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Dark Wild Night - Weil du der Einzige bist

Es läuft super bei Künstlerin Lola: Ihre Graphic Novel soll verfilmt werden! Und eigentlich hat sie auch keine Zeit, sich ablenken zu lassen. Schon gar nicht von ihrem superheißen besten Freund Oliver den sie nicht aus dem Kopf bekommt, obwohl er ihr erst letztens einen Korb gegeben hat …

Comicladenbesitzer Oliver kann sich nicht nur über Lolas Erfolg freuen. Denn je mehr Zeit sie am Set verbringt, desto weniger Zeit hat sie für ihn. Dabei hat er grade begriffen, wie scharf er seine beste Freundin findet

"Christina Lauren ist meine erste Wahl, wenn ich eine heiße und süße Liebesgeschichte lesen will."

Nr.1 New York Times-Bestsellerautorin Jennifer Armentrout

"Eine kluge und verführerische Geschichte, über Freunde, die sich ineinander verlieben. Lola ist eine ganz besondere Heldin - introvertiert und gehemmt, sich anderen Menschen zu öffnen. Sie kann nicht glauben, dass jemand so wunderbares wie Oliver sie lieben könnte und das Autorinnenduo Christina Lauren beschreibt ihre Ängste in einer so kraftvollen Sprache, dass viele Leserinnen sich wiedererkennen werden."

Washington Post


  • Erscheinungstag: 05.12.2016
  • Aus der Serie: Wild Seasons
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 368
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956499982
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Christina Lauren

Dark Wild Night –
Weil du der Einzige bist

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Gabriele Ramm

image

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Dark Wild Night

Copyright © 2015 by Christina Hobbs und Lauren Billings

erschienen bei: Gallery Books, New York

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with the original publisher, Gallery Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: büropecher, Köln

Redaktion: Maya Gause

Titelabbildung: Simon & Schuster / Shutterstock

ISBN eBook 978-3-95649-998-2

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. Kapitel

LOLA

Im Geiste zeichne ich die Panels der Szene, während wir der Empfangsdame über den mit Marmor ausgelegten Flur folgen: Die Frau trägt extrem hohe schwarze High Heels, hat endlos lange Beine, und bei jedem ihrer Schritte bewegen sich ihre Hüften.

Ihre Hüften schwingen nach links.

Ihre Hüften schwingen nach rechts.

Ihre Hüften schwingen nach links.

Benny, mein Agent, beugt sich zu mir. „Du brauchst nicht nervös zu sein“, flüstert er.

„Mir geht es gut“, schwindele ich, woraufhin er nur kurz schnaubt und sich wieder aufrichtet.

„Der Vertrag ist aufgesetzt, Lola. Du bist hier, um ihn zu unterschreiben, nicht, um irgendjemanden zu beeindrucken. Lächle! Jetzt beginnt der spaßige Teil.“

Ich nicke und versuche, mich davon zu überzeugen, dass er recht hat – Schau dir dieses Büro an! Schau dir diese Leute an! Alles strahlt! Großstadt! –, aber es ist vergebliche Liebesmüh. Seit meinem zwölften Lebensjahr habe ich an Razor Fish geschrieben und gezeichnet, und für mich war der spaßige Teil jede einzelne Sekunde des Entstehungsprozesses. Der beängstigende Teil besteht darin, einen sterilen, von kleinen gläsernen Büros gesäumten Flur entlangzugehen, um einen siebenstelligen Vertrag für die Filmrechte zu unterzeichnen.

Mir dreht sich fast der Magen um, und ich flüchte mich wieder in meinen sicheren Hafen.

Ihre Hüften schwingen nach rechts.

Ihre Hüften schwingen nach links.

Ihre langen Beine reichen von der Erde bis in die Wolken hinein.

Die Rezeptionistin bleibt vor einer Tür stehen und öffnet sie. „Da wären wir.“

Die Studiobüros sind schon fast schon unanständig extravagant; das gesamte Gebäude kommt einem vor wie das moderne Äquivalent eines Schlosses. Alle Wände sind mit gebürstetem Aluminium und Marmor verkleidet; die Türen sind allesamt aus Glas. Die Einrichtung ist ebenfalls entweder aus Marmor oder aus schwarzem Leder. Benny betritt den Raum voller Selbstvertrauen, durchquert das Zimmer, um unseren Gesprächspartnerinnen auf der anderen Seite des Tisches die Hände zu schütteln. Ich folge ihm, doch als ich die Glastür loslasse, fällt sie hinter mir laut krachend ins Schloss. Deutlich hörbar schnappen die beiden Frauen am Tisch nach Luft.

Fuck.

Ich habe während der vergangenen drei Monate genügend Fotos von mir in Stresssituationen gesehen, um zu wissen, dass ich in diesem Moment nicht völlig fertig wirke. Weder ziehe ich den Kopf ein noch entschuldige ich mich; ich stehe nicht krumm da und zucke nicht einmal zusammen, obwohl ich, kaum dass die Tür mit einem lauten Knall zugeflogen ist, mit den Nerven total am Ende bin. Aber anscheinend bin ich gut darin, es zu verbergen.

Die New York Times hat eine brillante Rezension über Razor Fish veröffentlicht, fand mich allerdings während des Interviews etwas „distanziert“, obwohl ich mich selbst als geistreich und einnehmend empfunden hatte. Die Los Angeles Times beschrieb unser Telefongespräch als „eine Reihe von langen, nachdenklichen Pausen, denen einsilbige Antworten folgten“. Meinem besten Freund Oliver hatte ich erzählt, dass ich Sorge gehabt hätte, ich hätte ihnen ein Ohr abgekaut.

Als ich mich jetzt zu den leitenden Angestellten herumdrehe, überrascht es mich nicht, dass sie beide genauso auf Hochglanz poliert aussehen wie die gesamte Umgebung hier. Keine der Frauen erwähnt meinen alles andere als dezenten Auftritt, aber ich könnte schwören, dass das Echo des lauten Knalls noch immer durch das Zimmer hallt, während ich von der Tür zum Tisch gehe.

Benny zwinkert mir zu und bedeutet mir, mich zu setzen. Ich finde einen weichen Lederstuhl, streiche mein Kleid über meinen Schenkeln glatt und lasse mich vorsichtig nieder.

Meine Handflächen sind feucht, mein Herz pocht. Immer wieder zähle ich bis zwanzig, um die aufkeimende Panik zu unterdrücken.

Das Panel zeigt das Mädchen mit vorgerecktem Kinn, einen Feuerball in den Lungen.

„Lorelei, es ist so schön, Sie endlich persönlich kennenzulernen.“

Ich ergreife die dargebotene Hand und schaue die Frau an, die mich angesprochen hat. Sie hat blonde Haare, ist makellos geschminkt, trägt makellose Kleidung und ist makellos ausdruckslos. Aufgrund meiner frühmorgendlichen Recherche auf IMDb, der Internet Movie Database, vermute ich mal, dass es sich um Angela Marshall handelt. Sie ist eine der Produzentinnen, die sich gemeinsam mit Austin Adams, mit dem sie wohl häufig kooperiert, letzte Woche in einem Bietergefecht – von dem ich nicht einmal etwas wusste – die Rechte an Razor Fish gesichert hat.

Allerdings waren ihre Haare auf dem Foto noch rot. Mein Blick wandert zu der Frau links von ihr, doch die hat einen warmen braunen Teint, schwarze Haare und große braune Augen. Das ist definitiv nicht Angela Marshall. Den einzigen Menschen, den ich öfter in Zeitschriften und auf Fotos gesehen habe, ist Austin, doch abgesehen von Benny ist kein weiterer Mann im Raum.

„Bitte nennen Sie mich Lola. Es freut mich, Sie kennenzulernen …?“ Ich lasse die Frage in der Luft hängen, und unter normalen Umständen würde man jetzt wohl Namen austauschen. Stattdessen schüttelt sie mir endlos lange die Hand, und ich weiß nicht, wohin mit meiner Dankbarkeit. Wieso stellt sich hier niemand vor? Soll ich etwa alle schon beim Namen kennen?

Nachdem sie schließlich meine Finger loslässt, sagt die Frau endlich: „Angela Marshall.“

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es eine Art Test war.

„Ich freue mich wirklich, Sie kennenzulernen“, bekräftige ich. „Ich kann kaum glauben …“

Hier stocken meine Gedanken, während die anderen mich beobachten und darauf warten, wie ich den Satz beenden will. Offen gestanden könnte ich tagelang über all das reden, was ich nicht glauben kann.

Ich kann noch immer nicht glauben, dass Razor Fish tatsächlich veröffentlicht wurde.

Ich kann noch immer nicht glauben, dass die Leute es tatsächlich kaufen.

Und ich kann es wirklich nicht glauben, dass die ach so kultivierten Leute, die in diesem riesigen Filmstudio arbeiten, meine Graphic Novel in einen Film verwandeln wollen.

„Wir können das alles immer noch nicht fassen.“ Benny kommt mir zu Hilfe, lacht jedoch ein wenig verlegen. „Wir sind einfach nur begeistert, dass das alles zustande gekommen ist. Wirklich begeistert.“

Die Frau neben Angela schenkt ihm einen Blick, der eindeutig besagt, O ja, davon bin ich überzeugt, denn wir wissen alle, dass Benny bei diesem Deal einen richtig guten Schnitt gemacht hat – zwanzig Prozent Provision von richtig viel Geld. Aber diese Erkenntnis zieht eine weitere nach sich: Ich habe einen noch viel besseren Schnitt als er gemacht. Mit diesem Deal verändert sich mein gesamtes Leben für immer.

Wir sind heute hier, um den Vertrag zu unterzeichnen, um über das Casting zu sprechen und einen Terminplan zu erarbeiten.

Das Panel zeigt das Mädchen, wie es abrupt aufwacht, als ihm eine Eisenstange ins Rückgrat gerammt wird.

Ich strecke der anderen Frau die Hand entgegen. „Hallo, es tut mir leid, aber ich habe Ihren Namen nicht verstanden. Ich bin Lola Castle.“

Sie stellt sich als Roya Lajani vor und blickt dann auf die Papiere, die vor ihr auf dem Tisch liegen, ehe sie Luft holt, um die Unterhaltung zu starten, die in solch einem Fall angebracht wäre. Aber noch ehe sie einen Ton herausbekommt, fliegt die Tür auf, und der Mann, den ich als Austin Adams erkenne, kommt hereingeeilt. Mit ihm ein Schwall an Geräuschen: klingelnde Telefone, Absätze, die auf dem Marmorfußboden klackern, und Stimmengewirr aus den angrenzenden Büros.

„Lola!“, begrüßt er mich fröhlich und zuckt im nächsten Moment zusammen, als die Tür hinter ihm zuknallt. Er sieht zu Angela und meint: „Ich hasse diese verdammte Tür. Wann lässt Julie sie endlich reparieren?“

Angela macht eine wegwerfende Handbewegung, die wohl besagen soll, Mach dir darüber keine Gedanken, und beobachtet, wie Austin den Platz neben ihr ignoriert und sich stattdessen einen Stuhl rechts von mir herauszieht.

Er setzt sich und mustert breit grinsend mein Gesicht. „Ich bin ein großer Fan“, sagt er ohne weitere Vorrede, sogar, ohne sich vorzustellen. „Ehrlich. Ich bewundere dich total. Ist doch in Ordnung, wenn ich dich duze, oder? Hier beim Film duzen wir uns alle.“

„Ich … Wow“, erwidere ich und lache verlegen. „Ja, sicher. Danke.“

„Bitte sag mir, dass du bereits an einer neuen Sache arbeitest. Ich bin süchtig nach deiner Kunst, deinen Geschichten, nach allem.“

„Meine nächste Graphic Novel erscheint im Herbst. Der Titel lautet Junebug.“ Ich spüre, dass Austin sich aufgeregt vorbeugt, und füge instinktiv hinzu: „Ich arbeite noch daran.“ Als ich ihn wieder anschaue, schüttelt er nur verwundert den Kopf.

„Ist das alles nicht surreal?“ Mit warmem Blick sieht er mich an, und sein Lächeln wird noch weicher. „Hast du schon begriffen, dass du das Superhirn hinter dem nächsten großen Actionfilm bist?“

Ein derartiger Satz in so einer Situation – in der ich befürchte, eine Menge hohler Phrasen zu hören zu bekommen – würde mich normalerweise dazu bringen, den Atem anzuhalten, um eine skeptische Reaktion zu unterdrücken. Aber obwohl er ein wirklich wichtiger Produzent und Regisseur ist, kommt mir Austin doch recht ehrlich und authentisch vor. Er sieht gut, allerdings auch ziemlich zerzaust aus: sein rotblondes Haar hat er anscheinend nur mit den Fingern durchgekämmt; er ist nicht rasiert, trägt Jeans und ein Oberhemd, das jedoch nicht korrekt zugeknöpft ist, sodass der Saum auf einer Seite länger als auf der anderen herunterhängt. Der gestärkte Kragen steckt obendrein auf einer Seite noch innen. Er ist ein fürstlich verdienendes Chaos auf zwei Beinen.

„Danke“, gebe ich zurück und balle die Fäuste, damit ich nicht aus Versehen anfange, an meinem Ohrläppchen oder meinen Haaren herumzufummeln.

„Ich meine es ernst“, erklärt er und stützt sich mit den Ellenbogen auf den Schenkeln ab, während er sich weiterhin einzig und allein auf mich konzentriert. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er Benny überhaupt wahrgenommen hat. Meine Fingerknöchel treten bereits weiß hervor. „Ich weiß, dass man von uns erwartet, etwas in der Art zu sagen, doch in diesem Fall ist es echt wahr. Ich war schon von der ersten Seite an besessen von der Story und habe Angela und Roya gleich mitgeteilt, dass wir uns den Stoff unbedingt sichern müssen.“

„Wir waren mit dir einer Meinung“, fügt Roya unnötigerweise hinzu.

„Na ja“, murmele ich und überlege, was ich außer Danke noch sagen kann. „Das ist großartig. Ich bin froh, dass die Geschichte wenigstens ein kleines Publikum gefunden hat.“

„Kleines?“, widerspricht er, lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und blickt an seinem Hemd hinunter, ehe er noch einmal genauer hinsieht. „Verdammte Scheiße. Ich schaffe es nicht mal, mich ordentlich anzuziehen.“

Ich beiße mir auf die Lippe, um das Lachen, das in mir aufsteigt, zu unterdrücken. Die gesamte Situation hat mich total in Panik versetzt, bis zu dem Moment, als er das Zimmer betreten hat. Ich habe früher nur in Billigläden eingekauft, eine Zeit lang mussten wir uns mithilfe von Coupons über Wasser halten, und ich fahre noch immer einen alten Chevy von 1989. Was das Ganze hier mit meinem Leben anrichten wird, geht über meine Vorstellungskraft hinaus, und die beiden Frauen auf der anderen Seite des Tisches, die aussehen, als wären sie dem Film Die Frauen von Stepford entsprungen, steigern die befremdliche Atmosphäre im Zimmer zusätzlich. Aber Austin wirkt wie jemand, mit dem ich mir vorstellen kann, zu arbeiten.

„Ich weiß, dass du das schon häufiger gefragt wurdest“, fährt er fort, „denn ich habe die Interviews gelesen. Trotzdem möchte ich es gerne von dir selbst hören, sozusagen aus erster Hand die wahren Beweggründe erfahren. Was hat dich dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben? Was hat dich wirklich inspiriert?“

Diese Frage hat man mir echt schon oft gestellt – genau genommen so oft, dass ich eine Standardantwort parat habe: Ich liebe die alltägliche Superheldin, denn sie gibt uns die Möglichkeit, komplizierte soziale und politische Ungleichgewichte direkt anzugehen, sowohl in der Popkultur als auch in der Kunst. Ich habe Quinn Stone als ganz normale Frau dargestellt, in der Tradition von Clarice Starling oder Sarah Connor: Sie wird durch eigene Kraft zur Heldin.

Quinn wird von einem seltsamen, fischähnlichen Mann aus einer anderen Zeitdimension gefunden. Diese Kreatur, Razor, hilft Quinn, den Mut aufzubringen, für sich selbst und ihre Gemeinschaft einzustehen. Und indem er das tut, wird ihm klar, dass er sie nicht verlassen möchte, obwohl er irgendwann die Chance hat, in seine Zeit zurückzukehren. Die Idee zu dieser Geschichte kam mir in einem Traum, in dem ein großer, muskulöser Mann, der über und über mit Schuppen bedeckt war, in meinem Zimmer auftauchte, um mir mitzuteilen, ich solle gefälligst meinen Schrank aufräumen. Danach habe ich ständig darüber nachgegrübelt, wie es wohl wäre, wenn er tatsächlich in meinem Schlafzimmer erscheinen würde. Ich habe ihm den Namen Razor Fish gegeben. Ich stellte mir vor, dass es meinem Razor scheißegal wäre, ob mein Schrank aufgeräumt ist oder nicht; er würde mir stattdessen einen sprichwörtlichen Tritt in den Hintern geben, damit ich aufstehe und für irgendetwas kämpfe.

Doch das ist nicht die Antwort, die heute aus mir herausplatzt.

„Ich war stinksauer“, gebe ich zu. „Ich dachte, dass Erwachsene entweder Arschlöcher oder totale Versager sind.“ Ich beobachte, wie sich Austins Augen ein wenig weiten, ehe er ausatmet und kurz verständnisvoll nickt. „Ich war sauer auf meinen Dad, weil er nichts auf die Reihe gekriegt hat, und auf meine Mom, weil sie solch ein Feigling war. Ich bin sicher, eben deshalb habe ich überhaupt von Razor Fish geträumt: Er ist ruppig und versteht Quinn nicht immer, doch im Grunde seines Herzens liebt er sie und möchte, dass sie beschützt wird. Ihn zu zeichnen und zu beschreiben, wie er ihre menschliche Seite anfangs gar nicht begreifen kann, ihr dann aber beibringt, wie man kämpft, und ihr sogar den Vortritt lässt … mich in der Geschichte der beiden zu verlieren, das war meine Belohnung, wenn ich das Geschirr abgewaschen und meine Schularbeiten erledigt hatte und abends allein war.“

Im Zimmer ist es still, und ich verspüre das ungewohnte Bedürfnis, die Stille zu durchbrechen. „Es gefiel mir, zuzusehen, wie Razor langsam beginnt, die Art und Weise zu schätzen, in der Quinn ihre Stärke zeigt. Auch wenn es nicht auf die klassische Weise ist. Sie ist dünn, sie ist ruhig. Sie hat nicht die Statur einer Amazone. Ihre Stärken sind eher subtil: Sie hat eine gute Beobachtungsgabe. Sie vertraut sich selbst bedingungslos. Es war mir wichtig, das klar herauszuarbeiten. Es gibt eine Menge Gewalt und Action in der Geschichte, aber Razor erkennt Quinns wahren Wert nicht in dem Moment, als sie lernt, kräftig zuzuschlagen, sondern, als sie herausfindet, wie sie sich gegen ihn behaupten kann.“

Ich blicke zu Benny – so offen habe ich vorher noch nie über mein Leben und mein Buch gesprochen, und die Überraschung ist ihm deutlich anzumerken.

„Wie alt warst du, als deine Mutter die Familie verlassen hat?“, will Austin wissen. Er benimmt sich, als wäre außer uns niemand im Raum, und es ist ziemlich leicht, so zu tun, denn die anderen sind alle mucksmäuschenstill.

„Zwölf. Direkt nachdem mein Dad aus Afghanistan zurückgekehrt ist.“

Es scheint fast so, als wäre das Zimmer von der Stille verschluckt worden, nachdem ich das gesagt habe.

Schließlich stößt Austin einen tiefen Seufzer aus. „Wow, das ist echt scheiße.“

Endlich kann ich lachen.

Er beugt sich wieder vor und mustert mich eindringlich. „Ich liebe diese Geschichte, Lola. Ich liebe diese Charaktere. Wir haben einen Drehbuchautor, der ganz großes Kino daraus machen wird. Kennst du Langdon McAfee?“

Ich schüttele den Kopf, verlegen, denn so wie er es sagt, sollte ich den Mann vermutlich kennen.

Doch Austin reagiert mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Er ist großartig. Total entspannt, clever, gut organisiert. Er möchte das Drehbuch mit dir zusammen schreiben.“

Angesichts dieser unerwarteten Enthüllung bekomme ich den Mund nicht mehr zu. Ich soll an einem Drehbuch mitarbeiten? Prompt bringe ich nur einen krächzenden Ton heraus.

Austin redet einfach weiter, obwohl ich total perplex aussehen muss. „Ich will, dass wir über alles reden, okay?“ Er nickt bereits, als wolle er mich antreiben. „Ich will, dass es genauso wird, wie du es dir vorstellst.“ Er lehnt sich noch weiter zu mir vor, lächelt und meint: „Ich will, dass du siehst, wie dein Traum zum Leben erweckt wird.“

„Könntest du mir bitte die Einzelheiten alle noch mal erzählen?“, sagt Oliver. „Ich bin mir nicht sicher, dass du beim ersten Mal unsere Sprache gesprochen hast.“

Er hat recht. Ich bin in seinen Comicladen Downtown Graffick gerannt gekommen und habe sofort losgeplappert, ohne Luft zu holen – ganz zu schweigen davon, dass ich mich kaum daran erinnert habe, wie man Sätze bildet. Oliver hat aufgeblickt, als ich hereingestürmt kam, doch sein Lächeln war ziemlich schnell einem verwirrten Gesichtsausdruck gewichen, als ich meinen völlig unverständlichen Redeschwall über ihn ergossen und all meine Gefühle vor ihm ausgebreitet habe. Während der zweistündigen Fahrt von L. A. habe ich mit meinem Dad telefoniert und dabei versucht, den Rest des Meetings zu verarbeiten. Hat nicht wirklich geklappt, denn während ich jetzt alles einem meiner besten Freunde erkläre, hört es sich noch immer total unwirklich an.

In den acht Monaten, in denen wir inzwischen befreundet sind, hat Oliver mich vermutlich nie so wie in diesem Moment erlebt: stotternd und atemlos und kurz davor, in Tränen auszubrechen, weil ich so überwältigt bin. Eigentlich bin ich immer stolz darauf, ruhig und gelassen zu sein, selbst wenn es nur bei meinen Freunden ist. Reiß dich zusammen, mahne ich mich im Stillen, aber, verdammt, es ist echt hart.

Sie

machen

einen Film

aus meinen Kindheitsfantasien.

„Okay“, setze ich noch einmal an, hole tief Luft und atme langsam aus. „Letzte Woche hat Benny angerufen und mich darüber informiert, dass da was laufen würde in Bezug auf die Filmrechte.“

„Ich dachte, er hätte das schon …“

„Vor Monaten angefragt“, unterbreche ich ihn. „Richtig. Es herrscht immer Ruhe vor dem großen Sturm, oder? Denn heute Morgen, als wir zu denen ins Studio gefahren sind, hat er mir von diesem total verrückten Kampf um die Rechte berichtet …“ Ich presse meine Handfläche gegen die Stirn. „Ich schwitze. Guck dir das an, ich schwitze.“

Er sieht mich an, und sein Blick wird weich, während er lacht. Dann schüttelt er kurz den Kopf, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Karton richtet, den er gerade aufschneidet. „Das ist unglaublich, Lola. Erzähl weiter.“

„Columbia und Touchstone haben gewonnen“, erläutere ich. „Wir sind bei denen im Büro gewesen, und ich habe ein paar Leute kennengelernt.“

„Und?“ Erneut schaut er mich an, während er einen Stapel Comics aus dem Karton holt. „Waren die beeindruckend?“

„Ich meine …“, stammele ich und erinnere mich daran, wie es sich angefühlt hat, als Austin seine Aufmerksamkeit nicht mehr mir widmete, sondern mit den anderen im Zimmer in einem typischen Fachjargon zu reden begonnen hat. An mir rauschten die Abkürzungen und gemurmelten Anweisungen wie Bitte check Langdons Terminplan wegen des Drehbuchauftaktes und Prüf mal, ob wir die P&L bis zum Mittag zu Mitchell schaffen können bloß so vorbei. Ich kapierte gar nichts mehr. „Na ja. Da waren einige Leute dabei, die eher still und steif waren, aber der Produzent, Austin Adams, ist wirklich total nett. Ich war so überwältigt, dass ich gar nicht weiß, wie ich das alles verarbeiten soll.“ Ich fahre mir mit beiden Händen durchs Haar und lege den Kopf in den Nacken. „Das ist alles so verrückt. Ein Film.“

„Ein Film“, wiederholt Oliver, und als ich ihn wieder ansehe, bemerke ich den rätselhaften Ausdruck in seinen warmen blauen Augen.

Er leckt sich die Lippen, und ich muss wegschauen. Oliver ist sowohl mein Exmann als auch meine derzeitige heimliche Liebe, die jedoch wohl für immer unerwidert bleiben wird: Unsere Ehe war keine wirkliche Ehe. Sie war nichts weiter als „diese Sache, die wir in Las Vegas gemacht haben“.

Wobei … die beiden anderen Paare, die sich in Vegas gefunden hatten – unsere Freunde Mia und Ansel sowie Harlow und Finn –, die sind glücklich verheiratet. Doch Oliver und ich rühmen uns gelegentlich damit (vor allem, wenn wir betrunken sind), dass wir die Einzigen sind, die diese überstürzte Hochzeit in Vegas so gehandhabt haben, wie es normale Leute tun: mit keinen weiteren Folgen als ein wenig Bedauern, einer Annullierung und einem Kater. Angesichts der emotionalen Distanz, die Oliver stets aufrechterhält, bin ich mir ziemlich sicher, dass er derjenige von uns beiden ist, dem es tatsächlich ernst ist, wenn er unsere Entscheidung von damals lobt.

„Und es ist nicht so, dass sie meinten: ‚Oh, uns gefällt die Idee, wir sichern uns die Option und überlegen mal‘“, fahre ich fort. „Nein, sie haben die Rechte gekauft und bereits einen Regisseur im Auge. Wir haben heute sogar schon über mögliche Besetzungen gesprochen. Außerdem haben sie einen Experten für Spezialeffekte, der unbedingt an dem Film beteiligt sein will.“

„Krass“, murmelt er und beugt sich vor, um mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Und wenn ich Oliver nicht so gut kennen würde, könnte ich glatt denken, dass er gerade auf meinen Mund gestarrt hat. Aber ich kenne ihn: Er schaut einfach auf jeden Teil meines Gesichts, wenn ich rede. Er ist wirklich der weltbeste Zuhörer.

Und … ich soll an dem Drehbuch mitschreiben“, berichte ich ein wenig atemlos, und er reißt die Augen auf.

„Lola. Lola, das ist ja echt voll krass!“

Während ich noch einmal alles erzähle, was heute Morgen bei dem Meeting passiert ist, fährt Oliver fort, das Paket mit den neuen Comics auszupacken. Dabei schaut er mich hin und wieder mit einem kleinen, versunkenen Lächeln an. Ich dachte, dass ich mit der Zeit irgendwann herausfinden würde, was er denkt, wie er auf etwas reagiert. Aber noch immer ist er für mich ein einziges großes Rätsel. Das Loft, das ich mir mit meiner Freundin London teile, liegt nur zwei Blocks von Olivers Comicladen entfernt, und obwohl ich ihn fast jeden Tag sehe, verbringe ich nach wie vor die Hälfte der Zeit damit, mir darüber klar zu werden, was er mit dieser oder jenen einsilbigen Antwort oder dem zögernden Lächeln sagen will. Wäre ich mehr wie Harlow, würde ich ihn einfach fragen.

„Du freust dich also darauf, deine Geschichte auf der Leinwand zu sehen, oder?“, fragt er. „Wir haben noch gar nicht darüber gesprochen. Irgendwie kam das alles so schnell. Und es gibt ja Künstler, die nicht sonderlich scharf auf eine Filmadaption sind.“

„Machst du Witze?“ Die Frage kann er nicht ernst meinen, oder? Das Einzige, was ich noch lieber mag als Comics, sind Filme, die auf Comics basieren. „Es ist überwältigend, aber großartig.“

Und dann fällt mir ein, dass in meinem Postfach schon eine E-Mail mit siebzehn Anhängen eingegangen ist, die ich „zur Information“ lesen soll, und mir wird plötzlich ganz schwindelig. „Es kommt mir ein bisschen so vor wie ein Hausbau“, füge ich hinzu. „Am liebsten hätte ich es gern schlüsselfertig, dann könnte ich mir die Sache mit dem Aussuchen der Armaturen und Türklinken ersparen.“

„Na, dann hoffen wir mal, dass sie deinen Batman nicht clooneyn“, sagt er.

Vieldeutig mit den Augenbrauen wackelnd, kontere ich: „Die können alles von mir clooneyn, Sir.“

Olivers einziger Angestellter Not-Joe – ein Kiffer mit Irokesenschnitt, den wir alle so gernhaben wie ein Herrchen sein Haustier – kommt hinter einem der Regale hervor. „Clooney ist schwul. Das wisst ihr, oder?“

Oliver und ich ignorieren ihn.

„Offen gestanden“, erkläre ich, „für den Fall, dass George Clooney jemals als Verb Eingang ins Wörterbuch findet, kommt diese Aktivität definitiv auf meine Liste der vor meinem Tod noch abzuarbeitenden Dinge.“

„Nach dem Motto ‚Bist du jemals geclooneyt worden?‘“, will Oliver wissen.

„Genau. ‚Wir sind spazieren gegangen und haben dann bis nachts um zwei geclooneyt. Gute Nacht.‘“

Oliver nickt und legt ein paar Stifte in eine Schublade. „Tja, in dem Fall muss ich das wohl auch auf meine To-do-Liste setzen.“

„Siehst du, das ist der Grund, warum wir so gute Freunde sind“, erwidere ich. In seiner Nähe zu sein hat die gleiche Wirkung wie eine Beruhigungspille. Ich kann gar nicht anders, ich werde total ruhig. „Du verstehst, dass es einfach solch ein monumentales Ding wäre, wenn man George Clooney als Verb bekommt, dass man, unabhängig davon, ob nun schwul oder nicht, ein Stück davon abhaben wollte.“

„Er ist so was von schwul“, verkündet Not-Joe diesmal etwas lauter.

Oliver gibt einen skeptischen Laut von sich und blickt zu ihm hinüber. „Glaub ich nicht. Er hat geheiratet.“

„Ehrlich?“, hakt Not-Joe nach und stützt die Ellenbogen auf dem Verkaufstresen ab. „Aber wenn er es wäre, würdest du es mit ihm treiben?“

Ich hebe eine Hand. „Ja. Auf jeden Fall.“

„Dich hab ich nicht gefragt“, antwortet Not-Joe und winkt mich fort.

„Wer ist vorn und wer hinten?“, fragt Oliver. „Also, werde ich von George Clooney geclooneyt, oder bin ich derjenige, der clooneyt?“

„Oliver“, entrüstet sich Not-Joe. „Er ist der verdammte George Clooney. Er wird nicht geclooneyt!“

„Wir verwandeln uns langsam in totale Idioten“, murmele ich.

Die beiden ignorieren mich, und Oliver zuckt schließlich mit den Schultern. „Ja, okay. Warum nicht?“

„Sprich, unser IQ wird sekündlich kleiner“, mische ich mich erneut ein.

Not-Joe tut so, als würde er jemanden bei den Hüften packen, bevor er sein Becken vor und zurück schiebt. „Das hier. Das würdest du ihn tun lassen?“

Leicht genervt zuckt Oliver noch einmal mit den Schultern. „Joe, ich habe verstanden, worüber wir hier reden. Ich weiß auch, wie Sex unter Männern abläuft. Was ich sagen wollte, ist das: Für den Fall, dass ich mal mit einem Typen zusammen sein wollte, kann ich es mir durchaus vorstellen, es mit Bad Batman zu treiben.“

Ich wedele mit der Hand vor seinem Gesicht herum. „Wir sollten uns vielleicht doch wieder auf den Teil konzentrieren, in dem die Rede davon war, dass mein Comic zu einem Film wird.“

Oliver dreht sich zu mir um, entspannt sich, und sein Lächeln ist so süß, dass ich innerlich regelrecht dahinschmelze. „Das sollten wir auf jeden Fall. Es ist absolut großartig, Lola.“ Er neigt den Kopf zur Seite und hält mich mit dem Blick aus seinen blauen Augen gefangen. „Ich bin echt verdammt stolz auf dich.“

Ich lächele und sauge dann meine Unterlippe zwischen die Zähne, weil ich nicht cool bleiben kann, wenn Oliver mich so betrachtet. Aber es würde ihn wahrscheinlich in Angst und Schrecken versetzen, wenn ich ihn anhimmeln würde; so etwas tun wir einfach nicht.

„Also, wie willst du das jetzt feiern?“, erkundigt er sich.

Ich blicke mich im Laden um, als wäre die Antwort direkt vor meiner Nase. „Hier abhängen? Ich weiß nicht. Vielleicht sollte ich ein bisschen arbeiten.“

„Nee, du bist doch in letzter Zeit ständig unterwegs gewesen, und selbst wenn du zu Hause bist, arbeitest du immer“, gibt er zurück.

Schnaubend erwidere ich: „Sagt der Typ, der jede wache Minute in seinem Laden verbringt.“

Oliver mustert mich. „Sie drehen deinen Film, Lola Love.“ Der Kosename versetzt mein Herz in helle Aufregung. „Du musst heute Abend irgendwas Tolles machen.“

„Hm, du meinst, zu Fred’s gehen?“ Das ist unser üblicher Treffpunkt. „Warum sollten wir so tun, als wären wir was Besonderes?“

Er schüttelt den Kopf. „Lass uns irgendwo in die Innenstadt gehen, damit du das Auto stehen lassen kannst.“

„Dann müsstest du doch zurück nach Pacific Beach fahren“, widerspreche ich.

Not-Joe tut so, als würde er hinter uns auf einer Geige spielen.

„Macht mir nichts aus“, sagt Oliver. „Ich glaube nicht, dass Finn und Ansel da sind, aber ich sag den Mädels Bescheid.“ Er kratzt sich sein stoppeliges Kinn. „Ich wünschte, ich könnte dich zum Essen ausführen oder so, aber ich …“

„O Gott, mach dir darüber keine Sorgen.“ Die Vorstellung, dass Oliver seinen Laden verlassen könnte, um mit mir essen zu gehen, ruft in mir Aufregung und Panik gleichermaßen hervor. Es ist ja nicht so, als würde das Gebäude in Flammen aufgehen, wenn er es mal vor Einbruch der Dunkelheit verlässt, und trotzdem gerät mein Körper sofort in helle Panik. „Ich gehe jetzt erst mal nach Hause und raste allein in meinem Zimmer aus, bevor ich mich später volllaufen lasse.“

Sein Lächeln lässt mich wieder dahinschmelzen. „Klingt gut.“

„Ich dachte, du hättest heute Abend ein Date“, meint Not-Joe zu Oliver und kommt mit einem riesigen Stapel Bücher näher.

Oliver wird blass. „Nein. Es war kein … So was ist es nicht. Wir sind nicht …“

„Ein Date?“ Ich spüre, dass ich automatisch die Brauen hebe, während ich den Knoten in meinem Magen zu ignorieren versuche.

„Nein, so ist das nicht“, beharrt er. „Ist nur das Mädel von gegenüber, das …“

„Hard Rock Allison“, trällert Not-Joe.

Mir rutscht das Herz in die Hose. Das ist nicht „nur das Mädel von gegenüber“, sondern eine Frau, über die wir alle bereits das ein oder andere Mal geredet haben, weil sie ein ausgesprochenes Interesse an Oliver zeigt. Ich gebe mir dennoch die größte Mühe, total cool und positiv zu reagieren.

„Nun hör auf!“, rufe ich und versetze Oliver einen Schlag auf die Schulter, ehe ich mit einem grauenhaft übertriebenen französischen Akzent hinzufüge: „Ein ganz heißes Date.“

Grimmig mustert er mich, wobei er seine Schulter reibt und so tut, als würde es richtig wehtun. Dann nickt er zu Not-Joe. „Sie wollte uns beiden was zu essen mitbringen, hierher in den Laden …“

„Ja, ja, damit sie dich knallen kann“, wirft Not-Joe ein.

„Oder einfach, weil sie nett ist“, widerspricht Oliver in herausforderndem Ton. „Wie auch immer. Ich möchte viel lieber losziehen und Lolas Film feiern. Ich schicke Allison eine Nachricht und gebe ihr Bescheid.“

Ich bin sicher, dass Hard Rock Allison eine nette Frau ist, aber die Tatsache, dass Oliver ihre Handynummer hat, dass er ihr mal eben schnell eine SMS schicken kann, um die Pläne, die sie gemacht haben, zu ändern – das lässt in mir den Wunsch aufkeimen, dass sie von einem Zug überfahren werden möge. Es sind die typischen Horrorszenarien, die man sich für die neue Freundin des Ex vorstellt. Allison ist hübsch, kontaktfreudig und so winzig, dass sie in meine Tasche passen würde. Es ist das erste Mal, dass ich damit konfrontiert werde, dass Oliver sich verabreden könnte, das erste Mal, dass unsere Freundschaft einer derartigen Feuerprobe unterzogen wird … jedenfalls, soweit ich weiß. Wir haben geheiratet und waren bereits innerhalb von vierundzwanzig Stunden wieder geschieden. Es ist ganz klar, dass er nie wirklich auf mich stand, aber wir haben noch nie über Verabredungen mit anderen Leuten gesprochen.

Wie soll ich damit jetzt umgehen?

Cool, entscheide ich nach kurzem Nachdenken. Freu dich für ihn.

„Du solltest definitiv einen neuen Termin mit ihr ausmachen“, sage ich und bemühe mich krampfhaft um ein echt wirkendes Lächeln. „Sie ist niedlich. Nimm sie mit ins Bali Hai, der Laden ist echt nett.“

Er schaut mich an. „Da will ich schon lange mal hin; du findest es dort ja so toll. Du solltest mitkommen.“

„Oliver, du kannst mich doch nicht auf ein Date mitnehmen!“

Hinter seiner Brille reißt er die Augen auf. „So ist das nicht. Ich würde nicht … Nein, würde ich nie im Leben“, stammelt er. Schnell fügt er hinzu: „Lola. Es wäre verdammt noch mal kein Date.“

Okay, anscheinend steht er doch nicht auf Allison. Der Knoten in meinem Magen löst sich, und ich muss angestrengt auf den Verkaufstresen starren, um nicht breit zu grinsen.

Nachdem ich ein paarmal tief Luft geholt habe, gelingt es mir auch.

Ich sehe ihn wieder an und stelle fest, dass er mich noch immer mustert. Sein Gesichtsausdruck ist so ruhig wie die Oberfläche eines Sees in einem Canyon.

Was denkst du? würde ich ihn am liebsten fragen.

Was ich aber natürlich nicht tue.

„Lola“, beginnt er.

Ich schlucke und kann es mir nicht verkneifen, seinen Mund zu betrachten – aber wirklich nur für einen winzigen Augenblick. Ich liebe seinen Mund. Es ist ein breiter Mund; seine Unter- und Oberlippe haben dieselbe Größe. Sie sind voll, doch nicht feminin. Ich habe diesen Mund schon Hunderte Male gezeichnet: mit kaum geöffneten Lippen, mit zusammengepressten Lippen. Mit Lippen, die sich zu einem kleinen Lächeln heben oder die grimmig oder nachdenklich verzogen sind. Mit geöffneten Lippen, die die Zähne entblößen oder, einmal, wie er seinen Mund zu einem obszönen Keuchen öffnet.

Ich schaffe es gerade einmal, bis zwei zu zählen, ehe ich ihm wieder in die Augen sehe. „Ja?“

Es dauert eine Ewigkeit, ehe er weiterspricht, und als er es endlich tut, sind mir schon eine Million Möglichkeiten durch den Kopf geschossen, was er gleich sagen wird.

Hast du jemals daran gedacht, mich zu küssen?

Was hältst du davon, wenn wir nach hinten ins Büro gehen und es dort miteinander treiben?

Stattdessen fragt er einfach nur: „Was meinte Harlow, als du ihr von dem Film erzählt hast?“

Ich hole tief Luft und verscheuche all die Bilder aus meinem Kopf, in denen er sich vorbeugt und seinen Mund auf meinen presst. „Oh, die wollte ich jetzt gleich anrufen.“

Und dann wird mir die Bedeutung meiner eigenen Worte klar.

Olivers Augenbrauen schießen hoch, und neben ihm gibt Not-Joe einen so panischen Laut von sich, dass ich schon fürchte, hinter mir stehen die Cops an der Tür oder – schlimmer – wir werden alle von Harlow ermordet … Und das ist allein meine Schuld.

„Oh, Scheiße, warum habe ich das getan?“, frage ich entsetzt und presse eine Hand auf den Mund. Harlow ist nach meinem Dad immer die Erste, der ich etwas erzähle. Sie wird mich umbringen, wenn sie erfährt, dass ich zuerst hierhergekommen bin. „Was habe ich mir bloß dabei gedacht, dir erst davon zu berichten?“ Ich mache einen Schritt auf die beiden zu und setze eine drohende Miene auf. „Wehe, ihr verratet Harlow, dass ihr vor ihr davon erfahren habt und dass ich bereits seit einer …“

„Halben Stunde hier bist“, ergänzt Not-Joe hilfsbereit.

„Eine halbe Stunde!“, rufe ich aus. „Sie wird uns in kleine Stücke hacken und uns in der Wüste begraben!“

„Fuck, dann ruf sie sofort an“, weist Oliver mich an und zeigt mit dem Finger auf mich. „Ich habe keine Lust, einer Axt schwingenden Harlow zu begegnen.“

2. Kapitel

OLIVER

„Seit wann weißt du davon, Oliver?“

Ich blicke über den Tisch und grinse. „Seit wann weiß ich was, Harlow?“

„Lass den Scheiß.“ Sie sieht schnell zur Seite, um sich davon zu überzeugen, dass Lola noch immer an der Bar steht. „Seit wann weißt du, dass über die Filmrechte verhandelt wurde und die Produktion gleichzeitig grünes Licht bekommen hat?“

Sie schaut zwischen Joe und mir hin und her und wartet, doch Joe beugt sich über seinen Burger und beißt herzhaft ab, sodass es an mir hängen bleibt, darauf zu antworten.

„Seit heute“, gebe ich ausweichend zurück. Ist natürlich eine bescheuerte Antwort, denn selbst Lola hat es ja erst heute Morgen erfahren. Harlow will die genaue Uhrzeit wissen.

Jetzt kneift Harlow die Augen zusammen und mustert mich. Sie muss sich allerdings eine scharfe Nachfrage verkneifen, da Lola mit einem Tablett voller Shots in der Hand zurückkehrt. Lola betrachtet mich und schenkt mir ein kleines, geheimnisvolles Grinsen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie weiß, dass sie das macht. Ihre Mundwinkel heben sich leicht, sie senkt den Kopf ein wenig, und dann blinzelt sie langsam, so als hätte sie mich gerade in einem Foto verewigt. Und wenn sie es hätte, würde auf dem Bild ein Mann erscheinen, der unfassbar liebeskrank ist.

Es gibt da eine Szene in Amazing Spider-Man 25, in der Mary Jane Watson erstmals auftaucht. Ihr Gesicht bleibt sowohl dem Leser als auch Peter Parker verborgen, und bis zu diesem Zeitpunkt kennt Peter sie nur als das Mädchen, mit dem er auf Wunsch seiner Tante ausgehen soll, als „dieses nette Watson-Mädchen von nebenan“.

Peter ist nicht interessiert. Wenn seine Tante sie mag, dann ist Mary Jane definitiv nicht sein Typ.

In Ausgabe 42 bekommt man ihr Gesicht zu sehen, und da wird Peter klar, wie erstaunlich sie ist. Es ist wie ein Schlag in die Magengrube: Peter hat sich wie ein Idiot verhalten.

Diese Analogie ist so gut wie jede andere, um meine Beziehung zu Lorelei Castle zu beschreiben. Genau dreizehneinhalb Stunden lang war ich mit Lola verheiratet, und wäre ich ein klügerer Mann, dann hätte ich vielleicht die Chance ergriffen, als sie sich mir bot. Stattdessen habe ich angenommen, sie wäre nicht mein Typ – nur weil sie ein kurzes Kleid trug und sich in Vegas volllaufen ließ.

Aber ein paar Stunden später waren wir alle betrunken … und aus einer Laune heraus alle verheiratet. Während unsere Freunde die Hotelzimmer entweihten – und einander –, sind Lola und ich meilenweit spazieren gegangen und haben über Gott und die Welt geredet.

Es ist leicht, mit Fremden Geheimnisse auszutauschen, und noch leichter, wenn man betrunken ist, daher fühlte ich mich ihr mitten in der Nacht ziemlich nahe. Irgendwann hatten wir die blinkenden Lichter des Strips hinter uns gelassen und waren bis in die zwielichtigen Ecken der Stadt vorgedrungen. Lola blieb stehen und schaute mich an. Das winzige diamantene Marilyn-Piercing über ihrer Lippe reflektierte das Licht, und wie verzaubert starrte ich auf ihren weichen rosigen Mund, von dem längst die letzten Spuren von Lippenstift verschwunden waren. Ich war inzwischen schon wieder ziemlich nüchtern und dachte bereits darüber nach, wie wir das mit der Annullierung am nächsten Tag am besten regeln sollten, als sie mich leise fragte, ob wir uns vielleicht irgendwo ein Zimmer nehmen sollten. Gemeinsam.

Doch … ich wollte das nicht. Ich wollte es nicht, weil mir zu dem Zeitpunkt, als sie das fragte, bereits bewusst war, dass sie nicht zu den Frauen gehörte, die sich auf einen One-Night-Stand einlassen. Lola war die Art von Frau, in die ich mich verlieben könnte.

Kaum war sie allerdings zurück in San Diego, geriet ihr Leben aus den Fugen. Als Erstes wurde ihre Graphic Novel Razor Fish publiziert und schnellte innerhalb kürzester Zeit auf sämtlichen Bestsellerlisten der Comic-Szene nach oben. Und dann wurde ihr Buch noch viel bekannter und lag plötzlich in allen großen Läden. Die New York Times nannte es „die nächste große Actionserie.“ Die Rechte an ihrem Buch sind gerade an eins der großen Filmstudios verkauft worden, und heute hat sie sich mit den Produzenten getroffen, die bereit sind, Millionen in dieses Projekt zu stecken.

Ich bin mir nicht sicher, ob sie auch nur eine Millisekunde Zeit hat, um über ihr Liebesleben nachzudenken, aber das macht nichts; ich denke genügend für uns beide darüber nach.

„Ich weiß nicht, wer sich diese neue Sitte ausgedacht hat, dass das Geburtstagskind seinen eigenen Kuchen anschneidet“, meint Lola nun und schiebt mir ein Glas mit einer sehr fragwürdig aussehenden grünen Flüssigkeit zu, „oder diese Variante, bei der das Mädel, dessen Film gedreht werden soll, dazu verdonnert wird, die Shots zu bezahlen. Aber ich bin kein Fan dieser Tradition.“

„Nein“, widerspricht Mia ihr, „es ist das Mädel, das bald nach Hollywood abhaut, das die Shots spendieren muss.“

„Als Strafe“, ergänzt Harlow. „Schon mal im Voraus.“

Wir alle wenden uns Harlow zu und werfen ihr skeptische Blicke zu. Im Gegensatz zu uns anderen ist Harlow quasi ein Geschöpf Hollywoods. Angesichts der Tatsache, dass sie von einer Mutter großgezogen wurde, die Schauspielerin ist, und von einem Vater, der als Kameramann bereits einen Oscar gewonnen hat, und dass sie außerdem mit einem Mann verheiratet ist, der kurz davor ist, zu einem Star im Adventure-Channel zu werden, denken wir vermutlich alle dasselbe über sie: Wenn die Verwurzelung in Hollywood ausschlaggebend dafür ist, wer die Rechnung übernimmt, dann sollte Harlow die Shots bezahlen.

Als würde sie unsere Gedanken erraten, macht sie eine abwehrende Handbewegung und sagt: „Seid still. Ich übernehme die nächste Runde.“

Wir heben unsere Gläser, und Harlow verkündet den Trinkspruch: „Auf das härteste aller harten Mädchen, auf Lorelei Louise Castle. Du wirst Hollywood verdammt noch mal erobern, Baby!“

„Hört, hört“, rufe ich, und noch einmal schaut Lola zu mir und grinst mir verschwörerisch zu.

Wir stoßen miteinander an – Harlow, Mia, Joe, Lola, London und ich –, kippen die Shots runter, bevor wir alle gemeinsam erschaudern.

Lolas Mitbewohnerin London ächzt gequält: „Grüner Chartreuse.“ Sie hustet, und ihre blonde unordentliche Hochsteckfrisur gerät gefährlich ins Wanken, als sie den Kopf schüttelt. „Das Zeug sollte verboten werden.“

„Es ist wirklich eklig“, stimme ich ihr zu.

„Ich habe dem Barkeeper gesagt, er soll einen Celebration mixen. Schließlich haben wir ja was zu feiern“, erklärt Lola und verzieht das Gesicht, ehe sie sich mit dem Handrücken über den Mund fährt. „’tschuldigung. Ich hab das Gefühl, ich bräuchte jetzt erst mal ’ne Dusche.“

Mia hustet ebenfalls. „Der Typ scheint Feiern mit Schmerzen gleichzusetzen.“ Sie klaut sich mein Bier und trinkt einen großen Schluck, ehe sie sich wieder zu Lola umdreht. Ich bin so selten mit Mia unterwegs, ohne dass Ansel an ihrer Seite klebt, dass es mal ganz nett ist, sie allein und aufgeregt plappernd zu erleben. Sie ist so ein zartes Persönchen, so wie man sich eine kleine Schwester vorstellt. „Na schön, dann schieß mal los, Miss Extravagant. Erzähl uns alles über deinen denkwürdigen Morgen.“

Lola seufzt, nippt an ihrem Wasserglas, ehe sie mit großen Augen und offensichtlich noch immer völlig fassungslos mit den Achseln zuckt. „Ehrlich, Leute, was ist das für ein Leben?“

Ich lehne mich zurück und höre verliebt zu, während Lola den anderen alles berichtet, was ich bereits gehört habe. In Wahrheit könnte ich es vermutlich hundertmal hören und würde es trotzdem nicht so richtig begreifen. Wie muss es ihr dann erst gehen?

Lola, die selbst zugibt, dass sie mehr Zeit damit verbringt, mit den Leuten zu kommunizieren, die in ihrem Kopf herumspuken, als mit den Menschen um sie herum, ist wirklich genial. Soweit es geht, versuche ich, meine Begeisterung für ihre Arbeit im Zaum zu halten, weil ich weiß, dass sie ihren Ursprung zum Teil in meiner Zuneigung für Lola hat. Und überhaupt, ich kann ihr ja nicht ständig vorbeten, dass diese Autorin ein verdammtes Genie und einer der cleversten und heißesten Menschen ist, die ich kenne. Aber sooft es geht, schwärme ich meinen Kunden von Lolas Buch vor und betone, dass es eine völlig unverbrauchte Story ist und etwas, was ich nie zuvor gelesen habe, während es sich gleichzeitig vertraut anfühlt.

Razor Fish weckt in mir das gleiche Kribbeln, das ich damals verspürt habe, als ich als Kind meinen ersten Comic beim Zeitungshändler um die Ecke gekauft habe. Ich war besessen von der Stärke, den Kämpfen und der Kraft einer Geschichte, die in Worten und Bildern erzählt wurde. Im Alter von elf Jahren war ich der größte und schlaksigste Junge in meinem ersten Jahr auf der Highschool und bekam prompt den passenden Spitznamen – „Stickboy“ – von den Rüpeln in der Klasse. Selbst als meine Klassenkameraden einige Jahre später größenmäßig zu mir aufgeschlossen hatten, blieb der Name hängen. Da hatte ich die anderen Jungs aber schon zu lange überragt und hatte außerdem angefangen, überall mit dem Rad hinzufahren. Ich war nicht länger dünn, ich war eher kräftig und im Schulsport kaum zu schlagen. Stickboy war der Name eines Superhelden, nicht der eines Feiglings.

Nun schaue ich Lola an und staune darüber, wie ähnlich wir uns sind. Eine einsame Kindheit hat aus uns introvertierte, aber gleichzeitig ehrgeizige Erwachsene gemacht. Und Comics waren und sind in unser beider Leben mitunter das Wichtigste.

Während sie noch immer völlig berauscht von ihrem neuen Abenteuer ist, von den surrealen Büros berichtet, über den steifen Beginn ihres Meetings und Austins explosionsartigen Auftritt lacht, habe ich das Gefühl, mich ein wenig zurücknehmen zu müssen. Ich greife nach meinem Bier und trinke einen Schluck.

Das muss erst einmal alles verarbeitet werden. Es ist wahr: Lolas Leben wird sich jetzt verändern. Was bisher eigentlich mehr oder weniger eine Leidenschaft für sie war, entwickelt sich allmählich zu einem Beruf. Einem Beruf, der Spannungen und Probleme mit sich bringen wird, die ich vermutlich besser nachvollziehen kann, als sie vermutet. Lola ist zwar total talentiert, wurde allerdings bisher auch sehr behütet. In Hollywood können Träume wahr werden, es geht dort aber auch hart und rücksichtslos zu. Ich kämpfe gegen das Bedürfnis an, mich in dieser Situation noch mehr um Lola zu kümmern. Ich habe echt Angst, dass sie zerbrechen oder dass ihre wunderbare Kreativität womöglich leiden könnte – dieser Teil von ihr, der diese tolle Geschichte erst möglich gemacht hat –, und ich bin mir nicht sicher, ob der Traum von Hollywood es wirklich wert ist, all das dafür zu opfern.

Ich verspüre den Wunsch, sie zu beschützen, ihr zu sagen, dass sie auf die Stimmen in ihrem Kopf hören soll, denn für Lola sind diese Stimmen sehr viel realer als die meisten anderen „echten“ Stimmen in ihrem Leben, und so war das schon seit ihrer Kindheit. Bei mir war es genauso. Ich bin ohne Geschwister aufgewachsen und auch ohne Eltern, einfach, weil sie nie da waren. Meine Großeltern haben irgendwann die Vormundschaft für mich übernommen. Damals war ich acht und weit mehr an Superman und Batman interessiert als an dem, was Gran sich tagsüber im Fernsehen ansah, oder an den Leuten, die im Laden meines Großvaters ein und aus gingen.

Gerade als Lola zum Ende ihrer Geschichte kommt – dem Teil, als die logistischen Details bei ihr das Gefühl auslösten, als würde das alles auf sie einprasseln, weil sie wegen all der Fachausdrücke kaum noch etwas verstand –, leuchtet ihr Smartphone auf, das vor ihr auf dem Tisch liegt. Sie wirft einen Blick darauf und rutscht dann auf der Bank zurück, ehe sie mich mit großen Augen anschaut. „Es ist Austin.“

Dass sie direkt mich ansieht – nicht Harlow, London oder Mia –, wärmt mein Herz; es ist wie ein Funke, der die Dunkelheit in den Tiefen meiner Brust vertreibt.

„Geh ran“, dränge ich sie und nicke zum Telefon.

Sie fummelt daran herum und lässt es fast auf den Boden fallen, ehe sie in letzter Sekunde die Verbindung mit einem atemlosen „Hallo?“ herstellt.

Leider ist es mir nicht vergönnt, die andere Seite der Unterhaltung zu verfolgen, daher weiß ich nicht, was sie dazu bringt, zu erröten und zu lächeln, bevor sie sagt: „Hallo Austin. Tut mir leid, nein. Ich hätte es fast nicht geschafft, den Anruf rechtzeitig entgegenzunehmen.“

Sie hört aufmerksam zu, und wir alle starren sie an, während wir ihr schamlos lauschen. „Ich bin noch immer völlig von den Socken“, erzählt sie ihm, „aber es ist alles okay …“ Sie hebt den Blick und schaut alle am Tisch an. „Ja, ich bin mit Freunden unterwegs … Nur in einer Bar bei uns in der Nachbarschaft … In San Diego!“ Sie lacht. „Das wäre eine absurd lange Fahrt, Austin!“

Was soll der Scheiß?

Ich betrachte Harlow, die sich im selben Moment zu mir herumdreht und anscheinend dasselbe denkt wie ich. Der kommt doch jetzt wohl nicht noch angefahren, oder? Ich schaue auf die Uhr. Es ist fast zehn Uhr abends, und es würde zwei Stunden dauern.

„Ich bin auch ganz aufgeregt“, meint Lola und spielt mit ihrem Ohrring. „Na ja, ich habe ja noch nie ein Drehbuch geschrieben, daher möchte ich einfach nur nützlich sein …“ Sie kichert, nachdem er geantwortet hat.

Kichern.

Wieder sehe ich schnell zu Harlow.

Lola kichert mit uns. Sie kichert nicht mit Menschen, die sie erst vor ein paar Stunden kennengelernt hat. Mit Ausnahme meiner Wenigkeit … damals in Las Vegas – und ehrlich, ich würde mir verdammt noch mal sehr wünschen, dass das eine einmalige Situation war und bleibt.

„Ich kann es kaum erwarten, sie zu hören … Nein, werde ich nicht. Andere Meinungen sind gut … Ich weiß, tut mir leid. Es ist so laut hier … Okay, mach ich.“ Sie nickt. „Mach ich! Versprochen!“ Fuck, jetzt kichert sie schon wieder. „Okay … Okay, bis dann.“

Sie beendet das Gespräch und atmet tief durch, bevor sie zu mir sieht. „Das war Austin.“

Ich lache. „Das habe ich mitbekommen.“ Obwohl ich auf einmal einen merkwürdigen Kloß im Hals habe, verstehe ich, wie aufregend es sein muss, sich sofort mit dem Menschen zu verstehen, der für die wichtigste kreative Arbeit in ihrem bisherigen Leben verantwortlich ist.

„Er kommt jetzt aber nicht aus L. A. angereist, oder?“, fragt London mit – wenn ich mich nicht sehr täusche – einem misstrauischen Unterton.

Ich habe London schon immer gemocht!

„Nein, nein“, erwidert Lola und grinst. „Er hat das nur im Scherz gesagt.“

Einen Moment lang sitzen wir alle da und starren sie an.

Harlow ist die Erste, die das Schweigen bricht. „Warum zum Henker hat er dann überhaupt angerufen?“

Überrascht schaut Lola auf. „Oh. Äh, er wollte sich bloß vergewissern, dass es mir nach dem Meeting gut geht … und um mir zu erzählen, dass er sich schon Gedanken darüber macht, wie man den ersten Teil filmisch umsetzt.“

„Den ersten Teil?“, wiederhole ich.

Sichtlich überwältigt schüttelt sie den Kopf, und eine lange Haarsträhne bleibt an ihrem Lippenstift hängen. Ich kann gar nicht anders; ich strecke die Hand aus, um sie ihr aus dem Gesicht zu streichen. Doch Lola hebt ihre ebenfalls und ist schneller als ich.

Hastig lasse ich meine Finger sinken und spüre, wie Harlow mich beäugt, aber ich kann den Blick nicht von Lola lösen, die so aussieht, als würde sie gleich in Panik geraten.

„Heilige Scheiße, Oliver.“

Neben uns greift London nach ihrem Telefon. „Ich werde diesen Austin Adams mal googeln.“

Ich habe sie schon immer wirklich gemocht.

„Den ersten Teil?“, wiederhole ich etwas sanfter.

„Er meinte, dass das Studio sich durchaus drei Filme vorstellen kann.“ Sie quietscht geradezu. „Und er hat ein paar Ideen, über die er mit mir sprechen will.“

Harlow flucht, Mia jubelt, Joe grinst sie an, aber Lola bedeckt ihr Gesicht mit den Händen und stößt einen leichten Panikschrei aus.

„Ach, du Scheiße!“, ruft London plötzlich. „Dieser Typ ist so was von heiß!“ Sie dreht ihr Handy herum, damit wir alle das Bild sehen können.

Okay, vielleicht mag ich London doch nicht so sehr, wie ich gedacht hatte.

Ohne auf London einzugehen, erinnere ich Lola: „Das ist doch gut.“ Während ich ihr sanft die Hände vom Gesicht ziehe, platze ich heraus: „Will er das sofort mit dir bereden? Musst du morgen schon wieder nach L. A.?“

Sie schüttelt den Kopf. „Ich denke, irgendwann am Telefon. Ich meine, ich kann mir kaum vorstellen, an einem Drehbuch mitzuwirken, geschweige denn an drei Drehbüchern“, sagt sie und presst die Fingerspitzen gegen ihre Lippen.

„Zusammenarbeit, darum geht es hier doch“, erinnere ich sie. „Hat Austin das nicht heute Morgen zu dir gesagt?“ Dass sie jetzt so nervös ist, hilft mir, meine eigene Beklommenheit unter Kontrolle zu halten. „Vielleicht kannst du im zweiten und dritten Film bereits viel mehr beisteuern, aber das ist doch toll, oder?“

Sie nickt und scheint meine Zuversicht zu schätzen. Dann lässt sie jedoch die Schultern wieder hängen und lacht leise und niedergeschlagen. „Ich weiß nicht, wie ich das alles auf die Reihe kriegen soll.“

Ich spüre, wie sie ihre zitternde, feuchte Hand auf meine legt.

„Das schreit geradezu nach mehr Alkohol“, verkündet Harlow völlig unbeeindruckt, und aus dem Augenwinkel bekomme ich mit, dass sie aufsteht, um eine neue Runde Shots zu besorgen.

Joe tätschelt Lolas Rücken. „Lola, du bist der Diamant in einem Haufen Steine. Du wirst sie alle rocken.“

Ich nicke und stimme ihm zu. „Du schaffst das. Niemand kennt diese Geschichte besser als du. Du bist da, um die Richtung vorzugeben. Sie sind die Experten, was die filmische Seite angeht.“

Sie atmet aus, und ihre weichen Lippen formen ein süßes O. Es sieht aus, als würde sie sich an meinen Blick klammern müssen, um nicht zusammenzubrechen. Weiß sie, wie sehr ich mir wünsche, ihr Fels in der Brandung zu sein?

„Okay“, sagt sie. „Okay.“

Im Laufe des Abends kippen wir alle jeder fünf Shots herunter und kommen von Lolas verrücktem Tag zu einer wilden Debatte darüber, wie der Weltuntergang wohl aussehen wird. Wie gewöhnlich verdanken wir dieses Thema Joe, aber wenigstens scheint Lola jetzt wieder abgelenkt und glücklich zu sein. Sie kichert unglaublich niedlich vor sich hin, als ein absurder Vorschlag den nächsten jagt – Zombies, elektromagnetische Wellen, Invasion von Aliens.

„Ich sage euch, es wird an den verdammten Viechern liegen“, erklärt Joe uns und schafft es gerade noch, Harlows Weinglas nicht umzukippen, als er mit einer Handbewegung die totale Vernichtung andeutet. „Irgendeine Art von Rinder- oder Schweinegrippe. Vielleicht auch irgend so eine Vogelseuche.“

„Tollwut“, sagt Mia und nickt mit der typischen Langsamkeit einer Betrunkenen.

„Nein, nicht Tollwut“, widerspricht Joe und schüttelt den Kopf. „Irgendwas, was wir noch gar nicht kennen.“

„Du bist echt so ’n richtiger Sonnenschein.“ London bohrt ihm einen Finger in die Schulter, und er dreht sich zu ihr um.

„Es ist eine Tatsache“, erklärt er. „Die verschissenen Hühner werden unser Verderben sein.“

Lola hält sich eine Fingerspitze an die Schläfe und tut so, als würde sie abdrücken, bevor sie ihren Tod vortäuscht, indem sie sich auf mich fallen lässt. Ihr Haar streift meinen Arm, da ich nur ein kurzärmliges T-Shirt trage, und zum ersten Mal kämpfe ich nicht gegen den Drang an, es zu berühren. Ich lege meine Hand auf ihren Hinterkopf und lasse meine Finger durch ihr Haar gleiten.

Sie wendet sich mir zu und schaut mich an. „Oliver muss betrunken sein“, verkündet sie etwas undeutlich, obwohl ich der Einzige zu sein scheine, der sie hört.

„Wie kommst du darauf?“, frage ich. Mein Lächeln erscheint ganz automatisch; instinktiv reagiere ich auf ihre Nähe.

„Weil du mich berührst“, meint sie leise.

Ich lehne mich zurück, um sie besser betrachten zu können. „Ich berühre dich doch häufig.“

Sie schüttelt den Kopf, der erst noch über meinen Arm rollt, ehe er wieder gegen die Rücklehne der Bank sinkt. „Wie ein Kumpel. Das eben war mehr wie ein Lover.“

Mein Blut beginnt zu kochen. Wenn sie wüsste! „Echt?“

„Mm-hmm.“ Sie sieht müde aus, ihr fallen schon die Augenlider zu.

„Das tut mir leid, Lola Love“, antworte ich und streiche ihr den Pony aus der Stirn.

Noch einmal schüttelt sie theatralisch den Kopf. „Muss dir nicht leidtun. Du bist mein Held.“

Ich lache, doch sie setzt sich abrupt auf und verkündet: „Ich meine es ernst. Was würde ich ohne dich tun?“ Sie zeigt auf Harlow. „Sie ist verheiratet.“ Sie zeigt zu Mia. „Und sie ist auch verheiratet.“

London mischt sich in unser Gespräch ein. „Ich bin nicht verheiratet.“

„Nein“, gibt Lola zu und schenkt ihr ein breites, betrunkenes Grinsen. „Aber du bist immer am Surfen. Oder schenkst Drinks an der Bar aus. Oder weist alle Männer ab.“

Joe nickt, und London gibt ihm einen spielerischen Klaps auf die Brust.

„Also ist Oliver mein Held“, fährt sie fort und dreht sich wieder zu mir herum. „Mein Fels in der Brandung. Mein Peilsender.“ Sie zieht die Brauen zusammen. „Blitzableiter?“

„Resonanzkörper“, flüstere ich.

„Genau.“ Sie schnippt mit den Fingern. „Genau das.“ Lola senkt die Stimme und beugt sich zu mir vor. So nahe, dass ich akutes Herzflattern bekomme. „Wehe, du verlässt mich jemals.“

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