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Die Formel der Macht

Joseph Malone rechnete seit sechs Monaten mit seinem Tod. Nur ein Idiot hätte die Gefahr, in der er schwebte, nicht erkannt, und er war ein Idealist, kein Idiot. Die engagierte Wissenschaftlerin und Umweltschützerin Dr. Summer Shephard wird entführt. Das FBI glaubt zunächst an eine Inszenierung, um ihren Kollegen Joseph Malone aus dem Gefängnis freizupressen. Erst als es dem smarten Diplomaten Duncan Ryder gelingt, sie aus der Hand der Kidnapper zu befreien, wird klar, welche gefährlichen Mächte hinter der schönen Summer Shephard und ihrem Kollegen her sind. Gemeinsam versuchen sie, die geheimen Botschaften zu entschlüsseln, die Joseph ihnen zuspielt - und laufen dabei Gefahr, den Erfolg ihrer Mission aus ganz anderen Gründen zu gefährden


  • Erscheinungstag: 10.12.2012
  • Seitenanzahl: 192
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955761585
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jasemine Cresswell

Die Fφrmel der Macht

Roman

Image

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Disappearence

Copyright © 1999 by Jasemine Cresswell

erschienen bei: Mira Books, Toronto

Übersetzt von Emma Luxx

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Claudia Wuttke

Titelabbildung: pecher und soiron, Köln

Autorenfoto: © Allan Borenstein

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-95576-158-5

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

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PROLOG

Joseph Malone rechnete seit sechs Monaten mit seinem Tod. Nur ein Idiot hätte die Gefahr, in der er schwebte, nicht erkannt, und er war ein Idealist, kein Idiot. Da sich seine Forschungen im letzten Stadium befanden, war er meistens zu beschäftigt, um sich zu fragen, wie sie ihn töten würden, aber wenn die Nächte besonders heiß waren und der Schlaf nicht kommen wollte, lag er in seiner Hängematte und grübelte darüber nach. Ihre übliche Methode war eine Kugel in den Rücken – nur, dass sie nicht wussten, wo er sich aufhielt. Die Ignoranz, die sie dem Regenwald entgegenbrachten, war sein Glück. Solange er sich hier verborgen hielt, war er sicher.

Leider konnte er nicht für immer, beschützt von der üppigen Extravaganz der Natur und der grimmigen Loyalität der Xuaxanu, im Regenwald bleiben. Nicht, wenn er seine Ziele erreichen wollte. Deshalb hatte er mit größter Umsicht und noch größerem Widerstreben Pläne für eine Reise in die Vereinigten Staaten geschmiedet. Fernando hatte ihm vor ein paar Wochen seinen persönlichen Schutz angeboten, den er jedoch abgelehnt hatte. Allerdings nicht, weil er Fernando nicht getraut hätte. Seltsamerweise hatte er, nachdem sie jahrelang auf verschiedenen Seiten gekämpft hatten, in letzter Zeit für Fernando eine Hochachtung entwickelt, die fast schon an Zuneigung grenzte.

Nein, es war kein Mangel an Vertrauen, der Joseph veranlasst hatte, Fernandos Hilfe abzulehnen, sondern die mangelnde Geheimhaltung. Er glaubte schlicht nicht, dass Fernando sich an sein Versprechen würde halten können. Auch wenn Fernando einer der reichsten und mächtigsten Männer der Welt war, war er doch machtlos gegen das riesige Ausmaß an Korruption, von dem die Polizeistreitkräfte in Amazonien durchsetzt waren. Deshalb hatte Joseph, nachdem er gespürt hatte, dass es langsam brenzlig für ihn wurde, das versteckte Dorf, in dem die Xuaxanu lebten, verlassen und war mit dem Kanu und dem Motorboot nach Manaus gefahren, der Stadt, die sowohl der Zugang zu den entlegensten Regionen im Amazonasgebiet wie auch das Sprungbrett für Reisen in den Rest der Welt war.

Er hatte alles getan, um seine Reise geheim zu halten. Trotzdem war er am Flughafen hellwach, weil er jeden Moment mit einem Anschlag rechnete und jedes Mal, wenn er mit einem durchgeschwitzten, unterbezahlten Beamten der weit entfernten Zentralregierung konfrontiert wurde, eine Verschwörung witterte. Doch nichts passierte. Er flog von Manaus nach Recife und stieg dort in den Jumbo in die Vereinigten Staaten um. Sein Ziel war Washington D.C., wo er sich mit Fernando treffen wollte, aber er hatte beschlossen, über Miami zu fliegen, weil er so schnell wie möglich amerikanischen Boden erreichen wollte, in der Hoffnung, dass er sich dort sicherer fühlen würde.

Amerika. Sein Vaterland. Land der Tapferen und Heimat der Freien. Als Heranwachsender hatte er sich über den Patriotismus der meisten Amerikaner zynisch geäußert und über ihren arroganten Glauben, die Vereinigten Staaten seien das beste Land der Welt, gespottet. Doch nach drei Jahren in Brasilien war er eher geneigt, sich von dem, was die Vereinigten Staaten ihren Bürgern boten, beeindrucken zu lassen. Im Vergleich zu der Korruption, die er in den Barackensiedlungen, die sich am Ufer des Amazonas entlangzogen, vorgefunden hatte, war das politische System der Amerikaner geradezu ein Musterbeispiel an Rechtschaffenheit und Effizienz. Kein Wunder, da so viele von ihnen Pioniere und bereit gewesen waren, größte Risiken auf sich zu nehmen. Es war leicht, die Verhaltensweisen der Tapferen zu übernehmen, wenn man sich in der Sicherheit wahrer Freiheit wiegen konnte.

Der Flug von Recife nach Norden war wie immer lang und ereignislos. So ereignislos, dass in Joseph eine leise Hoffnung aufzusteigen begann. Die Hoffnung, dass er vielleicht doch noch mit heiler Haut davonkam. Die Hoffnung, dass er und Fernando vielleicht doch noch lange genug lebten, um sich wie geplant in D.C. treffen zu können. Die Hoffnung, dass Summer Shepherd nie die CD entschlüsseln musste, die er vom Flughafen in Recife abgeschickt hatte.

Doch zwanzig Minuten nach der Landung in Miami wurde ihm klar, dass ihn seine Hoffnung getrogen hatte. Er war noch nicht einmal durch den Zoll, und schon begannen die Probleme. Frustriert beobachtete Joseph, wie ein amerikanischer Zollbeamter mit entschlossener Sorgfalt seinen Koffer durchwühlte. Das ist keine Routinedurchsuchung, dachte er grimmig. Man hatte ihm eine Falle gestellt.

Der Beamte stieß einen zufriedenen Seufzer aus, als er einen großen zugeschweißten Plastikbeutel, in dem sich weißer Puder befand, aus dem Koffer zog. Er hielt ihn vorsichtig an zwei Zipfeln hoch, um keine Fingerabdrücke zu zerstören.

Kokain, dachte Joseph bitter. Mindestens ein Kilo. Und ich wette, die Schufte haben dafür gesorgt, dass auf dem verdammten Beutel überall meine Fingerabdrücke sind.

Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte der Zoll von irgendwem einen Tipp bekommen. Bei dem Mann, der seinen Koffer durchsucht hatte, handelte es sich um einen älteren Beamten, der von zwei jüngeren Kollegen flankiert wurde. Obwohl er wusste, dass es sinnlos war, schickte Joseph sich automatisch an, seine Unschuld zu beteuern. Die Beamten hörten mit unverhüllter Skepsis zu.

Zu spät erkannte Joseph, dass er seine Feinde unterschätzt hatte. Natürlich hatten sie nicht so etwas Plumpes wie einen Mord geplant. Sie hatten ihn nicht abgepasst, um ihn zu töten, sondern um Informationen aus ihm herauszupressen. Sie würden ihn nicht ermorden, sie würden ihn foltern, bis sie das bekamen, worauf sie aus waren, und dabei ging es nicht um sein Leben, sondern um seine Forschungsergebnisse.

Die Formel.

Joseph merkte, dass ihm trotz der Klimaanlage der Schweiß in Strömen über den Rücken lief. Er kämpfte gegen seine Angst an, die ihm Übelkeit verursachte. Er war Wissenschaftler, kein Soldat; und obwohl er in den Jahren, die er im Dschungel verbracht hatte, gelernt hatte, einiges zu ertragen, bezweifelte er, dass er einer Folterung würde standhalten können. Was genau planten die Dreckskerle? Wie viele US-Beamte hatten sie bestochen? Alle? Keinen? Würde er auf Nimmerwiedersehen aus dem Zollbereich verschwinden?

Er schluckte, seine Handflächen waren nass, und sein Mund war staubtrocken, als ihm die Zollbeamten seine Rechte vorlasen. Obwohl er wusste, dass es keinen Zweck hatte, beteuerte er ein weiteres Mal seine Unschuld. Die Beamten hörten gar nicht zu.

Nach einem Fluchtweg Ausschau haltend, ließ Joseph verzweifelt seine Blicke schweifen. Einer der Männer, die ihn umringten, schien gespürt zu haben, dass er sich mit dem Gedanken an einen Fluchtversuch trug, denn plötzlich sah Joseph sich von stämmigen Polizeibeamten mit Waffen im Anschlag umstellt.

Er setzte sich automatisch zur Wehr, als sie ihn zu einem Verhörraum zerrten, aber das hatte nur den Effekt, dass sie ihm fast die Arme ausrenkten, bevor sie die Handschellen um seine Handgelenke zuschnappen ließen.

Die Polizisten stießen ihn in einen düsteren, fensterlosen Raum, in dem es nach abgestandenem Zigarettenrauch und Angstschweiß roch. Seinem eigenen vielleicht. Denn Angst hatte er weiß Gott. Es stand so viel auf dem Spiel, nicht nur allein für ihn, sondern auch für Hunderttausende andere Menschen.

Er kauerte sich in seinen Stuhl und weigerte sich, die gestellten Fragen zu beantworten oder die Anwesenheit der Beamten auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Hinter der schützenden Mauer des Schweigens, die er um sich errichtet hatte, jagten sich seine Gedanken. Schön, er musste sich damit abfinden, dass er sich verkalkuliert hatte. Wahrscheinlich hatten ihn seine Widersacher aufgespürt, als er in einer der Barackensiedlungen am Ufer des Amazonas angehalten hatte, um sein Motorboot aufzutanken. Was seine Vermutung bestätigte, dass seine Feinde es nicht darauf abgesehen hatten, ihn zu töten, zumindest noch nicht. Wenn sie ihm nah genug gekommen waren, um ihm das Kokain in den Koffer zu schmuggeln, hätten sie genauso gut dafür sorgen können, dass er Manaus nicht lebend erreichte.

Stattdessen hatten sie dafür gesorgt, dass man ihn verhaftete. Und das ausgerechnet in den Vereinigten Staaten. Schön, dann wollten sie also Informationen – Informationen, die nur er ihnen geben konnte. Das war keine wirkliche Überraschung, überraschend waren nur Zeitpunkt und Ort seiner Verhaftung. Die Tatsache, dass sie ihn aus Brasilien rausgelassen hatten, bedeutete, dass sie ihn weit weg und möglichst in den USA haben wollten. Aus irgendeinem Grund schienen sie zu glauben, dass es ihnen in Brasilien nicht gelingen würde, die Formel aus ihm herauszuholen. Deshalb würden sie wahrscheinlich nicht zum Mittel der Folter greifen, die in Manaus leicht, in den Vereinigten Staaten um einiges schwieriger zu bewerkstelligen war.

Diese Erkenntnis beruhigte Joe allerdings nicht so, wie sie es sollte. Was zum Teufel hatten sie mit ihm vor? Auf amerikanischem Boden, in einem amerikanischen Gefängnis? Er konnte es sich nicht erklären, selbst wenn er sich noch so sehr den Kopf zerbrach. Er wusste nur, dass er es herausfinden musste, wenn er sein Leben retten wollte.

Und seine Arbeit.

1. KAPITEL

“Miss Shepherd! Summer! Welche Freude, Sie hier zu sehen.”

Als Summer sich umdrehte, erkannte sie einen renommierten brasilianischen Physiker, der mit seinen Forschungsergebnissen maßgeblich zum Erfolg des Umweltgipfels 1997 in Japan beigetragen hatte. Sie streckte ihm lächelnd die Hand zur Begrüßung hin. “Dr. Pelem, was für eine nette Überraschung.”

“Ich bin selbst erstaunt, dass ich hier bin”, sagte er. “Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich auf einer so exklusiven Gästeliste landen konnte. Mir scheint, dass Ihr geschätzter Vizepräsident ein gutes Wort für mich eingelegt hat.”

“Möglich, aber die Tatsache, dass Sie gerade zum Direktor der Brasilianischen Akademie der Wissenschaften ernannt worden sind, könnte genauso viel damit zu tun haben. Ich gratuliere, Dr. Pelem.”

Er machte eine wegwerfende Handbewegung. “Sie wissen doch, wie es sich mit akademischen Würden verhält”, sagte er lächelnd. “Wenn man zu alt ist, um noch mehr wertvolle wissenschaftliche Arbeit leisten zu können, ernennen sie einen zum Direktor von irgendeiner Institution, einfach nur, um einen bei Laune zu halten.”

Summer lachte, nahm den Arm, den er ihr anbot, und ließ sich von ihm zum Eingang des John Quincy Adams State Drawing Room führen. “Dann hat das System bei Ihnen jämmerlich versagt, Doktor. Ich habe Ihren Bericht über den Umweltgipfel im letzten Jahr gelesen, der meiner Meinung nach die bei Weitem intelligenteste und prägnanteste Zusammenfassung dessen darstellt, was dort abgelaufen ist. Und mir ist auch nicht entgangen, dass sich in die verbindliche Vereinte-Nationen-Prosa ein paar wohlverdiente Seitenhiebe eingeschlichen haben.”

“Nun, dann sind wir uns in unserer gegenseitigen Bewunderung ja einig”, sagte er mit einem Augenzwinkern. “Ich habe Ihren Artikel bezüglich des Ozonabbaus über der Antarktis in Nature gelesen, und ich war ungemein beeindruckt, nicht nur von den Forschungsergebnissen, sondern auch von dem gesunden Menschenverstand, der Ihren Schlussfolgerungen zugrunde liegt.”

“Danke. Ich fühle mich aufrichtig geehrt. Ein Lob von Ihnen ist ein echtes Kompliment.”

“Nichts zu danken. Und da wir schon mal dabei sind, uns gegenseitig Komplimente zu machen, darf ich mir die Freiheit eines sehr alten Mannes nehmen und Ihnen sagen, dass Sie heute Abend ganz besonders hübsch aussehen? Sie sind eine glänzende Mischung, Miss Shepherd. Intelligenz und Schönheit in einem überaus köstlichen Päckchen.”

Sie lachte. “Noch mal danke, ich fühle mich wirklich geschmeichelt. Obwohl ich mir sicher bin, dass es heutzutage nicht einmal für einen steinalten Wissenschaftler ratsam ist zu registrieren, wie seine Kolleginnen aussehen.”

“Dazu möchte ich Ihnen sagen, dass ich Gott sei Dank immer noch an erster Stelle ein Mann und erst an zweiter Stelle ein Wissenschaftler bin. Ah! Der Botschafter winkt mich nicht sehr diskret zu sich. Ich muss mich fürs Erste verabschieden und hoffe, dass sich später noch eine Gelegenheit ergibt, ein bisschen ausführlicher zu reden.”

Dr. Pelem beugte sich über ihre Hand und verschwand dann in der Menge. Summer atmete tief durch, um sich für die Begrüßung ihrer Stiefmutter zu wappnen, die die Gäste vor dem beeindruckenden Kamin willkommen hieß. Mit grimmiger Entschlossenheit ging sie auf sie zu.

“Summer, meine Liebe, du siehst so … kaputt aus. Ich hoffe, es ist nichts?” Olivia Shepherd küsste die Luft neben der Wange ihrer Stieftochter, dann trat sie zurück und erlaubte ihrem makellos geschminkten Gesicht den Anflug eines besorgten Stirnrunzelns.

Summer widerstand der Versuchung, an ihrem Kleid zu zerren und ihr Haar zu glätten. “Nein, mir geht es gut, danke, Olivia. Alles in Butter.”

Verärgert über die Unbeholfenheit ihrer Entgegnung, fragte sie sich wieder einmal, warum ihr auf die Seitenhiebe ihrer Stiefmutter immer erst dann geistreiche Retourkutschen einfielen, wenn sie schon längst wieder zu Hause war und im Bett lag. Das Geschick, ihr Selbstbewusstsein zu untergraben, war eine von Olivias hervorstechendsten Fähigkeiten, und sie machte rücksichtslos davon Gebrauch.

“Alles in Butter?” Olivia ließ sich die Redewendung genüsslich auf der Zunge zergehen. “Meine Liebe, ich freue mich, dass du so … beschwingt bist.”

“Warum sollte ich es nicht sein?”

“Wie ich gehört habe, besteht die Gefahr, dass deine Stelle gestrichen werden könnte. Die Entscheidungsträger der Universität scheinen offenbar nicht so überzeugt zu sein wie du, dass die Polarkappen schmelzen und die ganze Welt überschwemmen könnten.”

Summer beschloss zähneknirschend, nicht – zum millionsten Mal – ihren Atem zu verschwenden, indem sie erklärte, worum es bei ihren Untersuchungen der dünner werdenden Ozonschicht tatsächlich ging. “Es stimmt, dass die Universität kürzlich die Mittel für die Unterstützung meines Projekts gestrichen hat, aber wir haben ohne Schwierigkeiten einen neuen Sponsor gefunden.”

Sie errötete bei der Lüge. Es war fast unmöglich gewesen, die nötigen Gelder aufzutreiben, und ihr Forschungsstipendium lief in sechs Monaten aus, was bedeutete, dass sie dann arbeitslos sein würde. Aber diese demütigende Wahrheit würde sie gegenüber ihrer Stiefmutter um nichts in der Welt zugeben. “Meine Stelle ist sicher”, sagte sie kämpferisch.

“Das freut mich zu hören.” Olivia gab sich keine große Mühe, aufrichtig zu klingen. “Ich weiß, wie wichtig dir deine Arbeit ist, Summer. Dein Vater und ich fragen uns oft, wo du dich verkriechen würdest, wenn du nicht dein Labor hättest.”

“Ich bin mir sicher, dass ich etwas anderes angemessen Obskures finden würde.” Summer gab sich in Gedanken einen Schubs, wütend darüber, dass sie ihrer Stiefmutter wieder einmal erlaubt hatte, so erfolgreich ihre Gefühle zu manipulieren. “Da wir gerade von Dad sprechen, ist er hier?”, fragte sie und schaute sich in dem überfüllten Raum um.

“Da drüben am Fenster, er spricht gerade mit dem brasilianischen Außenminister.” Olivias Mund verzog sich zu einem winzigen gönnerhaften Lächeln. “Ich glaube nicht, dass sie jetzt gern gestört werden, aber ich bin mir sicher, dass Gordon im Lauf des Abends irgendwann fünf Minuten Zeit finden wird, um mit dir zu plaudern.”

“Ja, bestimmt.” Summer hatte elf Jahre Erfahrung mit ihrer Stiefmutter hinter sich, und nach den ersten Anlaufschwierigkeiten konnte sie inzwischen gut mit dieser Art von Routinesticheleien umgehen. Sie setzte ein Lächeln auf, das genauso falsch war wie das ihrer Stiefmutter. “Sonst könnte ja womöglich noch irgendein kühner Journalist registrieren, dass es der amerikanische Außenminister den ganzen Abend über nicht geschafft hat, seiner eigenen Tochter wenigstens Hallo zu sagen.”

Olivias Nasenflügel bebten ganz leicht, das einzige Anzeichen dafür, dass sie es sich gestattete, wütend zu sein. “Dein Vater ist ein viel beschäftigter, wichtiger Mann, Summer. Du musst es dir endlich aus dem Kopf schlagen, dass er alles stehen und liegen lassen kann, sobald du einen Raum betrittst.”

“Da mein Vater und ich im letzten Jahr nicht mehr als zwanzig Minuten miteinander verbracht haben, schätze ich, dass ich darauf schon von allein gekommen bin.”

“Gut. Und da wir schon gerade von deiner Beziehung zu deinem Vater sprechen, denk bitte daran, wie wichtig es für ihn ist, dass du dich heute Abend benimmst. Er hat mich gegen mein besseres Wissen überredet, dich auf die Gästeliste zu setzen. Deshalb verkneif dir um Himmels willen gegenüber dem brasilianischen Außenminister jede despektierliche Frage in Sachen Regenwald.”

“Du liebe Güte, ich bin wirklich froh, dass du es erwähnt hast, Olivia. Sonst wäre ich womöglich umgehend zu dem alten Knaben rübergerannt und hätte ihn gefragt, ob er heute schon einen Baum umarmt hat.”

“Dein Versuch, sarkastisch zu sein, ist völlig deplatziert, Summer. Tatsache ist, dass du, was dein Engagement anbelangt, keinerlei Zurückhaltung kennst.”

“Das kommt nur davon, weil ich weiß, dass die Zeit für einschneidende Veränderungen knapp …”

Olivia ließ Summer nicht ausreden. Sie drehte sich abrupt um und schritt majestätisch auf eine Gruppe Neuankömmlinge zu. Sie liebte Berühmtheiten, und ihr routiniertes Lächeln verwandelte sich in ein echtes Willkommenslächeln, als sie einen bekannten Fernsehjournalisten nett begrüßte. “Ted, danke, dass Sie es doch noch geschafft haben. Sie sehen einfach wundervoll aus! Ich brauche nicht zu fragen, ob Sie Ihre Reise auf die Fidschi-Inseln genossen haben. Ich kann es Ihnen ansehen.”

Summer schlüpfte vorbei, nahm ein Glas vom Tablett eines vorbeikommenden Kellners und stürzte den Wein schnell hinunter, um zu verhindern, dass ihre Wut überkochte. Sie unterdrückte ihren Drang, sich in den nächsten Waschraum zurückzuziehen, obwohl sie nach Olivias verletzender Bemerkung über ihr Aussehen das heftige Bedürfnis verspürte, ihre Erscheinung im Spiegel zu überprüfen. Zum Teufel damit. Ihr langes mitternachtsblaues Kleid war neu, das Haar hatte sie sich zu einem modischen französischen Knoten frisiert – sie hoffte bei Gott, dass französische Knoten immer noch in Mode waren –, und außerdem hatte sie zehn Minuten mit Schminken vor dem Spiegel verbracht, was neuneinhalb Minuten länger war als normalerweise. Sie würde Olivias Boshaftigkeit nicht belohnen, indem sie sich von dem Gedanken beherrschen ließ, ob sie wirklich kaputt aussah.

Summer verhalf sich zu einem weiteren Glas kalifornischem Merlot – Olivia achtete streng darauf, dass auf ihren Empfängen nur die auserlesensten amerikanischen Produkte verwendet wurden – und machte mit einem Dutzend Leuten, die sie nicht kannte, die sie jedoch zu kennen schienen, höflich Konversation. Der Not gehorchend, hatte sie in der letzten Zeit lernen müssen, mit Fremden zu plaudern. Zu den vielen unerwarteten Auswirkungen der Ernennung ihres Vaters zum Außenminister gehörte unter anderem, dass sein Glanz bei Anlässen wie dem heutigen – ein Empfang zu Ehren des brasilianischen Außenministers – auf sie abstrahlte, auch wenn Insider wussten, dass sie und ihr Vater sich nicht wirklich nahestanden. Aber Menschen, die in die wahren Verhältnisse nicht eingeweiht waren, waren ganz wild darauf, mit Summer zu plaudern und so ihre Illusionen, ganz nah am Zentrum der Macht zu sein, zu nähren.

Während sie sich ihren Weg durch die mit Designerklamotten ausstaffierte Menge bahnte, wurde sie von einem Mitarbeiter ihres Vaters begrüßt, dann belegte eine Redakteurin von Vanity Fair sie mit Beschlag. Nachdem sie diese endlich losgeworden war, stürzte sich der Auslandsredakteur von U.S. News and World Report auf sie. Da sie aus leidvoller Erfahrung wusste, dass nichts, was sie je zu einem Journalisten gesagt hatte, unveröffentlicht geblieben war, weigerte sich Summer, einen Kommentar zu dem kürzlich im Fernsehen gesendeten Porträt ihres Vaters abzugeben, auch wenn der fragliche Sender ihre verstorbene Mutter zu einer radikalen Spinnerin abgestempelt hatte, die nur knapp einer Zwangseinweisung in eine Nervenheilanstalt entgangen war.

Endlich lief sie zu ihrer Erleichterung Rita Marcil, der Leiterin des Umweltressorts der New York Times, in die Arme. Es war das Beste, was ihr auf dieser Party passieren konnte. Rita war, wie sie Summer erzählte, eingeladen worden, damit der brasilianische Außenminister ihr “informell” berichten konnte, was für große Fortschritte Brasilien bei der Kontrolle der wirtschaftlichen Ausbeutung des Regenwaldes im Amazonasgebiet gemacht hatte.

“Hat man Sie überzeugt?”, fragte Summer. “Es wäre ein echter Coup für die brasilianische Regierung, wenn Sie einen positiven Artikel über das, was sich in Amazonien abspielt, schrieben.”

Rita zuckte die Schultern. “Ich bin durchaus bereit, es der brasilianischen Regierung abzunehmen, dass sie verspätete Anstrengungen unternimmt, die Region auf etwas verantwortungsvollere Weise zu erschließen, aber es ist zu wenig und zu spät. Im Moment bräuchte es schon wesentlich mehr als einen Sprücheklopfer auf einer Dinnerparty, um mich davon zu überzeugen, dass wir nicht bereits mit der ersten großen Umweltkatastrophe des einundzwanzigsten Jahrhunderts konfrontiert sind.”

Summer schüttelte den Kopf. “Wir hören heutzutage so viel darüber, wie klein unser Planet ist und dass wir alle voneinander abhängig sind, und doch scheint es in diesem Land immer noch Leute zu geben, die sich einen Dreck darum scheren, was mit der Umwelt in vielen Entwicklungsländern passiert.”

Rita lächelte zynisch. “Mein liebes Kind, wenn es schon die gewieftesten, bestbezahlten PR-Firmen in diesem Land nicht schaffen, wenigstens ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung zu Präsidentschaftswahlen an die Wahlurnen zu locken, haben wir keine große Chance, dass sich Otto Normalverbraucher für ein derart abseitiges Thema wie den Raubbau am brasilianischen Regenwald interessiert.”

“Aber das ist viel wichtiger als die Politik, die sie in Washington …”

Rita lachte aufrichtig belustigt, und Summer fiel widerstrebend in ihr Lachen ein. “Okay, dann bin ich vielleicht der einzige Mensch auf diesem Empfang, der glaubt, dass Washington D.C., nicht der Nabel der Welt ist, aber es macht mich wahnsinnig, wenn renommierte Wissenschaftler niemanden in ihrer Regierung finden können, der ein ernsthaftes Interesse an harten Fakten über die Zusammenhänge zwischen der Zerstörung des Regenwaldes, dem Ozonabbau und der globalen Erwärmung hat.”

“Ach, kommen Sie, Summer, seien Sie realistisch. Sie sind doch schon lange genug dabei, um zu wissen, dass sich das offizielle Washington nie von Wissenschaftlern seine politischen Entscheidungen diktieren ließe.”

“Vermutlich. Aber ich hoffe weiterhin auf irgendetwas, das die Politiker wachrüttelt, bevor es zu spät …”

“Sagen Sie einem Politiker, dass er sich entscheiden kann, ob er die nächste Wahl gewinnen oder lieber für zukünftige Generationen den Planeten retten will, und dann raten Sie mal, was passiert. Ich wette, dass wir beide auf dasselbe tippen.”

“Ich weiß”, seufzte Summer. “Ich bin es so verdammt leid, ständig die Lippenbekenntnisse der Politiker zu hören, nur um am Ende der Legislaturperiode wieder einmal feststellen zu müssen, dass alles noch viel schlimmer geworden ist.” Sie und Rita schlossen sich der Menge an, die in den Speisesaal drängte. “Haben Sie für dieses Jahr irgendwelche aufregenden Urlaubspläne?”, erkundigte sie sich, während sie auf Instruktionen warteten, wie sie die ihnen zugedachten Plätze in dem riesigen Benjamin Franklin State Dining Room finden sollten.

Bei dem Thema Urlaub horchte Rita auf. “Das Gegenteil von aufregend, hoffe ich. Mein Bruder hat für den ganzen August ein Cottage in Maine gemietet. Es ist zwanzig Meilen von der nächsten Stadt entfernt, und es gibt keinen Fernseher. Er plant, den amerikanischen Roman der Gegenwart zu schreiben, und außerdem ist er ein fantastischer Koch. Ich hingegen plane, jeden Tag zu segeln und meine E-Mails nicht zu beantworten. Und was ist mit Ihnen?”

“Ich habe für nächsten Monat eine dreiwöchige Reise durch Alaska gebucht und …”

“Klingt toll, aber wie ich Sie kenne, ist es bestimmt eine Art Arbeitsurlaub.”

“Ja, schon, ich bin jedoch auch entschlossen, ein bisschen zu entspannen. Ich habe mir geschworen, diesen Sommer jedes Wochenende Modezeitschriften zu lesen und mich über so wichtige Dinge zu informieren, ob gelber Nagellack in oder out ist, anstatt mich mit so trivialen Sorgen aufzuhalten, ob es für Königspinguine in der Antarktis zu warm ist, um zu brüten.”

Rita nahm ihre gedruckte Platzkarte von einem der Bediensteten in Empfang. “Ich werde Sie nach dem Labor Day anrufen, um Ihre Antwort zu erfragen.”

“Über die Pinguine?”

“Nein, den Nagellack. Dass die Pinguine Probleme haben, weiß ich bereits. Das Polareis schmilzt so schnell, dass es nicht mehr genug Platz gibt, wo sie brüten können.” Sie schaute auf ihre Platzkarte, während sie an einer Phalanx von Beamten des Secret Service vorbei in den Speisesaal gingen. “Ich sitze an Tisch zwölf. Was ist mit Ihnen? Ich schätze, Sie sitzen bei Ihrem Vater mit den VIPs am Tisch.”

“Machen Sie Witze? Meine Stiefmutter ist nicht mal davon überzeugt, dass ich stubenrein bin, geschweige denn, dass ich eine angemessene Gesellschaft für den brasilianischen Außenminister und seine Frau darstelle.” Summer war bestürzt über die Verletztheit, die sie in ihrer Stimme mitschwingen hörte, deshalb schaute sie schnell auf die Platzkarte, die man ihr soeben in die Hand gedrückt hatte. “Ich sitze an Tisch siebzehn.”

“Am selben Tisch wie ich”, sagte eine männliche Stimme direkt hinter ihr. “Was für eine Überraschung. Wie geht es dir, Summer?”

Duncan Ryder. Sie schaffte es gerade noch, ein lautes Aufstöhnen zu unterdrücken. Duncan war Olivias Bruder und einer der Menschen auf der Welt, die sie am wenigsten schätzte. Sie hätte es sich denken können, dass er heute Abend hier war, da er im Außenministerium arbeitete und gerade in den Rang eines Beraters aufgestiegen war – fast beispiellos für jemanden, der noch keine Vierzig war.

Ihr Vater und ihre Stiefmutter betrachteten Duncan als eine Art Gottesgeschenk an Amerikas Diplomatie – und an jede alleinstehende Frau auf dem Erdball. Ihr Vater konnte gar nicht oft genug betonen, was für einen großartigen Ehemann er für sie abgeben würde, was Summer noch mehr geärgert hätte, wenn da nicht die Tatsache gewesen wäre, dass Olivia allein bei der Vorstellung, dass ihr brillanter Bruder sich mit ihrer nutzlosen Stieftochter einlassen könnte, jedes Mal fast einen Schlaganfall bekam. Wenn sie Olivia hätte beruhigen wollen – was sie selbstverständlich nicht wollte –, hätte sie ihrer Stiefmutter sagen können, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte, dass sie lieber Fidel Castro heiraten würde als ihren Bruder. Es gab nur wenige Menschen auf der Welt, in deren Gegenwart sich Summer unbehaglicher fühlte als in der von Olivia, aber Duncan Ryder gehörte zu diesen wenigen.

Sie ignorierte den drängenden Wunsch, durch den nächstbesten Ausgang zu fliehen und wandte sich ihm zu, um ihn mit einem nicht zu übersehenden Mangel an Begeisterung zu begrüßen. “Hallo, Duncan, wie geht es dir? Ich habe dich schon seit einer Weile nicht gesehen.”

“Ich war unterwegs und habe eine Reihe von amerikanischen Firmen zu überreden versucht, in verschiedene Entwicklungsprojekte in Recife zu investieren.” Er schaute sie mit verhalten sardonischer Belustigung an. “Aber als ich hörte, dass man dich heute auch erwartet, habe ich natürlich sofort die nächste Maschine nach Hause genommen.”

“Oh, natürlich. Ich weiß, wie gern du deine Zeit mit mir verbringst.”

“Und du mit mir.”

“Oh ja, sicher, du bist mein Traummann. Tatsächlich habe ich sogar eine Verabredung mit George Clooney abgesagt, weil ich gehofft hatte, dass Olivia mich an deinen Tisch setzt.”

Er legte den Kopf schräg und grinste spöttisch. “Ich fühle mich ausgesprochen geschmeichelt. Vielen Dank.”

Sie biss sich vor Frustration auf die Lippen. “Es überrascht mich, dass du weißt, wer George Clooney ist”, brummte sie. “Ich hätte nicht gedacht, dass du jemals fernsiehst, bis auf die einschlägigen politischen Sendungen, selbstverständlich.”

“Sicher sehe ich fern. Ich entspanne mich dabei, wenn ich nicht gerade geldgierigen Konzernen unberührte Wildnis verkaufe.”

Summer gab vor, seinen Sarkasmus zu überhören. “Hast du das in Recife gemacht?”

“In Recife gibt es keine unberührte Wildnis mehr”, gab Duncan mit plötzlicher Schroffheit zurück. “Nur jede Menge verfallene Bauten aus dem neunzehnten Jahrhundert und Tausende hungriger Menschen.”

Rita räusperte sich. “Ich unterbreche nicht gern, aber hier ist mein Tisch. War nett, Sie zu treffen, Summer. Ich melde mich noch mal bei Ihnen in New York, bevor ich nach Maine abdüse.”

Summer hatte Rita völlig vergessen, die Duncan mit derselben Verzückung anstarrte, die er bei den meisten Frauen hervorrief. Sie machte die beiden, wenn auch verspätet, miteinander bekannt, wobei sie sich wünschte, es möge einen Weg geben, Rita die Botschaft zu vermitteln, dass Duncans atemberaubend gutes Aussehen eine Persönlichkeit übertünchte, die ungefähr so charmant war wie ein Alligator, der Zahnschmerzen hatte.

“Rita, das ist der Bruder meiner Stiefmutter, Duncan Ryder. Er ist Berater im Außenministerium und leitet die Abteilung für Wirtschaftsbeziehungen mit Lateinamerika. Duncan, das ist Rita Marcil von der New York Times. Sie leitet das Umweltressort.”

“Ich erinnere mich, Ihren Namen schon gelesen zu haben”, sagte Duncan, während er Rita die Hand schüttelte. “Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich war sehr beeindruckt von dem Artikel, den Sie letzten Monat über die Auswirkungen von ausländischen Investitionen auf den Umweltschutz in Indien geschrieben haben. Ihre Schlussfolgerungen haben mir eine Menge Denkanstöße gegeben.”

Rita lächelte erfreut. “Es war interessant, für den Artikel zu recherchieren, und einiges, was dabei herausgekommen ist, hat mich sogar selbst überrascht.”

“Ich verstehe, warum. Es war ein wirklich sehr erhellender Artikel, schockierend in der Art, wie es wirklich guter Journalismus manchmal ist.”

“Danke.” Rita, die angeblich so zynische Journalistin, errötete tatsächlich. Summer erkannte wie befürchtet die ersten Anzeichen von Verblendung und unterdrückte ein Aufseufzen. Duncans Affären dauerten höchstens einen Monat, dann verlor er unweigerlich das Interesse, und sie fand sich – nur allzu oft – in der absurden Situation wieder, seinen Verflossenen erklären zu müssen, dass sie die letzte Frau auf der Welt war, die Tipps hatte, wie man Duncans erlahmendes Interesse wiederbeleben könne.

Sie warf ihm einen Blick zu, in dem sich ihre flammende Abneigung spiegelte, aber natürlich registrierte er es nicht, weil er vollauf damit beschäftigt war, sich für die nächste Woche mit Rita zu verabreden. Angeblich, um die Schlussfolgerungen, die sich aus ihren Recherchen für den Artikel über Indien ergeben hatten, zu vertiefen, obwohl Rita aussah, als ob sie mehr als bereit wäre, sogar über Haartransplantationen oder das Problem von Tierkadaverbeseitigung zu sprechen, wenn sie dadurch in den Genuss seiner Gesellschaft kam. Summer konnte Rita nicht verstehen, vor allem, weil diese bereits eine sehr ernsthafte Beziehung hatte.

Nachdem die Verabredung zum Lunch getroffen war, verabschiedete sich Duncan von Rita und hakte Summer unter, um sie zu ihrem Tisch zu begleiten, wo die acht anderen Gäste bereits saßen. Sie hatten kaum Zeit, sich vorzustellen, als auch schon das Orchester des Marinecorps anfing, die Nationalhymnen Brasiliens und der Vereinigten Staaten zu spielen, während eine Reihe weiß befrackter Kellner, beladen mit Silbertabletts, aus der Küche marschiert kam.

Summer saß zwischen Duncan und einem japanischen Geschäftsmann, der so gut wie kein Englisch sprach. Mr. Fujito bemühte sich heldenhaft, seine Zunge um die störrischen englischen Konsonanten zu wickeln, und Summer verständigte sich so gut sie konnte in Zeichensprache, aber als die Gurkenkaltschale von Hummerravioli abgelöst wurde, schmerzte ihr vom vielen Lächeln derart der Kiefer, dass sie wenig später tatsächlich einen Anflug von Dankbarkeit verspürte, als Duncan sie fragte, ob sie tanzen wolle.

“Danke, dass du mich gerettet hast”, sagte sie, während sie im flotten Rhythmus über die Tanzfläche glitten. “Die Unterhaltung mit Mr. Fujito war ein bisschen zäh. Er erzählte mir, dass er eine Tochtergesellschaft in São Paulo habe, die entweder Batterien oder Damenkorsetts herstellt. Ich habe die ganze Zeit überlegt, wie ich diese Frage auf eine höfliche Art durch Zeichensprache klären könnte.”

Duncan lachte und wirbelte sie gekonnt an einem kleinen schwitzenden Herrn vorbei, der eine große dünne Dame in einem senfgelben Kleid im Arm hielt. “Mr. Fujitos Firma stellt die Batterien für zwei Drittel der Autos her, die in Brasilien gebaut werden.”

“Puh, das ist eine Erleichterung. Ein Gespräch über Autos lässt sich in Zeichensprache wesentlich leichter führen als eins über Damenunterwäsche.”

“Du könntest es mit Portugiesisch versuchen”, schlug er vor.

Sie verdrehte die Augen. “Wirklich eine tolle Idee! Zuerst sage ich die Wochentage auf, und dann zähle ich bis zehn. Und dann, zum großen Finale, kann ich ja bitte, danke und auf Wiedersehen sagen. An diesem Punkt werde ich meine fließende Beherrschung der portugiesischen Sprache demonstriert haben.”

“Ich dachte, du hättest vielleicht ein bisschen Portugiesisch gelernt, als du letztes Jahr in Brasilien warst.”

“Ich war nur zwei Wochen dort, und ich lerne Sprachen nicht im Schlaf wie du. Davon abgesehen, war ich mit einem alten Freund da, der sich bei Bedarf als Dolmetscher betätigt hat.”

“Wie findest du Brasilien?”, fragte Duncan. “Wir hatten nie Gelegenheit, über deine Eindrücke zu sprechen, dabei interessiert es mich sehr. Mir ist kürzlich aufgegangen, dass ich, je mehr der sogenannten harten Fakten ich bekomme, immer weniger verstehe, was in diesem Land wirklich vor sich geht.”

Sie und Duncan waren seit ihrer Reise mit Joe Malone gezwungenermaßen mindestens ein Dutzend Mal zusammengetroffen, darum war es nicht ganz korrekt zu sagen, sie hätten noch keine Gelegenheit gehabt, ihre Eindrücke auszutauschen. In Wahrheit war es so, dass sie in Duncans Gesellschaft stets zu sehr damit beschäftigt war, Punkte gegen ihre Stiefmutter zu sammeln, als sich Zeit für ein richtiges Gespräch mit ihm zu nehmen. Jetzt verspürte Summer zu ihrer Überraschung einen leisen Stich des Bedauerns über ihre mangelnde Kommunikation.

“Brasilien ist viel zu groß, um es mit ein paar flotten Sprüchen abzuhandeln”, sagte sie. “Aber ich war von der pulsierenden Lebendigkeit der Städte, der Geschichtsfülle und der atemberaubenden Landschaft überwältigt. Und was den Regenwald angeht …”

Sie unterbrach sich, aber Duncan forderte sie auf, weiterzusprechen.

Sie schüttelte den Kopf. “Es ist jetzt mehr als acht Monate her, und ich finde immer noch keine Worte dafür, was ich angesichts dieser so unvorstellbar üppigen Natur in Verbindung mit so viel durch Menschenhand bewirkte Zerstörung empfinde. In der einen Minute könnte ich vor Ehrfurcht anfangen zu heulen, weil weite Teile des Regenwalds immer noch so herrlich und unberührt sind. Und in der nächsten Minute würde ich am liebsten vor Wut laut schreien, weil sie alles so kaputt gemacht haben.”

Sie bereute es schon, etwas gesagt zu haben, weil sie jetzt die typischen Argumente erwartete, dass Umweltschutz und ökonomische Entwicklung manchmal eben leider nicht Hand in Hand gingen, aber Duncan überraschte sie, indem er ihr zustimmte, dass die Schnellstraße, die man mitten durch den Regenwald gebaut hatte, ein inakzeptabel hoher Preis für die ökonomische Erschließung und eine brutale Ausbeutung der Naturressourcen war.

Froh darüber, dass sie ihre ungewohnte Harmonie nicht zerstört hatte, plauderte Summer für den Rest des Tanzes fast freundschaftlich mit ihm. Seine Jahre als Diplomat hatten einen großartigen Tänzer aus ihm gemacht, zumindest von der gesetzteren Ballsaalsorte, und sie fand es ausgesprochen angenehm, zu den Klängen des Kaiserwalzers von Johann Strauß über das Parkett gewirbelt zu werden. Kein Wunder, dass die Anstandsdamen des 19. Jahrhunderts so aufgescheucht waren, als der Walzer seinen Weg in die feine Gesellschaft fand, dachte Summer. Dieses Herumwirbeln hatte etwas entschieden Erotisches, und es fiel ihr schwer, sich daran zu erinnern, dass es Duncan Ryder war, der sie in seinen Armen hielt und dieses unerwartete Aufflackern von Sinnlichkeit in ihr auslöste. Offenbar musste sie ihrem Liebesleben dringend mehr Aufmerksamkeit schenken, wenn ausgerechnet Duncan sie dazu bringen konnte, sehnsüchtig an kühle Laken und heißen Sex zu denken.

Gordon Shepherd hatte mit Senhora Nabuco, der Frau des brasilianischen Außenministers, getanzt, und ihre Wege kreuzten sich, als Summer und Duncan die Tanzfläche verließen. Summers Vater machte sie miteinander bekannt, und Senhora Nabuco – eine elegante gertenschlanke Frau von Anfang Fünfzig – erlag Duncans Charme und seinem blendenden Aussehen fast genauso schnell wie zuvor Rita. Die beiden waren schon bald in ein Gespräch über einen brasilianischen Komponisten vertieft, von dem Summer noch nie etwas gehört hatte und den Senhora Nabuco und Duncan Ryder offenbar beide bewunderten.

Ihr Vater streifte Duncan mit einem beifälligen Blick, bevor er sich zu Summer umwandte. “Wie geht es dir, meine Liebe?”, erkundigte er sich, während er sie aus dem Gedränge führte, um sich einen Moment ungestört mit ihr unterhalten zu können. “Es ist viel zu lange her, seit wir Gelegenheit hatten, ein bisschen zu plaudern, aber mein Terminkalender ist in letzter Zeit wirklich lächerlich voll. Ich sollte mir jeden Tag wenigstens fünf Sekunden zum Atemholen freihalten.”

“Ist schon okay, Dad. Ich weiß, dass dein Job für die nächsten Monate oberste Priorität hat. Aber wenn deine Amtszeit vorbei ist, haben wir viel Zeit, das Versäumte nachzuholen. Immerhin sind ja bald Wahlen, und wenn die neue Regierung vereidigt ist, bist du wieder ein freier Mann.”

“Wie wahr.” Ihr Vater runzelte die Stirn und schien einen Moment zu überlegen, dann lächelte er und tätschelte ihr ein bisschen unbeholfen die Hand. “Du siehst heute Abend wirklich hübsch aus, Summer. Ich habe ganz vergessen, wie attraktiv du sein kannst, wenn du dich richtig kleidest.”

“Danke.” Sie beschloss es als ein Kompliment zu nehmen und die unterschwellige Missbilligung zu überhören. “Du siehst auch verflixt gut aus, Herr Minister. Weit und breit kein graues Haar in Sicht und auch keine neuen Falten. Die viele Arbeit und der katastrophal vollgestopfte Terminkalender scheinen dir ausgesprochen gut zu bekommen.”

Er grinste geschmeichelt und strich sich mit der Hand übers Haar. “Nicht schlecht für einen Mann, der gerade sechzig geworden ist, was? Zum Glück finde ich die viele Arbeit belebend, und du weißt ja, dass ich noch nie viel Schlaf gebraucht habe.”

“Nein, du bist schon immer spät ins Bett gegangen und früh aufgestanden. Ganz anders als Mom. Erinnerst du dich noch, wie sie nachts bis in die Puppen aufblieb und dann bis mittags schlief? Sie hat es fertiggebracht, um drei Uhr morgens noch Brot zu backen.”

Er runzelte die Stirn; offenbar war ihm die Erwähnung seiner früheren Frau unangenehm. “Ich fürchte, deine Mom hatte kein großes Talent, sich ihre Zeit einzuteilen. Dass sie sich an keinen Zeitplan halten konnte, war ein ständiger Reibungspunkt zwischen uns. Aber was soll's, das ist vorbei, und das Beste ist es, die Vergangenheit dort zu lassen, wo sie hingehört. Reden wir lieber von dir. Wie behandelt dich das Leben, Summer? Gefällt es dir noch in Manhattan? Und was macht dein Job?”

Sie akzeptierte es, dass er das Thema wechselte, vor allem, weil ihr klar wurde, dass die Reminiszenzen an ihre Mutter fehl am Platz waren. “Ja, es gefällt mir sehr gut. Wenn man sich erst mal an den irrsinnig hohen Lärmpegel gewöhnt hat, ist New York wirklich eine aufregende Stadt, und ich habe ein paar gute Freunde gefunden. Obwohl es mir noch besser gefallen würde, wenn ich mir eine Wohnung leisten könnte, die ein bisschen größer ist als ein Besenschrank.” Sie grinste selbstironisch. “Es ist nicht ganz einfach, mit einem Stipendium über die Runden zu kommen.”

Er schaute besorgt. “Meine Liebe, wenn du einen Mietzuschuss brauchst, musst du es nur sa…”

“Nein!”, sagte sie so scharf, dass er zusammenzuckte. “Entschuldige, Dad, ich wollte nicht unhöflich sein, aber ich bin fast dreißig, und es gibt für dich keinen Grund, anzunehmen, dass du mir zu meiner Miete etwas beisteuern müsstest.”

“Es gibt den wichtigsten Grund der Welt. Du bist meine Tochter.”

“Und du hast mir eine großartige Ausbildung bezahlt, sodass ich mir meinen Lebensunterhalt selbst verdienen kann.”

“Du hattest schon immer dieses starke Streben nach Unabhängigkeit”, meinte er bedauernd. “Du wolltest ja nicht einmal, dass ich dir nach deinem Examen helfe, einen Job zu finden.”

“Ich habe das Geld gehabt, das Mom mir hinterlassen hatte”, sagte sie. “Dad, es ging mir gut damals. Und jetzt geht es mir auch gut. Mach dir keine Sorgen. Ich lande schon nicht auf der Straße und verursache einen Skandal.”

“Nein, ganz gewiss nicht.” Er lächelte und tätschelte ihr den Arm. “Wie ich sehe, hat Olivia mir meinen Wunsch erfüllt und dich mit Duncan an einen Tisch gesetzt. Das ist endlich mal ein Mann nach meinem Geschm…”

“Ja, Dad, ich weiß, wie sehr du ihn schätzt …”

“Er hat es zu etwas gebracht. Viel Verstand in einem kühlen Kopf. Er wäre wirklich der ideale Mann für dich. Meiner Meinung nach könntest du nichts Besseres tun, als ernsthaft in Erwägung zu ziehen, Duncan zu hei…”

“Glücklicherweise gibt es keine Chance, dass Duncan mich je fragt, ob ich ihn heiraten will, deshalb brauchen wir uns nicht darüber zu streiten”, fiel Summer ihrem Vater ins Wort.

“Vor allem nicht hier”, sagte Gordon und warf einen Blick auf seine Uhr. “Ich muss an meinen Tisch zurück. Ich habe den Außenminister schon viel zu lange allein gelassen. Bist du morgen noch in der Stadt? Falls ja, warum rufst du nicht einfach Brian an – er ist mein neuer Assistent – und fragst ihn, ob er noch irgendwo eine Lücke in meinem Terminkalender findet. Komm zum Kaffee oder zum Tee, was dir lieber ist. Ich bin mir sicher, dass wir irgendwo fünfzehn Minuten für dich rausschinden können. Schließlich bist du ja meine Tochter.”

Summer ignorierte das Brennen in ihrem Magen und bewerkstelligte ein gelassenes Lächeln. “Danke für das großzügige Angebot, Dad, aber ich bin morgen schon ausgebucht. Ein Workshop mit australischen Wissenschaftlern.”

“Na, dann ein andermal.” Gordon fragte nicht, ob Summer vorhatte, das ganze Wochenende in Washington zu bleiben. Er lud sie auch nicht ein, den Samstagabend in seinem Haus zu verbringen. “Findest du allein an deinen Tisch?”

“Klar. Bis dann, Dad. Ich melde mich.”

“Bis dann, Summer. Ich freue mich, dass du heute Abend gekommen bist. Es war wirklich schön, dich zu sehen.” Gordon ging schnell zu seinem Tisch zurück. Unterwegs schüttelte er mindestens ein Dutzend Hände und hielt für jeden ein Bonmot bereit. Ihm folgten bewundernde Blicke, und Summer hörte eine Frau leise sagen: “Er ist wirklich ein gut aussehender Teufel, finden Sie nicht?”

“In der Tat”, gab ihr Begleiter zurück. “Die Regierung hat verdammtes Glück, dass er mit im Boot ist. Und seine Frau ist ebenfalls ein Gewinn. Gott sei Dank hat er sich von diesem Hippie-Auslaufmodell scheiden lassen, mit dem er verheiratet war, als er noch im Kongress war. Erinnern Sie sich an sie?”

“Deborah? Wie könnte man sie vergessen? Aber Gordon hat sich nicht scheiden lassen, sie ist gestorben.”

“Ja, Deborah, richtig”, brummte der Mann. “Nun, wenn Sie mich fragen, konnte sie nichts Nützlicheres tun, als abzutreten, bevor ihr Mann ins Rampenlicht trat.”

Aus Angst, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, stand Summer wie angewurzelt da, bis Gordon seinen Platz neben Senhora Nabuco wieder eingenommen hatte. Dann drehte sie sich um und ging blind auf den nächsten Ausgang zu. Die Damentoilette war leer, glücklicherweise, denn sie zitterte so sehr, dass sie sich gegen den Marmortresen lehnen musste. Ihre Mutter war der freundlichste, warmherzigste Mensch gewesen, dem sie je begegnet war, und dazu auch noch einer der klügsten. Es tat weh, dass so viele Leute aus den Kreisen ihres Vaters unfähig gewesen waren, hinter den selbstgewebten Kleidern und der altmodischen Frisur den wertvollen Menschen zu erkennen.

Nachdem das Zittern aufgehört hatte, beugte sie sich vor, um in den Spiegel zu schauen, während sie sich mit großer Konzentration die Lippen nachzog. Mit ihrer Beziehung zu ihrem Vater ging es beständig bergab, seit er vor elf Jahren ihre Mutter verlassen hatte und bei Olivia eingezogen war. Und jetzt kam noch erschwerend hinzu, dass er seit seiner Ernennung zum Minister fast überhaupt keine Zeit mehr für sie hatte. Sie ließ ihre Tasche zuschnappen und straffte die Schultern. Der Mangel an Vertrautheit zwischen ihrem Vater und ihr war zwar traurig, aber kaum der Stoff, aus dem Tragödien waren. Bestimmt die Hälfte der Frauen, die sie kannte, würden wahrscheinlich behaupten, nicht unbedingt eine perfekte Beziehung zu ihrem Vater zu haben. Zeit, zu Mr. Fujito und Olivias ärgerlich perfektem Bruder zurückzukehren. Oh Jubel! Für den Rest des Abends konnte sie zwischen einem Kreuzverhör durch Duncan oder einer in Zeichensprache geführten Unterhaltung mit Mr. Fujito wählen. Was für herrliche Aussichten.

“Ich habe dem Kellner gesagt, dass er deine Ravioli mitnehmen und den Lammrücken hierlassen soll”, sagte Duncan, als sie an den Tisch zurückkehrte.

“Danke. Entschuldige, dass ich so lange weg war.” Sie lächelte strahlend. “Wo ist Mr. Fujito?”

“Er tanzt mit Mrs. Fujito.” Duncan schaute sie ruhig an. “Worüber hast du dich denn so aufgeregt, dass du dich nicht an den Tisch zurückgetraut hast?”

“Über nichts. Das Lamm ist köstlich, findest du nicht?”

“Ja.” Duncan legte seine Hand auf ihre, womit er sie zwang, mit dem Essen aufzuhören. “Wer bin ich, Summer?”

Überrascht legte sie ihre Gabel hin. “Was für eine bizarre Frage. Was meinst du damit? Du bist Duncan Ryder, Olivias Bruder.”

Er lachte verärgert auf. “Duncan-Ryder-Olivias-Bruder. Du sagst es so, dass es klingt, als wäre es ein einziges Wort, eine universale Verdammung.”

“Nun, du bist aber nun mal Duncan Ryder und du bist ebenso Olivias Bruder”, sagte sie streitlustig.

“Ja, sicher, nur dass für dich die Tatsache, dass ich Olivias Bruder bin, alles andere überragt, was ich sonst noch bin. Meine Schwester hat deinen Vater geheiratet, und du wünschst dir, sie hätte es nicht getan. Ende von Duncans Biografie.”

“Ich weiß eine Menge von dir, was nichts mit Olivia zu tun hat”, protestierte Summer.

“Nenn mir nur eins.”

Sie kramte in ihren Gedächtnisschubladen. “Du arbeitest im Außenministerium und bist für Südamerika zuständig. Da, das ist eins.”

“Richtig. Wirklich toll. Da kennen wir uns elf Jahre – zugegeben nur gezwungenermaßen –, und alles, was du von mir weißt, ist, dass ich Duncan-Ryder-Olivias-Bruder bin und für das Außenministerium arbeite.”

Was wusste sie sonst noch über Duncan? Bestimmt eine ganze Menge. Immerhin hatte der Kerl sie jahrelang wahnsinnig gemacht. Aber jetzt tappte sie im Dunkeln. Bis auf … Sie konnte sich ausrechnen, wie alt er war. Olivia war fünfundvierzig, und Duncan war sieben Jahre jünger. “Du bist achtunddreißig und warst nie verheiratet”, verkündete sie triumphierend.

“Neununddreißig”, korrigierte er sie glatt. “Ich hatte letzten Monat Geburtstag. Und ich war verheiratet und wurde mit siebenundzwanzig geschieden.”

“Du warst verheiratet?” Sie starrte ihn verblüfft an. “Das wusste ich nicht.”

“Woher auch? Du hast mich nie gefragt.”

“Wie lange warst du denn verheiratet? Hast du Kinder?” Summer sah sich gezwungen zuzugeben, dass es lächerlich war, einem Mann, den sie seit elf Jahren kannte, eine solche Frage zu stellen.

“Vier Jahre und Gott sei Dank keine Kinder. Das war einer der wenigen Fehler, die meine Exfrau und ich vermeiden konnten.”

“Du hältst Kinder für einen Fehler?”

“Für Irene und mich wäre es eine Katastrophe gewesen. Wir waren gerade reif genug, um uns um einen Goldfisch zu kümmern. Möglicherweise.”

Sie lächelte und vergaß, dass sie sich über ihn ärgerte. “War es wirklich so schlimm?”

“Noch schlimmer. Aber lass uns freundlich sein und einfach sagen, dass wir eben zu jung geheiratet haben.”

Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück und nippte an ihrem Eiswasser. “Was weiß ich sonst noch nicht über dich, Duncan?”

Er zuckte die Schultern. “Nur alles, was wichtig ist.”

“Dann tu einfach so, als ob wir uns erst heute kennengelernt hätten, und erzähl mir ein paar wichtige Dinge von dir.”

Er verzog das Gesicht. “Das klingt wie der Anfang der schlimmsten Sorte von Vorstellungsgespräch. Guten Morgen, Mr. Ryder. Bitte erklären Sie uns in fünf Sätzen oder weniger, warum wir Sie einstellen sollen.”

Sie stellte lachend ihr Wasserglas zurück. “Also gut, hier ist eine gezielte Frage an dich. Dein Vater war drei Legislaturperioden lang Senator, und deine Mutter war eine Lichtgestalt der Republikaner in Michigan. Dir macht es offenbar Spaß, für die Regierung zu arbeiten, sonst hättest du nicht diesen Job im Außenministerium. Warum trittst du nicht in die Fußstapfen deines Vaters und kandidierst bei Wahlen? Das ist es doch, was alle Politjunkies wollen.”

“Vielleicht, aber ich weiß aus erster Hand, dass jeder Politiker mit seinem Privatleben bezahlt, und ich habe kein Interesse daran, mich auf so einen mörderischen Wettlauf einzulassen. Davon abgesehen, hat die Familie Ryder seit Generationen in derselben ländlichen Gemeinde von Michigan gelebt. Es wurde Zeit, dass mal jemand kam, den es in die Ferne zog, und ich hatte dieses Glück.”

“Sie haben dich schon dreimal nach Übersee geschickt, seit wir uns kennen.” Summer fragte sich, warum sie sich daran erinnerte. Vielleicht, weil sie so erleichtert gewesen war, ihn mehrere Monate lang nicht sehen zu müssen. “Hat dich das viele Reisen nicht von deinem Fernweh kuriert?”

Er schüttelte den Kopf. “Noch nicht. Bis jetzt scheint eher alles darauf hinzudeuten, dass es chronisch ist.”

“Hattest du nie Heimweh?”

“Doch, sehr oft. Aber jedes Mal, wenn es länger anhielt, reichte ich Urlaub ein und besuchte meine Eltern in Michigan. In der ersten Woche habe ich mich gefreut, alte Freunde und die Familie wiederzusehen, die alle nicht verstehen konnten, warum ich von zu Hause weggegangen war. Am Ende der zweiten Woche war ich bereit, sogar auf der Ladefläche des städtischen Müllwagens mitzufahren, nur um endlich wieder wegzukommen.”

Summer registrierte überrascht, dass sie das, was er sagte, nachfühlen konnte. “Ich glaube, ich habe auch so einen Anflug von Fernweh”, sagte sie. “Glücklicherweise ist in Manhattan zu leben fast so, wie jedes Jahr umzuziehen. Die Stadt erfindet sich ständig selbst neu, sodass es nie langweilig wird.”

“Ganz im Gegenteil zu Washington. Hier kommen und gehen zwar, abhängig von jeder Wahl, die Menschen, aber die Institutionen sind so starr, dass sie jedem Versuch einer Veränderung widerstehen.”

“Findest du dieses Gewicht der Institutionen nicht erdrückend? Ich glaube, ich würde es erdrückend finden.”

“Manchmal. Aber ein Sinn für Kontinuität und Tradition ist in einer sich rasant verändernden Welt nicht immer schlecht. Im Grunde mag ich Washington sehr. Es ist die liebenswerteste Stadt, die man sich vorstellen kann.”

“Liebenswert ist das letzte Wort, das ich benutzen würde, um sie zu beschreiben. Diese Stadt kommt mir immer vor wie ein Besessener, der dringend ein paar Sitzungen bei einem guten Psychiater bräuchte.”

Er grinste. “Sie ist mit Sicherheit voll von Leuten, die nicht annähernd so wichtig sind, wie sie glauben; und da nehme ich mich nicht aus. Aber sie ist auch ein authentischer Mittelpunkt für öffentliche Angelegenheiten, mit einer Atmosphäre, die eine erregende Mixtur aus Mist und ungeschminkter Macht ist.”

“Wenn einen Mist und Macht antörnen.”

“Nun, ich gebe zu, dass ich ein Machtjunkie bin. Und was den Mist anbelangt … sicher, er kann ärgerlich sein, aber es gibt da ein ganz besonderes Vergnügen, wenn man es schafft, die sorgfältig bewachten Misthaufen der anderen zum Einsturz zu bringen.”

Sie lächelte über das Bild und räumte im Stillen ein, dass Duncan möglicherweise einer der Menschen in Washington war, die es erfolgreich schafften, durch alle Rhetorik hindurch zum Kern einer Sache durchzudringen – und dann danach zu handeln.

“Du starrst mich an, als hätte ich Soße am Kinn”, sagte Duncan und griff nach seiner Serviette.

“Ich bin mir sicher, dass es sich keine Soße erlauben würde, auf einem so angesehenen Kinn zu landen”, sagte sie, verlegen, dass sie ihn so eingehend gemustert hatte. “Lass hören, was ich sonst noch über dich wissen muss, abgesehen davon, dass du Olivias Bruder bist.”

Für einen Moment begegneten sich ihre Blicke, und sie hatte den beunruhigenden Verdacht, dass er genau wusste, warum sie Olivias Namen erwähnt hatte. Dass er verstand, wie schwierig es für sie war, diese neuen Einblicke in seinen Charakter mit dem Bild, das sie sich im Laufe der Jahre von ihm gemacht hatte, in Einklang zu bringen. Ihre erste Begegnung hatte weniger als sechs Wochen nach dem Tod ihrer Mutter stattgefunden, an dem Tag, an dem ihr Vater Olivia geheiratet hatte. Kein Wunder, dass sie allem und jedem, was aus deren Familie kam, so ablehnend gegenüberstand. Ihr Bild von Duncan – und ihrer Stiefmutter – war unweigerlich gefärbt von der Tatsache, dass sie in tiefer Trauer um ihre Mutter gewesen war, als Olivia ihren Vater geheiratet hatte.

“Also schön, hier ist noch der Rest meiner Biografie”, sagte Duncan. “Mein Hobby ist Unterwasserfotografie, und ich gehe mindestens einmal pro Woche ins Kino. Meine Exfrau lebt mit ihrem dritten Mann in Kalifornien, und meine letzte Freundin hat gerade mit mir Schluss gemacht, weil sie findet, dass ich ein Workaholic bin, der sich in seine Arbeit vergräbt, nur um sich gefühlsmäßig nicht einlassen zu müssen.”

“Hat sie recht?”

“Vielleicht, zumindest was den Workaholic anbelangt. Wenn man im Außenministerium arbeitet, kann man, auch wenn der Kalte Krieg längst vorbei ist, leicht der Illusion erliegen, dass man das Schicksal der ganzen Welt auf den Schultern trägt.”

“Das kann ich gut nachfühlen”, sagte Summer. “Die Statistiken, die ich gerade gelesen habe, zeigen ganz eindeutig, dass die Zerstörung der Ozonschicht weit schneller voranschreitet, als irgendwer es noch vor drei Jahren vorhergesagt hätte. Und keinen scheint es zu stören. Man braucht nur das Wort “Ozonschicht” in den Mund zu nehmen, und schon bekommen die Leute um einen herum ganz glasige Augen vor Langeweile.”

“Vielleicht weil sie spüren, dass man nicht viel dagegen tun kann.”

“Wenn mehr Menschen ihr Verhalten ändern würden, wäre schon viel geholfen. Und unsere Regierung könnte Wunder bewirken, wenn sie nur die Wissenschaftler ernst nehmen würde.”

“Man kann nicht erwarten, dass die Regierung handelt, wenn sich nicht mal die Wissenschaftler untereinander einig sind.”

“In diesem Fall ist sich die Wissenschaft bereits zu fünfundneunzig Prozent einig”, seufzte Summer. “Aber was glaubst du, wie oft ich mir ausmale, was passieren müsste, damit eine Wissenschaftlerin wie ich die Aufmerksamkeit der Regierung bekommt, bevor es zu spät ist.”

“Und zu welchen Schlussfolgerungen bist du gelangt?”

“Dass erst Gott von einer Wolke schweben und dem Kongress befehlen müsste, zuzuhören.”

Er hob sein Weinglas und prostete ihr zu. “Und sonst?”

Sie lachte bedauernd. “Abgesehen von einer göttlichen Intervention gibt es nichts, was ich tun könnte, als weiterhin Fakten zu sammeln und die Leute wach zu rütteln, wo ich nur kann. Realistischerweise glaube ich nicht, dass die Politiker aufwachen, bevor das Meer in die Keller ihrer Amtsgebäude schwappt. Und dann bestellen sie wahrscheinlich neue Saugpumpen in der Hoffnung, im Trockenen sitzen zu können, bis die nächsten Wahlen vorüber sind.”

An diesem Punkt kehrten Mr. und Mrs. Fujito zurück, und die Unterhaltung wurde wieder allgemein. Sie und Duncan sprachen nicht mehr miteinander, bis der Zeremonienmeister den letzten Tanz ankündigte. Als das Licht auf der Tanzfläche etwas schummriger wurde – die Peripherie des Raums blieb aus Sicherheitsgründen hell erleuchtet – stand Duncan auf und streckte ihr mit formeller Höflichkeit die Hand entgegen. “Summer, tanzt du noch mal mit mir?”

Etwas Seltsames, das sich wie Begehren anfühlte, flackerte in ihr auf.

Er führte sie zur Tanzfläche, wobei er absichtlich einen weiten Bogen um Gordon und Olivia machte, die sich eben anschickten, diesen letzten Tanz zusammen zu tanzen. Behutsam legte er seinen Arm um ihre Taille, die Hand leicht auf ihrem Rücken, und sein Daumen streichelte die nackte Haut über ihrem Reißverschluss. Sie holte unwillkürlich tief Atem, als sich ihre Blicke trafen, ihre Lunge fühlte sich so zusammengepresst an, dass sie wegschauen musste. Ohne etwas zu sagen, machte Duncan einen Schritt nach vorn und fing an zu tanzen.

Summer machte sich bewusst, dass sie nun mit Duncan-Ryder-Olivias-Bruder tanzte, und dass es bizarr und verwirrend war, tatsächlich so etwas wie Erregung zu verspüren, nur weil er sie im Arm hielt. Sie konzentrierte sich auf die Tanzschritte und vermied es hartnäckig, ihn anzuschauen. Sie hielt sich ausgesprochen gut, bis seine Hand auf ihrem Rücken höherrutschte. Da erbebte sie zu ihrer Beschämung unter seiner Berührung.

Er schaute auf sie herunter, und als sie seinem Blick begegnete, wusste sie, dass sie sich das Aufflackern von Emotionen nicht eingebildet hatte. Trotzdem glaubte sie ihren Ohren nicht zu trauen, als sie hörte, dass seine Stimme nicht ganz fest war. “Habe ich dir je gesagt, dass du die begehrenswerteste Frau bist, die ich kenne?”

Ihr Mund war so trocken, dass sie kaum eine Antwort herausbrachte. “Nein, noch nie.”

“Ich hätte es tun sollen. Gewollt habe ich es schon oft.”

Sie schüttelte den Kopf. “Das ist unmöglich. Du verabscheust mich.”

Auf seinem Gesicht spiegelte sich Bedauern. “Du verwechselst mich mit dir.”

“Ich habe dich nie verabscheut. Wie könnte ich das, wo du doch so verdammt perfekt bist?” Sie rang sich durch, die Wahrheit zu sagen: “Du schüchterst mich ein.”

“Dann beruht das Gefühl auf Gegenseitigkeit.”

“Ich schüchtere dich ein?” Sie hätte gelacht, wenn sie nicht so fassungslos gewesen wäre.

“Sicher. Das hast du schon immer getan.” Er lächelte trocken. “Könntest du dir vorstellen, dass wir hier eine Grundlage für eine tiefe, bedeutsame Beziehung haben? Gegenseitige Einschüchterung scheint mir etwas ganz Typisches für diese Epoche zu sein.”

Die Vorstellung einer “Beziehung” mit Duncan machte sie sprachlos. Aber was meinte er überhaupt mit “Beziehung”? Meinte er womöglich eine Affäre, eine sexuelle Beziehung also? Der Gedanke war völlig absurd, aber erstaunlicherweise – unglaublicherweise – verlockend.

Summer dachte immer noch darüber nach, was sie ihm antworten sollte, als ihr Vater und ihre Stiefmutter an ihnen vorbeitanzten. Olivia warf ihnen einen verdutzten Blick zu, ganz so, als ob sie es nicht fassen könnte, dass sie nun schon zum zweiten Mal an einem Abend miteinander tanzten. Summer war sich nicht sicher, ob sie auf diese Frage eine Antwort hatte, aber plötzlich beschlich sie der schändliche Gedanke, dass es keinen besseren Weg gab, ihre Stiefmutter zu ärgern, als mit Duncan eine leidenschaftliche Affäre anzufangen.

Als ihr klar wurde, was sie da dachte, schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Es gab viele Wege, Chaos in ihr Liebesleben zu bringen, auch ohne ihre Stiefmutter zu ärgern. Genau genommen schien es eins ihrer besonderen Talente zu sein, Chaos in ihr Liebesleben zu bringen.

Mit einem Gefühl von Bedauern, dessen Intensität sie überraschte, schaute sie Duncan wieder an. “Ich glaube nicht, dass eine Beziehung zwischen uns funktionieren würde”, sagte sie. “Da gibt es zu viel Familienkram, der uns im Weg steht.”

“Nur wenn wir es zulassen.”

“Wie könnten wir es verhindern?” Wie um ihre Worte zu unterstreichen, verklang die Musik, und Gordon kam heran, bevor Duncan antworten konnte. “Duncan, du wirst gebraucht. Senhora Nabuco hat nach dir gefragt.” Er gab Summer einen kurzen unpersönlichen Kuss auf die Wange. “Auf Wiedersehen, meine Liebe. Du verstehst sicher, dass ich es eilig habe, denn Senhor Nabuco ist kein sehr geduldiger Mensch.” Damit ging er, ohne sich noch einmal umzuschauen, davon, ein entschlossener Mann, der nur das Wohl seines Landes im Blick hatte.

Duncan nahm ihre Hand und drückte sie einen Moment. “Verzeih, dass ich gehen muss, obwohl wir unser Gespräch noch nicht beendet haben. Ich melde mich bei dir, Summer.”

Sie verspürte Freude in sich aufsteigen, die sie sofort zu ersticken versuchte. “Mein Telefon könnte vor Schreck den Geist aufgeben.”

Er folgte ihrem Vater bereits durch den Saal, aber er drehte sich noch einmal um und lächelte ihr zu. “Es ist robuster, als du denkst. Danke für den schönen Abend, Summer.”

“Nichts zu danken.”

Gleich darauf wurde er von der Menge verschluckt. Was gut war, denn Summer hatte keinen Schimmer, was sie als Nächstes zu Duncan-Ryder-Olivias-Bruder hätte sagen sollen, der sich im Verlauf dieses Abend unversehens in Duncan Ryder, einen sexy und interessanten Mann, verwandelt hatte.

2. KAPITEL

Auf dem Seminar, das die Australier abhielten, entwickelte sich eine so faszinierende Debatte über die Ursachen der Zerstörung der Ozonschicht, dass Summer beschloss, nach dem Mittagessen noch dazubleiben, auch wenn das bedeutete, dass sie den Zug um halb vier, für den sie eine Platzreservierung hatte, versäumen würde. Da Samstag war, rechnete sie mit keinen Problemen, wenn sie einen späteren Zug nahm, aber als sie am frühen Abend an der Union Station ankam, entdeckte sie, dass sie sich geirrt hatte. Der einzige Weg, ohne eine zwanzigstündige Verspätung nach Manhattan zu kommen, war, erheblich draufzuzahlen und erster Klasse zu fahren.

Da die Nacht in einem Hotel noch mehr kosten würde, blieb Summer nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen, wobei sie hoffte, dass sich die Universität überreden ließe, für den Luxus aufzukommen. Schlechte Chancen, entschied sie, während sie ihren Koffer auf Rädern die Treppe hinauf und in den Zug zerrte. Der Abteilungsleiter würde wahrscheinlich von ihr erwarten, dass sie die Nacht auf dem Bahnhof verbrachte und den Zug am nächsten Morgen nahm.

Obwohl sogar die erste Klasse überfüllt war, gelang es ihr dennoch irgendwie, einen Fensterplatz zu ergattern. Ihr Sitznachbar, ein Mann mittleren Alters mit beginnender Glatze, schien auf eine Unterhaltung erpicht zu sein, aber Summer wollte ihre noch frische Erinnerung nutzen und sich einige Notizen machen, deshalb zog sie, nachdem ihr Gepäck verstaut war, ihren Stapel Seminarunterlagen heraus und begann zu lesen.

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