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Nächster Halt: Australien

Als Buch hier erhältlich:

Glücklich verliebt und beruflich erfolgreich - Georgia ist längst kein Mitglied mehr im Lonely Hearts Travel Club, der beliebten Reiseagentur für Singles. Sie gehört nun zu den Happy Hearts. Gemeinsam mit Ben reist sie nach Australien zu der Hochzeit ihrer besten Freundin. Eigentlich hat auch Georgia schon lange davon geträumt, einmal eine Braut zu sein. Doch eine übereifrige Brautjungfer, ein verpatzter Junggesellinnenabschied und manch andere Katastrophe lassen Georgia die Ehe nun als gar nicht mehr erstrebenswert erscheinen. In Down Under steht ihre Welt auf einmal kopf. Wie möchte sie ihre Zukunft gestalten? Und vor allem mit wem an ihrer Seite?


  • Erscheinungstag: 04.06.2018
  • Aus der Serie: The Lonely Hearts Travel Club
  • Bandnummer: 4
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955768164
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für John, meinen Ehemann.

Weder kitschiges Zitat noch süßer Spruch könnten diesen Moment schöner machen, als er bereits ist.

Kapitel 1

Transitorisch (Adjektiv): nur kurze Zeit anhaltend, vorübergehend, vergänglich

»Schatz, ich bin zu Hause!«, sang ich. Der Schlüssel hatte sich im Schloss der Wohnungstür verhakt. Mit einem Ruck löste ich ihn und schaltete das Licht im dunklen Korridor ein. Er war komplett mit Kartons zugestellt, die noch für unseren großen Umzug gepackt werden mussten.

»Ich bin hier, Schatz«, rief Ben aus der Küche. Mir stieg der angenehme Duft von Bolognese in die Nase, die dort vor sich hin köchelte. »Du bist aber spät zurück.«

Ich versuchte, nicht über die Kartons zu stolpern, die den Weg in die Küche wie Todesfallen säumten, legte ihm von hinten die Arme um die Taille und lehnte den Kopf an seinen breiten Rücken. »Die Zeit ist mir davongelaufen, schon wieder.« Ich seufzte. »Lust auf ein Glas?«, fragte ich mit einer Kopfbewegung zur Flasche hin, die ich auf dem Weg nach Hause in einer Weinhandlung geholt hatte.

»Okay, na gut. Aber nur ein kleines. Morgen muss ich nämlich früh aufstehen und brauche einen klaren Kopf.«

»Ach ja, oder sollte ich sagen ja?« Ich versuchte, es mit finnischem Akzent auszusprechen.

Er fing an zu lachen, drehte sich zu mir und küsste mich auf die Stirn. »Ich glaube, das war Holländisch und nicht Finnisch.«

»Hm, Sprachen waren noch nie meine Stärke. Ich weiß, du hast es mir schon mal gesagt, aber wann geht noch mal dein Flug?«

»In aller Herrgottsfrühe, laaange bevor du aufstehst. Aber zumindest bin ich dann morgen Abend wieder hier und kann beim Packen helfen. Apropos morgen, hast du alles fertig?«

»Ich muss nach dem Abendessen noch ein wenig dran arbeiten, damit es absolut perfekt ist, aber ich denke, wir haben’s fast geschafft.« Ich lächelte und goss uns zwei Gläser Wein ein.

Die Bank bot ein Gründerprogramm an, und wir versuchten nun schon seit sechs Monaten, dort aufgenommen zu werden. Als ich den Anruf bekommen hatte, dass man uns treffen wollte und wir eins von drei Unternehmen waren, die sich vorstellen sollten, hatten wir unter Hochdruck an einer Präsentation gearbeitet, um sie richtig zu beeindrucken. Wenn wir das schafften, könnte das eine riesige Investition für den Lonely Hearts Travel Club bedeuten. Damit könnten wir unser Angebot erweitern und zusätzliche Mitarbeiter einstellen. Es gab noch immer Märkte, in denen wir nicht vertreten waren und in denen ich unbedingt eine unserer Gruppenreisen aufbauen wollte. Finanziell ging es uns gut. Doch die Profite steckten wir immer gleich ins Unternehmen zurück, also war es nicht ganz leicht, zusätzliches Kapital für die Weiterentwicklung unseres Angebots lockerzumachen. Dieses Programm könnte uns dabei wirklich helfen.

»Erst mal essen und relaxen wir, und dann können wir alles noch mal zusammen durchgehen, wenn du eine ehrliche Meinung hören möchtest.«

»Abgemacht. Aber ganz ehrlich, Kelli war super. Du solltest mal das Video sehen, das sie zusammengeschnitten hat. Wer das sieht und dabei keine Gänsehaut bekommt, muss aus Stein sein.«

»Du vergisst, dass das alles Banker sind.« Er hob eine Augenbraue. »Wahrscheinlich sind die schon mit einem Scheckbuch als Herz zur Welt gekommen.«

»Also, wenn sie das Video sehen und hören, was wir zu sagen haben, dann werden sogar sie weich werden und die Geldhähne aufdrehen, das kann ich dir versprechen.«

»Das wird ganz sicher super laufen. Da bin ich mir sicher, genau wie alles andere auch.« Er zwinkerte mir zu.

Ich lächelte. Er hatte recht. Mit unserem Unternehmen Lonely Hearts Travel Club verbuchten wir einen Erfolg nach dem anderen. Unser Zweitbüro in London warf genügend Gewinn ab, dass wir uns keine Sorgen mehr zu machen brauchten, ob dessen Eröffnung zu gewagt gewesen war. Viele Kunden kehrten begeistert von ihren Gruppenreisen zurück. Sie hinterließen Fünf-Sterne-Rezensionen und empfahlen uns ihrem gesamten Bekanntenkreis weiter. Bisher hatten wir die Arbeitslast unseres Hauptgeschäfts in Manchester gestemmt und dabei ein relativ normales Leben zu Hause führen können. Aber nun war die Zeit gekommen, den großen Sprung zu wagen und uns eine Bleibe in London zu kaufen, denn das Pendeln ging uns beiden langsam an die Nieren. Ich freute mich wie verrückt darauf, Hausbesitzerin zu werden und das noch zusammen mit dem Menschen, den ich über alles in der Welt liebte. So sehr ich Manchester auch ins Herz geschlossen hatte, ich konnte es kaum erwarten, ein neues Leben in der Hauptstadt zu beginnen. Außerdem hatte ich es mehr als satt, dass jeder verdammte Zentimeter unserer Wohnung mit Kartons, Kisten und Luftpolsterfolie zugestellt war.

Ben drehte sich zu mir und schob mir ein Löffelchen Bolognese in den Mund. »Also, wenn du das hier probiert hast, wird die Welt wieder in Ordnung sein.«

Ich leckte mir über die Lippen und schluckte die würzige Tomatensoße runter. »Hm, vielleicht noch ein bisschen schwarzen Pfeffer?«, neckte ich ihn, und er stupste mich in die Seite.

»Hey! Die ist genau richtig gewürzt, du Unmensch!« Er lachte und verteilte das Essen auf zwei Schalen, während ich unsere Weingläser auffüllte. »Perfektion in einer Schale, würde ich sagen.«

Wir schlängelten uns an den Kisten vorbei ins Wohnzimmer. Ich schaltete den Fernseher ein. »Netflix oder Sky?«, fragte ich, während er vorsichtig die dampfenden Schalen auf dem Couchtisch abstellte. Es war schon Ewigkeiten her, dass wir es uns zusammen auf dem Sofa gemütlich gemacht hatten. Leider würde ich mich auf nur eine Stunde Entspannung beschränken müssen, und danach musste ich mir für morgen alles noch einmal durchlesen. »Schatz?«, hakte ich nach.

Ben starrte wie hypnotisiert auf sein Handy. »Bitte?« Er blickte auf.

»Was möchtest du dir anschauen?«

Er schaltete schnell sein Handy aus und steckte es in die Hosentasche. »Oh, ähm, Netflix? Wir haben die neue Staffel von Narcos noch nicht zu Ende geschaut.«

Ich hantierte mit der Fernbedienung herum und machte es mir auf dem Sofa gemütlich. In letzter Zeit war er ziemlich abgelenkt gewesen, und ich versuchte, mich davon nicht runterziehen zu lassen. Das war nicht nur wegen der Arbeit. Irgendwas anderes ging ihm im Kopf herum, aber immer, wenn ich nachfragte, sagte er, alles sei okay.

»Oh, Jimmy hat sich heute gemeldet. Er sagt, Shelley ist aufgeregt wie ein kleines Kind vor der Bescherung und kann’s kaum erwarten, bis du drüben bist«, erzählte er und riss mich aus meinen Gedanken. »Bist du bereit für deine Reise nach Australien?«

Ich verdrehte die Augen. »Bereit« war nicht zwingend das Wort, das ich hier verwenden würde. Um vor meinem Jahresurlaub alles fertig zu bekommen, arbeitete ich rund um die Uhr. Wir hatten gehofft, der Umzug wäre erledigt, bevor es losging, doch er verzögerte sich immer wieder, und es kam mir schon wie Monate vor. Bevor ich es mir erlauben konnte, mich ordentlich auf meine Reise nach Australien zu freuen, gab es noch unglaublich viel zu erledigen.

»Ich nehm das mal als Nein.«

»Ich kann’s kaum erwarten, Urlaub zu machen, aber ich kann mich erst so richtig darauf konzentrieren, wenn das morgen aus dem Weg ist.« Ich suchte die richtige Folge der Serie heraus und belud meine Gabel.

Schon in guten Zeiten kam es einer militärischen Operation gleich, unsere Terminpläne zu koordinieren. Aber in den letzten paar Monaten schien es sogar noch schlimmer geworden zu sein. Den Großteil unserer Beliebtheit hatten wir der öffentlichen Aufmerksamkeit zu verdanken, die wir seit unserer Teilnahme bei der TV-Show Fernwehfieber erhielten. Letztes Jahr hatte ich Ben überredet, dabei mitzumachen und nach Chile zu fliegen. Manchmal musste ich mich immer noch kneifen, wenn ich daran dachte, wie sich alles entwickelt hatte, seit wir unser Unternehmen und unsere Beziehung gestartet hatten. Es war aufregend, stressig, hektisch und nervenaufreibend zugleich, aber es gab niemanden, den ich bei all dem lieber an meiner Seite gehabt hätte als Ben.

»Ist es immer noch okay für dich, dass wir nicht zusammen rüberfliegen?«

Ich lächelte und nickte. »Schatz, sobald wir beide dort sind, wird das absolute Hochzeitschaos einsetzen. Es dauert ja nicht lange, bis du nachkommst, und man würde dich sowieso nur zum Helfen einspannen. Außerdem muss jemand hierbleiben und den Umzug im Auge behalten. Das heißt vor allem, diesen unfähigen Immobilienmakler in die Finger zu bekommen.« Zur Beruhigung trank ich einen Schluck Wein. Obwohl ich es kaum erwarten konnte, Shell zu sehen, war ich insgeheim besorgt, dass es bei dieser Reise weniger um Sehenswürdigkeiten und mehr um Hochzeitsplanung gehen würde.

»Für jemanden, der Australien bald von seiner Reiseliste streichen kann, hörst du dich aber nicht sonderlich enthusiastisch an, Schatz.«

Ich kräuselte die Nase. Die Feststellung war an sich ganz unschuldig, und dennoch schien ich keine richtige Erklärung dafür zu haben, warum es tatsächlich so war. Nachdem ich von meinem Ex-Verlobten sitzen gelassen worden war, hatte sich viel verändert. Und obwohl das schon ein paar Jahre her war, hatte ich immer noch gemischte Gefühle, wenn’s ums Heiraten ging. Ein Teil von mir fand es großartig, dass wir eine Riesenparty mit unseren besten Freunden feiern würden. Ein anderer Teil von mir wusste, dass alles ganz leicht nach hinten losgehen konnte. Ich hatte auch schon mal in Shelleys Haut gesteckt und eine Hochzeit geplant, hatte Budgets und die Erwartungen der Familien ausbalanciert, hatte alles perfekt machen wollen. Seitdem hatte ich unheimlich viel dazugelernt, und man konnte nicht behaupten, dass ich sonderlich verzückt darüber war, erneut in diese Welt abzutauchen.

»Hm, ich weiß einfach nur, wie es sein kann, wenn man in dieser Seifenblase ist.«

»Ach ja, tut mir leid.« Er wirkte nervös. »Du und Hochzeiten, ihr seid ja nicht gerade die besten Freunde.«

»Das kann man so sagen.« Ich trank meinen Wein aus. Wie konnte es sein, dass wir die Flasche bereits ausgetrunken hatten?

»Hab ich dir erzählt, dass ich vor der Hochzeit mit ein paar von Jimmys Freunden verabredet bin? Sie können für den großen Tag nicht runterfliegen und wollten mir noch ein paar Geschichten für die Trauzeugenrede mitgeben.«

Ich verdrehte die Augen. »Shelley wird das großartig finden. Teste sie aber bitte erst an jemandem, nicht dass du allen Gästen erzählst, wie er sich in Laos den Hintern hat tätowieren lassen.«

»Wieso erinnerst du dich an so was?« Er atmete erstaunt auf.

»Ich vergesse nichts.« Ich grinste, wedelte mit der Gabel in seine Richtung und schob meine Füße unter seine Beine.

»Wie ein Elefant.« Er lachte und schob sich einen Löffel voll Pasta zwischen die zu einem Grinsen verzogenen Lippen. »Ach, und mach dir keinen Stress wegen des Hauses. Ich werde denen ordentlich auf den Wecker gehen, sobald ich wieder zurück bin.«

»Danke dir, Schatz. Gott, das fühlt sich wirklich wie das Ende einer Ära an«, sinnierte ich und machte eine Kopfbewegung zu den Bergen Luftpolsterfolie und flach gelegten Kisten hin, die den Großteil des Zimmers einnahmen.

»Ja, wohl wahr.« Ben lächelte und drückte mein Knie. »Oder der Beginn eines neuen Abenteuers.«

»Darauf stoßen wir an!« Ich lachte. »Okay, und jetzt weniger reden, mehr essen. Das ist köstlich.«

»Sag ich doch, Perfektion.« Er grinste und stellte den Fernseher lauter.

Kapitel 2

Inbrünstig (Adjektiv): enthusiastisch oder leidenschaftlich

»Hier, bitte.« Kelli reichte mir einen Styroporbecher mit Kaffee und setzte sich dann auf die Kante des Stuhls mir gegenüber. Dabei strich sie ihr eng anliegendes graphitgraues Kleid glatt. Das Mädel, das bei uns als Praktikantin im Avril-Lavigne-Look von 2005 angefangen hatte, war zu einer selbstsicheren und kompetenten Geschäftsfrau aufgeblüht und kleidete sich dementsprechend. Sie war unschlagbar, was den Erfolgreich-im-Office-Style anging. Verlegen zupfte ich an meinem dunkellila Faltenrock und hoffte, dass ich meinem Team keine Minuspunkte einbrachte. Vor Jahren hatte ich mal in einer Zeitschrift gelesen, dass man einen farbigen Akzent tragen soll, wenn man in einer unternehmerischen Umgebung positiv in Erinnerung behalten werden will. Und Cosmo hatte immer recht – hoffte ich zumindest.

»Der Automat ist noch komplizierter als der, den Felix aufgestellt hat.« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung einer furchteinflößenden Kaffeemaschine aus rostfreiem Stahl mit neonblauen Elementen, die in der Ecke des geschmackvoll eingerichteten Wartebereichs stand und merkwürdige mahlende und piepende Geräusche von sich gab. »Da muss man ja erst ’n verdammten Barista-Doktor machen, um mit dem Ding klarzukommen.«

»Vielleicht ist das unser erster Test«, flüsterte ich und warf der Rezeptionistin einen verstohlenen Blick zu. Ich streckte den Hals aus, um zu sehen, ob sie uns heimlich durch die Brille auf der Nase beobachtete und sich Notizen machte, die sie dann an das Gremium aus Bankern weiterreichte, vor dem wir gleich präsentieren sollten.

»Tja, zum Glück bin ich mehr als qualifiziert dafür, weil ich dir und Ben schon seit Jahren den Kaffee mache.« Kelli grinste und streute sich ein Tütchen Zucker in das dampfende Getränk. Wir saßen schon seit Ewigkeiten hier und gingen unsere Präsentation durch. Jetzt wollte ich einfach nur hineingehen und mit ihr glänzen. Gerade wollte ich sie fragen, wie es mit dem neuen Designerteam voranging, das sie managte, da klingelte mein Handy.

»Georgia, ich weiß, dass du gleich dran bist, aber ich wollte dir noch Bescheid geben, dass wir von Lonely Planet das Okay für die Texte bekommen haben«, erklang die hohe, aufgeregte Stimme meiner Assistentin Erin. »Außerdem habe ich gesehen, dass Bens Flugzeug gerade über Deutschland ist und ich dachte, dass du das vielleicht gerne wissen möchtest.«

»Wie bitte?«

»Oh.« Sie lachte hell auf. »Das heißt, ich habe seinen Flug mit der App verfolgt, um zu sehen, wo er ist. Nur um sicherzugehen, dass es keine Verspätung gibt«, fügte sie schnell hinzu. »Das ist so cool. Man kann sogar den Blick von der Kamera unterm Flugzeug sehen, so als wäre ich dort mit ihm!«, plapperte sie.

Ich klemmte mir das Handy zwischen Ohr und Schulter, nippte an meinem Kaffee und sah, wie Kelli belustigt die Augen verdrehte. Sie hatte offen zugegeben, dass sie nicht die Geduld hatte, um mit Erin zu arbeiten. Die Arbeitsstile der beiden konnten nicht unterschiedlicher sein.

»Ähm, super, sonst noch was?«

Ich hörte Papier rascheln. »Ich habe alle deine Termine verschoben, damit du im Urlaub nicht belästigt wirst. Oh, und ich habe dir eine Erinnerung gesetzt, ab wann du online für den Flug nach Melbourne einchecken kannst. Wusstest du, dass die Reise dreiundzwanzig Stunden dauert?!« Sie stieß Luft durch die Zähne aus.

»Das klappt schon alles«, sagte ich und wiederholte, was erstaunlich schnell zu einer Art Mantra für mich wurde.

»Also, das wäre ja nichts für mich. Obwohl, nee, wenn ich London gegen einen Urlaub in Australien tauschen könnte, würd ich’s machen. Moment mal, ist es um die Jahreszeit überhaupt warm in Australien? Bei denen ist es doch Herbst, wenn’s bei uns Frühling ist, oder? Na egal. Verglichen mit hier würde ich’s mal probieren. Wusstest du, dass für nächste Woche schon wieder ein U-Bahn-Streik angesetzt ist?«

»Erin?«

»Ups, tut mir leid, da bin ich wohl vom Titel abgekommen.«

»Vom Thema«, korrigierte ich und lächelte vor mich hin.

Beim Einstellungsgespräch hatte ich sie sympathisch gefunden, weil sie so fröhlich und gesprächig war. Aber es gab Zeiten – zum Beispiel kurz vor einer Präsentation für einen riesigen Investitionsdeal, für die ich konzentriert bleiben musste –, da wünschte ich, sie würde noch vor Ende dieses Jahrzehnts zum Punkt kommen.

»Hör mal, wir müssen gleich rein, ich muss dann auflegen.«

»Ah, na sicher! Tut mir leid! Oh, da ist noch eine Sache. Der Immobilienmakler hat mich angerufen, weil er euch nicht erreichen konnte. Ich schätze mal, weil die Anrufe für dich zu mir umgeleitet werden und Ben im Flugzeug ist. Er hat gesagt, dass sie endlich ein Umzugsdatum haben. Ich schreib dir das alles in einer E-Mail auf.«

Einen Augenblick lang dachte ich nicht mehr an die Präsentation und erlaubte mir einen Anflug von Begeisterung. Egal, wie oft ich über die Tatsache nachdachte, dass Ben und ich bald ein Haus zusammen besitzen würden, es fühlte sich dennoch unwirklich an. Mein Leben war fast zu gut, um wahr zu sein. Ich traute mich meistens gar nicht, das zu denken. Sonst würde ich mir noch selbst einreden, dass jetzt bald etwas mal so richtig schiefgehen musste.

»Alles klar. Danke, Erin. Ich muss jetzt auflegen. Wir hören uns dann morgen.«

»Super! Viel Glück bei der Präsentation. Hals- und Beinbruch! Sagt man das so? Also, ich meine das natürlich nicht wörtlich, sonst müsstest du ja deine Reise nach Australien absagen, und nach allem, was du mir erzählt hast, würde dann Shelley so richtig der Kragen platzen!«

»Okay, danke, tschüss«, schnitt ich ihr das Wort ab und legte auf.

»Alles in Ordnung an der Heimatfront?«, fragte Kelli und verkniff sich ein Grinsen.

Ich nickte und steckte mein Handy in die Handtasche zurück. »Alles gut. Du musst dich an sie gewöhnen, denn solange wir beide fort sind, wird sie dir unter die Arme greifen.«

Kelli stöhnte gespielt auf. »Ich bring ihr schon noch bei, wie man effizient arbeitet.«

»Sie ist effizient, nur manchmal ein wenig überdreht.«

»Ein wenig überdreht? Sie ist überdrehter als ein eingefleischter Justin-Bieber-Fan, der eben erfährt, dass er zu einem Meet & Greet in Justins Schlafzimmer darf!« Sie lachte. »Und, die große Hochzeit des Jahres, was? Auf einer Skala von eins bis zehn, wie wahrscheinlich ist es, dass bei der Disco abends Kylie und Jason gespielt werden?«

»Hm, ziemlich sicher null, würde ich sagen.«

»Was? Kein Especially for You? Und was ist mit Come On Eileen? Also, nur wenn das dröhnend laut gespielt wird und dich irgendein betrunkener Onkel mit Mundgeruch zum Tanzen zwingt, hat diese Ehe überhaupt eine Chance, nicht gleich annulliert zu werden«, sagte sie weise.

»Shelley hat schon gesagt, dass sie nichts super Kitschiges will und die Titelliste des DJs schon vor Wochen unter die Lupe genommen, nur um sicherzugehen.«

»Was?! Aber das ist doch eine Hochzeit! Das ist, als würde man sagen, man will kein Eheversprechen abgeben, nur weil das ein bisschen altmodisch ist. Ich meine, alle haben das Recht zu sagen, an meinem Hochzeitstag wird das gemacht, was ich will, aber es gibt ein paar Dinge, an denen rüttelt man nicht. Eins davon ist, mit Kuchenkrümeln in den Haaren und der Krawatte irgendeines Typen um den Kopf zu YMCA zu tanzen.« Kelli schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich vermute mal, dann ist sie zur totalen Brautzilla mutiert?«

»Wenn man eine täglich aktualisierte WhatsApp-Gruppe mit mir und ihrer Cousine Cara, der anderen Brautjungfer, als ein wenig übers Ziel hinausgeschossen empfindet, dann ja. Jeden Morgen habe ich mindestens fünfzig neue Nachrichten von den beiden. Fotos von Tischschmuck, Links zu Hochzeitsblogs … bei einem wurde die Zeremonie von einem echten Schamanen durchgeführt! Und dann das ewige Hin und Her über die optimale Höhe für die Absatzschuhe der Brautjungfern. Das Krasse daran ist, dass die beiden zusammenwohnen. Warum es da eine extra Gruppe geben muss, ist mir schleierhaft. Ich meine, ich freue mich, dass ich einbezogen werde, aber ich habe einfach zu viel zu tun, um mich genauso dafür zu begeistern wie die beiden.«

»Ganz davon abgesehen, was dir bei deiner eigenen Hochzeit passiert ist.« Kelli zuckte leicht zusammen.

»Ja, das wohl auch.« Gedankenverloren knabberte ich an einem Fingernagel. Mir schien seit der Einladung zur Hochzeit ging es bei Shelley um nichts anderes mehr.

»Ein Schamane? Im Ernst jetzt?« Kelli hatte Mühe, sich zu beherrschen, und sogar die Rezeptionistin schaute immer wieder zu uns, um zu sehen, was so lustig war. »Ein Schamane! Oh Mann, jetzt kann mich nichts mehr überraschen!«, sagte Kelli lachend.

»Nein, das ist echt kein Witz!« Ich warf der Rezeptionistin ein unverbindliches »Hier gibt’s nichts zu sehen«-Lächeln zu.

»Tut mir leid. Okay, Pokergesicht.« Sie versuchte, die Mundwinkel nach unten zu bringen und wedelte mit den Händen vor den Augen, um sich wieder zu fassen. »Gott, du Arme, da fliegst du den ganzen Weg dort runter, um dann Zeit mit einer Monsterbraut zu verbringen. Richte ihr schöne Grüße von mir aus, sie soll sich gefälligst zusammenreißen. Nach einem Urlaub für Ben und dich hört sich das nicht eben an.«

Gerade wollte ich erzählen, dass ich es wegen Shelleys dünnem Nervenkostüm und ihrem ständigen Stress aufgegeben hatte, sie daran zu erinnern, dass es sich um einen Tag handelte, EINEN TAG. Außerdem hoffte ich insgeheim, dass sie um einiges ruhiger und organisierter sein würde, wenn ich dort ankam. Aber ich wurde davon abgehalten, sie zu verteidigen, denn wir wurden hinüber in die Höhle des Löwen gebeten.

»Miss Green? Das Gremium ist jetzt bereit für Sie.«

Na dann mal los.

***

Wir rocken das hier. Es könnte buchstäblich nicht besser laufen. Sie fressen uns aus der Hand und finden toll, was wir zu bieten haben – und das völlig zu Recht.

»Also, Ladys und Gentlemen, wenn Sie bitte Seite fünfzehn in Ihren Unterlagen aufschlagen würden, dort sehen Sie unser jährliches Wachstum. Sie werden mir sicher zustimmen, dass das angesichts der aktuellen Marktlage recht beeindruckend ist.« Stolz strahlte ich die Geschäftsleute rund um den Mahagonitisch vor mir an, während das Rascheln von Papier den nach Fichte duftenden Raum erfüllte.

Die letzten zwanzig Minuten waren in einem Wirbel aus PowerPoint-Präsentationen, Marketingstatistiken und Schlagwörtern aus der Businesswelt verflogen. Kelli hatte unsere Unternehmenszahlen und prognostizierte Umsätze präsentiert, die alle mit kaum sichtbar hochgezogenen Augenbrauen und dem Anflug eines Lächelns quittiert wurden.

Selbstsicher trat ich vor und genoss es, im Mittelpunkt zu stehen und die Gelegenheit zu haben, über die Einzigartigkeit meines Unternehmens zu sprechen.

»Ich möchte Ihnen gern ein wenig darüber erzählen, wie der Lonely Hearts Travel Club entstanden ist. Erst, nachdem ich quasi vor dem Altar sitzen gelassen worden war, entdeckte ich die Freude, die sich beim Buchen eines Tickets und dem Antritt einer Reise einstellt. Und dank der neuen Perspektiven, die mir das Reisen eröffnet hatte, fand ich den Mut, das vernichtende Ende meiner Beziehung in ein vollkommen neues Leben zu verwandeln.« Ich machte eine kurze rhetorische Pause. »Jetzt darf ich mit Singles arbeiten, deren Herzen ebenso gebrochen sind wie damals meins, und die genau wie ich zu sich zurückfinden wollen, indem sie ihre Umgebung verändern und sich dem Sinn fürs Abenteuer öffnen. Wenn man abserviert wird, kann es ganz leicht passieren, dass man sich zurückzieht und sich dem Gefühl ergibt, dass die Last der ganzen Welt auf einem liegt, dass die Würfel gefallen sind und dass man nichts tun kann. Aber reisen ist etwas, das man tun kann. In ein Land zu reisen, das man schon immer mal sehen wollte, mit Gleichgesinnten Zeit verbringen, neue Gerichte probieren und beneidenswerte Fotos schießen, auf denen jeder sieht, dass man die beste Zeit seines Lebens hat. Wer den Schritt in die Welt hinaus wagt, bekommt auch eine neue Sicht darauf. Sie kann einem sogar zeigen, dass der Ex nicht der perfekte Mensch war, für den man ihn gehalten hatte. Letztlich ist niemand perfekt. Ich will gar nicht erst von dem Podest anfangen, auf das ich meinen Ex-Verlobten gestellt hatte.« Ein leichtes Lachen ging durch den Raum und feuerte mich an.

»Vom Reisen wird behauptet, es sei die reine Flucht vor der Realität. Und deshalb ist es verständlich, dass man sich den Rucksack aufsetzt, wenn man sich in seinem Leben in einer Phase befindet, der man gern entfliehen möchte. Bei unseren Touren ermutigen wir die Reisenden, auf eine gesunde Art und Weise über das Ende ihrer Beziehungen zu sprechen, damit sie ohne die Last ihrer Traurigkeit nach Hause zurückkehren können. Es ist, als würde man eine alte Haut abstreifen oder einen schweren Pelzmantel, von dem man gar nicht wusste, dass man ihn mit sich herumschleppt. Und es gibt nichts, dass sich besser und erfrischender anfühlt.«

Kelli lächelte mich an und ermunterte mich, weiterzumachen.

»Wir beim Lonely Hearts Travel Club glauben, dass …«

Das schrille Klingeln eines Handys unterbrach mich. Ich hielt inne und wartete darauf, dass der Schuldige es ausstellte, während die Anzugträger etwas unruhig auf ihren Plätzen wurden. Fast war ich versucht, sie daran zu erinnern, dass das Schild im Empfangsbereich vorschrieb, Handys im Sitzungssaal auf lautlos zu stellen. Niemand unternahm etwas. Es klingelte weiter und wurde immer lauter. Ich stieß ein kurzes Lachen aus. Die Situation wurde immer peinlicher und alle warfen sich fragende Blicke zu, wer da wohl so ignorant war und das Handy ewig lange klingeln ließ.

»Will sich jemand bekennen?« Ich lächelte und sie starrten mich verständnislos an.

»Georgia«, zischte Kelli und machte heftige Kopfbewegungen zu meiner Handtasche unterm Tisch hin. Und da wurde mir klar, dass sie die Quelle des unaufhörlichen Klingelns war.

Scheiße. Wenn das Erin ist, dann dreh ich ihr verflucht noch mal den Hals um. Sie hatte sich an meinem Handy zu schaffen gemacht, um Anrufe für mich zu ihr umzuleiten und musste irgendwas falsch gemacht haben.

»Oh!«, sagte ich nervös. »Das tut mir leid! Ich war mir sicher, es auf lautlos gestellt zu haben, ich …« Ich bückte mich, und während ich in meiner Handtasche herumfummelte, merkte ich, wie ich rot wurde und dass mein Herz schneller schlug. Ohne nachzusehen, wer es war, drückte ich den Anruf weg, erhob mich schnell, strich mir die Haare aus dem Gesicht und versuchte, mich wieder zu beruhigen.

»Entschuldigen Sie bitte.« Ich räusperte mich. »Also, wie bereits gesagt, wir beim Lonely Hearts Travel Club sind stolz darauf, einzigartige Reisen zu wundervollen Orten anzubieten, von denen sogar Reisende mit extrem gebrochenen Herzen in Topform zurückkehren.«

Ich hielt inne, um zu sehen, ob ich noch die Aufmerksamkeit meines Publikums hatte. In Kellis blassem Gesicht hatte sich ein leicht verzerrtes Lächeln festgesetzt. Abgesehen von Kelli und mir saß nur eine weitere Frau im Raum, und sie starrte uns skeptisch mit stechendem Blick aus verengten grünen Augen an. Sie war die Einzige gewesen, die mich mit einem laschen Händedruck begrüßt und dabei nicht gelächelt hatte. So viel zum Thema Solidarität unter Frauen, dachte ich und nickte Kelli zu. Sie startete das kurze Video, das sie gemacht hatte. Es war eine Zusammenstellung von Clips, die einige unserer Reiseleiter aufgenommen hatten, während ihre Gäste den Spaß ihres Lebens hatten. Angefangen mit einer lachenden Frau, die vom Rücksitz eines bunten Tuk-Tuks in Bangkok winkte, über Gruppen lächelnder Tourteilnehmer, die durch den üppigen Regenwald Brasiliens wanderten und Reisenden, die am Strand von Indien Yoga praktizierten, bis hin zu tanzenden Menschen bei einem Festival in Berlin. Das alles war unterlegt mit einem Song von Florence + the Machine – der eine erhebende mit dem Händeklatschen, bei dem ich immer Gänsehaut bekam. Ich empfand einen dermaßen unglaublichen Stolz, weil ich ein Unternehmen aufgebaut hatte, das etwas bewirkte. Diese Menschen nahmen ihr Leben wieder in die Hand und veränderten es oftmals sogar, weil sie eine unserer Touren mitgemacht hatten. Mein Leben war derart hektisch, dass ich wahrscheinlich viel zu selten innehielt und auf mich wirken ließ, was wir erschaffen hatten. Für die Zukunft nahm ich mir vor, einen Schritt zurückzutreten, bevor ich mich in das nächste Projekt stürzte.

Gerade als der Song seinen Höhepunkt erreichte und ich vor Rührung einen Kloß im Hals hatte, klingelte mein Handy wieder.

Die Frau mit den grünen Augen hustete demonstrativ laut auf, während sich der Mann neben ihr rührte, weil es ihm peinlich für mich war. Ich konnte Kellis Ärger förmlich spüren und mied ihren Blick. Wenn die Rollen vertauscht wären, wäre ich auch stinksauer. Wir hatten zu hart gearbeitet, um jetzt einen derart unprofessionellen Eindruck zu machen. Ich hockte mich hin und griff in meine Tasche, um es auszumachen. Ich dachte, ich hätte das Mistding auf lautlos gestellt, warum klingelte es dann trotzdem noch?!

Mein Finger drückte bereits auf den Ausknopf, als ich sah, wer der hartnäckige Anrufer war: Shelley, meine beste Freundin und Australiens aktuelle Nummer eins Brautzilla. Warum rief sie mich an? Aufgrund der Zeitverschiebung arrangierten wir unsere Skype-Treffen stets im Voraus. Dort musste es jetzt mitten in der Nacht sein. Ich tippte auf Anruf ablehnen und gerade als ich das Handy ausschalten wollte, kam mit einem Ping noch eine Nachricht von ihr an.

Ruf mich so schnell wie möglich an! Alles ist ruiniert!!! Jimmy ist weg.

Ihr Verlobter und Bens bester Freund Jimmy war weg? Weg wohin?

Ich stand auf und strich mir die Staubflusen vom Rock – von meinem mutigen lilafarbenen Rock, den keiner in diesem Meer aus neutralen Tönen je vergessen würde. Blöde Cosmo. Blöder Rock. Ich entschuldigte mich nochmals und bedankte mich bei Kelli, dass sie eingesprungen war, als ich abgelenkt war. Ich räusperte mich und fuhr mit meiner einstudierten Rede fort, doch ich hatte Mühe, mich zu konzentrieren. Jimmy war weg? Was sollte das heißen? Klar, wir hatten schon darüber gesprochen, wie gestresst sie wegen der Hochzeit war und dass ein paar ihrer Ideen ein wenig – na ja, ziemlich – absurd waren. Aber das hier klang ernst. Richtig ernst. Im Hinterkopf regte sich ein Verdacht. Das, was ich mich weigerte zu glauben, war doch eingetreten. Es war erneut passiert. Den Schmerz, die Demütigung und den Kummer, sitzen gelassen zu werden, kannte ich nur zu gut. Und nun passierte das meiner besten Freundin.

»Entschuldigen Sie bitte, ich muss nur mal kurz …« Ich nahm das Glas Wasser vom Tisch und trank es unter Kellis fragendem Blick in einem Zug aus. »Hatte was im Hals«, sagte ich mit einem hellen Lachen und versuchte, wieder dort fortzufahren, wo ich aufgehört hatte.

Der Rest der Präsentation verlief ohne Probleme und Unterbrechungen. Gott sei Dank übernahm Kelli nach mir das Zepter und brachte alles ganz ausgezeichnet zu Ende. Mir schien, als würde ich nur noch mechanisch reagieren, weil ich unbedingt aus diesem stickigen Raum hinaus und mit Shelley sprechen wollte. Es kostete mich enorme Selbstbeherrschung, mich an unser Programm zu halten, die Fragen zu beantworten und mich auf die Präsentation zu konzentrieren, denn ich konnte nur noch daran denken, wie unfassbar schlecht es mir ging, als mein Ex-Verlobter Alex mich verlassen hatte. Shelley musste ganz außer sich sein.

»Ausgezeichnet. Nun, ich denke, wir haben alles, was wir für den Augenblick brauchen. Wir möchten die Dinge gern so schnell wie möglich ins Rollen bringen und werden sie morgen Nachmittag über unsere Entscheidung informieren.« Die tiefe, monotone Stimme des Mannes mir gegenüber holte mich aus meinen Gedanken.

»Vielen Dank für die Einladung, und Entschuldigung nochmals wegen meines Handys.« Ich wurde rot und schüttelte allen die Hände, während Kelli unsere Visitenkarten verteilte. Die Frau mit den grünen Augen lächelte ich besonders übertrieben an und behielt das Lächeln eisern im Gesicht, bis wir wieder draußen im vornehmen Gang standen und darauf warteten, zur Rezeption eskortiert zu werden.

»Ich bin kurz mal weg, muss nur schnell aufs Klo!«, sagte ich kurz angebunden zu Kelli und huschte ins WC.

In den hell erleuchteten Spiegeln registrierte ich mein Gesicht. Ich war weiß wie die Wand und meinen Lippenstift, den ich inklusive passendem Lipliner und allem Drum und Dran sorgfältig aufgetragen hatte, hatte ich geistesabwesend von den Lippen gekaut. Ich schloss die Kabinentür hinter mir, setzte mich auf den Toilettendeckel und tippte FaceTime an. Innerhalb von Sekunden füllte Shelleys Gesicht den Großteil des Displays aus.

»Hey! Was ist passiert?«, brach es aus mir heraus. Bei ihrem Anblick stellte sich das altbekannte panische Gefühl in meinem Bauch ein. Große dunkle Tränensäcke unter roten Augen, strähnige dunkelblonde Haare klebten an ihrer Stirn und eine Ansammlung fieser roter Pickel reihte sich entlang ihres Kinns auf. Shelley schüttelte den Kopf. Und da sah ich die Tränen in den vor Schlafmangel müden Augen, die gleich fallen würden.

Oh Gott, es stimmte, Jimmy hatte sie verlassen. Die Hochzeit war abgesagt. Sie war vor dem schönsten Tag ihres Lebens sitzen gelassen worden, genau wie ich damals.

Sie fing an, laut zu schluchzen.

»Shelley! Oh, Liebes, bitte hör auf zu weinen. Sag mir, was los ist.«

Ihrer geisterartig blassen Haut und den zitternden Händen nach zu urteilen, mit denen sie sich den Rotz von der Nase wischte, hatte sie anscheinend wochenlang nicht geschlafen.

»Es ist … es ist …« Sie nahm sich von irgendwo ein Taschentuch her und blies laut hinein. »Es ist Jimmy. Er ist weg.«

Mir lief es kalt den Rücken runter. »Aber wieso? Was ist passiert? Wie konnte er dir das antun?«

Shelley schüttelte den Kopf, nahm sich ein weiteres Taschentuch und tupfte sich die Augen. Dabei hinterließ sie weiße Zellstofffusseln auf den eingefallenen Wangen. »Wir hatten einen Streit. Einen Riesenstreit!«

Sie stritten sich nie.

»Einen Streit worüber?«

»Die Hochzeit, schon wieder.« Sie versuchte, zu Atem zu kommen. »Er hat gesagt, er hasst den Tafelschmuck, den ich ausgesucht habe und dass er wirklich keine Fotobox will, obwohl ich ihm gesagt habe, dass es das Einzige ist, was für mich infrage kommt.« Und erneut brach sie in Tränen aus, schniefte und putzte sich die laufende Nase.

»Moment mal.« Ich hielt inne und versuchte, das richtig zu verstehen. »Tischdeko und Fotobox?«, wiederholte ich langsam, nur um sicherzugehen, dass ich richtig gehört hatte. Diese beiden unwichtigen Dinge waren der Grund, dass ihr geduldiger und liebevoller Verlobter mit ihr Schluss gemacht und die Hochzeit abgesagt hatte? Das ging mir nicht in den Kopf.

»Ja! Aber das war nur der Anfang. Ich hab das Gefühl, dass er mich bei der ganzen Sache überhaupt nicht unterstützt. Ich bin so gestresst. Ich meine, sieh mich doch nur mal an, Georgia. SIEH MICH AN!«

Ich zuckte zusammen und hoffte, dass die Verbindung nicht so gut war und sie meine Reaktion nicht gesehen hatte.

»Am liebsten würde ich ein Jahr lang schlafen. Ich bin noch nie so gestresst gewesen. Wenn ich nicht mit der Hochzeitsplanung beschäftigt bin, muss ich die Erwartungen aller Beteiligten unter einen Hut bringen und mit Fingerspitzengefühl zwischen den Ansichten seiner Mutter und meiner Mutter navigieren. Oh Gott, es sind kaum noch zwei Wochen und es gibt noch so viel zu tun. Das ist einfach der reinste Albtraum!«

Ich zwickte mir in die Nasenbrücke und versuchte, das alles zu begreifen. »Okay, Sekunde – die Hochzeit findet also doch noch statt?«

Sie zuckte ruckartig zurück und sah mich verdattert an. »Natürlich. Wieso? Du kommst doch noch, oder? Oh Gott, sag jetzt bloß nicht, dass es ein Problem mit deinem Flug gibt. Ich wusste, dass du früher hättest herkommen sollen!«, jammerte sie.

»Und wo ist Jimmy dann abgeblieben? Du hast gesagt, er ist weg?«, fragte ich schon mit leicht zusammengebissenen Zähnen.

»Er ist weg, um sich um die Fotobox zu kümmern, obwohl ich ihn schon vor Wochen darum gebeten hatte.«

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Am liebsten hätte ich sie angeschnauzt, dass sie mir beinahe ein extrem wichtiges Meeting versaut hatte, aber da sie wirklich am Rande des Zusammenbruchs zu stehen schien, lohnte sich das nicht. Es war nicht ihre Schuld gewesen. Ich hätte mein Handy auf lautlos stellen und keine vorschnellen Annahmen treffen sollen. Ich hätte daran denken sollen, dass sie unter einem Anfall von Brautzillaritis litt, was bedeutete, dass rationale Entscheidungen eher dünn gesät waren. Ich seufzte und versuchte, ihr eine gute Freundin zu sein, die froh war, dass sie nicht dasselbe Schicksal erlitten hatte wie ich.

»Warum legst du nicht mal eine Pause ein?«, sagte ich tröstend. »Und dann ist da noch unser Roadtrip zum Junggesellinnenabschied, auf den wir uns freuen können!«

Ursprünglich hatte Shelley darauf bestanden, dass sie keinen Junggesellinnenabschied wollte, obwohl ich ihr erklärt hatte, dass es bei all dem Stress, den sie hatte, genau das Richtige war, mal einen Abend lang zu feiern und sich einfach gehen zu lassen. Und dann verkündete sie eines Tages völlig überraschend, dass sie eine Rundreise mit uns machen wollte. Sie schlug Melbourne als Start und Adelaide als Ende vor. Als eine Art Junggesellinnenabschied Schrägstrich vorhochzeitliche Entspannungszeit würden wir ein paar Tage lang die Küste entlangfahren und dabei an coolen kleinen Stränden und in malerischen Küstenstädten Halt machen. Dann bestand sie auch darauf, die genaue Route allein zu planen, ohne meine Hilfe.

»Das kann ich kaum erwarten.« Sie atmete wieder normal und schien um einiges heiterer zu sein als zuvor, da sie nun über ihr Lieblingsthema sprechen konnte.

»Weißt du, ich wünschte, du würdest meine Hilfe bei der Planung annehmen. Du musst andere an dich ranlassen, damit sie dir ein wenig von der Last abnehmen können.«

Sie winkte ab. »Es ist doch logisch, dass ich die Route plane, ich bin Australierin und so, außerdem hat Cara mir geholfen.« Wie es sich anhörte, war Cara eine Möchtegern-Profi-Hochzeitsplanerin. Ja, sie wollte nur helfen, aber immer, wenn ich Vorschläge machte, schienen sie nicht so gut zu sein wie Caras. »Aber den lustigen Teil der Tour überlasse ich doch dir!«

»Mach dir darüber keine Sorgen.« Ich hatte bereits Unmengen von allem möglichen Equipment in Penisform als Ausstattung für den Junggesellinnenabschied besorgt.

»Gott, Georgia, es gibt noch so viel zu tun und es ist nur so wenig Zeit.« Sie schüttelte den Kopf und schaute himmelwärts, als hoffte sie auf göttliche Unterstützung beim Verteilen der Zugeständnisse und der Fertigstellung des Sitzplans.

»Na ja, vielleicht solltest du Jimmy sagen, wie sehr du seine Hilfe zu schätzen wüsstest. Geteilte Arbeit ist halbe Arbeit, oder wie das Sprichwort lautet.«

Sie schniefte. »Er hilft schon gut mit, na ja, die meiste Zeit.« Sie pflanzte ein Lächeln auf, das schon mehr nach der Shelley aussah, wie ich sie kannte. »Tut mir leid, Georgia, dass ich mich bei dir ausgeheult habe!«

Ich lächelte sie lieb an und hoffte, dass uns ihr kleiner Ausraster nicht die Präsentation versaut hatte. »Hey, dafür bin ich doch da.«

»Und das weiß ich zu schätzen. Ich kann’s echt kaum noch erwarten, dich zu sehen. Hör mal, ich muss jetzt Schluss machen und ganz wie du vorgeschlagen hast noch ein wenig Schlaf nachholen. Bis bald!«

Sie legte auf. Ich starrte auf das schwarze Display meines Handys und fragte mich, wie ich das Hochzeitstheater überstehen sollte, wenn ich erst einmal dort war.

Kapitel 3

Verwegenheit, die (Substantiv, feminin): übermäßiges Selbstvertrauen oder Kühnheit

»Ah, da ist sie ja!« Conrad lächelte, als die Türglocke mein Eintreten in unsere kleine, aber feine Reiseagentur in Manchester ankündigte. »Ich hatte nicht erwartet, dich heute hier zu sehen, ich dachte, ihr feiert? Wie ich gehört habe, lief eure Präsentation gestern so richtig bombig.«

»Neuigkeiten sprechen sich schnell herum.« Ich grinste. »Ich warte jetzt nur noch auf den Anruf mit der Entscheidung. Aber zu Hause zwischen all den Kisten zu arbeiten hat mich wahnsinnig gemacht. Außerdem kommt es mir so vor, als wäre ich in letzter Zeit kaum noch hier gewesen.«

»Und ich dachte, du bist nur hier, weil ich so unverschämt gut aussehe.« Er tat beleidigt. »Apropos hässliche Männer, wo ist denn Ben, kann er dich nicht ablenken?«

Ich schüttelte den Kopf. »Er ist heute im Londoner Büro, wir stellen wieder Leute ein.«

»Ist er nicht eben erst aus Finnland zurückgekommen?«

»Du weißt doch, in der Hölle herrscht immer Betrieb.«

»Dann müsst ihr beide in einem früheren Leben ja furchtbare Menschen gewesen sein.«

»Vielleicht komme ich nächstes Mal als verwöhnte Katze oder so was wieder, aber im Augenblick gibt’s zu viel zu tun, schlafen kann ich später.« Ich lächelte ihn an und zog die Jacke aus. »Ich nehme an, du hast mit Kelli gesprochen?«

Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich an die Fotos denke, auf denen sie bei Facebook letzte Nacht markiert wurde, bezweifle ich, dass sie schon wach ist. Sie war in einer superschicken Bar und hat Champagner gebechert. Wahrscheinlich hat sie auf euren Erfolg angestoßen.«

»Na ja, genau genommen haben wir es ja noch nicht ganz in der Tasche.« Ich hoffte, wir freuten uns alle nicht zu früh. »Eigentlich müsste der Anruf mit der Entscheidung jeden Moment kommen.« Ich nahm mein Handy aus der Tasche und schaute erneut nach, vielleicht hatte ich ja in den vergangenen drei Minuten einen Anruf verpasst.

»Pah.« Conrad stieß die Luft durch die Lippen aus. »Ich habe die Präsentation gelesen. Reines Gold.«

»Wollen wir mal hoffen, dass sie das genauso sehen.« Warum hatte ich heute solche Selbstzweifel? Das hatten wir im Sack. »Wie auch immer, es gibt nichts, das eine Tasse starker Kaffee nicht richten könnte.«

»Na, dann schalte ich mal lieber den Wasserkocher an, was?«

»Du bist ein Schatz.«

Unter Conrads Leitung war das Geschäft in Manchester aufgeblüht. Er war ein brillanter, wenn auch leicht scharfzüngiger Mann aus Yorkshire, und er fühlte sich in unserem Unternehmen wie ein Fisch im Wasser. Mit ihm an Bord hatte ich weniger Stress, obwohl ich manchmal die alten Tage vermisste, als wir alle zusammengedrängt in diesem Raum gesessen und tagtäglich miteinander getratscht, uns geneckt und als Team gefühlt hatten. Weil wir uns so schnell vergrößert hatten, hatten Ben und ich Felix eingestellt, der sich um das Tagesgeschäft im Londoner Reisebüro kümmerte. Er war super liebenswürdig und musste sich noch einarbeiten, aber meiner Meinung nach fehlten ihm der Charme und das Sympathische, das Conrad säckeweise mitbrachte. Bei all dem Hin- und Herflitzen zwischen den beiden Büros, den Auslandsreisen, den Networking-Events, den Konferenzen und allem anderen, das meinen hektischen Terminplan ausfüllte, waren es eben doch die Menschen, die ich am meisten vermisste.

»Ich drücke beide Daumen, nicht, dass das nötig wäre. Ich weiß einfach, dass das genau das Richtige für uns ist.« Er lächelte wissend und ließ großzügige Portionen Kaffeegranulats in die Tassen rieseln. Seit Jahresbeginn hatten wir uns die Köpfe darüber zerbrochen, was dem Unternehmen noch fehlte. Wir suchten nach einem Funken, einer neuen Idee, einer Offenbarung, einer X-Factor-Entscheidung, die uns einen Vorteil gegenüber unserer Konkurrenz verschaffen würde. »Wir könnten es weiß Gott gebrauchen, denn der gestrige Tag der offenen Tür war nicht die Antwort für uns.«

»Oh, was ist passiert?«, fragte ich und schaute kurz im Planer nach, ob ich vor meinem nächsten Telefonat, das Erin arrangiert hatte, noch ein wenig Zeit für ein kurzes Update hatte. Als ich sah, dass ich unerwarteterweise eine halbe Stunde freihatte, machte ich es mir auf dem einladenden Sofa neben dem Regal voller Hochglanzbroschüren für unsere exotischen Reiseziele und Touren gemütlich.

»Tja, wir konnten zwar bei ein paar neuen Kunden Interesse wecken, aber die meisten wollten einfach nur Vals Kuchen essen und ein paar unserer Kulis abstauben«, grummelte er.

»Vielleicht gehört das zu den Dingen, die ein wenig Zeit brauchen, bis sie richtig anlaufen?«, fragte ich, weil ich merkte, wie enttäuscht er war, dass seine neueste Idee nicht so gut ankam wie gedacht. Conrad ließ sich immer wieder neue Sachen einfallen, wie wir unseren Kundenkreis vergrößern oder verbreitern konnten; angefangen von Thai-Kochkursen, um unsere Reisen nach Südostasien zu promoten und bei denen am Ende zwei Teilnehmer Lebensmittelvergiftung hatten, bis hin zu einem australischen Barbecue unter freiem Himmel, das dem unberechenbaren Wetter in Manchester zum Opfer fiel.

»Hm, mag sein. Ich denke, wir werden das Spiel für die Chilereise, bei dem man dem Lama den Schwanz annagelt, einstellen müssen – ich habe einem armen Mädel fast das Auge ausgestochen«, gestand er betreten. »Aber ich bleibe dran. Du weißt, die Umsätze sprechen für sich, aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass es da etwas gibt, das wir verpassen«, sagte Conrad zur Abwechslung mal mit ernster Miene, während er die Milch eingoss. »Ich kann noch nicht genau sagen, was es ist, aber ich habe meine Spione zu unseren Konkurrenten geschickt, und hoffentlich kommen sie mit ein paar Ideen zurück. Ich hab einfach das Gefühl, es gibt da einen Dreh, von dem wir nichts wissen, etwas, das wir unseren Kunden anbieten könnten und womit wir die Konkurrenz so richtig abhängen.«

Er hatte recht. Obwohl wir super gut bewertet wurden, die Gewinne ansehnlich waren und die Kunden zufrieden nach Hause zurückkehrten, hatte ich auch oft dieses nagende Gefühl im Hinterkopf. Um das Unternehmen voranzubringen, mussten wir sicherstellen, dass wir am Puls der Zeit blieben und weit mehr anboten als andere Reiseagenturen oder Reiseveranstalter.

»Tja, wir können nichts weiter tun, als dranzubleiben.« Dankbar nahm ich ihm die dampfende Tasse ab.

»Genau, das werden wir.«

Conrads Telefon klingelte und während er ranging, schaute ich mich lächelnd in dem kleinen Ladengeschäft um. In einer Ecke hatten sie eine Snack-Station für die Kunden aufgestellt. Es gab heiße Getränke und Gebäck aus Vals Café von gegenüber. Das war zwar gut angekommen, doch ein Gratisstück Bananenkuchen oder hausgemachte Eccles-Küchlein sahen wir nicht gerade als die gesuchte bahnbrechende Idee an.

»Und, wie läuft es denn mit der süßen Val?«, fragte ich, als er auflegte, nahm mir selbstvergessen einen Keks und brach ein Stück vom buttrigen Gebäck ab. »Sie könnte Mary Berry in den Schatten stellen.«

Als Vals Name fiel, verzogen sich seine roten Wangen zu einem breiten Grinsen. »Also, noch ist das mit uns nicht gegen die Wand gefahren.«

Ich lachte. »Und das wird es ganz sicher auch nicht. Sag ihr von mir, sie macht die besten Kuchen der Stadt. Eigentlich bin ich überrascht, dass du nicht zehn Kilo zugenommen hast, seit du sie kennst.« Ich wischte mir die Krümel vom Top.

Wahrscheinlich war es gut, dass es die Snack-Station noch nicht gegeben hatte, als ich Vollzeit in diesem Reisebüro gearbeitet hatte. Die Versuchung wäre zu groß, und am Ende wäre nichts mehr für die Kunden übrig gewesen. Ich versuchte, nicht daran zu denken, dass meine Büroklamotten ziemlich eng geworden waren, seit ich mit Ben zusammengezogen war. Es war so angenehm und machte unglaublich viel Spaß, in einer glücklichen Beziehung zu sein. Aber sich Essen öfters einfach liefern zu lassen, das warme Bett nicht für einen Lauf am Morgen verlassen zu wollen und fast jeden Abend gemeinsam eine Flasche Wein zu trinken war nicht gerade förderlich für die Figur. Und Bettgymnastik verbrannte nur einen Bruchteil der Kalorien, die ich mir gönnte.

»Verrat es niemandem, aber ich habe ein neues Fitnessprogramm angefangen.« Er beugte sich vor und obwohl niemand sonst im Laden war, fuhr er flüsternd fort: »Sie hat mich im Fitnessstudio angemeldet.«

»Du? Im Fitnessstudio? Dass ich das noch mal erlebe!«

»Mach dich nur lustig. Aber es gibt keinen anderen Weg, um zu verhindern, dass ich wie ein Kloß aufgehe. Wie auch immer, das ist noch nicht das Schlimmste.« Er sprach nun sogar noch leiser. »Sie hat mich dazu gebracht, abends zu ein paar Kursen mitzugehen.«

»Ach ja? Zu welchen denn?«

Er verzog das Gesicht, als trüge er einen inneren Konflikt aus, ob er es mir verraten sollte oder nicht. »Tanzkurse.« Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und wartete auf meine Reaktion. Bei der Vorstellung, wie Conrad in einem hübschen pinkfarbenen Tutu eine Pirouette drehte, konnte ich mir ein kurzes Kichern nicht verkneifen. Er ignorierte es und fuhr fort. »Na ja, zuerst Zumba, dann ein Salsa-Beat-Workout und jetzt scheiß Gesellschaftstanz mit dem gewissen Etwas.«

»Gesellschaftstanz mit dem gewissen Etwas?«, wiederholte ich und hatte nicht wenig Spaß daran zu sehen, wie er langsam rot anlief.

»Jupp. Das gewisse Etwas ist, dass man mittendrin eine verflucht schwere Hip-Hop-Nummer tanzt.«

Ich konnte nicht anders und kicherte erneut. »Hip-Hop? Du tanzt Hip-Hop?«

»Bitte nicht.« Er legte sich die großen Hände auf die roten Wangen. »Ich hab das niemandem sonst erzählt und du musst mir schwören, dass du’s für dich behältst.«

Ich hielt die Finger zum Pfadfinderehrenwort hoch und er fuhr fort.

»Kennst du die YouTube-Videos, in denen Paare, meistens Braut und Bräutigam beim ersten Tanz, mit einem formellen Tanz anfangen und dann wechselt die Musik mittendrin zu einem nervigen Dance-Titel? Und dann legen sie eine zwar gut einstudierte, aber unglaublich lächerliche Tanzeinlage aufs Parkett?«

Ich nickte und meine Wangen taten schon weh vom Grinsen.

»Das ist Gesellschaftstanz mit dem gewissen Etwas.«

»Oh, wow. Und, wirst du uns mal ein paar Schritte vorführen?«

»Da kannst du warten, bis du schwarz wirst. Ich mache das nur mit, um sie glücklich zu machen. Was man nicht alles für die Liebe tut.« Er machte einen grunzenden Laut und fing an, auf seinem unordentlichen Tisch ein paar Broschüren durchzublättern.

»Liebe?« Ich hob eine Augenbraue.

»Ja, ich liebe sie«, murmelte er. Am liebsten hätte ich in die Hände geklatscht, hielt jedoch meine Begeisterung zurück. Normalerweise war Conrad nicht so offen, wenn es um sein Privatleben ging, und deshalb wollte ich ihn nicht aus dem Tritt bringen. »Weiß Gott, warum sie mich erträgt, und glaub mir, ich würde alles tun, um sie glücklich zu machen. Aber Tanzkurse, verflucht noch mal?« Er schüttelte den Kopf darüber, was aus ihm geworden war. »Echt mal.«

»Na ja, ich finde das total süß, und hör auf, dich schlechtzumachen. Du bist ein Hauptgewinn. Sie hat auch Glück, dass sie dich hat.«

Er zuckte mit den Schultern und räusperte sich. »Okay, zurück zu dir. Ich kann immer noch nicht glauben, dass Ben und du endlich mal in den Urlaub fahrt. Er hat mir versprochen, dass ihr beide die Handys ausschalten werdet und euch von E-Mails fernhaltet.«

»Schön das Thema gewechselt. Bei der Weihnachtsparty schuldest du mir einen Tanz, glaub ja nicht, dass ich das vergesse«, neckte ich, schlürfte einen Schluck Kaffee und schaute erneut aufs Handy, ob die Bank angerufen hatte. »Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich ein Urlaub wird, da ich Shelley helfe, aber ich freue mich schon darauf, Australien von meiner Liste zu streichen und Zeit mit Ben zu verbringen.«

»Deine erste Reise dort runter! Mach dich auf einen fiesen Jetlag gefasst, der kann einen schon ganz schön fertigmachen, weißt du? Warum bittest du Shelley nicht, die Rundreise um ein paar Tage zu verschieben, dann kannst du dich akklimatisieren?«

Ich schüttelte den Kopf. »Keine Chance. Ihr Angstpegel ist jetzt schon gefährlich hoch und ich will nichts tun, was ihn noch weiter ansteigen lässt. Mir wird’s schon gut gehen, ganz sicher.«

»Du wirst dir wohl eher eine Kaffeeleitung in den Arm legen und dich auf einen wilden Jetlag-Ritt gefasst machen müssen.«

»Ach komm, so schlimm wird’s schon nicht, oder?« Inzwischen hatte ich genügend Langstreckenflüge hinter mir, um zu wissen, dass er übertrieb.

Conrad hob die buschigen Augenbrauen. »Du bist noch nie von London nach Australien geflogen. Ich weiß, dass du dich manchmal für Superwoman hältst, aber glaub mir, das kann einem echt den Kopf verdrehen.«

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