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Mätresse der Krone
Erscheinungstag: | Di, 10.12.2013 |
Erscheinungstag: | Di, 10.12.2013 |
Bandnummer: | 3 |
Bandnummer: | 3 |
Seitenanzahl: | 400 |
Seitenanzahl: | 400 |
ISBN: | |
ISBN: | 9783733760298 |
E-Book Format: | ePub oder .mobi |
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Top-titel
Die gute Tochter
"Lauf!", fleht ihre große Schwester Samantha. Mit vorgehaltener Waffe treiben zwei maskierte Männer Charlotte und sie an den Waldrand. "Lauf weg!" Und Charlie läuft. An diesem Tag. Und danach ihr ganzes Leben. Sie ist getrieben von den Erinnerungen an jene grauenvolle Attacke in ihrer Kindheit. Die blutigen Knochen ihrer erschossenen Mutter. Die Todesangst ihrer Schwester. Das Keuchen ihres Verfolgers.
Als Töchter eines berüchtigten Anwalts waren sie stets die Verstoßenen, die Gehetzten. 28 Jahre später ist Charlie selbst erfolgreiche Anwältin. Als sie Zeugin einer weiteren brutalen Bluttat wird, holt ihre Geschichte sie ganz ungeahnt ein.
"Die gute Tochter" ist ein Meisterwerk psychologischer Spannung. Nie ist es Karin Slaughter besser gelungen, ihren Figuren bis tief in die Seele zu schauen und jede Einzelne mit Schuld und Leid gleichermaßen zu belegen.
"Die dunkle Vergangenheit ist stets gegenwärtig in diesem äußerst schaurigen Thriller. Mit Feingefühl und Geschick fesselt Karin Slaughter ihre Leser von der ersten bis zur letzten Seite."
Camilla Läckberg
"Eine großartige Autorin auf dem Zenit ihres Schaffens. Karin Slaughter zeigt auf nervenzerfetzende, atemberaubende und fesselnde Weise, was sie kann."
Peter James
"Karin Slaughter ist die gefeiertste Autorin von Spannungsunterhaltung. Aber Die gute Tochter ist ihr ambitioniertester, ihr emotionalster - ihr bester Roman. Zumindest bis heute."
James Patterson
"Es ist einfach das beste Buch, das man dieses Jahr lesen kann. Ehrlich, kraftvoll und wahnsinnig packend - und trotzdem mit einer Sanftheit und Empathie verfasst, die einem das Herz bricht."
Kathryn Stockett
„Die Brutalität wird durch ihre plastische Darstellung körperlich spürbar, das Leiden überträgt sich auf den Leser.“
(Hamburger Abendblatt)
„Aber es sind nicht nur die sichtbaren Vorgänge und Handlungen von guten oder schlechten Individuen, die die (…) Autorin penibel genau beschreibt. Es sind vor allem die inneren, die seelischen Abläufe, die überzeugen.“
(SHZ)
„Das alles schildert Slaughter mit unglaublicher Wucht und einem Einfühlungsvermögen, das jedem Psychotherapeuten zu wünschen wäre.“
(SVZ)
„Die aktuelle Geschichte um die Quinns ist eine Südstaaten-Saga der besonderen Art, von der ihr nicht weniger erfolgreiche Kollege James Patterson sagt, sie sei ‚ihr ambitioniertester, ihr emotionalster, ihr bester Roman. Zumindest bis heute‘.“
(Focus Online)
„Die Autorin hat hier ein ausgezeichnetes Buch vorgelegt, dass mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt hat.“
(Krimi-Couch.de)
„Es gibt Bücher, bei denen man das Atmen vergisst. Die Romane der amerikanischen Schriftstellerin gehören dazu. So auch dieser Pageturner. (…) Karin Slaughter versteht es meisterhaft, glaubwürdige Charaktere zu erschaffen und ihre Leser fortwährend zu überraschen.“
(Lebensart)
„Atmosphärisch dichter Thriller über die sozialen Gespinste einer Kleinstadt, psychologisch sehr stimmig, mit vielen Schichten und Überraschungen.“
(Bayrischer Rundfunk)
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Maid
Soper’s Lane, London, 1463
Mit vierzehn macht man Fehler. Es war dumm von mir gewesen, diesen alten Mann allein aufzusuchen, aber ich benötigte dringend juristischen Rat, wie ich meine Ehe annullieren konnte. Er hatte mir gesagt, er sei früher Kirchenanwalt gewesen – also genau das, was ich brauchte –, und als ich ihn nach der Sonntagsmesse angesprochen hatte, war er mir vorgekommen wie ein gütiger, freundlicher Großvater. Nun jedoch bohrte er seine Zunge in die Backentasche, während sein Blick über meinen Körper glitt, und trommelte aufreizend bedächtig mit den Fingern auf die Tischplatte zwischen uns. Hinter ihm, in der Ecke, konnte ich sein ungemachtes Bett sehen.
Ich werde nicht schreien, beschloss ich und erhob mich langsam. Wenn ich um Hilfe schrie, würde sich mein Name bis zur Abendessenszeit in ganz London herumgesprochen haben. Nein, mit dieser Situation musste ich allein fertigwerden.
„Vielen Dank, Sir, ich werde meiner Freundin Euren Rat ausrichten, aber jetzt muss ich gehen.“ Meine Stimme klang beinahe schrill, dabei hatte ich ganz forsch sprechen wollen.
Sein Lächeln verrutschte zu einem schmutzigen Grinsen – er versuchte jetzt gar nicht mehr, seine wahren Absichten zu verschleiern. Wir hatten beide gelogen. In Wirklichkeit war ich „die Freundin“, die Informationen benötigte, und seine juristische Beratung war nicht „umsonst“, sondern kostete ein Honorar, das er noch einzufordern gedachte.
„Wenn Ihr so verzweifelt seid, Mistress Shore“, bemerkte er und erhob sich schwerfällig, „dann seid Ihr doch gewiss gewillt, ein wenig nett zu mir zu sein.“
Ja, ich sehnte mich verzweifelt danach, meiner Ehe zu entkommen, aber lieber hätte ich mich aufhängen lassen, als „nett“ zu diesem abstoßenden alten Ziegenbock zu sein. Meine Jungfräulichkeit war noch intakt, und das sollte sie auch bleiben.
„Von so einem Handel war nicht die Rede.“ Ich ballte meine Hände in den Falten meiner Röcke zu Fäusten und verfluchte mich insgeheim, weil ich keinen Dolch zu meiner Verteidigung mitgenommen hatte.
„Wir gehen nicht bis zum Äußersten, das würde die Beweislage verderben“, keuchte er und machte sich an den Verschnürungen seines Wamses zu schaffen. „Ein paar Liebkosungen dürften ausreichen. Vorerst.“
„Ach, nur Liebkosungen“, säuselte ich mit gespielter Erleichterung und einem falschen Lächeln. „Ich dachte schon, Ihr meintet …“ Ich rannte zur Tür, aber der Riegel klemmte. Der Alte packte meinen linken Arm und zerrte mich zurück.
Jetzt oder nie. Voller Wut und mit aller Kraft schlug ich ihm meine rechte Faust ins Gesicht. Ich vernahm ein Knirschen. Er stolperte nach hinten, prallte gegen den Tisch und hellrotes Blut schoss aus seiner Nase. Das und die umkippenden Tintenfässer würden seine Kleidung ruinieren – zumindest hoffte ich das, während ich die Treppe hinuntereilte.
Sobald ich sicher auf der Straße war, wurde mir das ganze Ausmaß meiner Torheit bewusst, und prompt rebellierte mein Mageninhalt. Ich schaffte es gerade noch, mich abzuwenden, bevor ich mich übergab. Als ich wieder einigermaßen gerade stehen konnte, rannte ich an den Wohnhäusern vorbei nach Cheapside, wo ich mich mit einem erleichterten Seufzer in das Getümmel von Karren, Schweinen und Menschen stürzte. Ich war immer noch voller Panik. Was war, wenn der alte Mann mich bei meinem Gemahl oder meinem wohlhabenden Vater anschwärzte?
Während ich mich langsam durch die Menge schob, legte sich mein innerer Aufruhr. Ich fühlte mich gut aufgehoben zwischen all den Menschen. Fremde mochten sich vor den Londoner Taschendieben fürchten, aber dieser wunderbare, lärmende Schmelztiegel war mein Zuhause; hier war ich sicherer als in jeder ruhigeren Wohngegend.
Ich bahnte mir den Weg bis zu einer Stelle, wo eine größere Versammlung den Durchgang versperrte. Ich mischte mich unter die Leute. In ihrer Mitte stand der Lehrbub eines Strumpfwarenhändlers auf einem Fass. Ich hatte sein geschmeidiges Geplapper schon öfter gehört; er war gut.
„Der günstigste Preis in ganz Cheapside“, brüllte der Junge gerade und wedelte mit einem Paar frivoler scharlachroter Strumpfbänder. „Stellt Euch die Beine Eurer Frau mit diesen Dingern vor, Sir!“ Gelächter brandete auf. „Und was ist mit den Pfauen unter Euch Spatzen?“, rief er herausfordernd und schwenkte dabei eine Männerstrumpfhose – ein Bein war erbsengrün, das andere violett. Dann fiel sein vorwitziger Blick auf mein Gesicht … und wanderte weiter nach unten.
Ach, du Schreck! Ich schielte ebenfalls abwärts durch den Spalt, der sich in meinem Umhang auftat, und ich sah, was auch der Anwalt gesehen haben musste – eine ausgesprochen weibliche Brust, die sich gegen ein deutlich zu eng gewordenes Kleid drängte. Und mein Körper veränderte sich nicht nur äußerlich, das wusste ich. Lieber Gott, deswegen brauchte ich ja so dringend diese Annullierung. Ich war wie ein beinahe pflückreifer Apfel, und mein Gemahl, Shore, belauerte mich wie ein hungriger Obstdieb.
Ich warf dem Jungen einen vernichtenden Blick zu und zog meinen Umhang fester um mich. Mir war bewusst, dass die Nachbarn des Anwalts immer noch Alarm schlagen konnten, also beschloss ich, zu bleiben, wo ich war, und wachsam zu sein.
Aus Richtung Soper’s Lane ertönte jedoch kein Gezeter, und ich schickte ein stummes Dankgebet zum Himmel. Vielleicht fürchtete der widerliche alte Kerl genauso um seinen Ruf wie ich um meinen. Bei diesem tröstlichen Gedanken ließ die Anspannung in meinen Schultern nach. Und ich hatte, abgesehen von der Erkenntnis, dass man Männern jeden Alters einfach nicht trauen konnte, wenigstens einen nützlichen Ratschlag mitnehmen können. Der Anwalt hatte mir gesagt, „meine Freundin“ müsse ihr Anliegen vor den Gerichtshof der anglikanischen Kirche bringen, das Sondergericht des Erzbischofs von Canterbury für die Anhörung von Scheidungsgesuchen. St. Mary-le-Bow, die Kirche, in der das Gericht unter der Woche tagte, war nur wenige Gehminuten entfernt. Vielleicht hielt der Allmächtige ja doch seine schützende Hand über mich. Wenn ich nun geradewegs zu St. Mary’s ginge …
„Hübsche Dame? Hallo? Ist da jemand zu Hause zwischen diesen reizenden Ohren?“ Leuchtend blaue Strumpfbänder tanzten vor meiner Nase auf und ab. Der wortgewandte Lehrbub hatte es schon wieder auf mich abgesehen. „Liebchen, Ihr hört mir gar nicht zu“, beschwerte er sich mit gespielter Entrüstung. „Kommt, gönnt Eurem Gemahl eine Überrasch…“
„Genau das habe ich vor!“, fiel ich ihm nachdrücklich ins Wort und benutzte meine Ellenbogen, um mich aus der Menge zu drängeln. Eins dieser bedauernswerten Antoniusschweine galoppierte so entschlossen vor mir her, als befände es sich auf einer ähnlichen Mission. Wenigstens machte es mir dadurch den Weg frei.
St. Mary-le-Bow lag nur einen Steinwurf von der Seitenstraße der Bow Lane entfernt, in der ich jetzt wohnte. Das Grab meines Großvaters Richard Lambard befand sich unter dem Mittelschiff der Kirche, deshalb nahm meine Familie dort manchmal am Gottesdienst teil, um für seine Seele zu beten. Meine Brüder pflegten mich damit aufzuziehen, dass es im Kirchturm spuke, und wenn man nur lange genug auf dem Friedhof stehen würde, dann sähe man mit Sicherheit ein Stück Mauerwerk vom Dach fallen – weil der Geist meines Großvaters dort seinen Schabernack triebe.
Zu meiner Erleichterung stand das Portal von St. Mary’s offen. Ich bekreuzigte mich und bat die Jungfrau Maria, mir Kraft zu schenken. Immerhin war die Ehe unserer Muttergottes ebenfalls arrangiert worden, und bestimmt hatte sie anfangs für den heiligen Josef auch nicht viel übriggehabt, erst recht nicht, als er so wütend auf den Erzengel Gabriel gewesen war.
Ich konnte und würde jetzt tun, was ich mir vorgenommen hatte – hineingehen und auf das Evangelium schwören, dass man mich gegen meinen Willen verheiratet hatte und die Ehe nicht vollzogen worden war. Vielleicht bestanden sie darauf, mich von einer Hebamme untersuchen zu lassen, aber dadurch würde zweifelsfrei bewiesen werden, dass ich nicht log. Natürlich musste ich dann zurück in mein Elternhaus ziehen, und ich war keineswegs sicher, dass Vater mich überhaupt wieder bei sich aufnehmen würde, aber eins nach dem anderen. Ich holte tief Luft und raffte meine Röcke. Die Freiheit war nur noch wenige Schritte entfernt.
Aber ich hatte mich wohl zu früh gefreut. Plötzlich versperrte mir eine Hellebarde den Weg; ich hatte den Wachposten gar nicht bemerkt.
„Ich habe dort drinnen etwas zu erledigen, Sir“, verkündete ich in dem Tonfall, in dem meine Mutter sich immer an die Bediensteten wandte. „Es ist äußerst dringend.“
Der Wachposten zeigte mit dem Daumen auf ein an die Kirchentür genageltes Pergament. „Klägerin oder Beklagte, Mistress? Um welche Uhrzeit soll Eure Anhörung stattfinden?“
„Ich … ja … nun …“
Er lehnte die Hellebarde an die Mauer und schüttelte den Kopf. „Die Vorschrift lautet, dass Ihr nicht hineingehen dürft, wenn Ihr nicht auf der heutigen Liste eingetragen seid.“
„Aber ich benötige eine Eheannullierung, Sir. Bis Ende dieser Woche, wenn möglich schon heute.“
„Du meine Güte, junge Frau“, erwiderte er lachend. „Lebt Ihr hinter dem Mond? Wisst Ihr denn nicht, dass es Monate, manchmal auch Jahre dauern kann, bis man zu einer Anhörung vorgelassen wird?“
Monate? Jahre? Meine erste Monatsblutung konnte jetzt jeden Tag einsetzen. „Man wird verstehen, dass die Angelegenheit wirklich dringend ist“, versicherte ich ihm und überlegte, ob ich vielleicht unter seinem Arm hindurchschlüpfen konnte, aber er war nicht dumm.
„Hört mal, Ihr müsst zuerst einen Anwalt finden, der Euren Antrag schriftlich zu Papier bringt. Dann geht das Ganze bis nach Rom, und der Papst muss persönlich davon in Kenntnis gesetzt werden. Seine Heiligkeit entscheidet schließlich, ob Euer Fall eine Anhörung wert ist oder nicht.“
„Aber das ist er! Ach, bitte, lasst mich durch.“
„Wie alt seid Ihr?“
„Fast fünfzehn, Sir.“
„Also vierzehn. Nun, verzeiht mir die Frage, aber schlägt Euch Euer Gemahl, wenn er zu viel Ale getrunken hat?“ Er betrachtete prüfend mein Gesicht, als suchte er nach blauen Flecken. „Ist er unfreundlich zu Euch?“
„Nein, Sir.“ Das wurde langsam peinlich. Als Nächstes würde er mich wohl fragen, ob Shore mir schon beigelegen hätte.
„Weiß Euer Vater, dass Ihr hier seid?“, erkundigte er sich stattdessen.
Das machte mich wütend. „Nein, Sir, das ist meine Angelegenheit. Ich bin sehr wohl imstande, selbst damit fertigzuwerden.“
„Das sehe ich.“ Ich merkte ihm an, dass er sich bemühte, nicht zu lachen. „So, und wer soll dann die Gerichtskosten übernehmen?“ Er nickte zur Tür. „Keiner dieser Aasgeier dort drinnen wird Eure Partei ergreifen, wenn Ihr ihn nicht dafür bezahlt. Sie können ja auch nicht nur von Luft leben. Geschäft ist Geschäft, wisst Ihr.“
Wie naiv von mir. Ich hatte gedacht, es wäre nur eine Sache der Gerechtigkeit. Bestürzt starrte ich auf den Friedhof und unterdrückte mühsam meine Tränen. Ich muss ziemlich verloren gewirkt haben, denn der Wachposten ging vor mir in die Hocke und ergriff meine behandschuhten Hände.
„Lasst Eurer Ehe ein wenig Zeit“, riet er mir und zupfte freundlich an dem blonden Zopf, der unter meiner Haube hervorlugte. „Ein hübsches Mädchen wie Ihr kann seinen Gemahl um den kleinen Finger wickeln, wenn es sich darauf versteht. Jetzt geht nach Hause und bereitet ihm sein Abendbrot zu, ja?“
Jemand räusperte sich ungeduldig hinter mir. Drei Kirchenmänner warteten darauf, passieren zu können. Mein selbsternannter Ratgeber richtete sich abrupt auf und lief rot an.
„Geht nach Hause und vergesst das Ganze, ja?“, murmelte er, nachdem er die drei durchgewinkt hatte.
Vergessen? Der Mann hatte leicht reden. Wenn es mir nicht gelang, meine Fesseln zu durchtrennen, war mein Schicksal besiegelt.
Wie leicht kann uns das Leben aus der Bahn werfen. Wie ein müßiger Junge, der mit dem Fingernagel eine winzige Fliege wegschnippt. Wir sind so zerbrechlich; unser Geschick kann sich so schnell ändern durch einen Streit, ein Lächeln, einen Todesfall – oder eine Heirat.
Ich wurde vor zwei Jahren mit William Shore verheiratet. Damals war ich zwölf. Als er begann, mir den Hof zu machen, war er sechsundzwanzig und bereits ein Freeman der Stoffhändlergilde, das heißt, er durfte in London Handel treiben. Mein Vater betrachtete ihn als ehrlichen Mann mit guten Zukunftsaussichten.
Sobald ich dreizehn geworden war, zog ich bei ihm ein. Er war freundlich zu mir, doch wann immer er zur Tür hereinkam, schien er eine Lustlosigkeit und Schwere mitzubringen, die sich wie Staub auf mein fröhliches Geplapper legten. So ist es immer noch. Ich habe keine Ahnung, wie ich ihn in ein Gespräch verwickeln könnte, außer mich pflichtschuldig nach seinen Geschäften zu erkundigen, und darüber will er meistens nicht reden. Auch möchte er nicht, dass ich für ihn musiziere oder ihm etwas vorlese – höchstens hin und wieder aus der Heiligen Schrift.
Er ist langweilig, langweilig, langweilig. Ich meine nicht langweilig wie ein dummer Mensch, sondern eher abgestumpft wie eine alte Münze, die man an der Stadtmauer ausgegraben hat. Eine andere Braut hätte vielleicht die Erde abgerieben und die Münze wieder zum Glänzen gebracht, aber ich habe dieses Bedürfnis nicht, und allein der Gedanke, dass er mir meine Jungfräulichkeit nimmt, lässt mich erschaudern. Shore mag sich so, wie er ist; mich will er zu einer Münze prägen, die ihm gefällt. Aber ich bin kein Mädchen, das immer nur „Ja, Sir, wie Ihr wünscht, Sir“ sagen will.
Er wollte mich, weil ich hübsch war und eine Lambard. Und er machte bei seiner Werbung so ziemlich alles falsch. Er und John Agard, sein Schwager aus Derbyshire, begutachteten mich schon, bevor ich sie überhaupt kennengelernt hatte. Damit meine ich nicht, dass sie während einer Predigt in St. Paul’s Yard zu mir herüberstarrten. Nein, sie begutachteten mich im wahrsten Sinne des Wortes. Eines Morgens im Januar wachte ich auf und stellte fest, dass mein Nachthemd hochgeschoben und die Bettdecke zurückgeschlagen worden war. Es ist nicht unüblich, dass Eltern einem zukünftigen Ehemann erlauben, die Tochter nackt zu sehen, aber es ist trotzdem erniedrigend.
Danach kam das Geschäft schnell zum Abschluss. Sowohl Shore als auch mein Vater hatten es eilig, den Vertrag per Handschlag zu besiegeln. Shore ging davon aus, dass er einen nützlichen Förderer gewonnen hatte, denn mein Vater, John Lambard, ist nicht nur ein vermögender Kaufmann mit viel Einfluss in der Stoffhändlergilde, sondern außerdem Ratsherr der Region Farringdon, zu der die St.-Paul’s-Kathedrale und die reichen Abteien der Franziskaner und Dominikaner gehören. Darüber hinaus war er in jenem Jahr Sheriff von London, also der zweitwichtigste Mann gleich nach dem Lord Mayor, dem Oberbürgermeister der Stadt. Meine Mutter Amy ist die Tochter von Robert Marshall, einem angesehenen Kaufmann der Gold- und Gewürzhändlergilde.
Was Shore nicht wusste, als er um meine Hand anhielt: Vater hatte dem Duke of York eine große Summe für dessen Machtkampf gegen Königin Margarete geliehen. Folglich bekam er Todesangst, als uns die Nachricht erreichte, dass Ihre Hoheit soeben den Kopf des Duke neben einem Torhaus in York auf einen Pfahl hatte spießen lassen und ihre Armee auf London zumarschierte. Wenn die Königin herausfand, welcher Ratsherr Geld für die Sache des Duke zur Verfügung gestellt hatte, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie horrende Strafzahlungen einfordern würde. Wenn sie den Schuldigen nicht gleich auf grausamste Art hinrichten ließ, durch Hängen, Ausweiden und Vierteilen, so, wie es für Hochverräter vorgesehen war.
Vater hatte es also eilig, uns Kinder versorgt zu wissen, ehe alle seine Besitztümer eingezogen wurden. Er besorgte Lehrstellen für Robert und Jack, meine beiden älteren Brüder. Mein jüngerer Bruder Will war bereits der Kirche versprochen. Ich war die einzige Tochter, und Vater befürchtete, dass ich in Anbetracht der Umstände keinen Gemahl mehr abbekommen würde, wenn er nicht auf der Stelle einen für mich fand.
Glaubt nicht, ich hätte nicht dagegen protestiert. Ich wollte auch in die Lehre gehen, wie meine beiden Brüder. Ich wollte die erste Frau in der Ratsversammlung werden, meinen Namen in der Großen Chronik von London stehen sehen, vielleicht sogar der erste weibliche Lord Mayor werden, doch niemand hörte auf mich, und die Rute, die über meine Schultern gezogen wurde, war ein schmerzhaftes Gegenargument.
Nun, mein Vater wurde nicht auf dem Tower Hill in Stücke gerissen. Der Sohn des Duke of York, der schöne Edward, bestieg den Thron, schickte Königin Margarete ins Exil und ließ den verrückten alten König Heinrich in den Londoner Tower werfen. (Und brachte dann alle gegen sich auf, indem er die Tochter eines Verwalters heiratete.) Vaters Geschäfte florieren wie eh und je. Zwar ist er enttäuscht, dass er nicht zum Ritter geschlagen wurde, aber immerhin: Er führt sein Leben als hoch angesehener Ratsherr, während ich in einer lieblosen Ehe gefangen bin.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es eine Möglichkeit gibt, die Ketten des Ehejochs zu sprengen, auch für eine Frau. Ich werde nicht aufgeben. Auf keinen Fall. Niemals.
Geliebte
1. KAPITEL
Bow Lane, London, 1475
Wie leicht kann uns das Leben aus der Bahn werfen. Wie ein müßiger Junge, der mit dem Fingernagel eine winzige Fliege wegschnippt. Wir sind so zerbrechlich; unser Geschick kann sich so schnell ändern durch eine Heirat, einen Todesfall, einen Streit oder ein Lächeln. Ich warte schon lange darauf, dass das Leben wieder einmal seinen Finger ausstreckt.
Ich bin mittlerweile fünfundzwanzig, müsst ihr wissen, und trotz all meiner Bemühungen, mich zu befreien, immer noch an William Shore gebunden. Bisweilen habe ich an Mord und Ehebruch gedacht, aber beidem widerstanden – trotz größter Versuchung, ersteren zu begehen, und mangels ausreichender Verlockung, an letzterem Vergnügen zu finden.
Mein Kopf sehnt sich nach Herausforderung. Als mein Vater noch Sheriff von London war, verkehrten bei uns zu Hause ständig angesehene und belesene Männer, und die Gespräche bei Tisch drehten sich um Könige und Herzöge, Schlachten und Parlamente, Gesetze und Urteile, Handel und Strategien. Ich erfuhr, was im Rat vor sich ging, hörte vom Gerangel um Beförderungen, vom Geben und Nehmen zwischen den Stadtvätern und dem König. Ich vermisse diesen geistreichen Diskurs. Wenn Shore andere Zunftmitglieder zu uns zum Essen einlädt, sind solche Themen den Männern vorbehalten; wir Gemahlinnen werden in den Salon verbannt. Ich will nicht respektlos sein, aber diese Frauen sprechen fast nur von ihren Kindern. Und ich habe keine. Oh, glaubt mir, wer mich ansieht, wird keinerlei Unzufriedenheit entdecken. Ich bin wie ein Baum, um dessen Herz sich Jahresring um Jahresring legt und der geduldig auf den Holzfäller wartet.
Doch es gibt einen Silberstreif am Horizont. Shore ist impotent geworden und hat endlich zugestimmt, nicht länger das Bett mit mir zu teilen. Auch verfüge ich jetzt über etwas eigenes Geld, denn er hat mir widerstrebend erlaubt, ein Atelier mit Seidenweberinnen einzurichten. Nun kann ich sparen, bis ich einen aufrichtigen Anwalt finde, der meinen Fall Seiner Heiligkeit in Rom unterbreitet. Es besteht also durchaus Hoffnung.
Von diesen optimistischen Gedanken beflügelt, stieg ich hinter der Theke in Shores Laden auf eine Trittleiter. Ich genoss das Alleinsein und freute ich mich darauf, die mit Juwelen besetzten Gürtel auszulegen, die meine Seidenweberinnen am Vortag fertiggestellt hatten. Draußen reinigte gerade ein heftiger Aprilschauer die Straße; es würden also keine Kunden kommen, bis die Sonne wieder ihr Antlitz zeigte, daher konnte ich mir Zeit lassen.
Hinter der Theke drapierte ich vier Bahnen Stoff so, dass sie vom obersten Regal herabhingen. Den rubinroten Samt und den blauschwarzen, mit Silberfäden durchwirkten Brokat hatte ich mir aus dem Geschäft meiner Familie in der Silver Street ausgeliehen. Die beiden anderen waren braun und rostrot, eben die weniger teuren Stoffe, die mein Gemahl verkaufte.
Den teuersten Gürtel hatte ich bereits um den Brokat geschlungen, die Taille einer adeligen Dame nachahmend. Er war so wunderschön – ein schmaler, silbern schimmernder Streifen Samit, bestickt mit winzigen Perlen und jeweils drei größeren, tropfenförmigen Perlen an den Enden. Verglichen mit diesem Prachtstück war der nächste Gürtel nur ein schlichtes Seidenband, aber sein leuchtendes Blau wertete den braunen Stoff dahinter auf, so wie der azurfarben aufblitzende Streifen das Gefieder einer Stockente adelt.
Ich war derart in meine Arbeit vertieft, dass ich beinahe von der Trittleiter gefallen wäre, als plötzlich jemand hinter mir hustete. Auf der anderen Seite der Theke stand ein vornehm gekleideter Mann, der den Anblick meiner Knöchel zu genießen schien. Können Knöchel erröten?
„Ich bitte um Verzeihung, Sir“, entfuhr es mir überrascht. „Ich habe die Ladenglocke nicht gehört.“
„Ich habe sie auch nicht geläutet.“ Seine Stimme war einfach wundervoll. Und bei seinem Lächeln wurde mir ganz anders. Es war nicht lüstern, eher so, als teilten wir ein amüsantes Geheimnis, das den Rest der Welt nichts anging.
Ich stieg so anmutig, wie ich konnte, von der Leiter und strich glättend über meinen zimtfarbenen Rock. Am liebsten hätte ich den Mann einfach nur angestarrt, stattdessen versuchte ich, eine zurückhaltende Miene aufzusetzen. Ich wusste, dass Shore einige Adelige mit Stoffen für ihren Haushalt belieferte, aber diese Männer kamen niemals in den Laden.
Eine Brosche aus Perlen und Peridots zierte den schwarzen Samthut des Fremden, dazu trug er einen vornehmen rostroten Reitumhang, der lose um seinen Hals zusammengebunden war. Regentropfen fielen zu Boden, als er den Umhang abnahm und ihn über das Ende der Theke legte. Fasziniert stellte ich fest, dass der Samt seines schieferblauen Wamses an den Schultern eingedrückt war. Dies war ein Mann, der normalerweise einen schweren Amtskragen trug.
Ich knickste tief. „Wie kann ich Euch behilflich sein, Mylord?“
Er hatte nichts gegen die Anrede einzuwenden. Wieder dieses Lächeln. „Sir Edward Brampton hat Eure seidenen Gürtel empfohlen“, murmelte er und betrachtete den Samtgürtel mit den Perlen. „Ich möchte einen für meine Stieftochter kaufen. Sie ist fast sechzehn und wird bald heiraten.“
Nun, ich wünschte ihr viel Glück in der Ehe, aber noch mehr wünschte ich mir, an ihrer Stelle zu sein und die Gesellschaft dieses Mannes täglich genießen zu können. „Darf ich Euch etwas zeigen, das vielleicht eher zu ihrem jugendlichen Alter passt, Mylord?“ Ich holte ein halbes Dutzend Gürtel hervor und breitete sie vor ihm auf der Theke aus.
Er fragte nicht nach den Preisen, wie es wohl die meisten anderen getan hätten. Stattdessen schien er sich aufrichtig für die Kunstfertigkeit und Schönheit der Gürtel zu interessieren. Er zog seine Handschuhe aus und legte sie neben seinen Umhang. Ich musterte neugierig seine Hände.
Lass dich nicht vom äußeren Schein täuschen, rät mein Vater jedem neuen Lehrling. Achte auf die Fingernägel eines Mannes, wenn er die Handschuhe auszieht, um den Stoff zu prüfen. Sieh nach, ob seine Nägel sauber und glatt gefeilt sind. Ein Galgenstrick kann sich wie ein Lord kleiden, aber seine Hände werden die Wahrheit verraten.
Die Nägel dieses Mannes waren saubere, polierte Halbmonde und seine Hände hätten jeden Bildhauer begeistert, denn sie waren kräftig und schlank zugleich und offenbar niemals der Sonne ausgesetzt. Seinen Ringfinger zierte ein flacher Brillant. Es war einer der größten Edelsteine, die ich je gesehen hatte.
Zusammen beugten wir uns über die Ware und unsere Köpfe berührten sich beinahe. Ich konnte das frisch würzige Duftwasser wahrnehmen, das dieser Mann verwendete, und, ach, es betörte meine Sinne. Ich betete insgeheim, dass jetzt kein anderer Kunde den Laden betreten würde.
„Ihr verkauft keine teuren Stoffe, Mistress“, stellte er fest und betrachtete die Stoffballen an den Wänden. „Wer liefert denn das Geschmeide für diese Gürtel?“
„Der Goldschmied, Ratsherr Edmund Shaa. Er hat auch das Atelier für meine Seidenweberinnen zur Verfügung gestellt.“ Damit meine Geschäftsbeziehung zu dem Mann nicht falsch ausgelegt werden konnte, fügte ich rasch hinzu: „Er ist ein guter Freund, Mylord, und das Ganze ist eine neue Geschäftsidee von mir. Ich hoffe, sie wird von Erfolg gekrönt.“
„Da bin ich mir sicher“, erwiderte er zuvorkommend. „Ich kenne Master Shaa sehr gut. Er muss Euch hoch schätzen.“
Ich errötete, ehrlich erfreut über seine Bemerkung. Ich hätte ihn zu gern gefragt, wer er war, aber das verbat mir die Höflichkeit.
Inzwischen hatte er nur noch drei Gürtel in der engeren Wahl. Er ließ sich Zeit mit seiner Entscheidung. „Verzeiht mir meine Impertinenz, Mistress“, sagte er und sah auf die vorwitzigen blonden Strähnen, die sich unter meiner Haube hervorgewagt hatten. „Meine Stieftochter hat eine ähnliche Haarfarbe wie Ihr, und sie trägt auch oft so ein Blau wie das dort.“ Er gestikulierte vor seiner Brust, als wolle er sich bekreuzigen. Ich blickte auf das leuchtend blaue Schicklichkeitstüchlein in meinem Ausschnitt hinab, und mir wurde heiß.
Er nahm einen der Gürtel und hielt ihn mir hin. „Es würde mir helfen, wenn Ihr so gut wärt und Euch die Gürtel abwechselnd vorhalten könntet.“
Ich tat ihm den Gefallen und hielt jeden der hübschen Gürtel vor das blaue Samttuch, das meinen Ausschnitt verdeckte.
Als ich später an diese Begegnung zurückdachte, wurde mir klar, dass er dadurch reichlich Gelegenheit hatte, mir auf den Busen zu starren, und doch kam es mir zu dem Zeitpunkt nicht sündig vor. Falls er an mehr interessiert war als nur an dem Gürtel, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.
„Ich nehme diesen!“, erklärte er schließlich. Es war ein teurer Gürtel – honigfarbene, mit Goldfäden durchschossene Seide, eingefasst mit Taft und bestickt mit winzigen Muschelschalen, in deren Mitte je eine kleine Perle ruhte. Stränge mit kleinen klirrenden Muscheln beschwerten die Enden, so dass sie anmutig herunterhängen würden. Ein lebhaftes junges Mädchen fände diesen Gürtel gewiss bezaubernd frivol.
„Eine treffliche Wahl. Ich denke, Eure Stieftochter wird sehr erfreut sein“, erwiderte ich aufrichtig, während ich einen schimmernden Stoffbeutel mit Kordel hervorholte, um seinen Einkauf darin zu verstauen. Er beobachtete, wie ich den Gürtel aufrollte und vorsichtig in ein kleines Nest aus Kaninchenfell bettete, ehe ich ihn in den Beutel schob. „Übrigens, Mylord, bei Lambards in der Silver Street ist erst diese Woche eine Lieferung Seide aus Toulouse eingetroffen, die Eurer Stieftochter gefallen könnte, falls ihre Hochzeitstruhe noch nicht ganz gefüllt ist. Ein helles Blau, bestickt mit weißen Blüten im Mille-Fleurs-Stil. Die Farben der Seide aus Toulouse sind sehr beständig, die Qualität ist ausgezeichnet.“
„Bei Lambards, sagtet Ihr?“ Er wirkte leicht belustigt.
„Ja, Mylord.“ Ich verriet ihm nicht, dass John Lambard mein Vater war. „Und wenn Ihr diesen Laden aufsucht, erwähnt doch bitte, dass Ihr vorher hier gewesen seid.“
„Ich danke Euch.“ Seine Dankbarkeit schien aufrichtig, doch dann neckte er mich. „Ehe Ihr mir nun weitere erbauliche Möglichkeiten nennt, wo ich mein Geld loswerden kann, sollten wir erst einmal diesen Kauf abschließen.“
Verflixt, das hatte ich ganz vergessen. Verwirrt legte ich die Fingerspitzen an die Lippen. Der Gürtel war erst am vergangenen Abend fertig geworden, und ich hatte noch gar keinen Preis dafür festgelegt. Ich weiß, das hört sich an, als verstünde ich mich nicht aufs Verkaufen, aber die Wahrheit ist – dieser Mann hatte mich völlig durcheinandergebracht, so ergötzlich fand ich seine Gesellschaft. Als hätte er mein Dilemma gespürt, kam mir mein gut aussehender Kunde zu Hilfe.
„Wie ich sehe, habt Ihr auch rotbraunes Nesseltuch auf Lager. Mein Verwalter kann Euch morgen aufsuchen und mit Eurem Herrn darüber verhandeln.“ Seine Worte trafen einen empfindlichen Nerv bei mir.
„Es gibt keinen Herrn“, gab ich rasch zurück und hob leicht das Kinn an. Ich fand selbst, dass ich mich töricht benahm. „Verzeihung, Mylord, mein Gemahl ist der Besitzer dieses Ladens, aber das Geschäft mit den Gürteln ist allein meins. Dieser hier kostet sechs Schillinge.“
Er nahm die Münzen aus seinem Ledergeldbeutel. „Und Ihr seid Mistress …?“
„Shore, Mylord.“
„Dann wünsche ich Euch jetzt einen guten Morgen, Mistress Shore.“
Ich besann mich auf meine Pflichten und eilte zur Tür, um sie ihm aufzuhalten. Unter dem Vordach des Ladens warteten zwei Männer in Livree. Sie legten ihrem Herrn den Umhang um und traten dann einen Schritt zurück. Sein Stallbursche führte ihm einen herrlichen Fuchshengst zu, aber mein vornehmer Besucher war nicht in Eile. Er sah nachdenklich in den Regen hinaus und drehte sich wieder zu mir um.
„Vielleicht komme ich morgen selbst vorbei wegen des Tuchs, Mistress Shore. Um welche Uhrzeit dürfte ich mit Eurem Gemahl sprechen?“
„Mylord“, stammelte ich, „bitte, Ihr nennt mir eine Uhrzeit, die Euch genehm ist, und er wird Euch zur Verfügung stehen.“
„Sagen wir also, morgen Mittag um eins?“
„Wie Ihr wünscht.“ Ich knickste und legte mir ehrerbietig die Hand aufs Herz. „Und bitte, Mylord, welchen Namen darf ich meinem Gemahl nennen?“
„Hastings.“
Es verschlug mir die Sprache. Der Haushofmeister des Königs, Lord Lieutenant von Calais und Münzmeister der Krone! Vor Schreck brachte ich keinen Ton hervor und versank in einen noch tieferen Knicks. Als er sich zum Gehen wandte, schloss ich die Tür hinter ihm, stieß einen Jauchzer aus, raffte meine Röcke und tanzte singend durch den Laden, als hätte ich den sprichwörtlichen Topf Gold am Ende des Regenbogens gefunden.
Jemand räusperte sich hinter mir.
Großer Gott! Er stand wieder im Laden. Schlimmer noch, er hatte mich herumspringen sehen wie eine ausgelassene Fünfjährige. Ich muss ein ziemlich kleinlautes Gesicht gemacht haben, denn er begann schallend zu lachen.
„Ich … ich tanze gern“, erklärte ich und ordnete meine Röcke.
„Und tanzt Master Shore mit Euch?“
Ich schüttelte den Kopf.
Er blickte nach unten und glättete seinen rechten Handschuh; selbst diese Geste wirkte bei ihm anmutig und geschmeidig. „Verzeiht mir meine Neugier, aber will Master Shore nicht tanzen, oder kann er es nicht?“ Er hob langsam den Blick. Sein Gesichtsausdruck war in keiner Weise unschicklich, und doch …
„Mein Gemahl kann nicht tanzen, Mylord.“
„Das ist schade. Aber ich habe den eigentlichen Grund meiner Rückkehr vergessen. Morgen gegen eins habe ich bereits andere geschäftliche Verpflichtungen, richtet daher Eurem Gemahl aus, ich käme schon um zehn. Es war mir eine Freude, mit Euch zu plaudern, Mistress Shore.“
Du lieber Himmel! In dieser Nacht würde ich bestimmt keinen Schlaf finden. Lord Hastings’ Anwesenheit begleitete mich wie ein Tupfer Duftwasser auf meinem Handgelenk. Jedes einzelne Wort, das er gesagt hatte, ließ ich in meiner Erinnerung neu aufleben und betrachtete es mit der Faszination eines Sammlers.
Ich summte vor mich hin, als Shore eine Stunde später in den Laden zurückkehrte. Selbst er konnte spüren, dass sich etwas verändert hatte. Ich muss irgendwie lebendiger gewirkt haben.
„Ich habe gute Neuigkeiten für Euch“, verkündete ich triumphierend. „Ihr habt einen wichtigen Kunden verpasst, keinen Geringeren als den Haushofmeister des Königs.“
„Lord Hastings?“ Shore traf beinahe der Schlag. Die Enttäuschung, den edlen Herrn verpasst zu haben, war ihm deutlich anzusehen.
„Ich hoffe, Howe hat ihn anständig behandelt?“ Sein starker Derbyshire-Dialekt trat stets stärker zutage, wenn er aufgeregt war.
„Nein, ich habe ihn selbst bedient“, erwiderte ich stolz. „Er hat einen Damengürtel gekauft und kommt morgen um zehn wieder, um mit Euch über Nesseltuch …“
„Ihr?“ Er fiel mir mit solchem Widerwillen ins Wort, dass ich zurückwich. „Grundgütiger! Ihr törichtes Weib, warum habt Ihr nicht Howe herbeigerufen?“
Howe war unser ältester Lehrjunge, aber ich war genauso tüchtig. „Weil er gerade wegen der Filzbestellung in Blackfriars war, erinnert Ihr Euch? Was hätte ich denn tun sollen, Sir? Lord Hastings die Tür vor der Nase zuschlagen?“
„Nicht in diesem Ton“, ermahnte mich Shore. „Es ist nur so, dass ich gerade einen Großauftrag von Lord Rivers’ Verwalter habe, und wenn sich herumspricht, dass ich auch mit Lord Hastings im Geschäft bin, zieht er den Auftrag vielleicht zurück. Einem aus der Gilde ist das schon einmal passiert.“
„Ich wünschte, Ihr hättet mir das vorher gesagt“, antwortete ich resigniert. Nicht, dass das irgendwas geändert hätte.
„Lord Rivers – der Bruder der Königin – und Lord Hastings sind zerstritten, weil sie sich nicht darüber einigen konnten, wer von beiden in Calais regieren soll. Wenn Ihr also mit einem der beiden ins Geschäft kommt, will der andere nichts mehr von Euch wissen.“
„Das ist doch lächerlich“, gab ich zurück. „König Edward muss es anstrengend finden, sich mit solchen Streitereien herumzuplagen.“
„Wahrscheinlich. Das ist vermutlich einer der Gründe, warum der König Lord Rivers nach Ludlow geschickt hat, wo er sich um den Prince of Wales kümmern soll. Wie dem auch sei, Ihr hättet mich sofort holen lassen müssen.“
„Aber Ihr werdet Lord Hastings’ Auftrag doch sicher nicht ablehnen, oder?“
„Das entscheide ich morgen.“ Shore sah mich eigenartig an. „Warum habt Ihr mich nicht holen lassen, Elizabeth?“
„Ich wusste nicht genau, wo Ihr wart, Sir“, erwiderte ich, obwohl ich mir sicher war, dass er sein Glück zwei Straßen weiter bei der Näherin mit den Zahnlücken versucht hatte. „Aber in Zukunft werde ich Euch gehorchen. Wenn das nächste Mal Ihre Majestät, die Königin, bei uns anklopft, werde ich mich hinter der Ladentheke verstecken und so tun, als hätten wir geschlossen.“
„Ja, tut das“, knurrte er.
Während des Essens an jenem Abend sprach er kein Wort, bis wir fertig waren. „Lord Hastings ist ein bedeutender Herr, Gemahlin. Ihr hättet ihm sagen müssen, dass ich ihm im Palast meine Aufwartung machen würde.“
„Er hat von sich aus angeboten, morgen wiederzukommen. Wenn er ein so ‚bedeutender Herr‘ ist, kann er wohl tun, was ihm beliebt. Und ihm beliebte es nun einmal, uns morgen wieder aufzusuchen. Habt Ihr Euch schon entschieden? Werdet Ihr mit ihm ins Geschäft kommen?“
Er stellte seinen Humpen Ale ab und verzog das Gesicht. „Das hängt davon ab, ob er mir ein akzeptables Angebot macht. Ich hoffe, Ihr habt einen guten Preis für den Gürtel verlangt?“
„Ich denke schon. Er war für seine Stieftochter.“
„Ach ja, die kleine Bonville. Eine überaus erstrebenswerte Partie.“
„Nun, er hat sich große Mühe gegeben, den Gürtel für sie auszusuchen, und er war sehr freundlich, gar nicht hochnäsig. Ihr hättet die Kleidung sehen müssen, die er trug.“ Immer noch staunend schüttelte ich den Kopf. „Ich habe ihm geraten, zu Vater zu gehen und sich dort die neue Lieferung anzusehen.“
Missbilligend runzelte er die Stirn. „Großer Gott! Wart Ihr etwa so anmaßend, einem bedeutenden Mann wie ihm Anweisungen zu geben?“
„Aber er hatte gar nichts dagegen!“
Shores Augen verengten sich. „Vielleicht waren es nicht nur die Gürtel, die ihn interessiert haben.“
Das Gespräch verlief allmählich in eine riskante Richtung. Es war nicht leicht gewesen, Shores Erlaubnis zu erhalten, ein paar Seidenweberinnen einzustellen und mir selbst etwas Geld zu verdienen. Ich ballte unter dem Tisch die Fäuste. „Was wollt Ihr damit sagen?“
Er schnaubte und erhob sich von der Sitzbank. „Ist Euch noch nicht aufgefallen, dass mehr Männer bei uns kaufen, wenn Ihr im Laden seid?“
Was für eine absurde Logik! Wie sollte ich einen Unterschied bemerken können, wenn ich nicht im Laden war? „Mir gefällt Eure Andeutung nicht, Sir“, sagte ich und sah ihn an. „Außerdem ergibt das, was Ihr sagt, gar keinen Sinn. Woher sollen die Männer denn schon vor dem Betreten des Ladens wissen, ob ich da bin oder nicht?“
Er musterte mich so vorwurfsvoll, als hätte ich ein unzüchtiges Kleid an. „Weil ich sehe, wie sie beim Vorübergehen verstohlen durch die Tür spähen. Oder sie kommen herein, täuschen Interesse an irgendetwas vor und gehen dann wieder, wenn Ihr nicht da seid. Bei Gott, und wenn Ihr im Laden seid, dann trödeln sie herum wie schnüffelnde Hunde. Nur die Männer, wie ich festgestellt habe, nicht die Frauen.“
„Und ich stelle fest, dass Ihr eine blühende Fantasie habt“, murmelte ich und stellte die Teller zusammen, damit unser Hausmädchen sie abräumen konnte.
Er packte mich an der Schulter. „Nennt Ihr mich einen Lügner, Gemahlin?“, grollte er. „Warum habe ich mich wohl all die Jahre dagegen gesträubt, dass Ihr auch mit im Laden seid?“
Ich schüttelte seine Hand ab und erhob mich. Ich wusste ganz genau, warum er mich nicht früher in den Laden gelassen hatte, aber ich sagte: „Nun, ich dachte immer, damit die Leute nicht glaubten, Ihr wärt zu arm, um genügend Lehrjungen einzustellen. Wenn ich gut fürs Geschäft bin, weil die Leute meine angenehme Art mögen, Sir, dann solltet Ihr eigentlich zufrieden sein! Ich bin nicht wie meine Freundin Alys Rawson, die ihr Aussehen dazu benutzt, Männer in herumscharwenzelnde Schoßhündchen zu verwandeln.“
Er machte ein so zerknirschtes Gesicht, dass ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, ihn noch mehr zu quälen. „Liebe Güte, Shore, Ihr befürchtet doch nicht ernsthaft, ich könnte Euch zum Hahnrei machen? Was sollte Lord Hastings denn mit einem so niederen Geschöpf wie mir anfangen wollen?“ Ich schenkte ihm noch etwas Ale ein. „Wie dem auch sei, wir wollen nicht streiten, sondern lieber unser Glück feiern. Wenn Ihr es geschickt anstellt und an beide Herren verkauft, könnt Ihr viel Geld verdienen.“
Doch Shores Eifersucht war geweckt. Am nächsten Morgen verschickte der gerissene Kerl Einladungen an die Gemahlinnen seiner Freunde. Sie sollten mir um viertel vor zehn ihre Aufwartung machen. Ich würde also, wenn Lord Hastings dann erschien, oben sitzen und nett mit den Besucherinnen plaudern müssen, statt nach unten in den Laden zu gehen. Ach, dieses Misstrauen machte mich wütend!
An jenem Morgen kam es zu keinem Geschäft mit Lord Hastings, aber später stellte ich fest, dass er seine Handschuhe liegen gelassen hatte; nicht mitten auf der Ladentheke neben dem Maßband, sondern ganz am Ende, zwischen einem Korb mit Stoffresten und der Wand.
Was sollte ich tun? Einen Lehrjungen nach Westminster oder zu Lord Hastings nach Hause schicken? Shore Bescheid sagen? Lord Hastings die Handschuhe selbst bringen? Hatte er sie absichtlich liegen gelassen? Ach, wie eitel von mir, so etwas überhaupt zu denken. Dieser bedeutende Mann würde zweifellos einen Bediensteten schicken, um die Handschuhe abzuholen. Dennoch stand ich da, hielt sie in der Hand und wagte zu träumen.
2. KAPITEL
Ein paar Tage später begegnete ich Lord Hastings erneut. Er forderte meinen Vater auf, ein paar Seiden- und Gazemuster nach Beaumont’s Inn zu bringen, seinem Londoner Haus. Die entsprechende Nachricht lautete: Da die Stoffe für Mylords Stieftochter bestimmt sind und Mistress Shore ihr sehr ähnlich sieht, möchte Master Lambard seine Tochter bitten, ihn zu begleiten! Also hatte Lord Hastings die familiäre Verbindung herausgefunden. Ich fühlte mich sehr geschmeichelt. Natürlich hätte Shore Ärger gemacht, wenn er davon gewusst hätte, aber er war nach Suffolk gereist, um eine Schiffsladung entgegenzunehmen. Sie stammte aus einer Manufaktur in Bergen-ap-Zoom auf der anderen Seite des Ärmelkanals, an der er Teilhaber war.
Ich war schon in den Häusern reicher Kaufleute gewesen, aber noch nie bei einem vornehmen Adeligen. Beaumont’s Inn mit seinen beiden Giebeln und den drei Stockwerken wirkte sehr bescheiden auf mich. Es lag am südöstlichen Ende der Thames Street, in der Nähe vom Paul’s Wharf und in unmittelbarer Nachbarschaft zu Baynard’s Castle, wo König Edwards Mutter, die Duchess of York, residierte. Nur ein Gartenstreifen und eine kleine Straße trennten die beiden Anwesen.
Vater und ich wurden in eine Eingangshalle mit hohen Fenstern geführt, die Ausblick auf den River Fleet gewährten. Zwei riesige Wandteppiche schmückten die gegenüberliegende Wand. Ich habe nicht viel Ahnung von Stickerei, aber mit Farbstoffen kenne ich mich aus. Indigo, Färberwaid und Krapp herrschten vor, und ich hätte wetten mögen, dass diese Wandteppiche in Anjou hergestellt worden waren und als Teil von Königin Margaretes Mitgift nach England kamen, damals, als sie König Heinrich geheiratet hatte. Auch der goldene Salzstreuer auf dem Ehrentisch konnte sehr wohl aus Margaretes Besitz stammen, denn er war wie ein Schwan geformt, und das war eines ihrer Embleme.
Der Mann, der das Privileg genossen hatte, diese Schätze zu übernehmen, unterhielt sich gerade mit zwei Mitgliedern der Schneidergilde. Die drei Männer beugten sich über Zeichnungen, die auf dem Ehrentisch ausgebreitet waren. Als man uns ankündigte, entließ Lord Hastings die Männer und kam auf uns zu, um uns zu begrüßen.
Oh ja, ich bin mit Leib und Seele die Tochter eines Tuchhändlers! Wie schön kann ein gut angezogener Mann sein. Lord Hastings hatte einen exzellenten Geschmack. Er verstand eindeutig etwas von Farben, und sein langer Hausmantel aus tiefblauem Samt war an den Schultern kunstvoll gearbeitet. Von den wattierten Ärmeln hing edler vergoldeter Brokat herab, und seine spitz zulaufenden Hausschuhe waren aus dunkelblauem Leder, auf das mit weißen und violetten Fäden sein Wappen gestickt war.
„Ach, ich sehe, Ihr habt meine Handschuhe mitgebracht, Mistress Shore.“ Mein Herz schlug schneller bei dieser an sich so banalen Bemerkung. „Bringt die Muster bitte zum Fenster, Master Lambard.“
Während er mit seinem Verwalter die Tuchmuster durchsah, erkannte ich im hellen Sonnenlicht, dass er wesentlich älter war, als ich anfangs gedacht hatte. In seine Stirn fiel dichtes hellblondes Haar, neben seiner linken Augenbraue zeichnete sich eine blasse Narbe ab, und eine tiefe senkrechte Falte teilte seine Stirn über der Nase. Die feinen Linien um Augen und Mund deuteten auf ein freundliches, großzügiges Naturell hin.
„Eure Tochter hat einen ähnlichen Teint wie meine Stieftochter“, sagte er und sah sich nach Vater um. „Es wäre mir eine Freude, wenn sie ihre Haube abnehmen könnte.“
„Selbstverständlich, Mylord“, stimmte mein Vater zu, in Gedanken ganz beim Geschäftlichen.
Was blieb mir anderes übrig? Ich nahm die Kegelhaube aus Samt und Steifleinen ab, die meinen um den Kopf gewundenen Zopf verbarg, und überließ sie dem Verwalter.
„Da Lady Cecily, meine Stieftochter, noch nicht verheiratet ist, trägt sie das Haar offen. Würdet Ihr mir den Gefallen tun, Mistress Shore?“
Ohne den Blick von Lord Hastings’ Gesicht zu wenden, hob ich die Arme und zog die Haarnadeln eine nach der anderen heraus, bis mir mein blonder Zopf auf den Rücken fiel. Lord Hastings’ Bitte hatte etwas betörend Sündhaftes an sich. Schließlich bekam nur ein Gemahl oder ein Liebhaber das Haar einer verheirateten Frau zu sehen.
„Löst den Zopf!“, verlangte er, während sein Blick zunächst auf meinem Haar ruhte und schließlich auf meinen Lippen.
Gehorsam zog ich den Zopf über meine linke Schulter nach vorn und entflocht ihn langsam, dann schüttelte ich den Kopf und ließ das offene Haar wie einen Umhang über meine Schultern fallen.
„Ihr habt schönes Haar, Mistress Shore.“
Das hatte er auch. Am liebsten hätte ich meine Finger darin vergraben und ihn zu mir gezogen. Ich hatte nie erfahren dürfen, wie leidenschaftlich Küsse sein konnten, doch dieser Mann, da war ich mir ganz sicher, würde sich auf die Kunst des Küssens verstehen, auf das zarte Fordern, auf die petite mesure parfaite.
Meinem Vater, der noch mit sich rang, welchen Brokat er zuerst anbieten sollte, entging der vielsagende Blickwechsel, aber dafür wusste er genau, welche Empfehlung er bezüglich der Stoffe zu geben hatte. Sein Rat erfolgte geschwind und bestimmt. Lord Hastings überließ die weiteren Verhandlungen seinem Verwalter Hyrst und führte mich auf das Podest, auf dem der Ehrentisch stand.
„Sagt mir, was Ihr von denen haltet.“
„Sind das Entwürfe für einen Wandteppich, Mylord?“, fragte ich und nahm das nächstliegende Papier zur Hand – eine Kohlezeichnung von einem Mann mit Helm, Visier, Brustpanzer, Lederrock und Beinschienen.
„Nein, für ein Theaterstück am Hof. Die Belagerung von Troja. Leider werde ich wohl kaum die Zeit haben, es noch dieses Jahr aufzuführen. Hier, das ist die schöne Helena.“
Die Zeichnung zeigte ein Geschöpf mit einer langhaarigen, gelben Perücke und einem wallenden weißen Gewand. Metallkegel schützten die üppigen Brüste, Metallschienen die umfangreichen Oberschenkel. Die Figur sah aus wie ein Fischweib in der Rolle von Jeanne d’Arc.
„Warum lächelt Ihr, Mistress Shore?“
„Vergebt mir, Mylord, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand diese Dame ihrem Gemahl rauben will – es sei denn, Ihr möchtet das Publikum zum Lachen bringen. Prinz Paris müsste sicher einen Ladebaum benutzen, um sie an Bord seines Schiffes zu wuchten. Nun ja, ich nehme an, ihre Rolle wird ohnehin von einem Mann gespielt.“
Er nahm mir die Zeichnung ab. „Glaubt Ihr, dass an dieser Sage irgendetwas Wahres ist?“
„Dass eine Prinzessin ihren Gemahl wegen eines schönen Trojaners verlässt? Ich bin mir sicher, so etwas ist seit Anbeginn der Zeit immer wieder vorgefallen. Ich glaube aber nicht, dass der Krieg wirklich zehn Jahre gedauert hat, da hat der Dichter vermutlich übertrieben. Und wenn nicht, dann sind die Griechen vermutlich zu Weihnachten und Ostern nach Hause gefahren.“
„Sie waren Heiden, Mistress Shore.“
Ich zuckte die Achseln. „Na, dann mussten sie vielleicht an irgendwelchen Orgien teilnehmen.“ Ich war geschmeichelt, dass er mir Gesellschaft leistete. Diesen bedeutenden Herrn mussten gewichtige Angelegenheiten beschäftigen, und doch gab er sich alle Mühe, liebenswürdig zu sein. „Mylord, ist es wahr, dass wir bald Krieg mit den Franzosen haben werden?“
„Ja, Mistress Shore.“
„Das sind keine guten Neuigkeiten für London. Soll damit der König von Frankreich bestraft werden?“
König Ludwig hatte vor ein paar Jahren einen gewaltigen Aufstand finanziell unterstützt. Er hatte eine Allianz zwischen König Edwards Cousin Warwick, seinem jüngeren Bruder George und der im Exil lebenden früheren Königin Margarete von Anjou zustande gebracht. Die Folge war eine Invasion, die König Edward und Lord Hastings den Winter über aus England vertrieben hatte. Doch schon im Frühling waren sie zurückgekehrt, und nach zwei blutigen Schlachten bei Barnet und Tewkesbury hatte Edward wieder seinen Thron in Westminster eingenommen und sich erneut die Krone aufgesetzt.
„Ob der König von Frankreich bestraft werden soll?“, wiederholte Lord Hastings. „Ja, Mistress Shore, so könnte man es sehen, doch es gibt bessere Gründe. Ihr billigt das Vorhaben unseres Königs nicht?“
„Ich weiß, dass König Ludwig in die Bretagne einmarschiert ist und gern Burgund erobern würde, Mylord. Mir ist auch klar, dass England Abkommensverpflichtungen Burgund gegenüber hat, dennoch wünsche ich mir dauerhaften Frieden im Königreich, damit unser Handel blühen und gedeihen kann. Ein Krieg bedeutet höhere Steuern, außerdem setzen gute Männer ihr Leben aufs Spiel. Hat es nicht schon genug Tote im Zwist zwischen den Häusern Lancaster und York gegeben? Nein, ich halte nichts von einem Krieg mit Frankreich.“
Meine Offenheit schien ihn zu amüsieren. „Ich werde Seiner Hoheit dem König Eure Meinung unterbreiten, kleine Mistress.“
„Bitte, tut das nicht, Mylord“, erwiderte ich freundlich, denn ich wusste ja, dass er mich nur neckte, doch innerlich schäumte ich vor Zorn. Ich mag es einfach nicht, wenn man mich belächelt. „Was die Steuern betrifft – ja, gewiss, ein Mensch kann eine Kuh melken, doch wenn irgendwann das Gras für die Kuh knapp wird …“
Er fiel mir lachend ins Wort. „Mistress Shore! Da dachte ich immer, man bekommt nur Milch, wenn man eine Kuh am Schwanz zieht, und jetzt sagt Ihr mir, es läge am Gras!“
Einen Augenblick lang spielte ich mit dem Gedanken, gekränkt die Lippen aufeinanderzupressen, doch dann ritt mich der Teufel und ich konterte dreist: „Mylord, glaubt doch, was Ihr wollt. Vielleicht gibt es in Leicestershire ja viele Kühe, denen der Schwanz wehtut!“
Hastings, der aus der besagten Gegend stammte, schnappte ob meiner Kühnheit verblüfft nach Luft. Doch dann lachte er schallend auf und hieb mit der Hand auf den Tisch. Es war wohl ein Glück für mich, dass das höfliche Hüsteln des Verwalters unser Gespräch an diesem Punkt beendete, denn als junge Frau kann man sich zwar ziemlich weit aufs offene Meer hinauswagen, trotzdem ist es besser, nicht in unbekannte Gewässer zu geraten.
Lord Hastings’ Hand ruhte angenehm auf meinem Rücken, als er mich zu Vater zurückbegleitete. „Eure Tochter hat einen scharfen Verstand, Master Lambard!“
„Oh bitte, sagt es ihm nicht, Mylord, sonst fällt es ihm womöglich noch selbst auf.“
Vater drückte mir einen Stapel Muster in die Arme und sein aufgebrachter Blick ermahnte mich, den Mund zu halten.
Auf dem Rückweg zur Silver Street sagte er: „Dieser Mann wird es darauf anlegen, dich zu bekommen, Elizabeth.“ Als ich nicht antwortete, fügte er hinzu: „Du wirst ihn nicht ermutigen. Ich werde nicht zulassen, dass meine Tochter einen Skandal auslöst. Das würde der Gilde nicht gefallen.“
„Ich glaube nicht, dass Ihr irgendein Recht habt, mir Moral zu predigen, Sir.“ Ich beobachtete sein gut geschnittenes Profil und sah, wie er rot wurde.
„Verdammt, du wirst wohl nie vergessen, wie sehr ich mich zum Narren gemacht habe.“
Wir gingen schweigend weiter und erinnerten uns beide daran, wie er törichterweise für seine Mätresse ein Haus in der Wood Street angemietet hatte. Als er das Verhältnis beendete, zog sie aus und ließ alles mitgehen, was man hochheben, abschrauben und wegschleppen konnte. Da er die Unterkunft von der Gilde der Goldschmiede gemietet und kein Geld gehabt hatte, um für den Diebstahl der Frau aufzukommen, war sein guter Ruf ernsthaft in Gefahr gewesen. Zum Glück hatte Ratsherr Shaa mich vorgewarnt und eine Liste mit Vaters Verpflichtungen aufgestellt. Es kostete mich meine gesamten Ersparnisse, diese Schulden zu bezahlen.
„Ich habe Euch damals mit meinem wenigen Geld geholfen, Vater“, rief ich aus und versuchte, mit ihm Schritt zu halten. „Jetzt, da Ihr Eure ganze Schiffsladung sicher verkauft habt, könntet Ihr vielleicht in Erwägung ziehen, mir zu helfen.“
Er blieb stehen. „Indem ich irgendeinen aalglatten Anwalt schmiere, Elizabeth, damit er sich in deinem Namen an Seine Heiligkeit in Rom wendet? Großer Gott! Wenn Scheidungen so einfach wären, würden Prinzen ihre Gemahlinnen so häufig wechseln wie ihr Untergewand. Außerdem habt ihr, du und Shore, euch doch schon so viele Jahre arrangiert.“
„Arrangiert!“, wiederholte ich pikiert und war geneigt, Vaters kostbare Tuchmuster in den nächsten Abwasserkanal zu werfen. „Shore ist impotent seit seinem Zusammenstoß mit dem Karren des Küfers, und davor war es auch nicht viel besser.“ Ich wusste, was mir entging. Ich hatte entdeckt, wie ich mir selbst Vergnügen bereiten konnte.
„Ich gebe zu, Shore hat nicht das richtige Temperament für dich, Elizabeth“, räumte Vater ein, „aber wie ich dir schon so viele Male gesagt habe, er ist kein Faulpelz, und die Tuchhändlergilde hält große Stücke auf ihn. Ich wette, in ein paar Jahren könnte er sogar Ratsherr werden, so wie ich. Hab nur etwas Geduld.“
„Geduld wofür? Ich wollte diese Ehe nicht, als ich zwölf war, und jetzt, als kinderlose Frau von fünfundzwanzig Jahren, bin ich noch fester entschlossen, sie zu beenden.“
Einige Passanten wurden nun auf uns aufmerksam, und Vater setzte rasch seine beschwichtigende Miene auf, die er auch immer benutzte, wenn Mama zornig war. „Liebes“, schmeichelte er und legte seinen freien Arm um meine Schulter, um mich zum Weitergehen zu bewegen. „Eine anständige Frau bringt ihren Gemahl nicht vor den Richter. Eine Ehe soll ein Leben lang halten, das ist Gottes Wille.“
„Gott, Sir, war nie verheiratet.“ Ich drückte ihm seine Tuchmuster in die Arme, raffte meine Röcke und ging allein weiter.
„Du stellst meine Geduld auf eine harte Probe, Elizabeth“, knurrte er und eilte mir nach. „Selbst wenn du das Geld für ein Gesuch an Rom hättest, Seine Heiligkeit würde niemals eine Frau anhören.“
„Dann bringe ich jemand anderen dazu, mich anzuhören“, schwor ich.
Und vielleicht würde es Lord Hastings sein.
3. KAPITEL
Was ist los, Margery?“, flüsterte ich eine Woche später Ratsherr Shaas Tochter zu. Es war Sonntag, und wir hatten gerade die Predigt in St. Paul’s Cross gehört. Ich sah, dass ihre und meine Eltern bereits zusammen auf dem Weg in ihr Lieblingswirtshaus waren, um dort Ale und Pasteten zu sich zu nehmen, doch Margery versperrte mir den Weg und bestand darauf, dass Shore und ich bei ihr und ihrem Mann auf der Holztribüne neben der Kathedrale blieben. Sie hatte mehr Fleisch auf den Rippen, das sie warm hielt; ich hingegen fror und war sehr hungrig.
Ich hatte Margery immer vertraut. In der Cripplegate-Schule für Kaufmannstöchter waren wir Freundinnen geworden, und keine von uns hatte sich leicht mit der Ehe abgefunden. Und auch aus anderen Gründen fühlte ich mich ihrer Familie verbunden. Sie hatten damals geholfen, den Skandal abzuwenden, der meinen Vater ruiniert hätte. Außerdem war es Master Shaa gewesen, der Shore dazu überredet hatte, mir zu erlauben, mein eigenes kleines Geschäft mit den Seidenweberinnen aufzubauen.
„Warte nur ab!“ Meine Freundin tippte sich an die Nase. „Eine Überraschung.“
„Lieber Gott, wir müssen uns doch wohl nicht noch ein paar Priester ansehen, die auf dem Kirchhof gegeißelt werden, oder?“ Widerstrebend setzte ich mich wieder hin. Die einstündige Predigt über die göttliche Liebe, gehalten von einem Franziskaner mit verstopfter Nase, war sehr ermüdend gewesen. „Werden deine Kinder dich denn nicht vermissen?“, murmelte ich.
„Lizbeth! Hab Geduld!“
Das Letzte, was ich sehen wollte, waren irgendwelche armen Teufel, die für ihre Sünden Buße tun mussten. Gott bewahre! Ich hatte wirklich keine Lust, den ersten Stein zu werfen. Einerseits brannte ich darauf, Margery von meinen Begegnungen mit Lord Hastings zu erzählen, andererseits war ihre Toleranz den Eskapaden anderer gegenüber deutlich geringer geworden, seit sie den Goldschmied Hugh Paddesley geheiratet hatte, einen Mann, aus dem ich mir nicht besonders viel machte. Inzwischen klang sie manchmal schon mehr wie Paddesley als er selbst.
„Ah, es geht los!“ Sie stupste mich mit dem Ellenbogen an.
Gemeiner Pöbel, der die Predigt nicht gehört hatte, mischte sich unter die Menge. In meinem Kopf läuteten Alarmglocken. Ehebruch! Es musste um Ehebruch gehen! Ich warf meiner Freundin einen prüfenden Blick zu. Ahnte sie, dass ich davon träumte, mir einen Liebhaber zu nehmen? Nein, das war wohl an den Haaren herbeigezogen, denn ich konnte nicht den geringsten Tadel in ihrem Blick entdecken, und Shore und Paddesley diskutierten mit ihrem Freund Shelley über Hahnenkämpfe. Alles schien ganz normal.
„Ich verspreche dir, Lizbeth, du wirst froh sein, dass du geblieben bist!“, rief Margery mir zu.
Auf dem Karren stand nur eine einzige Büßerin, eine Frau in einem weißen Hemd. Die langen dunklen Haaren fielen ihr offen über die Schultern. Ihre Haltung ließ darauf schließen, dass sie keine herkömmliche Dirne war. Auch wirkte sie gut genährt, weder dürr noch zu dick. Die Menge johlte, als die Schergen des Sheriffs sie grob auf das Straßenpflaster zerrten und ihre Handfesseln lösten. Ein Priester reichte ihr eine angezündete Kerze und dann machte sie sich auf ihren schweren Weg rund um den Kirchhof; zwei Soldaten gingen vor ihr, zwei hinter ihr und stießen sie immer wieder mit ihren Hellebarden an.
Ich hatte solche Bußgänge schon vorher gesehen, doch an diesem Tag ließ mich das Johlen der Menge erschaudern, und ich bekam eine Gänsehaut. Die menschlichen Kakerlaken aus den ärmlicheren Vierteln hatten Eimer voller Exkremente mitgebracht. Schon bald würde das Hemd der Frau aussehen wie ein schmutziger Lappen.
Anfangs versuchte sie noch, Würde zu bewahren, doch als immer schneller geworfen wurde, begann sie, den stinkenden Geschossen auszuweichen, und ihr Körper zuckte hin und her wie der eines Diebs am Strick des Henkers. Sie näherte sich nun unserem Platz auf der Tribüne, und ich konnte erkennen, dass sie etwa zehn Jahre älter war als ich. Ihre Stirn und ihre linke Wange bluteten, Speichel und Kot klebten in ihrem Haar und auf ihrer Haut. Durch das dünne, übelriechende Hemd zeichneten sich die Spitzen ihrer Brüste ab, und sie zitterte, als litte sie am Sumpffieber.
Shore und Margerys Gemahl beugten sich vor, um sie anzuspucken.
„Los! Zisch sie aus!“ Margery sprang auf und schwenkte wie die anderen Kaufmannsfrauen höhnend die Faust. Ich erhob mich ebenfalls, aber ich konnte das arme Geschöpf nicht beschimpfen. Das war keine Dirne, die man eingefangen hatte, um der Menge ihre monatliche Dosis Nervenkitzel zu verschaffen. Sie konnte eine auf Abwege geratene Ehefrau oder Kurtisane sein; einfach eine Frau, die der Versuchung erlegen war.
„Abscheulich“, murmelte ich und wand mich innerlich, als die Frau zu wimmern begann und schützend die Hände vor ihr Gesicht hielt, während die Steinigung fortgesetzt wurde.
Margery, die vor freudiger Aufregung ganz erhitzt war, drehte sich zu mir um. „Das ist das habgierige Flittchen deines Vaters“, flüsterte sie mir ins Ohr. „Sie wurde letzte Woche dabei erwischt, wie sie einen Kaufmann aus der Händlergilde ausnahm. Hast du von dem Aufruhr denn nichts mitbekommen? Die Gilde hat ihn aus ihren Reihen ausgeschlossen.“
„Großer Gott!“ Jetzt verstand ich, warum ihre Eltern meinen Vater und meine Mutter so hastig weggeführt hatten. Oder war es umgekehrt gewesen? Ich betrachtete verstohlen die Gesichter um mich herum. Wussten unsere Ehemänner, wer die Frau war?
„Viel zu harmlos“, beklagte sich Paddesley und schnaubte. „Sie hätten die Dirne auspeitschen sollen.“
„Ja, das wäre ein reizvolleres Spektakel gewesen“, stimmte Shore ihm zu, und dafür hätte ich ihn am liebsten erdolcht.
„Ich für meinen Teil verstehe nicht, was der arme Tattergreis an ihr gefunden haben mag“, verkündete Master Shelley. „Brüste wie der leere Beutel eines Bettlers. Was hatten wir letzten Monat dagegen für ein Prachtstück …“ Er stieß einen Pfiff aus und sah verstohlen in meine Richtung. „Beine bis zum Hals, aber diese alte Vettel hier …“
„Nun ja, aber …“ Paddesley flüsterte ihm etwas hinter vorgehaltener Hand zu. Die anderen beiden lachten.
Margery, die sich ausgeschlossen fühlte, wurde rot. „Du könntest dich ruhig bei mir bedanken“, murmelte sie und ließ ihren Ärger an mir aus. „Ich dachte, du würdest dich freuen.“
„Freuen? Ich fand es widerwärtig!“
„Unfug, Lizbeth! Frauen wie sie machen es für uns andere nur noch härter.“
„Machen was härter, Mistress Paddesley?“, witzelte Shelley anzüglich und stieß ihren Gemahl mit dem Ellenbogen an.
„Ja, was wollt Ihr damit sagen, Liebes?“, fragte Paddesley und lächelte mir komplizenhaft zu.
Doch Margery war inzwischen ernsthaft verschnupft. „Gar nichts. Können wir jetzt gehen?“
„Ja, Margery. Aber was hast du damit gemeint?“, flüsterte ich ihr zu, als wir vor den anderen die Tribüne verließen.
Sie ließ sich mehrfach bitten, ehe sie antwortete. „Es ist nur so, dass wir anständigen Ehefrauen im Bett nicht dieselben Spielchen spielen dürfen wie sie. Wenn wir es tun, wirft man uns vor, liederlich zu sein.“
„Es ist also eine Sünde, den Liebesakt mit dem eigenen Ehemann zu genießen? Wie absurd, andererseits habe ich natürlich auch keine Ahnung von solchen Dingen, nicht wahr?“ Ich muss ziemlich verbittert geklungen haben.
„Nun, ich denke, die Hure hat ihre Strafe verdient, Lizbeth. Sie ist eine von der übelsten Sorte, eine, die Ehemänner zur Untreue verführt.“
„Du glaubst also, sie ist schlimmer als eine herkömmliche Dirne?“
„Die Bordsteinschwalben von Winchester tun es, um zu überleben. Außerdem ist es ein Tauschhandel für Männer, die zu viel …“ Sie machte eine Handbewegung. „Du weißt schon.“
„Ach so, für diese ‚feurigen Männer, die krank werden, wenn sie nicht regelmäßig mit einer Frau verkehren‘“, zitierte ich aus einem Traktat zu diesem Thema.
„Genau“, stimmte Margery zu. „Wohingegen Frauen wie dieses Flittchen es tun, weil sie Spaß daran haben.“
„Du nimmst also an ihrem Vergnügen Anstoß?“
„Nun … ja.“
Diesen Standpunkt hatte ich einmal geteilt. Die Schwesternschaft der Ehrbarkeit. Von den Ehefrauen der Gildemitglieder wurde erwartet, dass sie Gottes Gebote Wort für Wort befolgten. Doch in die arme Margery war der Dämon des Neides gefahren. Wenn sie die Spiele im Schlafzimmer schon nicht genießen durfte, dann sollte es auch keine andere tun.
Auch ich hatte den Liebesakt mit einem Mann noch nie geno