Königliche Gesetze des Hauses Rinaldi
I.
Der Herrscher von San Rinaldi gilt seinem Volk als Vorbild und bürgt für tugendhaftes Verhalten. Wer die Monarchie durch unmoralisches Verhalten in Verruf bringt, ist von der Thronfolge ausgeschlossen.
II.
Kein Mitglied der Königsfamilie darf ohne Zustimmung des Regenten heiraten.
III.
Jede Eheschließung, die den Interessen von San Rinaldi entgegen steht, ist verboten. Jeder Verstoß gegen diese Vorschrift führt zum unmittelbaren Ausschluss aus der Thronfolge sowie zur Aberkennung sämtlicher Ehren und Privilegien.
IV.
Kein Herrscher von San Rinaldi darf eine geschiedene Frau heiraten.
V.
Zwischen blutsverwandten Mitgliedern des Königshauses darf keine Ehe geschlossen werden.
VI.
Der Unterricht aller Familienmitglieder wird durch den König geregelt. Die Eltern haben für die Umsetzung der Anweisungen zu sorgen.
VII.
Kein Mitglied des Königshauses darf sich verschulden.
VIII.
Kein Mitglied der Königsfamilie darf ohne Einwilligung des Königs finanzielle Zuwendungen oder Erbschaften annehmen.
IX.
Der Herrscher von San Rinaldi muss sein Leben seinem Land widmen und darf daher während seiner Regentschaft keinen eigenen Beruf ausüben.
XI.
Die Mitglieder des Königshauses müssen ihren Wohnsitz auf San Rinaldi haben. Im Einzelfall kann der König gestatten, dass ein Familienmitglied in ein anderes Land zieht. Der Herrscher selbst muss jedoch im Palast auf San Rinaldi leben.
Das Königshaus Rinaldi
Eine der reichsten königlichen Familien der Welt – vereint durch
Blut und Leidenschaft, zerrissen durch Verrat und Begierde, unterworfen
den strengen Regeln der Rinaldis
Aus blauen Fluten, umweht vom Duft der Zitronen- und
Orangenbäumen, ragt majestätisch eine Insel empor: San Rinaldi, die
Perle des Mittelmeers. Gesegnet mit einzigartig schöner Natur, üppiger
Vegetation und reichen Ernten, wird das idyllische Eiland seit vielen
Jahren von König Giorgio aus dem Geschlecht der Fierezzas beherrscht.
Schon seit dem Mittelalter lenkt seine Familie die Geschicke der
Insel, machte sie zu einem florierenden Handelsplatz und gelangte
so zu unermesslichem Reichtum – Reichtum, der zu allen Zeiten zu
Neid, Intrigen, Verrat und Auseinandersetzungen führte.
Auseinandersetzungen und Probleme stehen auch König Giorgio ins
Haus. Besorgt beobachtet man im Palast von San Rinaldi, dass es dem
neunzigjährigen Monarchen gesundheitlich immer schlechter geht.
Doch wer soll nach dem tragischen Tod der beiden
Kronprinzen das Erbe der Rinaldis antreten?
König Giorgio muss seine Wahl treffen unter den Prinzen und
Prinzessinnen der Dynastie. Kein leichtes Unterfangen! Denn wer den
Thron von San Rinaldi besteigen und über das blühende Inselreich
herrschen will, muss sich entscheiden, ob er sich den strengen Gesetzen
des Hauses Rinaldi unterwirft – oder der Stimme seines
Herzens folgt und statt der Krone die Liebe wählt …
1. KAPITEL
Wenn der Junge nicht vorsichtig war, fiel er garantiert von der Mauer. Adam Ryder hatte größte Mühe, sich zu beherrschen und nicht gleich loszuschreien.
Gemeinsam mit zahlreichen anderen Touristen waren sie hierherspaziert, um eine antike römische Villa zu besichtigen. Doch während sich die übrigen Leute mit der Geschichte des Ortes beschäftigten oder den spektakulären Blick aufs Mittelmeer genossen, kümmerte Adam sich um beides nur wenig.
Überall auf der Insel San Rinaldi gab es Burgen, Ruinen und antike Ausgrabungsstätten. Sie waren jedoch nicht der Grund, weshalb er aus den Vereinigten Staaten von Amerika in dieses Inselkönigreich gekommen war.
Die antike Villa hatte er nur ausgesucht, weil sie in der Nähe des Hotels lag. Hier konnte sein sechsjähriger Sohn Jeremy nach Herzenslust herumtoben und überschüssige Energie loswerden, die ihn sonst oft zu einem kleinen Quälgeist machte.
Doch Adam war aus einem anderen Grund nach San Rinaldi gereist – in dieses Land, das er bisher sein Leben lang gemieden hatte. Er seufzte, wenn er bloß daran dachte, wie kompliziert die Angelegenheit war.
Trotzdem gestand er sich ein, dass diese Insel etwas Magisches an sich hatte. Schon beim Verlassen der Maschine, mit der er aus New York gekommen war, hatte er es gespürt. Die Luft war sanfter, und im gleißenden Sonnenschein wirkte die Landschaft geradezu verheißungsvoll.
Davon durfte Adam sich jedoch nicht ablenken lassen. Er musste sich auf sein Ziel konzentrieren. Schließlich war er – um es einfach auszudrücken – nur nach San Rinaldi gereist, um Geld aufzutreiben. Für die Rettung seiner Firma brauchte er eine gewaltige Summe. Dafür war er bereit, so gut wie alles zu tun. Er würde sogar das äußerst ungewöhnliche Angebot annehmen, das man ihm vor Kurzem unterbreitet hatte – die Krone dieses kleinen Inselstaates. Und daran war absolut nichts magisch.
Bis die Dinge ins Rollen kamen und zu einem Abschluss gebracht wurden, musste er sich um Jeremy kümmern. Adam hatte den Jungen in der Hoffnung mitgenommen, zwischen ihnen eine tiefere Bindung zu schaffen. Diese Hoffnung hatte er mittlerweile aber fast aufgegeben.
Das Hauptproblem mit Jeremy war das Kindermädchen, das Adam eigens für diese Reise eingestellt hatte. Kurz vor dem Abflug hatte die Frau in der Abfertigungshalle lautstark verkündet, sie könne den Jungen nicht ertragen und würde auf der Stelle kündigen. Dann hatte sie auf dem Absatz kehrtgemacht.
Während die Nanny ins Freie gestürmt war, hatte sich ein triumphierendes Lächeln auf Jeremys Gesicht geschlichen. Noch jetzt erinnerte Adam sich deutlich daran. Früher hatte er sich ohne den geringsten Anflug von Angst in Kneipen und Bars geprügelt und die stärksten Männer in die Flucht geschlagen. Doch jetzt lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er an den Gesichtsausdruck seines Sohnes dachte. Mit Erwachsenen hatte er keinerlei Schwierigkeiten, mit Jeremy hingegen …
Adam war nichts anderes übrig geblieben, als allein mit ihm die Zivilisation zu verlassen und die Reise ins Ungewisse anzutreten. Doch was sollte er mit diesem Jungen machen?
„Nehmen Sie ihn einfach mit nach draußen und lassen Sie ihn toben“, hatte ihm die Frau am Hotelempfang geraten.
Und hier war er nun und ließ Jeremy toben. Genau das tat der Junge. Er rannte so schnell durch die Ruine, dass sein blondes Haar im Wind flatterte, aber wenigstens interessierte er sich für etwas. Während des gesamten Fluges hatte er immer wieder „Sind wir gleich da?“, gefragt, bis Adam sich verzweifelt auf die Hand biss, um nicht loszubrüllen.
Im Moment balancierte Jeremy auf den Überresten des Aquädukts, über das die Villa einst mit Wasser versorgt worden war. Allerdings reichten die Bögen bis zum Rand der Klippe, an der die Villa errichtet worden war. Adam runzelte die Stirn. Es war Zeit, die Rolle als Vater ernst zu nehmen und seinen Sohn zu warnen.
„Jeremy!“, rief er. „Geh nicht so nahe an den Rand! Das ist gefährlich!“
Der Junge warf ihm bloß einen Blick zu und lachte. Adam schüttelte den Kopf. Welcher Sechsjährige lachte mit einem dermaßen hämischen Unterton, als würde er es genießen, Erwachsene zu quälen? Adam entschied, dass er unbedingt ein neues Kindermädchen einstellen musste, diesmal eine Frau mit starken Nerven, und er sollte es schnell tun.
„Bleib vom Rand weg!“, rief er energisch.
Jeremy kam zwar vom Aquädukt herunter, kletterte anschließend aber an der brüchigen Außenwand der antiken Villa hoch. Adam rannte los. Wenn er nicht sofort eingriff, brachte der Junge sich noch um.
„Jeremy, verdammt! Komm auf der Stelle da runter!“
Ungerührt kletterte Jeremy noch höher, erreichte die Oberkante der Mauer – kippte darüber hinweg und stürzte in die Tiefe …
Adam schrie entsetzt auf. Schock und Angst trieben ihn vorwärts. Er fluchte und betete gleichzeitig, dass Jeremy nichts Schlimmes zugestoßen sein möge. Gehetzt kletterte Adam den Schuttkegel am Fuß der Mauer hoch, rutschte jedoch immer wieder ab, sodass er kaum vorankam. Endlich fanden seine Füße Halt. Mit aller Kraft zog er sich hoch, krallte sich an der Mauerkrone fest und lehnte sich darüber. Oh Gott, dachte er. Wenn er zerschmettert zehn Meter unter mir auf den Felsen liegt …
Jeremy kauerte vor einer schlanken Frau und streichelte einen Hund, der wie ein Golden Retriever aussah. Erst jetzt merkte Adam, dass es auf dieser Seite der Mauer einen weit über das Meer vorspringenden Bereich gab, der früher vermutlich als Terrasse gedient hatte.
Erleichtert atmete er tief ein, wurde jedoch gleich darauf von grenzenloser Wut übermannt. Jeremy war nicht gestürzt, sondern gesprungen. Zornig fluchte Adam, ließ sich von der Mauerkrone gleiten und lief zur steinernen Treppe, die er an einer Seite entdeckt hatte.
Als er die junge Frau erreichte, die auf einer niedrigen alten Steinmauer saß, war Jeremy mit dem Hund bereits zum Strand hinuntergelaufen, wo die beiden fröhlich miteinander spielten.
So wütend er auf seinen Sohn war – dass er ihm nun keine Standpauke halten konnte, frustrierte ihn noch mehr. Adam murmelte eine Verwünschung und wandte sich widerstrebend an die Frau.
„Tut mir leid“, sagte er für den Fall, dass sie sich ebenfalls über Jeremy geärgert hatte.
Dann sah er sie sich genauer an. Die Frau war beeindruckend – schlank und anmutig. Das glatte dunkelbraune Haar schimmerte im Sonnenschein. Ein hellgrüner Seidenschal war damit verwoben und hielt einen lockeren Knoten zusammen. Beim Anblick des langen Halses dachte Adam sofort an eine Balletttänzerin. Die Augen konnte er wegen der sehr dunklen Designer-Sonnenbrille nicht sehen, doch ihre Züge waren klassisch schön und erinnerten ihn an feines Porzellan. Der volle sinnliche Mund stand im Kontrast zu den feinen Gesichtszügen.
„Hoffentlich hat mein Sohn Sie nicht belästigt“, fuhr Adam fort und ließ den Blick über die zarte helle Haut der nackten Arme wandern.
Zu einer hauchdünnen Bluse trug die Fremde einen smaragdgrünen luftigen Rock. Die zierlichen Füße steckten in Ledersandalen, die Zehennägel waren hellrosa lackiert. Diese Frau erinnerte an eine Waldelfe, war allerdings für eine Elfe eindeutig zu groß und zu wohlgerundet. Eine so bezaubernde Frau hatte er schon sehr lange nicht gesehen, und er fühlte sich sofort von ihr angezogen wie eine Blume, die sich dem Sonnenlicht zuneigt.
„Aber nein“, erwiderte sie freundlich. „Ich habe mich gefreut, ihn kennenzulernen. Er ist ein wunderbarer Junge.“
„Wunderbar?“, rief Adam aus und musste lachen. Ihre melodische Stimme gefiel ihm ebenso wie der leichte Akzent, der ihren Charme verstärkte. „Nun ja“, fügte er trocken hinzu, „Sie haben ja noch nicht viel Zeit mit ihm verbracht.“
Sie runzelte die Stirn. „Soll das vielleicht ein Scherz sein?“, fragte sie aufrichtig irritiert. „Weshalb reden Sie so über Ihren eigenen Sohn?“
Er zögerte. Vermutlich klangen seine Worte herzlos für jemanden, der Jeremy noch nicht in Höchstform erlebt hatte. In Adam regten sich Schuldgefühle. Möglicherweise hatte die Frau recht, und er redete wirklich zu abwertend über den Jungen.
„Ich bin einfach frustriert“, gestand er und strich sich durchs hellblonde Haar. Dabei musterte er sie mit einem Blick, der Frauen erfahrungsgemäß förmlich dahinschmelzen ließ. „Ich habe einen langen und anstrengenden Tag hinter mir.“
Bei dieser Frau wirkte es keineswegs. „Ach ja?“, entgegnete sie bloß in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, wie wenig sie sich für Einzelheiten interessierte. Nein, sie war ganz und gar nicht von ihm beeindruckt.
„Wir kommen direkt aus New York“, erklärte er.
„Verstehe.“
Sie drehte den Kopf und blickte aufs Meer hinaus. Adam kam sich zurückgewiesen vor, das war für ihn völlig neu. In Hollywood galt er als sehr attraktiver und vor allem mächtiger Mann. Die Produktionsfirma, die er gegründet hatte und bis zum heutigen Tag leitete, gehörte zu den wichtigsten in der Branche. Daran änderte die drohende Übernahme, gegen die er derzeit ankämpfte, auch nichts.
Die Abfuhr machte ihm etwas aus. Normalerweise war er derjenige, der anderen einen Dämpfer verpasste, wenn es nötig war. Diese Frau forderte ihn heraus, spontan wollte er darauf eingehen.
Adam hielt sich dennoch zurück. Ausnahmsweise wurde er von einer Frau nicht bewundert. Na und? In der nächsten Zeit gab es wesentlich wichtigere Probleme zu lösen.
Er warf einen Blick zum Strand. Jeremy spielte immer noch mit dem Hund. Wahrscheinlich wäre es am besten, zu ihnen zu gehen. Während Adam darüber nachdachte, schüttelte sich der Hund, der offenbar im Meer gewesen war, und spritzte Jeremy von oben bis unten nass.
Adam seufzte. Er hatte die Wahl. Entweder er wälzte sich mit einem Jungen und einem Hund im feuchten Sand, oder er verwickelte eine schöne Frau in ein Gespräch, damit sie sich für ihn zu interessieren begann. Die Entscheidung fiel ihm leicht.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte er, deutete auf die niedrige Steinmauer und setzte sich, ohne auf die Antwort zu warten.
Sie zögerte lange genug, um ihm zu verstehen zu geben, wie wenig sein Vorhaben sie begeisterte. Aber sie blieb höflich. „Bitte sehr“, sagte sie kühl und rückte ein Stück zur Seite, damit er genug Platz hatte. Dabei schob sie eine Leinentasche weg, die so groß war, dass womöglich ihr gesamtes Hab und Gut hineinpasste.
Adam war ihr jetzt so nahe, dass er einen feinen Duft auffing, frisch und nicht sonderlich süß. Unvermittelt verspürte Adam den Wunsch, ihre vollen Lippen zu küssen.
Aufgewühlt zog er sich ein Stück zurück. Seit Jahren hatte er nicht mehr so heftig auf die Nähe einer Frau reagiert – und er war ständig von schönen Frauen umgeben. Vielleicht lag es an diesem Ort, an der sanften verführerischen Brise oder dem leisen Plätschern der Wellen am Strand.
Er wandte sich hastig ab und blickte aufs Meer hinaus. Diese Frau brachte ihn aus dem Gleichgewicht, und er wollte nicht, dass sie das erkannte. Er hasste es, Verwundbarkeit zu zeigen. Seit einiger Zeit hatte sich dieser Abscheu verstärkt. Das war Adam bereits aufgefallen. Er vertraute den Leuten immer weniger. Und aus Erfahrung wusste er, dass vor allem schöne Frauen einem Mann gefährlich wurden.
Wie lautete die Redewendung? Gebranntes Kind scheut das Feuer. Adam hatte sich verbrannt, sogar mehr als einmal und äußerst schmerzhaft. Ja, er scheute das Feuer und machte einen großen Bogen um jede Flamme. Bevor er jemandem vertraute, brauchte er hieb- und stichfeste Beweise dafür, dass diese Person ehrlich und rechtschaffen war.
Trotzdem liebte er Herausforderungen und spielte gern mit. Er rechnete eben nur nicht mit einem Gewinn, den er als Sieger mit nach Hause nehmen konnte.
„Ein guter Aussichtspunkt“, bemerkte er und ließ den Blick über die scheinbar unendliche Weite des tiefblauen Mittelmeers wandern. „Kommen Sie oft hierher?“
„Sehr oft sogar“, erwiderte die Fremde. „Es zieht mich vor allem jedes Mal her, wenn eine wichtige Entscheidung ansteht … oder wenn ich alles hinter mir lassen möchte“, fügte sie offen hinzu und warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. „Oder wenn ich bloß mit meinen Vorfahren in Verbindung treten möchte.“
„Mit Ihren Vorfahren?“, fragte er und lächelte ebenfalls. Wenn sie ihm auch nur etwas entgegenkam, würde er darauf eingehen. Ein Flirt kostete nichts, man brauchte nicht viel von sich zu verraten, und es machte Spaß. Außerdem konnte ein Flirt zu einem kleinen Abenteuer führen. Im Vorhinein wusste man das nie. Und diese Fremde war mit Abstand die reizvollste Frau, die er seit Langem gesehen hatte. Vielleicht lohnte es sich, ihre Abwehrhaltung zu überwinden …
„Hier wimmelt es überall förmlich von meinen Vorfahren“, erklärte sie und machte eine ausladende Handbewegung, als würden überall auf den Felsen und in den Höhlungen der schroffen Küste ganze Scharen von Geistern stehen und sie beobachten.
„Im Ernst?“ Adam drehte sich zur Felswand um, weil er gern auf ihre Fantasie einging. „Warum stellen Sie mich nicht vor?“
Die Fremde lachte leise. „Was interessieren Sie schon meine angestaubten Vorfahren auf San Rinaldi?“
Adam lächelte ironisch. „Es wird Sie vermutlich überraschen, aber ich habe hier auch einige“, gestand er.
„Tatsächlich?“ Fragend zog sie die Augenbrauen hoch.
„Das hat man mir zumindest erzählt.“
Ja, jetzt hatte er einen Funken von Interesse in ihr geweckt. Adam vermutete, dass sie ihn sicher näher kennenlernen wollte, wenn er sich als illegitimer Enkel von König Giorgio von San Rinaldi zu erkennen gab.
Der Haken dabei war, dass er auf diese Abstammung nicht sonderlich stolz war, ganz im Gegenteil. Er war mit dem Gefühl aufgewachsen, sich dafür schämen zu müssen. Seine Großeltern mütterlicherseits fanden jedenfalls, dass seine Mutter sich dafür schämen sollte. Und dann hatten sie es totgeschwiegen. Adam war auf ihrer Farm in Kansas aufgewachsen. Die Einstellungen der Großeltern hatten sich bei ihm tief eingegraben. Sogar heute fiel es ihm oft schwer, alte Muster zu überwinden, obwohl er sich sehr bemühte.
„Haben Sie nicht vorhin gesagt, Sie wären aus New York gekommen?“, fragte die schöne Fremde.
„Das stimmt.“ Adam bemühte sich, sie nicht zu auffällig zu betrachten. „Ich war noch nie auf San Rinaldi, aber mein Vater lebte hier.“
„Ach so.“
Das sagte sie, als wäre ihr nun alles klar. Nur weil er nicht hier gelebt hatte, glaubte sie also, ihn zu kennen. Allmählich ging ihm ihr abweisendes Verhalten auf die Nerven. Doch ehe er etwas dagegen unternehmen konnte, schrie Jeremy laut auf. Der Hund bellte.
Um den Strand besser überblicken zu können, stand Adam auf. „Jeremy, lass den Hund in Ruhe!“, rief er. Im Grunde wusste er nicht, ob sein Sohn dem Tier etwas angetan hatte. Adam setzte es einfach voraus.
„Er heißt Fabio“, sagte die Fremde kühl.
„Wer? Ach so, der Hund.“
„Allerdings, der Hund“, bestätigte sie.
„In Ordnung.“ Er legte die Hände an den Mund und wies seinen Sohn an: „Jeremy, lass Fabio in Ruhe!“
„Das liegt Ihnen wirklich nicht, hm?“, murmelte die Fremde nüchtern, als er sich wieder setzte.
„Was denn?“, fragte er verblüfft.
„Die Vaterrolle“, erwiderte sie. „Offenbar haben Sie dafür kein gutes Händchen.“
Intensiv musterte er sie. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Sie konnte ihn definitiv nicht leiden. Aber woher nahm sie das Recht, ihn nach wenigen Minuten zu verurteilen? Sie kannte ihn nicht einmal. Er war ein anständiger Kerl und sie … schrecklich anstrengend.
„Was wissen Sie schon über meine Fähigkeiten als Vater?“, fragte er herausfordernd.
„Ich höre doch, wie Sie mit Ihrem Sohn sprechen“, erwiderte sie ungerührt. „Bei einem Jungen seines Alters sollten Sie nicht einen solchen Ton anschlagen. Schließlich können Sie ihn nicht herumkommandieren, als wäre er ein Soldat.“
Adam traute seinen Ohren nicht. Diese Frau dachte tatsächlich, sie könnte ihm vorschreiben, wie er sein Kind behandeln sollte. „Er braucht Disziplin“, erklärte er. Diese Tatsache konnte niemand abstreiten.
„Und warum bringen Sie ihm dann keine Disziplin bei?“, fragte die Fremde.
Ungläubig sah er sie an. Wollte sie ihn bewusst provozieren? „Genau das versuche ich“, antwortete er schroff.
Die Fremde schüttelte den Kopf. „Sehen Sie, jetzt werden Sie schon wieder laut.“
Adams Frust wuchs mit jeder Minute, die er mit dieser Frau verbrachte. „Was würden Sie denn vorschlagen? Soll ich meinen Sohn etwa schlagen?“ Es fiel ihm sehr schwer, ruhig zu bleiben.
„Natürlich nicht. Sie sollten versuchen, seinen Charakter zu fördern, und ihm ein klares Muster vorgeben.“ Sie seufzte. „Ich wette, dass Sie Ihren Sohn nicht gut kennen, ganz egal, wie oft er bei Ihnen ist.“
Adam wünschte sich, sie würde endlich die dunkle Sonnenbrille abnehmen, damit er ihre Augen sehen konnte.
„Aber er ist nicht oft bei Ihnen, nicht wahr?“, fuhr sie fort. „Sie dachten, auf der Reise nach San Rinaldi könnten Sie Ihrem Sohn näherkommen, nur weil Sie hier mit ihm zusammen sind.“
Sie hatte zwar nur geraten, aber den Nagel genau auf den Kopf getroffen. Adam fand es geradezu unheimlich. Fast glaubte er, sie könnte seine Gedanken lesen.
„Und wenn es so wäre?“
Die Frau zuckte die schmalen Schultern. „Nun, ich glaube nicht, dass es klappen wird. Und wenn Sie Ihr Verhalten nicht ändern, werden Sie Ihren Sohn nie richtig erziehen. Da hilft alles Schreien nicht. Sie brauchen Hilfe“, fügte sie mitfühlend hinzu.
Mit Mühe hielt Adam die gereizte Antwort zurück, die ihm auf der Zunge lag. Die Frau irrte sich. Doch wozu sollte er mit ihr streiten? „Na schön“, meinte er und versuchte es ein letztes Mal mit Charme. „Dann helfen Sie mir doch.“
„Lieber nicht“, wehrte sie lächelnd ab.
Ihr herablassender Tonfall trieb ihn zum Wahnsinn. Wieder wies sie ihn zurück. Nun, wenn sie so eine Expertin war …
„Wie viele Kinder haben Sie denn?“, erkundigte er sich herausfordernd.
„Keine“, räumte sie ein und lächelte amüsiert. „Ich bin nicht einmal verheiratet.“
„Und warum sollte ich dann auf Sie hören, wenn ich fragen darf?“
„Weil Sie Rat brauchen, Ihre Intuition lässt Sie ja eindeutig im Stich.“
Na also, dachte Elena Valerio. Das sollte reichen. Gleich würde der Fremde aufspringen und zornig weggehen. Dann war sie ihn los. Genau das wollte sie … oder?
Hätte sie ihn doch sehen können! Das wünschte sie sich selten. Schon vor Jahren hatte sie sich mit ihrer Blindheit abgefunden und sie auf so vielfältige Art kompensiert, dass sie es gelegentlich als Vorteil empfand, nicht sehen zu können.
Bei diesem Mann war es jedoch anders. Seine energische Stimme und seine direkte Art hatten etwas in ihr ausgelöst, das sie nicht erklären konnte. Jetzt wünschte sie sich, diesen Eindrücken sein Gesicht zuordnen zu können.
Sie hörte Ungeduld und einen gleichmütigen Zynismus in seiner Stimme mitschwingen, der ihr nicht gefiel. Der Mann ließ andere für sich arbeiten. Seine Arroganz wurde nur noch von dem Verlangen übertroffen, alles um ihn herum zu kontrollieren. Einerseits wollte er Elena mit Charme umgarnen, andererseits fühlte sie bei ihm eine seltsame innere Kälte, die sie frösteln ließ. Er vereinte alles in sich, das sie an einem Mann nicht mochte.
Und er war noch immer hier. Worauf wartete er bloß?
Elena seufzte. „Also gut, ich gebe Ihnen einen kostenlosen Tipp. Entspannen Sie sich.“
„Entspannen? Warum sollte ich mich entspannen?“
„Sind Sie nicht nach San Rinaldi gekommen, um sich zu erholen?“
„Nein. Ich bin aus geschäftlichen Gründen hier.“
„Ach, das erklärt einiges“, meinte sie. „Sie sollten die Anspannung loswerden. Ihr Sohn spürt das und vertraut Ihnen nicht. Daher ist es kein Wunder, dass er sich gegen Sie stellt.“
Adam biss die Zähne zusammen, um es der Fremden nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen. Wenn er wollte, hätte er ihr bestimmt auch einiges auf den Kopf zusagen können, das ins Schwarze traf. Damit würde er jedoch nichts erreichen. Darum entschied er sich für eine andere Taktik.
„Sie haben schöne Haare“, stellte er fest und betrachtete ihr Haar, das im Sonnenschein schimmerte. Adam widerstand der Versuchung, die Hand auszustrecken, um es zu berühren.
„Tatsächlich?“ Sie wirkte überrascht. „Ich mag es, wie es sich auf meinem Rücken anfühlt.“ Anmutig strich sie es zurück, sodass ihr Haar über die nackte Haut strich, die die hinten tief ausgeschnittene Bluse freigab.
„Sie haben auch einen schönen Rücken“, fügte Adam auf gut Glück hinzu.
„Werden Sie nicht eine Spur zu persönlich?“ Sie straffte die Schultern.
„Tut mir leid“, versicherte er, doch es klang nicht sonderlich überzeugend.
„Nein, tut es nicht.“
Jetzt hatte er endgültig genug. „Könnten Sie mir vielleicht erklären, warum Sie sofort eine spontane Abneigung gegen mich entwickelt haben?“, fragte er.
„Ach, merkt man das so deutlich?“ Die Fremde presste für einen Moment die Lippen zusammen, ehe sie lächelte. „Gut so.“
Adam war klar, dass er aufstehen und gehen sollte. Diese Frau wollte ihn nicht in ihrer Nähe haben.