PROLOG
Fremantle, Westaustralien
Vor dreizehn Jahren
Ohne auch nur den geringsten Zweifel an ihrem Vorhaben zu haben, stand Eleanor Cartwright vor Jake Donners Schlafzimmerfenster und blickte auf die halb heruntergezogene Aluminiumjalousie, die gegen die Scheibe schlug.
Natürlich war sie nervös, denn Liebeserklärungen waren immer mit Herzklopfen verbunden.
Doch Nerven spielten heute Abend keine Rolle.
Sie musste es tun.
Du solltest es ihm sagen, Liebling. Liebe darf kein Geheimnis bleiben.
Sie hatte den Worten ihrer Mutter vor zwei Monaten keine große Aufmerksamkeit geschenkt.
Ich liebe ihn doch gar nicht, Mum. Wir sind einfach nur Freunde.
Ihre Mutter hatte darauf nur mit einem Kopfschütteln reagiert, weil sie gewusst hatte, dass sich ihre Tochter nur etwas vormachte. Eleanor hatte sich in dem Moment wie ein Kind behandelt gefühlt und nicht wie eine Sechzehnjährige.
Was soll’s, Mum. Er geht sowieso bald weg. Es ist sinnlos.
Vielleicht war es auch jetzt sinnlos, doch das war egal.
Seit genau 29 Tagen spielten viele Dinge keine Rolle mehr.
Entschlossen holte sie tief Luft.
Jake musste erfahren, was sie für ihn empfand, bevor er Fremantle verlassen würde.
Langsam näherte sie sich dem Fenster und lauschte. Absolute Stille. Kein Wunder, denn es war drei Uhr morgens und Jake schlief tief und fest. Sie schob das Fenster hoch, was ein quietschendes Geräusch verursachte.
„Jake?“, flüsterte sie, in der Hoffnung, dass er aufgewacht war. Sein Bett stand direkt unterhalb des Fensters.
Doch er reagierte nicht.
Also verfolgte sie ihren Plan weiter und zog sich nach oben. Vom Fenstersims aus wollte sie Jake anfassen und ihn aufwecken.
Doch es kam alles anders.
Sie verlor das Gleichgewicht und fiel mit einem überraschten Aufschrei vornüber und landete direkt auf Jakes Körper. Die Brille war ihr von der Nase gefallen und lag auf dem Boden, während sie in Jakes verwirrtes Gesicht blickte.
„Was zum Teufel … Eleanor, bist du es?“
Sie nickte, unfähig auch nur ein Wort zu sagen angesichts der Tatsache, dass er lediglich Boxershorts trug.
Er schob sie von sich, stand auf und knipste das Licht an.
„Eleanor, was machst du hier?“
„Ich konnte nicht schlafen.“
„Und deshalb springst du durch mein Fenster?“
Wortlos blickte sie ihn an.
Jake seufzte und fuhr sich über den flachen Bauch, der jetzt viel muskulöser war als im letzten Sommer, als sie so oft gemeinsam zum Strand gefahren waren. Er bemerkte ihren Blick, doch es schien ihm nichts auszumachen.
Er war nie verlegen.
Sie hingegen fühlte sich ständig befangen und gehemmt.
Seine dunklen Haare waren völlig zerzaust, und er sah einfach nur sexy aus.
Eleanor wusste, dass sie nicht besonders attraktiv war. Aber ihre Mum hatte ihr immer gesagt, dass ihr Aussehen nicht so wichtig sei. Was zählte, waren die inneren Werte.
„Ich wollte mit dir sprechen“, sagte sie leise.
Jake schaute sie nicht an. „Über deine Mum?“
„Nein“, erwiderte sie. War es Erleichterung, die sich in seinem Gesicht widerspiegelte?
Seitdem ihre Mutter vor fast einem Monat gestorben war, als sie gedankenlos eine stark befahrene Straße in Fremantle hatte überqueren wollen, hatte Eleanor Jake kaum gesehen.
Sie hatte es nicht anders gewollt, denn der unfassbare Schmerz über den Verlust ihrer Mutter war so groß gewesen, dass sie kaum das Haus verlassen und sich in den Schlaf geflüchtet hatte.
Als sie schließlich wieder zur Schule gegangen war, hatte Jake inzwischen seine Abschlussprüfungen gemacht, sodass sie das erste Mal seit vier Jahren den Schulweg ohne ihn hatte zurücklegen müssen.
Was sie nicht störte, denn sie hatte niemanden um sich haben wollen, nicht einmal Jake.
Doch jetzt brauchte sie ihn.
Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen, als würde er weglaufen wollen.
Nein, er durfte nicht gehen. Er war doch immer für sie dagewesen.
Sie setzte sich auf den Rand des Bettes, hob ihre Brille auf und setzte sie mit zitternden Händen auf.
Gespannt blickte er zu ihr hinüber.
„Ich wollte mit dir sprechen, bevor du abfährst.“
„Ich fliege erst am Montag, Eleanor. Du hättest nicht mitten in der Nacht kommen müssen.“
Sie kniff die Augen zusammen. „Ich hatte gedacht, dass es dir nichts ausmacht.“
Doch offenbar tat es das.
Vor drei Wochen erst hatte er während der Beerdigung ihre Hand gehalten und ihr Unmengen von Taschentüchern gereicht. Und jetzt konnte er sie nicht einmal ansehen.
Jake verschränkte die Arme vor der Brust. Nicht gerade eine Körperhaltung, die zu einer Liebeserklärung einlud.
Doch ließ sie sich von dieser Geste nicht beeinflussen.
Sie spürte, dass etwas zwischen ihnen war, hatte bemerkt, wie er sie manchmal angesehen hatte. Und das war keine Einbildung gewesen. Etwas hatte sich zwischen ihnen verändert, dessen war sie sich sicher.
Vielleicht musste sie forscher sein, so wie die anderen Mädchen in ihrer Schule.
Doch sie war nicht wie sie, konnte es nicht sein.
Hastig formulierte sie ihre Worte: „Ich liebe dich.“
Es war eher ein Murmeln gewesen, doch sie erkannte an Jakes Körpersprache, dass er sie genau verstanden hatte. Automatisch trat er einen Schritt zurück.
Nicht gerade die Reaktion, die sie erhofft hatte.
„Nein, das tust du nicht“, sagte er, als sei es eine Tatsache.
„Doch“, erwiderte sie jetzt deutlich. „Das tue ich.“
Er schüttelte den Kopf. „Du bist einfach nur durcheinander, weil …“
„Weil meine Mum tot ist? Nein, ich wusste es schon vorher. Es war ihre Idee, es dir zu sagen.“
Er wandte sich von ihr ab und legte die Hände auf den Schreibtisch, der mit Tastaturen, Computerlaufwerken und Disketten übersät war.
Sie hatte das Gefühl, gleich weinen zu müssen. Doch gleichzeitig fühlte sie sich seltsam ruhig. Irgendwie gelassen.
„Ich glaube, dass du mich auch liebst“, sagte sie mit klopfendem Herzen.
Blitzschnell drehte er sich um und kam ganz nah an sie heran.
„Du musst jetzt gehen, Eleanor. Dein Vater wird sich schon Sorgen machen.“
Nein, das würde er nicht. Ihm würde ihre Abwesenheit gar nicht auffallen.
Jake war nur Zentimeter von ihr entfernt.
Sie liebte seine breiten Schultern und seinen muskulösen Oberkörper. Einigen der hübschen Mädchen war das auch aufgefallen, doch Jake hatte kein Interesse gezeigt, worüber Eleanor froh gewesen war. Er hatte sich dermaßen wie ein Computerfreak aufgeführt, dass keine von ihnen sich mehr mit diesem komischen Kauz einlassen wollte.
Der Typ, der jetzt vor ihr stand, war jedoch definitiv kein Spinner.
Er war ihr bester Freund. Derjenige, der sie zum Lachen brachte, ihr mit Mathe half, was ihr zuwider war, und sie ihm mit Englisch, was er wiederum hasste. Sie waren ein Team.
Sie liebte ihn und musste wissen, ob er sie auch liebte.
„Eleanor – bitte, du musst …“
Doch bevor er den Satz beenden konnte, küsste sie ihn.
Zumindest versuchte sie es, denn als sie die Augen schloss und sich zu ihm vorbeugte, landete ihr Mund lediglich auf seiner Wange.
Spätestens in diesem Moment wurde Eleanor klar, dass etwas nicht stimmte. Menschen, die einen lieben, wenden nicht den Kopf ab, wenn sie geküsst werden.
Der kalte Schauer der Demütigung ließ sie für einen Moment erstarren, die Lippen immer noch dicht an seiner Wange.
„Nein. Ich kann das nicht tun. Ich …“
Was sagte er? Sie konnte seine Worte kaum verstehen, da ihre innere Stimme alles übertönte.
Dumm. Dumm. Dumm.
Wie hatte sie auch nur einen Augenblick lang glauben können, dass Jake sie lieben könnte? Warum? Warum um alles in der Welt sollte er das tun?
Sie war weder hübsch noch besonders intelligent.
Sie war nicht modisch gekleidet wie die meisten anderen Mädchen und wusste offensichtlich nicht, wie man flirtete und küsste.
Sie hätte niemals herkommen dürfen.
Wortlos löste sie sich von ihm, stieg aufs Bett und begann ihren Rückzug durchs Fenster. Erst jetzt bemerkte sie sein Schweigen.
Sie hätte gedacht, dass er sie zum Bleiben auffordern würde.
Über die Schulter sah sie zurück und bemerkte seinen Blick. War es Bedauern, das in seinen Augen lag?
Nein, es war Mitleid. Definitiv.
Und das wollte sie in keinem Fall.
Sie sprang nach draußen und lief, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzudrehen, nach Hause zurück.
Als sie später auf ihrem Bett lag und an die Decke starrte, unfähig noch mehr Tränen zu vergießen, gelang es ihr, dem allem doch noch etwas Positives abzugewinnen.
Sie musste Jake niemals wiedersehen.
1. KAPITEL
Sydney, New
South Wales
Heute
Es war ein Überfall. Schlicht und
einfach.
Jake Donner wusste es, und jedes
Vorstandsmitglied, das ihn jetzt mit unbeweglicher Miene ansah,
wusste es ebenfalls.
Wie lange im Voraus war all das geplant
gewesen?
„Nein.“
Mehr musste er nicht sagen.
„Es gibt keine andere Option, Jake“, erklärte
Cynthia George, eine grauhaarige ehemalige Bankmanagerin, die nach
ihrer Pensionierung in mehreren Vorständen verschiedener
Unternehmen in Sydney saß. Während sie ihn mit stählernem Blick
musterte, wusste Jake, warum er sie unbedingt im Vorstand hatte
haben wollen.
Sie schüchterte ihr Gegenüber nicht nur ein,
sondern flößte geradezu Angst ein.
Trotzdem zuckte er die Achseln. „Suchen Sie
einen anderen.“
Er ließ sich in den weichen Ledersessel
zurückfallen und versuchte, einen abgeklärten Eindruck zu machen.
Doch innerlich war er äußerst angespannt und wäre am liebsten
aufgesprungen und im Konferenzraum von Armada Software
umhergelaufen.
Diese Vorstandssitzung war anders als sonst.
Normalerweise konzentrierte sich Jake mehr oder weniger
interessiert auf die verschiedenen Themen. Hauptsächlich
beglückwünschte er sich jedoch jedes Mal, vor ein paar Jahren die
richtige Entscheidung getroffen zu haben und sich aus diesem
Bereich der von ihm gegründeten Firma zurückzuziehen. Er besaß
jetzt 28 Prozent Anteile des Unternehmens, hatte einen
vielversprechenden jungen Geschäftsführer – der ihn wie alle
anderen von der anderen Seite des Konferenztisches aus
musterte – sowie einen Vorstand, der sich aus Sydneys
Unternehmenselite zusammensetzte. Fast alle hatten sie in Armada
investiert. All das war die perfekte Entschuldigung für ihn, sich
wenig um das tägliche Business kümmern zu müssen. Sollten die
Experten tun, was getan werden musste, während er das tat, was er
gut konnte: Software entwickeln.
Bis vor wenigen Minuten hatte dieses
Arrangement bestens funktioniert.
Der Leiter der Finanzabteilung schob ihm ein
Dossier über den Tisch.
„Hier ist eine Option, Jake. Wir bauen das
Personal um 20 Prozent ab.“
In einem Unternehmen von zweitausend
Angestellten, die in diesem Wolkenkratzer arbeiteten, wären das
ziemlich viele Menschen.
„Personalabbau ist das letzte Mittel.“
„Richtig.“ Der Finanzchef nickte und zeigte auf
die Präsentation an der Wand. „Deshalb dieser Vorschlag des
Vorstands.“
Jake kannte die Details zur Genüge, hatte alle
Zahlen genauestens studiert.
Die Verkäufe waren rückläufig. Die Kosten
stiegen. Armada war nicht unbeschadet aus der globalen Finanzkrise
herausgekommen.
Die Fakten sprachen für sich.
Aber die vorgeschlagene Lösung?
„Ich bin zuversichtlich, dass die
Markteinführung unseres ersten Smartphones die Einnahmen
beträchtlich steigern wird“, erklärte Jake. Er war inzwischen
jedoch nicht mehr ganz so optimistisch, nachdem er den
Finanzbericht gelesen und gemerkt hatte, dass es sich wohl doch um
eine substanziellere Krise handelte. Aber der Vorschlag des
Vorstands, wie auf dieses Problem reagiert werden sollte, war für
ihn unakzeptabel.
Jake Donner als das neue Gesicht von
Armada?
Niemals.
„Es gibt keinen Grund für eine derart
drastische Maßnahme“, erklärte er.
Cynthia lächelte eisig. „Ein paar Fernseh- und
Rundfunkauftritte oder Interviews sind kaum als drastisch zu
bezeichnen, Jake. Armada braucht ein Gesicht, und das bist du.“
Er schüttelte den Kopf. „Die letzten zehn Jahre
haben die Produkte für sich gesprochen. Ich bezweifele, dass das
Ausgraben eines Computerfreaks irgendetwas bewirken wird.“
Cynthia schnaubte. „Computerfreak? Wie wäre es
mit zurückgezogenem Multimillionär? Eine der faszinierendsten
Persönlichkeiten Australiens. Nummer eins auf Lipsticks Liste der attraktivsten Junggesellen. Der
Werbeeffekt wäre riesig, wenn du das neue Smartphone persönlich
präsentieren würdest, Jake.“
Jake versank immer tiefer in seinem
Ledersessel. Er legte keinen Wert darauf, in Hochglanzmagazinen die
Titelseiten zu schmücken, und war es leid, neugierige Fotoreporter
auf seinem Grundstück in den Blue Mountains wegzuscheuchen.
Es gab keine Story bei ihm zu holen.
War es wirklich so ungewöhnlich, Sydneys
Betonwüste zu hassen und das Tragen von Anzügen, die unendlichen
Meetings und das falsche Geschwätz als Verkauf der eigenen Seele zu
begreifen?
Offensichtlich ja.
Wen kümmerte es, dass er lieber auf seiner
bequemen Couch im Wohnzimmer arbeitete, als sich unter die
gesellschaftliche Elite Sydneys zu mischen? Sein Privatleben war
ihm das Wichtigste, und keine Interviews zu geben machte sein Leben
einfacher.
Aber all das schien keine Rolle zu spielen,
wenn er den erwartungsvollen Blicken der versammelten
Vorstandsmitglieder im Raum Glauben schenken wollte.
Jake hielt es nicht mehr aus auf seinem Sitz.
Abrupt stand er auf und begann, an der großen Fensterfront des
Konferenzraums entlangzulaufen.
„Auf einem gesättigten Markt reicht es
nicht aus, einfach nur ein hervorragendes Produkt zu haben, Jake“,
erklärte die Marketingchefin, eine spindeldürre elegante Frau mit
pechschwarzem Haar.
„Und welche Rolle sollte ich dabei spielen? Wie
sollte mein Gesicht auf einer Titelseite Telefone verkaufen?“
Die Marketingchefin lächelte. „Unsere Tests in
der Zielgruppe haben ergeben, dass Werbung mit Ihrem Foto und Namen
signifikant die Nachfrage steigen lässt. Wir reden von einem
vierfach erhöhten Interesse an dem Produkt.“
„Der Vorstand schlägt vor, die
Jake-Donner-Kampagne weiterzuentwickeln“, erklärte Cynthia.
„Wenn Sie ablehnen, sehen wir uns gezwungen,
das Unternehmen umzustrukturieren“, fügte der Finanzchef hinzu, was
nichts anderes als Stellenabbau bedeutete.
Jetzt schaltete sich die Vizepräsidentin ein.
„Wir denken an eine kurze Kampagne, Jake. Einen Monat
Unannehmlichkeiten für Sie im Gegenzug zu einigen Millionen
Mehreinnahmen.“
Der gesamte Vorstand murmelte enthusiastische
Zustimmung. Ja, das hier war definitiv ein Überfall.
Einen Monat
Unannehmlichkeiten.
Einen Monat für Tausende geretteter Jobs und
Millionen von Dollars?
So gesehen hörte es sich nicht nach
einem besonders großen Opfer an. Jake war zwar nicht mehr der
alleinige Besitzer von Armada, doch tief in seinem Inneren sah er
Armada immer noch als seine Firma an. Er trug die Verantwortung, es
waren seine Angestellten.
Die Entscheidung bedurfte somit keiner großen
Überlegung.
Schweren Herzens murmelte er etwas, das Cynthia
korrekterweise als Zustimmung interpretierte.
Innerlich betete Jake zu Gott, keinen Anzug
tragen zu müssen.
Ella Cartwright wartete geduldig auf
dem Ledersofa vor dem Konferenzraum. Äußerlich zeigte sie keinerlei
Nervosität, doch ihr innerer Aufruhr war nur schwer unter Kontrolle
zu bringen.
Aber das machte nichts, niemand würde es
bemerken.
Endlich öffnete sich die Doppeltür, und eine
Gruppe von exquisit gekleideten Führungsangestellten bahnte sich
den Weg nach draußen. Ella sprang auf und erblickte sofort Cynthia
Georges rotes Jackett inmitten der vornehmlich grau und schwarz
angezogenen Manager.
Ein Anflug von Stolz erfasste Ella, als sie das
von ihr persönlich ausgesuchte Kleidungsstück an Cynthia erkannte.
Mit ihrem pfiffigen Haarschnitt, dem dezenten Make-up und dem
schmeichelhaften Outfit war sie die beste Werbung für Picture
Perfect, Ellas Imageberatungsfirma seit fünf Jahren.
Während Cynthias äußere Erscheinung einer
Korrektur bedurft hatte, benötigte sie keinerlei Unterstützung in
Sachen Verhandlungskompetenz. Das hatte Ella zu spüren bekommen,
als sie versucht hatte, Cynthias überraschende Bitte
abzulehnen.
Jake Donner sollte
ihr nächster Kunde werden?
Niemals im Leben.
Doch wie sollte sie Nein zu ihrer wichtigsten
Auftraggeberin sagen, ohne eine vernünftige Begründung zu
liefern?
Es war einfach nicht möglich gewesen. Schlimmer
noch, Cynthia hatte zu verstehen gegeben, dass sie ihr einen
persönlichen Gefallen tun würde, wenn sie den Job annähme. Und da
sie die Hälfte ihrer Kundschaft Cynthias Mundpropaganda zu
verdanken hatte, blieb ihr schlicht keine Wahl.
Objektiv betrachtet – wenn das im
Zusammenhang mit Jake überhaupt möglich war – hätte sie mit
Jake Donner eine Erfolgsgeschichte vorzuweisen, die Cynthias weit
in den Schatten stellen würde. Ihr Business lief zwar gut, doch
Jake als Kunden zu haben würde ihre Umsätze in die Höhe
treiben.
Die Tatsache, dass Jake ihr das größte
demütigende Erlebnis ihres Lebens beschert hatte, spielte dabei
keine Rolle.
Also stand sie jetzt hier, äußerlich ruhig und
gefasst, um in wenigen Augenblicken Jake Donner das erste Mal seit
dreizehn Jahren wiederzusehen.
„Ella!“, rief Cynthia. „Kommen Sie rein. Ich
habe Jake gebeten, noch ein paar Minuten zu bleiben.“
Der Fahrstuhl kündigte sich mit einem Pling an
und nahm den gesamten Vorstand mit sich nach unten, sodass die
beiden Frauen allein zurückblieben.
„Wie ist es gelaufen?“, wollte Ella wissen.
Doch Cynthia antwortete lediglich mit dem
Hochziehen der Augenbrauen.
Was konnte Ella ernsthaft erwarten? Jake war
Sydneys berühmtester Einzelgänger, der bald im Mittelpunkt der
Medien stehen würde. Angesichts dessen konnte seine Laune einfach
nicht gut sein.
Und wenn er gleich sehen würde, wer vor ihm
stand, gäbe ihm das den Rest. Ella hatte keinen Zweifel daran, dass
Jake seine Vergangenheit genauso wenig ans Tageslicht kommen lassen
wollte wie sie ihre.
Sie atmete noch einmal tief durch und straffte
die Schultern, bevor Cynthia die Tür zum Konferenzraum öffnete.
Sie würde es schaffen, denn sie war stark. Sie
war Ella Cartwright.
Er ist einfach nur ein
neuer Kunde.
Jake saß mit dem Rücken zur Tür, sodass Ella
nur seine dunklen, etwas zu langen Haare sehen konnte. Er drehte
sich nicht um, während die beiden Frauen sich näherten.
„Es gibt keine Garantie, dass es funktioniert,
Cynthia. Ich glaube, jeder überschätzt meine Wirkung auf den
durchschnittlichen Australier“, sagte Jake leise, aber
bestimmt.
Ella lief ein Schauer über den Rücken, als sie
seine Stimme hörte.
Sie schluckte, als Cynthia sie vorstellte und
Jake sich umdrehte. Seine eisblauen Augen fixierten sie.
„Guten Morgen. Ich bin Ella Cartwright von
Picture Perfect. Ich werde während der Kampagne Ihre Imageberaterin
sein.“
Sie ging auf ihn zu und streckte die Hand
aus.
Jakes Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. Am
liebsten wäre sie aus dem Raum gerannt, doch sie hielt seinem Blick
stand. Sie war nicht mehr dasselbe Mädchen, das Jake von früher
kannte. Definitiv nicht.
Ihr Blick wanderte über sein Gesicht, das sie
trotz der vielen Fotos, die sie im Laufe der Jahre von ihm gesehen
hatte, immer noch überraschte. Er sah so anders aus als der Junge
von damals.
Seine Züge waren reifer und markanter geworden.
Er war nicht mehr der süße Teenager, in den sich jedes Mädchen
verliebte. Er sah einfach umwerfend gut aus.
Sie ließ die Hand sinken und nickte knapp.
„Also, ich denke, unsere erste Aufgabe wird
darin bestehen, über die Wichtigkeit des ersten Eindrucks zu
sprechen.“
Ihr Auftreten schien selbstsicher, sogar ein
Lächeln kam ihr über die Lippen.
Verwirrt und skeptisch zugleich sah Jake sie
an.
„Ist das Ihre Expertenmeinung … Ella?“
Ihr stockte der Atem. Bestimmt würde Jake
gleich verkünden, dass er sie bereits kannte, und mit einem Schlag
wäre ihre so mühsam geheim gehaltene Vergangenheit bekannt.
Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie musste mit
Jake reden, und zwar allein.
„Ja“, erwiderte sie. „Machen Sie sich keine
Sorgen“, fuhr sie zu Cynthia gewandt fort. „In kürzester Zeit wird
aus dem mürrischen Herrn ein charmanter Mann werden.“
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Jake der Mund
aufklappte. Er wollte etwas sagen, doch sie kam ihm zuvor.
„Ach, Cynthia – würde es Ihnen was
ausmachen, uns für einige Minuten allein zu lassen? Ich weiß, es
sollte heute nur eine kurze Begrüßung sein, doch ich fürchte, es
gibt eine Menge zu tun, und wir sollten keine Zeit verlieren.“
Cynthia schmunzelte. „Das glaube ich auch.“
Ihre Augen strahlten, während ihr Blick zwischen Ella und Jake hin-
und herwanderte. „Keine Angst“,