1. KAPITEL
Amalia stellte das Tablett mit dem Kaffee auf dem kleinen Tisch im Vorzimmer des Büros ab. Die beiden Männer, die dort in der Besucherecke saßen, waren so sehr in ihr Gespräch vertieft, dass sie sie kaum bemerkten. Sie zog sich zurück, blieb aber in der Nähe, falls ihr Chef noch etwas benötigte. Flüchtig warf sie einen Blick aus dem Fenster. Draußen tobte ein heftiges Unwetter, aus pechschwarzen Wolken prasselte der Regen gegen die große Scheibe. Sie konnte kaum noch das Meer erkennen. Missmutig dachte sie an ihren Heimweg. Trotz Schirm würde sie heute Abend nass bis auf die Haut nach Hause kommen.
„Ha, nur in Ihren Träumen“, hörte sie Stefano Vicente sagen, dann lachte er verächtlich über eine Äußerung seines Geschäftspartners.
Amalia sah zu Rafael Sandoval hinüber. Was hatte er nur gesagt, dass ihr Chef derart auffuhr? Stefano Vicente war allerdings auch sonst nicht gerade die Ruhe selbst. Sie arbeitete inzwischen über sieben Jahre in seiner Firma, die letzten drei als seine Privatsekretärin und wusste nur zu gut, wie aufbrausend er sein konnte.
„Wetten wir? Wie wär’s mit fünfzigtausend?“, fragte Rafael leichthin und musterte seinen Rivalen mit abschätzendem Blick. Er hatte ein großes Vermögen geerbt und dazu selbst ein blühendes Import-Export-Geschäft aufgebaut, das inzwischen weit über den Mittelmeerraum hinaus expandierte. Rafael arbeitete hart und riskierte viel. Eine Aura von Hochmut umgab ihn, wie sie großer Erfolg in jungen Jahren häufig mit sich bringt. Wann immer er das Büro betrat, überkam Amalia ein Gefühl von Ehrfurcht. Rafael verschwendete seine Zeit nicht mit Geplauder mit einer schlichten Angestellten. Er war selbstbewusst und seine Zeit kostbar. Dennoch hatte sie hier und da bemerkt, wie er sie betrachtete. Sobald sie seinem Blick begegnete, zwinkerte er ihr nur kurz zu und sah wieder weg.
Sie dagegen beobachtete ihn stets unauffällig – er war faszinierend. Nur durfte er sie niemals dabei ertappen; sie würde vor Scham im Boden versinken.
„Abgemacht! Ich werde Ihren Scheck mit Freude entgegennehmen“, antwortete Stefano mit einer Arroganz, die Rafaels um nichts nachstand. Amalias Chef war Ende fünfzig und ständig auf der Suche nach neuen Herausforderungen, um der ganzen Welt zu beweisen, dass er noch immer in Topform war. Warum müssen Männer nur andauernd miteinander wetteifern? fragte sich Amalia.
„Da liegen Sie falsch. Das Geld wird mir gehören!“, erwiderte Rafael. Er war Mitte dreißig, unglaublich attraktiv und geradezu kometenhaft in den Kreis der bedeutendsten Geschäftsleute Barcelonas aufgestiegen. Deshalb hatte Amalia ihn in den letzten drei Jahren sehr häufig hier im Büro gesehen; ihr Chef verkehrte ausschließlich mit den oberen Zehntausend der Stadt. Trotz seiner häufigen Besuche hätte Amalia ihren letzten Cent darauf verwettet, dass Rafael Sandoval sie auf der Straße niemals wiedererkennen würde. Er warf ihr immer nur im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick zu, musterte kurz ihre Figur und verschwand.
Stefano rührte provozierend langsam Milch in seinen Kaffee, bevor er Rafael ansah.
„Sie fahren erst seit zwei Jahren Heißluftballon, ich bereits seit über einem Jahrzehnt. Und nun wollen Sie mich bei dem Festival besiegen? Sie sind ein Narr, wenn Sie das glauben.“
„Ich lerne schnell. Oder versuchen Sie, wieder aus der Wette herauszukommen?“, spöttelte Rafael.
„Auf keinen Fall!“, protestierte Stefano. „Das ist zu einfach verdientes Geld.“
„So einfach wie unser Deal hier. Sie werden doch unterschreiben?“
Stefano warf einen Blick auf den Vertrag, der vor ihm auf dem Tisch lag. „Sollten meine Anwälte ihn noch einmal durchsehen?“
„Sie hatten ihn jetzt eine Woche lang. Es hat sich nichts geändert.“
„Das sagen Sie.“
Plötzlich war Rafaels Leichtigkeit dahin. Er kniff die Augen zusammen und musterte Stefano. „Ja, das sage ich. Zweifeln Sie an meinem Wort?“ Seine sanfte Stimme täuschte nicht über seinen Ärger hinweg.
Stefano aber zuckte nur mit den Schultern und trank gelassen seinen Kaffee.
„Ich zweifle nicht an Ihrem Wort. Aber es ist kein geringfügiges Geschäft, und man könnte ein Scheitern nicht einfach abhaken“, erklärte er schließlich.
„Es wird nicht scheitern“, erwiderte Rafael.
Einen Moment lang sah Stefano ihn schweigend an, dann nickte er und unterschrieb die Papiere. Er warf den Stift achtlos auf den Tisch und sagte: „Was halten Sie davon, wenn wir unseren Wettkampf etwas interessanter gestalten?“
„Wie?“, fragte Rafael, während er ruhig nach dem Stift griff und ebenfalls unterzeichnete.
„Indem wir jeder anstelle der üblichen Besatzung nur einen Begleiter mit in die Gondel nehmen – einen vom Gegner ausgewählten völligen Anfänger. Ich wähle Ihren, Sie wählen meinen. Zuerst treten wir in den üblichen Wettkämpfen des Festivals gegeneinander an, danach hängen wir noch einen Long Jump an – eine Woche, und wer in dieser Zeit die weiteste Entfernung zurückgelegt hat, ist der Sieger.“
Nach kurzem Überlegen lehnte Rafael sich lächelnd zurück. „Einverstanden. Aber Sie werden schon am letzten Wettkampftag so weit zurückliegen, dass Sie gar nicht mehr zum Long Jump starten wollen.“
Auffordernd sah Stefano zu Amalia hinüber. „Was meinen Sie?“
Sie wusste, Stefano gab sich nie geschlagen. Mit bedauerndem Kopfschütteln schaute sie den Rivalen ihres Chefs an. „Sie irren sich.“
„Das nenne ich eine brave Assistentin. Loyal bis zum Letzten“, sagte Stefano grinsend. „Sie sind meine Wahl für Rafael.“
Entsetzt sah sie ihn an. „Ich habe keine Ahnung von Heißluftballons!“ Sie wusste nur, dass sie hübsch aussahen, wenn sie am Himmel lautlos durch die Lüfte glitten. Und dass allein der Gedanke an eben diese Höhe ihr Magendrücken bereitete.
„Darum geht es ja gerade. Rafael und ich wollen unser Können messen. Wenn wir beide einen Neuling mitnehmen, starten wir unter den gleichen Bedingungen. Mann gegen Mann sozusagen“, erklärte Stefano.
„Das Barcelona-Ballon-Festival bedeutet vier vollgepackte Wettkampftage. Am Tag danach starten wir zu unserem Long Jump und sehen, wer in einer Woche am weitesten kommt. Sind Sie dazu bereit?“
Dem Blick aus seinen dunklen Augen wohnte eine solche Kraft inne, dass Amalia leicht erschauerte. Und mit diesem Mann sollte sie ganze elf Tage in einem dieser engen Körbe verbringen, die unter den riesigen Ballons hingen? Ganz bestimmt nicht!
„Nein. Ich kann das nicht, Stefano. Suchen Sie sich jemand anderen.“ Sie wusste nichts über diesen Sport, und was noch wichtiger war, sie litt unter Höhenangst. Mehrere Tage in der Luft zu verbringen, das war mehr, als sie ertragen konnte. Ganz zu schweigen davon, die ganze Zeit mit Rafael Sandoval zusammen zu sein.
Der Mann sah fantastisch aus. Groß und männlich, mit glänzendem mahagonifarbenen Haar, in dem sich trotz seiner vierunddreißig Jahre noch kein einziger grauer Faden zeigte, und dunklen Augen, die seine Gefühle spiegelten – wenn er es denn wollte. Von einer Sekunde zur anderen konnte seine Stimmung von Belustigung in Zorn umschlagen. Bei jeder Begegnung faszinierte er sie aufs Neue. Sie fühlte sich magisch von ihm angezogen und fürchtete, förmlich zu verbrennen, wenn sie ihm zu nahe käme.
Er war wirklich der attraktivste Mann, den sie je getroffen hatte. Aber das fand vermutlich jeder. Besonders die Paparazzi, die ihn ständig vor ihren Linsen hatten: Mit einer hübschen Frau an seiner Seite unterwegs zu einem High-Society-Empfang, auf seiner Jacht oder neulich nach dem siegreichen Wettflug mit seiner einmotorigen Maschine. Sie hatte in den Hochglanz-Magazinen gelesen, dass er mehrere riskante Sportarten betrieb, und war schon von ihm gefesselt gewesen, bevor sie ihn durch seine geschäftliche Verbindung mit Stefano Vicente persönlich kennengelernt hatte.
Allerdings hatte sie nicht das Bedürfnis, auch nur eine Stunde in seiner Gesellschaft zu verbringen. Er war viel zu extravagant und energiegeladen, um irgendetwas mit ihr gemein zu haben. Bestimmt fände er sie langweilig und berechenbar. Vielleicht würde er sich sogar über sie lustig machen.
Die ständige Aufmerksamkeit, die er in der Öffentlichkeit genoss, hatte ihn sicher sehr selbstsüchtig gemacht. Hatte er jemals ein normales Leben geführt? Mit all den damit verbundenen Sorgen und Nöten? Wahrscheinlich nicht.
„Na gut“, meinte Rafael, sich von Amalia abwendend, „nennen Sie jemand anderen.“
„Vielleicht sollte ich Ihre momentane Freundin vorschlagen?“, fragte Stefano spöttisch. „Teresas Reize würden Sie so sehr ablenken, dass mir der Sieg sicher wäre. Allerdings wäre mir ein ehrlicher Wettkampf fast lieber.“
„Kälte und frühes Aufstehen sind nichts für Teresa. Woher weiß ich übrigens, dass die Personen, die Sie wählen, das Rennen nicht sabotieren?“
„So etwas würde ich niemals tun!“, mischte Amalia sich empört ein. Wie konnte er es nur wagen, ihre Integrität anzuzweifeln!
Er zuckte nur mit den Schultern. „Wer ist Ihre zweite Wahl?“, fragte er Stefano.
„Das teile ich Ihnen später mit.“
„Für Sie werde ich meine Assistentin bitten. Helena interessiert sich für den Sport, auch wenn sie selbst noch nie an einem Wettkampf teilgenommen hat.“
„Dann sagen Sie ihr, dass ich mich mit ihr in Verbindung setzen werde.“
„Gut, schreiben Sie schon mal Ihren Scheck“, stichelte Rafael.
Amalia dachte an die Aufgaben, die sie zu erledigen hatte. Eigentlich hatte sie keine Zeit, herumzustehen und zuzuhören, wie sich zwei steinreiche Männer über ein albernes Ballonrennen unterhielten. Die fünfzigtausend Euro, die sie so achtlos aufs Spiel setzten, waren für die beiden nur Kleingeld. Darum zu wetten, kam Amalia, die mit einer solchen Summe ihr ganzes Leben verändern könnte, geradezu unmoralisch vor.
„Machen wir es noch etwas spannender. Der Verlierer muss dem Gewinner den Scheck öffentlich überreichen – beim nächsten Gala-Dinner des Wirtschaftsverbandes von Barcelona“, schlug Rafael vor.
Seine Augen blitzten teuflisch. Er wirkte übermütig und waghalsig und schien Momente wie diesen zu genießen. Offenbar rechnete er nie damit zu verlieren. Wenn man den Zeitungen glauben durfte, besaß er nicht nur Unmengen an Geld, er schien auch das Glück gepachtet zu haben und liebte Herausforderungen über alles.
Stefano sammelte die Papiere ein und übergab sie Amalia, dann stand er auf und reichte Rafael die Hand. „Möge der Bessere gewinnen, und ich gedenke der Bessere zu sein!“
„Üben Sie lieber schon mal ihre Rede vor den Verbandsmitgliedern. Sie sollte gut sein, dann können Sie damit ihre Schmach ein bisschen ausbügeln.“
Nachdem sich die beiden Männer voneinander verabschiedet hatten, hielt Amalia Rafael die Tür auf. „Noch können Sie Ihre Meinung ändern“, wandte er sich im Vorbeigehen an sie. „Entdecken Sie, wie es ist, mit einem Gewinner zu arbeiten.“
„Mein Chef wird gewinnen“, entgegnete sie loyal.
Er schüttelte den Kopf, zwinkerte ihr zu und verließ das Vorzimmer. Sie konnte sein Aftershave riechen, ein frischer, an Wald erinnernder Duft, der perfekt zu ihm passte. Einen Augenblick lang fühlte sie sich so stark von ihm angezogen, dass sie sich wünschte, sein Zwinkern hätte etwas Besonderes bedeutet.
Dann wandte sie sich wieder ihrem Chef zu.
„Können Sie wirklich gewinnen?“
„Natürlich“, erwiderte er leichthin. „Aber ich brauche Ihre Hilfe. Ich möchte, dass Sie mit Sandoval fahren.“
„Ich habe Höhenangst“, erwiderte sie kopfschüttelnd. „Außerdem, worüber sollte ich denn die ganze Zeit mit ihm reden?“
Stefano lachte. „Machen Sie sich darum mal keine Sorgen. Er wird viel zu sehr damit beschäftigt sein, mich zu schlagen. Und Annäherungsversuche müssen Sie auch nicht befürchten, Sie sind gar nicht sein Typ. Ihm gefallen extravagante sexy Luxusweibchen, er steht nicht auf selbständige Frauen. Ich möchte nur verhindern, dass ihm jemand hilft, der sich auskennt.“
Wieder schüttelte Amalia den Kopf. Sie konnte das einfach nicht. Selbst, wenn sie keine Höhenangst hätte. Sie musste arbeiten und sich um ihren jüngeren Bruder kümmern.
„Ich muss den Tunesienbericht noch fertigmachen“, brachte sie als nächstes Argument an. „Sie müssen sich jemanden anders suchen. Ich kann das wirklich nicht.“
„Dann verbinden Sie mich mit Teresa Valesquez“, wies er sie an. „Vielleicht hat sie Interesse. Sie wird Rafael ablenken, und mir ist der Sieg sicher.“
Amalia nickte, fragte sich allerdings, ob Teresa Valesquez zum Zeitpunkt des Festivals noch Rafaels Freundin sein würde, denn der Mann wechselte seine Liebschaften wie andere das Hemd. Und das Rennen sollte erst in zwei Wochen stattfinden.
Amalia machte sich wieder an die Arbeit. Sie mochte ihren Job; er war interessant und erfüllte sie. Das war gut so, denn sie würde ihn mindestens noch weitere vier oder fünf Jahre lang ausüben müssen. Sobald ihr Bruder seinen Universitätsabschluss hatte, würde sie sich wieder um ihr eigenes Studium kümmern. Sie hatte es nur wenige Monate, nachdem sie es begonnen hatte, unterbrechen müssen, weil ihre Eltern gestorben waren.
Wenigstens verdiente sie hier in der Firma gut genug, um sich und José ein bescheidenes Auskommen zu sichern. Ihre Eltern hatten ihnen mehr Schulden als Vermögen hinterlassen. Nach ihrem Tod hatte sie schreckliche Angst davor gehabt, ganz allein die Verantwortung für José zu übernehmen. Sie war erst neunzehn Jahre alt gewesen, ihr Bruder gerade acht. In den ersten Jahren, vor ihrem jetzigen Job, hatte sie es sehr schwer gehabt.
Inzwischen war sie schon einige Male befördert worden und verdiente genug, um ein bisschen Geld für Josés Studium beiseite zu legen. In einem Jahr würde er schon an die Universität gehen, um Physik zu studieren. Wenn er von der Ballonwette hörte, wäre er vermutlich völlig aus dem Häuschen. Am besten, sie erzählte ihm gar nicht erst davon; er würde ununterbrochen auf sie einreden, sie solle sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.
Sie hatte ihren Schreibtisch bereits aufgeräumt und zog eben ihren Regenmantel an, als Stefano aus seinem Büro kam.
„Sie müssen ab jetzt morgens als Erstes die Wettervorhersage heraussuchen. Ich muss mich auf das Rennen vorbereiten. Dieses Mal geht es nicht bloß ums Vergnügen. Ich kann es kaum abwarten, Rafaels Gesicht zu sehen, wenn er mir vor den versammelten Verbandsmitgliedern den Siegerscheck übergeben muss.“
„Dieser ganze Plan hört sich irgendwie gruselig an“, murmelte sie.
Einmal war sie beim Barcelona-Ballon-Festival gewesen, hatte sich allerdings nach dem ersten Start gleich wieder verzogen. Die Weidenkörbe, die lediglich an unglaublich dünnen Seilen hingen, wirkten unter den großen Ballons verschwindend klein, und sie schauderte bei dem Gedanken, nur von heißer Luft getragen mit einem solchen Nylonballon hoch über der Erde zu schweben. Das Ganze erschien ihr ziemlich fragwürdig und gefährlich. Sie hatte lieber festen Boden unter den Füßen.
„Es ist absolut sicher und macht großen Spaß. Es gibt nichts Schöneres, als hoch über der Erde dahinzugleiten. Zu sehen, wie die Welt unter einem vorbeizieht, zu fahren, wohin der Wind einen treibt“, sagte Stefano begeistert.
„Bis man in einer Hochspannungsleitung hängen bleibt oder ins Meer stürzt und ertrinkt oder …“ Oder einfach aus dem Ballon fiel und am Boden zerschmetterte. Sie verdrängte das grässliche Bild, das soeben in ihrem Kopf entstanden war.
Stefano lachte. „So etwas passiert vielleicht alle Jubeljahre einmal.“
„Aber es könnte Ihnen passieren.“
„Nein, eher nicht. In all den Jahren gab es nie einen derartigen Zwischenfall. Egal, Sie sind jedenfalls aus dem Schneider. Teresa Valesquez sagte mir vorhin, dass sie sich schon darauf freut, mit Rafael zu fahren. Ich glaube, sie hofft, am Ende einen Ring an ihrem Finger zu tragen. Das bezweifele ich allerdings; so weit ist Rafael noch nie gegangen. Er ist ein unverbesserlicher Playboy und amüsiert sich zu gerne, um sich von einer Frau bändigen zu lassen. Bis morgen früh dann“, fügte er im Hinausgehen hinzu.
Amalia nahm ihre Tasche und eilte aus dem Bürogebäude. Vor dem Hauseingang blieb sie im Schutze des Vordachs stehen und überlegte gerade, ob ihr Schirm dem Wind überhaupt standhalten würde, als ein schwarzer Sportwagen direkt vor ihr am Straßenrand hielt.
„Brauchen Sie eine Mitfahrgelegenheit?“, fragte jemand durch das geöffnete Beifahrerfenster. Es war Rafael Sandoval.
„Steigen Sie ein, ich fahre Sie nach Hause“, befahl er.
Normalerweise hätte sie schon allein wegen seines herrischen Tonfalls dankend abgelehnt. Aber sie war praktisch genug veranlagt, um sein Angebot bei diesem Wetter nicht auszuschlagen.
„Wie komme ich denn zu der Ehre?“, fragte sie, nachdem sie eingestiegen war und sich angeschnallt hatte.
„Damit ich Sie besser kennenlernen kann, natürlich.“
Als das Auto anfuhr, seufzte sie leise und lehnte sich in dem weichen Ledersitz zurück. „Nicht mehr nötig. Stefano hat Teresa Valesquez angeheuert. Ich werde nicht mitkommen.“
Würde er sie nun an der nächsten Ecke absetzen?
„Oh, verdammt, ich bin mir nicht sicher, wer von Ihnen beiden die schlimmere Begleitung ist“, sagte er.
„Na, vielen Dank“, murmelte sie. Dieser Mann hatte wirklich einmal einen Dämpfer nötig, hoffentlich verlor er das Rennen!
„Von zwei Übeln wählt man besser das bekannte, wie es so schön heißt. Aber ich bin mir da bei Teresa nicht so sicher. Ich kenne sie zwar, ahne jedoch, was sie sich von der Sache verspricht. Sie hingegen kenne ich nicht, aber zumindest weiß ich, dass Sie keine Hintergedanken haben.“
„Da ich aber nicht mitkommen werde, gibt es dazu auch nichts weiter zu sagen.“
„Ich werde Sie trotzdem nicht in den Regen hinaus schicken. Wohin?“
Sie lebte in einem älteren Stadtteil mit einfachen Mietshäusern und verschlungenen Gassen.
„Eine Seitenstraße der Via Estrada.“
„Also, wie sieht Vicentes Plan aus?“, fragte er einen Augenblick später.
„Er will gewinnen“, erklärte sie trocken.
„Genau wie ich“, erwiderte Rafael.
„Er glaubt, Teresa Valesquez wird Sie ablenken, was ihm einen Vorteil verschafft.“
Rafael warf ihr einen flüchtigen Blick zu. „Sie sind ehrlich. Wie … ungewöhnlich.“
„Dann haben Sie es wohl sonst mit den falschen Leuten zu tun“, entgegnete sie bissig. Erst unterstellte er ihr, seine Chancen untergraben zu wollen, jetzt war er überrascht, dass sie ehrlich war.
„Und empfindlich. Ich wette, da steckt irgendwo Temperament in Ihnen“, neckte er sie. „Aber als Vicentes perfekte Assistentin müssen Sie sich bestimmt ganz schön zurückhalten.“
Sie wollte irgendetwas Schlagfertiges erwidern, um ihn von seinem hohen Ross herunterzuholen, aber ihr fiel nichts ein. Wie sie das hasste!
„Glauben Sie, Teresa würde mich ablenken?“
„Keine Ahnung“, erwiderte sie steif. Seine Affäre mit der hübschen Frau ging sie nichts an, und sie würde nur wegen ein paar Artikeln in den Klatschzeitungen keine wilden Spekulationen anstellen. „Wenn Sie und mein Boss unbedingt so ein blödes Rennen veranstalten müssen, dann denke ich, ist eine Ablenkung so gut wie jede andere.“
„Dann sollte ich auch für ihn eine hübsche Frau finden.“
Amalia schwieg. Rafael musste wissen, dass Stefano verheiratet war. Glaubte er wirklich, ihr Chef würde seiner Frau bei einem Ballonrennen untreu werden?
„Keine Meinung dazu?“, fragte er drängend.
„Keine, die Sie hören wollen“, murmelte sie. „An der nächsten Ampel rechts, dann drei Blocks weiter zur Via Escondito.“
„Vielleicht will ich sie doch hören“, bohrte er weiter.
Nach kurzem Zögern sagte sie: „Mich stört diese alberne Wette. Glauben Sie nicht, dass Sie beide mit dem Geld Besseres anfangen könnten? Es gibt so viele hungernde Kinder auf der Welt, kranke Menschen, Obdachlose. Die könnten Sie unterstützen.“
„Aber ich spende ohnehin immer viel“, protestierte er.
Er verstand es nicht; Leute wie er würden es nie verstehen, sie standen dem normalen Leben einfach zu fern.
„Ich sage Ihnen etwas“, meinte er. „Ich werde meinen Gewinn an eine Wohltätigkeitsorganisation Ihrer Wahl spenden. Sie sagen mir, welche, und ich setze sie in den Scheck ein.“
Überrascht sah sie ihn an. „Warum sollten Sie das tun?“
„Warum nicht? Mir geht es bei der Wette nicht um das Geld, sondern um den Sieg.“
Amalia wandte den Blick ab. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, so leichfertig mit fünfzigtausend Euro um sich zu werfen.
Als Rafael vor ihrem Haus hielt, sah er sie an. „Ich finde es schade, dass Sie nicht mit mir fahren wollen. Ich liebe Herausforderungen.“
Amalia runzelte die Stirn. „Ich wäre keine.“
„Sie auf meine Seite zu bekommen wäre durchaus eine. Teamkollegen sollten dasselbe Ziel verfolgen. Wären Sie mit ganzem Herzen dabei, oder würden Sie mir das Rennen erschweren, wann immer Sie könnten?“
„Tja, das werden wir wohl nie erfahren.“ Er saß so dicht neben ihr, dass sie die kleinen Fältchen in seinen Augenwinkeln sehen konnte und das dunkle Braun seiner Augen.
Sanft strich er mit einem Finger über ihre Wange. „Wie schade.“
Empört wich sie zurück. „Danke fürs Mitnehmen“, sagte sie hastig, riss die Tür auf und stieg aus. Sie lief so eilig zu ihrer Haustür, dass sie den Regen kaum bemerkte. Seine flüchtige Berührung hatte sie aufgewühlt. Er lag völlig falsch – sie wäre überhaupt keine Herausforderung für ihn.
Als er hupend davonfuhr, drehte sie sich um und blickte dem glänzenden schwarzen Luxuswagen nach, bis sie die Rücklichter schon längst nicht mehr sehen konnte. Sie selbst besaß kein Auto und brauchte auch keines; die öffentlichen Verkehrsmittel genügten ihr völlig. José und sie hatten eine hübsche Wohnung. Sie war zwar kein Vergleich zu dem Haus, in dem sie aufgewachsen waren, aber das Beste, was sie sich leisten konnten. Sie hatte einen guten Job, und in ein paar Jahren würde sie sich wieder ihrer eigenen Ausbildung widmen können.
In ihrer Wohnung angekommen, deckte Amalia den Tisch und zog sich um. Später würde sie im Internet Artikel über das Ballonfahren nachlesen. Aus Stefanos begeisterten Erzählungen hatte sie bisher nur wenig darüber aufgeschnappt.
Sie redete sich ein, sie wolle nur mehr über den Sport wissen, um sich besser mit ihrem Chef darüber unterhalten zu können. In Wirklichkeit aber wollte sie herausfinden, was einen unternehmungslustigen Mann wie Rafael Sandoval so sehr daran faszinierte. Von plötzlicher Neugier getrieben, setzte sie sich doch sofort an ihren Computer, gab Rafaels Namen in die Suchmaschine ein und begann, die vielen Einträge über ihn zu lesen. Ein paar Dinge wusste sie bereits über ihn, andere waren ihr neu. Im Netz war sein Leben so zugänglich wie ein offenes Buch. Ob ihm bewusst war, dass die Leute alles über ihn erfahren konnten, wenn sie nur die richtigen Tasten drückten?
Trotz ihrer Höhenangst fragte sie sich sehnsüchtig, wie es wohl sein würde, lautlos am Himmel zu schweben, dem Wind zu folgen, Häuser und Felder unter sich zu sehen. Und das alles mit einem Mann, an dessen Seite das Leben aufregender schien, als sie es für möglich gehalten hatte.
Seine Eltern waren geschieden.