×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Das Universum in der Westentasche – Die große Welt der kleinen Dinge«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Das Universum in der Westentasche – Die große Welt der kleinen Dinge« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Das Universum in der Westentasche – Die große Welt der kleinen Dinge

Als Buch hier erhältlich:

»Wie groß ist das kleinste Buch der Welt, und wie in aller Welt schlägt man es auf?« – Kultautor Simon Garfield über die Macht und Magie von Miniaturen

Ob Rod Stewarts Modelleisenbahn, Hamburgs erster Flohzirkus, das Puppenhaus der Queen, die Freiheitsstatue im Stecknadelkopf – seit jeher üben Miniaturen eine magische Faszination auf die Menschen aus. Nicht, weil sie klein sind, sondern weil sie die Welt im Kleinen abbilden und somit erfassbar machen. Der Blick auf das Kleine verleiht uns Macht – man denke nur an die ersten Besucher, die 1889 auf dem Eiffelturm standen und die Metropole unter sich auf einmal aus der Vogelperspektive erlebten; oder an Kinder, die wie riesenhafte Eroberer durch die schrulligen Modellstädte torkeln, die so manche Minigolfanlage breithält.

Simon Garfield nimmt uns mit auf eine Reise durch die Universen der kleinsten Dinge der Welt: von der Entwicklung des Souvenirs in Frankreich zu den eigensinnigen Büchersammlern, die ihre Lesebrillen durch Mikroskope getauscht haben; von den Schiffsmodellen der Kolonialzeit, die maßgeblich zur Abschaffung des Sklavenhandels beitrugen, bis in die flirrende Lichterstadt Las Vegas.

Wir staunen über die Vielfalt der kleinsten Dinge entdecken auf einmal auch das Große, das in ihnen steckt. Denn Miniaturen stärken nicht nur unseren Sinn für Ordnung in unsicheren Zeiten, sondern eröffnen uns eine völlig neue Sicht auf eine sich wandelnde Welt.

  • »Faszinierend!« The Guardian
  • »Eine fesselnde Studie über unsere Sehnsucht nach Miniaturen – gefüllt mit bizarren Geschichten und scharfen Einsichten. Das Universum in der Westentasche ist nicht nur höchst unterhaltsam, sondern sehr bewegend.« Observer
  • »Für alle, die sich auf die eher abseitigen Pfade menschlicher Errungenschaften begeben wollen, gibt es in diesem Kompendium einiges zu entdecken.« The Times
  • »Unwiderstehlich!« Spectator
  • »Auf so kleinem Raum allerdings ein so breites Spektrum unterzubringen, […] das erzeugt kein kleines, sondern eher ein universales Staunen.« Buchkultur, 6/2020, S. 61

  • Erscheinungstag: 24.11.2020
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959673532

Leseprobe

Für Justine

»Wenn man etwas erschafft, das einen halben Zentimeter groß ist, ist es wahrscheinlicher, dass man einen Hauch des Universums einfängt, als wenn man sich am ganzen Himmel versucht.«

Albert Giacometti

»Das Einzige, was besser wird, je größer es ist, ist der Penis.«

George Lois

Ein Königreich zu ihren Füßen: Prinzessin Elizabeth beim Besuch des Miniaturdorfs Bekonscot in den 1930er-Jahren

EINLEITUNG

DIE KUNST DES SEHENS

Vor nicht allzu langer Zeit war es die Größe, die zählte. Maxipackungen galten als Schnäppchen, Kaufhäuser erweiterten ihr Sortiment, und der Staat Texas brüstete sich damit, dass dort alles größer sei. Die Encyclopaedia Britannica enthielt das gesamte Wissen der Welt und füllte ein Sechstel der Regalfläche eines Wohnzimmers.

Dann wurde »klein« zum Trend. Der Zwergpudel. Der Mini. Edle kleine Läden. Die Nouvelle Cuisine. Der kleine, aber feine Club. Der stapelbare Stuhl.

Im Zeitalter der Technologie musste alles noch kleiner sein: der Mikrochip, die Mikrowelle, Ohrstöpsel zum Musikhören, 1.000 Songs in der Hosentasche, die Nanosekunde, der Mini-Burger.

Etwas später – und so kommen wir zur heutigen Zeit – sind die Dinge plötzlich wieder groß. Der Flachbildfernseher. Der Airbus A380. Das gewaltige Ausmaß unserer weltweiten Wirtschafts- und Sicherheitsdilemmata. Dwayne Johnson.

Größe ist das eine, Maßstab das andere. In diesem Buch geht es um den Maßstab. Es handelt davon, wie sich die Welt im Kleinen auf die Welt im Großen auswirkt. Wie wir sehen und bewerten und zu welchen Einsichten uns das führt. Wir verkleinern Dinge, um sie zu verstehen und wertzuschätzen. Manches, was wir in seinem vollen Umfang kaum erfassen können – ein Gebäude beispielsweise oder ein Krieg –, wird im Maßstab 12:1 greifbar. Künstler – Bildhauer, Bühnenausstatter, Dichter – arbeiten mit Miniaturen, weil sie leicht in der Hand liegen und zur Mitwirkung anregen, und ich hoffe, dass dieses Buch den gleichen Effekt hat.

Dies ist auch ein Buch über die Lust am Betrachten – eine Würdigung. Miniaturen helfen uns, größere Strukturen zu verstehen. Ein Stellwerk einer Modelleisenbahn wird so genau beäugt, wie es bei der normal großen Anlage nur selten der Fall wäre. Bevor wir auf dem Mond landeten, hielt sich mindestens ein Wissenschaftler der NASA an die britische Fernsehserie Thunderbirds, um sich von den Marionetten und Raketen in schweren Zeiten auf neue Ideen bringen zu lassen.

Architekten zukünftiger Städte müssen erst Modellbauten erstellen, und oft bleiben diese Modelle der einzige Beleg dafür, dass sie je einen Versuch gestartet haben.

Nicht alle Miniaturen, die wir auf den folgenden Seiten kennenlernen werden, sind klein. Die Modelleisenbahn in Hamburg nennt sich stolz die größte der Welt. Das Venetian Hotel in Las Vegas mit seiner funktionstüchtigen Gondel für die romantisch Anspruchslosen verfügt über 4000 Betten. Aber alles ist verhältnismäßig klein im Vergleich zu der Sache, deren Abbild es darstellt.

Das Wort »Miniatur« stammt aus der Welt der Bücher, doch bekannt wurde es durch die Kunst. Es entwickelte sich vor der Erfindung der Druckerpresse, als Bücher von Hand geschrieben und illustriert wurden, aus dem italienischen Wort miniatura, das wiederum vom lateinischen miniare abstammte – »mit Zinnober bemalen«. Vor dem 16. Jahrhundert wurde der Begriff kaum verwendet, bis er mit der Buchmalerei in Verbindung gebracht und zu einem Synonym für das Anfertigen kleiner Bildnisse wurde. Seitdem bezeichnete man alle möglichen kleinen Dinge als Miniatur, und von etwa 1630 an gehörte das Wort zum allgemeinen Wortschatz. Das Aufkommen von Miniaturbüchern und Miniaturporträts wird in späteren Kapiteln behandelt, und bei beiden Themen wird sich zeigen, dass wir den Geheimnissen, die sie bergen, nur durch genaues Hinschauen auf die Spur kommen.

Um zwischen Miniaturen und Gegenständen zu unterscheiden, die lediglich klein sind, habe ich ein einfaches Kriterium herangezogen: Eine Miniatur muss eine verkleinerte Version von etwas Größerem sein oder auf etwas Größeres verweisen, und sie muss bewusst als solche erschaffen worden sein. Außerdem kann sie einen bestimmten Zweck erfüllen – ein Konzept erläutern, ein Rätsel lösen, eine Erinnerung wecken. Den Schlüsselanhänger in Form eines Gebäudes können wir dazuzählen, auch wenn er nicht von großem Interesse sein wird. Das Gleiche gilt für eine Miniaturflasche Gin. Einen VW Käfer würden wir eher nicht dazurechnen, ebenso wenig jeden noch so kleinen Fingerhut, so eifrig seine Sammler auch ans Werk gehen. Minibars und Schoßhunde sind Grenzfälle, genauso wie die Bonsaizucht, bei der die geringe Größe durch zielgerichtetes Beschneiden und Eintopfen erreicht wird. Ein Zwergpudel aus Plastik in einem Schaubild, das ein Fünfjähriger für die Schule gebastelt hat, interessiert niemanden. Man könnte weitere Regeln aufstellen und feste Dimensionen festlegen, so wie Fluggesellschaften die Maße des Handgepäcks vorgeben, doch es wird sich schon bald zeigen, dass Miniaturen in unserer Welt so viel Raum einnehmen, dass wir sie instinktiv erkennen: Man weiß, wann man eine vor sich hat, und nach kurzer Zeit sieht man vielleicht sogar nichts anderes mehr.

Kontrolle spielt eine große Rolle in der Welt der Miniaturen. Die Spielzeuge, an denen wir uns als Kinder erfreuen, verleihen uns in jungen Jahren eine seltene Macht: Sie lassen uns wie Erwachsene oder vielleicht sogar wie Riesen wirken. Spielzeugautos, Puppen und Bauklötze fügen sich nicht nur unseren Wünschen, sondern verwandeln uns in Eroberer. Eine solche Herrschaft über die Welt erleben wir später nie wieder, es sei denn, wir spielen als Erwachsene weiter. Man schaue sich nur die Männer mit den Zugführermützen an, die sich mit ihren Modelleisenbahnen in Schuppen oder auf Dachböden zurückziehen. Deren Frauen sind längst verschwunden. Oder sie sind selbst dem Porzellanwahn erlegen, den kleinen Figurenfamilien, der lückenlosen Igelsammlung, den kostbaren Filzschätzen. Wer gibt ihnen eine Stimme?

Die Erschaffung dieser kleinen Universen, in denen man sich verlieren kann, bis man nichts anderes mehr wahrnimmt, soll im Mittelpunkt dieses Buches stehen. Denn die Menschen, die sich in winzige Details vertiefen, als hinge die Welt davon ab, tun das nur, weil ihre Welt davon abhängt.

Die Welt der Miniaturen ist mehr als eine sinnfreie Ansammlung von Objekten im Miniaturformat, sie ist ein lebendiges und tiefgründiges Ökosystem. Die Psychologie der Miniaturisierung ist ein faszinierendes Forschungsfeld, wenn auch ein winzig kleines, und wirft Licht auf ein höchst komplexes Netz von Verbindungen. Die Ausführungen in diesem Buch sind ähnlich angelegt.

Der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss beobachtete, dass eine Miniatur die Art und Weise, wie wir ein Objekt durchdringen, komplett auf den Kopf stellen kann: Statt es uns Stück für Stück zu erarbeiten, sodass wir langsam ein Verständnis für das Ganze entwickeln, sehen wir es in seinem vollen Umfang und erfassen es sofort – was er auch als den Ersatz der »sinnlichen Dimensionen« durch die »intellektuellen Dimensionen« bezeichnet. Es ist eine Strategie der Vermenschlichung und der Grund dafür, warum wir enormen überwältigenden Konstruktionen niedliche, lustige und vertraute Namen geben: Das Londoner Zentrum ist durch Gebäude gekennzeichnet, denen Spitznamen wie Gherkin (»Gurke«), Walkie-Talkie und Cheesegrater (»Käsereibe«) verpasst wurden. Diese – wahlweise auf etwas Essbares oder einen leicht in der Hand liegenden Gegenstand verweisenden – Begriffe dienen nicht nur unserer Unterhaltung, sondern sind auch hilfreich für die Eigentümer und die Baufirmen der Gebäude, die in ihrer Gänze kritikwürdig und bedrohlich wirken könnten, sich nun aber in etwas Freundlicheres und scheinbar Kleines verwandeln.

Ohne Modelle würde unsere Bildung leiden. Seit mehr als 200 Jahren prägen sie die intellektuelle Architektur unserer Museen, und oft erinnert sich ein Kind allein deswegen an seinen ersten Museumsbesuch, weil es dort solchen Objekten begegnen konnte. Das Verlangen danach, mit kleinen Dingen zu spielen, wird zum Verlangen, kleine Dinge zu erschaffen, und beide Phasen sprechen das menschliche Bedürfnis nach Kontrolle an. Wir leben in einer riesigen unheilvollen Welt, doch einen winzigen verkleinerten Teil davon im Griff zu haben stellt unser Ordnungs- und Wertgefühl wieder her. Wir werden wohl nie an einer Weltmeisterschaft oder dem Ryder Cup teilnehmen, aber Tischfußball und Minigolf kann uns niemand nehmen. Was ist eine Drohne, wenn nicht ein modernes ferngesteuertes Modellflugzeug? Und was ist ein Globus, wenn nicht ein Abbild all dessen, was wir über die Beschaffenheit der Erde wissen?

Ich glaube, dass unsere Bildung auch leiden würde, wenn es keine Amateure gäbe. Die Begeisterung und die Erfindungsgabe, die auf Dachböden und in Hobbykellern beheimatet sind, treiben die Welt voran (man denke nur an die Dampfmaschine und den Computer), und der Modellbauer mit der Kundenkarte vom Elektronikfachhandel und den alten Leiterplatten ist fast immer ein Amateur. Bis seine Arbeit anerkannt und honoriert wird, kennt er nur die private Leidenschaft und die Missbilligung durch die Familie. Dieses Buch soll unsere Bewunderung für diese Leute verdoppeln – denn vergessen wir nicht, dass der Begriff »Amateur« vom lateinischen Wort amare (»lieben«) abgeleitet ist.

Nur wie erklärt man das Miniaturdorf, auf dessen Rasenfläche gerade ein Cricketspiel stattfindet, während winzige Feuerwehrleute daneben auf winzige Leitern klettern, um den winzigen Schaden an einem winzigen Strohdach zu begutachten? Wer entwirft und besichtigt so etwas? Was erzählen uns solche Anlagen über unser Leben? Als Prinzessin Elizabeth zwischen den Häusern des Miniaturdorfs Bekonscot in Buckinghamshire umherlief, war sie da die einzige Besucherin an jenem Nachmittag, die glaubte, über ein Königreich zu herrschen?

Ich muss wohl kaum erwähnen (da Sie es sich sicherlich schon aus dem Umfang dieses Werks abgeleitet haben), dass dieses Buch nicht als Nachschlagewerk oder Handbuch gedacht ist. Es soll den Lesern eine Reihe höchst engagierter Menschen vorstellen, aber auch die Geschichte einiger Schlüsselereignisse in Miniaturform erzählen, und es soll zeigen, wie sich diese Form auf unser tief greifendes Verständnis auswirkt. So wird das weite Feld der Menschheit auf eine Weise erkundbar, die ohne eine solche Verkleinerung unmöglich wäre.

Wir sollten dankbar sein, dass es im Miniaturuniversum keine Ordnungsinstanzen gibt. Es entsteht nicht durch Konzerne oder Komitees, sondern durch engagierte Individuen. Auf diese Weise hat die Miniatur etwas Künstlerisches: Im besten Fall sorgt sie für Erleuchtung und tief reichende Erkenntnis. Zumindest aber erweitert sie unsere Wahrnehmung all dessen, was unser Gehirn schon zu wissen glaubte.

Das Thema des Buches gibt vor, dass diese Analyse einen Mikrokosmos darstellt, und vielleicht betrachtet man sie am besten als eine kurze Geschichte des Miniaturdorfes, das unter dem Namen »Welt« bekannt ist. Dieses Dorf ist groß und gastfreundlich, hat aber nicht alles zu bieten. Wer nach den Figuren der Sylvanian Families, nach Dinky-Autos oder der Geschichte der Legosteine sucht, wird enttäuscht, doch wer Gefallen findet an einem Flohzirkus, einer Unmenge kleiner Nazi-Figuren und dem sich drehenden Bühnenmodell, das vom Bühnenbildner des Theaterstücks Angels in America verwendet wurde, hat Glück.

Fast alle in diesem Buch vorgestellten Miniaturen sind von Hand gefertigt. Heute würden wir solche Produkte – ein Miniaturbuch, eine komplexe Modelleisenbahnlandschaft, das glänzende Porträt auf Elfenbein – vielleicht als Erzeugnisse von Hobbykünstlern oder als Mittel der Entschleunigung bewerten. Oft wirken sie aus der Zeit gefallen – nicht immer sind sie nostalgisch, aber nicht selten geht ein Duft der Kindheit oder des Mythos der Kindheit von ihnen aus. Und natürlich werden wir uns auch in den Bereich der Obsession vorwagen und uns fragen, ob es je einen begehrenswerteren Ort gegeben hat.

Die Königreiche der Fantasie und Hollywoods liegen außerhalb der Grenzen unseres Dorfes, daher findet Gullivers Reisen nur flüchtig Erwähnung, während für einen kleinen Ausflug durch ein Schrumpfportal oder einen Blick auf den Film Downsizing so gut wie gar kein Platz ist. (Ein Flohzirkus kommt nicht deshalb vor, weil es dort Flöhe gibt – kleine Dinge an sich sind hier nicht von Interesse, und noch weniger kleine Naturerscheinungen –, sondern weil es sich um einen Miniaturzirkus handelt. Die Flöhe versuchen sich an Aktivitäten, die es in der Welt der Menschen gibt: Sie tanzen Ballett, messen sich im Schwertkampf, fahren ein Postauto – Faszination pur. Im Englischen gibt es für das Trainieren von Zirkusflöhen sogar einen eigenen Fachbegriff: »pulicology«. Wer könnte dieses Buch jetzt noch aus der Hand legen?)

Die Bedeutung von Miniaturen ist weder neu noch unerheblich, weshalb es zumindest für mich eine Überraschung war, wie wenige Bücher und Texte es über ihren Wert an sich gibt. Die Freude am Kleinen, die in der Kindheit einsetzt, wird auf dem Weg ins Erwachsenenleben meist abgestreift, so wie sich eine Rakete auf dem Weg zum Mond ihrer Hilfsraketen entledigt: Teenager wollen keine Spielzeugautos, sie wollen richtige Autos. Wenn sie es nicht tun, gelten sie möglicherweise als sonderbar, und es ist diese Sonderbarkeit, die uns fesselt. Bevor ich in die Welt der Miniaturen eintrat, betrachtete ich das Schild über dem Puppenhausfachgeschäft in der Nähe meiner Wohnung stets misstrauisch. Dort stand: Dies ist kein Spielwarenladen. Es machte mich misstrauisch. Was sollte es sonst sein? Doch als ich mir schließlich ein Herz fasste und den Laden betrat (er ist dunkel, eindrucksvoll und versteckt sich hinter einem Maschendrahtzaun, außerdem eilt dem Besitzer ein gewisser Ruf voraus), fand ich dort kleine Tennisschläger mit echten Saiten, Minigläser mit Gewürzpaste, die selbst eine Maus nicht satt gemacht hätten, und Hunderte andere winzige Gegenstände, die zu alltäglich sind, um sie aufzuzählen. Das war kein Spielwarengeschäft, das war ein Universum. Es arbeitete mit der vertrauten Masche aller Miniaturen: Es hatte einen unauslöschlichen Glauben an seine eigene Existenz. Und weil alles im Miniaturformat war, wirkte nichts klein. Als ich das Geschäft verließ, kamen mir die Autos draußen wie Sattelschlepper vor, und der Briefkasten erschien mir so groß wie das Guggenheim-Museum.

Welten innerhalb von Welten gab es schon lange, bevor Lewis Carroll und die Quantenphysik sich mit ihnen befassten. Die Geschichte der Miniaturen führt bis in die Antike zurück, und ihre Spuren lassen sich ohne Lupe verfolgen. Lukrez hatte recht, als er behauptete: »Auch das Kleine kann uns ein Abbild von größeren Dingen geben und zu den Spuren der wahren Erkenntnis führen.« Die Lyrikerin Susan Stewart legt in ihrem Buch On Longing dar, dass wir in einem Tagtraum leben, in dem sich uns die Welt der Miniaturen eines Tages als geheimes Leben offenbaren könnte. Der Tagtraum folgt dabei einer inneren Logik: Während wir in den Kaninchenbau stürzen, sollten wir umgehend jedem vergeben, der die größere Alltagswelt für die normale Welt hält.

Meine Hoffnung ist, dass die folgenden Kapitel unsere Begeisterung dafür, Dinge zu verkleinern, um ihre Essenz zu erfassen, sowohl erklären als auch zelebrieren. Dabei haben unter anderem ägyptische Pharaonen, englische Sklavereigegner und Rod Stewart ihren Auftritt, ebenso wie eine Frau aus Chicago, die Verbrechen nur für lösbar hält, indem man sie in ihre winzigsten Bestandteile zerlegt. Aber im Großen und Ganzen beginnt die Geschichte vor 130 Jahren im Zentrum von Paris, als Gustave Eiffel trotz einer steifen Brise seinen Turm hinaufstieg und die Errungenschaften der menschlichen Technik die Art und Weise, wie wir die Welt sehen, ein für alle Mal verändert haben.

»Wie eine legendäre Stadt, die auf den Grund des Meeres hinabsinkt«: der Ausblick, den Handwerker 1924 vom Eiffelturm aus hatten.

KAPITEL EINS

DER BLICK VON OBEN

Unter den vielen entrüsteten und begeisterten Ausrufen, die zu hören waren, als der Eiffelturm im späten Frühjahr 1889 eröffnet wurde, war eine Reaktion, die selbst seine Erbauer überraschte: Die Besucher stellten erschrocken fest, dass das größte Bauwerk der Erde die Welt zu seinen Füßen plötzlich hatte schrumpfen lassen.

Jeder, der über den immensen Mut verfügte, die 363 Stufen zur ersten und die 381 Stufen zur zweiten Plattform zu erklimmen, sah die Welt darunter mit neuen Augen. Was heute eher wie eine etwas abgegriffene Redewendung daherkommt, war damals eine echte Erkenntnis: Die Menschen wurden zu Ameisen. Das war der Eindruck, der die Geburt des Modernismus begleitete: ein stählernes Gefühl des aufstrebenden Fortschritts, gepaart mit dem umfassenden Gespür für das rechte Maß an Ordnung. Von oben betrachtet war Paris sowohl eine Landkarte als auch eine Metapher. Wenn man nicht schon einmal in einem Heißluftballon über die Stadt geflogen war, sah man sie nun zum ersten Mal im Miniaturformat: Der Boulevard Haussmann verwandelte sich in ein Gitternetz, die Weltausstellung glitzerte wie eine Christbaumkugel, und das Chaos war für einen Augenblick lang bezwungen. Der aufregende Aufstieg gipfelte in ruhiger Glückseligkeit: Der Gestank von Pferdekot und Ruß löste sich in Luft auf. An einem klaren Tag reichte die Sicht bis nach Fontainebleau und in die Normandie, zu den Kreidefelsen von Dover, dem unrühmlichen Schlachtfeld bei Waterloo in Belgien und weit darüber hinaus bis in die ungetrübte Zukunft aller Dinge.

Das alles war so bemerkenswert, weil es neu war. Diejenigen, die in den ersten Monaten auf den Eiffelturm hinaufstiegen, schrieben sorgfältig nieder, was sie sahen, weil dieser Blickwinkel so ungewöhnlich war wie der Turm selbst. Noch heute spüren wir beim Lesen dieser Texte das Staunen, das damals zwischen den Eisenstreben waberte. »Er steigt langsam hinauf, die rechte Hand auf dem Geländer«, notierte ein Reporter, als er Gustave Eiffel vor der offiziellen Eröffnung die Stufen hinauf folgte (selbst der Aufstieg war ein Novum; zuvor waren die Türme von Notre-Dame der höchste feste Aussichtspunkt gewesen). »Sein Körper schwingt von einer Hüfte zur anderen, und er nutzt diesen Schwung aus, um jede Stufe zu bewältigen.« Von der ersten Plattform aus (in einer Höhe von knapp 58 Metern) »wirkt die Stadt bereits unbeweglich. Die Umrisse der Passanten und der Kutschen gleichen kleinen schwarzen Tintenflecken in den Straßen.« Dann geht der Aufstieg weiter, bis Paris auf einer Höhe von rund 275 Metern »in der Nacht zu entschwinden scheint wie eine legendäre Stadt, die inmitten eines Raunens von Menschen und Kirchenglocken auf den Grund des Meeres hinabsinkt«. Einige Wochen später, als der Turm für die Allgemeinheit geöffnet war, schrieb ein anderer Besucher: »Aus einer Höhe von fast 300 Metern werden die Menschen zu Zwergen … alles, was groß aussah, war verschwunden.« Eiffel selbst beschrieb den Ausblick als »beflügelnd« und deutete an, dass dadurch eine Form der Transzendenz erlangt werden könne, die bisher unmöglich gewesen war – ein Aufstieg auf eine höhere, schwerelose Ebene. Einen Journalisten der Zeitung Le Temps überkam »eine unbeschreibliche Melancholie, ein Gefühl der intellektuellen Erschöpfung«. Auf der zweiten Plattform, in einer Höhe von 115 Metern, »bleibt die Erde ein menschliches Schauspiel, noch reichen die üblichen Vergleiche aus, um es zu verstehen. Doch auf einer Höhe von knapp 300 Metern fühlte ich mich jenseits aller normalen Erfahrungswerte.« Der Kunstkritiker Robert Hughes beobachtete, dass für den Großteil der Massen, die in den ersten Monaten auf den Turm hinaufströmten, der Blick »genauso bedeutsam [war] wie achtzig Jahre später das berühmte NASA-Foto der Erde vom Mond aus«.

Der Blick von oben übt eine ungebrochene Faszination aus: Die Aussicht von The Shard oder dem Empire State Building lockt heute immer noch genauso viele Besucher wie der Eiffelturm im Jahr 1889 Bürger von Paris in seinen Bann zog. Dreißig Jahre nach der Eröffnung erlebte die Schriftstellerin Violet Trefusis den gleichen Nervenkitzel in einem Flugzeug. Sie bezeichnete sich selbst als »mickriges Atom« und spürte, wie ihr altes Ich verschied. Sie sah »eine kleine Landkarte, übersät mit kleinen Dörfern, und ein kleines Meer« und dachte: »Was für ein elender kleiner Ort die Welt doch ist! Die Menschheit ist ausgelöscht worden … Es kam mir so vor, als sei ich plötzlich und wundersamerweise von jeglicher Bosheit, aller Kleingeistigkeit, jeder Hinterlist reingewaschen.« Diese besondere Kombination aus Demut und Staunen – wie unbedeutend wir zwischen den Wolken sind, aber welch große Leistung erbracht wurde, um uns dorthin zu befördern – verändert sich nicht mit den Jahreszeiten oder den Eintrittspreisen. Es sind Abenteuer von Format, die uns die Welt mit neuen Augen sehen lassen. Gustave Eiffel ließ uns auf 275 Meter aufsteigen, die frühen Flugzeuge auf über 900 – und aus jeder Höhe wirkte das, was unten zu sehen war, winzig klein und die Stadt, als gehörte sie uns.

Eiffel gestaltete seinen Turm als Sinnbild formaler Kraft, als Tour de force, als den Triumph einer Maschine, die mit gespreizten Beinen auf einer bis dahin eher für ihre anmutige Ästhetik bewunderten Stadt steht. Die schwindelerregende Höhe des Bauwerks war seine Stärke und sein Zweck. Es war ein Symbol ohne weiterführende Funktion, daher war es kein Wunder, dass sich viele literarische Größen dagegen aussprachen. Niemand wetterte mehr gegen den Turm als Guy de Maupassant, für den das Bauwerk ein »ewig gegenwärtiger und quälender Albtraum« war. Seine Abneigung nahm nach der Eröffnung nur weiter zu: Die Legende besagt, dass sich der Schriftsteller, bevor er aus Paris floh, um dem Turm zu entkommen, gezwungen sah, eines der Restaurants auf der zweiten Plattform aufzusuchen, weil das der einzige Ort in Paris war, von wo aus man nicht Gefahr lief, den Turm zu sehen. Ebenso entrüstet wie Maupassant war sein Schriftstellerkollege Léon Bloy, der den Turm als »wahrhaft tragische Laterne« bezeichnete.

Aber das Publikum liebte ihn natürlich, und daran hat sich bis heute nichts geändert. In der ersten Woche zahlten fast 30.000 Besucher die vierzig Centimes, um bis zur ersten Ebene hinaufzusteigen, und 17.000 gaben noch einmal zwanzig Centimes mehr aus, um bis zur zweiten zu gelangen. Fast zwei Millionen Menschen erklommen während der Weltausstellung von Mai bis Oktober 1889 zumindest einen Teil dieser Hauptattraktion, und viele freuten sich darüber, Monsieur Eiffel höchstpersönlich in seinem Büro auf halber Höhe anzutreffen. Dort empfing er Thomas Edison, Buffalo Bill, Annie Oakley, den Großfürsten Wladimir von Russland, König Georg von Griechenland und den Prinzen von Wales.

Doch wozu diente der Turm, außer die Welt unter ihm schrumpfen zu lassen? Sein Schöpfer, den die Vorstellung plagte, andere könnten sein Werk als belanglos und anmaßend – oder sogar als Spielzeug – abtun, gab sich alle Mühe, dessen Wert zu verdeutlichen. (Seine Investoren machten sich darüber übrigens keine Gedanken: In den ersten fünf Monaten brachte der Turm fast sechs Millionen Francs an Eintrittsgeldern ein.) Aber Eiffels Ziele gingen über die reine Habgier hinaus, und so ließ er rund um die erste Plattform die Namen von über siebzig französischen Wissenschaftlern anbringen, um seinem Bauwerk eine Berechtigung zu geben und vielleicht sogar seine Leistung auf eine Stufe mit ihnen zu stellen. Er betonte, dass der Turm vielen meteorologischen und astronomischen Zwecken dienen werde und sogar eine wichtige Rolle für die Verteidigung spielen könne, sollte Paris je angegriffen werden.

Doch der Eiffelturm war in seinem Kern vor allem ein Spielzeug. Die Aufzüge machten ihn sogar zu einem Fahrgeschäft, und jeder konnte eine Runde darin genießen. Für neureiche Industrielle war das eine Spielerei, für tout le monde ein ganz besonderes Vergnügen. Der Öffentlichkeit lag nicht viel an der wissenschaftlichen Daseinsberechtigung, die der Ingenieur suchte. Sie liebte das Bauwerk allein für das Staunen, das es auslöste.

Aber noch etwas nahm mit dem Eiffelturm seinen Anfang: die Möglichkeit, ihn nach dem Besuch mit nach Hause nehmen zu können. Die Eröffnung des Turms markierte die Geburtsstunde des Massensouvenirs und den Auftakt des maschinell hergestellten Miniaturmodells. Der Schah von Persien verließ Paris mit einem Spazierstock, dessen oberes Ende wie der Turm geformt war, sowie zwei Dutzend Minitürmen aus Eisen, die für seinen großen Harem genügten. An jeder Ecke konnten auch andere Besucher solche Erinnerungsstücke erwerben, etwa an den Verkaufsbuden, die auf allen Ebenen des Turms errichtet wurden. Wie zu erwarten war, gefiel Guy de Maupassant auch das nicht: Nicht nur war der Turm aus jedem Winkel der Stadt zu sehen, »nein, er ist auch überall und in jedem erdenklichen Material erhältlich, in jedem Schaufenster ausgestellt …« Der Eiffelturm ließ die Welt nicht bloß schrumpfen, sondern brachte die geschrumpfte Welt auch auf den häuslichen Kaminsims. Seitdem galt ein Bauwerk nur dann als Wahrzeichen einer Landschaft, wenn man es im Gepäck mit nach Hause nehmen konnte.

Es gab den Turm als Gebäck und Schokolade. Taschentücher, Tischdecken, Serviettenringe, Kerzenständer, Tintenfässer, Uhrenketten – und alles, was sich in seine längliche, dreieckige und spitze Form bringen ließ, musste das gleiche Schicksal erleiden. Den größten Prunk bot der Tour en diamants, der aus insgesamt 40.000 Edelsteinen bestand und in der Galerie Georges Petit im Schatten des eigentlichen Turms ausgestellt war. Aber jedes zweite Geschäft führte auch Türme weniger kostspieligen Materials, und fast 130 Jahre später läuft die Produktion immer noch auf Hochtouren. Gustave Eiffel glaubte, es stände ihm zu, die Rechte an den Souvenirs zu verkaufen, und räumte dem Kaufhaus Printemps am Boulevard Haussmann das exklusive Recht am Abbild ein, doch der Vertrag hatte nur wenige Tage Bestand, bis die Hälfte aller Ladenbesitzer von Paris eine Sammelklage dagegen einreichten, in der sie anführten, ein solch traumhafter Ausflug gen Himmel sollte von allen genossen und zu Geld gemacht werden können.

Das Wort Souvenir stammt natürlich aus dem Französischen. Seine Übersetzung verweist auf den Zweck des Gegenstands: »sich erinnern« (eine frühere Version des Wortes war schon im Lateinischen gebräuchlich: subvenire – in den Sinn kommen). Ein Miniatursouvenir verringert nicht den Wert seines Vorbilds, da es seine Kraft gerade aus dem kleinen Format zieht: Es erzeugt eine Sehnsucht danach, sich zu erinnern und die dazugehörige Geschichte zu erzählen. Der Eiffelturm bei Sonnenuntergang, ein Drink in der Hand, ganz romantisch zu zweit, uns bleibt immer Paris – das ist eine Erzählung für die Ewigkeit.

Wahre Miniatur-Fans sind natürlich nur zufrieden, wenn sie das Souvenir selbst angefertigt haben. Wir werden auf diesen Seiten noch häufiger Menschen treffen, für die das Miniaturisieren ein alles verschlingendes Hobby darstellt, und wir werden entdecken, dass unser Hunger nach einer reduzierten Welt sich nur teilweise durch Besitztum sättigen lässt – wir müssen auch unser inneres Bedürfnis danach befriedigen, etwas zu erschaffen. Ein handgemachter Miniatur-Eiffelturm stellte schon immer eine Herausforderung dar, aber die ultimative Herausforderung wäre es doch, ihn auf eine Weise zu bauen, die zugleich unmöglich und unsinnig erscheint. Daher sollten wir an dieser Stelle wohl dem fleißigen und zielstrebigen New Yorker Zahnmedizinstudenten unseren Tribut zollen, der 1925 aus 11.000 Zahnstochern ein Modell des Turms anfertigte. Laut dem Magazin Popular Mechanics, das den jungen Mann in einem langen weißen Kittel fotografierte, als er letzte Hand an das Bauwerk legte, das etwas größer war als er selbst, waren für dieses Unterfangen eine Pinzette, Kleber und ungefähr 300 Stunden Arbeit nötig gewesen. Und es hatte einen wissenschaftlichen Nutzen: Dadurch, dass der namenlose Student das Werk aus Zahnstochern gebaut hatte, bestätigte er die Stabilität des echten Turms (nicht dass das noch nötig gewesen wäre, nachdem viele Millionen Menschen ihn bereits bestiegen hatten).

In den 1950er-Jahren entstand in Buenos Aires eine anderthalb Meter hohe Version, dieses Mal aus Zahnstochern aus aller Welt: Hunderte Menschen hatten auf einen weltweiten Aufruf reagiert und Holzstäbchen eingeschickt, als handle es sich um eine Spendenaktion nach einer Naturkatastrophe. Danach war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Streichhölzer die Zahnstocher als bevorzugtes Material der Turmbau-Amateure ablösten und schließlich Howard Porter, ein Mann aus Detroit, seine Tage damit zubrachte, 1080 kleine Streichhölzer, 110 größere Kaminstreichhölzer und – um der guten alten Zeiten willen – 1.200 Zahnstocher zu einem Eiffelturm-Modell im Maßstab 1:250 zusammenzukleben. Wie der New Yorker Student benötigte auch er etwa 300 Stunden dafür, was ziemlich mickrig wirkt im Vergleich zum französischen Uhrmacher Georges Vitel und seiner Familie, die mehrere Jahre und geschätzt eine halbe Million Streichhölzer darauf verwendeten, den Turm nachzubauen. Als die französische Presse diese Leistung 1961 feierte (»La Tour Eiffel – En Allumettes!«), war das siebzig Kilogramm schwere Modell fast groß genug, um hinaufzusteigen.

Siebzig Kilogramm Streichhölzer: Familie Vitel legt im Wohnzimmer letzte Hand an.

Noch besser, oder schlimmer noch: Es war an das Stromnetz angeschlossen, wodurch die inneren Aufzüge elektronisch betrieben und die Lampen in den Restaurants im Turm eingeschaltet werden konnten. Da Georges Vitel und seine Familie nicht in einem Palast lebten, sondern in einem gesitteten Einfamilienhaus in Grigny, knapp dreißig Kilometer südlich von Paris, mussten sie ihr Werk in zwei Teilen bauen, einem Ober- und einem Unterteil, die beide bis an die Decke des Wohnzimmers reichten. Natürlich besaß die Familie auch einen Fernseher, aber der Turm versperrte den Blick darauf. Führte die Familie ein erfülltes Leben? Oder zeigte ihr Hobby nur, dass die Vitels das Dasein für so enttäuschend befunden hatten, dass sie keine andere Möglichkeit sahen, als sich einzuschließen und Streichhölzer zusammenzukleben?

Eine Miniatur, selbst wenn sie bis zur Decke reicht, ist eine Erinnerung in greifbarer Form, ein Gedenken an die winzigen Spuren, die wir auf diesem Planeten hinterlassen. Wir haben das gebaut, sagen wir. Wir haben es gekauft. Wir verstehen und schätzen es. Manchmal kontrollieren wir es. Das sind grundlegende menschliche Bedürfnisse, die den Kern unseres Lebens und dieses Buches bilden. Aber was passiert, wenn wir glauben, dass ein Souvenir aus dieser Welt in die nächste mitgenommen werden kann?

Eine sichere Reise in die Unterwelt und ein entspanntes Leben im Jenseits: Uschebti aus dem Grab von Sethos I. im Louvre.

KLEINER AUSFLUG INS JAHR 3000 VOR UNSERER ZEITRECHNUNG: ÄGYPTISCHE GRABSTÄTTEN

Am 16. Oktober 1817 wies der große italienische Ägyptologe Giovanni Battista Belzoni seine Arbeiter an, am Fuß eines steilen Hügels im Tal der Könige am Westufer des Nils zu graben. Die Männer waren skeptisch: Warum sollten sie an dieser feuchten Stelle irgendetwas finden? (Das war, mehr als ein Jahrhundert bevor ganz in der Nähe das Grab des Tutenchamun entdeckt wurde.) Gegen Ende des folgenden Tages stießen Belzonis Arbeiter in fünfeinhalb Metern Tiefe auf den steinernen Eingang zum Grab von Pharao Sethos I., der vor seinem Tod 1279 v. u. Z. mehr als ein Jahrzehnt über Ägypten geherrscht hatte. Das Grab war aufwendig gestaltet und gut erhalten, und in seinem Inneren fand sich der Beweis dafür, dass wir Miniaturen einst eine enorme Bedeutung beimaßen.

Signor Belzoni, ein elegant gekleideter Dandy, der in den Tempeln der Mode genauso zu Hause war wie in bröckelnden Mumienlöchern, liebte es, sein Publikum mit Geschichten über seine grabräuberischen Abenteuer in Erstaunen zu versetzen (in früheren, weniger glamourösen Zeiten hatte er sein Unterhaltungstalent als Kraftmensch im Londoner Zirkus geschult). In einem seiner Texte erzählt er von einer Entdeckung in Theben, bei der er im Vorbeigehen verwesende ägyptische Mumien streifte und »nicht verhindern [konnte], mit Knochen, Armen, Beinen und Schädeln, die von der Schräge herunterrollten, bedeckt zu werden«. Ähnlich dramatisch beschrieb er die unterirdischen Kammern unter dem Tal der Könige, wo er tiefe Brunnen und versteckte Nebenräume aufstöberte, mit Hieroglyphen und Wandmalereien, die aussahen, als seien sie erst wenige Tage alt (zehn Kammern zweigten von sieben Gängen ab). Belzoni bahnte sich einen Weg in gewaltige, von Pfeilern gestützte Hallen und fand Treppen, die in Kammern führten, die er die »Kammer der Schönheiten« (wegen der Darstellungen von Frauen an den Wänden), das »Bullenzimmer« (wegen eines mumifizierten Bullen) und den »Raum der Geheimnisse« (über den niemand Genaues weiß) taufte. Er fand hölzerne Statuen und Papyrusrollen, und als er weiter und tiefer in die Grabanlage vordrang, erreichte er die eigentliche Grabkammer mit einem reich verzierten Alabastersarkophag darin. »Es ist völlig sinnlos, mit der Beschreibung dieses himmlischen Ortes fortzufahren«, schrieb er. »Ich versichere, dass meine bescheidenen Versuche, dem Leser diese Kostbarkeiten mit der Feder nahezubringen, der Wirklichkeit keineswegs gerecht werden können – sollte es mir jedoch vergönnt sein, in Europa ein genaues Modell dieser Grabanlage herzustellen, wird jedermann selbst feststellen können, dass eine schriftliche Darstellung den Kunstwerken nur kläglich gerecht zu werden sich bemüht.«

1821 gelang es Belzoni, einige seiner Funde nach London zu bringen und sie an der Piccadilly auszustellen, wo sie ein großes Publikum anzogen. Darunter waren neben anderen Schätzen mehrere fein gearbeitete, blau glasierte Keramikfiguren, die mit Sethos’ Leichnam beerdigt worden waren. Es handelte sich um 18 bis 23 Zentimeter große Uschebti, denen in der ägyptischen Jenseitsvorstellung eine symbolische Rolle zugeschrieben wurde. Jede von ihnen sollte die reisende Seele davor bewahren, in der Totenwelt körperliche Arbeit verrichten zu müssen, und die konkrete Aufgabe verrieten die Gegenstände, die die Figuren in den vor der Brust gekreuzten Händen hielten: Ein Krug erlöste seine Träger von der Arbeit als Diener oder im Weinberg, während ein Korb sie vom Erntedienst befreite. Die Seelen der Toten, die um 2000 v. u. Z. begraben wurden, erhielten nur ein oder zwei Uschebti als Begleitung ins Jenseits, doch die Ägypter, die zu Zeiten der wohlhabenderen späteren Dynastien zwischen 300 und 30 v. u. Z. lebten, wurden mit mehreren Hundert Figuren bestattet. Eine Zeit lang betrug die Anzahl traditionell 401: ein Arbeiter für jeden Tag des Jahres und eine Reihe »Aufseher« mit Peitschen, die dafür sorgten, dass die Arbeiter nicht aus der Reihe tanzten.

Die Uschebti sind bei Weitem nicht die ältesten Miniaturdarstellungen des Menschen. Dieser Titel gebührt den 40.000 Jahre alten Venusfigurinen, die nur wenige Zentimeter groß und für gewöhnlich rundlich und nackt waren. Wir kennen nur etwa 200 dieser eher plumpen Schnitzarbeiten, während es Zehntausende der später entstandenen Uschebti gibt (die auch als Schabti oder Schawabti bezeichnet werden, je nach Herkunftsort). Uschebti bestehen aus Kalkstein, Granit, Alabaster, Ton, Holz, Bronze und Glas, aber meist aus dem blaugrünen, hauptsächlich auf Quarzsand basierenden Material, das unter der Bezeichnung Fayence bekannt ist.

Aufgrund ihrer Allgegenwärtigkeit sieht man die Uschebti in den ägyptologischen Abteilungen auf der ganzen Welt alle möglichen trübsinnigen Aufgaben verrichten. Das Ägyptische Museum in Kairo besitzt mehr als 40.000 von ihnen. Einige der schönsten Exemplare finden sich in Einrichtungen im Nordwesten Englands, unter anderem in Museen in Rochdale, Stockport, Macclesfield und Warrington, und viele der Ausstellungsstücke stammen aus privaten Sammlungen und den »Kuriositätenkabinetten« von Unternehmern und Archäologen des 19. Jahrhunderts. Auch das Britische Museum beherbergt eine Reihe dieser Figuren, darunter eine hervorragend erhaltene Statuette von Pharao Sethos I., die ebenfalls zu den Uschebti zählt, die Giovanni Belzoni vor 200 Jahren entdeckte. Sie ähnelt einer Mumie mit einem gestreiften königlichen Kopfschmuck, hält zwei Werkzeuge in den Händen, zwei verschiedene Arten von Hacken, und wurde mit einer Inschrift aus dem Buch der Toten versehen, der Sammlung von Sprüchen, die die Toten sicher durch die Unterwelt geleiten sollten.

Es ist nicht bekannt, ob Belzoni ungefährdet ins Jenseits gelangte, aber zumindest sein Erbe ist sicher. Er starb 1823 in Nigeria, entweder an Ruhr oder durch Mord, aber die Welt des alten Theben, die er 1817 entdeckte, wird bis heute weiter erkundet, und jedes Jahr treten spannende neue Funde zutage. 2016 barg ein Team des Polnischen Zentrums für Mittelmeerarchäologie in der Nähe von Luxor eine große Zahl von Uschebti aus einer bis dahin unerforschten Grabstätte in einem namenlosen Hügel. Es fand mehr als tausend Fragmente, die sich zu 647 Figuren zusammensetzen ließen. Man identifizierte dreizehn verschiedene Typen – größtenteils aus Lehm, Ton oder Alabaster –, und obwohl es sich sowohl um Arbeiter als auch um Aufseher handelte, konnten sie keinem konkreten Besitzer zugeordnet werden. Es handelte sich einfach um Figuren, von denen die meisten ungenau gearbeitet, mit nicht entzifferbaren Inschriften versehen und zwischen fünf und zwölf Zentimeter groß waren. Viele vermittelten den Eindruck, in großer Eile angefertigt worden zu sein. Manche waren kaum mehr als Stümpfe.

Die Archäologen fragten sich, ob die schöneren Exemplare vielleicht zuvor von Grabräubern erbeutet worden waren. Übrig blieben hauptsächlich Glücksbringer gut gestellter Bürger, die jeweils zwei oder drei grob eingeritzte Sprüche mit ins große Unbekannte nehmen konnten. An den fehlenden Feinheiten und der geringen Anzahl pro Besitzer lässt sich ein vertrautes Muster ablesen: Selbst bei den Miniaturfiguren vor 3.000 Jahren gab es ein Jenseits für die Reichen und ein ganz anderes für die Armen. Aber jeder schien zu glauben, dass man entgegen der vorherrschenden Überzeugung eben doch etwas dorthin mitnehmen könne.

Eine komische Welt: Das Miniaturdorf Bekonscot stellt seine Waren und fürchterlichen Wortwitze zur Schau.

KAPITEL ZWEI

MINIATURDÖRFER UND MODELLSTÄDTE – MAL MEHR, MAL WENIGER IDYLLISCH

Am Mittwoch, den 27. Mai 1925, traf Landon Laird, ein Reporter der Zeitung Kansas City Star, mit einem Sonderauftrag in Springfield im US-Bundesstaat Missouri ein. Kurz darauf stieß ein weiterer Journalist, H. Niemeyer vom St. Louis Post-Dispatch, zu ihm. Was war los? Die beiden waren wegen eines Modelldorfs namens Tiny Town angereist, das im Grant Beach Park aufgebaut worden war und am mittlerweile dritten Besuchstag eine noch nie da gewesene Menschenmenge anzogen hatte. Die Besucher sagten, so etwas hätten sie noch nie gesehen, und der Grund dafür war, dass es so etwas noch nie gegeben hatte – nicht in Missouri und nicht anderswo.

Tiny Town umfasste 1.200 Gebäude und bot alle Vorzüge, die man in einer modernen Stadt erwartete. Die Häuser waren aus Holz, Backstein und Beton gebaut und reichten von Bungalows bis hin zu prunkvollen Kolonialbauten. Es gab ein Rathaus, einige Schulen, eine Bibliothek mit winzig kleinen Büchern, voll ausgestattete Spielplätze und eine Reihe von Kirchen. Die Innenräume aller Behausungen waren liebevoll dekoriert, und die meisten waren an das Stromnetz angeschlossen. Es gab ein Stadtzentrum und mehrere Wohngebiete, und man hatte ortsansässige Straßenbaufirmen damit beauftragt, die Oberflächen gegen schlechtes Wetter zu schützen. Da es das Jahr 1925 war und Tiny Town sich als progressive Stadt verstand, standen Garagen statt Ställen neben den Häusern, und auf den Einfahrten parkten kleine Autos. Eine Woche vor der Eröffnung war in der Zeitung Springfield Missouri Republican zu lesen, dass die Seen der Stadt bald mit glitzerndem Wasser gefüllt sein und »lauter verschiedene Arten von Laub für Baumschatten sorgen und sorgsam platzierte Büsche die Straßen säumen und die Rasenflächen zieren« würden. Das Ganze war im Maßstab 1:12 gebaut und nahm eine Fläche von 75 mal 300 Metern ein.

Autor