1. KAPITEL
Rennes, Bretagne, Frühjahr 1066
Schaut sie euch an“, verlangte Simon und deutete
mit einer Kopfbewegung in Richtung seiner … Gemahlin. Es kam ihm
immer noch seltsam vor, sie so zu nennen, und das war durchaus
verständlich, denn sie waren erst am heutigen Vormittag getraut
worden. „Nun schaut sie nur an.“ Bei ihrem bloßen Anblick rann ihm
das Blut heißer durch die Adern.
Giles, Brice und Soren wandten
ihre Blicke zum anderen Ende des großen, übervollen Saales, wo die
Damen während des Hochzeitsfestes ihre Plätze hatten. Elise hatte
sich zu ihrer Mutter und ihren Cousinen gesellt und plauderte
angeregt mit ihnen. Wie sehr sie ihn verzauberte mit ihrer
schlichten Schönheit und ihrem unschuldsvollen Betragen!
„Sie scheint recht guter Stimmung zu
sein, Simon“, meinte Brice. „Obwohl es mich erstaunt, dass sie
gekommen ist.“
Ein Blick auf seine Freunde sagte
Simon, dass sie die falsche Frau betrachteten, doch ehe er sie
korrigieren konnte, warf Giles ein: „Ja, mich auch. Alianor wirkt
verblüffend heiter für eine Frau, die ihren Geliebten gerade an
eine Ehefrau verloren hat.“ Salutierend hob er seinen Freunden
seinen Becher entgegen. „Vielleicht hält sie schon Ausschau nach
einem neuen? Na, Soren, wie denkst du über ihre Schönheit?“
Auflachend antwortete Soren: „Ich
werde lieber abwarten, wie es mit Simon und seiner Gemahlin wird.
Wenn er schon bald wieder in Alianors Bett landete, wären all meine
Anstrengungen, sie zu gewinnen, umsonst gewesen.“
Simon stieß einen lebhaft Fluch aus,
sodass seine Freunde abbrachen, und da sich einige Gäste schon zu
ihnen umwandten, fuhr er leiser fort: „Ihr Dummköpfe, ich meinte
Elise, nicht Alianor!“ Mit einem einzigen großen Schluck leerte er
seinen Becher. „Bastarde!“, knurrte er vor sich hin.
„Das zweifellos, Mylord“, pflichtete
Giles ihm spöttisch bei. Dann klopfte er Simon herzhaft auf die
Schulter. „Wir wollten dich nur ein wenig ablenken.“
„Ist es so offensichtlich?“ Seine
Anspannung stieg zusehends, wenn er daran dachte, Elise bald in
seinem Bett zu haben. Vom Augenblick an, als er sie im Burghof vom
Pferd steigen sah, hatte er sie begehrt, und nun, da sie auch vor
dem Gesetz die Seine war, begehrte er sie umso mehr.
„Wie bei jedem Bräutigam“, antwortete
Brice.
Wieder heftete Simon den Blick auf
seine Gemahlin. Sein Körper reagierte heftig auf ihre
weiblich-sanfte Schönheit, und auch jetzt wurde er hart, als er
daran dachte, dass er sie bald in seinen Armen halten, ihre Haut
streicheln, ihren Duft einatmen und sie in die Freuden des
Ehelebens einführen würde.
Gleichzeitig regte sich seine
Eifersucht, da seine Freunde sie interessiert musterten. Die drei
zogen Frauen an wie Honig die Fliegen, und er zweifelte nicht, dass
sie alle drei, die sie erfahren in der Kunst des Umwerbens waren,
ihn vor seiner jungen Gemahlin als den groben ungehobelten Gesellen
dastehen lassen konnten, der er war. Seine einzige Hoffnung, sie
trotzdem glücklich zu machen, lag darin, dass er sich für sie
ändern, zu ihr anders sein könnte.
Als hätte er sie mit seinen Gedanken
gerufen, schaute Elise auf und ihm gerade in die Augen. Sie warf
ihr hüftlanges kastanienbraunes Haar über eine Schulter zurück. Ihm
wurde die Kehle eng und der Mund trocken, doch als sie ihm ihr
sanftes Lächeln schenkte, dieses Lächeln, ohne das er nicht mehr
sein mochte, begann sein Herz wild zu rasen. Bald würde sie ganz
ihm gehören.
Erst als das Geflüster seiner Freunde
an sein Ohr drang, erwachte er aus seiner Verzauberung, und ihm
wurde sein Problem, die Brautnacht betreffend, erneut bewusst.
„Sie ist dein, Simon, das weißt du
doch ebenso gut wie jeder andere hier im Saal“, sagte Soren
lachend. „Was bekümmert dich da?“
Simon fand das nicht zum Lachen. Er
tat einen schweren Atemzug und vertraute ihnen mit unterdrückter
Stimme seine größte Angst an: „Sie ist noch Jungfrau.“
Die anderen sahen einander erstaunt
an. „Natürlich. Ihre Tugend wurde von ihrer Familie wohl gehütet,
trotz ihres ansonsten sehr unklugen Vaters“, erklärte Giles.
Elises Vater hatte beim Streit um die
Macht im Herzogtum die falsche Seite unterstützt. Simons Familie,
mit beiden Seiten verwandtschaftlich verbunden, hatte sich aus der
Sache herausgehalten, doch Simon befürchtete, dass der Kampf um die
Herrschaft wieder aufflammen würde; vor allem die Pläne von Cousin
William, England zu erobern, würden die Balance der Kräfte zwischen
den umliegenden Herzogtümern und Königreichen verschieben.
„Damen wie sie muss man mit Poesie
umwerben, um ihre Liebe zu gewinnen. Allein durch Ehe und
Heiratsvertrag gelingt das nicht“, setzte Simon an. Mochte er auch
als Frauenheld bekannt sein, so hatte er doch noch nie eine Dame
mit Gedichten und schönen Worten umworben – und ganz gewiss
nicht eine so liebliche und zarte. „Sie ist so zierlich und fein,
und ich … ich bin so … so …“
„Irdisch gesinnt?“, vollendete Soren,
wenn auch nicht mit dem Wort, das Simon gewählt hätte. „Die meisten
Frauen begrüßen es, wenn ein Mann viel Erfahrung hat.“ Soren lachte
laut und schlug Simon kräftig auf den Rücken. „Eben das hörte man
Lady Alianor oft genug sagen.“
Obwohl Simon wusste, dass die
lärmende Feierstimmung und zu viel Wein seinen Freunden die Zungen
gelöst hatten, drehte er sich auf dem Absatz um und entfernte sich,
um nicht handgreiflich zu werden – in Tumulten sollte sein
Hochzeitsfest nicht enden. Denn damit würde er Elise genau die
Seite seiner selbst zeigen, die ihm gerade Sorgen bereitete. Im
Vorbeigehen ließ er sich von einem der Diener einen Krug Wein
reichen und stapfte die Treppe hinauf zu der umlaufenden Empore, wo
er allein sein konnte und außerdem die Halle unten im Blick
hatte.
Von dort oben sah er, dass bereits
eine reizende Witwe mit Soren liebäugelte, sichtlich darauf aus,
für die kommende Nacht einen Bettgenossen zu finden. Kopfschüttelnd
fragte er sich, wieso die gesamte Weiblichkeit dem ‚Schönen
Bastard‘ zu Füßen lag.
„Deine Dame liebt dich doch schon,
Simon, du hast nichts zu befürchten.“ Mit diesen Worten trat Giles
zu ihm. „Sei sanft zu ihr, dann wird alles gut sein bei euch
beiden.“
Er hob seinen leeren Becher, und
Simon schenkte ihm und sich selbst ein.
„Ich komme nach der Familie meines
Vaters, und die ist nicht bekannt für Anmut und zierliche
Statur.“
„Ah, aber wer dich mit deinem Schwert
hat kämpfen sehen, weiß es besser. Und ob klein oder groß, es wird
sich alles richten, wenn du nur zuvörderst das Vergnügen der Dame
im Sinn hast.“
Simon setzte an und hätte auf einen
Zug den ganzen Becher geleert, doch Giles hinderte ihn. „Wenn du so
weiter trinkst, wird die liebliche Elise nur eine Sorge haben
müssen: Dass du nämlich untätig über ihr in Schlaf sinkst. Sag,
hast du denn noch nie eine Jungfrau gehabt?“
Er schwieg, doch das war Giles
Antwort genug. „Denk zuerst an ihren Genuss; wenn du ihr den
verschafft hast, wird sie dir wesentlich bereitwilliger den deinen
gewähren.“
Das klang vernünftig, doch in Simon
tobte schon längst das Verlangen nach seiner Braut so heftig, dass
seine Männlichkeit hart gegen seine Beinkleider drängte. Würde er
seine Leidenschaft in Zaum halten können, wenn er endlich mit Elise
allein war und sie nackt in seinen Armen lag?