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Millenia Magika – Der Schleier von Arken

hier erhältlich:

Arken - die langweiligste Stadt der Welt: kein Internet, kein Handynetz, kein Einkaufszentrum.
Und doch ist dies der Ort, an den sich Adrian flüchtet, als der Krach Zuhause und in der Schule zu groß wird. Er will sich dort nur ein paar Tage bei seiner Großtante zurückziehen, bis sich alles wieder beruhigt hat.
Wie kann er denn ahnen, dass mit dem Beginn des neuen Millenniums die Magie zurückgekehrt ist und dass ausgerechnet Arken der Ort ist, an dem sich Hexen, Ghule und magische Wesen vor dem Rest der Welt verstecken? Viel schlimmer ist aber, dass er scheinbar zu ihnen gehört.
Doch ihm bleibt keine Zeit sich darüber zu wundern, denn seine Tante ist spurlos verschwunden.
Die junge Hexe Jazz ist sich sicher, dass es sich dabei um ein magisches Verbrechen handelt, während Kleinstadttroll und Nerd Juri es als Teil ihrer Helden-Quest sieht, Adrians Tante wiederzufinden. Die drei können nicht wissen, dass das Schicksals Arkens und seiner Bewohner von ihnen abhängt.

»[…] eine spannende, vor Magie sprühende Geschichte mit gewieften Protagonisten, die mit Grips und Humor rasch den Weg in die Herzen ihrer Leser finden werden.«
Buchkultur, 6/2020, S. 50


  • Erscheinungstag: 27.10.2020
  • Aus der Serie: Millenia Magika
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 352
  • Altersempfehlung: 10
  • Altersempfehlung: 12
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505143908

Leseprobe

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Originalausgabe
© 2020 Schneiderbuch
in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
Falk Holzapfel wird vertreten durch Agentur Brauer
Illustrationen & Umschlagidee: Falk Holzapfel
Umschlaggestaltung: Designomicon | Anke Koopomann, München
eBook: Fotosatz Amann, Memmingen
ISBN 978-3-505-14390-8
www.schneiderbuch.de

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Apfelkuchen und Arkensterne

»Alles wird besser durch Pudding«, drang es aus dem Inneren der Villa.

Die Eingangstür öffnete sich einen Spaltbreit, und schwarze Locken kamen zum Vorschein.

»Nein, nicht alles. Pizza zum Beispiel nicht«, rief die klare Stimme unmittelbar hinter der Tür.

Ein vielstimmiges Lachen antwortete tief aus dem Anwesen.

Die Stimme war ihm so unbekannt wie die Frisur. War dies das falsche Haus? Langsam drehte sich die Gestalt zu ihm um. Grüne Augen blickten ihn neugierig an. Das Mädchen war vielleicht zwei Jahre älter als er und viel zu hübsch. Lange Locken fielen ihr bis auf die Schultern und rahmten das Gesicht ein. Das war definitiv nicht seine Großtante.

»Ähm.« Er blickte über die Veranda. Ein Schaukelstuhl, auf dem ein Buch lag. Ein Eimer voller Äpfel. Aus einer zinnernen Gießkanne wuchs eine Sonnenblume. Wilder Wein rankte an den Holzsäulen empor, die das Vordach trugen. In den Türrahmen, vor dem er stand, waren Muster und Symbole geschnitzt. Das war das richtige Haus.

»Tante Lia?«, fragte er verwirrt. Das Mädchen zog eine Braue in die Höhe. »Äh, ich meine, wohnt hier nicht Tante Lia?«

Weiße Zähne erschienen zwischen geschwungenen Lippen, als ihn das Mädchen anlächelte.

»Ach, du musst der Neffe von Magista Eisenhut sein«, sagte sie erfreut.

»Äh ja, ich bin Adrian«, sagte Adrian stockend. Er hatte noch nie gehört, dass jemand seine Tante Magista nannte.

»Dann komm rein, Adrian. Deine Tante wird sich so freuen, dich zu sehen.«

Sie hielt ihm die Tür auf und reichte ihm gleichzeitig ihre Hand. Dunkler Nagellack. Etwas war auf ihren Handrücken gekritzelt.

»Ich bin Jazz. Und du kommst genau richtig. Wir sitzen alle noch bei einem späten Frühstück.«

»Alle?« Adrian war lange nicht mehr hier gewesen, aber soweit er wusste, wohnte Tante Lia allein.

Vielleicht hätte er doch vorher anrufen sollen? Aber was, wenn sie Nein gesagt hätte?

»Ja«, erklärte Jazz und schob ihn sanft in das Haus. »Barnaby ist vorbeigekommen, wahrscheinlich nur, um sich wieder mit Kuchen vollzustopfen. Oh, pass auf, dass du nicht über seine Schuhe stolperst.«

Mit Isolierband geflickte Halbschuhe samt Ersatzschnürsenkeln lagen mitten im geräumigen Eingangsbereich übereinander. Daneben an der Wand standen sauber aufgereiht jeweils ein roter und ein grüner Schnürstiefel, elegante, abgenutzte Lederschuhe und ein Paar breite schlammverkrustete Lederstiefel.

Mit einem großen Schritt über die Schuhe trat Adrian in den Flur.

»Pudding und Käse machen alles besser! Wozu Pudding nicht passt, dazu passt Käse umso besser.«

Die Worte drangen zusammen mit lautem Schmatzen aus der Küche seiner Tante.

»Auf jeden Fall gibt es keine Entschuldigung dafür, dass du weder das eine noch das andere im Haus hast, wenn du mich einlädst«, fuhr die Stimme unter hörbarem Kauen fort.

Adrian streifte sich die Schuhe ab und warf seinen Rucksack in eine Ecke.

»Das«, Jazz lachte und zeigte mit dem Daumen in Richtung der Stimme, »ist Barnaby.«

Das Gekritzel auf ihrem Handrücken war wieder verschwunden, wunderte sich Adrian. Er musste es sich eingebildet haben. Dafür fielen ihm die vielen Ketten auf, die sie übereinander trug. Lederbänder, auf die Steine und Kristalle gefädelt waren, hingen über Bronzeamuletten, Holzanhängern und einem kleinen Lederbeutel. Das meiste davon sah aus, als hätte sie es selbst gemacht. Er wollte sie gerade danach fragen, als er eine Stimme hörte, die er kannte.

»Eingeladen ist gut«, erklang die ruhige Stimme seiner Tante belustigt. »Das letzte Mal hatte ich dich vor fünf Jahren eingeladen, seitdem kommst du hier immer ungebeten vorbeigeschneit, stellst einen Blumentopf oder einen Eimer Äpfel auf meine Veranda und leerst ungefragt meinen Kühlschrank.«

»Wenn du aus den Äpfeln nicht so einen leckeren Apfelkuchen machen würdest, wäre ich viel seltener hier. Jetzt brauchst du nur noch Pudding, dann bin ich täglich dein Gast«, erwiderte Barnaby heftig kauend.

»Ich habe verstanden. Den nächsten Apfelkuchen werde ich wohl besser in ein Stück Kohle verwandeln, sonst ziehst du hier noch ein.«

Wieder schallte Gelächter durch den Flur. Wann hatte er das letzte Mal zu Hause mit Freunden und Familie zusammen gegessen und gelacht? Adrian konnte sich nicht daran erinnern. Es musste länger her sein.

»Ich werde der Magista mal sagen, dass du hier bist«, unterbrach Jazz seine Gedanken und verschwand den langen Gang hinunter. Da war es schon wieder, dieses komische Wort. Er hing Schal und Jacke auf einen leeren Haken und sah sich in dem ovalen Eingangsbereich um. Runde Fenster blickten nach draußen auf einen grauen Oktobertag.

Zwei Stunden hatte der Zug gebraucht, um ihn hierherzubringen. Die schreienden Babys und schwerhörigen Rentner hatten dafür gesorgt, dass sie sich wie vier anfühlten.

Als er schließlich in Kratzbach in den klapprigen Bus gestiegen war, war er beinahe froh gewesen. Aber eben nur beinahe, denn niemand freute sich wirklich, Arken zu besuchen.

Arken, den langweiligsten Ort der Welt. Wobei besuchen in dem Fall bedeutete, nach einer endlosen Zugfahrt eine Stunde in dem leeren Bus der Linie 8 zu hocken, der im Schneckentempo über eine neblige Waldstraße kroch. Aber Adrian war ja selbst schuld gewesen. Schon der Busfahrer hätte ihm eine Warnung sein müssen. Jede Frage hatte der alte Hinterwäldler gleich beantwortet.

»Fährt dieser Bus vielleicht nach Arken?« – Grunz.

»Was kostet denn eine Fahrkarte?« – Grunz.

»Ich weiß nicht, ob ich so viel dabeihab.« – Grunz. Diesmal genervter.

Schließlich war er aber doch eingestiegen, und der hellblaue Bus hatte nur einmal gehalten, direkt in der Eschenallee 26 vor dem Haus seiner Tante.

Arken war vielleicht ein stinklangweiliges Kaff, aber auf das Haus seiner Tante traf das nicht zu.

Die Möbel hatte sie über die Jahrzehnte in Antiquariaten, auf Flohmärkten und Mittelalterspektakeln zusammengetragen. In diesem Sammelsurium passte nichts so richtig zusammen, und alles war uralt. Ein zu einer Sitzbank umgebautes Weinfass stand neben einem Kerzenständer aus Hirschgeweihen. Von der Decke hingen getrocknete Wurzeln, von denen kleine Blumentöpfe herabbaumelten. Ein hölzerner Fensterrahmen mit verspiegelten Scheiben hing an der Wand und zeigte einen zerzausten Jungen mit kastanienbraunen Haaren. Adrian wandte schnell den Blick ab.

So wie die Diele war das ganze Haus eingerichtet. Es gab hier weder einen Fernseher, noch eine Mikrowelle, geschweige denn Internet. Elektrischer Strom dürfte so ziemlich die letzte technische Neuerung gewesen sein, die die alte Villa erlebt hatte.

Adrian schob sich vorbei an breiten Blumentöpfen, die die Diele in einen kleinen Dschungel verwandelten, und trat in den Flur. Die Luft roch nach halb vergessenen Erinnerungen und besseren Zeiten.

Im Vorübergehen warf Adrian einen Blick auf die Gemälde zwischen den überfüllten Bücherregalen. Die alten Leinwände zeigten Frauen mit harten Gesichtszügen und dunkelblauen Augen. Am Ende der Reihe entdeckte er sogar eine Fotografie. Das einzige Foto unter all den Gemälden. Seine Tante und seine Mutter in einer innigen Umarmung, und er, wie er sich am Bein seiner Mutter festhielt.

Das Foto schien ihm fast so alt wie die Leinwände zu sein.

»Adrian! Mein Lieblingsneffe!«

Eine kleine Frau kam mit offenen Armen auf ihn zugelaufen. Ihre Augen glitzerten vor Überraschung und Freude. Die Falten in ihrem Gesicht hatten Brüder und Schwestern bekommen, auch erstes Grau zeigte sich im Haar, aber das warme Lächeln war noch das gleiche wie auf dem Foto. Seine Tante umarmte ihn. Adrian merkte, dass er inzwischen einen Kopf größer war als sie.

Sie hielt ihn auf Armeslänge von sich.

»Was für eine Überraschung! Warum hast du nicht gesagt, dass du kommst?«

»Was denn«, erwiderte er, »hast du meine Trommel nicht gehört oder hat sich die Eule verflogen?«

»Ach, du hast wohl versucht anzurufen, oder? Du weißt doch, ich vergesse immer, den Hörer aufzulegen. Du hättest mir schreiben sollen.«

»Wozu? Die Postkutsche in Arken funktioniert doch genauso gut wie dein antikes Telefon. Musst du da eigentlich noch an einer Kurbel drehen, damit es anspringt?«

Seine Tante knuffte ihn gegen den Arm und hob dann den Zeigefinger in gespielter Entrüstung: »Neffen, die ihre Tante auf den Arm nehmen, bekommen keinen Kuchen!«

»Gnade! Ich nehme alles zurück!«, erwiderte Adrian und hob die Hände.

Sie schob ihn sanft den Flur entlang.

»Weiß deine Mutter denn, dass du hier bist?«, fragte sie ihn leise und mit besorgter Miene.

Adrian ging weiter, hob die Schultern und seufzte: »Inzwischen bestimmt.«

Sie hatten den bunten Perlenvorhang erreicht, an den sich Adrian noch gut erinnern konnte und der den Flur von der Küche abtrennte. Seine Tante seufzte, als hätte sie mit dieser Antwort gerechnet.

Die Küche war ein großer ovaler Raum, in dem ein ebensolcher Tisch stand. Um die hölzerne Tafel standen sieben Stühle, von denen es keine zwei gleichen gab. Die meisten der Plätze waren besetzt. Ein Riese von einem Mann drehte sich zu ihnen herum, kaum dass sie den Raum betraten. Zwei überraschte Augen funkelten Adrian unter dichten Augenbrauen entgegen. Das Gesicht verschwand nahezu zwischen rotbraunen Haaren und einem gewaltigen Bart.

»Kamelia, jetzt sag nicht, dass das der Neffe ist, den ich damals aus deinem Teich gefischt habe«, dröhnte eine tiefe Stimme, die Adrian spontan an den nordischen Donnergott und den Weihnachtsmann denken ließ.

»Kamelia?«, fragte Adrian verwundert seine Tante. Für ihn war sie immer nur Tante Lia gewesen.

Kamelia lächelte ihn nur an, ehe sie antwortete: »Ah natürlich, ich sollte euch einander vorstellen.«

Sie zeigte auf die anderen Personen, die rings um den Tisch beisammen saßen. »Erinnerst du dich noch an Björn, meinen Nachbarn?«

Seine Tante zeigte über das bunte Keramikgeschirr auf den Riesen. Der Kerl hatte so breite Schultern, dass er kaum durch einen Türrahmen passen konnte. Er schob eine seiner gewaltigen Pranken über den Tisch und zerquetschte Adrians Hand.

»Ha, der kleine Addi, ich weiß noch, wie du den Garten deiner Tante nach Kröten abgesucht hast, um sie in deinem pinken Eimerchen zu sammeln«, donnerte der Riese und grinste von einem Ohr zum anderen. »Ohne zu merken, dass sie immer wieder aus dem kleinen Eimer gekrabbelt sind. Du hast wahrscheinlich den ganzen Vormittag immer wieder dieselben zehn Kröten eingesammelt.«

Adrian fühlte, wie sein Gesicht glühte. Peinliche Kindheitsgeschichten zur Begrüßung, das hatte ja passieren müssen.

Er rieb sich die schmerzende Hand und erwiderte halblaut: »Inzwischen habe ich einen größeren Eimer.«

Björn lachte laut und schlug dem Mann neben ihm so fest auf die Schulter, dass diesem die Gabel aus der Hand fiel.

Nacheinander wurden Adrian die anderen Gäste vorgestellt.

Alois Kaltenstein: ein unscheinbarer Mann mit Brille in einem angestaubten Tweedanzug, der neben dem Riesen fast unterging und der ihm still zunickte.

Barnaby: eine kleine Gestalt in abgetragener Kleidung, die unaufhörlich Essen in sich hineinschaufelte und dessen struppiger Bart deutlich zeigte, was er heute schon so vertilgt hatte. Jede Menge Apfelkuchen. Zu beschäftigt damit, mehr davon in sich hineinzustopfen, schenkte Barnaby Adrian nur ein kurzes, struppiges Kuchengrinsen.

»Und Jasmina hast du ja schon kennengelernt«, sagte Tante Lia und bugsierte ihn auf einen der Stühle.

»Wenn du noch etwas von dem Apfelkuchen haben willst, solltest du dich beeilen«, empfahl ihm Jazz und nickte mit dem Kopf in Barnabys Richtung.

»Jasmina wohnt bei mir oben in der Dachkammer. Barnaby und Alois sind alte Freunde«, erklärte seine Tante. »Meine Lieben, das ist mein wunderbarer Großneffe, der endlich mal wieder seine Tante besucht.« Sie zwinkerte ihm zu, warf sich eine Mischung aus Poncho und Tischdecke über und verschwand im hinteren Teil der Küche. Während sie dort zwischen Krügen aus Holz und Keramiktiegeln hantierte, drehte sich Barnaby zu ihm um. Die Augen leuchteten hell, auch wenn der kleine Mann so aussah, als würde er unter einer Brücke wohnen. Alles an ihm wirkte geflickt, geborgt und selbst gemacht. Die Haare sahen aus wie das Zeug, mit dem man Rohre abdichtet, während sein Bart in alle Richtungen wucherte. Aber sein Grinsen machte es schwer, ihn nicht zu mögen.

»Ich soll dir ausrichten, dass der Apfelkuchen ganz furchtbar schmeckt, aber es gibt noch einen leckeren Kanten trockenes Brot, der auf dich wartet«, nuschelte er und angelte nach dem letzten Stück Kuchen auf dem Tisch.

Doch Adrian war schneller. Mit einer Gabel bewaffnet spießte er den Apfelkuchen auf und grinste Barnaby an.

»Das wird ihm nicht gefallen«, seufzte Barnaby und blickte mit feuchten Augen auf die Gabel.

»Wem wird das nicht gefallen?«, fragte Adrian verwundert und biss von dem noch warmen Kuchen ab.

»Na ihm«, sagte Barnaby, als würde er das Offensichtliche aussprechen, und deutete mit dem Daumen auf die Leere hinter sich.

Verunsichert blickte Adrian zu Jazz, die ein Lachen unterdrückte und nur mit den Schultern zuckte.

Der Streuner hatte sie wohl nicht mehr alle. Irritiert fragte sich Adrian, was den verrückten Obdachlosen wohl an den Tisch seiner Tante gebracht hatte. Mit hektischen Fingerzeichen machte Jazz ihn darauf aufmerksam, dass Barnaby dabei war, ihm den Kuchen vom Teller zu klauen. Adrian sprang samt Teller auf und hielt Barnaby herausfordernd die Gabel entgegen. Dieser lachte und fegte sich die Kuchenkrümel vom Bart auf den Teller.

»Der Igel mag dich«, sagte er und zwinkerte Adrian zu.

Jazz breitete in einer Geste der Ratlosigkeit die Arme aus. Adrian merkte, wie seine Kopfschmerzen einsetzten. Zum Glück kam in dem Augenblick seine Tante mit einer großen Teekanne, von der schon die Emaille abplatzte, aber aus der es wunderbar duftete.

Seine Tante goss ihm Tee ein und erzählte von ihrer Buchhandlung, davon, dass Jasmina sie wunderbar unterstützte und von den gewaltigen Veränderungen in Arken.

»Endlich konnte ich den Verein für Tradition und Kultur davon überzeugen, die Gaslaternen wieder englischgrün zu streichen. Dieses knallige Rot passte einfach nicht hierher. Aber auch in Arken ist der Fortschritt angekommen. Wir haben jetzt eine Telefonzelle! Kannst du dir das vorstellen? Und erinnerst du dich an die Bäckerei Frink? Der Gemeinderat hat den Besitzern recht gegeben und sie sind jetzt die Einzigen, die den Arkenstern als Gebäck anbieten dürfen, weil sie nachweisen konnten, dass das Rezept ursprünglich auf …«

Adrian hörte gar nicht mehr hin. Er sah, wie diese Menschen alle gemeinsam am Tisch saßen, miteinander redeten und glücklich waren. Hier im Haus seiner Tante fühlte er sich geborgen. Er überlegte, wann er sich das letzte Mal so gefühlt hatte. Sicher nicht seit Eckart aufgetaucht war und den Stiefvater spielte. Seitdem durfte er sich immer für alles rechtfertigen.

»Wo bist du nach der Schule gewesen?«

»Warum gibst du dir keine Mühe?«

»Was soll bloß aus dir werden, wenn deine Noten noch schlechter werden?«

Vielleicht war Arken wirklich der langweiligste Ort der Welt, aber wenigstens war Eckart nicht hier.

Adrian massierte seine pochenden Schläfen, er hatte wohl zu wenig getrunken. Barnaby stopfte sich nun Kekse statt Kuchen in den Bart. Jazz verdeckte halbherzig ein Gähnen und blickte zu seiner Tante, die weiter von aufregenden Neuigkeiten berichtete. Björn redete mit dem dürren Mann in dem altertümlichen Anzug. Der nickte nur ab und zu mit dem Kopf. Wie war gleich noch sein Name? Diese Kopfschmerzen, er würde seine Tante um eine Tablette bitten. Aber so etwas hätte sie natürlich nicht. Wahrscheinlich würde sie ihm einen Aufguss aus Brennnesseln, Baumpilzen und Bergsteinen einflößen wollen.

Genau, Kaltenstein, so hatte sie ihn genannt. Komischer Name. Aber irgendwie passte er zu dem kauzigen Typ. Mit seinem gemusterten Tweedanzug wirkte er etwas fehl am Platz zwischen Barnabys Ausstattung aus der Kleiderspende und den selbst genähten Leinenkleidern seiner Tante. Ob sie die merkwürdigen Klamotten wohl auch in ihrer Buchhandlung trug?

Er wollte Jazz, die von allen noch am normalsten schien, gerade danach fragen, da streckte Jazz die Hand nach der Teetasse aus, und Adrian sah auf ihrem Handrücken wieder Symbole, die eben noch nicht da gewesen waren. Er betrachtete die verschlungenen Ornamente. Irgendwas schien damit nicht zu stimmen. Die Kopfschmerzen nahmen weiter zu. Am besten wäre es, irgendein Gespräch anzufangen, um sich abzulenken.

»Äh, Jazz«, begann Adrian und ignorierte das Hämmern in seinem Kopf. Jazz schaute ihn durch ihre Locken hindurch mit großen Augen an.

»Was sind denn das für Symbole auf deinem Arm?«

Auf einen Schlag wurde es totenstill. Niemand sagte ein Wort. Eine Tasse zerschellte auf dem Boden.

Er hörte das Blut in seinen Ohren pochen, sein Kopf schmerzte, als wollte er zerspringen. Er hielt sich beide Hände an die Stirn. Noch immer sagte niemand etwas. Und mit einem Schlag waren die Schmerzen fort. Erleichtert atmete Adrian auf, öffnete die Augen und konnte nicht glauben, was er sah.

Der Tisch, die dampfenden Teetassen, die Kuchenkrümel auf der Tischdecke, alles war gleich, aber alles war anders. Die Zeichen auf Jazz’ Haut schimmerten und schienen sich zu bewegen. Erschrocken sah er zu seiner Tante. In ihren Augen sah er ein Leuchten, als ob er durch ihre Pupillen in ein Feuer blickte. Adrian sprang auf.

Er hatte schon wieder einen seiner Anfälle. Panik kletterte in ihm hoch. Sein Herz schlug wie verrückt und kalter Schweiß bedeckte seine Haut.

Wie ein Tier in der Falle blickte er sich um. Wellen liefen über die Wände, als würde das gesamte Haus atmen. Er musste hier raus, sofort.

Die anderen schienen nichts vor der Veränderung zu merken. Sie blickten nur besorgt auf Adrian. Barnaby wollte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm legen, aber sein Gesicht wirkte entstellt, als wäre es von einem schimmernden Nebel halb verborgen, und der Nebel verdichtete sich zu einer unmenschlichen Fratze. Adrian unterdrückte einen Aufschrei und wich zurück.

Der kleine Mann im grauen Anzug stand auf und fragte ihn: »Geht es dir gut?«

Hastig drehte sich Adrian zu ihm und blickte in dunkle Abgründe. Die Augen waren tiefe, von Kratern aus Asche umrandete Löcher.

Adrian stolperte rückwärts aus der Küche. Irgendetwas fiel dabei um. Sein Rücken berührte den Vorhang, durch den er gerade erst gekommen war. Die Monster am Tisch starrten ihn unverwandt an.

Seine Tante kam langsam auf ihn zu und streckte die Hände nach ihm aus, aber er sah nur das Feuer in ihren Pupillen. Ein weiterer Schritt zurück und der Vorhang trennte ihn von den Ungeheuern in der Küche.

»Bitte, beruhige dich, Adrian, es ist alles gut«, war das Letzte, was er hörte. Dann stürmte er den Flur entlang und rannte aus dem Haus.

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Linie 2

Seine Stiefel klatschten auf die nassen Pflastersteine, und sein Herz schlug den Takt dazu. Er stürzte fast, als er auf nasses Laub trat, aber er rannte einfach weiter, so schnell er konnte. Die dunklen Villen, halb hinter Hecken und alten Eichen verborgen, nahm er nicht wahr. Niemand sonst bewegte sich die krumme Eschenallee hinunter, und es wäre ihm auch egal gewesen. Er rannte, bis er außer Atem war. Was erschreckend schnell geschah. Keuchend blieb er stehen. Ein Blick zurück zeigte ihm das Haus seiner Tante, an dem der wilde Wein emporkletterte. Weit war er nicht gekommen.

Wie er es geübt hatte, schloss er die Augen und zählte langsam bis zehn.

Eins.

Das durfte nicht schon wieder passiert sein.

Zwei.

Der letzte Anfall war gerade mal drei Tage her.

Drei.

Wahrscheinlich hatte er einfach zu wenig geschlafen.

Vier.

Und zu wenig getrunken.

Fünf.

Genau, das war es.

Sechs.

Er hatte nicht schon wieder einen Anfall.

Sieben.

Sondern er hatte einfach zu wenig getrunken.

Acht.

Blödsinn! Wem machte er hier etwas vor? Die Anfälle kamen häufiger.

Neun.

Was war nur mit ihm los?

Zehn.

Er stützte die Hände auf die Knie. Ein metallischer Geschmack machte sich in seinem Mund breit. Er konzentrierte sich weiter auf seinen Atem, und nur langsam beruhigte er sich wieder.

Verdammt, was war das für ein peinlicher Abgang gewesen? Arme Tante Lia, schließlich konnte sie nichts dafür, dass ihr Neffe langsam durchdrehte. Aber er konnte jetzt unmöglich zurück. Nicht, solange sie noch Gäste hatte, das wäre einfach zu peinlich. Er musste wie ein Verrückter ausgesehen haben, wie er so ohne ein Wort aus dem Haus gestürzt war. Auch wenn Jazz scheinbar den Umgang mit merkwürdigen Menschen gewohnt war, musste sie ihn jetzt für völlig bekloppt halten.

Frustriert kickte er einen Kiesel über die Straße. Er würde einfach warten, bis alle gegangen waren, und dann würde er seiner Tante von seinen Anfällen erzählen müssen.

Also schlurfte er durch die verwinkelten Gassen, in denen der letzte Regen Pfützen im Kopfsteinpflaster hinterlassen hatte. Genau wie damals, als sie Tante Lia noch regelmäßig besucht hatten, fühlte er sich in eine andere Zeit versetzt.

Die alten Fachwerkhäuser und Backsteinfassaden waren sicher Jahrhunderte alt. Überhaupt gab es kaum etwas, das darauf schließen ließ, dass er nicht hundert Jahre in die Vergangenheit gereist war. Die Gaslaternen hatten bestimmt schon zu Zeiten von Sherlock Holmes hier geleuchtet.

Schließlich landete er an einer Bushaltestelle. Er entschied, dass er genauso gut einsteigen und durch Arken fahren konnte, um die Zeit totzuschlagen. Er brauchte auch nicht lange zu warten. Ein dunkelgrüner Bus der Linie 2 hielt kurze Zeit später quietschend vor ihm. So alt, wie der aussah, wurde er früher sicher von Pferden gezogen.

Der dicke Fahrer blickte unbeteiligt aus dem Fenster, als Adrian in den fast leeren Wagen stieg. Er durchsuchte seine Taschen nach Kleingeld, fand aber keins. Der Fahrer drehte ihm langsam den Kopf zu. Adrian fragte sich einen Augenblick, ob der Fahrer für immer mit seinem Wanst hinter dem Lenkrad eingeklemmt war.

»Bist hier in Arken, Junge«, ertönte es schließlich gelangweilt aus der Futterluke. Der Bus fuhr plötzlich an, und Adrian stolperte den Gang entlang. Hastig schwang er sich auf einen Platz, blickte aus dem Fenster und versuchte, nicht über das nachzudenken, was er gerade erlebt hatte.

Bloß nicht denken. Beschäftige dich mit irgendwas anderem, sagte er sich.

Er kramte sein Handy raus, wunderte sich nicht, dass er hier keinen Empfang hatte, und steckte sich die Kopfhörer in die Ohren. Musik half immer.

Währenddessen zogen die Straßen an ihm vorbei. Alle waren sie mit kopfgroßen Steinen gepflastert, was das Fahren in dem steinzeitlichen Bus zu einem besonderen Vergnügen machte.

Er musterte die altertümlichen Häuser, an denen sie vorbeifuhren. Tatsächlich konnte er kein Gebäude erkennen, das nicht mindestens aus dem vorletzten Jahrhundert stammte. Und nicht nur das: Die Geschäfte und Läden, an denen sie vorbeifuhren, hatten die eigenartigsten Namen. »Zum dreibeinigen Hund«, »Utas Utensilien für jeden Tag«, »Gebr. Bärlaus Böttcherei«, »Der Seetroll« oder »Julius Rohm, Beste Rauchwaren.«

Kein Starbucks, kein H&M, nicht mal einen McDonalds sah er. Arken musste es einem bockigen Kleinkind gleich gemacht haben. Es war einfach stehen geblieben; hatte sich geweigert, den Fortschritt zu akzeptieren.

Als er noch überlegte, was wohl Rauchwaren sein sollten, hielt der Bus erneut und jemand setzte sich ihm gegenüber.

Was sollte das denn? Der Bus war fast leer, und der Typ musste sich ihm genau gegenüber setzen? Der Kerl konnte nicht viel älter sein als er. Da hörten die Ähnlichkeiten aber auch schon auf. Der Junge wirkte, als wäre er aus Stein gehauen worden. Viel zu breit und kräftig für sein Alter. Wie jemand, der sein Leben lang Bäume gefällt hatte, und so, wie der aussah, bräuchte er dafür nicht mal eine Axt. Eigentlich wirkte er wie eine junge Version von Tante Lias Nachbar Björn. Kein Wunder, in dem kleinen Ort waren sicher fast alle miteinander verwandt. Allerdings war er ganz anders gekleidet. Obwohl es Ende Oktober war, steckten seine stämmigen Beine immer noch in kurzen Jeans, die, genau wie seine Weste, mit Aufnähern bedeckt waren. Sein Holzfällerhemd war weit genug aufgeknöpft, um Dutzende Lederketten zu offenbaren. Waren das tatsächlich getrocknete Pilze, die er auf ein Lederband gefädelt um den Hals trug? Das breite Grinsen in seinem Gesicht passte jedenfalls hervorragend dazu.

Die Dorfjugend! War ja klar, dass die genauso seltsam war wie Arken selbst.

Konnte Björn junior nicht mal aufhören, ihn anzustarren?

Sollte er sich umsetzen?

Am besten stieg er einfach an der nächsten Haltestelle aus.

Adrian drehte die Musik lauter, und endlich schaute der Kerl woanders hin. Aus den Augenwinkeln behielt Adrian ihn im Blick; bei solchen Typen konnte man ja nie wissen.

Da drehte sich Björn junior zu ihm um und zeigte begeistert auf einen kleinen Vogel, der draußen vor dem Fenster flog. Er grinste dabei wie ein Vorschüler, und seine langen Haare fielen ihm von den breiten Schultern.

Adrian nickte höflich – bei Irren, die anderthalbmal so viel wogen wie man selbst, musste man vorsichtig sein.

Verdammt, hielt der Bus überhaupt noch mal an, bevor der Typ, der offensichtlich irgendetwas eingeworfen hatte, den nächsten Vogel fand?

Der Bus fuhr durch das Tor der inneren Stadtmauer. Die dicke Feldsteinmauer erhob sich mehrere Meter hoch. Es musste wohl mal eine Zeit gegeben haben, in der irgendjemand recht dringend nach Arken gewollt hatte. Heute kaum vorstellbar. Es wurde kurz dunkel, als die Mauer das Licht verschluckte. Als es wieder hell wurde, blickten ihn Tieraugen, in denen kein Weiß mehr war, forschend an. Adrian stieß ein ungläubiges Keuchen aus und sprang auf. Wo eben noch Björn junior gesessen hatte, saß nun etwas Anderes. Breite, gewundene Hörner schoben sich aus dem Schädel zwischen den Haaren hindurch. Die Haut wirkte unnatürlich bleich und fleckig gemustert. Wie ein Wesen, gefangen zwischen Tier und Mensch, saß es immer noch unverändert auf dem Sitz und stierte ihn an.

Nichts wie raus hier! Adrian stürmte durch den Bus, der gerade anhielt. Er quetschte sich durch die Tür und hechtete nach draußen. Schnell warf er noch einen Blick über die Schulter auf das Monster. Das war aufgesprungen und brüllte ihn an.

Den SUV, der viel zu schnell an dem Bus vorbeiraste, sah Adrian nicht. Der funkelnde, schwarze Mercedes schnellte auf ihn zu. Zum Bremsen war es längst zu spät. Nur Zentimeter trennten Adrian von der heranrasenden Karosserie.

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Dann stand die Zeit still, und Adrian war nur noch Gast in seinem Körper. Bruchteile von Sekunden dehnten sich aus, und er nahm seine Umwelt mit ungewohnter Klarheit wahr. Er sah die Mutter mit ihrem Sohn aus der Bäckerei kommen. Roch das frische Baguette in ihrer Hand. Spürte den Atem des Busfahrers. Er hatte Donuts zum Frühstück gegessen. Er merkte, wie sein Körper sich ohne sein Tun umdrehte. Sah den schwarzen Schemen hinter sich, ohne irgendetwas zu empfinden. Wie als Zuschauer nahm er wahr, dass sein Körper absprang, auf der Motorhaube des heranrasenden Wagens landete, nur um sich erneut abzustoßen und sich über das Wagendach abzurollen. Federnd landete er auf beiden Füßen.

Einen Moment lang geschah nichts, dann setzte die Zeit wieder mit normaler Geschwindigkeit ein und mit ihr der Lärm. Hupende Autos, quietschende Bremsen und lautes Rufen prasselten auf ihn ein.

Adrian sprang von der Straße, sah die Menschen, die ihn mit aufgerissenen Augen anstarrten und auf ihn zeigten, als eine Stimme in seinem Kopf schrie: Lauf!

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Im Kaninchenbau

Und Adrian lief. Er lief wie noch nie in seinem Leben. Seine Füße trugen ihn die Straße entlang. Das Pflaster schoss unter ihm hinweg. Er spürte, wie sich eine Kraft in ihm ausbreitete und von seinen Füßen ausgehend durch seinen ganzen Körper schoss. Mit jedem Schritt ließ er Angst und Sorgen hinter sich. Er rannte über Kopfsteinpflaster, sprang über eine Bank samt der alten Frau, die darauf saß, und sprintete weiter. Als würde sich sein Körper an etwas erinnern, das er schon lange vergessen hatte, wich er Menschen und Blumentöpfen aus, hechtete über Hindernisse und lief drei Schritte eine Mauer hinauf, um über einen alten Lattenzaun hinwegzusetzen. Er wurde nicht einmal müde dabei. Als hätte er die Tür zu einer gewaltigen Kraft geöffnet, die tief in ihm schlummerte und die nur darauf gewartet hatte, endlich freigelassen zu werden. Er dachte an nichts, spürte nur, wie er dahinschoss. Instinktiv reagierte er auf alles, das in seinem Weg stand. Und er genoss es! So fühlte sich Freiheit an!

Jedes Mal, wenn er in eine Sackgasse lief, ertönte die Stimme in seinem Kopf und wies ihm den Weg. Links. – Über die Backsteinmauer. – Spring! Und er tat, was sie sagte.

Er wusste nicht, wie lange er gerannt war oder wo er sich gerade befand. Aber er stand in einem kleinen Hinterhof, den er durch einen breiten Torbogen betreten hatte. Auf den ersten Blick wirkte der Ort verlassen. Auf dem Kopfsteinpflaster lagen zerfallene Holzfässer, vergessene Kisten und ein rostiges Fahrrad. Im Schatten einer Mauer schienen Gras und Begonien einen Angriff auf den steinernen Innenhof zu beginnen. Im hinteren Teil befand sich ein kleiner Kräutergarten, um den sich jemand sichtlich bemühte. Daneben führten drei Stufen hinunter zu einer halbrunden Öffnung in der Backsteinmauer, die von einer alten Holztür verschlossen wurde. Die Schmierereien rings um den Eingang wirkten anders als die, die er aus seiner Heimatstadt kannte.

Jetzt geh schon hinein!, nörgelte die Stimme in seinem Kopf. Er ging die ausgetretenen Stufen hinab, umfasste den schmiedeeisernen Ring, der in der Tür verankert war, und zog daran.

Der Geruch nach Kaffee und altem Holz schwoll zusammen mit Kerzenlicht und gemurmelten Stimmen aus dem Raum. Drei weitere Stufen führten ihn hinunter in einen halbrunden Raum. Breite Holzbalken stützten die Decke, an der Kerzen in kupfernen Haltern hingen. Echte Kerzen, keine elektrischen! Der Ort war eine brandschutztechnische Katastrophe. Soweit Adrian erkennen konnte, gab es lediglich einen Eingang, der dazu noch halb unter der Erde lag. Nur wenige schmale Butzenfenster ließen ein paar Sonnenstrahlen herein.

Seine Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Dann sah er die wenigen Gestalten, die an runden Tischen saßen und ihn musterten. Er steuerte schnell auf einen der rückwärtigen Tische zu. Das gewohnte Gemurmel, mit dem Menschen jeden Ort erfüllten, setzte gleich darauf wieder ein, und mit ihm verschwanden die misstrauischen Blicke.

Auch die Kraft verließ ihn langsam, und er spürte zum ersten Mal, wie erschöpft er eigentlich war. Schweiß lief ihm über die Stirn, und er atmete keuchend. Er blickte sich im Raum um. Es schien ein alter Keller zu sein, der zu einer Mischung aus Café und Kneipe umgebaut worden war. Eine Wand bestand aus einem gewaltigen Bücherregal. Zwischen den Büchern machte er Einmachgläser mit undefinierbarem Inhalt aus. Getrocknete Kräuter hingen in Bündeln an den Holzbalken, und von einer Schale stieg duftender Rauch auf. Ein gewaltiges Holzrad hing, einem Kronleuchter gleich, unter der Decke, die bleichen Kerzen darauf verbreiteten ein warmes Licht.

Es gab weder blinkende Kaffeemaschinen noch Notausgangsschilder, niemand tippte auf einem Handy herum, und sosehr er auch suchte, er fand keine einzige Steckdose. Unwirklicher als der Raum waren jedoch seine Besucher. Keine zwei Tische entfernt saß ein Mann, nicht größer als ein Kind, der seinen langen, geflochtenen Bart wie einen Schal um den Hals gewickelt trug. Wohl damit der Bart nicht in den Tee hing, den er in winzigen Schlucken trank. Am Tresen hockte eine Gestalt, die in ihrer Kleidung unterzugehen drohte. Unzählige Schichten von Pullovern und Hemden, Jogginghosen und Shorts wurden wild übereinander getragen, und zuoberst trug sie einen langen geflickten Mantel. Das Gesicht verbarg sie unter einer Kapuze. Die Gestalt saß völlig regungslos, während feine Rauchwölkchen von ihr aufstiegen. Und von dem halben Dutzend Gästen waren das noch die Normalsten.

Dachte ich mir, dass es dir hier gefallen würde, ertönte wieder die Stimme in seinem Kopf. Nachdem er sah, was nicht da war, hörte er jetzt auch, was nicht da war; eigentlich keine große Überraschung.

Er war einfach übergeschnappt. Da er momentan aber nichts daran ändern konnte, erwiderte er: »Ich nehme mal an, du bist der Teil meines Unterbewusstseins, der mir erklärt, dass mir etwas zugestoßen ist, das ich verdrängt habe und weshalb ich nun Stimmen höre?«

Hmm, leider nein, Junge. Ich fürchte, ich bin mehr als die Einbildung deines beschränkten Geistes. Aber mach dir nichts draus. Für einen Menschen bist du gar nicht mal so übel.

Wie? Hatte ihn die Stimme in seinem Kopf gerade beleidigt?

Du glaubst, du wüsstest alles, Kleiner. Und dann geschieht was, das du nicht erklären kannst. Also kann es auch nicht passiert sein, was?

»Was? Ich verstehe überhaupt nichts mehr!«, sagte Adrian und scheinbar nicht nur in seinem Kopf. Der Zwerg mit dem langen Bart warf ihm nervöse Blicke zu. Ihm! Als wäre er hier der Freak.

Klar, vielleicht verlierst du einfach nur deinen Verstand, was, in deinem Fall, kein zu großer Verlust wäre, sagte die Stimme gleichgültig, um dann in einem Ton fortzufahren, als würde sie zu einem Kleinkind sprechen. Aber wäre es nicht auch möglich, dass wahr ist, was du gesehen hast?

Ok, er hörte eine Stimme, die ihm erklärte, er wäre nicht irre. Das war doch mal was Neues.

»Willst du mir sagen, dass meine Tante brennende Augen hat und jetzt gerade mit einem Typen mit Löchern im Gesicht Kaffee trinkt?«

Der Zwerg stand auf und setzte sich samt Tee ein paar Tische weiter weg.

Als die Stimme wieder zu ihm sprach, klang sie, als hätte sie Kopfschmerzen. Wohl kaum. Deine Tante trinkt ausschließlich Tee. Aber warte, da kommt jemand, der sich mit Leuten, die schwer von Begriff sind, leichter tut.

Damit verschwand die Stimme, und die halbrunde Eingangstür öffnete sich. Die Silhouette, die sich gegen das helle Grau des Himmels abzeichnete, kam Adrian vage bekannt vor.

Köpfe wurden gereckt, Stimmen begrüßten den Neuzugang freundlich. Als sie die drei Stufen hinunterging, wurde auch Adrian klar, wer dort kam.

Mit wenigen Schritten durchquerte Jazz den Raum und setzte sich ihm gegenüber.

»Du musst eine Menge Fragen haben«, sagte sie. Die ernsten grünen Augen, die ihn aus der Kapuze anblickten, wirkten besorgt.

»Wie konntest du mich hier finden?«, fragte Adrian und wunderte sich selbst darüber, dass ausgerechnet das seine erste Frage sein sollte.

Jazz lächelte, wobei ihre Zähne kurz aufblitzten.

»Am Ende landen immer alle hier im Kaninchenbau. Auch ich bin damals hier angekommen. Am Wochenende helfe ich hier manchmal aus«, sagte sie und winkte der Frau hinter der Theke zu, die es noch nicht geschafft hatte, zu Adrians Tisch zu kommen, um nach seiner Bestellung zu fragen.

Als Adrian ansetzte, noch eine Frage zu stellen, hob Jazz die Hand.

»Glaube mir, ich weiß, wie du dich jetzt fühlst. Als ich das erste Mal hinter den Schleier geschaut habe, durfte ich einige Tage in einer speziellen Einrichtung verbringen. Aber es hat natürlich nichts geändert. Als ich endlich draußen war, hatte ich immer wieder Momente, in denen Menschen plötzlich anders aussahen und sich Dinge veränderten. Einmal konnte ich den ganzen Tag mein Zimmer nicht verlassen, weil sich die Tür nicht öffnen ließ. Die Anfälle kamen und gingen, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte.«

»Und dann?«

Jazz strich sich eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn und deutete auf Adrian. »Habe ich getan, was die meisten von uns machen. Ich bin weggelaufen. Irgendwann bin ich nach Arken gekommen. Etwas hat mich hergezogen, so wie alle anderen hier auch.« Sie zeigte auf die anderen Gäste. »Schließlich bin ich im Kaninchenbau gelandet und hier habe ich auch deine Tante getroffen.«

Adrian beugte sich vor und flüsterte: »Du willst mir also sagen, dass es vollkommen normal ist, Dinge zu sehen, die nicht da sind?«

»Nein. Ich bin hier, um dir zu sagen, dass es diese Dinge tatsächlich gibt.« Sie beugte sich ebenfalls vor und blickte ihm in die Augen. »Adrian, du bist anders als andere Menschen.«

»Du meinst wohl, ich bin ein Freak. Du bist nicht die Erste, die das feststellt.«

»Keine Angst, da bist du in Arken nicht der Einzige.« Sie lächelte kurz und fuhr dann fort: »Wir wissen nicht, warum wir uns verändern. Bei dir liegt es sicherlich an deiner Tante. Schließlich ist sie eine Hexe. Da es allerdings nur Hexen und keine Hexer gibt, hat sich deine Tante bis heute auch überhaupt keine Sorgen um dich gemacht.«

»Meine Tante? Du meinst, meine Tante Lia ist eine Hexe?« Womöglich war es doch nicht er, der hier irre war, sondern diese ganze zurückgebliebene Stadt.

Jazz atmete tief durch. »Ich weiß, wie das klingt, aber hör mir einfach mal zu. Deine Familie ist alt. Ich meine, echt irre alt. Jahrhunderte alt. Und immer schon gab es in ihr Frauen mit, na ja, besonderen Talenten. Doch es scheint, als hättest jetzt auch du die Gabe.«

»Die Gabe?«

»Die Gabe, Magie, nenn es, wie du willst. Du hast es jedenfalls. Es muss dir doch auch schon vorher passiert sein, dass du Dinge gesehen hast oder merkwürdige Sachen in deiner Gegenwart geschehen sind.«

Adrian dachte an das, was vor drei Tagen in der Schule geschehen war, und an die anderen Merkwürdigkeiten, die seither passiert waren. Das Monster im Bus, der Sprung über das Auto …

»Du meinst, was ich in der Küche gesehen habe, war echt?«

Jazz seufzte: »Ja, das war echt. Die Augen deiner Tante, die Zeichen auf meinem Arm, das ist alles real.« Und damit schob sie den Ärmel ihres Pullovers nach oben.

Zuerst sah er nichts als helle Haut. Ein völlig normaler Unterarm, der vielleicht zu wenig Sonne abbekam. Dann spürte er wieder dieses Ziehen, und die Stimme in seinem Kopf erklang: Sieh, was da ist, und nicht, was du zu wissen glaubst!

Adrian atmete ein, schloss die Augen, atmete aus und öffnete sie wieder. Und da sah er es. Dunkle Linien breiteten sich über den Arm aus und formten sich zu Zeichen. Die Zeichen wurden zu schimmernden, sich bewegenden Mustern. Sie drehten sich in Kreisen über die Haut und griffen wie Teile eines Uhrwerks ineinander.

Jazz zog den Ärmel wieder über den Unterarm, und er sah ihr in die Augen. Dort schien ein Flackern hinter den Pupillen zu leuchten, die doch eigentlich schwarz sein sollten. Erstaunt blickte sich Adrian um. Alles schien sich verändert zu haben – ein goldenes Leuchten, wie Sonne, die durch Herbstlaub strahlt, erfüllte den Raum.

Er blickte zu der Gestalt am Tresen und sah das Funkeln unter der Kapuze und schuppige Hände, die zu keinem Menschen gehören konnten, aus ihren Hemdsärmeln ragen. Er merkte, wie ihm schwindlig wurde. Er blinzelte, und alles wurde wieder, wie er es gewohnt war.

»Es dauert eine Weile, bis man sich daran gewöhnt hat«, sagte Jazz und nickte. »Das ist wirklich unglaublich. Du könntest der erste Hexer sein, von dem wir wissen. Das verändert alles.«

Adrian blickte irritiert. »Und was ist mit dem dünnen, grauen Mann in dem verstaubten Anzug? Wie hieß er gleich noch?«

»Kaltenstein? Ach was, der ist doch kein Hexer. Der ist ein Zauberer. Na ja, zumindest war er das mal. Aber das ist etwas völlig anderes.«

»Und der Obdachlose, der den ganzen Kuchen gegessen hat?«

»Barnaby? Was soll mit dem sein? Der ist kein Zauberer und schon gar kein Hexer, sondern lediglich ein zerlumpter Streuner, den deine Tante durchfüttert. Ehrlich, ich weiß nicht, warum sie sich mit ihm abgibt.«

Adrian nickte, ohne ein Wort zu verstehen.

»Ok, es gibt also Hexen und Zauberer, und was noch?«

Jazz wollte gerade antworten, da wurde die Tür mit einem Ruck geöffnet und eine breite Gestalt eilte die Stufen hinunter. Adrian erkannte ihn sofort.

»Das Monster!«, rief Adrian und sprang auf. Da war es auch schon bei ihnen. Es sah wieder aus wie ein Mensch und stürzte auf Adrian zu. Es packte ihn bei den Schultern, und Adrian verlor kurz den Boden unter seinen Füßen.

»Das war ja unfassbar, was du da gemacht hast. Einfach so aus dem Stand über den Wagen zu springen! Ich habe noch versucht, dich zu warnen. Aber das war ja gar nicht nötig. Und wie du gerannt bist. Verdammte Axt, ich hätte dich fast verloren!« Die Worte sprudelten nur so aus ihm hervor. Dabei gestikulierte er wild mit den Armen, sodass Adrian endlich wieder Boden unter den Füßen spürte und einen Schritt zurückweichen konnte.

Ruckartig drehte sich der Kerl um. »Hey, Jazz! Hätte ich mir ja denken können, dass er ein Freund von dir ist. Das hättest du sehen sollen, wie er über das fahrende Auto gesprungen ist. Und dann über das Dach abgerollt! Unglaublich!« Mit diesen Worten zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich ungefragt an den Tisch. Er deutete auf den freien Platz und grinste Adrian breit an.

»Adrian, das ist Juri. Juri, das ist Adrian, der Neffe von Magista Eisenhut«, sagte Jazz seufzend.

»Ist ja ein Ding, ich wusste nicht mal, dass sie noch Familie hat.«

Zögernd setzte sich Adrian wieder: »Ihr beiden kennt euch also?«

»Klar«, sagte Juri, »wer in Arken kennt denn die Schülerin von Kamelia Eisenhut nicht?«

Er stützte sich auf die Ellenbogen, legte sein Kinn auf die breiten Fäuste und starrte ihn neugierig an. »Jetzt erzähl schon, wie bist du nach Arken gekommen, Adrian? Zu Fuß?«

Warum den Jungen das so interessierte, war Adrian schleierhaft, und so antwortete er mehr aus Reflex.

»Ähm, mit dem Bus?«

Juri nickte, als wäre das genau die richtige Antwort.

»Mit der Linie 8?«, fragte jetzt auch Jazz.

Warum war das so wichtig? Adrian nickte langsam und wich etwas zurück. Juri und Jazz lächelten sich vielsagend an. Dann klärte ihn die Hexe auf. »Es gibt in Arken nur vier Buslinien, keine fährt außerhalb von Arken und keine trägt die Nummer Acht.«

Sie sahen ihn an, als würden sie etwas Bestimmtes von ihm erwarten, nur was?

»Äh, und das bedeutet, es gibt eine neue Buslinie?«, riet Adrian.

Jazz schüttelte entschieden den Kopf.

»Das bedeutet, du gehörst hierher. Nur Magika, also jene, in denen ein magischer Funken brennt, können mit der Linie 8 nach Arken gelangen.«

»Verstehe«, sagte Adrian, der aber eigentlich gar nichts verstand. Die beiden strahlten immer noch erwartungsvoll. Um von sich abzulenken, fragte er: »Und was ist das mit dir und den Hörnern und allem?« Adrian machte eine hilflose Geste, um Juris Körper zu beschreiben.

»Prächtig, oder?«, freute sich Juri und reckte seinen Kopf. »Vor zwei Jahren ging es los. Erst waren es nur die Augen und so merkwürdige Ahnungen, dann ging es mit den Hörnern los. Ich kann dir gar nicht sagen, wie aufgeregt ich war. Ich meine, jeder träumt ja als Kind davon, aber wer geht schon davon aus, dass die Träume in Erfüllung gehen?«

Als Juri bemerkte, dass Adrian nicht so aussah, als hätte er sich als Kind Hörner gewünscht, hob er die Hand.

»Ich meine nicht nur die Hörner, sondern die ganze Magie! Ich habe mit Harry Potter lesen gelernt, war mit acht das erste Mal beim LARP, kann Der Herr der Ringe und Das Silmarillion auswendig und hab trotzdem nie daran geglaubt.« Voller Begeisterung trommelte er mit den Fingern auf den Tisch.

Gelangweilt stützte nun Jazz den Kopf auf ihre Faust, deutete auf Juri und sagte mit lahmer Stimme: »Seinem Vater gehört der Seetroll. Der örtliche Laden für Comics, Rollenspiele und was der Nerd sonst so braucht.«

»Ganz genau! Oh, du musst vorbeikommen! Jeden Freitag gibt es einen Boosterdraft, und jeden zweiten Samstag spielen wir Dungeonslayers. Ich bin übrigens ein super Dungeon Master. Nicht wahr, Jazz?«, freute sich Juri und stupste Jazz mit dem Ellenbogen in die Rippen.

»Ja, er ist nicht schlecht«, erwiderte Jazz und verdrehte die Augen.

»Sie ist nur eingeschnappt, weil sie letztes Mal nicht aufgestiegen ist«, erklärte Juri hinter vorgehaltener Hand.

Adrian, der mehr und mehr das Gefühl hatte, vollkommen vom Thema abgekommen zu sein, fragte: »Also wenn Magie tatsächlich existiert und dort draußen Hexen und Zauberer rumrennen … Wieso weiß das niemand? Es müsste doch längst Dokumentationen und Bücher darüber geben. Das wäre den Medien doch niemals entgangen.«

Jazz warf genervt den Kopf in den Nacken und stöhnte: »Und es beginnt.«

»Also …« Juri lehnte sich mit einer theatralischen Bewegung weit über den Tisch. Scheinbar war das genau die Frage, auf die er gewartet hatte.

»Abgesehen von wenigen Ausnahmen gab es in den letzten tausend Jahren keine Magie auf der Welt. Magie ist wie der Mond, der Ebbe und Flut auslöst. Die letzten tausend Jahre war Neumond, und es gab keine Magie. Aber mit dem Anbruch des neuen Jahrtausends beginnt das Millennium des zunehmenden Mondes, und die Magie kehrt zurück in die Welt.«

Juri senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Ist dir noch nie aufgefallen, dass alle Zeugnisse, die älter als tausend Jahre sind und die wir von anderen Kulturen haben, geradezu von magischen Wesen wimmeln? Guck dir nur die Statuen griechischer Satyrn, die ägyptischen Sphinxe, die Drachenschiffe der Wikinger, den Dschinn oder Sun Wukong, den König der Affen, an. In jeder Kultur von den Inuit bis zu den Inka gibt es diese magischen Kreaturen und Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten. Der erste Historiker der Menschheitsgeschichte, Herodot, hatte schon von fliegenden, gefiederten Schlangen berichtet. Wir alle kennen Merlin, den letzten Magier des vorletzten Millenniums. Und trotzdem glauben wir alle, dass all das nie real war. Wir erklären jene, die davon berichten, zu Lügnern und Phantasten. Nur, weil die Magie für eintausend Jahre nicht da war, heißt das nicht, dass es sie nicht gibt!«

Juri hatte sich etwas in Rage geredet, und am Ende stand er neben dem Tisch. Adrian konnte sich plötzlich gut vorstellen, dass Juri einen hervorragenden Spielleiter abgab.

»Ok, aber selbst wenn das so ist, erklärt es doch noch nicht, warum nicht längst jemand ein Video von einer Hexe, oder von was auch immer du bist, online gestellt hat«, antwortete Adrian.

Jazz nickte ihm zu. »Das hat mehrere Gründe. Aber für den Anfang reicht es zu wissen, dass Magie und Technik sich nicht gut verstehen. Deine Tante spricht immer von sich aufhebenden Konzepten. Ein anderer Grund ist, dass Arken ein besonderer Ort ist. Und nicht nur, weil hier fast jeder Zehnte ein Magika ist.«

Adrian schüttelte den Kopf. Das half ihm nicht wirklich weiter. Bis vor ein paar Stunden war er ein normaler Junge gewesen, der ein paar Probleme an seiner Schule hatte, und jetzt sprach er mit einer Hexe und einem Gehörnten über Magie.

»Ok, ihr wollt mir also sagen: Mit mir ist alles in Ordnung. Es gibt Magie und Hexen, und es ist vollkommen normal, dass ich dich mit Hörnern und dich mit brennenden Augen sehe und eine Stimme in meinem Kopf mit mir spricht?«

Jazz und Juri sagten nichts, sondern sahen sich bloß gegenseitig an. Dann legte ihm Juri besorgt die Hand auf die Schulter. »Stimmen zu hören ist auch in Arken kein gutes Zeichen.« Dann grinste er breit. »Aber wenn du verrückt wirst, fällst du hier zumindest nicht weiter auf.«

Adrian spürte, wie ihm kalt wurde.

Da zuckte Jazz zusammen, sprang auf und rief: »Wir müssen sofort los!«

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