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Küsse wild wie die Highlands
Erscheinungstag: | Di, 26.05.2015 |
Bandnummer: | 288 |
Seitenanzahl: | 320 |
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Ein Teil von ihr
Mutter. Heldin. Lügnerin. Mörderin?
Im Bruchteil einer Sekunde kann sich dein Leben für immer verändern….
Du hast die Nachrichten gesehen, über die Gewalt in dieser Welt den Kopf geschüttelt und weitergemacht wie immer. Nie könnte dir so etwas passieren, dachtest du.
Andrea Oliver erlebt das Entsetzlichste. Einen Amoklauf. Was sie noch mehr schockiert: Ihre Mutter Laura entreißt dem Angreifer ein Messer und ersticht ihn. Andrea erkennt sie nicht wieder. Offenbar ist Laura mehr als die liebende Mutter und Therapeutin, für die Andrea sie immer gehalten hat. Sie muss einen Wettlauf gegen die Zeit antreten, um die geheime Vergangenheit ihrer Mutter zu enthüllen, bevor noch mehr Blut vergossen wird …
Laura weiß, dass sie verfolgt wird. Und dass ihre Tochter Andrea in Lebensgefahr ist …
»Dieser Thriller wird Sie um den Schlaf bringen. Für Slaughter-Fans ist „Ein Teil von ihr“ ein absolutes Lese-Muss.«
ok!
»Wie immer hat Slaughter … keine Scheu, Verbrechen in all ihrer Brutalität und Grausamkeit zu schildern. […] Daneben aber beweist sie ebenso viel Gespür für die Zerrissenheit, für Sehnsüchte und Ängste, für starke Gefühle und damit verbundene innerliche Eruption, kurz: für die Komplexität ihrer Charaktere.«
dpa
»Karin Slaughters „Ein Teil von ihr“ liest sich als moderne Geschichte über komplizierte Vereinigte Staaten von Amerika, in der charakteristische Merkmale des American Way of Life ebenso aufscheinen wie der Mythos vom Grenzland.«
krimi-couch.de
»Provokanter und raffinierter als alles, was sie zuvor geschrieben hat.«
vol.at
»Eine spannende Lektüre bis zum Schluss.«
SpotOnNews
»Fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite.«
Magazin-frankfurt.com
»Karin Slaughter gilt völlig zu Recht als eine der besten Krimi-Autoren der USA. Ihre Geschichten fesseln von Anfang bis Ende.«
IN
»Karin Slaughter zählt zu den talentiertesten und stärksten Spannungsautoren der Welt.«
Yrsa Sigurðardóttir
»Jeder neue Thriller von Karin Slaughter ist ein Anlass zum Feiern!«
Kathy Reichs
»Karin Slaughter bietet weit mehr als unterhaltsamen Thrill.«
SPIEGEL ONLINE über »Pretty Girls«
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WIDMUNG
Für meinen Mann, auch bekannt als Hot Cop.
Es waren wunderbare, verrückte, göttliche
sieben Jahre.
Oder waren es schon acht? Ich weiß es nicht,
ich weiß nur, dass es noch nicht genug waren.
HINWEIS AN MEINE LESERINNEN UND LESER
Während des Regency waren am Drury Lane Theater eine ganze Reihe berühmter Schauspieler und Schauspielerinnen engagiert. Eine der namhaftesten war Sarah Siddons. Auch wenn sich Mrs Siddons 1812 zurückzog, also schon zu Beginn des Regency, war sie doch der Maßstab, an dem sich Schauspielerinnen auch noch Jahrzehnte später messen lassen mussten.
Schauspielerinnen befanden sich damals in einer äußerst schwierigen Situation, da ihr Beruf erst allmählich als ehrbare Profession angesehen wurde. Berühmte Schauspieler und Schauspielerinnen verkehrten in angesehenen literarischen und gesellschaftlichen Kreisen und wurden oft auch für gesellschaftliche Ereignissen engagiert. Leider stellten reiche Müßiggänger den Künstlerinnen auch aus weniger ehrbaren Motiven nach. Zahlreiche jüngere Kolleginnen wurden unlauter von der Bühne weggelockt.
Über Sarah Siddons kursieren zahlreiche Geschichten. Eine meiner liebsten handelt davon, wie sie in Tamburlaine die Rolle der Asphasia spielte. Nachdem sie mit ansehen musste, wie ihr Bühnenliebster vor ihren Augen erdrosselt wird, sollte Mrs Siddons leblos zu Boden fallen. Diese Aufgabe meisterte sie auf so packende Weise, dass das Publikum dachte, sie sei wirklich verstorben. Nur die Versicherung des Direktors, dass alles nur gespielt und sie in Wirklichkeit wohlauf sei, konnte den Aufruhr beschwichtigen.
Michael Hurst, Forschungsreisender und Ägyptologe, an seinen Bruder, Kapitän William Hurst:
Lieber William,
vermutlich wird Dich mein Brief nicht mehr erreichen, bevor Du in See stichst, doch das Schreiben ist eine der wenigen Vergnügungen, die mir in meinem gottverlassenen Gefängnis noch geblieben sind. Ich werde versuchen, diese Zeilen dem nächsten englischen Schiff mitzugeben, das hier anlegt.
Meine Häscher werden von Tag zu Tag ungeduldiger, doch ich bin durchaus in der Lage, mich gegen ihr grobes Verhalten zur Wehr zu setzen. Was meine Gefangenschaft allerdings zur reinsten Hölle macht, ist die ständige Anwesenheit meiner Assistentin Miss Jane Smythe-Haughton. Sie hat meinen kostbaren Brandy einkassiert und eine strenge Körperertüchtigungsroutine eingeführt. Ich komme mir vor, als wäre ich wieder auf dem Internat.
William, bitte hol mich hier raus, so schnell Du kannst.
1. KAPITEL
Dover, England
20. Juni 1822
William Hurst eilte auf die Agile Witch zu. Der salzige Wind peitschte gegen seinen Mantel, als er mit laut klappernden Absätzen über die Gangway schritt. An Deck hielt er inne und sah in die Takelage hinauf. Er nickte zufrieden. Messingringe und Haken waren so aufpoliert, dass sie glänzten, und die Segel waren sauber geflickt.
Gut. Müßiggang hätte seine Mannschaft nur zu Unsinn verleitet, und für derlei Sperenzchen hatte er keine Zeit. Er war seit fünfzehn Jahren Kapitän und wusste genau, wie man ein Schiff befehligte.
„Käpt’n!“ Sein erster Offizier grüßte zackig, als er vor ihm zum Stehen kam. „Sie sind früh dran.“
„Aye.“ William sah sich noch einmal auf der Agile Witch um. „Sieht aus, als sei sie in erstklassigem Zustand, MacDougal.“
Sein erster Offizier strahlte. „Allerdings. Ich habe Halpurn mit den Arbeiten beauftragt, während ich die Vorräte besorgt habe. Er hat die Leute prima angeleitet, nur …“, MacDougal zögerte. Als William ihm auffordernd zunickte, fuhr er fort: „Während der Wache ist ein kleines Malheur passiert. Ich habe mich sofort darum gekümmert. Es wird nicht wieder vorkommen.“
„Hervorragend.“ William hob das Gesicht in den Wind. „Bereiten Sie alles vor, damit wir morgen früh mit der Flut auslaufen können. Unsere Mission duldet keinen Aufschub. Und geben Sie Lawton eine Abschrift des Ladeverzeichnisses. Wir unternehmen diese Fahrt auf Geheiß meines Bruders. Dann kann er auch die Kosten übernehmen.“
MacDougal lachte. „Aye, Käpt’n. Geht klar.“
William ging unter Deck. Michael hatte sich wegen eines antiken ägyptischen Artefakts, welches William nun in der Rocktasche trug, in eine ziemliche Zwangslage gebracht.
William betrat seine Kajüte und stellte den Gegenstand auf seinen Schreibtisch. Dann nahm er die Kette von seinem Hals und schloss den Schreibtisch mit dem kleinen goldenen Schlüssel daran auf. Er stellte das Artefakt hinein und sperrte die Tür wieder zu. Er war froh, das verdammte Ding hinter Schloss und Riegel zu wissen. Seine Schwester Mary war durch die Hölle gegangen, um es an sich zu bringen, und nun war es seine Aufgabe, es dem Vorsteher des religiösen Ordens zu bringen, der ihren Bruder gefangen hielt.
„Bald“, murmelte er im Gedanken an seinen weit entfernten Bruder.
William band die Kette wieder um den Hals und verbarg sie unter seinem Hemd, bevor er nach der Kartenrolle griff. Gerade als sich seine Finger um die steife Lederrolle schlossen, nahm er zarten Lilienduft wahr.
Er erstarrte. Eine längst vergessen geglaubte Erinnerung flammte wieder auf. Er erinnerte sich wieder an die veilchenblauen Augen, gesäumt von dichten schwarzen Wimpern, an schwarzes Haar, das wie Seide durch seine gierigen Finger glitt, an cremeweiße Haut und an einen sinnlichen Mund, der für seine Küsse …
„Hallo, William.“
Der Klang ihrer Stimme riss ihn aus seinen Erinnerungen. Er schloss die Augen, die Hand immer noch an der Kartenrolle. Ihre Stimme war ungewöhnlich rau und doch gleichzeitig so klar, dass sie selbst dann nicht zu überhören war, wenn sie flüsterte. Für eine Frau war die Stimme tief und volltönend, voll lockender Weiblichkeit.
William kannte diese Stimme ebenso gut wie seine eigene.
„Willst du mich nicht begrüßen? Oder redest du immer noch nicht mit mir?“ Der singende Tonfall schien sich in eine warme, weiche Hand zu wandeln, die sanft über seinen Rücken strich.
William biss die Zähne zusammen, um seinen verräterischen Körper zu bezähmen. Dann ließ er die Kartenrolle los und drehte sich um.
In einem Stuhl am Kopfende des Kapitänstisches saß jene Frau, die er am liebsten für immer aus seinem Leben verbannt hätte. Ihr qualvoller Verrat hatte ihn einst so aus der Bahn geworfen, dass er die Segel setzte und England für zwei Jahre den Rücken kehrte.
Damals schwor er sich, keiner Frau mehr zu trauen. Und dieser hier schon gar nicht. Deshalb wollte er sie auch niemals wiedersehen.
Und nun saß sie in seiner Kajüte, umkränzt vom Licht der untergehenden Sonne, die ihren zarten Teint und ihren anmutigen Hals zu streicheln schien. Ihren schwarzen Mantel hatte sie über einen Stuhl gelegt. Darunter trug sie ein rotes Kleid, das ebenso liederlich war wie sie selbst.
Dieses Kleid setzte ihr hochgestecktes schwarzes Haar perfekt in Szene. Die dünne weiße Rüsche um ihr Dekolleté erweckte den Anschein von Züchtigkeit, welche die schwellenden Brüste darüber Lügen straften. Sie verstand sich meisterlich darauf, unschuldig und zugleich anrüchig auszusehen. Früher hatte ihn das ganz verrückt gemacht. Glücklicherweise durchschaute er diese List inzwischen. Sie stand ihr förmlich ins schöne Gesicht geschrieben.
Er zog seinen eigenen Mantel aus und wandte sich von ihr ab, um sich vom Bann ihrer Schönheit zu lösen. Dann hängte er den Mantel an einen Messinghaken an der Tür, atmete tief durch und sagte, ohne sich umzudrehen: „Raus hier.“
„Du fragst mich nicht einmal, warum ich hier bin?“
„Das interessiert mich nicht. Verschwinde einfach.“
Ein leises Rascheln verriet ihm, dass sie aufgestanden war. „William, ich muss mit dir reden. Ich hatte gehofft, dass du wegen unserer Beziehung nicht mehr wütend …“
„Zwischen uns gab es keine Beziehung. Es war alles nur Illusion.“ Er drehte sich endlich zu ihr um und fixierte sie mit eiskaltem Blick.
Sie errötete, als hätte er sie geschlagen. „Es tut mir leid. Mein Verhalten damals war falsch, und …“
„Verschwinde.“ William biss die Zähne abermals zusammen. Sie war so atemberaubend schön, beinahe hypnotisch, dass es ihm schwerfiel, sie nicht anzusehen. Verdammt, ich sollte darüber hinweg sein. Das alles ist schon Jahre her.
Sie ballte die Hände zu Fäusten und ließ sich auf den Stuhl zurücksinken. „Ich kann nicht gehen. Ich bin den ganzen Weg hierhergekommen, und ich …“ Ihre Stimme brach. „William, ich bin verzweifelt.“
Jeder andere Mann hätte sich von ihren Tränen rühren lassen, doch William ignorierte diese offensichtliche Manipulation. „Such dir einen anderen Dummen, Marcail. Ich stehe nicht mehr zur Verfügung.“
Sie umklammerte die Armlehnen ihres Stuhls. „Du musst mich anhören, William. Du bist der Einzige, der mir helfen kann.“
„Was ist denn mit deinem Liebhaber? Oder ist dein Colchester endlich zur Vernunft gekommen und hat sich von dir getrennt?“
Sie schürzte die Lippen. „Natürlich nicht. Aber das hier ist eine Privatangelegenheit.“
„Privat? Oder geheim? Das ist ein Unterschied.“
„Beides. Ich kann mich Colchester nicht anvertrauen.“
„Vertraust du ihm denn nicht?“
„Doch, aber es könnte einen Skandal heraufbeschwören, und ich will nicht, dass er oder sonst wer darunter leidet.“
William betrachtete sie einen Augenblick. „Ah. Du glaubst also, dass Colchester dir nicht helfen kann.“
Ihre Wangen glühten tiefrot. „Egal, was du über Colchester sagst, er hat mir geholfen wie kein anderer.“
„Wenn du mit ‚geholfen‘ meinst, dass er dich mit großen Summen Geld unterstützt, dann ist das sicher richtig. Der Earl ist ein reicher Mann.“
Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern, doch ihre Gesichtszüge waren angespannt. Es freute ihn zu sehen, dass er ihre beachtliche Schauspielkunst bis aufs Äußerste strapazierte.
Marcail Beauchamp verdiente ihr Geld als Schauspielerin im Drury Lane. Sie war schön und begabt, und es hieß, sie sei die beste Schauspielerin aller Zeiten.
William blickte auf ihr elegantes Gewand, das etwas zu offenherzig war, um noch als züchtig zu gelten. Denn auch damit verdient sie ihr Geld, erinnerte er sich bitter. Sie verkauft sich an den Meistbietenden. „Colchester kann dich behalten.“
„William, bitte. Kannst du die Vergangenheit nicht wenigstens so lange ruhen lassen, bis du mich angehört hast? Ich“, sie zögerte erneut. William entdeckte eine Spur Unsicherheit in ihrer Miene. War sie etwa echt? „William, ich bin hier, um dich um einen Gefallen zu bitten.“
Er lachte bitter auf. „Nein.“
„Du weißt doch noch nicht mal, worum ich dich bitten möchte.“
„Das brauche ich auch nicht. Alles, was dich betrifft, geht mich nichts mehr an.“ Was habe ich mir nur dabei gedacht, einer Schauspielerin Glauben zu schenken? Ich war vernarrt in sie, wahnsinnig vernarrt. Jetzt, da er älter und klüger war, durchschaute er sie. Sein Blick huschte über ihren Körper. Sie war so schön wie eh und je, verdammt, vielleicht sogar noch schöner. Früher war sie schlank, übermütig und verspielt gewesen wie ein Fohlen. Nun aber stand eine verführerische, reife Frau vor ihm, die erstaunlich selbstsicher war.
„Bitte, William, es ist wirklich wichtig. Mir fällt das hier auch nicht gerade leicht.“
Er lächelte kalt. „Das interessiert mich nicht.“ Er zog einen Stuhl heraus und setzte sich. „Wie bist du überhaupt hier reingekommen? Meine Mannschaft hat mir nicht gesagt, dass Besuch auf mich wartet.“
„Ich bin an Bord gegangen, bevor es hell wurde.“
„An der Gangway steht immer eine Wache.“
„Die hat geschlafen.“
Ah. Das Malheur, von dem MacDougal gesprochen hat. „Ich wittere einen Hinterhalt. Ich kenne dich gut, Marcail Beauchamp, man kann dir nicht trauen.“
„Du kennst mich nicht. Hast mich nie gekannt.“ Sie sprach mit so ruhiger Würde, dass es ihn beinahe aus der Fassung brachte. Auf einmal war er gar nicht mehr so erpicht darauf, sie hinauszuwerfen.
Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hätte sie leicht hochheben und aus der Kajüte tragen können, aber er scheute die körperliche Nähe zu ihr. Er wollte keine Erinnerungen wecken.
Manches ließ man besser auf sich beruhen.
Marcail stand abrupt auf. „Dann ist mein Besuch also reine Zeitverschwendung?“
Er nickte. „Ja.“
„Verstehe.“ Sie senkte den Blick und biss sich auf die Lippen. Schließlich seufzte sie und wies anmutig auf die Karaffe und die Gläser auf der Anrichte. „Können wir wenigstens auf unser kurzes Wiedersehen trinken?“
„Ich trinke auf unseren endgültigen Abschied“, gab er zurück.
Sie nahm den Stopfen aus der Karaffe und lächelte William über die Schulter hinweg an. „Geradeheraus wie eh und je.“ Sie hob die Karaffe an und schnupperte daran. „Ein sehr schöner Portwein.“
„Danke“, sagte er kurz und sah zu, wie sie zwei Gläser füllte.
„Früher warst du bei der Wahl deiner Getränke nicht so wählerisch“, sagte sie.
„Ich bin bei all meinen Vergnügungen wählerischer geworden.“
Sie presste die Lippen zusammen. Marcail hob ein Glas hoch, um die Farbe des Ports durchs Licht hindurch zu betrachten. „Sehr eindrucksvoll.“
„Er stammt aus Napoleons privaten Vorräten.“ William war sich nicht sicher, was ihn dazu trieb, dies zu erwähnen.
„Dann wird er mir umso besser schmecken.“ Sie verschloss die Karaffe und reichte ihm ein Glas. Dann ging sie mit ihrem eigenen zurück zu ihrem Platz. Sie setzte sich und ließ die Flüssigkeit anmutig im Glas kreisen. „Kann ich dich vielleicht noch umstimmen? Wenn ich dir sage, worum es geht, würdest du es dir vielleicht noch einmal überlegen.“
„Wenn du mich etwas gelehrt hast, liebe Marcail, dann ist es das, dass man niemals einer Antwort trauen sollte, die in Wirklichkeit nur eine weitere Frage ist.“
Sie stutzte. „Das soll ich dir beigebracht haben?“
„Oh, du hast mir eine ganze Menge beigebracht, und nichts davon war gut.“ Er nahm einen großen Schluck Portwein, der ihm scharf die Kehle hinunterrann. „Genug davon. Ich habe zu tun; du hast zwei Minuten, um mir zu sagen, warum du hier bist.“
Sie kniff die Augen zusammen und schob ihr Glas beiseite. „Also schön. Ich bin hier, weil ich erpresst werde.“
„Und was hat das mit mir zu tun?“
Marcail blickte wütend auf. „William, ich bin verzweifelt. Ich weiß nicht, wer mich erpresst und warum er es tut, aber es muss aufhören.“
„Aber du weißt, womit du erpresst wirst, oder? Etwas, von dem du nicht willst, dass Colchester es erfährt.“ William betrachtete ihre verschlossene Miene, während er seinen Portwein austrank. „Hast du ihn betrogen, Marcail? Ist das dein Geheimnis, dass du einem Mann ebenso wenig treu bleiben kannst, wie sich ein Hund den Jagdtrieb verkneifen kann?“
Marcail sah ihn mit funkelnden Augen an. „Um etwas so Schäbiges geht es nicht! Wenn mein Geheimnis herauskäme, müsste nicht ich dafür bezahlen, sondern andere.“
„Welche anderen?“
„Namen spielen keine Rolle.“ Entschlossen presste sie die Lippen zusammen.
„Ich habe genug von deinen Spielchen. Ich finde, du solltest jetzt gehen.“ William schob sein leeres Glas beiseite. Er hatte das alles so satt.
Sie hob einen Mundwinkel zu einem bedauernden Lächeln. „Ach William. Das Leben hat uns einfach keine Chance gegeben.“
Was, zum Teufel, soll das nun wieder bedeuten? „Geh einfach, Marcail.“ Sein Mund war auf einmal ganz trocken. William wünschte, das Glas vor ihm wäre nicht leer.
Marcail erhob sich und ging auf ihn zu. „Keine Sorge, ich werde gehen, aber nicht, bevor du mir geholfen hast.“
„Zum Teufel mit dir. Ich habe doch schon gesagt, dass ich dir, dir nicht helfen werde“, begann er plötzlich zu stottern. Warum war seine Zunge plötzlich so schwer?
Er blickte auf seine Finger, die noch an dem leeren Glas lagen. Ich spüre meine Hand nicht mehr. Der Gedanke ließ ihn merkwürdig gleichgültig.
Aber er hatte doch nur ein Glas getrunken. Es brauchte weitaus mehr, um …
William erstarrte. Er sah Marcail an und wollte sagen: „Du hast mir etwas ins Glas getan“, doch sein Mund konnte die Worte nicht formen. Plötzlich verschwamm alles vor seinen Augen. Er fühlte sich unendlich schwach.
Nein. Er nahm all seine Kraft zusammen und zwang seine tauben Arme, ihn hochzustemmen. Doch er stand nur schwankend da.
Sie runzelte die Stirn. „William, nicht! Du wirst dir noch wehtun.“
Er stürzte nach vorn. Verdammt. Sie hat mich vergiftet.
Michael Hurst an seinen Bruder William, als er Athen zum ersten Mal erblickte:
Bei unserer Ankunft hier in dieser antiken Metropole hatte ich das Gefühl, ich stünde vor ungeahnten Möglichkeiten. Dieses Gefühl war so übermächtig, dass ich zu fiebern glaubte. Erstaunlich, wie oft man ein gutes Gefühl mit einem schlechten verwechseln kann. Oft weiß man erst später, um was es sich wirklich gehandelt hat.
2. KAPITEL
William sah, wie Marcail ihn auffing, bevor er zu Boden fiel.
Warum hat sie mich betäubt? Er war zu benommen, um etwas zu spüren. Seine Gedanken waren ebenso taub und träge wie sein Körper. Mit leidenschaftslosem Interesse sah er zu, wie sie ihn vorsichtig auf den Boden legte, seinen Mantel zusammenrollte und ihn ihm als Kissen unter den Kopf schob.
Dann nahm sie ihm sanft die Kette vom Hals und ging zu seinem Schreibtisch. Das Licht der untergehenden Sonne hüllte sie in einen goldenen Schimmer, der ihr das Antlitz eines schönen, reinen und anmutigen Engels verlieh. Es schmerzte ihn, sie anzusehen.
Mit dieser Anmut hatte sie ihn anfangs für sich eingenommen. Nicht ihr Gesicht, nicht ihre Figur oder ihre volltönende Stimme, die ihren Ruhm am Theater begründeten, hatten ihn fasziniert. Nein, es war ihre anmutige Art. Mit ihrem Gang wusste sie einen Mann in ihren Bann zu ziehen. Es war, als tanzte sie zu einer Musik, die nur sie hören konnte.
Ihr dunkles Haar glänzte im letzten Sonnenlicht, als sie seinen Schreibtisch aufschloss und hineingriff.
Wie viel Gold mag wohl in der Schublade sein? Zweihundert Guineen? Dreihundert? Ich muss mir die Aufzeichnungen ansehen, wenn sie gegangen ist, die kleine Diebin.
Sie richtete sich wieder auf. In ihrer Hand lag der Samtbeutel mit dem antiken Artefakt, das William zur Auslösung seines Bruders benötigte.
Selbst in seinem benebelten Zustand spürte er aufflammenden Zorn. Ich muss das Kunstwerk zurückholen. Ohne das Artefakt kann ich Michael nicht befreien!
Sie zog den Beutel auf und sah hinein. Stirnrunzelnd holte sie eine schmale Onyxdose hervor und strich vorsichtig darüber. Marcail sah etwas verunsichert zu William hinüber.
Als ihre Wangen erröteten, steckte sie das Artefakt rasch weg.
William hätte sie gern angeschrien und sie in der Luft zerrissen, doch er brachte keinen Ton heraus. Von Drogen benebelt, konnte er sie nur wütend anstarren.
Unter Aufbietung aller Kräfte gelang es ihm, seine Zehen zu krümmen. Die Wirkung der Droge lässt langsam nach! Na warte, Weib, du kannst dich auf etwas gefasst machen!
Selbst wenn er auf Händen und Knien kriechen musste, würde er ihr eine Lektion erteilen, die sie so schnell nicht vergaß.
Sie band ihren Mantel am Hals und ließ die Dose in die Tasche gleiten. „Ich lasse dich nicht gern so zurück, aber es geht nicht anders.“
Er funkelte sie wütend an.
Marcail sah ihn beinahe bedauernd an, dann beugte sie sich zu ihm herab, um seine Wange zu streicheln. Ihre Augen glänzten, als stünden Tränen darin. „Versuch nicht, mir zu folgen, William. Du wirst mich nicht finden.“
Oh doch, er würde sie finden. Selbst wenn er den Rest seines Lebens suchen musste, er würde Rache üben, schrecklich und kalt.
Ihr seidiges Haar strich ihm wie eine zarte Liebkosung über das Gesicht, und als er ihr exotisches Parfüm wahrnahm, klopfte sein Herz schneller.
„Es tut mir wirklich leid, dass ich dir das antun muss, mon cher, aber ich habe keine andere Wahl.“ Ihre weichen Lippen streiften die seinen zu einem sanften, berauschenden Kuss. „Für dich ist das hier nichts weiter als ein Schmuckstück. Für mich aber bedeutet es Freiheit.“
Mit dieser rätselhaften Bemerkung stand sie wieder auf. Sie zog sich die Kapuze über den Kopf, bis ihr Haar bedeckt war. „Ich wusste, dass du mir nicht helfen würdest, deshalb musste ich auf diesen Trick zurückgreifen. Dennoch wollte ich dir eine Chance geben.“
Sie wollte zur Tür gehen, doch William krallte seine Finger um ihren Rocksaum. Wild entschlossen hielt er sich daran fest. Sobald die Wirkung der Droge nachließ, würde er sie schon lehren, wie gefährlich es sein konnte, ihm in die Quere zu kommen.
„Leb wohl, William.“ Sie entriss ihm den Rock und ging zur Tür. Von dort blickte sie noch einmal zurück. „Ich weiß, dass du mir nicht glauben wirst, aber ich wünsche dir alles Gute. Etwas anderes habe ich dir nie gewünscht.“
Sie verließ die Kajüte und schloss leise die Tür hinter sich. William blieb allein in der Dunkelheit zurück.
Mary Hurst an ihren Bruder Michael, als sich dieser auf seine erste Expedition vorbereitete:
Ich komme nicht gern darauf zu sprechen, da ich ja weiß, wies sehr Du mit Deinen Vorbereitungen beschäftigt bist, aber ich mache mir ernsthaft Sorgen um William. Seit er von der See zurückgekehrt ist, ist er so ruhig, so ernst und, ich glaube, auch traurig. Ich habe ihn gefragt, was mit ihm los sei. Er hat nur bitter gelacht und gesagt, er hätte eine wichtige Lektion gelernt.
Ich frage mich, ob er vielleicht unglücklich verliebt ist?
Mutter ist überzeugt, dass er überwinden wird, was immer ihn auch so bekümmert. Allerdings gibt sie sich besondere Mühe, seinen Appetit zu wecken. Ich glaube jedoch, dass es weitaus mehr braucht als Kanincheneintopf, um ein gebrochenes Herz zu heilen.
3. KAPITEL
Tee, Mylady?“
Lady MacToth klappte ihr Buch zu und legte es auf die Armlehne ihres Sessels. Die feinen Fältchen um ihre grünen Augen vertieften sich, als sie lächelte. „Sie können Gedanken lesen, Briggs.“
„Wie jeden Tag um vier“, erwiderte er höflich. Er lächelte sanft, während er Lady MacToth leicht vorgebeugt das Silbertablett reichte. Sie nahm die Teetasse darauf, und ihm fiel auf, dass ihre dünnen, blau geäderten Hände zitterten.
Ihre Hände schienen mit jedem Tag mehr zu zittern, was ihn sehr bedrückte, wenngleich er es sich nicht anmerken ließ. Briggs diente Lady MacToth, seit er ein Knabe von sechzehn Jahren war. Damals war sie eine strahlende, von aller Welt gefeierte Schauspielerin von gerade einmal zwanzig Jahren gewesen, die die Gesellschaft schockierte, indem sie den reichen Lord MacToth heiratete. Lord MacToth war mehrere Jahrzehnte älter als sie und stand gesellschaftlich weit über ihr. Für Braut und Bräutigam war es der glücklichste Tag ihres Lebens, doch für einige Mitglieder des ton war die Hochzeit ein Affront. Lord MacToth heiratete weit unter seinem Stand, das würde man ihm nicht so bald vergessen.
„Noch etwas Zucker, Mylady?“
„Bitte!“ Lady MacToth lächelte wie ein Kind, als er zwei Bröckchen Zucker in ihren dampfenden Tee gab. Seine Herrin konnte sich so sehr an den einfachen Dingen des Lebens erfreuen. Wie schade, dass Lord MacToth dazu nicht in der Lage gewesen war.
Er war fest entschlossen, aller Welt zu beweisen, dass er bei der Wahl seiner Gattin keinen Fehler begangen hatte. Er kaufte das größte Haus von ganz Mayfair und richtete es mit vielen exquisiten Möbeln und unschätzbaren Kunstwerken ein. Bald hieß es in den Kreisen nur noch „das Schloss“. Er hüllte seine Frau in kostbare Roben und schenkte ihr viele Juwelen, doch sosehr er sich auch bemühte, die Billigung des ton konnte er nicht erkaufen.
Die Gesellschaft vergaß nichts und vergab niemals.
Briggs seufzte, als er an diese frühen Tage dachte. Lady MacToth hatte die Herabsetzungen und Kränkungen einfach ignoriert. Sie kannte es nicht anders, deshalb bekümmerte es sie nicht. Doch Lord MacToth war schrecklich verletzt, wenn Leute, die er für Freunde hielt, seiner Frau die kalte Schulter zeigten.
Briggs hätte ihnen allen erzählen können, wie leidenschaftlich ernst und ehrlich sich der Lord und seine Frau liebten, und diese Liebe war es, die Lord MacToth letztendlich mit seinem neuen Leben versöhnte. Er mied die Gesellschaft fortan, die seine geliebte Frau zurückwies, und reiste mit ihr auf den Kontinent, wo sie einander ganz für sich alleine hatten. Drei Jahre nach der Hochzeit wurde ihnen eine Tochter geboren, die das zurückgezogene Leben, die Reisen und luxuriösen Vergnügungen mit ihnen teilte.
Es waren friedliche und idyllische Jahre. Lord MacToths Vermögen war jedoch größtenteils in England angelegt, und seine ständige Abwesenheit sowie die steigenden Ausgaben, die er tätigte, um seine hübsche junge Frau und ihr Kind zu verwöhnen, führten leider dazu, dass sich sein Glück unaufhaltsam wendete.
Schlimmer noch, Lord MacToth verschloss willentlich die Augen vor dem drohenden Verlust seines Vermögens. Er ignorierte die immer schärfer formulierten Briefe seiner Anwälte, die ihn zur Rückkehr aufforderten.
Mit den Jahren fiel es Lord MacToth immer schwerer, die Wahrheit vor Frau und Tochter zu verbergen.
Briggs war überzeugt, dass dieser Druck letztendlich zum urplötzlichen Tod Seiner Lordschaft geführt hatte. Eines Tages klagte Lord MacToth über Müdigkeit. Er legte sich hin, um ein wenig zu schlafen, doch er stand nicht wieder auf.
Lady MacToth war zutiefst getroffen, doch aus härterem Holz geschnitzt als ihr Gatte. Nachdem sie durch den Anwalt ihres verstorbenen Mannes vom beklagenswerten Zustand des Vermögens erfuhr, begegnete sie der Katastrophe mit bewundernswerter Gelassenheit. Sie nahm die Tochter aus dem teuren französischen Pensionat und ging mit ihr zurück nach England. Dort verkaufte sie vier ihrer fünf Häuser sowie den Großteil der exklusiven Möbel, Schätze und Gemälde und entließ das überzählige Personal.
Lady MacToth beaufsichtigte jeden Verkauf selbst und erzielte durch ihr Verhandlungsgeschick erstklassige Preise.
Doch nachdem sie alles geordnet und alle Schulden beglichen hatte, blieb ihr nur noch genug für ein ruhiges und bescheidenes Leben in ihrem kleinen Haus am Rand von Mayfair.
Um sie herum wohnten aufstrebende Kaufleute mit ihren Familien, für einen Snob wäre dies nicht das richtige Umfeld gewesen, doch Lady MacToth hatte keinerlei Ambitionen. Sie liebte ihr kleines Haus und ihr einfaches Leben, das sie dort mit ihrer Tochter Lucinda führte. Lucinda hatte, kaum erwachsen, selbst geheiratet und war ausgezogen.
Briggs unterdrückte beim Gedanken an Miss Lucinda ein Seufzen. „Etwas Teegebäck, Mylady?“
Lady MacToth kicherte. Sie klang beinahe verlegen wie ein junges Mädchen. „Haben Sie meinen Magen knurren hören?“
„Aber nein.“ Briggs hob ein Gebäckstück mit einer silbernen Zange auf einen feinen Wedgwoodteller und setzte ihn vor seiner Dienstherrin ab. „Ich kenne Sie einfach zu gut, Mylady.“
„Das stimmt.“ Lady MacToth nahm einen kleinen Bissen. „Das ist ja Zitrone, Briggs! Mein Lieblingskuchen! Ich weiß nicht, was ich ohne Sie anfangen sollte.“
Das wusste Briggs allerdings auch nicht. Mit Ausnahme einer Enkelin, die oft zu Besuch kam, stand Lady MacToth ganz allein auf der Welt.
Ein tiefer Gong ertönte, und Lady MacToth sah auf. „Erwarten wir Besuch?“
„Nein, Mylady.“ Briggs trat ans Fenster. Er schob den Vorhang beiseite und lächelte. „Es ist Miss Marcail.“
„Ach, wie schön!“ Lady MacToth trank einen Schluck Tee und stellte die Tasse behutsam ab, dennoch klirrte sie gegen die Untertasse. „Warum sie wohl unangekündigt vorbeikommt? Normalerweise schickt sie doch einen Brief.“
Ein Diener öffnete die Tür und trat beiseite, und Marcail betrat den Salon. Sie war groß, schlank und anmutig und trug eine meergrüne, mit marineblauen Rüschenbändern besetzte Pelisse, die der neuesten Mode entsprach. Marcail schob ihren Schleier beiseite, setzte ihr schickes Hütchen ab und schüttelte die schwarzen Locken, die ihr Gesicht kunstvoll umrahmten.
Sie war das genaue Abbild ihrer einst ebenfalls atemberaubend schönen Großmutter.
Briggs verbeugte sich. „Miss Marcail, was für eine Freude.“
Sie schenkte ihm ein freundliches Lächeln. „Guten Tag, Briggs. Wie geht es Ihrer Frau? Ich hoffe, dass sie sich inzwischen besser fühlt als bei meinem letzten Besuch. Sie hatte Zahnschmerzen, glaube ich.“
In der Morning Post war einmal zu lesen, ein russischer Prinz habe zehntausend Pfund gezahlt, damit Miss Beauchamp auf seiner Geburtstagsfeier singe. Beim Klang ihrer Stimme konnte sich Briggs gut vorstellen, dass diese astronomische Summe gut angelegt war. „Meiner Frau geht es schon viel besser, danke.“
Lady MacToth streckte ihrer Enkelin die Hände entgegen. „Du kommst genau richtig zum Tee.“
„Das klingt wunderbar.“ Marcail umarmte ihre Großmutter schnell. „Guten Tag, Großmutter. Ich hoffe, es geht dir gut.“
Lady MacToth klopfte auf den Platz neben sich auf dem Sofa. „Mir geht es gut. Allerdings frage ich mich, warum du so überraschend kommst und keine Nachricht schickst, wie du es sonst immer tust.“
Marcail blickte Briggs bittend an.
Sofort verneigte sich der ältliche Butler und ging zur Tür. „Ich bringe noch Tee und Gebäck.“
Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, wandte sich Marcail an ihre Großmutter. „Ja, es geht mir gut. Ja, ich ernähre mich gut. Und nein, ich habe mich nicht verliebt. Nachdem das geklärt ist, können wir reden.“
Ihre Großmutter verzog die Lippen zu einem Lächeln. Sie zwinkerte amüsiert. „Bin ich so berechenbar, dass du all meine Fragen beantworten kannst, noch bevor ich sie ausspreche?“
„Ja, aber auf die allerliebste Weise.“
Marcail stand ihrer Großmutter nahe, was beiden guttat, denn sie hatten kaum jemanden sonst auf der Welt. Eine Siebenundzwanzigjährige konnte diese Tatsache ganz gut ertragen, doch für eine Dame im fortgeschrittenen Alter war es gewiss schwer zu ertragen, wie Marcail vermutete.
Daran war allein ihre Mutter schuld, denn sie hatte zugelassen, dass ihr Vater mit seinen albernen Ambitionen festlegte, wen sie sehen durfte und wen nicht. Marcails Vater war Sir Mangus Ferguson, ein verarmter irischer Adeliger, der viel zu viel von seinem Stammbaum und viel zu wenig von seiner Schwiegermutter hielt. Ihr Geld aber hatte er gern genommen, bis seine Verschwendungssucht sie dazu zwang, den Geldhahn zuzudrehen.
Das hatte er ihr nie verziehen. Er untersagte seiner Frau und den fünf Töchtern jeglichen Kontakt zu der alten Dame. Gut nur, dass Marcail ihren Vater schon früh durchschaute und nicht auf ihn hörte. In ihren Augen war er ein Angeber und Blender.
Briggs kündigte sein Kommen mit einem leisen Klopfen an. Er reichte Marcail eine Tasse heißen Tee und einen Teller mit Gebäck sowie eine schneeweiße Serviette. „Danke, Briggs.“
„Gern geschehen, Miss.“ Er wandte sich an Lady MacToth: „Möchten Sie noch etwas Tee, bevor ich mich zurückziehe, Mylady?“
„Oh nein, nicht nötig. Danke, Briggs.“
Er verneigte sich und ging leise aus dem Raum.
Marcail wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Er ist wirklich ein Goldstück, dein Butler. Meiner ist bei weitem nicht so umsichtig.“
„Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn anfangen sollte“, erwiderte ihre Großmutter freimütig.
„Ich denke, du musst dir diesbezüglich keine Sorgen machen. Nicht nur, weil er dich sehr gernhat, sondern auch, weil du sehr großzügig bist.“
„Es zahlt sich nun einmal aus, sich um diejenigen zu kümmern, die sich um einen selbst kümmern.“
„Das ist eine kluge Lebensmaxime.“ Marcail bemühte sich, weiterhin an das Gute im Menschen zu glauben, so wie es ihre Großmutter sie vor langer Zeit gelehrt hatte, auch wenn die Ereignisse der letzten Woche ihre Überzeugung auf eine harte Probe stellten. Ihr Herz raste, sobald sie an den Brief in ihrem Retikül dachte.
„Du starrst die Teekanne an, als gingest du davon aus, sie könnte jeden Augenblick explodieren.“
Marcail fühlte sich ertappt und rang sich ein Lächeln ab. „Tut mir leid. Ich war gerade ein wenig in Gedanken.“
Mit einem leisen „Oh nein!“ setzte ihre Großmutter die Teetasse ab. „Dieser fürchterliche Erpresser hat sich wieder gemeldet.“
Marcail verzog das Gesicht. „Was bin ich nur für eine großartige Schauspielerin. Ich kann nicht einmal meine eigene Großmutter täuschen.“
„Auf welchem Weg hast du die Nachricht dieses Mal bekommen?“
„Ich habe sie heute Morgen beim Frühstück unter meinem Teller entdeckt.“ Es hatte sie furchtbar erschreckt. Es war schon schlimm genug, die Briefe in der Kutsche oder in den Blumen in der Garderobe vorzufinden, aber in ihrem eigenen Zuhause? Marcail hatte sich noch nie so ausgeliefert gefühlt.
„Das gefällt mir nicht“, sagte ihre Großmutter. „Haben die Dienstboten etwas bemerkt?“
„Nein, aber sie sind ja auch eher Colchesters Dienstboten als meine.“
Lady MacToth schüttelte den Kopf. „Ich sage dir doch schon seit zwei Jahren, dass du dir ein eigenes Haus nehmen sollst. Das ist das Mindeste, was …“, Marcail fiel ihr ins Wort.
„Großmutter!“
Ihre Großmutter errötete, doch sie fuhr störrisch fort: „Der Earl benutzt dich, um seine Neigungen zu verbergen.“
„Und ich benutze ihn, um mir die vielen unerwünschten Aufmerksamkeiten vom Leib zu halten, die mir das Leben zuvor so unerträglich gestaltet haben. Wir profitieren beide, und er war immer sehr freundlich zu mir. Ich schulde ihm mehr, als ich ihm je zurückzahlen kann.“
„Ich weiß, ich weiß. Er hat dich vor dem Prinzregenten bewahrt, als dieser Mistkerl dich zwingen wollte, seine Geliebte zu werden. Ich werde Colchester ewig dafür dankbar sein, weil er dich auf so geschickte Weise aus der Zwangslage gerettet hat, aber das bedeutet nicht, dass du auf ewig in seiner Schuld stehst. Du hast auch ihm einen großen Dienst erwiesen.“ Lady MacToth hob eine Augenbraue. „Ich nehme an, dass sich an Colchesters Vorlieben nichts geändert hat?“
„Wenn du die wahnsinnig innige Liebe zu George Aniston meinst, dann lautet die Antwort ja. Die beiden sind jetzt seit ungefähr einem Jahr zusammen.“
„Für ihn ist das eine lange Zeit.“
„Allerdings. Colchesters Vorlieben gehen mich nichts an, aber von George Aniston halte ich rein gar nichts. Er nimmt Colchester aus. Ständig bettelt er um Geld, und seine Wutanfälle wegen irgendwelcher Kleinigkeiten sind inzwischen legendär. Ich wünschte, Colchester würde sich von ihm trennen.“
„Er ist anscheinend nicht gerade angenehm.“
„Nicht wenn er schlechte Laune hat. Andererseits kann er aber auch überaus charmant sein, wenn er will. Colchester ist jedenfalls vollkommen verrückt nach ihm. Ich glaube jedoch nicht, dass ihm die Beziehung guttut.“ Marcail zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich habe ihm meine Meinung zu der Beziehung gesagt, mehr kann ich nicht tun. Er tut meine Bemerkungen nur achselzuckend ab und sagt, dass man sich manchmal nicht aussuchen kann, in wen man sich verliebt. Es passiere einfach.“
„Da hat er allerdings recht. Manchmal zwingt einen das Schicksal auf einen Weg, den man unter anderen Umständen niemals eingeschlagen hätte.“
Marcail stimmte ihr im Stillen zu. Sie liebte Colchester wie den Bruder, den sie nie gehabt hatte. In den Augen des ton war er ein begehrenswerter Junggeselle, der den heiratswütigen Müttern und ihren Töchtern so geschickt aus dem Weg ging, dass ihn seine Geschlechtsgenossen bewunderten. Niemand war bisher hinter sein Geheimnis gekommen, und inzwischen hatte er sich in seinem Schattendasein ebenso bequem eingerichtet wie in seinem ersten Leben.
Sie würde ihm immer dankbar sein für seine schnelle Hilfe. Die Nachstellungen des Prinzregenten hatten ihr damals schonungslos vor Augen geführt, wie verletzlich und schutzlos sie war. Als Schauspielerin stand sie in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten, und sie hatte keine Familie, die sich schützend vor sie stellte, sobald sich ihr jemand mit unlauteren Absichten näherte.
Das Schlimmste jedoch war, dass sie damals gerade William Hurst begegnet war. Sie hatte sich sofort unsterblich in ihn verliebt. Doch nach sechs Monaten voller Liebe und Leidenschaft wurde er auf eine dreiwöchige Reise nach Dover beordert. Selbst jetzt, Jahre später, blieb ihr beinahe das Herz stehen, wenn sie daran dachte, wie anders sich alles entwickelt hätte, wenn William von den Avancen des Prinzregenten erfahren hätte. Er war so heißblütig und impulsiv, zudem fehlte ihm Colchesters Feingefühl für die geheimen Regeln des ton. William hätte den Prinzregenten unweigerlich herausgefordert und sich sicherlich auch mit ihm geprügelt. Zwar wäre der Prinz unweigerlich als blutiger Verlierer aus dem Konflikt hervorgegangen, doch er hätte alles darangesetzt, sowohl ihre als auch Williams Karriere zu zerstören. Marcail konnte einen solchen Skandal nicht riskieren. Sie wollte ihre Schwestern retten, deshalb musste sie die bittere Wahrheit akzeptieren. Als Schauspielerin war sie stets derartigen Nachstellungen ausgesetzt, das machte eine Beziehung zu William unmöglich. Sie musste ihn einfach aufgeben, um ihrer beider Untergang zu verhindern.
Es erschien ihr wie eine glückliche Fügung, als ihr der attraktive, flotte Colchester seinen Schutz anbot.