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Bradwood Studios

Als Buch hier erhältlich:

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Welcome to Bradwood Studios!

***Mit Farbschnitt in limitierter Erstauflage (Lieferung je nach Verfügbarkeit)***

Eloise Stansons Traum wird endlich wahr: Sie darf in Monaco an den renommierten Bradwood Studios studieren! Doch das Glück hält keine 48 Stunden, als sie in einen skandalösen Vorfall auf einer Verbindungsparty verwickelt wird, für den der arrogante Frauenschwarm Chase Edwards verantwortlich ist. Ein Deal soll beiden in die Karten spielen: Wenn Chase ihre Zukunft an der Academy sichert, hilft Eloise ihm dabei, den hohen Anforderungen seines Vaters gerecht zu werden. Sich ineinander zu verlieben war jedoch nie Teil des Plans.


  • Erscheinungstag: 23.04.2024
  • Aus der Serie: Bradwood Studios
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 416
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745704167

Leseprobe

Für alle, die ihre Träume niemals aufgeben.

1. Kapitel

Aufbruchsstimmung

Eloise

Sehr geehrte Ms. Stanson,

herzlich willkommen an der Academy der Bradwood Studios!

Hiermit möchten wir Ihnen mitteilen, dass Sie zum Wintersemester für den Studiengang Filmjournalismus zugelassen wurden. Für Ihr Studium ist eine Regelstudienzeit von vier Jahren vorgesehen, die mit dem Abschluss des »Undergraduates«, einer vergleichbaren Qualifikation zum Bachelor, endet. Ihre Kurs-Wahlmöglichkeiten entnehmen Sie bitte den beigelegten Infomaterialien.

Zudem freue ich mich, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Instagram-Account elos_movies einen durchaus professionellen Eindruck hinterlassen hat. Aufgrund Ihres offensichtlich großen Engagements im Hinblick auf Ihre Tätigkeiten in den sozialen Medien möchten wir Ihnen zusätzlich mitteilen, dass Sie für Ihr Studium an den Bradwood Studios das »Monaco Talent«-Stipendium erhalten. Wir gratulieren Ihnen herzlich und freuen uns, Sie an der Academy willkommen zu heißen.

Mit freundlichen Grüßen

Eddison Sinclair, Rektorin und Leiterin des Schulausschusses

Wieder und wieder lese ich die Zeilen auf meinem Zulassungsbescheid. Wie ein Mantra, das mich vor dem Geschehen um mich herum ablenken soll, wiederhole ich die Worte immer- und immerzu.

Ich werde studieren. Alles läuft nach Plan.

Auch wenn dieser beinhaltet, dass ich mich seit beinahe einem Tag ausschließlich in Flugzeugen befinde. Eingedrückt in die Polster meines Sitzes, riskiere ich keinen einzigen Blick durch das kleine Kabinenfenster neben mir. Unser Flug von Atlanta nach London dauerte bereits mehr als acht Stunden, und meine erste Amtshandlung nach dem Start bestand darin, die Rollos runterzuziehen. Und jetzt, da wir auf dem Kurzflug zwischen London und Nizza die letzten Meilen hinter uns lassen, bin ich mehr als froh darüber, wenn unsere Anreise nach Monaco endlich der Vergangenheit angehört. Jetzt richte ich meine gesamte Konzentration darauf, das Stück Papier in meinen Händen zusammenzufalten und in dem Rucksack unter meinem Sitz zu verstauen.

»Ladies and Gentlemen, in wenigen Minuten erreichen wir unser Ziel: Nizza. Bitte bringen Sie Ihre Sitze in eine aufrechte Position …«

Ich höre nicht mehr zu, sondern beschließe, mich auf mein Ziel zu konzentrieren: Ich werde studieren. Nur das zählt. Ich schließe die Augen und versuche, dem Gedanken an die Landung zu entfliehen, so wie ich meinem alten Leben entflohen bin. Wenn ich meine Lider das nächste Mal öffne, bin ich in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent und beinahe in einer anderen Welt. Ich denke an einen weißen Sandstrand vor einem herrlich türkis schimmernden Meer, luftige Kleider, die sich bei einer leichten Brise um meine Beine bauschen, und gleißenden Sonnenschein, der alles beleuchtet wie die Scheinwerfer in einer besonders glamourösen Produktion. Auch wenn ich mich ganz und gar auf mein neues Leben fokussiere, entgeht mir doch nicht, dass sich das Flugzeug leicht nach unten neigt. Je näher wir dem Boden kommen, desto stärker pocht mein Herz.

»Landeanflug vorbereiten«, ertönt die verzerrte Stimme des Piloten. Der Druck in meinen Ohren nimmt zu, und mein Kopf fühlt sich an, als würde jemand mit beiden Händen von links und rechts dagegendrücken.

Einige Minuten später rumpelt es leicht, und mein Herz setzt beinahe ein paar Takte aus. Das leichte Rütteln hallt in meinem Inneren wider wie ein Erdbeben, und ich klammere mich an die Lehnen meines Sitzes, bis meine Finger schmerzen.

Eine gefühlte Ewigkeit später spüre ich einen heftigen Ruck, der mein Herz hinabsacken lässt, und kann gerade noch ein Keuchen unterdrücken. Sobald wir auf dem Asphalt aufsetzen, kann ich nicht umhin, einen erleichterten Seufzer auszustoßen.

Sobald ich die Augen öffne, schaue ich automatisch nach rechts. Der Blick auf die junge Frau neben mir lässt mich entgegen allen Adrenalins in meinem Körper schmunzeln. Man könnte meinen, dass man sich neben jemandem, der mühelos dem Schönheitsideal eines blonden Supermodels entsprechen könnte, irgendwie unsicher fühlt. Zum Glück sind meiner besten Freundin solche Erwartungshaltungen egal. So scheint es sie nicht im Geringsten zu interessieren, dass ihre langen Haare wie ein Nest um ihr sonnengebräuntes Gesicht liegen und dass ihr ein kleiner Sabberfaden am Kinn klebt. Für einen kurzen Augenblick glaube ich, sogar ein leichtes Schnarchen hören zu können. Ich stupse sie leicht mit dem Ellenbogen an.

»Alex, Alex, wach auf! Wir sind gelandet.« Meine beste Freundin zuckt vor Schreck zusammen und gibt einen weniger anmutigen Grunzlaut von sich, ehe sie die Augen öffnet. Kurz wirkt ihr Blick orientierungslos, bis sie begreift, wo wir sind.

»Meine Güte, ich dachte, ich falle von unserem Balkon«, sagt sie im leicht heiseren Flüsterton und schüttelt dabei den Kopf.

»Ist kein Wunder, bei der rumpeligen Landung habe ich auch gedacht, dass wir fallen könnten«, antworte ich ihr und blicke nach vorn, wo die Flugbegleiterin gerade die Tür des Flugzeuges öffnet.

»Aber, hey, immerhin hast du als kleiner Kontrollfreak die Landung gut überstanden. Weißt du noch, als ich dich letztes Jahr nach dem Abschluss für neun Monate zum Work and Travel nach Kanada geschleppt habe? Da war die Landung bei Weitem entspannter. Eigentlich wollte ich deine Hand halten. Ich weiß ja, wie schlimm das hier für dich ist.« Sie deutet auf die Kabine, in der wir uns befinden, und ich winke ab.

»Du hättest doch nicht viel machen können. Ich mag es einfach nicht, mein Leben in die Hände einer anderen Person legen zu müssen – im wahrsten Sinne des Wortes. Schlimmer wird das Ganze einfach nur noch dadurch, dass ich die Person nicht einmal kenne.« Wenn mir im Alltag etwas Unvorhergesehenes passiert, kann ich oft nur mir selbst die Schuld dafür geben, schließlich bin ich auf mich allein gestellt. Beim Fliegen ist das anders. Ich verlasse mich ungern auf andere Menschen.

Mit einem Mal klicken um uns herum etliche Gurte, und die Leute springen auf, als könnten sie es ebenso wenig hier drin aushalten wie ich. Die Fächer über unseren Köpfen werden geöffnet, und die Leute greifen nacheinander nach ihren Gepäckstücken. Manche von ihnen sehen genauso müde aus wie Alex, andere wiederum strahlen bis über beide Ohren, als stünde ihnen ein aufregender Urlaub bevor. Ich frage mich, ob es wenigstens eine andere Person hier drin gibt, die das gleiche Ziel ansteuert wie wir: die Bradwood Studios.

Etwa eine halbe Stunde später haben wir das Flugzeug verlassen und unser Gepäck am Band abgeholt.

»Das ging ja doch schneller als erwartet«, freut sich Alex, als wir die große Eingangshalle des Flughafens in Nizza erreichen. Vielleicht ist das ja bereits ein erstes Omen für unser bevorstehendes Abenteuer. Vielleicht ist hier alles so viel einfacher und mit mehr Leichtigkeit bestückt als mein bisheriger Alltag in Atlanta.

Ich lasse meinen Blick ein wenig schweifen, und während wir uns auf den Weg zum Ausgang machen, betrachte ich den Flughafen von Nizza. Eine riesige kreisförmige Lobby, komplett in Weiß gestaltet, erwartet uns hier. Allein die gewaltige gläserne Kuppelhalle, an der alle Terminals zusammenlaufen, ist bestimmt so groß wie drei Fußballfelder. Die durchsichtig schimmernden Wände geben den Blick auf all die kleinen Privatjets frei, die auf einem separaten Feld des Flughafens geparkt sind. Im strahlenden Licht der aufgehenden Sonne wirken die Maschinen wie majestätische Vögel, die bereit sind, sich in die Lüfte zu erheben. Voller Aufregung lasse ich meinen Blick durch das Innere des Flughafens gleiten. Hier trifft helle Eleganz auf dunkles Holz: geschwungene Holzbänke, auf denen sich die Menschen für einen Moment ausruhen können, manche mit einem edel aussehenden To-go-Becher, andere mit kabellosen Kopfhörern ausgestattet. Dazu noch die Schalter aus weißbeschichtetem Glas gegenüber den Wartelounges, an denen die Flugreisenden ihr Gepäck aufgeben. Selbst wenn hier nicht von allen Seiten das Licht nur so hineinfließen würde, wäre der Flughafen einer der strahlendsten Orte, die ich je gesehen habe. Die neuwertige Ausstattung des Flughafens, bestehend aus etlichen Flachbildmonitoren und Automaten, an denen man per Touchscreen sein Gepäck scannen kann, können mit unseren in die Jahre gekommenen Terminals in Atlanta nicht mithalten. Und auch die auf Hochglanz polierten Karosserien, die draußen im Sonnenlicht um unsere Aufmerksamkeit buhlen, bieten uns einen mehr als eindrucksvollen Empfang.

Alex und ich schieben unsere Rollkoffer zu der riesigen Drehtür aus Glas. Und das ist gar nicht so einfach, denn abgesehen vom Gewicht und der Menge unseres Gepäcks sind es vor allem die Menschenmassen, die uns das Durchkommen beinahe unmöglich machen. Obwohl es gerade mal kurz vor sechs Uhr morgens ist, herrscht hier am Flughafen bereits ein buntes Treiben. Mein Blick fällt auf eine fünfköpfige Familie, die in der Nähe des Eingangs steht. Während die Mutter wild gestikulierend versucht, ihre beiden Kinder davon abzuhalten, zu wild zu toben, studiert der Vater eifrig die Anzeigetafeln mit den Abflug-Gates. Nur die älteste Tochter in der Runde hat die Ruhe weg und ist mit ihrem Handy beschäftigt. Eine weitere Frau steht neben ihnen und wirft der Familie immer wieder genervte Blicke zu, während sie telefoniert und dabei ihre Kopfhörer im Ohr stecken hat. Ihre dunkel geschminkten Augen verengen sich, als sie meinen Blick bemerkt, und sie dreht sich von mir weg. Ich schaue nach vorn und bahne mir einen Weg vorbei an einem Pärchen, das sich in einer tiefen Umarmung verliert. Nur ein paar Schritte noch, dann sind die sich drehenden Flügel der Glastür zum Greifen nah und verschaffen mir die Freiheit, nach der ich mich bereits so lange sehne.

Eine Frau in knallroten Pumps und mit etlichen goldenen Ringen an den Fingern lässt vor uns einen Mann im schwarzen Anzug neben sich das Gepäck durch die Tür schleppen. Als sie meinen Arm streift, dringt mir ein süßlicher Geruch in die Nase. Es ist einer von dieser Sorte, die ohne Frage eine exquisite Note beinhalten, ohne zu aufdringlich zu wirken. Eine unterschwellige Eleganz, die mir an allen möglichen Details um mich herum auffällt: ein roter ausgerollter Teppich, der von den Wartelounges zum Eingang des Flughafens führt und der sich selbst unter meiner Schuhsohle herrlich weich anfühlt, die Tatsache, dass im Hintergrund des Flughafens überall klassische Musik ertönt. Als die Tür endlich frei wird und Alex vor mir hindurchtritt, nehme ich einen letzten tiefen Atemzug.

Jetzt geht’s los!

Auf dem Bürgersteig angekommen, fällt mein Blick auf die erste Sache, die mir bekannt vorkommt: Zahlreiche Taxen stehen dicht an dicht vor dem Eingang und warten auf ihre Kunden. Wann immer eines seinen Platz verlässt, rückt ein anderes nach. Alex, die im Gegensatz zu mir jedes Jahr mehrfach im Urlaub ist, schaut sich mit fachmännischem Blick um. Als ein älteres Ehepaar vor uns in einen der weißen Wagen steigt, deutet meine beste Freundin auf einen, der etwas weiter links von uns steht. Ein schlanker Mann lehnt dagegen. Gekleidet in ein Poloshirt und eine schlichte Jeans, beäugt er die Menge, die aus dem gläsernen Gebäude strömt.

Ich folge seinem Blick über eine weite Grünfläche, die sich am Horizont abzeichnet, und frage mich, ob dahinter wohl irgendwo Monaco liegt. Schließlich weiß ich, dass laut Maps dort das Meer liegen muss.

»Elli? Elli!« Alexandras Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. »Nicht einschlafen, Elli. Komm, unser Taxi wartet.«

Obwohl normalerweise ich die Effizientere von uns beiden bin, überlasse ich Alex im Moment liebend gern das Kommando. Unübersichtliche Situationen und Menschenmassen sind nicht unbedingt meine Spezialität – ich mag es geordnet und ruhig –, während Alex sich bedenkenlos in jede noch so große Herausforderung mit einem breiten Grinsen stürzt. Zielsicher deutet sie auf den hageren Mann, den ich eben noch beobachtet habe. Er trägt einen kleinen schwarzen Spitzbart am Kinn und mustert uns mit hochgezogenen Augenbrauen. Er nickt uns freundlich zu, und ein »Bonjour, Mesdemoiselles« verlässt seine Lippen, die sich danach sofort zu einem freundlichen Lächeln verziehen.

»Bonjour«, antworte ich und hänge ein erleichtertes »Merci« dran, als er mir mit fragendem Blick die beiden Koffer abnimmt.

Alex, weiterhin voll fokussiert, deutet auf ihre zwei überdimensionalen Hartschalenkoffer in Hellblau und entschuldigt sich, wahrscheinlich weil sie so schwer sind. Zumindest deutet ihr zerknirschter Gesichtsausdruck darauf hin. Im Gegensatz zu mir klingt ihr Französisch tadellos, was kein Wunder ist, wenn man bedenkt, dass ihre Familie Verwandte in Frankreich und sie bereits mehrere Sommer dort verbracht hat.

Wieder einmal bin ich froh, dass die Unterrichtssprache an der Academy Englisch ist.

Als uns der Mann einzeln die hinteren Beifahrertüren öffnet, schlägt mein Herz wie wild. Ich komme mir vor wie im zweiten Film von Sex and the City, wo Carrie, Samantha, Miranda und Charlotte in Abu Dhabi von vier nagelneuen Maybachs zum Hotel gebracht werden und sich in ein ihnen noch unbekanntes und zugleich aufregendes Abenteuer stürzen.

»Ich hätte in der Schule statt Deutsch lieber Französisch als Wahlfach nehmen sollen«, erkläre ich Alex, als ich neben ihr hinten im Auto Platz nehme. Mit einem Mal höre ich ein lautes Poltern, gefolgt von einem Rumpeln und einem, wie ich vermute, Fluchen auf Französisch. Ich schaue hinüber zu meiner besten Freundin, deren hellblondes Haar ihr beim Lachen ins Gesicht fällt.

»Er hat den Koffer als Miststück bezeichnet«, presst sie leise hervor und versucht, ihr Grinsen zu unterdrücken. Doch dann passiert das, was immer geschieht, wenn Alex zu lachen beginnt: Ich stimme mit ein. Und dann lachen wir irgendwann nur noch, weil die jeweils andere sich nicht mehr einkriegt.

Einer der Gründe, wieso Alex meine beste Freundin ist? Weil sie es schafft, mich trotz Müdigkeit, Unsicherheit und Chaos dazu zu bringen, alles um mich herum zu vergessen. Sie ist mein Fels in der Brandung, egal, wie stürmisch es um mich herum mal wird. Sobald wir uns beruhigt haben, drückt sie wortlos meine Hand, als hätte sie meine Gedanken gehört. Der Druck ihrer Finger fühlt sich an wie Sicherheit. Wie zu Hause.

Ein paar Augenblicke später knallt die Kofferraumtür zu, und der Mann setzt sich rasch auf den Fahrersitz.

Auf Französisch erklärt Alex ihm, wo wir hinwollen. Zumindest glaube ich das, denn ich höre das Wort »Monaco« und »Université«. Und dann noch die Worte, auf die mein Herzschlag mit einem wohligen Echo aus Wärme und Aufregung reagiert: Bradwood Studios. Mein ganz persönlicher Neuanfang.

Wie auf Kommando nickt ihr der überfreundliche Fahrer durch den Rückspiegel zu und drückt aufs Gaspedal. Binnen weniger Augenblicke verlassen wir die Stadt, und die hohen Glas- und Steinbauten verwandeln sich langsam in eine grüne Graslandschaft, hin und wieder verziert mit Palmen und orangefarbenen Häusern. Als wir Nizza hinter uns lassen, wechselt der Mann ins Englische und stellt sich uns als Antoine aus Paris vor. Während er auf die Straße vor uns deutet und erklärt, wo genau wir langfahren, werfe ich einen Blick aus dem Fenster. Hinter uns verschwindet so langsam die gewaltige Kulisse des Flughafens von Nizza und verblasst zu einer eindrucksvollen Erinnerung.

»Und ihr beiden studiert jetzt also an den Bradwood Studios?«

»Ja«, antworte ich stolz, und Antoine entweicht ein lautes »Ahhhh. Wie schön! Die Studios und alles drum herum sind wirklich hübsch«.

Während Alex nachfragt, wie groß das Gelände ist, auf dem wir die nächsten vier Jahre verbringen werden, schweifen meine Gedanken bereits ab. Ich stelle mir vor, wie meine beste Freundin und ich unser gemeinsames Zimmer beziehen, abends Filme schauen und uns über unsere Kurse austauschen. Die Academy baut sich nach und nach wie ein riesiges Märchenschloss in meinem Kopf auf, und obwohl ich dank der Bradwood-Website schon weiß, was mich dort erwartet, sieht sie in meiner Fantasie dennoch anders aus.

Ein wenig ist es wie mit Edward aus Twilight. Auch wenn ich Robert Pattinson im Film ganz gut fand, so wird die Buchvorlage auf ewig ein wenig davon abweichen, einfach weil meine Fantasie immer ihre eigenen Wege geht, statt sich an das zu halten, was ihr geboten wird. Ich stelle mir die Academy in genau dem gleichen mediterranen Stil vor, an dem wir jetzt vorbeifahren: orangefarbene Fassaden mit riesigen weißen Fensterrahmen, leicht golden schimmernde Fensterläden und Hauseingänge aus Mahagoni.

Die Bradwood Studios gelten zu den größten Filmproduktionsfirmen überhaupt, und die dazugehörige Academy zählt zu einer der renommiertesten Filmuniversitäten der Welt. Benannt wurde sie nach dem großen Regisseur Nicolas Bradwood, dessen Filmkunst insgesamt sieben Mal für einen Oscar nominiert worden ist. Von ihm stammen Leinwandhits wie Der letzte Oktober oder Just Imagine – Der Traum vom Leben. Da man bei den Filmstudios junge Nachwuchstalente fördern wollte, schuf man eine Filmakademie, an der es den dazugehörigen Studierenden möglich sein sollte, Castings zu besuchen und Teil der Bradwood-Produktionen zu sein.

»Gleich sind wir auf der Promenade des Anglais«, erklärt uns Antoine, und ich werfe einen Blick aus dem Fenster. Nizza ist wirklich idyllisch, und die sogenannte Promenade der Engländer führt uns direkt an einem mit Palmen gesäumten Fußweg vorbei, der Strand und Straße voneinander trennt. Das kristallklare Wasser schimmert von Weitem im Sonnenlicht wie hellblaue Diamanten und lässt erahnen, was in Monaco sonst noch für wunderbare Orte auf uns warten.

»Wie ihr seht, wird es direkt etwas felsiger, wenn man Nizzas Zentrum den Rücken kehrt.« Ich folge Antoines Blick aus dem linken Fenster. Beinahe, als wäre er in einen riesengroßen, grafitfarbenen Felsen gehauen worden, erhebt sich nach einer Weile der kleine Stadtstaat an der Mittelmeerküste und zeichnet eine Kulisse, die mir den Atem raubt. Es ist in jeder Hinsicht ein Kunstwerk, ein Mosaik aus erhabenen Gebäuden, in Serpentinen angelegten Straßen und fein blühenden Pflanzen, die sich ineinanderfügen wie Puzzleteile, um einander am Rande der Klippe festzuhalten und sich vom strahlend hellen Blau des Himmels als beeindruckende Einheit abzuzeichnen. Während die Wellen gegen die Felsen branden, leuchten die hellen Häuserfassaden im Einklang der langsam aufsteigenden Sonne und bieten eine Farbpalette aus Beige, Gold und Türkis. Auf den grün bewachsenen Klippen wirken die einzelnen Gebäude wie Farbtupfer auf einer großen grünen Tafel.

Je näher wir kommen, desto deutlicher erkenne ich auch die Menschen um uns herum. Während ich eben noch am Flughafen das Gefühl hatte, in eine fremde Welt abzutauchen, kommt mir jetzt alles doch wieder ein wenig gewöhnlicher – und darum beruhigender – vor. Vor einem Haus mit leuchtend gelber Fassade erkenne ich eine ältere Frau, die vor einer Wäscheleine steht und diese mit ihren Kleidern behängt. Der Wind bauscht die einzelnen Stoffe dermaßen auf, dass die Besitzerin unter dem bunten Wirbel fast vollständig untergeht. Sie bei so etwas Alltäglichem zu beobachten, macht mich friedlicher. Es ist beinahe, als hätte dieser kleine Ausschnitt Normalität etwas von dem Glanz abgekratzt, der an meiner Ehrfurcht vor Monaco haftete und mich bisher zwar beeindruckt, gleichzeitig aber auch etwas befangen gemacht hat.

Der Effekt verschwindet wieder, sobald wir uns einer großen Anhöhe nähern. Je weiter wir darauf vorankommen, desto imposanter werden die Gebäude und die Umgebung. Wir fahren vorbei an einem Anwesen, das beinahe ausschließlich aus Glas besteht und wie eine Spiegelfläche den gigantischen Infinity-Pool reflektiert, der in den anliegenden Felsen eingearbeitet ist. Während ich eben noch glaubte, ein Stückchen bekannten Alltags auf meinem Weg zum Studium zu begegnen, fühlt es sich jetzt so an, als würde mich eine riesige Welle der Einschüchterung überschwappen. So was wie dieses Haus hier ist definitiv kein Teil meiner bisherigen Normalität.

Augenblicklich überfällt mich ein Hauch von Angst. Angst, dass ich hier doch nicht dazugehören werde. Der leichte Druck, den ich an meiner linken Hand spüre, lenkt meine Aufmerksamkeit weg von meinen Gedanken zurück in den Moment. Dankbar schaue ich zu meiner besten Freundin. Der Blick, mit dem sie mich ansieht, zeigt deutlich, dass sie genau weiß, wohin ich abgedriftet bin. »Das wird toll.«

Ich nicke und versuche, wieder nach vorn statt zurückzublicken. Die Dankbarkeit darüber, das hier nicht allein durchziehen zu müssen, sammelt sich als dicker, heißer Kloß in meiner Kehle, weshalb ich mich damit begnüge, Alex’ Finger zu drücken. Sie weiß auch so, was ich ihr sagen will. Wir sind beste Freundinnen, seit wir damals zusammen im Kindergarten einen Sandkuchen gebaut haben. Sie war immer Teil meines Lebens und die einzige Konstante, als beinahe alles auseinanderbrach. Sie war immer das Licht in meinem Leben, selbst in den dunkelsten Momenten. Dass wir nun gemeinsam hier studieren werden, ist ein Geschenk, das ich immer noch kaum glauben kann.

»Ja, wir werden gemeinsam für unsere Prüfungen lernen und uns auf dem Campus irgendwo ein idyllisches Fleckchen suchen, um unsere Pausen zu genießen«, antworte ich ihr, sobald ich meiner Stimme wieder trauen kann.

Alex drückt meine Finger noch ein wenig fester. »Auf jeden Fall. Das hier haben wir uns verdient.«

Das Husten unseres Taxifahrers reißt meine Aufmerksamkeit wieder nach vorn. Wir folgen einer langen, kurvigen Straße, hinter der sich uns erst das gesamte Antlitz von Monaco offenbart. Am Fuße der Klippen befindet sich ein gewaltiger Hafen, der die Stadt wie eine Art Bilderrahmen an dieser Seite umschließt. Unzählige Jachten treiben auf dem azurblauen Meer und wirken wie kleine Fähnchen in viel zu starkem Wind.

Ohne zu überlegen, zücke ich mein Handy und suche den passenden Winkel, warte auf den perfekten Augenblick, um auf den Auslöser zu drücken. Nachdem ich bestimmt um die zwanzig Aufnahmen gemacht habe, navigiere ich zur Galerie meines Telefons und klicke mich durch die Auswahl. Bei meinen Bildern ist es mir wichtig, ein bestimmtes Gefühl einzufangen. Ich will es konservieren, damit ich mich auch noch nach Jahren hieran erinnern kann, an meine ganz persönlichen Erinnerungen. Vielleicht ist das ja der Grund, wieso elos_movies bisher so erfolgreich war: Auf meinem Instagram-Account geht es nicht nur um Ästhetik und einen ansprechenden Feed, sondern vielmehr um die rohen, ehrlichen Momente. Es geht um die kleinen Details, die einen nicht mehr loslassen, obwohl sie auf den ersten Blick ganz alltäglich erscheinen. Genauso fühle ich, wenn es um die Filme geht, die ich bespreche. Wenn ich in eine Leinwand eintauche, will ich die eine, unscheinbare Nuance finden, die aus ein paar Schnitten und Perspektiven ein Meisterwerk macht. Ich will zeigen, mit welchen einfachen Handgriffen man es schaffen kann, kaum greifbare Emotionen direkt in die Herzen der Zuschauer zu transportieren und damit einen Kinobesuch zu einem wahren Erlebnis zu machen.

»Mein Abenteuer in Monaco beginnt«, lauten die Worte, die ich unter das Bild setze, für das ich mich letztendlich entscheide. Es ist ein wenig unscharf, dennoch strahlt es in den schillerndsten Farben. Vielleicht finde ich es deshalb so passend: weil es zu diesem Moment passt und weil die Zukunft, in die ich unterwegs bin, selbst noch ein wenig nebelhaft erscheint.

»Erinnerst du dich noch daran, als ich dir in der sechsten Klasse meine neuen teuren Sneaker von Adidas gezeigt habe und meinte, dass die bei Weitem das Schönste sind, was ich jemals zu Gesicht bekommen habe? Ich korrigiere: DAS ist das Schönste, was ich jemals gesehen habe«, sagt Alex, während sie mit dem Zeigefinger ehrfürchtig auf das Panorama direkt vor uns deutet.

Mittlerweile kleben wir wie Welse in einem Aquarium an unseren Scheiben, und dabei nehme ich nur im Augenwinkel wahr, dass der Taxifahrer uns mit einem belustigten Blick aus dem Rückspiegel zusieht. Ich frage mich, wie lange er hier schon lebt und ob ihm bewusst ist, vor was für einer Kulisse sein Leben stattfindet. Gewöhnt man sich je an so etwas Wunderschönes? Ich hoffe, nicht.

Unser Weg führt uns vorbei am Palastplatz, der Kathedrale Notre-Dame-Immaculée und dem bekannten Fürstenpalast. Je länger wir durch die Altstadt Monacos fahren, desto mehr beschleicht mich das Gefühl, mich kleiner machen zu müssen. Als würden die unzähligen Ferraris, Louis Vuittons, Chanels und Pradas sämtlichen Glanz für sich beanspruchen und alles Gewöhnliche beiseiteschieben. Jeder einzelne dieser Namen hat Bedeutung und steht für Glamour, Luxus, Wohlstand und Erfolg, während meiner nur so viel ist: gewöhnlich und nichtssagend. Sosehr ich mich auch darum bemühe, noch kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand wie ich wirklich in diese Welt hineinpasst. Wie bei Cinderella, die durch das Probieren des gläsernen Schuhs zur Prinzessin wird. Dabei komme ich mir eher vor wie eine ihrer Stiefschwestern. Obwohl ich versuche, meinen Fuß in diese Welt zu setzen, erscheint sie einfach zu groß für mich, um hineinzupassen und nicht direkt wieder rauszufallen.

Wir folgen dem Boulevard de Larvotto, der uns durch den gleichnamigen Tunnel am großen Casino der Stadt vorbeiführt und uns am großen Hafen Port Hercule wieder in die Freiheit entlässt. Die Namen habe ich mir eingeprägt, weil ich schon oft mit meinem Handy die einzelnen Straßen gegoogelt habe.

Ich streife über meinen nackten Arm und fühle die Gänsehaut, die sich über meinen Körper zieht. Jetzt all die Orte hautnah zu erleben, die ich seit Wochen immer wieder auf Bildern anschaue, lässt mich verstehen, dass heute ein riesiger Traum wahr wird. Einer, der zwischenzeitig so weit weg erschien, dass jegliche Vorstellung an eine solche Zukunft von einem ungläubigen Schnauben und einem belächelnden »Mach dir nichts vor, Schatz« begleitet wurde. Es ist schwer zu glauben, dass man etwas wirklich verdient hat, wenn einem sein halbes Leben lang eingetrichtert worden ist, dass man nicht gut genug sei.

Mit einem entschiedenen Kopfschütteln verbiete ich mir selbst, weiter darüber nachzudenken. Stattdessen konzentriere ich mich auf die prunkvollen Flaniermeilen, deren Schaufenster im Sonnenlicht glänzen, die strahlend weißen Boote, die gerade im Hafen anlegen, und die unzähligen Restaurants, die sich entlang der Promenade aufreihen und deren weiße Sonnenschirme kleine Oasen für die Gäste bereithalten.

»Wie viele Schiffe das wohl sein mögen?«, frage ich Alex, die ebenfalls staunend aus dem Fenster blickt und die vielen Jachten im Hafen begutachtet.

»Ich weiß nicht. Fünfzig? Auf jeden Fall liegt da unten ein gewaltiges Vermögen an.«

Weitere zwanzig Minuten später wird die Straße vor uns schmaler und kurviger. Entlang zahlreicher steiler Klippen folgen wir dem sich windenden Weg, nur knapp unter uns ein schwindelerregender Abgrund. Instinktiv rutsche ich ein Stück näher an Alex heran, die ungewöhnlich ruhig geworden ist. Ich weiß nicht, wie lange wir auf den asphaltierten Schlangenlinien fahren, aber als wir schließlich ankommen, merke ich, dass ich anscheinend die Luft angehalten habe. Mit einem erleichterten Seufzer lasse ich mich zurück in die Polster fallen und traue mich, wieder nach draußen zu schauen – und wieder einmal in Staunen zu geraten.

In langsamem Tempo nähern wir uns einem gewaltigen weißen Gebäude. Es erinnert an einen großen, prunkvollen Bau aus der Zeit des Klassizismus, mit imposanten Säulen und einem großen Vorbau, wie man es vom Weißen Haus in Washington kennt. Daneben ragt ein Hochhaus in die Luft, das mich direkt an ein Hotel erinnert. Während das große Hauptgebäude in einem klassischen, fast schon königlichen Chic erstrahlt, wirkt das Hochhaus daneben modern, ausgestattet mit mehreren Fenstern und zahlreichen Balkonen. Das Geländer aus weißem Stein ist schwungvoll um die Fassade drapiert worden und verleiht dem Mauerwerk etwas Erhabenes und Elegantes.

»Wow, kneif mich«, fordere ich Alex auf, was sie auch tut. Doch bis auf den leichten Schmerz ändert sich nichts. Die Bauwerke sind nach wie vor da, als wir vor ihnen auf dem von gigantischen Eichenbäumen gesäumten Weg zum Stehen kommen. Bereits ein erster Blick auf die paar Menschen vor dem Hauptgebäude zeigt mir, dass wir an keiner gewöhnlichen Akademie sind. Zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass Porsches, Limousinen und Designerklamotten zur alltäglichen Ausstattung eines jeden Studierenden gehören.

Ich frage mich, wer die jungen Frauen sind, die sich hinter ihren großen Sonnenbrillen, engen, teuer aussehenden Kleidern und hohen Schuhen verbergen, und ob die jungen Männer, die in Hemden und Krawatten neben ihnen stehen, so rumlaufen, weil sie es wollen oder weil es von ihnen verlangt wird. Ein paar von ihnen beäugen uns, als würden sie spüren, dass wir nicht aus Monaco stammen. Vielleicht ist all der Prunk und die Pracht für sie so gewöhnlich, dass es sofort auffällt, wenn jemand von den schwindelerregenden Standards abweicht.

Als ein knallroter Porsche neben uns seinen Motor aufheulen lässt, macht es klick!, und ich begreife: Wir sind die Einzigen, die nicht mit einem schicken Wagen hergefahren sind. Von McLaren über Mercedes bis hin zu Lexus und Bentley ist beinahe jede teurere Automarke vertreten. Die Autos geben meine Gefühlslage genau wieder: Ich fühle mich wie das Taxi unter den Luxuskarossen.

»Wow«, haucht Alex neben mir, nachdem wir aus dem Wagen gestiegen sind. Während der Taxifahrer unser Gepäck auslädt, gehe ich ein paar Schritte auf das Hauptgebäude zu, kann jedoch nicht umhin, an meiner Kleidung zu zupfen. Mein graues, etwas zu großes Oberteil fällt locker an mir herab und lässt mich jeden Windzug darunter spüren. Doch Jeans, Sneaker und T-Shirt erschienen mir als bequemste Wahl für eine so lange Reise, wenn auch nicht unbedingt passend für eine so luxuriöse Umgebung, wie sie hier an den Bradwood Studios zu finden ist. Um möglichen Blicken zu entkommen, schaue ich mich weiter um. Eine grüne Wiese mit etlichen gelben Blumen auf länglichen Beeten links und rechts von mir säumen einen steinernen Weg zum Eingang. Dort prangt in riesigen goldenen Lettern die Aufschrift:

BRADWOOD FILM ACADEMY –
THIS IS WHERE STARS WILL BE BORN

2. Kapitel

Aller Anfang ist schwer

Chase

»Na, das nenne ich mal einen Auftritt«, rufe ich Stuart über das Dröhnen der Maschine zu. Mein bester Freund, extravagant wie immer, hat beschlossen, mit dem Helikopter seines Vaters anzureisen, und steigt mit einem Filmstargrinsen durch die kleine Luke aus dem Inneren des noch immer lärmenden Metallgehäuses. Abgeschirmt durch den Krach des Propellers, bedeutet Stuart mir mit den Händen, dass er meine Worte nicht verstanden hat.

Ich winke ab und sehe stattdessen zu, dass ich mich von dem Wind des Helis entferne, der gerade auf dem Privatflugplatz in der Nähe der Stadt gelandet ist.

Stuart nimmt die Kopfhörer ab und reicht sie dem Piloten, dann stürmt er auf mich zu und umarmt mich. Er ist einen halben Kopf kleiner als ich, dafür allerdings von genau der gleichen, sportlichen Statur. Er hat breite Schultern und ziemlich große Hände, die er selbst immer scherzhaft als Pranken bezeichnet.

»Du hast ja keine Ahnung, wie langweilig einem in drei Wochen in St. Tropez werden kann.« Im Gegensatz zu mir ist er der typische Umarmer und gewährt beinahe jedem das Privileg einer solchen, wie er es ausdrücken würde. Ich hingegen akzeptiere das nur bei den Leuten, die ich wirklich mag.

Grinsend klopfe ich meinem besten Freund auf die Schulter und führe ihn vom Platz. Der Monaco Heliport befindet sich ein Stück fernab auf einem kleinen Hügel. Inmitten zahlreicher grüner Wiesen- und grauer Felsenlandschaften sieht man von hier aus in einiger Entfernung die steile Küste Monacos hervorblitzen. Hinter uns befindet sich ein gewaltiger grauer Stahlbau, ein Hangar, in dem die vielen Helikopter gewartet und untergebracht werden.

Ich werfe noch einen letzten Blick darauf, ehe ich mich wieder Stuart widme. »Schweres Schicksal, das dir da aufgebürdet wurde, mein Freund. Wo ist deine Schwester?«, erkundige ich mich. Gina ist Stuarts ältere Schwester, die ebenfalls an den Bradwood Studios studiert. Zumindest dann, wenn sie nicht gerade als bekannte monegassische Influencerin in der Welt herumfliegt und Kooperationen mit Modeunternehmen eingeht. Sie studiert im siebten Semester Kostümdesign und ist dementsprechend beinahe fertig mit ihrem Studium.

»Ach, die gönnt sich gerade mit ihren Mädels und unserer Mutter Wellness irgendwo in Florida. Die Amis haben da so einen Wellnesstempel in Miami eröffnet, und sie wurde eingeladen, eine der Ersten zu sein, die darüber berichten. Als Influencerin gilt ja immer: Job comes first. Auch wenn sie gerade eigentlich anfangen sollte, ihre Kostüme für die Abschlussprüfungen zu fertigen. Aber wie ich sie kenne, wird sie das auf den letzten Drücker machen und trotzdem die Bestnote bekommen. Mann, die Talente in meiner Familie sind echt unfair verteilt«, entgegnet er und strubbelt dabei durch seine kurzen roten Haare.

Ich schenke ihm ein mitfühlendes Lächeln, ehe er vor mir stehen bleibt und sich in den Gläsern meiner schwarzen Sonnenbrille begutachtet. Sein neongelbes Hemd weht ihm so stark um den Körper, dass ich jeden Knopf anschaue, aus Sorge, sie könnten abreißen. Stu fummelt an einem der vielen Ringe an seinen Fingern herum, und ich frage mich, wie der Heli bei dem Gewicht an Silber überhaupt abheben konnte. Mein bester Freund ist in jeglicher Hinsicht extravagant, sowohl was sein Aussehen als auch seine Einstellung dem Leben gegenüber betrifft. Er gibt sich gern als ausgefallener und auffallender Paradiesvogel, der für jeden Spaß zu haben und immer der Präsenteste im Raum ist. Dabei wissen nur wenige, dass er einer der ausgeglichensten und loyalsten Menschen ist, die ich kenne.

»Und jetzt sag mir: Was hab ich verpasst? Dreht dein Dad einen neuen Film? Hast du wieder einer Lady das Herz gebrochen? Und konntest du Angela endlich überzeugen, dass sie mir mal wieder ihre leckere Paella kocht?« Angela ist unsere Haushälterin. Stu hat nach einer Party vor ein paar Monaten einen gewaltigen Kater gehabt, den nur ihre Paella wieder auf Vordermann bringen konnte. Wenn er also von der Paella spricht, kann das nur eines bedeuten.

»Also hast du gestern wieder einen draufgemacht?« Meine Frage scheint ihn zu verwundern, denn für einen Augenblick hört er auf, sich in meiner Brille zu mustern. »Natürlich. Der dritte Abend in Folge. Aber da die Uni jetzt wieder losgeht, muss ich wenigstens kurz Pause machen. Ich hab meiner Mom versprochen, dass ich in diesem Jahr einen guten Eindruck hinterlasse. Sie muss ja nicht wissen, wie intensiv meine Bemühungen sein werden, oder eben auch nicht sein werden. Also, wie steht es um die Paella?«

Kopfschüttelnd wende ich mich ab, Stu holt direkt auf und läuft neben mir her. Wir nähern uns seinem schwarzen Ferrari, der gerade von einem der Flugplatzmitarbeiter vorgefahren wird. »Nein zu allem. Du hast nichts verpasst, mein Dad dreht keinen Film, und das einzig gebrochene Herz hier wird deins sein, wenn ich dir sage, dass Angela die Paella nur zu besonderen Anlässen kocht.«

Stuart öffnet die Fahrertür seines Wagens und nimmt dem Mitarbeiter den Schlüssel ab. »Danke«, sagt er mit einem knappen Nicken, ehe er sich wieder mir zuwendet. »Also, wenn die Rückkehr deines verschollenen besten Freundes nicht Anlass genug ist, dann weiß ich auch nicht.«

Ich schüttele lachend den Kopf und steige auf der Beifahrerseite ein. Unser Fahrer hat mich vorhin hier am Heliport abgesetzt, doch mit Stu hatte ich schon vorab besprochen, dass ich auf dem Rückweg bei ihm mitfahren werde. »Bescheiden wie eh und je.«

Ich lasse mich in die weichen, hellbraunen Sitze seines Wagens sinken. Es riecht nach Leder und Neuheit. Nicht nur daran, sondern auch an den kaum abgefahrenen Reifen des Wagens kann man sehen, dass das gute Stück erst vor Kurzem aus der Fabrik kam.

»Also, mein hübscher Freund, wie waren deine Ferien?«, fragt Stuart und startet den Motor.

»Ach, das Übliche. War oft im Country Club und hab Tennis gespielt.«

»Gezeichnet?«, hakt er nach.

»Ja, ein wenig. Wenn der Freiraum es hergegeben hat.«

Stuart nickt verständnisvoll. »Ist dein alter Herr nicht oft unterwegs gewesen?«

»Nicht oft genug.«

Mein bester Kumpel klopft mir auf die Schulter, sein Blick ist nach wie vor auf die breite asphaltierte Fläche vor uns gerichtet. »Du weißt ja, wenn du mal Freiraum brauchst: Wir haben noch ein Gästehaus.«

»Du weißt, wenn ich könnte, wäre ich bereits seit Jahren euer Hausgast.« Mein Vater ist ein Kontrollfreak, vor allem, was mein Leben und die Pläne darin angeht. Man könnte meinen, er wäre nur Regisseur geworden, um das Leben seines Sohnes zu skripten.

Stu verzieht missbilligend den Mund. »Das Angebot steht, egal wann.«

»Danke, Mann.« Mehr bringe ich nicht raus. Ich bin nicht gut mit so was, Stu ist der deutlich Reifere von uns beiden, wenn es um Gefühle und Nähe und so einen Kram geht. Schätze, das kommt davon, wenn man von zu Hause nie mitbekommt, wie gesunde zwischenmenschliche Beziehungen funktionieren.

»Also, deine Zeichnungen«, wechselt Stu das Thema. »Immer noch die für den Animationsfilm?«

»Ja, ich war mit den alten nicht zufrieden und hab neu angefangen.«

Ihm entwischt ein kurzes Lachen. »Deine Geduld hätte ich gern. Wobei, nein, eigentlich gefällt mir mein impulsives und unruhiges Ich ganz gut. Darf ich sie mal sehen?«

»Klar.« Ich zucke mit den Schultern, als wäre nichts dabei, dass jemand meine Zeichnungen sieht, dabei wissen wir beide, dass es für mich nicht nichts ist. Es bedeutet mir alles, das Zeichnen, die Möglichkeit, der Realität zu entfliehen und mich in die Linien auf meinem Papier zu flüchten. Für einen Moment zu vergessen, dass mein Leben nicht bereits vorgezeichnet ist, und zwar in den dunkelsten Farben.

»Übrigens hab ich online geschaut, und wir haben bis auf einen Kurs alle Fächer in diesem Semester zusammen«, erkläre ich Stu und wechsle das Thema.

Mein Freund grinst. »Das klingt doch gut. Ich brauche seelischen Beistand, wenn Ms. LaCroix dieses Jahr wieder einen Kurs leitet. Sie hasst mich.« Stuart rauscht mit dem Auto vom Gelände und biegt auf die Straße Richtung Innenstadt ab.

Es ist früh am Morgen, und die Straßen sind überfüllt. Nicht nur unzählige Autos sind bereits unterwegs, sondern auch in den Geschäften um uns herum drängen die Leute dicht an dicht. Ich beobachte dieses Treiben jedes Mal mit einem inneren Seufzen. Die Urlaubssaison hat begonnen, und viele Touristen strömen nach Monaco, um ein wenig den Luxus und die Exklusivität zu schnuppern, während sie versuchen, selbst welchen zu verströmen. Dabei fällt ihnen gar nicht auf, wie austauschbar sie sind. Alle tragen sie die gleichen Marken, haben den gleichen Stil und das gleiche Geld, das sie auf die gleiche sinnlose Weise verschleudern. Indem sie sich Statussymbole kaufen, die im Endeffekt nichts darüber aussagen, wer man eigentlich ist.

Wir rauschen an den Läden vorbei, bis wir den Stadtteil Monte-Carlo erreichen, wo wir am großen Casino der Stadt vorbeifahren. Der beigefarbene Prachtbau erhebt sich aus der leicht mediterranen Kulisse der Stadt wie eine Art Palast. Eine riesige grüne Glaskuppel, Türme mit Spitzdächern und ein imposanter Eingangsbereich, bestehend aus drei braunen Flügeltüren, lassen das Gebäude alles um sich herum in den Schatten stellen. Auf dem mit leuchtend grünem Gras und Blumenbeeten in den verschiedensten Farbtönen verzierten Platz vor dem Casino erhebt sich ein prunkvoller Springbrunnen, der zahlreiche Wasserfontänen gen Himmel schießt.

»Sie hasst nicht dich, sondern deine Arbeitseinstellung. Und wenn du mich fragst, hat sie damit nicht ganz unrecht. Nur wenige kommen erst zwei Tage vor Uni-Beginn hier an und haben noch nicht mal ihre Bücher. Ich könnte mir so was nicht erlauben. Der Ärger, den ich mir dafür von meinem Vater einhandeln würde, wäre definitiv schlimmer als alle schlechten Noten dieser Welt.«

»Tja, mein Freund, du bist auch bei Weitem nicht so charmant wie ich«, scherzt Stuart und bringt mich damit erneut zum Lachen. Er hat recht, das bin ich sicher nicht.

Stu dreht das Radio auf und bewegt den Kopf im Takt der Musik. Wir beide haben nicht unbedingt viele Gemeinsamkeiten, was Musik anbelangt. Doch wenn Eminem läuft, bewegen wir beide zu seinen Songs die Lippen.

»Wieso sollte ich denn eher zurückkommen?«, fragt Stu und greift das Thema noch einmal auf. »Nur damit ich mir die ganzen Erstis anschauen kann, die sich heute beim Willkommenstag auf die Füße treten? Nein danke. Und da du so lieb warst, nachzufragen: Meine Bücher sind unterwegs. Die kommen heute noch per Expresslieferung. Wie sieht’s bei dir aus? Freust du dich, deinem Abschluss in Regie wieder ein Stück näher zu kommen?« Stuart verzieht die Lippen zu einem mitfühlenden Lächeln. Er weiß, dass dieses Studium nicht meine erste Wahl gewesen ist, doch er weiß nicht, wie schwer es für mich ist, jeden Tag die dazugehörigen Kurse zu besuchen. Einen Augenblick halte ich inne und werfe ihm von der Seite einen schuldbewussten Blick zu. Weder mein bester Freund noch sonst jemand weiß es, doch mit jedem Semester, dass ich in Richtung Regie gehe, komme ich meinem Albtraum immer näher.

Eloise

»Dann schauen wir mal, wo wir genau hinmüssen«, sagt Alex entschlossen und deutet auf eine Karte an einer Pinnwand im Hauptgebäude. Marmorfliesen und riesige Kronleuchter lassen die Uni im Inneren wie einen Palast aussehen. Und während ich mich beinahe in der traumhaften Kulisse verliere, fällt mir der Lärm aller Studierenden um uns herum fast nicht auf. Wie auf einem überfüllten Schulhof drängen die Leute dicht an dicht an uns vorbei. Wenn es bei uns in Atlanta so voll auf den Gängen der Schule war, hatte man das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, doch das gilt erstaunlicherweise nicht für die Bradwood Academy. Mit jedem Menschen, der an mir vorbeistürmt, dringt ein anderer Geruch in meine Nase. Mal der nach einem fruchtigen Parfum, mal der eines sehr würzigen, aber exquisiten Aftershaves.

»Ich würde ja sagen, dass ich geflasht bin, aber das wäre wohl die Untertreibung des Jahrhunderts«, erklärt Alex. Sie hat recht. Dass Reichtum das Eins-a-Kriterium dieser Academy ist, wird an jeder Ecke deutlich. Prunk und Pracht an den weißen Wänden, wo Gemälde berühmter Schauspielgrößen wie Meryl Streep, Alan Rickman und Brad Pitt in goldenen Rahmen hängen und von golden schimmernden Kronleuchtern angestrahlt werden. Selbst die Menschen hier erscheinen irgendwie golden: Mit all ihrem glänzenden Schmuck und blitzendem Zahnpastalächeln wirken sie wie aus einem besonders wertvollen Ei gepellt.

Das Licht fällt von oben auf uns herab und erinnert mich an ein riesiges Filmset. Gleich rechts am Eingang erhebt sich ein gläserner Tresen. Erst jetzt bemerke ich den roten Teppich auf dem Boden, der genau zu diesem Empfang führt. Wow, als ob man bereits auf dem Red Carpet unterwegs wäre. Fehlt nur noch das Blitzlichtgewitter.

Als wir dem Tresen näher kommen, erkenne ich, dass er an der Front mit verschiedensten Filmzitaten verziert ist. »Houston, wir haben ein Problem« aus Apollo 13, »Ich bin der König der Welt« aus Titanic, »Mein Baby gehört zu mir« aus Dirty Dancing und zahlreiche andere Zitate stehen dort in unterschiedlichen Farben und Schriftgrößen geschrieben. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich mich fühle, als sei ich im Himmel.

»Guten Tag, wir möchten uns gern anmelden«, sagt Alex zu der etwas älteren Dame am Empfang. Ihre violetten Haare stechen vor der weißen Wand hinter ihr so richtig hervor, und mit ihrer roten Satinbluse schimmert sie wie der rote Vorhang einer Theaterbühne. Der Schmuck an ihrem Hals und ihrem Handgelenk funkelt beinahe so stark wie der Kronleuchter, und so langsam beschleicht mich das Gefühl, dass das auch so sein soll. Der perfekte erste Eindruck scheint hier enorm wichtig zu sein.

Hinter ihren halbrunden Brillengläsern schaut die Frau hoch. »Haben Sie Ihre Zulassungsbescheide?«, fragt sie beinahe desinteressiert. Wahrscheinlich macht sie das schon seit Tagen.

Meine beste Freundin, ganz die Organisation in Person, sucht kurz in ihrer Tasche und holt schließlich eine Papiermappe hervor, die sie der Frau reicht. »Hier, bitte sehr.« Alex klingt selbstbewusst und erwachsen – beides Dinge, von denen ich behaupten würde, weit davon entfernt zu sein.

»Eloise Stanson und Alexandra Clark, ja?«, fragt sie uns. Wir beide nicken gleichzeitig.

Sie wendet sich von uns ab und öffnet einen Aktenschrank, der in die Marmorwand hinter ihr eingelassen ist. Nach einem kurzen Augenblick holt sie zwei strahlend weiße, hauchdünne Ordner hervor.

»Zu den Kursen …«

»Die haben wir bereits online angegeben«, unterbricht Alex sie eifrig.

»Schön, dass Sie sich beide bereits vorbereitet haben. Lassen Sie mich Ihnen aber noch einige wichtige Fakten erklären: Zunächst einmal müssen Sie wissen, dass die Wahl Ihrer Kurse verbindlich ist. Ein Wechsel funktioniert nur mit Genehmigung der Rektorin. Eddison Sinclair ist jedoch sehr streng bei solchen Anträgen.« Der Blick der Frau wechselt eindringlich zwischen uns hin und her, und Alex und ich nicken.

Wir haben uns stundenlang über die einzelnen Fächer unterhalten, informiert und für uns die besten herausgesucht. Was ich hier anfange, beende ich auch. Eine Gelegenheit wie diese bekommt man nur einmal. Und ich muss diese Chance nutzen, aus so vielen Gründen.

»Außerdem«, fährt sie fort, nachdem sie etwas in ihre Tastatur eingetippt hat, »wurden Sie beide bereits einem Zimmer zugeteilt. Der Unterricht beginnt am Montag, und die Bibliothek sowie das Theater und der Produktionsraum sind rund um die Uhr geöffnet. Sie sollten die jeweiligen Zeiten für diese Räume vorab buchen. Alle Studierenden müssen die Möglichkeit erhalten, dort an ihren Projekten zu arbeiten.« Wow. An unserer alten Schule gab es einen Arbeitsraum, den man für Projektarbeiten wie große Vorträge nutzen konnte. Doch er war beinahe immer ausgebucht. Hier hingegen bieten sich den Studierenden so viele Möglichkeiten. Allein der Gedanke daran, wie hart hier vermutlich gearbeitet wird, erfüllt mich mit Stolz und lässt meine Brust ein wenig anschwellen. Ich darf hier sein, unter all diesen talentierten Menschen.

»Das Haus, in dem Sie Ihr Zimmer beziehen, hat die Nummer 26 und heißt Twilight. Sie haben sicher bei Ihrer Ankunft das Gebäude nebenan gesehen.« Die Frau deutet auf die zwei Flügeltüren an der Wand hinter uns, durch die man laut Plan aus der großen Halle in den Hinterhof gelangt. »Dort befinden sich die vier Wohnhäuser unseres Campus. Twilight, Titanic, Gladiator und Mulan. Ihres liegt noch ein Stück weiter hinten auf dem Gelände, dort, wo der Abhang etwas steiler wird. Sie können es gar nicht verfehlen. Es ist das letzte Wohnhaus am Ende eines kleinen Pfades. Ihre Zimmergenossin hat sich dort auch bereits einquartiert. Haben Sie noch Fragen?«

Alex und ich schauen uns kopfschüttelnd an. »Nein, aktuell nicht«, antworte ich ein wenig atemlos. Ich brauche einen Moment, bis mein filmliebendes Herz begriffen hat, dass die Wohnhäuser nach bekannten Filmen benannt sind.

Unser Gegenüber lächelt freundlich, streicht sich eine der kurzen violett gefärbten Haarsträhnen hinters Ohr und überreicht uns jeweils einen Lageplan und eine Broschüre mit den wichtigsten Infos zur Bradwood Academy sowie unsere Schlüssel. »Herzlich willkommen, meine Lieben«, begrüßt sie uns mit einem Lächeln, das wie aufgeklebt wirkt.

Ich nehme die Broschüre entgegen und streiche sofort über das Perlenglanzcover. Möglichst unauffällig schnuppere ich am Papier – hier drin verbirgt sich meine Zukunft. Schon seit Ewigkeiten bin ich in vielerlei Hinsicht auf mich allein gestellt, kann nicht wie Alex auf die Hilfe meiner Familie zählen. Die Filmbranche und das, was ich mir bereits mit Instagram aufgebaut habe, sind die einzige Möglichkeit für mich, je einen Fuß in die Berufswelt meiner Wahl setzen zu können. Zumindest ohne mich für den Rest meines Lebens zu verschulden. Dieses Studium ist meine einzige Chance. Ich blättere durch die einzelnen Seiten, die sich um die Geschichte der Academy drehen und die Hausregeln der Wohngebäude beinhalten. Dann lese ich etwas, das mir gefällt:

Cafeteria Bread ist rund um die Uhr geöffnet.

Bei dem Wortspiel muss ich schmunzeln. Ich bin wirklich im Himmel angekommen.

Alex und ich verlassen das Gebäude zum Innenhof heraus, wo ein gigantischer Springbrunnen feine Wasserfontänen in die Luft pustet, die von einer Seite zur anderen tanzen und als Sprühregen die Wasseroberfläche benetzen. Ich bin wie gebannt von der Anmut, Eleganz und Leichtigkeit, mit der die Wassertropfen ein eigenes Kunstwerk erschaffen, und frage mich abermals, wie ich in diese Welt hineinpasse.

»Also laut Broschüre müssen wir am Brunnen vorbei, und dann zweigen sich dahinter drei Wege ab«, unterbricht Alex abermals meine Grübeleien und deutet vor uns, ehe sie links und rechts zu ihren Koffern greift und anfängt, beide hinter sich her zu ziehen. Ich greife mir mein Gepäck: einen ebenso großen Hartschalenkoffer, den ich als Abschiedsgeschenk von Alex’ Mom bekommen habe, und eine alte Reisetasche, die mal meiner Mutter gehört hat – ein letztes Überbleibsel meines alten Lebens und die einzige Sentimentalität, die ich mir erlaube.

»Einer führt zum Schulhaus, einer zu Wohnhaus 25, also Titanic, und der linke führt zu Haus 26, also Twilight«, erkläre ich ihr und deute auf einen Punkt auf der Karte, woraufhin sie nickt.

Ich lasse meinen Blick über den Campus schweifen und erkenne von Weitem ein Gebäude, das durchaus als Schiff durchgehen könnte, zumindest in seiner Form und seinem Äußeren. Dunkles Holz verkleidet die Außenwände, und die geschwungenen Wände lassen das gesamte Konstrukt wirken, als würde es sanft durch die Wellen des im Wind wehenden Grases segeln. »Das muss Haus Titanic sein.«

Beim Gedanken daran, dass die Wohnhäuser dem jeweiligen Filmtitel ähneln, frage ich mich, wie wohl Haus Gladiator aussehen mag. Während wir dem von Palmen gesäumten Weg eine Weile folgen, stöbere ich noch weiter in der Broschüre, und meine Frage wird direkt beantwortet. Haus Gladiator und Haus Mulan sind auf den ersten Doppelseiten der Broschüre, abgebildet. Die Detailverliebtheit sorgt für ein wohlig warmes Gefühl in meinem Inneren. Das Haus 24, das dem Film mit Russell Crowe nachempfunden ist, hat die Form eines Kolosseums. Steinerne Mauern, Rundbögen und ein kreisförmiges Gebäude. Haus 23 heißt Mulan, und auf den Bildern der Broschüre erkenne ich ein Gebäude, das ganz im Stil antiker chinesischer Baukunst gestaltet ist. Bilder der Hunnen, einem alten asiatischen Reitervolk, zieren die Wände. Auf dem Boden ist edles Holz verlegt, das in feinen Linien eine riesige Landkarte von China zeigt. Augenblicklich will ich die Seite umblättern, um Haus Twilight zu sehen, doch ich kann mich gerade noch zurückhalten. Ich möchte es mit eigenen Augen sehen. Ich überspringe ein paar Seiten, während wir einem mit hellen Steinen gepflasterten Weg folgen.

»An der Bradwood Academy bilden wir die Elite der Filmbranche aus. Unsere Nachwuchstalente zählen zu den Besten auf ihrem jeweiligen Fachgebiet. Und da wir davon überzeugt sind, dass Talent keine Frage des Vermögens ist, vergibt die Universität jedes Semester ein Stipendium an jene, die sich das Studium zwar nicht finanzieren können, jedoch eine große Begabung aufweisen und einen Gewinn für die Zukunft der Filmindustrie darstellen. Chancengleichheit liegt uns besonders am Herzen«, lese ich in einem der Einführungstexte.

Während wir langsam auf den grünen Hügel zusteuern, auf dem sich unser Wohnhaus befindet, beginnt mein Herz immer mehr zu rasen. Nicht wegen der körperlichen Anstrengung, obwohl auch das kein Wunder wäre, so unsportlich, wie ich bin. Vielmehr, weil ich in diesem Semester diejenige bin, die das Stipendium bekam. Ich, Eloise Stanson, zwanzig Jahre, aus Atlanta. Ein Grund mehr, weshalb ich all das hier nicht auf die leichte Schulter nehmen darf. Erstens habe ich keine andere Wahl, denn nur mit einem Stipendium kann ich überhaupt studieren. Zweitens ist mir bewusst, dass viele andere auch gerne diesen Traum leben würden. Es wäre eine Schande, wenn ich mir dessen nicht bewusst wäre.

»Ich glaube, wir sind da«, murmelt Alex, sobald wir vor einem riesigen weißen Hochhaus zum Stehen kommen. Zunächst wirkt die Außenfassade sehr clean. Sogar fast ein wenig steril. Erste Enttäuschung macht sich in mir breit. Das einzig Auffällige ist die fliederfarbene Flügeltür, die den Eingang zum Wohnhaus bildet. In farblich passenden, geschwungenen Lettern steht »Twilight« darübergeschrieben. An uns stürmen Studierende vorbei, bewaffnet mit Koffern und Büchern, gekleidet in schicke Blazer, Kleider und Hemden. Ich beobachte, wie sie zielstrebig ins Haus eilen, miteinander plaudern und lachen. In welchen Semestern sie wohl alle sind? Und was sie studieren? Am liebsten würde ich jeden von ihnen anhalten und ausfragen.

»Na, dann los«, fordere ich Alex stattdessen auf, und wir treten gemeinsam durch die riesige Flügeltür. Obwohl ich gedacht habe, eine genaue Vorstellung vom Inneren zu haben, werde ich wieder überrascht. Statt steriler Ausstattung bietet das Gebäude das, was sich jeder wünscht, der weit weg von Familie und Freunden ist: Es wirkt wie ein Zuhause. Ein riesiger Kronleuchter taucht die Eingangshalle in sanftes fliederfarbenes Licht. An der linken Ecke stehen sechs Sofas in der gleichen Farbe, auf denen unzählige Kissen verteilt liegen. Dazwischen haben es sich einige Mädels gemütlich gemacht. Sie laden dort ihre Handys auf oder lesen Bücher. Vereinzelt stehen ein paar rosafarbene Ohrensessel herum, die so bequem aussehen, dass ich mich am liebsten reinfallen lassen würde. Neben der ausladenden Sofa-Ecke steht ein eindrucksvoller Flügel, der dem der Familie Cullen aus Twilight ähnelt.

Zu unserer rechten Seite befindet sich ein gläserner Fahrstuhl, und die Wände sind mit wunderschönen Bildern geschmückt, die einige bekannte Szenen aus dem gleichnamigen Film zeigen. Der legendäre Tanz von Edward und Bella beim Ball und Edward, der in der Sonne glitzert. All die Gemälde sind in den gleichen pastelligen Farbtönen gehalten und ergeben mit all der Einrichtung ein harmonisches Gesamtbild. Statt cleanem Chic erhält diese Eingangshalle dadurch so viel Persönlichkeit und Heimgefühl, wie ich es selten erlebt habe.

Weiter hinten im Gebäude erkenne ich kleine Computerecken, in denen schicke neue Bildschirme stehen. Ein paar Vorhänge aus violettem Samt an den bodentiefen Fenstern verleihen dem Raum ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Für einen kurzen Augenblick möchte ich mich in den weichen Stoff einhüllen.

Das ist er, der Ort, an dem ich die nächsten Jahre meinen Traum verfolgen werde. Mein neuer Zufluchtsort. Mein neues Zuhause. Und zum ersten Mal überhaupt fühlt es sich auch wie eins an. Auf einmal spüre ich eine warme Hand an meinem Arm, die mich sanft an sich heranzieht. Meine Schläfe findet die von Alex, und in dieser halben Umarmung bleiben wir einen Augenblick nebeneinanderstehen.

»Jetzt geht’s los. Ich freu mich auf unser neues Leben«, flüstert sie mir dabei zu und entlockt mir damit ein kleines Lächeln.

»Welches Zimmer hatten wir noch mal?«, fragt Alex, nachdem sie sich von mir gelöst hat, und drückt auf den Fahrstuhlknopf, der sich prompt für uns öffnet. Wie in einem noblen Hotel ertönt ein leises Pling, als sich die Fahrstuhltür öffnet, und sofort steigt mir ein sanfter Geruch in die Nase. Es duftet leicht nach Vanille. Himmlisch!

Ich muss einen Augenblick überlegen. »Wir hatten 3B, also dritter Stock«, sage ich und deute auf die kleine Drei in einer Reihe von Ziffern, die bis zehn gehen und für ebenso viele Stockwerke stehen. »Die Wohnräume werden von links nach rechts gezählt – von A bis S, so steht es in der Broschüre«, erkläre ich Alex und deute auf das Heft in meiner Hand.

Je höher wir fahren, desto deutlicher höre ich meinen eigenen Herzschlag. Sobald die Türen mit einem leisen Pling aufgleiten, weiß ich kaum noch, wie man atmet. Gleich werde ich mit eigenen Augen sehen, welches Zimmer wir in den kommenden vier Jahren unser Zuhause nennen dürfen. Der Flur ist voller Menschen, die wild durcheinanderlaufen, sich miteinander unterhalten, lachen, umarmen. Manche stehen in Grüppchen vor den einzelnen Türen und plaudern miteinander. Kurze Gesprächsfetzen wie »Hab dich vermisst« oder »Wie war dein Sommer?« schwirren zu mir herüber und machen deutlich, dass deren Besitzer sich nicht erst seit heute kennen. Vielleicht könnten Alex und ich im Laufe des Jahres zu ihnen gehören. An je mehr Zimmern wir vorbeilaufen, desto heimischer fühle ich mich. An den Wänden stehen abwechselnd Holztische mit bunten Vasen, goldene Spiegel zieren die Wände. Ganz am Ende des Flurs, kurz bevor wir unser Zimmer erreichen, ist ein hellgrauer Plüschteppich ausgerollt. Auch wenn ich noch meine Schuhe trage, fühlt es sich so an, als spürte ich den weichen Stoff direkt unter meinen Zehen. Obwohl ich mit jedem Detail, das ich entdecke, denke: »Ich liebe es hier«, spüre ich auch eine Aufregung, die sich mit einer freudigen Erwartungshaltung vermischt. Wie wohl der Raum aussehen wird, in dem Alex und ich uns einrichten werden?

Ich spähe beim Vorbeigehen in die einzelnen Räume und kann hin und wieder ein paar Poster an den Wänden erkennen. Lady Gaga, George Clooney … Müsste ich ein Poster aufhängen, wäre es ganz sicher von Ralph Fiennes. Ich liebe diesen Mann nicht erst, seit er Voldemort gespielt hat.

Am Ende des linken Ganges erreichen wir schließlich die 3B. Ich freue mich so, dass Alex und ich zusammenwohnen werden. Diesen Tag habe ich mir schon so oft ausgemalt. Abends schauen wir gemeinsam einen Film und gönnen uns dabei Nachos mit viel Käsesauce. Am nächsten Morgen machen wir uns fertig, und während tagsüber jede ihren Kursen nachgeht, widmen wir uns nachmittags unseren Hobbys. Ich drehe Videos für Instagram, und Alex lernt Texte für ihren Schauspielkurs.

Wir erreichen unsere Zimmertür, doch diese steht bereits einen Spaltbreit offen. Eine große Drei prangt auf dem grauen Holz der Tür, daneben angebracht ist ein geschwungenes B. Alex schaut erst mich, dann den lilafarbenen Zimmerschlüssel in ihrer Hand an.

»Tja, den brauchen wir wohl nicht«, meint sie und drückt schulterzuckend gegen das Türblatt.

Als wir das Zimmer betreten, staune ich nicht schlecht, denn es könnte glatt zu einem noblen Hotel gehören. Die weißen Wände sind mit goldenen und noch ungefüllten Bilderrahmen bestückt, ein kleiner heller Balkon spendet Licht. In Gedanken platziere ich auf dem hellbraunen Laminat in ein paar Ecken Pflanzen und auf den Regalbrettern ein paar Duftkerzen.

»Das ist ja wirklich süß hier«, murmelt Alex, und ich nicke.

»Mit ein bisschen Deko wird das ganz wunderbar«, antworte ich und erkenne mich dabei fast selbst nicht wieder. Denn bisher habe ich nie groß den Drang verspürt, mein Zimmer zu Hause mit hübscher Deko aufzupeppen. Es hätte schließlich nichts daran geändert, wo ich aufgewachsen bin: in einem Haus, das mit Desinteresse und Abwesenheit gefüllt war, dessen Wände nur Kälte und verpasste Chancen ausgestrahlt haben.

Während meine beste Freundin kritisch mit dem Finger über einen der Tische wischt, kann ich mich kaum sattsehen. An der einzigen Wand, die nicht mit einem Bett und einem Schreibtisch bestückt ist, ist ein kleiner, begehbarer Kleiderschrank eingelassen. Schon immer habe ich mir so etwas auch für mein Zimmer gewünscht. Doch immer fehlte es an Geld und natürlich auch an Platz, um das zu verwirklichen. Beinahe gleichzeitig fällt unser Blick auf ein breites Bett in der linken, hinteren Ecke. Daneben stehen ein roter Koffer und eine grüne Reisetasche, doch von der Besitzerin fehlt jede Spur.

»Hmm, wenn das schon besetzt ist, nehme ich das am Balkon. Danke dafür, Elli«, ruft Alex und zieht das »Danke« dabei in die Länge. Ich kann sie verstehen, es ist der schönste Platz, von dem aus man beim Aufwachen direkt aufs Meer blicken kann. Ich lasse mich auf ihr Bett fallen und schaue von dort aus zum Fenster hinaus. Die Wellen, die an die Klippen branden, fühlen sich nach Freiheit an. Der Anblick lässt mein Herz höherschlagen und meine Mundwinkel nach oben wandern.

»Alex?«, frage ich mit Blick auf die malerische Kulisse vor uns.

»Hm?«

»Wir sind hier.« Ich drehe den Kopf und schaue zu meiner besten Freundin. »Kannst du das glauben? Wir haben es geschafft.«

Alex’ Blick wird weicher, sie kommt auf mich zu und nimmt neben mir Platz. Wie von selbst lehne ich meinen Kopf gegen ihre Schulter, und wir blicken wieder raus. »Hab nie dran gezweifelt.«

»Ich weiß.« Alex ist eine Optimistin. Alles, was sie nicht kontrollieren kann, manifestiert sie quasi mit reinem Wunschdenken. Ich habe ihre Willensstärke schon immer bewundert.

»Und dass du es rocken wirst und sie dich mit Kusshand nehmen, war ohnehin nie eine Frage. Du bist super.«

Die Wärme, die ...

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