1. KAPITEL
Es war das erste Mal seit der
Beerdigung, dass Bella wieder nach Hause kam. Haverton Manor im
Februar war ein Wintermärchen. Schneehäubchen saßen auf den Zweigen
der alten Buchen und Ulmen, die die lange Auffahrt zu der großen
georgianischen Villa säumten. Wie eine weiße Decke legten sich die
Flocken über die bewaldeten Hügel und Felder, und der zugefrorene
See im Park schimmerte wie ein Spiegel, als Bella ihren Sportwagen
vor dem Haus parkte. Fergus, der irische Wolfshund ihres
verstorbenen Vaters, erhob sich träge von seinem Platz in der Sonne
und kam mit wedelndem Schwanz auf sie zugetappt, um sie zu
begrüßen.
„Hi, Fergus.“ Sie kraulte ihm die Ohren. „Was
tust du hier so ganz allein? Wo ist Edoardo?“
„Hier.“
Beim Klang der vollen tiefen Stimme schwang
Bella herum. Ihr Herz machte einen seltsamen kleinen Hüpfer, als
sie Edoardo Silveri erblickte. Seit zwei Jahren hatte sie ihn nicht
mehr gesehen, aber er war noch genauso faszinierend wie damals.
Nicht unbedingt attraktiv im herkömmlichen Sinn, dafür hatte er zu
unregelmäßige Züge. Seine Nase war leicht gekrümmt, Resultat einer
Schlägerei, und durch eine seiner Augenbrauen zog sich eine Narbe.
Beides waren Andenken an seine stürmische Jugend.
Er trug Arbeitsstiefel, ausgewaschene Jeans und
einen dicken schwarzen Pullover, die Ärmel zu den Ellbogen
hinaufgeschoben, was den Blick auf seine muskulösen Unterarme
freigab. Das pechschwarze wellige Haar hatte er aus dem Gesicht
gekämmt, und die dunklen Bartstoppeln auf seinem Kinn verliehen ihm
ein extrem männliches Aussehen, was bei Bella aus irgendeinem Grund
immer ein Prickeln in den Kniekehlen auslöste. Sie schnappte leicht
nach Luft und sah ihm in die grünblauen Augen, wofür sie allerdings
den Kopf in den Nacken legen musste, weil er so groß war. „Bei der
Arbeit?“ Ganz bewusst nahm sie den überheblichen Tonfall der
Aristokratin an, die mit einem Bediensteten redete.
„Wie immer.“
Bella konnte nicht verhindern, dass ihr Blick
automatisch zu seinem Mund ging. Er hielt die Lippen
zusammengepresst, und die tiefen Falten an den Mundwinkeln
verrieten, dass er Emotionen eher zurückhielt denn zeigte. Ein
einziges Mal war sie diesem sinnlichen Mund zu nahe gekommen, und
noch immer hatte sie Mühe, die Episode zu verdrängen. Denn noch
immer konnte sie sich nur allzu genau an den berauschenden
Geschmack erinnern: Salz, Minze und heißblütiger Mann. Sie war oft
genug geküsst worden, zu oft, um an jeden einzelnen Kuss zu denken,
aber Edoardos Kuss war ihr im Gedächtnis geblieben … jedes einzelne
noch so winzige Detail.
Ob er jetzt auch daran zurückdachte, wie ihre
Lippen sich zu einem leidenschaftlichen Kuss getroffen hatten, der
sie beide atemlos zurückgelassen hatte?
Bella riss den Blick los und sah auf
seine erdverkrusteten Hände. Offensichtlich hatte er im Garten
gearbeitet. „Wo ist der Gärtner?“
„Er hat sich den Arm gebrochen, vor ungefähr
zwei Wochen. Das hatte ich dir allerdings in meinem regelmäßigen
Bericht gemailt.“
Sie runzelte die Stirn. „Hast du? Ich habe
nichts bekommen. Bist du sicher, dass du die Mail abgeschickt
hast?“
Spöttisch zog er den rechten Mundwinkel in die
Höhe. „Ganz sicher, Bella. Vermutlich hast du es bei den vielen
Nachrichten deines neuesten Galans übersehen. Wer ist denn diese
Woche der Glückliche? Der Typ, dessen Restaurant gerade
bankrottgeht, oder noch immer der Bankierssohn?“
„Weder noch.“ Sie hob das Kinn leicht an. „Er
heißt Julian Bellamy und studiert Theologie, um Pfarrer zu
werden.“
Er warf den Kopf zurück und lachte schallend
auf – nicht die Reaktion, die Bella erwartet hatte!
Es ärgerte sie, dass er das so amüsant fand.
Sie war es nicht gewohnt, dass er Emotionen durchblicken ließ, erst
recht nicht Humor. Er lächelte selten, meistens zeigte er nur
dieses spöttische Verziehen der Lippen. Sie konnte sich nicht
erinnern, wann sie ihn das letzte Mal lachen gehört hatte. Außerdem
fand sie seine Reaktion sowohl überzogen als auch unnötig. Wie
konnte er es wagen, sich über den Mann lustig zu machen, den sie
heiraten wollte? Julian war alles, was Edoardo nicht war –
kultiviert, höflich, aufmerksam. Er sah das Gute im Menschen, nicht
das Schlechte.
Und er liebte sie, im Gegensatz zu Edoardo, der
sie hasste.
„Was ist so lustig?“, fragte sie mit einer
ärgerlichen Falte auf der Stirn.
Er wischte sich mit dem Handrücken die
Lachtränen aus den Augen. „Das Bild kann ich mir nicht so recht
vorstellen.“
Sie kniff die Augen zusammen. „Welches
Bild?“
„Wie du Tee und Kekse während der Bibelstunde
servierst. Du als Pfarrersfrau? Das passt einfach nicht.“ Er ließ
den Blick über ihre Stiefel und das Designerkostüm gleiten, bevor
er ihr mit einem unverschämten Grinsen in die Augen sah. „Deine
Absätze sind zu hoch und deine moralischen Grundsätze zu
niedrig.“
Am liebsten hätte sie auf ihn eingetrommelt.
Ihre Fäuste hatten sich schon wie von allein geballt. Aber sie
würde den Teufel tun und ihn berühren! Ihr Körper hatte die Unart,
sich zu verselbstständigen, wenn sie ihm zu nahe kam. Sie drückte
die Nägel in die Handflächen und legte ihrem Temperament die Zügel
an. „Du bist gerade der Richtige, um von Moral zu reden. Immerhin
bin ich nicht vorbestraft.“
Sein Blick wurde kalt und hart. Hart vor Wut
und Hass. „Du willst also unfair spielen, Prinzessin?“
Dieses Mal spürte sie das Prickeln über ihren
Rücken laufen. Sie wusste selbst, dass es ein Schlag unter die
Gürtellinie gewesen war, auf seine straffällige Jugend anzuspielen,
aber Edoardo förderte eine dunkle, primitive Seite in ihr zutage.
Bei ihm sträubte sich ihr das Fell, er konnte sie provozieren wie
niemand sonst.
Schon immer.
Und es schien ihm Spaß zu machen. Ganz gleich,
wie sehr sie auch versuchte, sich zusammenzunehmen, er schaffte es
immer wieder. Seit jener Nacht, als sie noch sechzehn gewesen war,
versuchte sie, dem Protegé ihres Vaters aus dem Weg zu gehen.
Monate-, ja jahrelang hatte sie es geschafft, nicht an ihn zu
denken, und wenn sie zu kurzen Besuchen zu ihrem Vater gekommen
war, hatte sie Edoardo gemieden. Etwas an ihm beunruhigte sie
zutiefst, in seiner Gegenwart verlor sie ihre kühle Haltung.
Sie fühlte sich dann rastlos und nervös und
dachte an Dinge, an die sie nicht denken sollte. Wie zum Beispiel
daran, wie sinnlich sein Mund war. Dass er eigentlich schon am
Abend wieder eine Rasur brauchte. Dass sein Haar immer aussah, als
wäre er sich soeben mit den Fingern hindurchgefahren. Und sie
fragte sich, wie er wohl ohne Kleider aussah, sonnengebräunt und
muskulös …
Und wie er sie immer studierte, so als könne er
durch die Designerkleider bis auf ihre nackte Haut sehen …
„Wieso bist du hier?“, fragte er jetzt.
Trotzig sah Bella ihn an. „Hast du vor, mich
vom Grundstück zu werfen?“
Feindseligkeit blitzte in seinen Augen auf.
„Das hier ist nicht länger dein Zuhause.“
Ihr Blick wurde eiskalt. „Sicher, dafür hast du
gesorgt.“
„Ich hatte nichts damit zu tun, dass dein Vater
mir Haverton Manor vermacht hat. Ich nehme an, er ging davon aus,
dass du kein Interesse hast. Du warst ja auch nur selten hier, vor
allem, als es mit ihm zu Ende ging.“
Abneigung wallte in ihr auf – Abneigung
und Schuldgefühl. Ja, sie war weggeblieben, als ihr Vater sie am
meisten gebraucht hätte. Sein Sterben hatte sie die Flucht
ergreifen lassen. Der Gedanke, ganz allein auf der Welt
zurückzubleiben, hatte ihr eine Heidenangst eingejagt. Als ihre
Mutter damals einfach gegangen war, war eine Sechsjährige
zurückgeblieben, die seither eine tiefe Unsicherheit in sich trug.
Alle Menschen, die Bella liebte, verlor sie auch.
Lieber hatte sie sich in das Londoner
Gesellschaftsleben gestürzt, statt sich mit der Realität
auseinanderzusetzen. Das Lernen für ihr Abschlussexamen hatte sie
als Vorwand benutzt, aber die Wahrheit war, sie hatte nie einen Weg
gefunden, um ihrem Vater nahe zu sein.
Godfrey war spät Vater geworden, und nachdem
seine Frau ihn verlassen hatte, fühlte er sich von der Rolle des
alleinerziehenden Vaters überfordert. So war die
Vater-Tochter-Beziehung nie eine enge gewesen, weshalb Bella auch
maßlos eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit gewesen war, die ihr
Vater Edoardo hatte zukommen lassen. Edoardo war der Sohn gewesen,
den er sich gewünscht hatte. Bella war sich unzulänglich
vorgekommen, ein Gefühl, das sich potenzierte, als sie erfahren
musste, dass ihr Vater Edoardo das Anwesen vererbt hatte.
„Ich wette, du hast dich bei jeder sich
bietenden Gelegenheit bei ihm angebiedert und von mir das Bild des
albernen dummen Partygirls ohne jegliches Verantwortungsgefühl
gezeichnet.“
„Dein Vater brauchte mich nicht, um zu
wissen, wie verantwortungslos du bist. Das hast du schon ganz
allein besorgt. Deine Eskapaden konnte jeder bis ins Detail in den
Zeitungen mitverfolgen.“
Bella schäumte vor Wut, auch wenn ein Körnchen
Wahrheit in dem lag, was er sagte. Die Presse hatte ihr immer
nachgestellt, dem aristokratischen Wildfang mit mehr Geld als
Verstand. Sie hatte nur zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein
brauchen, und schon stand am nächsten Tag irgendeine absurde
Schlagzeile in der Zeitung.
Die Dinge würden sich bald ändern.
Wenn sie erst mit Julian verheiratet war, würde
die Presse sie hoffentlich endlich in Ruhe lassen. Ihr Ruf würde
makellos sein. „Ich möchte gern für ein paar Tage bleiben. Ich
hoffe, das stört dich nicht?“
Ein gefährliches Glitzern trat in die
faszinierenden Augen. „Ist das eine Anordnung oder eine Frage?“
Der Zorn versteifte ihren Rücken, bis sie
meinte, jeden einzelnen Wirbel spüren zu können. Eine unmögliche
Situation, darum bitten zu müssen, in ihrem Elternhaus bleiben zu
dürfen. Das war auch einer der Gründe, weshalb sie ohne
Vorankündigung aufgetaucht war. Sie hatte sich ausgerechnet, dass
er sie nicht einfach wegschicken konnte, wenn das ganze Personal
Zeuge wurde. „Bitte, Edoardo, darf ich ein paar Tage bleiben? Ich
werde dir auch nicht in den Weg kommen, versprochen.“
„Weiß die Presse, wo du bist?“
„Niemand weiß, dass ich hier bin. Ich will
nicht aufgespürt werden. Und niemand käme auf die Idee, mich hier
zu vermuten.“
Ein Muskel zuckte in seiner Wange. „Ich habe
gute Lust, dich wieder deiner Wege zu schicken.“
Bella zog einen Schmollmund. „Sieht aus, als
würde es gleich wieder zu schneien anfangen. Was, wenn ich von der
Straße abkomme? Du hättest dann Schuld an meinem Tod.“
„Du kannst nicht hier auftauchen und erwarten,
dass der rote Teppich für dich ausgerollt liegt“, meinte er streng.
„Du hättest wenigstens vorher anrufen können. Warum hat du es nicht
getan?“
„Weil du dann Nein gesagt hättest“, antwortete
sie offen. „Wo liegt das Problem? Ich werde dir schon nicht über
den Weg laufen.“
Wieder zuckte der Muskel in seiner Wange. „Ich
will keine Paparazzi hier herumlungern haben. Sobald sich auch nur
einer blicken lässt, packst du deine Sachen zusammen und
verschwindest, klar?“
„Klar.“ Innerlich schäumte sie über seinen
arroganten Ton. Glaubte er etwa, sie würde eine Pressekonferenz
einberufen?! Deshalb war sie ja hier – um all dem zu
entkommen, bis Julian wieder zurück war. Sie brauchte nicht noch
mehr Skandale in ihrem Leben.
„Ich werde es auch nicht tolerieren, dass du
deine Freunde herbringst, um jeden Tag Partys zu feiern.“ Mit
seinem Blick durchbohrte er sie. „Verstanden?“
Sie zeigte ihm ihr bestes „Ich werde brav
sein“-Gesicht. „Keine Partys.“
„Ich meine es ernst, Bella. Ich stecke mitten
in einem großen Projekt. Ich kann keine Störungen gebrauchen.“
„Ich hab’s verstanden!“ Sie warf ihm einen
irritierten Blick zu. „Um was für ein Projekt handelt es sich denn?
Ein weibliches? Ist sie gerade hier? Ich möchte wirklich nicht,
dass du dich gehemmt fühlst.“
„Ich werde ganz sicher nicht mein Privatleben
mit dir besprechen. Sonst wird es in der Zeitung breitgetreten,
noch bevor ich mit der Wimper zucken kann.“
Sie fragte sich, wer seine derzeitige Gespielin
sein mochte, aber sie würde auf gar keinen Fall fragen. Das hieße
nämlich, dass es sie interessierte. Er sollte sich nicht einbilden,
sie würde sich Gedanken darüber machen, wie er seine Zeit
verbrachte – oder mit wem. Er lebte abgeschottet und achtete
darauf, sein Privatleben aus dem Licht der Öffentlichkeit zu
halten. Diese Geheimnistuerei machte ihn natürlich zur Zielscheibe
der Paparazzi, aber bisher war es ihm immer gelungen, die Medien
abzublocken. Während Bella nur aus ihrem Haus in Chelsea treten
musste, und schon blitzte irgendwo eine Kamera auf.
Ihre Verlobung mit Julian Bellamy würde dem
hoffentlich für immer ein Ende setzen. Sie wollte bei null
anfangen, und wenn sie erst verheiratet war, dann hätte sie es auch
erreicht. Julian war der netteste Mann, den sie je kennengelernt
hatte, und er hatte nichts mit jenen gemein, mit denen sie sich
früher verabredet hatte. Um ihn gab es keine Skandale, er ging
nicht auf Partys und trank nicht, er wollte nicht reich sein,
sondern nur anderen helfen.
„Wärst du so nett und würdest meine Koffer ins
Haus bringen?“, bat sie übertrieben höflich.
Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er
sich an die Motorhaube. „Wann wirst du mir deinen neuen Lover
vorstellen?“
Bella hob ihr Kinn. „Rein technisch gesehen ist
er nicht mein Lover. Wir wollen bis zur Hochzeit warten.“
Wieder lachte er los. „Du großer Gott!“
„Könntest du wohl Gott aus dem Spiel
lassen?“
Er stieß sich von der Motorhaube ab und kam auf
sie zu, stellte sich nah genug vor sie, dass sie den Geruch von
Mann und Schweiß und einem Hauch Zitrone riechen konnte.
Unwillkürlich blähte sie die Nüstern, als der Duft in ihrer Nase
brannte. Sie wich einen Schritt zurück, doch einer ihren hohen
Stiefelabsätze verfing sich in den Natursteinplatten, und sie wäre
gefallen, hätte Edoardo sie nicht blitzschnell gestützt.
Bella stockte der Atem, als seine langen
Finger sich um ihren Arm klammerten. Bei der Berührung durchfuhr
sie ein elektrischer Stoß bis ins Mark. Unwillkürlich fuhr sie sich
mit der Zunge über die Lippen und musste sich bemühen, Fassung zu
wahren, auch wenn ihr Herz wild pochte. „Herr im Himmel, was soll
das?“
Er zog einen Mundwinkel in die Höhe. „Sieh an,
und wer bringt jetzt Gott mit ins Spiel?“
Bella sackte der Magen in die Knie, als er mit
dem Daumen über ihr Handgelenk rieb, dort, wo ihr Puls raste. So
nah war sie ihm seit Jahren nicht mehr gewesen, nicht seit jenem
Kuss. Seit jener Nacht hatte sie immer sehr genau darauf geachtet,
jeglichen Körperkontakt mit ihm zu vermeiden. Jetzt jedoch schien
ihre Haut zu brennen. „Nimm deine dreckigen Hände von mir.“ Die
Worte klangen rau und abgehackt.
Für einen flüchtigen Moment wurde der Griff
seiner Finger unmerklich stärker, seine Augen hielten ihren Blick
gefangen. Ihr Körper spürte die magnetische Anziehungskraft, genau
wie vor Jahren. Wie würde es sein, sich heute an ihn zu schmiegen,
wenn sie kein linkischer, unerfahrener und leicht beschwipster
Teenager war?
„Sag bitte“, verlangte er.
„Bitte“, stieß sie mit zusammengebissenen
Zähnen aus.
Er gab sie frei, und mit einem wütenden Blick
auf ihn rieb sie sich das Handgelenk. „Du hast mich überall
schmutzig gemacht“, fauchte sie.
„Es ist nur Erde. Das lässt sich leicht
auswaschen.“
Bella begutachtete den Ärmel ihrer Bluse. An
der Manschette konnte sie den Abdruck seiner fünf Finger sehen. Und
sie spürte auch noch immer deren Druck. „Die Bluse hat mich
fünfhundert Pfund gekostet, und du hast sie ruiniert.“
„Du bist verrückt, wenn du so viel Geld für
eine Bluse ausgibst“, lautete seine ungerührte Antwort. „Die Farbe
steht dir nicht einmal.“
Empört versteifte sie sich. „Seit wann bist du
mein persönlicher Modeberater?“, meinte sie beißend. „Du verstehst
doch nicht das Geringste von Mode.“
„Ich weiß, was zu einer Frau passt und was
nicht.“
Sie schnaubte. „Kann ich mir denken. Je weniger
sie anhat, desto besser, richtig?“
Gelassen musterte er sie von Kopf bis Fuß.
„Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können.“
Bella spürte das Prickeln am ganzen Körper, so
als hätte er sie mit seinem Blick ausgezogen. Und sie konnte sich
auch nicht zurückhalten, sie stellte sich vor, wie es sein musste,
seine von der Arbeit rauen Hände auf ihrer Haut zu fühlen. Würden
sie hängen bleiben wie Dornen in feiner Seide? Würden sie …?
Streng rief sie sich zur Ordnung. „Ich gehe
hinein und begrüße Mrs Baker“, sagte sie und rauschte an ihm
vorbei.
„Mrs Baker hat Urlaub.“
Bella hielt mitten im Schritt an, als wäre sie
vor eine unsichtbare Wand gelaufen, und drehte sich wieder zu ihm
um. „Und wer kocht und hält das Haus sauber?“
„Das mache ich.“
Eine tiefe Falte erschien auf ihrer Stirn.
„Du?“
„Hast du ein Problem damit?“
Sie hatte sogar ein großes Problem damit. Ohne
Mrs Baker, die im Haus rumorte, würde sie allein mit Edoardo
sein. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Sicher, das Haus war
groß, trotzdem …
Früher hatte er in der Jagdhütte gewohnt, doch
seit ihr Vater ihm Haverton Manor vermacht hatte, lebte er
natürlich in der Villa. Er hatte das Vermögen ihres Vaters
verwaltet und leitete seine eigene Immobilienfirma von dem
Arbeitszimmer neben der Bücherei aus. Abgesehen von gelegentlichen
Geschäftsreisen lebte und arbeitete er hier.
Er schlief auch hier.
In ihrem Haus.
„Du erwartest hoffentlich nicht, dass ich die
Küche übernehme.“ Sie funkelte ihn an. „Ich bin hier, weil ich eine
Pause brauche.“
„Dein ganzes Leben ist ein nie endender
Urlaub“, meinte er abfällig, und ihr Blut begann zu kochen. „Du
könntest nicht einmal einen Tag normal
arbeiten, selbst wenn du dich bemühen würdest.“
Sie warf den Kopf zurück. Aber sie würde ihm
jetzt nicht von ihrem Vorhaben erzählen, Julian mit einem großen
Teil ihres Erbes bei seiner Gemeindearbeit zu unterstützen. Sollte
Edoardo sie ruhig weiter für ein oberflächliches Dummchen halten,
so wie alle anderen auch. „Wieso sollte ich es überhaupt versuchen?
Auf mich warten Millionen, sobald ich fünfundzwanzig werde.“
Dieser Muskel in seiner Wange begann wieder zu
zucken, und seine Augen schimmerten hart wie Granit. „Denkst du
jemals daran, wie hart dein Vater arbeiten musste, um sein Geld zu
verdienen? Oder willst du es nur ausgeben, sobald es auf deinem
Konto eingegangen ist?“
Bella bedachte ihn mit einem vernichtenden
Blick. „Es ist mein Geld, und deshalb werde ich es ausgeben, wie
ich es für richtig halte. Du bist nur neidisch, weil du nichts
hattest. Du kannst von Glück sagen, dass mein Vater dich
aufgenommen hat, sonst würdest du heute wahrscheinlich in einer
Gefängniszelle verrotten, statt hier den Gutsherrn zu spielen.“
Ein grimmiges Glitzern trat in seine Augen. „Du
bist die gleiche Goldgräberin wie deine Mutter“, knurrte er. „Ich
nehme an, du weißt, dass sie vor ein paar Tagen hier war?“
Sie musste ihre Überraschung kaschieren. Und
den jähen Schmerz. Seit Monaten hatte sie nichts mehr von Claudia
gehört, und beim letzten Mal hatte ihre Mutter ihr nur mitgeteilt,
dass sie mit ihrem neuen Ehemann nach Spanien ziehen würde –
es war bereits der zweite seit der Scheidung von Bellas Vater.
Claudia hatte Geld für die Flitterwochen gebraucht. Aber Claudia
brauchte ja immer Geld, und Bella fühlte sich immer verpflichtet,
es ihr zu geben. „Was wollte sie?“
„Was glaubst du wohl?“
Sie hob hochmütig eine Augenbraue.
„Kontrollieren, ob du mein Vermögen anständig verwaltest?“
Er runzelte die Stirn. „Wenn du die Bücher
durchgehen willst, brauchst du nur zu fragen. Ich hatte dir
angeboten, dass wir uns regelmäßig treffen, aber zu den letzten
drei Treffen bist du nicht erschienen.“
Das schlechte Gewissen meldete sich. Es bestand
kein Grund, anzuzweifeln, dass er sich nach bestem Wissen und
Gewissen um den Besitz kümmerte. Schon zu der Zeit, als ihr Vater
durch sein Krebsleiden zu schwach geworden war und Edoardo die
Verwaltung übernommen hatte, waren die Einnahmen stetig gewachsen.
Seine Intelligenz und sicher auch die Erfahrungen aus seinem
früheren Leben hatten dafür gesorgt, dass das Vermögen immer größer
geworden war, während andere Investoren in der Wirtschaftskrise
wohl eher die Orientierung verloren hatten.
Er hatte auch darauf bestanden, dass sie sich
zweimal im Jahr zusammensetzten und gemeinsam die Bücher
durchgingen. Anfangs hatte sie sich durch diese Meetings gequält,
hatte sich still darüber geärgert, welche Macht er über ihr Leben
hatte. Doch selbst in dem schicken Londoner Büro hatte die Nähe zu
ihm sie erdrückt. Statt seinem detaillierten Bericht zu folgen,
hatte sie nur der Musik seiner dunklen Stimme gelauscht, hatte auf
seine Hände gestarrt, wie er die Seiten umblätterte, und alberne
Vermutungen über den Bartschatten auf seinem Kinn angestellt.
„Das wird wohl nicht nötig sein“, sagte sie.
„Ich bin sicher, alles ist in bester Ordnung.
Eine Weile herrschte angespanntes
Schweigen.
„Wird dein Freund hier zu dir stoßen?“, fragte
er.
Bella steckte sich eine Strähne hinters Ohr.
„Er ist in einer Mission in Bangladesch.