Prolog
Sophie
Johnson streckte sich auf dem Handtuch aus und schloss die Augen. Die
Sonne brannte herunter, der Sand war angenehm warm, und das stetige
Rauschen der an den Strand schlagenden Wellen wirkte angenehm
einschläfernd. Ich habe in den letzten zehn Tagen viel Spaß
gehabt, dachte sie zufrieden, mehr als je zuvor in meinem Leben!
Plötzlich
hörte sie, wie jemand auf sie zukam, und ein Schatten fiel auf
sie. Sie schirmte die Augen mit der Hand ab und blickte auf, obwohl
sie auch so schon wusste, wer da vor ihr stand. Es war Alonso
Huntsman, und sofort verspürte sie wieder dieses seltsame
Gefühl, das sie nicht einordnen konnte. Er machte sie nervös,
doch gleichzeitig begehrte sie ihn grenzenlos.
Alonso
war gerade aus dem Wasser gekommen. Seine dunklen Haare waren noch
nass, und seine muskulöse Brust war sonnengebräunt. "Du
duftest wunderbar, Sophie", sagte er verführerisch, "ich
könnte dich mit Haut und Haaren verschlingen."
Sie
lachte leise und hoffte, dass er nicht merkte, wie zwiespältig
ihre Gefühle waren. "Das ist nur die Sonnenmilch, Alonso",
antwortete sie, "und die schmeckt bestimmt nicht besonders gut."
Er
schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. "Das lass mal meine
Sorge sein."
Clive
Wilkins, der Sohn des bekannten Bankers Lord Wilkins, stöhnte
leise auf und drehte sich auf seinem Badehandtuch auf die Seite.
"Seid bitte leise, ihr beiden", sagte er ungehalten.
Alonso
trocknete sich das Gesicht ab und wandte sich dann seinem Freund zu.
"Stören wir dich etwa beim Schlafen?"
"Gut
erkannt", erwiderte Clive und barg das Gesicht im flauschigen
Frottee.
"Lass
mich wenigstens einmal probieren", flüsterte Alonso Sophie
zu, denn er wusste, dass ihr das gefallen würde, "ich kann
es gar nicht erwarten."
"Nur
einmal?" fragte sie leise.
Er
nickte ernst. "Versprochen."
"In
Ordnung." Er würde sich noch wundern! Sie nahm die
Sonnenmilchflasche und warf sie ihm zu. Geschickt fing Alonso sie mit
einer Hand auf. "Bitte schön", sagte Sophie lächelnd,
"lass es dir schmecken."
"Verdammt
noch mal!" rief Clive verärgert, "ihr gebt ja wohl gar
keine Ruhe!" Er setzte sich auf, nahm Sophies Arm und presste
die Lippen auf ihre warme Haut. "Das schmeckt wirklich
furchtbar!" sagte er dann und ließ sich zurück auf
sein Handtuch sinken. "Du hast nichts verpasst, Alonso. Kann ich
jetzt bitte weiterschlafen?"
Alonso
setzte sich zwischen die beiden und sah seinen Freund spöttisch
an. "Du gönnst mir nur den Spaß nicht. Ich wette, du
bist eifersüchtig!"
"Du
hast mich genau durchschaut, du schottischer Dickkopf! Natürlich
bin ich das. Die Prinzessin und du, ihr seid nämlich die besten
Freunde, die ich habe!"
Dickkopf!
Prinzessin! Sophie musste lachen, und Alonso und Clive stimmten mit
ein. Das sind wirklich die schönsten Schulferien meines Lebens,
dachte sie glücklich, nein, das ist der schönste Sommer,
den ich je erlebt habe! Clive und Alonso waren einfach unmöglich
… und genau deshalb mochte sie die beiden so sehr.
Sie
blickte hinaus auf den Pazifik, beobachtete die Wellen, die an den
Sandstrand von Buenaventura rollten, und wünschte sich, dass die
Zeit stehen bliebe und sie für immer mit diesen beiden Männern
an diesem wundervollen Ort bleiben könnte.
1.
Kapitel
"Wie
viel geben Sie mir dafür?" fragte Lady Sophie Wilkins und
betrachtete den Smaragdring mit den kreisförmig angeordneten, im
Licht des Juwelierladens wie ein Silvesterfeuerwerk funkelnden
Steinen an ihrer Hand.
"Zehntausend
Pfund", erwiderte der Besitzer des Geschäfts schnell.
Sophie
hörte, wie ein Kunde hereinkam, doch sie drehte sich nicht um.
Sie war immer noch fasziniert von dem wunderbaren Schmuck. Leider
konnte sie ihn nicht behalten, denn sie musste nach Brasilien reisen
und hatte außerdem noch viele Rechnungen zu bezahlen. Mit dem
Geld konnte sie wenigstens einen Großteil ihrer Schulden
begleichen.
Ihr
Schweigen gab dem Juwelier zu denken. "Ich könnte Ihnen
auch zehntausendfünfhundert zahlen", meinte er dann und tat
so, als wäre er besonders großzügig. "Das ist
mein letztes Angebot, Lady Wilkins."
"Und
morgen verkaufen Sie den Ring dann für das Doppelte", sagte
in diesem Moment eine Männerstimme spöttisch.
Sophie
wirbelte herum. Das konnte doch nicht wahr sein … "Alonso?"
fragte sie völlig überrascht.
"Hallo,
Sophie."
Sie
konnte es nicht fassen. War er es wirklich, oder hatte sie schon
Halluzinationen? "Was machst du denn hier?"
"Geschäfte",
erwiderte er betont locker.
"Tatsächlich?"
Was sonst, dachte sie spöttisch, denn immerhin ist er einer der
führenden Smaragdexporteure der Welt.
Der
Juwelier legte schnell seine Lupe auf das schwarze Samtkissen auf dem
Ladentisch. "Ich habe Sie erst morgen erwartet, Mr. Huntsman.
Der Stein ist noch nicht geschliffen."
Sophie
drehte nachdenklich ihren Ehering hin und her. Sie konnte es immer
noch nicht fassen, dass Alonso wirklich vor ihr stand. "Du
kaufst einen Diamanten?"
"Einen
Smaragd, um genau zu sein."
Dafür
war er um die halbe Welt gereist? "Dann muss er sehr wertvoll
sein."
"Eigentlich
nicht. Er hat nur Liebhaberwert für mich, denn er kommt aus
einer meiner Minen."
Sie
errötete, wandte sich schnell ab und zog dann ihren Ehering vom
Finger. "Ich nehme Ihr Angebot an."
Der
Juwelier nickte und schloss das Schmuckstück, das Clive ihr vor
beinahe sechs Jahren geschenkt hatte, in einer Schublade ein. "Kann
ich Ihnen einen Scheck geben, Lady Wilkins?"
"Ja",
flüsterte sie und biss sich auf die Lippe.
Der
Mann ging ins Hinterzimmer, und Sophie schloss ihren langen
Wollmantel, denn ihr war plötzlich ganz kalt geworden.
"Du
verkaufst deinen Ehering?" fragte Alonso ausdruckslos. "Bist
du in finanziellen Schwierigkeiten?"
"Nein."
Sie hatte nicht vor, ihm die Wahrheit zu sagen, denn sie wollte sein
Mitleid nicht. Clive zu heiraten war ihre Entscheidung gewesen. "Ich
hatte keine Ahnung, dass du wieder in England bist."
"Ich
habe ein Haus in Knightsbridge."
"Dann
wohnst du also in London?"
"Ich
bin oft hier."
"Das
habe ich nicht gewusst."
Alonso
hörte den Schmerz in ihrer Stimme und hätte Sophie am
liebsten getröstet. Er hatte von Anfang an gewusst, dass ihre
Ehe mit Clive schwierig oder vielleicht sogar unglücklich
gewesen war, doch sie hatte nie ein Wort darüber verloren. "Ich
bin viel auf Reisen. Das bringt das Geschäft so mit sich."
Er
hatte Sophie seit Jahren nicht mehr gesehen, und es überraschte
ihn, dass sie immer noch wunderschön war. Es war ihr nicht
anzusehen, dass sie eine stürmische Zeit hinter sich hatte. Ihre
Gesichtszüge waren sanft, ihre Lippen voll, und ihr Körper
war fraulich und verführerisch.
Der
Juwelier kam mit dem Scheck zurück und überreichte ihn
Sophie. Sie steckte ihn ein, bedankte sich noch einmal und wandte
sich dann ab.
Schnell
versprach Alonso dem Juwelier, später noch einmal zu kommen, und
folgte Sophie nach draußen. Sie war vor dem Geschäft
stehen geblieben, atmete gerade tief durch und versuchte, Ordnung in
ihre chaotischen Gedanken zu bringen. Alonso war wirklich hier in
London! Das war kaum zu glauben. Sie hatte ihn schon so lange nicht
mehr gesehen!
Es
war sehr kalt draußen, und sie zog den Gürtel enger, als
sie an den weihnachtlich geschmückten Geschäften
vorbeigingen. Doch Sophie hatte auch in diesem Jahr keinen Blick für
die mit unzähligen weißen Lichtern und Kränzen
verzierten Schaufenster.
"Bald
ist Heiligabend", sagte Alonso, als das Schweigen unerträglich
wurde.
Was
bedeutete, dass sie schon fast zwei Jahre allein war! Sophie biss
sich auf die Lippe und drängte die Tränen zurück, die
ihr in die Augen traten.
Oh,
wie hatte sie Alonso vermisst! Er war jahrelang ihr Freund gewesen
und dann plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Sie
versuchte sich zu erinnern, wann sie ihn das letzte Mal gesehen
hatte, doch es fiel ihr nicht mehr ein.
"Ich
muss nach Hause", sagte sie schnell, "die Countess wartet
schon auf mich."
Die
ersten Regentropfen fielen aus den dunklen Wolken, und Alonso zögerte
nicht eine Sekunde. "Ich fahre dich."
"Nein,
das brauchst du nicht. Es sind anderthalb Stunden …"
"Keine
Widerrede", unterbrach er sie und nahm ihren Arm.
Es
war wunderschön, in seiner Nähe zu sein, und Sophie spürte,
wie sich alles um sie her zu drehen begann.
Alonso
hatte sich überhaupt nicht verändert. Er war erst vor
zwanzig Minuten wieder in ihr Leben getreten, und schon fuhren ihre
Emotionen Achterbahn. Als sie in seinem Wagen saß, wurde es
noch schlimmer. Noch nie hatte sie sich so verletzlich und
verzweifelt zugleich gefühlt. Wie gern wäre sie in die
Vergangenheit gereist … zum Strand von Buenaventura, an dem
sie die glücklichsten Tage ihres Lebens verbracht hatte.
"Ich
habe dich vermisst", stellte Alonso leise fest.
Ihr
Herz begann schneller zu klopfen, und sie spürte, wie ihr wieder
Tränen in die Augen traten. Warum gelang es ihm immer noch, sie
so aus der Fassung zu bringen? Seit Clives Tod hatte sie alles unter
Kontrolle gehabt, doch nun war dieser umwerfende Mann wie aus dem
Nichts aufgetaucht und dabei, ihre Welt auf den Kopf zu stellen.
Er
wirkte auf sie wie ein Magnet, und die Ehe mit Clive hatte daran
nichts geändert. Sein dunkles Haar und die blauen Augen machten
ihn besonders attraktiv. Er sah überhaupt nicht aus wie ein
typischer Engländer, und wahrscheinlich fanden ihn die Frauen
deswegen so anziehend. Aber er war gefährlich, und das durfte
sie nie vergessen.
Sie
betrachtete nachdenklich sein Gesicht, dabei fiel ihr der lange,
dünne Strich auf, der über seine rechte Wange verlief. Vor
fünf Jahren war er noch nicht da gewesen. "Woher stammt die
Narbe?" fragte sie neugierig.
"Ich
habe mich beim Rasieren geschnitten", erwiderte er und lehnte
sich in dem tiefen Ledersitz zurück.
Wollte
er sie auf den Arm nehmen? Diese Verletzung hatte er sich bestimmt
nicht im Badezimmer zugezogen! "Das muss ja ein ziemlich großes
Messer gewesen sein."
"Stimmt",
antwortete er lächelnd.
Erstaunlicherweise
entstellte die Narbe sein Gesicht nicht, sondern machte es noch viel
interessanter. Er sah aus wie ein Mann, der sich durchsetzen konnte
und im Leben seinen Platz gefunden hatte. "Hat es sehr
wehgetan?" fragte Sophie.
"Dich
zu verlieren hat wesentlich mehr geschmerzt."
Sie
atmete tief durch und blickte auf ihre rechte Hand. Sie sah so leer
aus ohne den Ehering. "Bist du eigentlich verheiratet?"
fragte Sophie dann schnell. Es war sicher das Beste, das Thema zu
wechseln. Clive hatte ihr erzählt, dass Alonso sowohl in Bogotá
als auch in Buenos Aires lebte und arbeitete, doch diese Städte
waren von London unendlich weit entfernt, und Sophie hatte sich nur
schwer vorstellen können, wie es dort wohl war.
"Nein",
erwiderte er kurz angebunden.
"Verlobt?"
Er
schüttelte den Kopf.
"Hast
du eine Freundin?"
"Du
bist sehr neugierig, muñeca. Hast du Interesse an
dieser Position?" fragte er und lächelte spöttisch.
O
ja, dachte sie, er ist immer noch gefährlich! Innerhalb von
Sekunden konnte er sie völlig aus der Bahn werfen. Sie hätte
nie in seinen Wagen steigen dürfen! "Nein danke, ich habe
von Beziehungen erst einmal genug."
"Dann
hast du alle Illusionen verloren, Prinzessin?"
"Nenn
mich nicht so", flüsterte sie verlegen.
"Also
gut. Du bist keine Prinzessin, sondern eine verarmte Lady, die ihr
Haus, ihren Wagen und jetzt sogar ihren Ehering verkaufen musste."
Sophie
schloss die Augen und biss sich auf die Lippe. Alonso konnte sie wie
kein Zweiter verletzen. "Das sind nur unwichtige Dinge",
antwortete sie schnell.
"Ach
so", stellte er kühl fest, "dann ist ja alles in
Ordnung. Solange du von Liebe und Wärme umgeben bist, machen
diese unwichtigen Dinge natürlich nichts aus."
In
diesem Moment hasste sie ihn beinahe. Er war so kalt und zynisch.
Selbstverständlich wusste er, dass sie bei Countess Louisa
Wilkins, Clives Mutter, wohnte. Er kannte auch ihre Schwiegermutter,
und deshalb musste es ihm klar sein, dass sie in Melrose Court nicht
gerade glücklich war.
Aber
das würde sie ihm nie verraten. Wenn er sich über sie
lustig machen wollte – nun gut, sollte er doch! Er würde
sowieso bald wieder aus ihrem Leben verschwunden sein.
"Ich
hätte dir das Doppelte für den Ring bezahlt",
unterbrach er ihre trüben Gedanken. "Warum bist du nicht zu
mir gekommen? Die Diamanten allein sind schon mehr als zwanzigtausend
Pfund wert."
Sie
zuckte die Schultern. "Ich bin zufrieden mit dem, was der
Juwelier mir gegeben hat."
Müde
fuhr er sich durchs Haar. "Wenn du meinst."
Sie
betrachtete ihn verstohlen. Seine Haare waren länger als früher
und reichten ihm fast auf die Schultern. Von den vielen Stunden in
der Sonne waren seine Hände gebräunt, und der kleine
Innenraum des schwarzen Sportwagens schien fast zu klein für ihn
zu sein.
Aber
er war nicht nur groß, sondern auch stark. Sie wusste, dass
Alonso in den Minen gearbeitet hatte, bevor er zu einem der führenden
Smaragdexporteure der Welt aufgestiegen war. Er hatte vor Dynamit,
den engen Stollen und womöglich einstürzenden Tunneln keine
Angst gehabt.
Was
waren sie doch für ein ungleiches Paar! Alonso ließ sich
durch nichts einschüchtern, während sie, Sophie, sich vor
ihrem eigenen Schatten fürchtete.
"Wann
hast du eigentlich bemerkt, dass deine Flitterwochen vorbei waren?"
fragte er plötzlich, und sie zuckte zusammen.
"Das
geht dich gar nichts an!" erwiderte sie empört.
Er
lächelte kühl. "Ich möchte es einfach wissen.
Wann hast du erkannt, dass du einen Fehler gemacht hast?"
Sie
atmete wieder tief durch und versuchte die Fassung zu bewahren. "Nimm
das zurück!"
"Nein!"
"Du
hast kein Recht …"
"Ich
habe dich geliebt", unterbrach Alonso sie, und seine Miene wurde
finster. "Clive hat das nie getan. Er war einfach nur
eifersüchtig und wollte nicht, dass ich dich bekomme."
"Das
stimmt nicht!"
"O
doch! Und du hast dich vor deinen Gefühlen gefürchtet und
bist ihm wie eine reife Frucht in den Schoß gefallen!"
Sophie
spürte, wie sich alles um sie her zu drehen begann. Alonsos
Worte trafen sie zutiefst. Schnell fasste sie nach dem Türgriff,
doch das war nur ein Reflex, denn es gab keine Möglichkeit zur
Flucht. Alonso hatte sie gefunden und begehrte sie immer noch. Und
diesmal würde er sie nicht gehen lassen.
"Hast
du eigentlich eine Ahnung, wie ich mich gefühlt habe, als du
Clive geheiratet hast?" Sein Gesicht war aschfahl, und er
blickte starr hinaus auf die Straße. Es war ihm deutlich
anzusehen, was er empfand. "Außerdem weiß ich, dass
du nie eine Affäre gehabt hast. Wieso auch? Die süße
kleine Sophie Johnson war ihrem Ehemann immer treu, stimmt's?"
Sein
Ledermantel hatte sich geöffnet, und sie konnte Alonsos
schwarzen Kaschmirpullover mit dem großen V-Ausschnitt sehen.
Seine Brust war sonnengebräunt und muskulös. Schnell
blickte sie zur Seite und drängte die Tränen zurück,
die ihr in die Augen getreten waren. "Natürlich war ich
das", flüsterte sie.
"Ich
habe auch nichts anderes erwartet", meinte er lächelnd,
doch sein Blick war kühl. "Du warst schon immer loyal –
nur bei mir hast du eine Ausnahme gemacht und mich schmählich
verraten."
Sophie
errötete und versuchte sich zu rechtfertigen. "Wir waren
jung, Alonso."
"So
jung nun auch wieder nicht."
"Es
ist schon lange her. Lassen wir die alten Geschichten ruhen."
"Ich
werde es nie vergessen."
"Bitte,
Alonso!"
"Glaub
ja nicht, dass es vorbei ist, Sophie", erklärte er beinahe
drohend, und sie blickte ihn erschrocken an. "Das ist es noch
lange nicht. Du bist noch nicht einmal achtundzwanzig, und ich bin
zweiunddreißig. Wir haben also alle Zeit der Welt."
Als
sie Melrose Court erreichten, fühlte Sophie sich schwach, und
ihr war schlecht. Alonso parkte den Wagen und warf ihr einen
verächtlichen Blick zu. "Hast du heute überhaupt schon
etwas gegessen?"
"Es
ist alles in Ordnung", erwiderte sie, ohne auf seine Frage
einzugehen, doch als sie aussteigen wollte, versagten ihr die Beine
den Dienst, und sie musste sich an der Wagentür festhalten.
Sofort war Alonso an Sophies Seite, stützte sie und half ihr,
ohne auf ihren Protest zu achten, die große Treppe hinauf.
"Sie
fühlt sich nicht gut", sagte er wenig später zu der
verblüfften Countess, "könnten Sie bitte ein Glas
Wasser holen?"
Clives
Mutter ging schweigend hinaus, und Alonso betrachtete lange Sophies
aschfahles Gesicht. "Du siehst blass aus", stellte er
schließlich fest.
Kein
Wunder! Sie wusste genau, was er eigentlich im Sinn hatte! Alonso
wollte sie bestrafen. Ja, es stimmte, sie hatte ihn damals sehr
gemocht, vielleicht sogar geliebt, aber er hatte mehr gewollt. Für
ihn gab es nur alles oder nichts, und das hatte sie über alle
Maßen erschreckt.
"Ich
möchte mich nicht mehr binden", flüsterte sie jetzt.
"Tatsächlich?"
fragte er spöttisch. "Dann stimmt es also nicht, dass du
mit … wie heißt er noch … zusammen bist?"
"Federico
…"
"Ja
genau, Federico. Ein reicher, gut aussehender Mann mit dunklem Haar,
genau wie ich. Ist er Ausländer?"
Sophie
zuckte die Schultern. "Sind wir das nicht alle?"
Das
stimmte natürlich, und er, Alonso, konnte das nur bestätigen.
Immerhin hatte er wie viele Diplomaten, Banker und Minenbesitzer
seinen Wohnsitz in mehreren Ländern dieser Welt und war sehr
viel auf Reisen. Deshalb hätte er früher auch über
Sophies schlagfertige Antwort gelacht, doch hier ging es um ein sehr
ernstes Thema, denn sie sprachen über Federico Alvare.
Dieser
Mann war Miguel Valdez' rechte Hand, und Valdez wiederum war einer
der berüchtigsten Drogenbosse Lateinamerikas. Als ehemaliger
Agent des Secret Service kannte Alonso Federico Alvare persönlich
und wusste, wie rücksichtslos dieser Mann war. Er würde
Sophie ohne zu zögern mit ins Verderben reißen.
"Es
ist doch ganz normal, wenn du wieder einen Freund hast", sagte
er beruhigend und versuchte ruhig zu bleiben. Der Gedanke daran, dass
sie einen Liebhaber hatte, trieb ihn fast in den Wahnsinn …
und dass dieser Federico Alvare hieß, machte alles noch viel
schlimmer.
Bis
jetzt war es nur ein Gerücht gewesen, und deshalb war er nach
London gekommen. Einer seiner Informanten hatte ihm verraten, dass
Lady Wilkins in Schwierigkeiten steckte, weil sie mit einem
gefährlichen Kriminellen liiert war. Er hatte es nicht glauben
wollen – bis jetzt jedenfalls nicht. "Clive ist jetzt ja
schon fast zwei Jahre tot."
"Ich
habe dir doch schon erzählt, dass ich mich nicht mehr binden
will", antwortete sie. "Federico ist ein guter Freund, mehr
nicht. Er hat mit Clive zusammengearbeitet." Sie blickte nervös
zu Boden, denn sie konnte Alonso einfach nicht ins Gesicht sehen.
Entweder
ist sie sehr naiv oder eine exzellente Schauspielerin, dachte dieser,
aber das werde ich noch herausfinden. "Das wusste ich nicht",
antwortete er schnell. Fasziniert beobachtete er, wie sich eine
Strähne aus ihrem hochgesteckten Haar löste und ihr auf die
Schultern fiel. Sophies Hals war schlank, und ihre Haut schien
seidenweich zu sein. Er durfte nicht zulassen, dass ihr etwas
zustieß! Er würde sie beschützen, koste es, was es
wolle.
Tränen
traten ihr in die Augen, und sie blinzelte sie schnell weg. "Das
glaube ich dir gern", flüsterte sie, "denn seit
unserer Hochzeit hast du dich völlig von uns zurückgezogen.
Es kam mir so vor, als wolltest du nichts mit uns zu tun haben. Du
hast nie zurückgerufen, obwohl Clive immer wieder Nachrichten
hinterlassen hat. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr du uns
damit verletzt hast?"
Alonso
hörte nicht richtig zu, denn im Augenblick interessierte er sich
mehr für ihr Kleid mit dem verführerischen Dekollete, das
ihre Brüste gut zur Geltung brachte. Wie gern hätte er die
Hände über die weiche Haut gleiten lassen … hinauf
zu ihren vollen roten Lippen, die zum Küssen nur so einluden …
Seine
Körper reagierte sofort, und er musste all seine Kraft
aufbringen, um sich zu beherrschen. Er begehrte diese Frau, wollte
sie spüren und sich in ihr verlieren!
In
diesem Moment kam die Countess mit einem Glas Wasser in der Hand
zurück, und das lenkte ihn von den Gedanken ab, die ihn fast in
den Wahnsinn trieben.
Louisa
Wilkins umarmte ihn kurz und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
"Ich freue mich so, Sie wiederzusehen", sagte sie. "Wie
lange ist es her? Zwei Jahre? Ich glaube, ja. Es war bei Clives
Beerdigung …"
Er
hörte, wie Sophie tief durchatmete, und spürte, wie sie
sich verspannte. "Das stimmt, Louisa", erwiderte er und
wechselte schnell das Thema. "Übrigens, Sie sehen immer
noch wunderbar aus. Wie machen Sie das nur? Sie scheinen nicht einen
Tag gealtert zu sein!"
Die
Countess war offensichtlich sehr geschmeichelt. "Vielen Dank für
das nette Kompliment, Alonso. Sie bleiben doch zum Abendessen, oder?"
Auch
das noch! "Er hat sehr viel zu tun, Louisa", mischte sich
Sophie schnell ein.
"So
viel nun auch wieder nicht", erwiderte er lächelnd, "ich
bleibe gern."
"Wie
schön!" Die Countess nickte begeistert. "Ich werde die
Köchin bitten, noch ein Gedeck aufzulegen." Dann wandte sie
sich Sophie zu. "Kümmere du dich um unseren Gast. Ich
glaube, er trinkt gern einen Whiskey vor dem Essen."
Sophie
stand an der Tür zur Bibliothek und beobachtete, wie Alonso sich
einen großzügigen Drink einschenkte. "Du scheinst bei
meiner Schwiegermutter einen Stein im Brett zu haben", stellte
sie fest.
Er
schloss die Kristallglaskaraffe und setzte sich in einen Ledersessel.
"Es liegt wahrscheinlich an der Jahreszeit. Weihnachten muss
sehr schwer für sie sein, und deshalb ist sie wahrscheinlich so
wehmütig."
Sophie
antwortete nicht, sondern nahm auf dem Sofa Platz und lehnte sich
zurück.
"Es
ist sicher sehr hart für dich, mit der Countess hier allein zu
wohnen", fuhr Alonso ruhiger fort, als er wirklich war. Er
spürte, wie er immer aufgebrachter wurde, was ihm überhaupt
nicht gefiel.
Es
lag an seinem argentinischen Temperament, was ihm sehr zu schaffen
machte. Sein Vater war ein lateinamerikanischer Adliger gewesen, der
betrunken mit seinem Sportwagen gegen einen Baum gerast und dabei
umgekommen war. Alonsos Mutter hatte daraufhin einen schottischen
Bergbauingenieur geheiratet.
"Louisa
ist eigentlich sehr nett zu mir", erklärte Sophie wenig
überzeugend.
Beinahe
hätte Alonso laut gelacht. Lady Louisa Wilkins betrachtete ihre
Schwiegertochter seit jeher mit Abscheu, weil sie nicht aus einer
adligen Familie stammte. Aber vielleicht hatte sie sich ja geändert.
"Sie sieht gut aus", sagte er, "aber wie geht es ihr
wirklich?"
"Ich
denke, gut. Außerdem findet doch der große Ball statt,
und das lenkt sie ab."
"Ach
ja, die jährliche Wilkins-Weihnachtsgala. Ich bin übrigens
auch eingeladen."
Sophie
konnte es kaum fassen. "Wirklich?"
"Genau
wie alle Jahre zuvor", antwortete er zufrieden, denn er wusste
ganz genau, dass die Countess ihn nicht besonders schätzte.
"Leider war ich immer im Ausland und konnte daher nie am Ball
teilnehmen."
"Dann
wirst du also kommen?"
Er
hörte, wie ihre Stimme bebte. Sie wollte ihn also nicht
dabeihaben. Das war ja sehr interessant. "Sollte ich es tun?"
fragte er betont locker.
"Nein",
antwortete sie ehrlich. "Es wird dir nicht gefallen. Zu viele
Leute werden da sein, die Musik ist scheußlich, und es gibt
nicht genug zu essen. Außerdem kennst du keinen der Gäste."
"Du
wirst da sein, und allein deswegen lohnt es sich schon, sich die
Nacht um die Ohren zu schlagen."
Sophie
ballte die Hände zu Fäusten. "Mach dir keine
Hoffnungen, Alonso, ich bin immer noch nicht über Clives Tod
hinweg. Du hast also keine Chance. Außerdem habe ich dir schon
zum wiederholten Mal gesagt, dass ich keine neue Bindung …"
"Ich
bin nicht neu", unterbrach er sie kühl.