sobald ich es wusste, habe ich dem Teamleiter mitgeteilt, dass ich die Stelle nicht annehmen kann. Neue Teammitglieder arbeiten häufig auf Abruf und könnten jederzeit losgeschickt werden, um von irgendwo in den Vereinigten Staaten ein Spenderherz abzuholen. Nicht unbedingt ideale Bedingungen für eine alleinerziehende Mutter.“
„Du könntest ein Kindermädchen einstellen. Wenn du weiterarbeiten willst, wird dir nichts anderes übrigbleiben.“
Dachte er immer noch, dass sie auf sein Geld aus war? Melissa wunderte sich, dass sie bei seinen kühlen Worten so ruhig blieb.
Sie versuchte selbst, unbeteiligt zu wirken. „Ich werde weiterarbeiten. Irgendwie. Ich muss arbeiten. Nicht, weil ich es für meine persönliche Befriedigung brauche, sondern weil ich gut bin in dem, was ich tue. Sehr gut. Mir wäre nicht wohl dabei, wenn ich nicht weitermachen würde. Schon allein, weil so viele Menschen so viel Zeit in meine Ausbildung investiert haben. Ich bin noch nicht ganz sicher, wie ich alles organisiere. Aber jetzt, wo ich die Stelle in Boston abgelehnt habe, habe ich Zeit, meine Möglichkeiten abzuwägen.“
„Du arbeitest im Moment nicht? Überhaupt nicht?“
Melissa holte tief Luft, auch wenn sie die Wüstenluft kaum bemerkte. Es fiel ihr leichter, über ihre Arbeit zu sprechen, als über Babys.
„Ich hatte schon gekündigt, weil ich wusste, dass ich gehen würde. Die letzte Zeit habe ich meist im Bereitschaftsdienst gearbeitet und bin eingesprungen, wenn ein Kollege fehlte oder im Urlaub war. Mein altes Krankenhaus hätte mich gern zurück, aber …“
Wie sollte sie ihm erklären, dass sie im Moment keine Vollzeitstelle ausfüllen konnte? Dass sie wenigstens in den ersten Monaten ganz für ihr Kind da sein wollte?
Wie sollte sie überhaupt etwas erklären, wenn diese Gedanken ihr eine unerklärliche Angst einjagten?
3. KAPITEL
Als sie zum Anwesen zurückritten, glitt Aruns Blick immer wieder über Melissas Körper und suchte nach einer Veränderung.
Nichts!
Das war nicht überraschend.
Aber es verblüffte ihn, wie dringend er einen Beweis brauchte, um es glauben zu können. Und wenn es nur die leichte Wölbung ihres Bauches war.
Arun wusste, dass er so nur den Moment aufschob, in dem er darüber nachdenken musste, was diese Schwangerschaft für ihn bedeutete. Zuerst musste er akzeptieren, dass diese Frau ein Kind von ihm erwartete.
Er war nicht mehr wütend auf Melissa, nur verwirrt.
Und wenn er schon verwirrt war, wie fühlte sich dann erst Melissa? Eine Karrierefrau mit Aussicht auf eine Traumstelle in einem der besten kinderchirurgischen Teams, und plötzlich war alles anders.
Aber so hätte es nicht sein müssen …
Bei einer Abtreibung hätte niemand etwas davon erfahren müssen …
Das zeigte ihm, wie wenig er doch von ihr wusste. Arun kannte nur die starke, selbstsichere, unabhängige und unglaublich anziehende Frau, deren Vortrag auf dem Herzsymposium viel Beifall geerntet hatte. Sie galt als eine der besten aufstrebenden Kinderchirurginnen der Welt.
Am Anwesen angekommen, ließ Arun der Stute den Vortritt und beobachtete Melissa. Sie mochte Schwäche gezeigt haben, als sie ihm von dem Baby erzählte, doch jetzt schien sie ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu haben.
Völlig unter Kontrolle. Wenn er danach ging, wie sie ihn angesehen hatte, nachdem sie vom Pferd gestiegen war.
„Ich werde Jenny noch nichts erzählen“, sagte sie. „Ich habe acht Wochen gebraucht, um es zu begreifen. Da muss ich dir wenigstens einige Tage Zeit geben zu entscheiden, ob und was du tun willst.“
„Ob und was ich tun möchte?“, fragte Arun. Die Worte ergaben für ihn keinen Sinn.
„Ich bin schon darauf eingestellt, das Kind allein großzuziehen“, erklärte Melissa.
Arun fragte sich, wie deutlich ihm seine Verwirrung anzusehen war, denn sie sprach leise weiter. „Ich weiß, dass du Hochzeitspläne schmiedest, und ich will dir nicht dazwischenfunken. Wenn du es so möchtest, musst du das Kind nicht sehen. Ich erwarte keine Unterstützung von dir – weder finanziell noch anderer Art. Arun, ich dachte nur, dass du ein Recht hast, es zu wissen.“
„Ich habe ein Recht, es zu wissen? Ich muss das Kind nicht sehen?“
Arun bemerkte nicht, dass er vor Wut laut geworden war, aber einige Stallburschen kamen sofort angelaufen.
„Wir unterhalten uns, wenn du so weit bist“, sagte Melissa. „An einem ruhigeren Ort.“
Als Arun aus dem Sattel glitt, fragte er sich, ob er das jemals sein würde.
Doch! Er musste nur erst über alles nachdenken.
Aber jetzt sollte er sich besser auf den Weg zur Arbeit machen. Er war bereits zu spät dran. Und schließlich musste er die neue Krankenhausstation aufbauen, solange Melissa hier war, um ihn zu beraten.
Dann musste er nur noch die Familienfeier heute Abend und Kams Hochzeit morgen überstehen.
Überhaupt kein Problem!
Melissa sah ihn an, als würde sie auf eine Antwort warten. Aber er konnte ihr nichts sagen. Jetzt noch nicht.
„Ich gehe zum Haus zurück“, sagte sie schließlich. „Jenny wird sich schon wundern, wo ich bin.“
Sie wollte gerade gehen, als eine Frau in den Stall gerannt kam und aufgeregt Aruns Namen rief.
„Herr, Ihre Schwester. Kommen Sie schnell. Das Baby …“
Baby? War es Zufall oder Schicksal, dass Babys an diesem Morgen das Hauptthema waren?
„Gibt es Probleme?“, fragte Melissa zögerlich.
„Das Kind soll nächsten Monat kommen“, antwortete Arun, während sie der Bediensteten zum Haus der Frauen folgten.
„Ich hatte schon ein Auge auf sie, weil der Herzschlag des Babys unregelmäßig war. Leider glaubt sie ihrem Gynäkologen mehr als mir. Und weil ich ein Mann bin, durfte ich ihren Bauch nur durch ihre weiten Gewänder abhören. Ich könnte also falschliegen.“
Arun rannte fast, aber Melissa blieb an seiner Seite. Einerseits war er froh darüber, andererseits hoffte er, dass Tias Baby gesund war und Melissa nicht gebraucht wurde.
Aber er wollte sie dabeihaben!
Melissa folgte ihm zu einem Haus neben Jennys. Dieses Haus war noch größer. Lächelnd sah sie die vielen unterschiedlichen Schuhe davor stehen, als sie ihre Schuhe auszog. War dies das berühmte Haus der Frauen?
Sie folgte Arun hinein und sah sich staunend um. Das Gebäude war aus den gleichen Sandsteinblöcken gebaut wie Jennys, aber viel größer. Die äußeren Steine waren mit vielen Ornamenten verziert und in einem offenen Gitternetz gestaltet, das Luft und Licht einließ. Die Räume waren mit prächtigen Teppichen ausgelegt. Samt- und Satinkissen lagen verstreut, und die lebhaften Wandbehänge zeigten detaillierte Jagd- und Kampfszenen.
„Oh, Arun, das Baby kommt. Aber es ist doch viel zu früh, und ihr Arzt ist nicht hier. Was machen wir jetzt?“
Arun nahm die aufgeregte kleine Frau, die auf ihn zukam, tröstend in den Arm. Beruhigend sprach er in seiner Muttersprache auf sie ein. Dann fragte er auf Englisch: „Hast du Jenny gerufen?“
„Sie ist bei Tia. Und Jennys Mutter ebenfalls. Sie sagt, sie hat schon mehr Babys auf die Welt geholfen, als sie zählen kann, und wir sollen uns keine Sorgen machen. Aber es ist doch das erste Baby meiner Tochter!“
„Es ist ganz natürlich, dass du dir Sorgen machst“, antwortete Arun sanft, bevor er wieder in seine Muttersprache wechselte.
„Das ist Jennys Freundin Melissa“, erklärte er nach einer Weile auf Englisch. „Sie ist Kinderärztin. Darf sie mit hinein?“
„Melissa, ich bin Miriam, Aruns Tante. Meine Tochter Tia bekommt das Baby.“ Die Frau streckte Melissa ihre kleine beringte Hand entgegen, die diese vorsichtig drückte.
„Wie unangenehm, dass das ausgerechnet an Ihrem ersten Tag in unserem Land passiert“, sagte sie, während sie sie zu Tias Zimmer brachte. „Aber es ist bestimmt ein gutes Zeichen, dass so viele Ärzte für meine Tochter da sind. Auch ohne Kam und Dr. Stapleton sind es immer noch vier, wenn sie Arun hineinlässt.“
Unterschwellig spürte Melissa, wie ängstlich Miriam war. Und sie konnte es nur zu gut verstehen. Aber Melissa straffte die Schultern und rief sich all die Geburten in Erinnerung, die sie begleitet hatte, bevor sie sich spezialisiert hatte. Heutzutage starben kaum noch Frauen bei der Geburt ihrer Kinder. Ihre Angst war einfach lächerlich.
Aber sie konnte sich nicht recht davon überzeugen.
Um sich abzulenken, wandte sie sich an Miriam: „Hoffen Sie auf einen Jungen oder ein Mädchen? Oder wissen Sie schon, was es wird?“
„Es ist ein Junge. Und das ist einfach wundervoll.“
Die Ehrfurcht in ihrer Stimme machte Melissa bewusst, wie wichtig das Geschlecht des Babys war. Und als Miriam Aruns Hand nahm, bevor sie weitersprach, verstärkte sich ihre Vermutung.
„All die Jahre konnte ich meinem Mann keinen Sohn schenken, und auch meine anderen Töchter haben nur Mädchen bekommen. Und jetzt ist Tias erstes Kind ein Junge.“
Sie betraten einen riesigen Raum, und Melissa schien es, als wären sie nur von aufgeregten, verschleierten Frauen umgeben. Plötzlich drehten sich alle zu ihnen um. Einige der Frauen zogen ihre Schleier enger um ihren Kopf, als sie Arun bemerkten. Andere trugen Jeans und T-Shirt und begrüßten ihn freundschaftlich.
„Ich habe viele Töchter“, sagte Miriam leicht entschuldigend, „aber nicht alle Frauen hier sind meine Kinder.“
Melissa hatte bereits Jenny und ihre Mutter entdeckt. Sie beugten sich über eine Frau, die in einer Ecke des Zimmers hockte. Arun ging sofort zu seiner Schwester, um sie zu beruhigen. Wenn Tias Mutter Aruns Tante war, hatte sie es vielleicht falsch verstanden, und die junge Frau war seine Kusine. Aber egal in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie standen, die junge Frau war offensichtlich sehr erleichtert, ihn zu sehen. Denn sie griff nach seiner Hand und brach in Tränen aus.
„Bleib bei mir“, bat sie ihn. Ihr Akzent ließ vermuten, dass sie in Amerika zur Schule gegangen war.
Unbeachtet von den beiden, ging Melissa auf Jenny zu und berührte sie leicht an der Schulter. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie.
Jenny nickte, aber ihr ernster Gesichtsausdruck sagte etw