Die hohe Kunst, eine Freundschaft zu beenden
Debureaux zeigt aus jeder Sackgasse einen Fluchtweg auf – ein Büchlein voll halbernster Tipps, das zum Schmökern und Schmunzeln einlädt.
Nagel & Kimche E-Book
Matthias Debureaux
Die hohe Kunst,
eine Freundschaft zu beenden
Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky
Für Suzanne und Lucie
Freundschaft ist nur eine Vorstufe der Entzweiung.
Robert de Montesquiou
Jede Entzweiung ist ein Scheitern, sagte Edgar Faure gern. Dabei liegt es an Ihnen, einen Erfolg daraus zu machen. Vor allem einen dauerhaften. Viel zu oft entpuppt sich eine Entzweiung als flüchtiges Schmollen, vorübergehende Abkühlung, kurzlebige Kabbelei, kindischer Zank, leichte Kränkung oder kleine Unstimmigkeit. Viel zu oft endet ein Schlagabtausch kläglich mit einer Versöhnung. Einem falschen Streit fehlt es an richtigen Werten, wusste schon Shakespeare. Wie soll man den Groll also schüren, auf dass sein Feuer ewig brenne und höchstens mit dem Tod ende? Und warum sollte man ihn nicht einfach an seine Kinder weitervererben, wie die unerbittlichen Blutrachen, die im Kaukasus Familienklans über Jahrhunderte gegeneinander aufbringen? Zugegeben, für die alten Griechen war Freundschaft die höchste aller Tugenden: die philia, kosmische Verbindung und gegenseitige Anziehung zweier Wesen. Lykurg, der bedeutende Gesetzgeber von Sparta, hatte allen Bürgern ab dem zwanzigsten Lebensjahr untersagt, ihre Mahlzeiten allein zu Hause einzunehmen, und sie so gezwungen, Freundschaften zu schließen. Etwa zur gleichen Zeit gebot ein skythisches Gesetz, einen Freund zu haben, erlaubte zwei, verbot jedoch drei. Im Mittelalter konnten zwei Ritter einander vor einem Priester lebenslange Treue geloben. Bis zum Tod sollten sie aus demselben Becher trinken, dasselbe Bett teilen und sich sogar auf den Mund küssen, bevor man sie Seite an Seite bestattete. Wer den anderen überlebte, musste dessen Grab ausheben. Das entbehrt nicht eines gewissen Reizes. Und bei einer Lebenserwartung von neunzehn Jahren kinderleicht. Inzwischen sind die hygienischen Verhältnisse und die Medizin weit fortgeschritten, ist die moderne Welt so komplex, dass lebenslange Freundschaft zum Wüstenmarathon wird.
In Orson Welles’ Film Herr Satan persönlich erzählt einer der Protagonisten von einem seltsamen Traum. Er habe einen Friedhof mit eigenartigen Inschriften gesehen: 1822 – 1826, 1891 – 1902, 1930 – 1934 … und gesagt: »Hier stirbt man aber jung.« Keineswegs, antwortete sein Gegenüber, nur zählten hier als Lebenszeit lediglich die Jahre, die eine Freundschaft gehalten habe. Einer Studie der Universität von Utrecht zufolge hält eine Freundschaft im Schnitt sieben Jahre. Aber wenn die Freundschaft nur noch aus einem Austausch von Unfreundlichkeiten besteht, wenn der Freund einen nervös macht, muss dieser Abwärtsstrudel aus Krach und Wut bald ein Ende finden. Wozu eine sieche Beziehung aufrechterhalten, die nur noch unter künstlicher Beatmung fortlebt? Wozu noch sizilianische Freundschaft vortäuschen, wenn der Freund die Saiten der Sympathie nicht mehr zum Klingen bringt? Alfred Hitchcock hatte sich in Bezug auf das übermäßig starke Suchtmittel Freundschaft gesunde Zurückhaltung auferlegt. Sobald er sich auch nur ansatzweise von jemandem aus seinem näheren Umfeld gestört fühlte, brach er sämtliche Brücken für immer ab, ohne die geringste Erklärung abzugeben. Eine Volksweisheit besagt, dass man einen Tag braucht, um einen Freund zu gewinnen, eine Sekunde, um ihn zu verlieren, und ein ganzes Leben, um ihn zu vergessen. Laut Freud ist bekanntlich kein Freund unersetzbar.
Das Leben ist wie ein Fahrstuhl. An manchen Stockwerken muss man Leute aussteigen lassen. Der Science-Fiction-Autor H. G. Wells sagte es ohne Umschweife: »Der Weg des sozialen Aufstiegs ist mit zerbrochenen Freundschaften gepflastert.« Einst galt es sogar als strahlende Belobigung, als schillernde Auszeichnung, wenn man sich im Lauf seiner Karriere als Denker mit Prominenten wie André Breton, Guy Debord oder Jean-Paul Sartre überwarf, gleichsam als Verdienstkreuz, das vom Mut und heldenhaften Ausreißversuch des Einzelgängers zeugt. Die Entzweiung ist ein vollkommen legales Mittel, jemanden verschwinden zu lassen. Ein friedliches Duell, bei dem kein einziger Tropfen Blut vergossen wird und das dennoch seine Regeln und Gebräuche kennt. Diese Art des Abschiednehmens erfordert Schneid und Schärfe, als machte ein Soldat mit knallenden Absätzen kehrt, um das Büro seines Offiziers zu verlassen. Die Entzweiung ad vitam ist eine überaus vornehme Kunst, die ein eigenes Handbuch verdient.