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Bridgerton - Der Duke und ich

Als Buch hier erhältlich:

Bridgerton: Die Inspiration zur Netflix-Serie

Die ganze Geschichte von Daphne und Simon – jetzt mit zusätzlichem Epilog

Als Daphne Bridgerton ihren Namen in der Kolumne von Lady Whistledown liest, kümmert es sie nicht besonders. Aber ihre Mutter drängt sie, endlich einen Ehemann zu finden, bevor ihr Ruf in dieser Ballsaison völlig dahin ist. Daphne schließt einen Pakt mit Simon Basset, dem heiratsunwilligen Duke of Hastings: Indem er ihr den Hof macht, erscheint der umschwärmte Aristokrat vergeben. Sie dagegen rückt gesellschaftlich in den Mittelpunkt und entflieht den Kuppelversuchen ihrer Mutter. Ein prickelndes Spiel beginnt – bis Daphne erkennt, dass nur einem Mann ihr Herz gehört: Simon!

»Julia Quinns witzige Regency-Romantic-Comedys sind der nächste große Trend nach Georgette Heyer.«
Gloss

»Wahrhaft die Jane Austen der Gegenwart.«
Bestsellerautorin Jill Barnett


  • Erscheinungstag: 30.11.2021
  • Aus der Serie: Bridgerton
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749904082

Leseprobe

Prolog

Die Geburt von Simon Arthur Henry Fitzranulph Basset, Earl of Clyvedon, gab Anlass zu großen Feierlichkeiten. Kirchenglocken läuteten stundenlang, der Champagner floss in Strömen in dem gigantischen Castle, das das Neugeborene sein Zuhause nennen sollte. Alle Bewohner des Dorfes Clyvedon legten die Arbeit nieder, um die Festlichkeiten und den freien Tag zu genießen, den der Vater des jungen Earl ausgerufen hatte.

»Das«, sagte der Bäcker zum Hufschmied, »ist kein gewöhnliches Baby.«

Denn Simon Arthur Henry Fitzranulph Basset würde nicht sein ganzes Leben lang nur Earl of Clyvedon bleiben. Simon Arthur Henry Fitzranulph Basset – das Baby, das mehr Namen hatte, als man sich überhaupt merken konnte – war Erbe eines der ältesten und reichsten Herzogtümer Englands. Und sein Vater, der neunte Duke of Hastings, hatte viele Jahre auf diesen Augenblick gewartet.

Jetzt stand er vor dem Zimmer, in dem seine Frau entbunden hatte, wiegte den schreienden Säugling in den Armen und strahlte vor Stolz. Er war bereits weit über vierzig und hatte zusehen müssen, wie seine alten Freunde einen Erben nach dem anderen bekommen hatten. Manche mussten erst einige Töchter hinnehmen, bevor sie endlich einen kostbaren Sohn zeugten. Schließlich jedoch konnten sie alle sicher sein, dass ihr Geschlecht fortlebte, dass ihr Blut auch durch die Adern der nächsten Generation des englischen Hochadels floss.

Nicht so der Duke of Hastings. In den fünfzehn Jahren ihrer Ehe hatte seine Frau zwar fünf Mal empfangen, aber nur Fehlgeburten erlitten. Danach hatten die Ärzte dem Vater dringendst von jedem weiteren Versuch abgeraten, ein Kind zu zeugen. Die Duchess würde es möglicherweise nicht überleben. Sie sei zu schwach und, so fügten sie sanft hinzu, zu alt. Der Duke müsse sich damit abfinden, dass der Titel nicht in der Familie Basset bleiben konnte.

Jedoch die Duchess, Gott segne sie, wusste genau, was von ihr im Leben erwartet wurde, und nach einer sechsmonatigen Erholungspause öffnete sie die Verbindungstür zwischen ihren Schlafzimmern, und ihr Gemahl machte sich erneut daran, einen Sohn zu zeugen.

Sechs Wochen später teilte sie ihrem Gatten mit, dass sie empfangen hatte. Der aufbrandende Jubel Seiner Gnaden wurde nur von seiner eisernen Entschlossenheit gedämpft, dass nichts – aber auch gar nichts – diesen Zustand vorzeitig beenden würde.

Der Duchess wurde von ihrem Leibarzt strengste Bettruhe verordnet, als klar war, dass ihr monatliches Unwohlsein ausblieb. Täglich untersuchte er sie. Im fünften Monat machte der Duke den angesehensten Arzt in London ausfindig und bezahlte ihn wahrhaft fürstlich dafür, seine Praxis vorübergehend aufzugeben und sich in Clyvedon Castle einzurichten.

Diesmal wollte der Duke nichts riskieren. Er würde einen Sohn bekommen, und das Herzogtum bliebe in der Familie Basset.

Ihre Gnaden bekam einen Monat vor der Zeit Wehen, und sogleich wurde alles getan, um eine Frühgeburt zu verhindern.

Und dann, endlich, war der entscheidende Augenblick gekommen. Der gesamte Haushalt betete für den Duke, der sich so sehr einen Erben wünschte. Einige Dienstboten dachten sogar daran, auch für die Duchess zu beten, die immer dünner geworden war, während ihr Bauch immer weiter anschwoll. Man wollte sich jedoch nicht allzu große Hoffnungen machen. Und selbst wenn sie es schaffte, ein lebendes Kind zur Welt zu bringen, so konnte es immer noch, nun ja, ein Mädchen sein.

Als die Schreie Ihrer Gnaden lauter und häufiger wurden, ignorierte der Duke die Proteste des Arztes, der Hebamme und der Zofe seiner Frau und drängte sich in ihr Gemach. Er wurde Zeuge einer erschreckenden Szene, aber er wollte unbedingt dabei sein, wenn sich das Geschlecht des Kindes herausstellte.

Der Kopf erschien, gleich darauf die Schultern. Alle beugten sich nach vorn, während die Duchess sich aufbäumte und presste, und dann …

Und dann wusste der Duke, dass es einen Gott gab und dass er den Bassets noch immer wohlgesonnen war. Hastings ließ der Hebamme einen Moment Zeit, um das Baby zu säubern, ehe er den kleinen Jungen auf den Arm nahm und mit ihm in die große Halle hinausschritt, um ihn den wartenden Menschen zu präsentieren.

»Ich habe einen Sohn!«, rief er dröhnend. »Einen makellosen kleinen Sohn!«

Und während die Dienerschaft jubelte und manch einer vor Erleichterung heimlich einige Tränen vergoss, blickte der Duke auf das Baby hinab und sagte: »Du bist vollkommen. Du bist ein Basset. Du bist mein Sohn.«

Der Duke wollte den Knaben hinaustragen, um der ganzen Welt zu beweisen, dass er endlich einen gesunden männlichen Nachkommen gezeugt hatte, doch so früh im April war die Luft ein wenig frisch. Also gestattete er der Hebamme, das Baby wieder zu seiner Mutter zu bringen.

Daraufhin stieg der Duke auf einen seiner edlen Wallache und ritt von dannen, um zu feiern und sein Glück allen entgegenzuschreien, die seinen Weg kreuzten.

Die Duchess indes, die seit der Geburt ihres Sohnes unablässig geblutet hatte, verlor das Bewusstsein und schied schließlich still dahin.

Seine Gnaden trauerte um seine Frau. Aufrichtig. Selbstverständlich hatte er sie nicht geliebt, so wenig wie sie ihn, aber auf eine merkwürdig distanzierte Art waren sie Freunde gewesen. Der Duke hatte von der Ehe nichts weiter erwartet als einen Sohn und Erben, und in dieser Hinsicht hatte seine Frau sich als musterhafte Gattin erwiesen.

Jede Woche ließ er frische Blumen an ihr pompöses Grabmal legen, das ganze Jahr hindurch, und ihr Porträt wurde vom Wohnzimmer in die Eingangshalle umgehängt, wo es einen Ehrenplatz über der Treppe erhielt.

Und bald kümmerte sich der Duke um die Erziehung seines Sohnes.

Im ersten Jahr freilich konnte er selbst noch nicht viel tun. Der Knabe war zu jung für Vorträge über Regierung und Verantwortung, also überließ der Duke Simon der Pflege seiner Kinderfrau und begab sich nach London, wo er sein gewohntes Leben wieder aufnahm. Der neue Segen der Vaterschaft machte sich nur darin bemerkbar, dass er jeden – selbst den König – zwang, sich das Miniaturgemälde seines Sohnes anzusehen, das er kurz nach der Geburt hatte anfertigen lassen.

Hin und wieder besuchte er Clyvedon, und an Simons zweitem Geburtstag kehrte er endgültig dorthin zurück, um die Erziehung des Jungen selbst in die Hand zu nehmen. Es wurde ein Pony angeschafft, ein kleines Gewehr für zukünftige Fuchsjagden ausgesucht, und für jedes nur vorstellbare Wissensgebiet wurden Lehrer eingestellt.

»Er ist noch viel zu jung für all das!«, protestierte Nanny Hopkins.

»Unsinn«, erwiderte Hastings herablassend. »Selbstverständlich erwarte ich nicht, dass er es in all diesen Dingen gleich zu etwas bringt, aber mit der Erziehung eines Duke kann nie zu früh begonnen werden.«

»Er ist kein Duke«, murmelte die Kinderfrau.

»Er wird es aber einmal sein.« Hastings wandte sich von ihr ab und kniete neben seinem Sohn nieder, der Bauklötze aufeinanderschichtete. Der Duke, der Clyvedon zuletzt vor Monaten besucht hatte, war mit Simons Entwicklung sehr zufrieden. Er war ein kräftiger, gesunder kleiner Junge mit schimmerndem braunem Haar und klaren blauen Augen.

»Was baust du denn da, mein Sohn?«

Simon lächelte und deutete auf sein Werk.

Überrascht blickte Hastings zu Nanny Hopkins auf. »Spricht er denn nicht?«

Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht, Euer Gnaden.«

Der Duke runzelte die Stirn. »Er ist zwei. Sollte er da nicht schon reden können?«

»Bei manchen Kindern dauert es eben ein wenig länger, Euer Gnaden. Er ist ganz sicher ein kluger kleiner Junge.«

»Natürlich ist er klug. Er ist ein Basset.«

Die Nanny nickte – wie immer, wenn der Duke von der Überlegenheit eines Basset sprach. »Vielleicht«, versuchte sie zu erklären, »gibt es einfach nichts, was er sagen möchte.«

Hastings wirkte nicht überzeugt, gab Simon einen Zinnsoldaten, tätschelte ihm den Kopf und verließ das Haus. Die neue Stute, die er von Lord Worth gekauft hatte, brauchte Bewegung.

Zwei Jahre später jedoch war er nicht mehr so zuversichtlich.

»Warum spricht er nicht?«, donnerte er.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Nanny Hopkins händeringend.

»Was haben Sie mit ihm gemacht?«

»Gar nichts!«

»Wenn Sie Ihre Arbeit richtig getan hätten, würde er«, der Duke zeigte ärgerlich mit dem Finger auf Simon, »jetzt schon längst sprechen!«

Simon, der an seinem kleinen Tisch die Buchstaben übte, beobachtete die Diskussion gespannt.

»Er ist vier Jahre alt, verdammt noch mal«, brüllte Hastings. »Er sollte längst sprechen können.«

»Er kann schreiben«, warf die Kinderfrau hastig ein. »Ich habe schon fünf Kinder großgezogen, und keines von ihnen hat die Buchstaben so schnell gelernt wie Master Simon.«

»Das wird ihm ungeheuer viel nützen, wenn er nicht imstande ist zu sprechen.« Hastings wandte sich Simon zu und blickte ihn zornig an. »Rede mit mir, verdammt noch mal!«

Mit bebender Unterlippe wich Simon vor ihm zurück.

»Euer Gnaden!«, rief Nanny Hopkins. »Sie machen dem Kind Angst.«

Hastings fuhr zu ihr herum. »Vielleicht muss man ihm mal etwas Angst einjagen. Eine Tracht Prügel hilft ihm womöglich, endlich den Mund aufzumachen.«

Der Duke griff sich die versilberte Haarbürste, mit der die Kinderfrau Simons Haar frisierte, und ging drohend auf seinen Sohn zu. »Ich bringe dich schon zum Sprechen, du dummer kleiner …«

»Nein!«

Nanny Hopkins schnappte nach Luft. Der Duke ließ die Bürste fallen. Zum ersten Mal hatten sie Simons Stimme vernommen.

»Was hast du gesagt?«, flüsterte der Duke, dem Tränen in die Augen stiegen.

Simon ballte die Hände zu Fäusten, reckte sein kleines Kinn und sagte: »Du darfst m…m…m…«

Der Duke wurde totenbleich. »Was sagt er denn da?«

Simon begann noch einmal von vorn. »D…d…d…«

»Oh, mein Gott«, flüsterte der Duke zutiefst entsetzt. »Er ist schwachsinnig.«

»Nein, er ist nicht schwachsinnig!«, rief Nanny Hopkins und legte schützend die Arme um den Jungen.

»D…dd…du darfst m…m…m…mich nicht …« Simon holte tief Luft, »schlagen

Hastings sank auf die Bank am Fenster und barg das Gesicht in den Händen. »Womit habe ich das verdient? Was habe ich getan, dass …«

»Sie sollten den Jungen loben!«, mahnte Nanny Hopkins. »Seit vier Jahren warten Sie darauf, dass er spricht, und …«

»Und er ist ein Idiot!«, brüllte Hastings. »Ein verdammter kleiner Idiot!«

Simon begann zu weinen.

»Mein Erbe wird an einen Schwachsinnigen übergehen«, sagte der Duke und stöhnte. »Jahrelang habe ich um einen Nachfolger gebetet, und nun war doch alles umsonst. Ich hätte den Titel an meinen Cousin weitergeben sollen.« Jetzt wandte Hastings sich wieder seinem Sohn zu, der sich schniefend die Augen wischte, um vor seinem Vater nicht schwach zu erscheinen. »Ich kann ihn nicht einmal ansehen«, brachte er keuchend hervor. »Seinen bloßen Anblick vermag ich nicht zu ertragen.« Daraufhin schritt der Duke rasch hinaus.

Nanny Hopkins drückte den Jungen fest an sich. »Du bist nicht schwachsinnig«, flüsterte sie. »Du bist der klügste kleine Junge, den ich kenne. Und wenn irgendjemand lernen kann, richtig zu sprechen, dann bin ich sicher, dass du es bist.«

Simon drehte sich in ihren Armen um und schluchzte.

»Wir werden es ihm zeigen«, schwor die Nanny. »Er wird seine Worte zurücknehmen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«

Nanny Hopkins hielt ihr Wort. Während der Duke of Hastings sich in London aufhielt und so tat, als hätte er keinen Sohn, verbrachte sie so viel Zeit wie möglich mit Simon, sprach ihm Worte und Silben vor, überschüttete ihn mit Lob, wenn er etwas richtig zusammenhängend sagte, und ermutigte ihn, wenn er es nicht schaffte.

Es war ein langwieriger Prozess, aber Simons Stottern besserte sich. Mit acht schaffte er es, ganze Sätze zu sagen, ohne zu stammeln. Das Stottern war immer noch schlimm, wenn er aufgeregt war, und die Nanny musste ihn oft daran erinnern, dass er sich beruhigen und sammeln musste, wenn er die Worte richtig herausbringen wollte.

Simon war klug, fest entschlossen zu lernen und, was vielleicht noch wichtiger war, er war ungeheuer starrköpfig. Er achtete darauf, vor jedem Satz Luft zu holen, und überdachte die Wörter, bevor er sie formte. Und er merkte, wie sein Mund sich anfühlte, wenn er etwas richtig aussprach. Außerdem versuchte er herauszufinden, was nicht stimmte, wenn es ihm nicht gelang.

Und schließlich, im Alter von elf Jahren, wandte er sich an Nanny Hopkins, sammelte sich kurz und sagte dann: »Ich glaube, es ist an der Zeit, meinen Vater zu besuchen.«

Erschrocken blickte die Kinderfrau auf. Der Duke hatte den Jungen seit sieben Jahren nicht mehr gesehen. Und er hatte nicht einen einzigen von Simons Briefen beantwortet.

Simon hatte ihm beinahe hundert Briefe geschickt.

»Bist du sicher?«, fragte sie.

Simon nickte.

»Na schön. Ich lasse alles vorbereiten. Morgen früh fahren wir nach London.«

Die Reise dauerte anderthalb Tage, und es war später Nachmittag, als ihre Kutsche vor Basset House vorfuhr. Erstaunt betrachtete Simon das geschäftige Treiben auf der Straße, während Nanny Hopkins ihn die Stufen hinaufführte. Keiner von den beiden war jemals zuvor in Basset House gewesen, und als sie das Portal erreichten, zögerte die Kinderfrau nur kurz, ehe sie den Türklopfer betätigte.

Es dauerte nur Sekunden, bis die Tür geöffnet wurde und ein ziemlich beeindruckender Butler sie eingehend musterte.

»Der Eingang für das Personal«, sagte er blasiert und wollte die Tür wieder schließen, »befindet sich hinter dem Haus.«

»Einen Moment mal!«, sagte Nanny Hopkins schnell und schob einen Fuß zwischen Tür und Schwelle. »Wir sind keine Dienstboten.«

Der Butler warf einen verächtlichen Blick auf ihre schlichte Reisekleidung.

»Nun, ich schon, aber er nicht.« Sie packte Simon am Arm und bugsierte ihn nach vorn. »Dies ist Lord Simon Basset, und Sie sollten ihm etwas mehr Respekt erweisen.«

Dem Butler verschlug es einen Moment die Sprache, bevor er herausbrachte: »Soweit ich informiert bin, ist der Earl of Clyvedon tot.«

»Was?«, kreischte Nanny Hopkins.

»Das bin ich ganz gewiss nicht!«, rief Simon mit der Empörung eines Elfjährigen.

Der Diener sah sich Simon genauer an, erkannte daraufhin die typischen Züge der Bassets und ließ die beiden rasch hinein.

»Warum dachten Sie, ich sei t…tot?«, fragte Simon und verfluchte sich für sein Stammeln. Er stotterte meistens dann, wenn er wütend war.

»Es ist nicht meine Sache, Ihnen das zu sagen«, erwiderte der Butler.

»Allerdings ist es das«, widersprach die Kinderfrau sofort. »Sie können doch so etwas Ungeheuerliches nicht zu einem Jungen in seinem Alter sagen und es dann nicht einmal erklären.«

Der Diener schwieg einen Moment, ehe er erklärte: »Seine Gnaden hat Sie seit Jahren nicht erwähnt. Zuletzt habe ich gehört, er habe keinen Sohn. Dabei sah er so betrübt aus, dass niemand dieses Thema weiterverfolgte. Wir – das heißt, die Bediensteten – haben angenommen, Sie seien dahingeschieden.«

Simon fühlte, wie sich sein Kiefer verkrampfte.

»Hätte er dann nicht in Trauer gehen müssen?«, fragte Nanny Hopkins. »Haben Sie denn nicht daran gedacht? Wie konnten Sie annehmen, der Junge sei gestorben, wenn sein Vater sich nicht in Trauer befand?«

Der Butler zuckte die Schultern. »Seine Gnaden trägt häufig Schwarz. Die Trauer hätte seine Garderobe nicht verändert.«

»Das ist ja unglaublich«, schimpfte Nanny Hopkins. »Ich verlange, dass Sie Seine Gnaden auf der Stelle hierherholen.«

Simon sagte nichts. Er war zu sehr darum bemüht, seine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Das musste er. Denn er konnte unmöglich mit seinem Vater sprechen, solange sein Herz so heftig pochte.

Der Diener nickte. »Er ist oben. Ich werde ihn unverzüglich von Ihrer Ankunft unterrichten.«

Nanny Hopkins begann erregt auf und ab zu laufen, wobei sie leise vor sich hin murmelte und Seine Gnaden mit jedem einzelnen Schimpfwort aus ihrem erstaunlich umfangreichen Repertoire bedachte. Simon blieb mitten im Raum stehen, die Arme vor Wut steif an den Körper gepresst, und atmete tief ein und aus.

Du kannst das, rief er sich innerlich zu. Du kannst es.

Nanny Hopkins wandte sich ihm zu, sah, wie er um Selbstbeherrschung kämpfte, und schnappte selbst nach Luft. »Ja, so ist es gut«, sagte sie rasch, ging vor Simon in die Knie und nahm seine Hände in ihre. Sie wusste am besten, was geschehen würde, wenn Simon in so aufgeregtem Zustand seinem Vater gegenübertrat. »Atme tief durch. Und denk gut über die Worte nach, bevor du sie aussprichst. Wenn du deinen …«

»Wie ich sehe, verzärteln Sie den Jungen noch immer«, ertönte eine herrische Stimme von der Tür her.

Nanny Hopkins richtete sich auf und drehte sich langsam um. Sie suchte nach den passenden Worten, um diese schreckliche Situation zu überbrücken. Aber als sie den Duke anblickte, erkannte sie die Ähnlichkeit zu Simon, und ihre Wut flammte wieder auf. Der Duke mochte aussehen wie sein Sohn, aber er war ihm ganz gewiss kein Vater.

»Euer Gnaden«, fauchte sie, »Sie sind verachtenswert.«

»Und Sie, Madam, sind entlassen.«

Nanny Hopkins zuckte zusammen.

»Niemand spricht in diesem Ton mit dem Duke of Hastings«, brüllte er. »Niemand!«

»Nicht einmal der König?«, spottete Simon.

Hastings fuhr herum. Er bemerkte gar nicht, dass sein Sohn vollkommen klar gesprochen hatte. »Du«, sagte er leise.

Simon nickte. Einen Satz hatte er richtig herausgebracht, allerdings war es nur ein kurzer Satz gewesen, und er wollte sein Glück nicht überstrapazieren. Nicht, solange er so aufgeregt war. Normalerweise stotterte er tagelang kein einziges Mal, aber jetzt …

Unter dem Blick seines Vaters kam er sich vor wie ein Kleinkind. Ein schwachsinniges Kleinkind.

Und auf einmal fühlte sich seine Zunge dick und schwer an.

Der Duke lächelte grausam. »Was hast du mir zu sagen, Junge? Hm? Was möchtest du mir erzählen?«

»Ist schon gut, Simon«, flüsterte Nanny Hopkins und warf dem Duke einen vernichtenden Blick zu. »Lass dich nicht von ihm einschüchtern. Du kannst es, mein Schatz.«

Und irgendwie machte ihre Ermunterung alles nur noch schlimmer. Simon war hierhergekommen, um seinem Vater zu beweisen, was er konnte, und seine Kinderfrau behandelte ihn wie ein Baby.

»Was ist denn los?«, höhnte der Duke. »Hast du deine Zunge verschluckt?«

Simon verkrampfte sich so, dass er zu zittern begann.

Vater und Sohn blickten einander eine Weile an, bis der Duke sich schließlich fluchend zur Tür wandte. »Du bist Zeugnis meines schlimmsten Versagens«, sagte er zornig mit Blick über die Schulter. »Ich weiß nicht, womit ich dich verdient habe. Gott möge verhindern, dass du mir je wieder unter die Augen kommst.«

»Euer Gnaden!«, entrüstete Nanny Hopkins sich. »So spricht man doch nicht mit einem Kind.«

»Schaffen Sie ihn mir aus den Augen«, fuhr er sie an. »Sie können Ihre Stellung behalten, aber nur, wenn Sie dafür sorgen, dass er nicht mehr in meine Nähe kommt.«

»Warte!«

Beim Klang von Simons Stimme drehte der Duke sich langsam um. »Hast du etwas gesagt?«, fragte er gedehnt.

Simon atmete drei Mal tief durch die Nase ein, aber sein Mund war immer noch vor Wut verkrampft. Er lockerte seinen Kiefer, rieb die Zunge am Gaumen und versuchte, sich daran zu erinnern, wie es sich anfühlte, richtig zu sprechen. Endlich, als der Duke sich schon wieder abwenden wollte, öffnete er den Mund und sagte: »Ich bin dein Sohn.«

Simon hörte Nanny Hopkins erleichtert aufatmen, und in den Augen seines Vaters entdeckte er etwas, das er noch nie zuvor gesehen hatte: Kurz blitzten sie vor Stolz auf. Es verbarg sich etwas in ihren Tiefen, etwas, das Simon Hoffnung machte.

»Ich bin dein Sohn«, sagte er wieder, diesmal etwas lauter, »und ich bin nicht d…«

Plötzlich schnürte es ihm die Kehle zu. Und Simon packte die Angst.

Du kannst es. Du kannst es.

Aber seine Zunge fühlte sich wie ein dicker Klumpen an, und sein Vater kniff die Augen zusammen …

»Ich bin nicht d…d…d…«

»Geh nach Hause«, sagte der Duke leise. »Du hast hier nichts zu suchen.«

Simon spürte diese Zurückweisung bis in sein Innerstes, spürte, wie ein tiefer Schmerz sich seines Körpers bemächtigte und sich um sein Herz legte. Und als Hass seinen Körper durchflutete und aus seinen Augen blitzte, legte er einen feierlichen Schwur ab.

Wenn er nicht der Sohn sein konnte, den sein Vater wollte, bei Gott, dann würde er das genaue Gegenteil dessen werden …

1. Kapitel

In den hohen Rängen der Gesellschaft sind die Bridgertons bei Weitem die fruchtbarste Familie. Man kann den diesbezüglichen Eifer der Viscountess und des verstorbenen Viscount nur lobpreisen – und gleichwohl die Namensgebung ihrer Kinder für äußerst banal befinden: Anthony, Benedict, Colin, Daphne, Eloise, Francesca, Gregory und Hyacinth. Natürlich ist Ordnung in allen Lebensbereichen segensreich, aber intelligente Eltern sollten doch wohl dazu imstande sein, ihren Nachwuchs auch ohne alphabetische Reihenfolge der Namen auseinanderzuhalten.

Hinzu kommt, dass es genügt, die Viscountess und all ihre Kinder in einem Raum anzutreffen, um beim Betrachter die Furcht zu nähren, er könnte doppelt sehen – oder dreifach – oder Schlimmeres. Noch nie ist der Verfasserin eine Versammlung von Geschwistern untergekommen, die einander äußerlich so grotesk ähneln. Zwar hat die Verfasserin sich nie die Zeit genommen, auf die Augenfarbe der jungen Bridgertons zu achten, doch sie haben alle den gleichen Knochenbau und dasselbe dichte kastanienbraune Haar. Man kann die Viscountess bei ihrem Bestreben, ihre Nachkommenschaft vorteilhaft zu verheiraten, nur dafür bedauern, dass sie kein einziges Kind mit populärerer Farbgebung hervorgebracht hat. Einen Vorzug kann man einer Familie von derart einheitlichem Erscheinungsbild jedoch nicht absprechen: Es kommt absolut kein Zweifel an der legitimen Abstammung sämtlicher acht Sprösslinge auf.

Ach, geneigte Leserschaft, wie sehr Ihre ergebene Verfasserin sich wünscht, dass dies bei allen großen Familien der Fall wäre …

Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal,

26. April 1813

»Oh!« Violet Viscountess Bridgerton knüllte das Nachrichtenblatt zu einer Kugel zusammen und schleuderte es durch den eleganten Salon.

Ihre Tochter Daphne enthielt sich klugerweise eines Kommentars und gab vor, ganz in ihre Stickerei vertieft zu sein.

»Hast du gelesen, was sie geschrieben hat?«, fragte Violet heftig. »Hast du das?«

Daphne betrachtete das zerknüllte Papier, das nun unter einem Beistelltischchen aus Mahagoni ruhte. »Ich hatte keine Gelegenheit, es zu lesen, bevor du … es dir vorgenommen hast.«

»Dann lies es jetzt«, fuhr Violet auf und ließ einen Arm dramatisch durch die Luft kreisen. »Lies, wie diese Frau uns verleumdet.«

Gelassen legte Daphne ihre Stickerei beiseite und griff unter den Beistelltisch. Sie strich die Seiten auf dem Schoß glatt und las den Abschnitt über ihre Familie. Verwundert blickte sie auf. »Aber das ist doch gar nicht so schlimm, Mutter. Verglichen mit dem, was sie letzte Woche über die Featheringtons geschrieben hat, ist das hier ja fast eine Lobeshymne.«

»Wie soll ich nur einen Ehemann für dich finden, wenn diese Frau deinen Namen in den Schmutz zieht?«

Daphne zwang sich, langsam auszuatmen. Ihre zweite Saison in London war inzwischen fast vorüber, und bei der bloßen Erwähnung des Wortes Ehemann bekam sie Kopfschmerzen. Sie hatte durchaus die Absicht zu heiraten, die hatte sie wirklich, und sie hatte sich nicht einmal auf eine echte Liebesheirat versteift. Aber durfte sie denn nicht auf einen Mann hoffen, für den sie zumindest eine gewisse Zuneigung hegte?

Bisher hatten vier junge Herren um ihre Hand angehalten, doch wann immer Daphne sich vorzustellen versuchte, den Rest ihrer Tage mit einem von ihnen zu verbringen, konnte sie einfach nicht einwilligen.

Gewiss, es gab eine Reihe von Gentlemen, die ihrer Meinung nach akzeptable Ehemänner abgegeben hätten, nur das Problem war – von denen interessierte sich keiner für sie. Oh, alle mochten sie. Einfach jeder hatte sie gern.

Sie galt überall als amüsant, freundlich und schlagfertig, und keiner fand sie auch nur im Mindesten unattraktiv. Allerdings war auch keiner geblendet von ihrer Schönheit oder überwältigt von ihrer Gegenwart.

Männer, so dachte sie voller Abscheu, interessieren sich nur für die Frauen, die ihnen Angst einjagen. Niemand schien geneigt zu sein, einer Frau wie ihr den Hof zu machen. Alle beteten sie an oder behaupteten das zumindest, weil man sich so gut mit ihr unterhalten konnte und weil sie offenbar immer verstand, was in einem Mann gerade vorging. Einer von den Gentlemen, die Daphnes Meinung nach ganz akzeptabel waren, hatte einmal gesagt: »Ach, Daphne, du bist einfach nicht wie andere Frauen. Du bist so natürlich, kein bisschen affektiert.«

Was sie als Kompliment hätte auffassen können, wenn er nicht gleich darauf der momentan begehrtesten blonden, äußerst gezierten Schönheit gefolgt wäre.

Daphne blickte hinunter und bemerkte, dass sie die Hand zur Faust geballt hatte. Dann schaute sie auf und sah den fragenden Blick ihrer Mutter, die offenbar eine Antwort erwartete. Da Daphne bereits tief ausgeatmet hatte, räusperte sie sich nun und sagte: »Ich bin überzeugt, dass Lady Whistledowns kleine Kolumne meine Aussichten auf einen Ehemann nicht schmälern wird.«

»Daphne, es sind nun schon zwei Jahre!«

»Und Lady Whistledowns Blättchen erscheint erst seit drei Monaten, also ist mir nicht ganz klar, wie wir ihr die Schuld geben können.«

»Du hast ja keine Ahnung«, entgegnete Violet ungeduldig.

Daphnes Fingernägel bohrten sich in ihre Handflächen, während sie sich zwang, darauf nichts zu erwidern. Sie wusste, dass ihre Mutter nur das Beste für sie wollte, und sie wusste, dass ihre Mutter sie liebte. Und sie liebte ihre Mutter ebenso. Bis Daphne das heiratsfähige Alter erreicht hatte, war Violet sogar die beste Mutter gewesen, die man sich vorstellen konnte. Das war sie auch jetzt noch, wenn sie nicht gerade daran verzweifelte, dass sie nach Daphne noch drei weitere Töchter würde verheiraten müssen.

Violet legte sich die zarte Hand auf die Brust. »Sie stellt deine legitime Abstammung infrage.«

»Nein«, sagte Daphne langsam. Wenn man ihrer Mutter widersprach, war stets Vorsicht geboten. »Eigentlich hat sie geschrieben, dass es an unser aller legitimer Abstammung keinen Zweifel gibt. Und das ist mehr, als man von den meisten Familien der oberen Gesellschaftsklasse sagen kann.«

»Sie hätte das Thema gar nicht erwähnen dürfen«, meinte Violet mit gerümpfter Nase.

»Mutter, sie verfasst ein Skandalblättchen. Da ist es ihre Aufgabe, Derartiges zur Sprache zu bringen.«

»Sie ist noch nicht einmal eine echte Persönlichkeit«, fügte Violet ärgerlich hinzu. Sie stemmte die Hände in die schlanken Hüften, überlegte es sich dann anders und wedelte mit dem Zeigefinger herum. »Whistledown, ha! Von einer Familie dieses Namens habe ich noch nie gehört. Wer immer diese Person sein mag, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie eine von uns ist. Als könnte ein wohlerzogener Mensch jemals so bösartige Lügen verbreiten.«

»Natürlich ist sie eine von uns«, sagte Daphne, und ihre braunen Augen blitzten vergnügt. »Wenn sie nicht zur feinen Gesellschaft gehören würde, käme sie nie an die besonderen Neuigkeiten, über die sie berichtet. Dachtest du denn, sie sei eine Hochstaplerin, die heimlich durch Fenster schaut und an Türen lauscht?«

»Dein Ton gefällt mir nicht, Daphne Bridgerton«, tadelte Violet sie verärgert.

Daphne verkniff sich ein Lächeln. »Dein Ton gefällt mir nicht« war immer Violets Antwort, wenn eines ihrer Kinder in einer Diskussion zu siegen drohte.

Aber es machte zu viel Spaß, ihre Mutter zu necken. »Es würde mich nicht überraschen«, sagte sie und neigte den Kopf ein wenig zur Seite, »wenn Lady Whistledown eine deiner Freundinnen wäre.«

»Hüte deine Zunge, Daphne. Keine meiner Freundinnen würde jemals so tief sinken.«

»Na schön«, räumte Daphne ein, »wahrscheinlich ist es keine deiner Freundinnen. Aber ich bin sicher, es ist jemand, den wir kennen. Kein Fremder käme jemals an solche Informationen.«

Violet verschränkte die Arme. »Ich würde sie am liebsten ein für alle Male aus dem Verkehr ziehen.«

»Wenn du sie aus dem Verkehr ziehen möchtest …«, Daphne konnte einfach nicht widerstehen, »… solltest du sie nicht fördern, indem du ihre Zeitung kaufst.«

»Und was würde das nützen?«, fragte Violet. »Alle anderen lesen sie auch. Mein jämmerlicher Boykott würde nur dazu führen, dass ich als Ignorantin dastehe, wenn die anderen Leute sich über den neuesten Tratsch amüsieren.«

Das ist jedenfalls richtig, stimmte Daphne ihr im Stillen zu. Die gute Londoner Gesellschaft war geradezu süchtig nach »Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal«. Es hatte eines Morgens vor drei Monaten auf der Treppe jedes vornehmen Londoner Haushalts gelegen.

Zwei Wochen lang wurde es jeden Montag, Mittwoch und Freitag geliefert. Und dann, am dritten Montag, warteten Londons Butler vergeblich auf die Horde von Zeitungsjungen, die »Whistledown« üblicherweise austrugen. Kurz darauf stellten sie fest, dass die Jungen das Klatschblättchen nicht mehr einfach verteilten, sondern nun zum unerhörten Preis von fünf Pennys pro Stück verkauften.

Daphne konnte nicht umhin, die fiktive Lady Whistledown für ihren klugen Kopf zu bewundern. Bis sie die Leute zwang, für ihren Klatsch zu bezahlen, war der gesamte ton süchtig danach. Jeder rückte die fünf Pennys heraus, und irgendwo in London verdiente eine unerhört neugierige Frau ein Vermögen.

Sichtlich erregt ging Violet im Zimmer auf und ab und empörte sich über diese »schändliche Kränkung« ihrer Familie. Daphne sah zu ihrer Mutter auf, um sicherzugehen, dass diese sie nicht beachtete. Dann senkte sie den Blick wieder und überflog die restlichen Seiten des Skandalblatts.

»Whistledown« – so nannte es sich nun – bestand aus einer eigenartigen Mischung von Kommentaren, Neuigkeiten aus der Gesellschaft, vernichtender Kritik und ab und zu aus anerkennenden Worten. Es unterschied sich von allen früheren Gesellschaftsjournalen in einem wesentlichen Punkt: Nichts wurde hinter Abkürzungen wie Lord S. oder Lady G. verborgen. Wenn Lady Whistledown über jemand schreiben wollte, gebrauchte sie den vollen Namen. Die Gesellschaft war erklärtermaßen schockiert, insgeheim jedoch fasziniert.

Diese jüngste Ausgabe war typisch für »Whistledown«. Neben dem kurzen Artikel über die Bridgertons – eigentlich kaum mehr als eine Beschreibung der Familie – berichtete Lady Whistledown über die Ereignisse des gestrigen Balles.

Daphne war nicht dort gewesen, denn eine ihrer kleinen Schwestern hatte Geburtstag gehabt, und bei den Bridgertons waren Geburtstage immer eine große Angelegenheit. Bei acht Kindern gab es schließlich auch viele Geburtstage zu feiern.

»Du liest ja diesen Unrat«, rief Violet vorwurfsvoll.

Daphne blickte auf und fühlte sich nicht im Geringsten schuldig. »Die Kolumne ist heute recht gut. Anscheinend hat Cecil Tumbley gestern Abend ein ganzes Tablett gefüllter Champagnergläser umgestoßen.«

»Tatsächlich?«, fragte Violet und bemühte sich, gleichgültig zu klingen.

»Ja«, erwiderte Daphne. »Ihr Bericht über den Ball der Middlethorpes ist auch nicht schlecht. Hier steht, wer sich mit wem unterhalten hat, wer was getragen hat …«

»Und ich nehme an, dazu musste sie unbedingt ihr Urteil abgeben«, fiel Violet ihr ins Wort.

Daphne lächelte boshaft. »Ach, ich bitte dich, Mutter. Du weißt doch, dass Mrs. Featherington in Purpurrot immer furchtbar aussieht.«

Violet verkniff sich ein Lächeln. Daphne sah ihre Mundwinkel zucken, während sie versuchte, jene Haltung zu bewahren, die ihrer Meinung nach einer Viscountess und Mutter anstand.

Kurz darauf jedoch schmunzelte sie und nahm neben ihrer Tochter auf dem Sofa Platz. »Zeig mal her«, sagte sie und griff nach dem Blatt. »Was ist sonst noch passiert? Haben wir etwas Wichtiges versäumt?«

»Also wirklich, Mutter, mit Lady Whistledown als Berichterstatterin ist es gar nicht mehr nötig, irgendwelche Empfänge selbst zu besuchen«, sagte Daphne. Sie deutete auf das Journal. »Das hier ist fast so gut, wie tatsächlich dort zu sein. Ich bin sicher, dass wir gestern Abend besser gegessen haben als die Gäste auf dem Ball. Und jetzt gib mir das Blatt zurück.« Ein wenig zu heftig nahm sie es ihrer Mutter aus der Hand, in der nur eine abgerissene Ecke zurückblieb.

»Daphne!«

Sie gab sich empört. »Ich las doch gerade.«

»Na, und wenn schon!«

»Hör dir das an.«

Violet beugte sich über die Zeitung.

Daphne las vor: »Der Bonvivant, der früher unter dem Namen Earl of Clyvedon bekannt war, hat sich endlich dazu herabgelassen, London mit seiner Gegenwart zu beehren. Zwar ist er bisher noch nicht bei einem respektablen abendlichen Ereignis erschienen, doch hat man den neuen Duke of Hastings mehrere Male bei ›White’s‹ und einmal bei ›Tattersall’s‹ gesehen.«

Sie machte eine Atempause. »Seine Gnaden hat die letzten sechs Jahre im Ausland verbracht. Kann es da ein Zufall sein, dass seine Rückkehr erst nach dem Tod des alten Duke erfolgte?«

Daphne blickte auf. »Du meine Güte, die nimmt aber wirklich kein Blatt vor den Mund. Ist Clyvedon nicht ein Freund von Anthony?«

»Er ist jetzt Hastings«, korrigierte Violet, »und ja, ich glaube, er und Anthony waren in Oxford befreundet. Und in Eton auch, denke ich.« Nachdenklich kniff sie die blauen Augen zusammen. »Er muss ein ziemlicher Hitzkopf gewesen sein. Und mit seinem Vater hat er sich nie verstanden. Aber er war bekannt für seine hervorragenden Leistungen. Ich bin beinahe sicher, dass Anthony einen erstklassigen Abschluss in Mathematik erwähnte. Und etwas Derartiges«, sagte sie und verdrehte die Augen, »kann ich von keinem meiner Kinder behaupten.«

»Nicht doch, Mutter«, neckte Daphne sie. »Ich bin sicher, dass ich ebenso hervorragend abschneiden würde, wenn Oxford sich endlich dazu durchringen könnte, Frauen aufzunehmen.«

Violet stieß einen verächtlichen Laut aus. »Ich habe alle deine Rechenübungen korrigiert, als deine Erzieherin krank war, Daphne.«

»Nun, dann vielleicht in Geschichte«, sagte Daphne lächelnd. Sie sah wieder auf das Skandalblatt in ihrer Hand, und ihr Blick glitt zum Namen des Duke. »Klingt, als wäre er ganz interessant«, meinte sie.

Violet musterte sie scharf. »Unpassend für eine junge Dame deines Alters, das ist er.«

»Merkwürdig, wie wechselhaft mein sogenanntes ›Alter‹ doch ist. Einmal bin ich noch so jung, dass ich nicht einmal Anthonys Freunde kennenlernen darf, und dann bin ich wieder so alt, dass du schon die Hoffnung aufgibst, ich könnte noch eine gute Partie machen.«

»Daphne Bridgerton, dein Ton …«

»… gefällt dir nicht, ich weiß.« Daphne schmunzelte. »Aber du liebst mich trotzdem.«

Violet lächelte herzlich und legte Daphne einen Arm um die Schultern. »Oh ja, das tue ich.«

Daphne gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange. »Das ist der Fluch der Mutterschaft. Du musst uns einfach lieben, und wenn wir dich noch so sehr ärgern.«

Violet seufzte. »Hoffentlich hast du eines Tages Kinder …«

»… die genauso sind wie ich, ich weiß.« Daphne lächelte wehmütig und legte den Kopf an Violets Schulter. Ihre Mutter war äußerst neugierig, und ihr Vater hatte sich immer mehr für die Jagd und seine Hunde interessiert als für gesellschaftliche Angelegenheiten. Dennoch hatten sie eine glückliche Ehe geführt, erfüllt von Liebe, Lachen und Kindern. »Ich könnte es viel schlechter treffen, als deinem Beispiel zu folgen, Mutter«, bemerkte sie.

»Ach, Daphne«, sagte Violet, der die Tränen in die Augen stiegen. »Wie lieb von dir, das zu sagen.«

Daphne wickelte sich eine kastanienbraune Locke um den Finger und lächelte, sodass die momentane Melancholie einer heitereren Stimmung wich. »Ich trete gern in deine Fußstapfen, Mutter, was Ehe und Kinder betrifft, solange ich nur nicht acht davon bekommen muss!«

In demselben Augenblick saß Simon Basset, der neue Duke of Hastings, bei ›White’s‹. Anthony Bridgerton, Daphnes ältester Bruder, leistete ihm Gesellschaft. Die zwei Freunde boten einen prächtigen Anblick, beide groß und athletisch, mit dichtem dunklem Haar. Aber während Anthonys Augen ebenso braun waren wie die seiner Schwester, verband sich mit Simons eisblauen Augen ein eigenartig durchdringender Blick.

Diese Augen waren nicht unwesentlich daran beteiligt, dass er sich den Ruf eines Mannes erworben hatte, der nicht einmal den Teufel fürchtete. Wenn er jemand mit klarem Blick unverwandt ansah, wurde es Männern unbehaglich. Frauen erbebten förmlich.

Nicht jedoch Anthony. Die beiden kannten einander seit Jahren, und Anthony lachte nur, wenn Simon die Brauen hochzog und ihn mit seinen blauen Augen musterte. »Du vergisst, dass ich einmal gesehen habe, wie dein Kopf in einen Nachttopf gesteckt wurde«, hatte Anthony ihm einmal erklärt. »Seither fällt es mir schwer, dich so richtig ernst zu nehmen.«

Worauf Simon geantwortet hatte: »Ja, aber wenn ich mich recht erinnere, warst du derjenige, der mich über jenes duftende Gefäß gehalten hat.«

»Einer der stolzesten Augenblicke meines Lebens. Allerdings hast du dich in der Nacht gerächt – in Form von einem Dutzend Aale in meinem Bett.«

Simon gestattete sich ein Lächeln, als er sich an dieses Abenteuer und das darauf folgende Gespräch erinnerte. Anthony war ein guter Freund, jemand, den er in einer schwierigen Situation an seiner Seite haben wollte. Ihn hatte er sofort nach seiner Rückkehr aufgesucht.

»Es ist verdammt schön, dich wieder zu sehen, Simon«, sagte Anthony, nachdem sie bei ›White’s‹ an ihrem Tisch Platz genommen hatten. »Oh, aber du bestehst sicher darauf, dass ich dich nun Hastings nenne.«

»Nein«, wehrte Simon heftig ab. »Hastings wird immer mein Vater sein. Er hat nie auf einen anderen Namen gehört.« Simon schwieg einen Moment lang. »Ich übernehme seinen Titel, wenn es denn sein muss, doch ich will nicht bei seinem Namen genannt werden.«

»Wenn es denn sein muss.« Anthony blickte Simon erstaunt an. »Die meisten Männer wären über einen solchen Titel äußerst erfreut.«

Simon fuhr sich mit der Hand durch das dunkle Haar. Er wusste, dass er sein Geburtsrecht hoch schätzen und auf die glanzvolle Geschichte der Familie Basset ungeheuer stolz sein sollte, aber in Wahrheit wurde ihm von alldem nur übel. Er hatte sich sein ganzes Leben lang bemüht, die Erwartungen seines Vaters nicht zu erfüllen, da kam es ihm lächerlich vor, nun seinem Namen Ehre machen zu wollen. »Eine verdammte Last ist es, weiter nichts«, erklärte er schließlich.

»Du solltest dich lieber daran gewöhnen«, riet Anthony, der es von der praktischen Seite sah, »denn alle werden dich so nennen.«

Simon wusste das, aber er bezweifelte, dass er den Titel jemals als den seinen empfinden würde.

»Nun, wie auch immer«, fügte Anthony hinzu, der ein für Simon offensichtlich unangenehmes Thema nicht weiterverfolgen wollte, »es freut mich sehr, dass du wieder hier bist. Vielleicht habe ich jetzt endlich mal etwas Ruhe, wenn ich meine Schwester zu einem Ball begleite.«

Simon lehnte sich zurück und schlug die langen, muskulösen Beine an den Knöcheln übereinander. »Eine interessante Bemerkung.«

Anthony zog die Brauen hoch. »Nun ja, du erwartest sicher, dass ich sie dir erkläre.«

»Selbstverständlich.«

»Ich sollte es dich selbst herausfinden lassen, aber Grausamkeit war noch nie meine hervorstechendste Eigenschaft.«

Simon schmunzelte. »Und das sagt ein Mann, der meinen Kopf einmal in einen Nachttopf gesteckt hat?«

Anthony machte eine wegwerfende Geste. »Ich war damals noch sehr jung.«

»Und jetzt bist du die Verkörperung von Reife, Anstand und Ehrbarkeit?«

Anthony grinste. »So ist es.«

»Also, erzähl schon«, forderte Simon ihn auf, »wie wird durch meine Gegenwart dein Leben so viel angenehmer?«

»Ich gehe davon aus, dass du vorhast, deinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen?«

»Da irrst du dich.«

»Du wirst doch diese Woche zu Lady Danburys Ball gehen«, sagte Anthony.

»Nur, weil ich eine unerklärliche Zuneigung zu dieser Frau hege. Sie sagt, was sie denkt, und …« Simons Gesicht nahm einen verschlossenen Ausdruck an.

»Und?«, bohrte Anthony nach.

Simon schüttelte leicht den Kopf. »Nichts. Sie war nur sehr gütig zu mir, als ich noch ein Kind war. Ich habe einige Male die Schulferien bei ihr verbracht, mit Riverdale. Das ist ihr Neffe.«

Anthony nickte. »Verstehe. Du hast also nicht vor, dich viel in der Gesellschaft zu bewegen. Deine Entschlossenheit beeindruckt mich. Allerdings muss ich dich warnen – selbst wenn du dich von allen Empfängen fernhältst, sie werden dich finden.«

Simon, der ausgerechnet in diesem Moment an seinem Kognak nippte, verschluckte sich fast beim Anblick von Anthonys Gesicht, als dieser »sie«, sagte. Nachdem er eine kleine Weile gehustet und geprustet hatte, brachte er schließlich hervor: »Wer, bitte sehr, sind denn ›sie‹?«

Anthony schauderte. »Mütter.«

»Da ich selbst keine habe, verstehe ich nicht ganz, was du meinst.«

»Diese Feuer speienden Drachen mit Töchtern im heiratsfähigen Alter. Bei denen gibt es kein Entrinnen. Und ich sollte dich warnen, meine eigene Mutter ist die Schlimmste von allen.«

»Gütiger Gott. Und ich dachte immer, Afrika sei gefährlich.«

Anthony warf seinem Freund einen mitleidigen Blick zu. »Sie werden dich finden, wo immer du dich versteckst. Und dann wirst du in eine Konversation mit einer blassen jungen Dame in Weiß verstrickt sein, die sich über nichts anderes unterhalten kann als über das Wetter und Haarbänder oder darüber, wer eine Eintrittskarte zum ›Almack’s‹ ergattern konnte.«

Auf Simons Gesicht erschien ein amüsierter Ausdruck. »Darf ich daraus schließen, dass du, während ich nicht im Lande war, zu einem begehrten jungen Gentleman geworden bist?«

»Nicht aufgrund von Bestrebungen meinerseits, das kann ich dir versichern. Wenn ich das zu entscheiden hätte, würde ich alle gesellschaftlichen Empfänge meiden wie die Pest. Aber meine Schwester wurde letztes Jahr eingeführt, und ab und zu bin ich gezwungen, sie zu begleiten.«

»Du meinst Daphne?«

Erstaunt sah Anthony ihn an. »Habt ihr beide euch denn je kennengelernt?«

»Nein«, gestand Simon, »doch ich erinnere mich an die Briefe, die sie dir geschrieben hat, und daran, dass sie die Vierte in der Familie ist, also musste ihr Name mit D anfangen, und …«

»Ach ja«, sagte Anthony und verdrehte die Augen, »die Bridgerton’sche Methode der Namensgebung. Eine Garantie dafür, dass nie jemand vergisst, wer man ist.«

Simon lachte. »Es hat doch funktioniert, oder nicht?«

»Hör mal, Simon«, sagte Anthony unvermittelt und beugte sich vor, »ich habe meiner Mutter versprochen, diese Woche mit der ganzen Familie zum Dinner in Bridgerton House zu erscheinen. Komm doch auch mit.«

Simon zog die dunklen Brauen hoch. »Hast du mich nicht gerade erst vor den Müttern und deren Töchtern gewarnt?«

Anthony lachte. »Ich werde meine Mutter vorher an ihre Manieren erinnern, und wegen Daphne brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Sie ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Gewiss gefällt sie dir.«

Simon kniff die Augen zusammen. Versuchte Anthony, ihn zu verkuppeln? Er war sich nicht sicher.

Als hätte Anthony seine Gedanken erraten, lachte er auf. »Gütiger Himmel, du denkst doch nicht etwa, ich versuche, dich mit Daphne zusammenzubringen, oder?«

Simon sagte nichts.

»Du passt nicht zu ihr, denn du bist ein wenig zu grüblerisch für ihren Geschmack.«

Simon fand diese Bemerkung eigenartig, fragte aber nur: »Hat sie denn schon Anträge bekommen?«

»Einige.« Anthony stürzte den Rest seines Kognaks hinunter und seufzte dann zufrieden. »Ich habe ihr erlaubt, sie alle abzulehnen.«

»Das war sehr freundlich von dir.«

Anthony zuckte die Schultern. »Heutzutage kann man vermutlich nicht mehr hoffen, aus Liebe zu heiraten, aber ich sehe keinen Grund, weshalb sie nicht mit ihrem Mann glücklich werden sollte. Wir hatten Anträge von einem Gentleman, der alt genug war, ihr Vater zu sein, und von einem, der der etwas jüngere Bruder des ersten hätte sein können. Außerdem von einem, der für unsere oft reichlich ausgelassene Sippe viel zu blasiert war, und dann diese Woche … Meine Güte, das war der Gipfel!«

»Was ist passiert?«, fragte Simon neugierig.

Müde rieb Anthony sich die Schläfen. »Der Letzte war sehr nett, aber er wirkte etwas dümmlich. Man möchte meinen, dass ich nach unseren ausschweifenden Jahren kein Fünkchen Gefühl mehr habe …«

»Tatsächlich?«, fragte Simon mit einem diabolischen Grinsen. »Möchte man das meinen?«

Anthony warf ihm einen finsteren Blick zu. »Es hat mir nicht gerade Spaß gemacht, diesem Narren das Herz zu brechen.«

»War es nicht Daphne, die ihm das Herz gebrochen hat?«

»Ja, aber ich musste es ihm sagen

»Nicht viele Brüder würden ihrer Schwester solche Freiheiten in der Auswahl ihrer Bewerber lassen«, bemerkte Simon ruhig.

Anthony zuckte wieder die Schultern, als könnte er sich gar nicht vorstellen, mit seiner Schwester irgendwie anders umzugehen. »Sie ist mir stets eine gute Schwester gewesen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«

»Selbst wenn das bedeutet, sie zu ›Almack’s‹ zu begleiten?«, fragte Simon boshaft.

Anthony stöhnte. »Selbst dann.«

»Ich würde dich ja gern damit trösten, dass all das bald vorüber sein wird, aber da warten ja noch drei weitere Schwestern.«

Anthony sank ermattet auf seinem Stuhl zusammen. »Eloise wird in zwei Jahren debütieren, und Francesca im Jahr darauf, doch danach kann ich mich etwas erholen, bis Hyacinth das kritische Alter erreicht hat.«

Simon lachte leise. »Ich beneide dich keineswegs um diese Pflichten.« Aber noch während er das sagte, spürte er eine eigenartige Sehnsucht, und er fragte sich, wie es wohl wäre, nicht ganz so allein auf der Welt zu sein. Er hatte nicht vor, eine Familie zu gründen, doch wenn er als Kind eine gehabt hätte, wäre sein Leben wohl anders verlaufen.

»Du kommst also zum Essen?« Anthony erhob sich. »Ganz ungezwungen. Wir veranstalten nie ein förmliches Dinner, wenn nur die Familie dabei ist.«

Simon hatte in den nächsten Tagen sehr viel zu erledigen, aber bevor er sich selbst ermahnen konnte, dass er so einiges zu regeln hatte, hörte er sich sagen: »Ich komme gern.«

»Sehr schön. Vorher sehen wir uns ja noch auf dem Empfang der Danburys, oder?«

Simon schauderte. »Nicht, wenn ich es verhindern kann. Ich habe vor, meinen Besuch in höchstens dreißig Minuten hinter mich zu bringen.«

»Du glaubst doch nicht im Ernst«, sagte Anthony mit zweifelnd hochgezogenen Brauen, »dass du es schaffen wirst, zu dem Fest zu erscheinen, Lady Danbury deine Aufwartung zu machen und dann wieder zu verschwinden?«

Simon nickte heftig.

Aber Anthonys Lachen war nicht unbedingt ermutigend.

2. Kapitel

Der neue Duke of Hastings ist eine überaus interessante Persönlichkeit. Während es allgemein bekannt ist, dass er nicht auf bestem Fuße mit seinem Vater stand, sieht selbst die Verfasserin sich nicht in der Lage, den Grund für diese Entfremdung herauszufinden.

Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal,

26. April 1813

Wenige Tage später hielt sich Daphne in Lady Danburys Ballsaal auf, ziemlich weit weg von den elegant gekleideten Gästen. Damit war sie recht zufrieden.

Üblicherweise hätte sie den Abend genossen. Ein schönes Fest bereitete ihr ebenso viel Vergnügen wie allen anderen jungen Damen. Diese Freude wurde jedoch von einem Gespräch mit Anthony kurz zuvor getrübt. Er hatte sie davon in Kenntnis gesetzt, dass Nigel Berbrooke ihn vor zwei Tagen aufgesucht und um ihre Hand angehalten habe.

Schon wieder. Anthony hatte ihn natürlich abgewiesen, doch Daphne vermutete, Nigel könnte sich als unangenehm hartnäckig erweisen. Immerhin machten zwei Anträge in zwei Wochen nicht eben den Eindruck, dass er eine Ablehnung einfach so hinnahm.

Sie sah, wie er sich auf der anderen Seite des Saals suchend umblickte, und wich noch weiter zurück.

Daphne wusste wirklich nicht, wie sie Nigel begegnen sollte. Zwar war er nicht sonderlich klug, dafür aber recht freundlich. Natürlich war ihr klar, dass sie seiner Vernarrtheit irgendwie ein Ende setzen musste, doch sie fand es wesentlich einfacher, sich einfach davonzuschleichen.

Sie überlegte gerade, ob sie sich in den Erfrischungsraum der Damen flüchten sollte, als eine vertraute Stimme sie zurückhielt.

»Daphne, was machst du denn hier ganz allein?«

Sie blickte auf und sah, dass ihr ältester Bruder auf sie zutrat.

»Anthony«, sagte sie und wusste nicht recht, ob sie sich freute, ihn zu sehen, oder ob sie sich ärgern sollte, weil er sie vielleicht aufsuchte, um sich in ihre Angelegenheiten zu mischen. »Ich ahnte ja nicht, dass du hier ebenfalls erscheinen würdest.«

»Mutter«, sagte er grimmig. Er brauchte kein weiteres Wort zu sagen.

»Ah«, erwiderte Daphne und nickte. »Ich verstehe schon.«

»Sie hat für mich eine Liste potenzieller Anwärterinnen aufgestellt.« Er warf seiner Schwester einen gequälten Blick zu. »Wir lieben Mutter alle sehr, nicht wahr?«

Daphne antwortete unter Lachen: »Ja, Anthony, das tun wir.«

»Das ist eine vorübergehende Geistesschwäche«, brummelte er. »So muss es sein. Es gibt keine andere Erklärung. Sie war eine völlig vernünftige Mutter, bis du ins heiratsfähige Alter kamst.«

»Ich?«, fragte Daphne. »Dann soll das alles meine Schuld sein? Du bist ganze acht Jahre älter als ich!«

»Ja, aber dieser Eifer in Heiratssachen hat sie erst gepackt, als du so weit warst.«

Daphne stieß einen verächtlichen Laut aus. »Bitte entschuldige mein mangelndes Mitgefühl. Ich habe bereits letztes Jahr eine Liste erhalten.«

»Tatsächlich?«

»Natürlich. Und in jüngster Zeit droht sie damit, mir wöchentlich eine zu liefern. Mit dem Thema Heirat peinigt sie mich ärger, als du es dir überhaupt vorstellen kannst. Junggesellen sind schließlich eine Herausforderung. Alte Jungfern sind einfach nur jämmerliche Figuren. Und falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, ich bin weiblichen Geschlechts.«

Anthony gluckste leise. »Da ich dein Bruder bin, habe ich es bisher nicht bemerkt.« Er lächelte sie boshaft von der Seite an. »Hast du sie dabei?«

»Meine Liste? Gütiger Himmel, nein. Wie um Himmels willen kommst du nur darauf?«

Sein Lächeln vertiefte sich. »Ich habe meine mitgebracht.«

Daphne schnappte nach Luft. »Nein!«

»Doch. Nur um Mutter an meiner Qual teilhaben zu lassen. Ich werde das Blatt vor ihren Augen entfalten, mein Lorgnon hervorholen …«

»Du hast gar kein Lorgnon.«

Erneut bedachte er sie mit jenem boshaften Lächeln, das anscheinend alle Bridgerton-Männer auszeichnete. »Ich habe mir extra für diesen Abend eines besorgt.«

»Anthony, das kannst du nicht tun. Sie wird dich umbringen. Und dann wird sie irgendwie eine Möglichkeit finden, mich für alles verantwortlich zu machen.«

»Darauf zähle ich.«

Daphne knuffte ihn in die Schulter, und er schrie laut genug auf, um die neugierigen Blicke einiger Gäste auf sie zu ziehen.

»Ein kräftiger Schlag«, bemerkte Anthony und rieb sich den Arm.

»Als Mädchen mit vier Brüdern braucht man nicht allzu lange, bis man kräftig zuschlagen kann.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Zeig mir doch mal deine Liste.«

»Nachdem du mich gerade so misshandelt hast?«

Daphne rollte die braunen Augen und neigte den Kopf zur Seite, eine unübersehbare Geste der Ungeduld.

»Ach, na schön.« Er griff in seine Westentasche, holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor und gab es ihr. »Sag mir, was du davon hältst. Du hast doch bestimmt einige bissige Bemerkungen dazu zu machen.«

Daphne faltete das Blatt auseinander und blickte auf die säuberliche, elegante Handschrift ihrer Mutter hinab. Die Viscountess Bridgerton hatte die Namen von acht Damen notiert. Acht sehr begehrten, äußerst wohlhabenden jungen Damen.

»Genau, wie ich erwartet hatte«, murmelte Daphne.

»Ist es so schlimm, wie ich meine?«

»Schlimmer. Philipa Featherington ist ausgesprochen dumm.«

»Und der Rest?«

Daphne sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Du wolltest doch eigentlich sowieso nicht dieses Jahr heiraten, oder?«

Anthony schnitt ein Gesicht. »Und deine Liste?«

»Ist inzwischen glücklicherweise veraltet. Drei von den fünf Gentlemen haben in der letzen Saison geheiratet. Mutter tadelt mich immer noch, weil ich mir nicht einen davon geschnappt habe.«

Die beiden Bridgertons seufzten einhellig und ließen sich gegen die Wand sinken. Durch nichts ließ sich Violet Bridgerton von ihrer Mission abhalten, ihre Kinder unter die Haube zu bringen. Anthony als ihr ältester Sohn und Daphne als ihre älteste Tochter mussten den meisten Druck ertragen. Daphne verdächtigte jedoch ihre Mutter, liebend gern auch die zehnjährige Hyacinth verheiraten zu wollen, wenn sie einen angemessenen Antrag für sie erhielte.

»Du meine Güte, was schaut ihr denn so missmutig drein? Und wieso verkriecht ihr euch hier in der Ecke?«, fragte eine weitere sehr vertraute Stimme.

»Benedict«, sagte Daphne und warf ihm einen Seitenblick zu, ohne den Kopf zu drehen. »Sag bloß, Mutter hat dich auch dazu gebracht, dich heute Abend hier zu zeigen.«

Er nickte grimmig. »Sie hat sich nicht lange mit Schmeicheleien aufgehalten, sondern ist ziemlich schnell auf der Basis von Schuldgefühlen zum Angriff übergegangen. Diese Woche hat sie mich drei Mal daran erinnert, dass es vielleicht bald an mir sein könnte, den nächsten Viscount zu zeugen, wenn unser Anthony sich nicht bald darum kümmert.«

Anthony stöhnte.

»Ich nehme an, das erklärt auch deine Flucht in die dunkelste Ecke des Ballsaals?«, fuhr Benedict fort. »Du willst Mutter aus dem Weg gehen.«

»Eigentlich ist es so«, erwiderte Anthony, »dass ich gesehen habe, wie Daphne sich hier herumdrückt, und …«

»Herumdrückt?«, wiederholte Benedict mit gespieltem Entsetzen.

Sie warf beiden einen finsteren Blick zu. »Ich bin hier, weil ich mich vor Nigel Berbrooke verstecken will«, erklärte sie. »Ich habe Mutter in Gesellschaft von Lady Jersey zurückgelassen, also ist es unwahrscheinlich, dass sie mich allzu bald wieder belästigt, aber Nigel …«

»Hat mehr von einem Affen als von einem Mann«, scherzte Benedict.

»Nun, so hätte ich mich wohl nicht ausgedrückt«, sagte Daphne, die nicht so abfällig über ihn reden wollte, »aber er ist wirklich nicht der Klügste, und es fällt mir einfach leichter, ihm aus dem Weg zu gehen, als seine Gefühle zu verletzen. Aber da ihr beide mich jetzt aufgespürt habt, werde ich ihm wohl nicht mehr lange entrinnen können.«

Anthony machte nur: »Oh?«

Daphne sah ihre älteren Brüder an, die beide über einen Meter achtzig groß waren. Sie hatten dichtes kastanienbraunes Haar – ihrer eigenen Haarfarbe sehr ähnlich –, aber vor allem konnten beide sich niemals in der Gesellschaft bewegen, ohne eine kleine Schar aufgeregt zwitschernder junger Damen anzuziehen.

Und wo immer ein Schwarm plappernder junger Damen hinging, folgte ihnen ganz sicher Nigel Berbrooke.

Daphne bemerkte, dass man sich bereits nach ihnen umdrehte. Hoffnungsvolle Mütter drängten ihre Töchter zur Tat, zeigten möglichst unauffällig auf die beiden Brüder Bridgerton, die nur mit ihrer Schwester zusammenstanden.

»Ich wusste doch, dass ich mich besser zum Erfrischungsraum hätte aufmachen sollen«, meinte Daphne.

»Sag mal, was hältst du denn da in der Hand, Daphne?«, fragte Benedict.

Ein wenig geistesabwesend reichte sie ihm die Liste mit Anthonys empfohlenen Bräuten.

Als Benedict kehlig kicherte, verschränkte Anthony die Arme vor der Brust und sagte: »Amüsier du dich nur schön auf meine Kosten. Ich garantiere dir, dass du nächste Woche eine ähnliche Liste erhalten wirst.«

»Ohne Zweifel«, stimmte Benedict ihm zu. »Es ist ein Wunder, dass Colin …« Sein Kopf fuhr hoch. »Colin!«

Ein weiterer Bridgerton hatte sich hinzugesellt.

»Oh, Colin!«, rief Daphne und umarmte ihn stürmisch. »Es ist so schön, dich zu sehen.«

»Wollen wir bitte festhalten, dass uns kein so begeisterter Empfang bereitet wurde«, bemerkte Anthony zu Benedict.

»Euch sehe ich doch immer«, gab Daphne zurück. »Colin war ein ganzes Jahr lang fort.« Nachdem sie ihn ein letztes Mal an sich gedrückt hatte, trat sie zurück und sagte tadelnd: »Wir haben dich erst nächste Woche erwartet.«

Colin zuckte gleichmütig die Schultern. »In Paris ist es mir langweilig geworden.«

»Ah«, sagte Daphne mit einem wissenden Lächeln. »Dir ist das Geld ausgegangen.«

Colin lachte und hob ergeben die Hände. »Schuldig im Sinne der Anklage.«

Anthony umarmte seinen Bruder und sagte schroff: »Verdammt gut, dich wiederzuhaben, Bruder. Obwohl die Mittel, die ich dir angewiesen habe, mindestens bis …«

»Aufhören«, sagte Colin verzweifelt, noch mit einem Lachen in der Stimme. »Ich verspreche, dir morgen uneingeschränkt Gelegenheit zur Schelte zu geben. Aber heute Abend möchte ich einfach ungetrübt die Gesellschaft meiner geliebten Familie genießen.«

Benedict schnaubte. »Du hast vermutlich keinen Penny mehr, wenn du uns als ›geliebte Familie‹ bezeichnest.« Aber er beugte sich trotzdem vor...

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