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Du bist der Liebe nicht egal

Als Buch hier erhältlich:

Mit anderen Menschen zu sprechen, zählt nicht zu Kates Lieblingsbeschäftigungen. Daher ist sie auch nicht begeistert, dass sie die Podcast-Sendung in ihrer Highschool moderieren soll. Plötzlich sitzt sie hinter dem Mikrofon und gibt anderen Ratschläge. Überraschenderweise ist sie sehr gut darin, anderen bei ihren Problemen zu helfen. Doch als "Mr. Looking for Love" sich in der Show meldet und nach Tipps in Herzensdingen fragt, wird es kompliziert. Denn auf einmal steckt Kate mittendrin im Liebeschaos und merkt, wie schwer es ist, die eigenen Ratschläge zu befolgen und vor allem, auf sein Herz zu hören.

"Eine wunderbare Geschichte über Freundschaft und Liebe"
Kirkus Reviews

"Zwischen Kate und Diego herrscht eine bezaubernde Chemie. Kasie West hat eine freche Geschichte geschaffen, in der die Funken nur so fliegen, wenn Kate am Mikro ist."
School Library

"Ein lustiges und leichtherziges Lesevergnügen über die Höhen und Tiefen des Highschool-Lebens und Jugendliche, die sich mit Themen wie Schule, Liebe und Freundschaft auseinandersetzen."
Booklist

"WOW WOW WOW! Ich liebe es - bisheriges Jahreshighlight! Die Geschichte und die Charaktere sind so toll; ich bin verliebt!"
Leserstimme auf Lovelybooks


  • Erscheinungstag: 01.03.2019
  • Seitenanzahl: 304
  • Altersempfehlung: 12
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959678490

Leseprobe

Dieser Roman ist für alle Tagträumer
da draußen.

1. KAPITEL

Der Himmel erstrahlte in perfektem Blau. Nicht eine einzige Wolke war zu sehen. Ich lag auf dem Sitz meines Jetskis, die Füße auf den Handgriffen abgelegt, und ließ meine rechte Hand langsam durchs Wasser gleiten.

»Du machst dich lustig über mich, oder?«, fragte ich den Himmel. »Ausgerechnet heute.« Ich zog mein Handy hervor, machte ein Foto von ihm und postete es mit der Überschrift: »Nicht zu fassen!«

Ich schreckte hoch, als das Telefon klingelte, und fast hätte ich es in den See fallen lassen. Hastig setzte ich mich auf.

»Hallo?«

»Kate. Wo steckst du?«, wollte meine Mom wissen.

»Ähm …«

»Das war keine besonders schwere Frage.« An ihrem Ton erkannte ich, dass sie lächelte. »Draußen auf dem See, stimmt’s? Du musst in zwanzig Minuten los zur Schule.«

»Och …« Schule. Bisher hatte ich erfolgreich verdrängt, dass sie heute wieder losging. Wäre meine Highschool in Lakesprings, wo ich lebte, würde der Unterricht erst nach dem Labor Day wieder beginnen. Aber in Lakesprings gab es nicht genügend Einwohner, als dass sich eine eigene Schule lohnen würde. Daher musste ich eine halbe Stunde den Berg hinunter nach Oak Court fahren. Und in Oak Court scherte sich niemand um die Wassersportsaison.

»Komm schon«, tadelte mich meine Mutter. »Dein Bruder und deine Cousine haben heute ihren ersten Schultag. Lass sie nicht zu spät kommen.«

»Bin gleich da«, versicherte ich ihr und legte auf. Ich hatte gerade meinen Jetski wieder angelassen, da schoss ein anderer Fahrer so dicht an mir vorbei, dass sich eine Welle von Wasser über mich ergoss.

»Hey! Abstand halten!«, schrie ich. Ich hasste es, wenn andere so nah an mir vorbeifuhren, obwohl sie mich klar und deutlich gesehen hatten.

Mit meinem linken Ärmel wischte ich über das Display meines Handys, steckte es wieder zurück in die Hosentasche meiner Badeshorts und steuerte meinen Jetski zurück in Richtung Hafen.

Meine Mom wartete schon am Anleger, als ich ankam. Immer wieder sagten mir die Leute, dass ich aussehen würde wie sie. Nicht gerade das, was man mit sechzehn gern hörte, wenn die eigene Mutter schon vierzig Jahre alt war. Doch ich wusste, was sie meinten. Wir hatten das gleiche lange hellbraune Haar, die leicht gebräunte Haut und haselnussbraune Augen. Ich vermutete, dass sie von haselnussbraunen Augen sprachen, weil das interessanter klang als »braune Augen mit einem Hauch von Grün darin«.

»Noch fünfzehn Minuten«, kommentierte meine Mom und musterte meinen nassen Badeanzug.

Ich grinste sie an. »Ich ziehe mich nur kurz um. Kein Problem.« Ich fuhr näher an den Anleger heran und meine Mom griff nach dem Jetski, um ihn anzubinden.

»Der ist ab acht Uhr vermietet«, sagte ich.

»Ist der Tank leer?«

»Wahrscheinlich. Ich kann ihn noch auftanken.«

»Kate. Schule.« Sie umarmte mich kurz.

Zur Schule zu gehen fühlte sich manchmal so sinnlos an. Denn ich wusste sowieso schon, was ich später einmal machen wollte: zusammen mit meinen Eltern diesen Bootsverleih betreiben.

»Schon gut, schon gut.« Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Danke, Mom.«

»Hab’ noch einen schönen Tag«, rief sie mir noch hinterher.

Ich überquerte die Straße, ging um die Ecke und in unser Haus hinein. Auf einmal stürmte erst ein, dann ein zweites Kind schreiend an mir vorbei. »Onkel Luke hat gesagt, dass ich jetzt dran bin!«

Zu unseren Lebensumständen gibt es Folgendes zu sagen: Meine Großeltern waren in Lakesprings aufgewachsen. Ihnen hatten sowohl der Bootsverleih als auch das etwa zwei Hektar große Land auf der anderen Straßenseite direkt gegenüber gehört. Als sie beschlossen, sich zur Ruhe zu setzen, übertrugen sie den Verleih und das Grundstück an ihre drei Kinder, die es unter sich aufteilten und auf dem Grundstück drei Häuser direkt nebeneinander erbauten. Meine Tante und mein Onkel, die andere Jobs hatten, verkauften ihre Anteile am Bootsverleih an meine Eltern, die sich sowieso schon darum kümmerten. So kam es dazu, dass wir jetzt unseren Anleger am Wasser hatten und direkt daneben in einer Art Familiensiedlung wohnten.

Ich eilte den Flur entlang in mein Schlafzimmer, wo ich in saubere Shorts schlüpfte und ein gestreiftes Shirt überzog. Dann fuhr ich mir mit der Bürste einige Male durch das Haar; es war noch immer etwas feucht, würde aber auf der Fahrt zur Schule trocknen. Schließlich schnappte ich mir meinen Rucksack und verließ das Zimmer.

Mein kleiner Bruder Max wartete schon an der Haustür, mit dem Rucksack auf dem Rücken.

»Bist du bereit?«, fragte ich ihn.

»Sowas von bereit«, erwiderte er trocken.

Ich sah mich nach unserer Cousine um. »Wo ist Liza?«

»Noch nicht da.«

»Ich geh sie holen.«

Ich lief nach draußen und wandte mich nach rechts. Unser Haus befand sich in der Mitte zwischen den Häusern von Onkel Tim zur Linken und Tante Marinn zur Rechten. Beide waren verheiratet und hatten jeweils einen Haufen Kinder.

Ich klopfte an Tante Marinns Haustür. Niemand sonst in der Familie hielt es für nötig, vor dem Betreten eines der Häuser anzuklopfen, doch ich hielt an dieser Angewohnheit fest und hoffte, die anderen würden sich irgendwann ein Beispiel an mir nehmen. Als niemand reagierte, seufzte ich und trat ein.

»Liza!«, rief ich. »Wir müssen los!«

Kurz darauf erschien meine vierzehnjährige Cousine im Türrahmen – in einem hübschen Sommerkleid und mit ihr eine nasenbetäubende Duftwolke.

Ich musste husten. »Was bitte ist das und warum hast du darin gebadet?«

»Es heißt Mangotraum und der Geruch verfliegt schon noch.« Sie warf das blonde Haar nach hinten und zog mich am Arm zur Tür hinaus, als wäre sie diejenige gewesen, die auf mich gewartet hätte.

Max saß bereits auf dem Beifahrersitz meines Autos, als wir ankamen. Liza kletterte an ihm vorbei auf die Rückbank und drückte seine Schultern. »Highschool!«, kreischte sie ausgelassen. »Das ist der Beginn einer neuen Ära, in der alles möglich ist!«

»Sicher«, bemerkte ich. Oder es würde genau das Gleiche sein wie im Jahr zuvor – ein Lückenfüller bis zu den nächsten Sommerferien.

Das erste Klingeln ertönte schon, während ich auf den Parkplatz der Schule einbog. So schnell, wie Max und Liza aus meinem Auto verschwunden waren, habe ich die beiden sich noch nie bewegen gesehen. Sie hatten schon den halben Parkplatz überquert, als ich gerade den Wagen abgeschlossen und die Schlüssel in meinem Rucksack verstaut hatte.

»Am ersten Schultag zu spät?«, fragte meine Freundin Alana, die zu mir herüberkam und sich bei mir einhakte.

»Noch bin ich nicht zu spät. Und du hättest ja nicht auf mich warten müssen.«

»Was wäre ich denn für eine beste Freundin, wenn ich das nicht täte?«

»Eine, die pünktlich sein will.«

»Wir sind jetzt Juniors. Die Schulglocke betrifft uns nicht mehr«, verkündete Alana und schob sich die Sonnenbrille in die Haare.

»Wenn ich mich recht erinnere, hast du letztes Jahr etwas Ähnliches gesagt.«

Sie zuckte mit den Schultern, als wir gemeinsam das Schulgebäude betraten. »Du kannst doch nicht erwarten, dass ich mich an alles erinnere, was ich je gesagt habe.«

Die Sequoia Highschool war genau das, was ihr Name verriet: eine Highschool, die inmitten einer Menge Sequoia-Mammutbäume stand. Es gab nur ein einziges großes Gebäude, drei Stockwerke hoch. Die Cafeteria und die Bibliothek befanden sich allerdings woanders, sodass wir im Laufe des Schultags ab und zu einen Hauch von Freiheit und frischer Luft genießen durften.

Dieses Jahr hatten Alana und ich es geschafft, drei unserer sechs Kurse gemeinsam zu belegen, darunter auch die erste Stunde – was vermutlich der wahre Grund dafür war, dass sie auf mich gewartet hatte. Während wir den Gang entlangliefen, spürte ich mein Handy in meiner Tasche vibrieren. Ich wartete noch, bis wir im Geschichtsunterricht saßen und Mr. Ward zuhörten, der über seine Erwartungen für dieses Jahr sprach, bevor ich es hervorholte.

Hunter hatte ein Erster-Schultag-Foto gepostet. Ein Bild von ihm und seiner Schwester, wie sie vor ihrem neuen Haus standen. Na gut, neu war relativ. Sie wohnten inzwischen seit drei Monaten dort. Seit sie nach Beginn der Sommerferien umgezogen waren. Unter dem Bild hatte er geschrieben: »Wünscht uns Glück.«

Er sah … glücklich aus. Sein dunkelblondes Haar hatte er mit Gel nach oben gestylt und seine blauen Augen glänzten. Ich klickte auf sein Profil und scrollte durch seine älteren Posts, bis ich sein Foto vom ersten Schultag im letzten Jahr fand – uns beide, wie wir neben seinem Auto standen. Ich schaute zu ihm auf und kniff grinsend die Augen zusammen, während er in die Kamera blickte. Sein Kommentar zu dem Bild war: »Ich habe dieses Mädchen aus dem See gefischt, damit sie mit uns anderen in die Schule geht.« Ich hatte ganz vergessen, dass ich letztes Jahr vor Unterrichtsbeginn auch draußen auf dem See gewesen war.

Alana räusperte sich und ich schreckte hoch, weil ich dachte, Mr. Ward hätte mich aufgerufen. Doch er stand noch immer da und schrieb etwas an die Tafel. Alana verengte die Augen und deutete mit dem Kopf auf mein Telefon. Zweifellos wollte sie wissen, was los war. Ich formte mit den Lippen das Wort »Nichts« und verließ Hunters Profil. Ich musste wirklich damit aufhören. Ich war über Hunter hinweg. Obwohl wir abgemacht hatten, in Kontakt zu bleiben, hatte er im Laufe des Sommers irgendwann aufgehört, auf meine E-Mails oder Nachrichten zu antworten. Schließlich hatte ich es aufgegeben. Ich zwang mich, mein Handy wegzulegen und für den Rest der Stunde aufzupassen.

»Was hast du dir denn da auf dem Handy angesehen?«, wollte Alana wissen, nachdem die Glocke geläutet hatte und wir durch den Flur zu unseren nächsten Kursen gingen. »Du hast ungefähr zehn Minuten lang wie in Trance darauf gestarrt.«

»Stimmt doch gar nicht. Ich habe mir nur angeschaut, was die anderen so zum ersten Schultag gepostet haben.«

»Ja, klar.« Sie hätte das Thema garantiert nicht so schnell fallen gelassen, wenn sie nicht am Ende des Flures etwas entdeckt hätte, was ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie schnappte nach Luft.

»Was ist?«

Alana fasste mich am Arm und zog mich zur Seite aus der Masse der anderen Schüler. »Kennst du Diego?«, flüsterte sie.

»Wen?«

»Diego Martinez. Vom letzten Jahr.«

»Nein, ich erinnere mich nicht an ihn.«

»Wirklich nicht? Ich hätte schwören können, dass ich ihn mal erwähnt habe … oder vielleicht auch fünfhundert Mal. Weißt du noch, dass ich letzten Mai in der Mathematik-AG war? Er war der Tutor. Er hatte damals etwas mit diesem Mädchen, Pam, also konnte ich nichts machen, aber … Klingelt gar nichts?«, hakte Alana nach, während ich noch immer angestrengt überlegte. »Er hat einmal einen Welpen mit in die Schule geschmuggelt, weil seine Mom nicht zu Hause war und nicht auf ihn aufpassen konnte. Und er ist auch noch damit durchgekommen.«

»Denkst du dir das alles gerade aus?«, fragte ich. »Ich kann mich nämlich an gar nichts davon erinnern.«

»Wahrscheinlich, weil er kein Junge vom See ist, oder?« Alana stemmte die Hände in die Hüften. »Du versuchst ja nicht einmal, die Stadtleute kennenzulernen.«

Wir nannten sie »Stadtleute«, obwohl Oak Court kaum die Bezeichnung Stadt verdient hatte. Der Ort konnte nur fünfzehntausend Einwohner vorweisen – doch das waren immerhin dreizehntausend mehr, als in Lakesprings lebten.

»So ein Unsinn!«, widersprach ich. »Ich will überhaupt keine Leute kennenlernen. Du weißt genau, wie sehr ich andere Menschen hasse.«

Alana lachte, weil ihr klar war, dass das zumindest teilweise ein Scherz gewesen war.

»Ich kann mich auf jeden Fall an diesen Typen mit dem Nasenring erinnern, von dem du geredet hast. Duncan«, sagte ich und legte nachdenklich den Kopf zur Seite. »Und dann gab es da noch jemanden namens Mac …«

»Okay, ich hab’s kapiert. Du hast meine See-Theorie widerlegt.«

Eigentlich war an ihrer Theorie durchaus etwas dran. Ich verbrachte wirklich nicht viel Zeit in Oak Court und war am liebsten am Wasser. »Ich wollte nicht darauf hinaus, dass der See besser ist als die Stadt«, korrigierte ich sie. »Sondern darauf, dass du von ziemlich vielen verschiedenen Typen sprichst.«

»Ich mag sie eben. Gibt es daran etwas auszusetzen?«

»Nein. Ich habe dir nur erklärt, warum ich mich vielleicht nicht an diesen einen erinnern kann.«

»Obwohl ich fünfhundert Mal von ihm erzählt habe?«

»Hast du nicht. Das war Brady, der an deinem Geburtstag in der Cafeteria eine Wunderkerze für dich angezündet hatte und dafür eine Woche lang nachsitzen musste.«

Alana war eins dieser Mädchen, für die Jungs solche Dinge taten. Sie war groß und kurvig, hatte dunkle Haare und fast schwarze Augen. Sie war Polynesierin und jeder liebte ihre Geschichten darüber, wie es war, auf Hawaii aufzuwachsen. Als wäre Hawaii eine Art fremder Planet. Doch ich konnte es ihnen nicht verübeln, ich liebte ihre Geschichten auch.

Sie winkte ab. »Brady ist doch längst Vergangenheit.« Dann fasste sie mich an den Schultern und drehte mich in Richtung des Flurs. Dort sah ich einen Jungen mit struppigen schwarzen Haaren vor einem der Spinde stehen. »Der da ist die Zukunft«, erklärte sie.

»Das ist der Welpenschmuggler-Typ?«

»Ja. Diego.«

»Hast du nicht gesagt, dass er etwas mit dieser Pam hat?« Ich kannte auch Pam nicht, sondern wiederholte nur, was Alana mir erzählt hatte.

»Anscheinend haben sie sich während der Ferien getrennt.«

»Okay, ist notiert. Können wir jetzt gehen?«

»Erst musst du mir noch verraten, was du denkst.«

»Worüber?«

»Über ihn.«

»Warum?«

»Weil du meine beste Freundin bist. Und wenn ich schon meine ganze Zeit damit verbringen werde, über einen Jungen nachzudenken und von ihm zu reden, will ich deinen Segen haben.«

Ich lachte. Alana brauchte niemals den Segen von anderen. Ich tätschelte ihr die Wange. »Wirklich süß, dass du mir das Gefühl gibst, ich hätte ein Mitspracherecht.«

»Nein, ich meine es ernst. Was hältst du von ihm?«

»Du willst, dass ich aus fünfzehn Metern Entfernung und ohne jegliche Hintergrundinformation ein Urteil über ihn fälle?«

»Auf der Grundlage deines ersten Eindrucks und der Welpen-Geschichte.«

Ich kniff prüfend die Augen zusammen, als könne ich dadurch besser erkennen, was für ein Mensch er war. »Ich denke, dass er ungewöhnlich lange vor seinem Spind steht.«

Als hätte er mich gehört, nahm Diego in diesem Moment ein Buch heraus, schloss den Spind wieder und kam in unsere Richtung.

Alana stand wie erstarrt hinter mir, die Finger in meine Schultern gekrallt. Es war mehr als offensichtlich, dass wir ihn beobachtet hatten. Diegos Blick wanderte erst zu mir, dann zu Alana. Jetzt, wo ich sein Gesicht und seine warmen braunen Augen sah, konnte ich nachvollziehen, warum Alana bereit war, stundenlang über ihn nachzudenken. Er war süß. Lockiges braunes Haar, leicht olivfarbener Teint, große Augen, hohe Wangenknochen, volle Lippen.

»Hey, Alana«, grüßte er im Vorbeilaufen, als wäre es völlig normal, dass sich Mädchen am anderen Ende des Korridors versteckten, um ihn anzustarren, während er Bücher aus seinem Spind holte.

Dann war er verschwunden. Alana ließ meine Schultern los, und ich drehte mich zu ihr herum.

»Also, was denkst du?«, wollte sie wissen.

»Ich denke, dass das eben wirklich peinlich war.«

»Nein, über ihn. Ich brauche deinen Rat.«

»Ja, er ist süß. Und so, wie er ›Hey‹ zu dir gesagt hat, war klar, dass er schon halb in dich verliebt ist. Meinen Segen hast du.«

Sie lächelte. »Danke.« In diesem Moment ertönte das zweite Klingeln, ein Signal dafür, dass es jetzt wirklich an der Zeit war, zu unseren nächsten Kursen zu gehen.

»Wir sehen uns beim Mittagessen«, sagte ich und winkte ihr zu, während sich unsere Wege trennten.

»Bis später. Oh, und vergiss nicht, dass wir in der letzten Stunde unseren Podcasting-Kurs haben!« Alana winkte mir ebenfalls zu.

»Wie könnte ich das vergessen«, erwiderte ich stöhnend. »Ich kann immer noch nicht fassen, dass du mich dazu überredet hast.«

Sie grinste mich noch triumphierend an, bevor sie sich umdrehte und den Gang hinuntereilte.

2. KAPITEL

»Das war’s vom Sequoia-High-Podcast. Für Jugendliche, von Jugendlichen, über Jugendliche. Der einzige Podcast, der in einer Highschool aufgenommen wird. Zumindest der einzige, von dem wir wissen. Die Schule ist vorbei, aber riecht ihr den Duft, den sechshundert Jugendliche hinterlassen haben? Es geht doch nichts über diese Mischung aus Cheetos, Deo und Schweiß. Wir Seniors werden sie fast so sehr vermissen, wie ihr uns vermissen werdet. Aber keine Sorge, der Podcasting-Kurs des nächsten Jahres steht schon bereit, um uns noch zu übertreffen. Oder um alles zu versauen. Ich kann es kaum erwarten, herauszufinden, was von beidem passieren wird. Peace!«

Mit einer dramatischen Geste stellte Ms. Lyon den Ton ab und drehte sich zu den Kursteilnehmern um. Sie war sehr zierlich und hatte große runde Augen, die gerade vor Aufregung noch größer waren.

»Das war die letzte Folge des Kurses aus dem vergangenen Jahr«, meinte sie. »Ihr tretet in ziemlich große Fußstapfen. Ich weiß, heute ist erst der erste Kurstag, aber unsere Hörer sind hungrig. Diesen Sommer wurden mehr Episoden heruntergeladen als in den beiden Sommern davor. Unser Podcast mag noch in den Kinderschuhen stecken und startet erst ins vierte Jahr, doch er nimmt langsam Fahrt auf. Und jetzt ist es eure Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es so weitergeht.«

Alana und ich tauschten einen vielsagenden Blick aus. Das war entschieden zu viel Drama für den ersten Schultag. »Wo hast du mich da bloß hineingezogen?«, flüsterte ich ihr zu.

Alana hatte mich angefleht, diesen Kurs mit ihr als Wahlpflichtfach zu belegen. Sie hatte sogar die Anmeldung für mich ausgefüllt und mir versichert, wie toll es werden würde. »Podcasts«, hatte sie geschwärmt, »das ist sofort verfügbare Unterhaltung direkt in deiner Handfläche. Aufgezeichnete Talkshows zu so ziemlich jedem Thema, das du dir vorstellen kannst. Jederzeit bereit zum Download.«

Genau so hatte sie es gesagt. So als hätte der Erfinder des Podcasts sie dafür angeheuert, seine Idee möglichst breit zu streuen. Als ich ihr das noch nicht abkaufte, fügte sie hinzu, dass ich in dem Kurs auch etwas über das Vertonen und Zusammenschneiden lernen konnte oder irgendetwas anderes, was mir im Alltag nützen würde. Insgesamt erschien mir der Kurs sinnvoller als Töpfern, also willigte ich ein.

»Eure Aufgabe für diese Woche ist«, fuhr Ms. Lyon fort, »euch ein Thema für unseren diesjährigen Podcast einfallen zu lassen. Jeder von euch muss ein Thema vorschlagen. Und ihr solltet auf der Website nachsehen, bevor ihr einen Vorschlag macht. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Doppelte Vorschläge nehme ich nicht an. Wenn jeder etwas eingereicht hat, wählen wir das beste Thema aus. Die einzigen Regeln: Es darf nichts sein, was wir vorher schon mal behandelt haben, und es muss um Jugendliche gehen. Schließlich ist das immer noch der Podcast für Jugendliche, von Jugendlichen und über Jugendliche.«

Rechts neben mir schoss eine Hand in die Höhe.

»Ja …?« Ms. Lyon durchforschte den Sitzplan, den sie angelegt hatte, nachdem wir uns hingesetzt hatten, »Mallory.«

»Welche Themen gab es bisher?«

»Ach ja, schön, dass du fragst. Ich hatte gehofft, dass ihr vielleicht eure Hausaufgaben erledigt und die Podcasts aus den letzten Jahren gehört hättet, aber das war offenbar zu viel verlangt.«

Ich selbst kannte keine einzige der älteren Episoden, doch einige andere anscheinend schon.

»Ich kenne alle Themen der letzten drei Jahre. Ich höre seit meinem ersten Jahr hier jede Folge«, platzte es aus einem Mädchen zu meiner Linken heraus.

»Großartig …« Wieder wanderte Ms. Lyons Blick über den Sitzplan.

»Victoria«, half das Mädchen ihr auf die Sprünge.

»Victoria. Dieses Maß an Begeisterung gefällt mir. Wieso kommst du nicht nach vorne und schreibst die Themen an die Tafel?« Sie streckte ihr den Tafelstift entgegen und ich wartete darauf, dass Victoria sich etwas einfallen ließ, um dieser Aufgabe zu entgehen. Das hätte zumindest ich getan. Aber sie stand auf und nahm den Stift selbstbewusst an sich. Sie sprach sogar noch weiter, während sie schrieb.

»Im ersten Jahr drehte sich alles um Erfindungen. Sie recherchierten verschiedene Erfindungen von Jugendlichen und stellten sie in der Show vor. Dazu konnten Jugendliche anrufen und erzählen, woran sie gerade arbeiteten oder welche ihrer Erfindungen gescheitert waren, was ziemlich witzig war.« Victoria drehte sich um und strahlte. »Meine Lieblings-Erfindung aus dem Jahr war die App ›Wähle dein Outfit‹.« Ich fragte mich, ob Victoria wohl den Schauspielkurs belegte, denn es störte sie überhaupt nicht, dort vor dem Kurs zu stehen. Es machte den Eindruck, als hätte sie diese Präsentation vorbereitet.

»Die fand ich auch gut«, pflichtete Ms. Lyon ihr bei.

»Das Thema im zweiten Jahr waren berühmte Jugendliche in der Weltgeschichte«, fuhr Victoria fort. »Es war echt spannend zu hören, was andere in unserem Alter in der Vergangenheit gemacht haben, sie haben zum Beispiel Länder regiert oder Banken ausgeraubt. Doch insgesamt fand ich dieses Thema nicht so gut umgesetzt. Es war nicht interaktiv genug, man konnte nicht anrufen und mitreden. Es waren alles nur Vorträge.«

Neben mir schnaubte Alana. »Ich glaube, die Dämpfe aus diesem Tafelstift steigen ihr langsam zu Kopf«, flüsterte sie mir zu.

Ich war überrascht, dass Victoria sich gegenüber unserer Lehrerin – also der Regisseurin der Podcasts – so negativ über eine der älteren Ausgaben äußerte. Immerhin benotete sie uns. Ms. Lyon zog die Brauen hoch.

Victoria redete weiter. »Aber zum Glück hat der letzte Kurs die Messlatte wieder angehoben. Sie stellten unterschiedliche Meinungen zu umstrittenen Gerichtsprozessen vor, an denen Jugendliche beteiligt waren. Die Leute konnten wieder anrufen und ihre Sicht der Dinge erklären. Hatten sie bei diesem Thema viele Helfer, die recherchiert haben?«

Ms. Lyon nickte. »Ja. Ihr alle werdet auf die eine oder andere Weise zur Show beitragen, von Recherchen über Schnitt zu Soundchecks und Prüfen der Ausrüstung. Einen Podcast aufzunehmen hat viele Facetten. Die werdet ihr alle in diesem Jahr kennenlernen.«

Aus irgendeinem Grund fragte ich mich, wie Ms. Lyon wohl zum Thema Podcasts gekommen war. Sie schien schon Ende vierzig zu sein, also konnte es unmöglich schon Podcasts gegeben haben, als sie noch auf dem College war.

»Wo wir gerade von Aufgaben sprechen«, setzte Victoria an, die noch immer den Stift in der Hand hielt. »Ich würde gerne moderieren.«

»Für diese Rolle werde ich die geeigneten Leute noch auswählen, ebenso für jede andere auch, und zwar nächste Woche.« Ms. Lyon streckte ihr die Hand entgegen und Victoria reichte ihr den Stift zurück. »Jetzt ist es am wichtigsten, ein möglichst interessantes Thema zu finden.« Sie wies mit der Hand auf die Tafel. »Diese Themen sind tabu, doch alles andere ist möglich. Seid kreativ, schaut über den Tellerrand. Bis Freitag will ich von jedem einen Vorschlag haben.«

Ein kollektives Stöhnen ging durch den Klassenraum.

»Ich will kein Gejammer über etwas so Wichtiges wie das Thema hören«, tadelte Ms. Lyon. »Ich hoffe, euch allen ist klar, dass einmal pro Woche nach der Schule im Kurslabor gearbeitet wird. Ein Drittel von euch wird mittwochs in der Produktion tätig sein. Die anderen beiden Drittel übernehmen donnerstags die Nachbearbeitung.« Sie klatschte zweimal in die Hände und klopfte an die Tafel. »Habt ihr alle schon am ersten Tag eure Hefte vergessen? Schreibt euch diese Themen auf. Dann könnt ihr den Rest der Stunde damit verbringen, gemeinsam mit eurem Tischnachbarn geeignete Ideen zu entwickeln.«

Überall im Raum war zu hören, wie Rucksäcke geöffnet und Hefte aufgeschlagen wurden. Ich notierte mir schnell die Tabuthemen und drehte mich zu Alana um.

»Irgendeine Idee?«

»Nicht eine einzige.«

»Ich dachte irgendwie, dass uns Themen zugeteilt werden.«

»Ja, ich auch. Ich meine, welcher Kurs würde bitte ›Jugendliche in der Weltgeschichte‹ aussuchen?«, fragte sie leise.

»Für mich hat sich das interessant angehört.«

»Wirklich? Und ich dachte, ich kenne dich.« Sie schrieb das Wort »Geschichte« auf die leere Seite meines Heftes und strich es anschließend mit einem dicken X durch.

»Wir sollten etwas nehmen, das mit dem See zu tun hat«, schlug ich vor und malte ein kleines Strichmännchen, das auf dem X wie auf einer Welle surfte. »Jugendliche Wakeboarder oder Sagen um den See vielleicht.«

»Ah, natürlich. Ich kenne dich also doch.«

»Das ist eine gute Idee!«, protestierte ich.

»Denkst du wirklich, die Stadtleute würden für so ein Thema stimmen?«

Unauffällig sah ich mich im Klassenraum um, um herauszufinden, wie viele Schüler aus Lakesprings im Kurs waren. Erst da bemerkte ich, dass Frank Young in einer der hinteren Reihen saß. Meine Laune sank in den Keller. Franks Eltern gehörte halb Lakesprings und sie taten alles dafür, sich auch noch die andere Hälfte unter den Nagel zu reißen. Seit Jahren versuchten sie, meinen Eltern den Bootsverleih abzukaufen. Das Gebäude stand auf einem begehrten Grundstück, auf dem die Youngs nur zu gerne ein Luxushotel bauen wollten. Und weil meine Eltern nicht verkaufen wollten, versuchten die Youngs, sie auf anderem Wege loszuwerden – Naturschutzuntersuchungen, fälschlich gemeldete Richtlinienverstöße, die Liste ließ sich beliebig erweitern.

»Hast du ihn gesehen?«, zischte ich.

»Jepp. Ich habe mich schon gewundert, dass du so lange gebraucht hast, um ihn zu bemerken«, antwortete Alana.

»Wusstest du, dass er diesen Kurs belegt?«

»Woher sollte ich das denn wissen?«

Frank saß neben Victoria und kritzelte etwas in sein Heft, während sie über mögliche Themen sprach.

»Ich finde, Musik wäre cool. Und das hat vorher noch niemand gemacht«, sagte sie gerade.

»Es gibt ungefähr eine Million Musik-Podcasts. Mal abgesehen von den Radiosendern, die nichts als Musik spielen«, entgegnete Frank.

»Sie nimmt das sehr ernst«, bemerkte Alana, die Victoria offenbar ebenfalls belauscht hatte.

Ich atmete tief durch und zwang mich, an etwas anderes zu denken. Nicht an Frank. Vielleicht könnten wir einander im Kurs einfach ignorieren. Das könnte funktionieren.

»Sie will die Moderatorin sein«, sagte ich. »Ich kann mir gut vorstellen, dass einen das Thema deutlich mehr beschäftigt, wenn man in den nächsten Wochen oder sogar Monaten darüber reden muss.«

»Ich hätte auch nichts dagegen zu moderieren«, verkündete Alana.

»Du wärst bestimmt toll darin.« Für mich selbst klang das wie Folter.

»Was würdest du denn gerne machen?«, wollte Alana wissen.

Ich zuckte mit den Schultern. »Recherche oder so.«

»Dann darauf, dass wir unsere Wunschaufgaben bekommen.« Sie tippte ihren Stift gegen meinen, so als würden wir anstoßen.

Als endlich die Glocke ertönte, stopfte ich mein Heft zurück in den Rucksack und stand auf. In diesem Moment ging jemand an mir vorbei und stieß gegen meine Schulter.

»Hey! Abstand halten«, sagte Frank und ging weiter.

»Wie bitte?«

»Immerhin bist du dieses Mal trocken geblieben«, entgegnete er ironisch und verließ den Klassenraum.

Einen Moment lang war ich verwirrt, doch dann erinnerte ich mich an den Morgen auf dem See. Frank war der Fahrer des anderen Jetskis gewesen. Und er hatte mich mit voller Absicht nass gespritzt. Mir wurde klar, dass es kein Spaß werden würde, ein ganzes Jahr lang im selben kleinen Kurs wie Frank Young zu sitzen.

3. KAPITEL

Als ich später nach Hause kam, ging ich zuerst in die Küche, wo meine Mom gerade in einer Karaffe Eistee rührte.

»Braucht Dad mich unten beim Verleih?«, fragte ich.

»Nein, heute Nachmittag ist nicht viel los.«

Das ließ mich aufhorchen. »Heißt das, für mich ist noch ein Jetski frei?«

Meine Mom lachte. »Du hast wirklich vor, jeden Cent, den du verdienst, für Benzin auszugeben, oder?«

»Allerdings. Von jetzt an solltet ihr mich einfach mit Benzin bezahlen.«

Sie öffnete den Kühlschrank und nahm einen Apfel heraus. »Wie war es in der Schule?«

»Ganz okay.«

»Dein Junior-Jahr könnte das beste Jahr überhaupt werden.«

»Das sagst du doch jedes Jahr.«

»Ich denke gerne positiv«, antwortete sie, während sie den Wasserhahn aufdrehte, den Apfel abwusch und ihn mir reichte.

»Danke, Mom.« Ich verließ die Küche, als Max hereinkam und meine Mom begann, ihn über seinen ersten Tag an der Highschool auszuquetschen.

Während ich den Flur hinunterlief, klingelte mein Handy und ich holte es aus dem Rucksack.

»Hey, Alana. Vermisst du mich schon?«

»Wir müssen uns noch ein paar Themen für den Podcast überlegen«, antwortete sie.

»Wieso? Wir hatten doch gerade erst Unterricht. Und das Einreichen hat noch Zeit bis Freitag.«

»Aber die Themen sind schnell weg. Je länger wir warten, desto schwieriger wird es, eines zu finden. Übrigens, hast du dir irgendeinen der Podcasts angehört, die ich dir empfohlen habe?«

Ich öffnete die Tür meines Zimmers und ließ meinen Rucksack den Arm hinunter bis auf den Boden gleiten. Dann ließ ich mich auf den Sitzsack in der Ecke fallen und biss von dem Apfel ab. Mein Blick fiel auf das große Poster an meiner Wand. Es zeigte einen Wakeboarder, der eine Gischtwolke erzeugte. Es erinnerte mich daran, dass ich so schnell wie möglich raus auf den See wollte. »Ich war beschäftigt.«

»Du weißt, dass du auch auf dem Jetski Podcasts hören kannst, oder?«

»Ja, ich weiß, ich weiß. Welchen findest du denn am besten? Ich höre ihn mir an, versprochen.«

»Der mit den lustigen Filmkritiken ist gut. Oooh, und der mit den witzigen Restaurantbewertungen. Oder der, in dem es um erste Dates geht. Der ist der Hammer.«

»Also alle?«

»So ziemlich.«

In diesem Moment betrat meine Cousine laut ächzend mein Zimmer.

Überrascht schnappte ich nach Luft und wäre fast an meinem Apfel erstickt.

»Was ist passiert?«, fragte Alana verwundert.

Lizas strenger Zitrusduft folgte ihr ebenfalls in den Raum hinein. »Es ist Liza. Sie sieht fröhlich aus.«

»Ich bin nicht fröhlich«, widersprach Liza.

»Oh, tut mir leid. Du riechst nur fröhlich, das habe ich wohl verwechselt.«

»Du musst echt über dein Problem mit meinem Parfüm hinwegkommen.«

»Redest du gerade mit mir oder mit Liza?«, fragte Alana am anderen Ende der Leitung.

»Mit dir, tut mir leid«, antwortete ich.

»Ich habe ein Problem«, sagte Liza laut.

Jetzt war Alanas Neugier geweckt. »Hat Liza gerade gesagt, dass sie ein Problem hat?«

»Ja.«

»Stell mich auf Lautsprecher.«

Ich seufzte, tat aber, was sie mir sagte.

»Hey, Liza«, tönte Alanas Stimme aus dem Telefon. »Erzähl uns von deinem Problem.«

»Meine Mom will, dass ich zur Nachhilfe in dieses Lernzentrum neben dem Supermarkt in der Stadt gehe«, erklärte Liza und erschauderte schon beim Gedanken daran.

»Okay …«, sagte Alana.

»Einmal pro Woche, direkt nach der Schule. Um ›das Problem in den Griff zu bekommen‹, hat sie gemeint.«

»Welches Problem?«, hakte ich nach.

»Du weißt schon, mein Noten-Problem.«

Ich hatte keine Ahnung. »Du hast ein Noten-Problem?«

Liza zuckte mit den Schultern. »In Sachen Hausaufgaben fällt es mir schwer, mich zu motivieren.« Mit zwei Fingern zog sie ihren Kaugummi aus dem Mund in die Länge.

»Und ins Nachhilfezentrum zu gehen ist etwas Schlimmes?«, fragte Alana. »Was ist falsch daran, sich einmal pro Woche zu zwingen, seine Hausaufgaben zu machen und jederzeit um Hilfe bitten zu können?«

Liza wickelte sich den Kaugummi um den Zeigefinger und steckte ihn sich wieder in den Mund. »Ich bin noch im ersten Jahr. Denkt doch mal an meinen Ruf.«

Ich war mir nicht ganz sicher, welchen Ruf sie hatte, doch ich verstand schon, was sie meinte. »Aber wer sollte davon erfahren? Jeder, der dort ist, bekommt ja auch Nachhilfe.«

Liza verdrehte die Augen, als wäre ich die ahnungsloseste Person der Welt, und setzte sich auf die Kante meines Bettes. »Es ist direkt neben dem Supermarkt. Weißt du, wie viele von unserer Schule jeden Tag in diesen Supermarkt gehen?«

»Nein, ich habe keinen Schimmer.« Ich ging so gut wie nie in den Supermarkt in Oak Court. Wir hatten einen kleinen Laden direkt in Lakesprings und obwohl der den Youngs gehörte, war dieser Weg deutlich angenehmer als die Alternative.

»Ich auch nicht«, gab Liza zu. »Aber ich bin mir sicher, dass es viele sind. Irgendjemand wird mich dort sehen.«

Jetzt schaltete Alana sich wieder ein. »Wieso sprichst du nicht mit deiner Mom und versuchst, sie davon zu überzeugen, dass du deine Hausaufgaben auch ohne fremde Hilfe machen kannst? Sag ihr, dass sie jede Woche auf der Website der Schule nachschauen kann, und sobald sie sieht, dass du eine Aufgabe nicht erledigt hast, gehst du ohne Widerstand zur Nachhilfe.«

Begeistert beugte Liza sich vor. »Das ist eine hervorragende Idee, Alana! Du hast wirklich immer die besten Ratschläge. Danke!« Damit sprang sie auf und stürmte aus dem Zimmer – offenbar mit dem Ziel, ihrer Mutter sofort diesen Vorschlag zu unterbreiten.

»Gern geschehen«, antwortete Alana in mein leeres Zimmer hinein.

»Sie ist schon weg«, bemerkte ich.

»Dieses Mädchen ist echt lustig. Aber hör mal, meine Mom ist gerade von der Arbeit nach Hause gekommen und wartet geduldig darauf, mit mir über den ersten Schultag zu reden.«

»Alles klar. Dann bis morgen.« Ich legte auf und lief hinüber zum Schrank, um meinen Badeanzug herauszuholen. Als ich mich umdrehte, um die Tür zu schließen, stand meine Mom auf einmal direkt vor mir und lehnte sich gegen den Türrahmen.

»Das ist gar keine schlechte Idee«, überlegte sie.

»Was?«

»Die Website zu checken, um sicherzugehen, dass du all deine Hausaufgaben erledigt hast, bevor du raus auf den See fährst.«

»Von dieser Idee hat niemand geredet.«

Sie zwinkerte mir zu. »Ich habe sie nur ein wenig abgewandelt. Du hast doch zu Alana gesagt, dass ihr irgendetwas bis diesen Freitag erledigt haben müsst.«

»Es geht nur um ein Thema für den Podcast. Nichts Wichtiges.«

Ihre Miene hellte sich sichtbar auf. »Wie war der Podcast-Kurs? Hat er dir gefallen?«

Als Teil ihrer Strategie, mich für den Podcast-Kurs zu gewinnen, hatte Alana meine Mom letztes Jahr für das Thema begeistert. »Es war in Ordnung.«

»Gib ihm eine Chance. Vielleicht macht es dir am Ende mehr Spaß als gedacht.«

»Sei ehrlich, Mom. Würdest du gern selbst am Podcast-Kurs teilnehmen?«

»Sehr witzig. Also du musst dir ein Thema für die Show ausdenken?«

»Ja«, bestätigte ich und warf das Apfelgehäuse in den kleinen Mülleimer unter meinem Schreibtisch.

»Und welche Ideen hast du bisher?«

»Keine. Alana und ich lassen uns schon noch was einfallen.«

»Wie wär’s mit Modetipps?«

Ich sah hinunter auf meine alten Shorts und das schlichte gestreifte T-Shirt »Willst du mir damit irgendetwas sagen?«

»Nein, absolut nicht. Ich versuche nur, mir etwas zu überlegen, was Jugendliche interessieren könnte.«

»Wieso überlässt du das nicht denen, die tatsächlich jugendlich sind?«, schlug ich lächelnd vor.

»Wie wär’s mit so etwas wie: ›Was ist in eurem Essen‹? Enthüllungsberichte darüber, was in der Kantine so passiert.«

»Mom, wirklich, ich liebe dich und bin dir dankbar, dass du mir helfen willst, aber nein.«

Sie zeigte auf den Badeanzug in meiner Hand. »Tja, du solltest dir lieber schnell etwas einfallen lassen, denn bis du nicht eine Idee hast, fährst du nicht raus auf den See.«

Mir fiel die Kinnlade herunter, als sie auf dem Absatz kehrtmachte und ging. »Seit wann das denn?«

»Seit heute«, rief sie mir zu, während sie den Flur durchquerte.

Verdammt.

Mein Bruder schlenderte an meiner Tür vorbei. »Max!« Ich schrie verzweifelt.

Er ging langsam rückwärts, bis er wieder in meinem Türrahmen stand.

»Hast du irgendwelche Ideen für einen Podcast?«

»Hmm. Computerspiele? Comics?«, fragte er, nachdem er kurz nachgedacht hatte.

»Irgendwelche massentauglichen Ideen?«

»Eine Menge Leute mögen diese Sachen«, protestierte er.

»Ich weiß, aber die Show muss der Masse gefallen.« Andererseits war das vielleicht gar nicht so wichtig. Ms. Lyon hatte nicht gesagt, dass das Thema ein breites Publikum ansprechen musste. Sie hatte nur gesagt, dass es originell sein musste. »Vielleicht sollte ich doch Volkssagen um den See vorschlagen. Oder Wassersport.«

Max zuckte mit den Schultern und ging weiter.

Ich warf meinen Badeanzug aufs Bett, zog meinen Laptop aus dem Rucksack und loggte mich auf der Website von Ms. Lyons Kurs ein.

Überrascht stellte ich fest, dass es bereits eine Reihe von Ideen gab. Also waren mir Leute zuvorgekommen! Noch überraschter war ich, als ich den Eintrag »Geschichten rund um den See« sah. Ich stöhnte. Stammte dieser Vorschlag von Frank? Gab es sonst noch jemanden in dem Kurs, der aus Lakesprings war? Die Einträge auf der Seite waren anonym, nur Ms. Lyon konnte sehen, wer sie abgegeben hatte. Wenn ich »Wassersport auf dem See« einreichte, wäre das zu nah an »Geschichten rund um den See«?

Liza riss mich aus meinen Gedanken, als sie zurück in mein Zimmer geschlurft kam und sich auf mein Bett warf. »Sie hat Nein gesagt!«

»Was?«

»Meine Mom. Sie hat gemeint, dass die Nachhilfe für mindestens das erste Halbjahr nicht zur Debatte steht. Ich habe ihr sogar erzählt, dass du mir Nachhilfe geben würdest.«

»Wieso hast du ihr das gesagt?«, fragte ich.

»Weil Alanas Vorschlag nicht funktioniert hat.«

Ich verdrehte die Augen.

»Nächste Woche geht es los«, erwiderte Liza niedergeschlagen.

»Das tut mir leid, Liza. Aber so schlimm ist es doch auch wieder nicht, oder?«

»Von meiner Mom zu meiner wöchentlichen Nachhilfestunde gebracht zu werden?«

»Ich kann dich hinbringen.«

Sie runzelte die Stirn, offenbar noch unentschlossen, ob das eine gute oder schlechte Idee war. »Okay. Ja … sicher. Du bist jetzt immerhin ein Junior. Damit bist du wenigstens cooler als meine Mom.«

»Ich sollte mich bedanken, glaube ich.«

»So könnte es gehen!« Und ebenso schnell, wie sie gekommen war, verschwand sie wieder. Dieses Mädchen war wirklich ein Wirbelwind.

Noch einmal ging ich die Liste der Themenvorschläge durch. Nicht nur waren die »Geschichten rund um den See« schon vergeben – auch »Comics«, »Musik« und »Mode« standen bereits auf der Liste. Irgendjemand hatte sogar die Idee meiner Mutter vorgeschlagen, Enthüllungsberichte über das Highschoolleben zu veröffentlichen. Und das schon am ersten Tag! Wenn ich noch länger wartete, würde kein einziges Thema mehr übrig sein.

Meine Finger tippten leicht auf die Tastatur meines Laptops. Ich musste mir nur irgendein Thema einfallen lassen. Es würde sowieso nicht ausgewählt werden, wenn der ganze Kurs abstimmte. Vielleicht könnte ich Alana noch einmal anrufen und um Rat bitten.

Rat.

Das, was Alana in Bezug auf Diego wollte. Was Liza in Bezug auf ihre Nachhilfestunden wollte. Suchte nicht jeder Jugendliche irgendwie Rat? Sei es von Freunden, von Eltern oder von Lehrern? Ein Podcast mit Ratschlägen könnte tatsächlich funktionieren.

Ich gab meinen Vorschlag ein. Er war nicht schlecht. Oder wenigstens kreativ genug, um gezählt zu werden. Ich rannte in die Küche, um meiner Mom Bescheid zu sagen, dass ich meinen Themenvorschlag eingereicht hatte, woraufhin sie beide Daumen nach oben reckte. Sekunden später steckte ich schon in meinem Badeanzug und war auf dem Weg zum See.

4. KAPITEL

Am nächsten Tag beim Mittagessen sprach ich mit Alana über meine Idee.

»Also, ich finde sie gut«, sagte sie, als wir wie immer nebeneinander draußen auf unserer Bank saßen. »Die Show würde heißen: ›Alanas Antworten auf alles‹.« Mit dem Finger unterstrich sie jedes Wort mit einer Geste. »Triple A.«

»Das könnte urheberrechtlich geschützt sein«, bemerkte ich und steckte einen Strohhalm in meinen Smoothie.

»Wie auch immer, ich stimme auf jeden Fall für deine Idee.«

»Das musst du nicht«, sagte ich.

»Ich weiß. Ich will aber. Es ist bestimmt witzig, wenn Leute anrufen und von ihren Problemen erzählen.«

Spielerisch stieß ich gegen ihre Schulter. »Sei nett.«

»War das etwa nicht nett?«, fragte Alana, während sie ihr Sandwich auspackte.

Ich ignorierte das, denn ich war mir ziemlich sicher, dass das nur ein Scherz war. »Hast du schon eine Idee?«, wollte ich stattdessen wissen.

Ein langgezogener Seufzer entfuhr ihr. »Nein. Steckt nicht irgendwo in deinem brillanten Verstand noch eine zweite Idee, die du mir überlassen könntest?«

»Es war schon schwierig genug, dieses Thema zu finden!«

In diesem Moment tauchte etwas am anderen Ende der Cafeteria auf, das Alanas Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie fixierte jemanden. Als ich ihrem Blick folgte, sah ich Diego, der sich mit einer Gruppe von Jungs unterhielt. In den Händen hielt er eine Dose Pepsi und ein Sandwich.

»Wie wäre es mit ›Stalking für Anfänger‹?«, schlug ich vor. »›Wie man die Aufmerksamkeit seines Schwarms auf sich zieht.‹«

Alana grinste. »Führ mich nicht in Versuchung. Für dieses Thema wäre ich ebenfalls die perfekte Moderatorin.«

»Also, wenn das dein Thema wäre, würde Schritt eins wohl lauten: Bring deine Freundin dazu, ihn im Schulflur anzustarren. Schritt zwei: Starr ihn an, während er sein Mittagessen zu sich nimmt. Wie lautet Schritt drei, Alana?«

»Du denkst also, ich spucke nur große Töne, unternehme aber nichts? Ist es das?«

»Ich weiß, dass du so einiges unternimmst. Ich habe dich schon in Aktion erlebt. Ich frage mich nur, wie du in diesem konkreten Fall weiter vorgehen willst.«

»Schritt drei, meine skeptische Freundin, ist, ihn glauben zu lassen, dass er derjenige ist, der auf mich steht.«

»Und wie genau willst du das erreichen?«, fragte ich, als wir draußen auf dem Schulhof waren.

»Beobachte und lerne.«

Mit diesen Worten ließ mich Alana allein mit meinem Smoothie auf unserer Bank zurück. Ich sah zu, wie sie im Gehen ihr Handy aus der Tasche zog, auf das Display blickte und geradewegs gegen Diego lief. Sie wich zurück und fuhr sich mit der Hand an die Brust, als hätte sie sich zu Tode erschreckt. Diego griff nach ihr, um sie am Fallen zu hindern. Ich sah, wie sie etwas zu ihm sagte, woraufhin er grinste und die Hand wieder sinken ließ. Dann begann sie, mit einem anderen Jungen in der Gruppe zu reden, der mit den Schultern zuckte. Sie sprach noch kurz mit dem letzten Jungen, trat freundschaftlich gegen seinen Schuh und drehte sich um, um zu mir zurückzukommen.

»Und genau so wird’s gemacht«, verkündete sie, als sie sich wieder hinsetzte.

»Ich habe keine Ahnung, was gerade passiert ist.«

»Ich habe signalisiert, dass ich da bin, aber gleichzeitig klargestellt, dass ich nicht hinübergegangen bin, um mit ihm zu reden.«

»Wer war dieser andere Typ?«, fragte ich.

»Bennett. Kennst du Bennett nicht?«

»Ich habe von ihm gehört. Aber noch nie mit ihm geredet.«

»Womit wir wieder bei meiner ›See-gegen-Stadt-Theorie‹ wären.«

Es war nicht so, dass ich nicht gesellig wäre … Na gut, vielleicht war es doch ein bisschen so.

»Meiner Meinung nach ist das alles Hunters Schuld«, fuhr Alana fort und biss in ihr Sandwich. »Er hat dich neun Monate lang für sich beansprucht und war dann so unverschämt, einfach wegzuziehen.«

Gedankenverloren spielte ich mit dem Strohhalm in meinem Smoothie. »Er wollte ja nicht wegziehen. Seine ganze Familie ist weggezogen, und ohne sie wäre er, du weißt schon, irgendwie obdachlos gewesen. Aber ich bin über Hunter hinweg. Das war letztes Jahr. Wieso musst du so in der Vergangenheit wühlen?«

Das klang vielleicht etwas defensiv, wenn man bedachte, dass ich den ganzen Tag lang Hunters Posts angesehen hatte. Ein Foto, wie er zum Frühstück Popcorn aß. Ein Foto von einem Schild, auf dem »In Texas ist alles größer« stand. Und ein Foto von einem Stapel Lehrbücher.

»Weil ich nur da wühlen kann«, bemerkte Alana. »Dein Liebesleben war in letzter Zeit so vertrocknet wie diese Piniennadeln.« Sie trat in einen Haufen rostroter Piniennadeln zu unseren Füßen.

Ich stellte meinen Smoothie ab. »Ich habe eben niemanden gefunden, der genauso interessant ist wie Hunter.«

»Genauso interessant wie Hunter?« Alana grinste. »Der Typ könnte Babys in den Schlaf wiegen, einfach nur indem er dasitzt.«

Bei ihren Worten zuckte ich zusammen. Für mich war Hunter nicht langweilig. Er war gelassen. Und ruhig. »Ich mag gelassen und ruhig.«

»Dann lautet die Frage, wie denn der gelassene und ruhige Typ, den es da draußen gibt, dich finden soll«, stellte Alana mit hochgezogenen Brauen fest. »Du postest gerade einmal so viel, um zu beweisen, dass es dich gibt, aber nicht genug, dass irgendjemand eine Ahnung haben könnte, wer du eigentlich bist.«

Ja, ich behielt das meiste für mich. Daran sah ich nichts Verwerfliches. »Ich weiß nicht, es soll Leute geben, die noch im echten Leben miteinander reden«, erwiderte ich.

»Du willst auf eine fremde Person zugehen und mit ihr reden? Hm. Na ja, vielleicht kannst du ja meinen Podcast hören, um dir ein paar Tipps zu holen.« Sie grinste.

Jetzt musste ich lachen. »Okay. Ich sage dir Bescheid, wenn ich jemand Interessantes gefunden habe.«

Ein Räuspern, das rechts neben mir ertönte, ließ mich herumfahren.

Diego. Hatte er etwa unsere ganze Unterhaltung mitgehört?

»Hey, Alana. Du hast das vorhin verloren.« Er hielt einen Schlüssel an einer silbernen Kette hoch.

Alana, die offenbar nicht auf diese Begegnung vorbereitet gewesen war, stotterte: »Ich – Ich … Oh«. Dabei machte sie keine Anstalten, den Schlüssel aus Diegos Hand zu nehmen.

Ich war nicht ganz so perplex wie Alana und lächelte ihn an. »Du bist ein echter Lebensretter. Ohne diesen Schlüssel hätte sie an der Fassade zu ihrem Zimmerfenster hinaufklettern müssen. Nicht, dass sie das nicht schon mal getan hätte.«

Alana erholte sich schnell von ihrem Schock, stand auf und streckte die Hand nach dem Schlüssel aus. »Diese Kletterstrecke kenne ich in- und auswendig.« Das stimmte. Alana hatte sich schon öfter ausgesperrt, als ich zählen konnte. Früher hatte das daran gelegen, dass ihre Eltern noch keinen Schlüssel für sie hatten machen lassen und der Eingang durch die Garage oft defekt war. Jetzt, wo sie ihren eigenen Schlüssel hatte, vergaß sie ihn normalerweise.

»Vielleicht solltest du deinen Schlüssel an einem etwas sichereren Ort aufbewahren.« Diego legte die Kette in Alanas ausgestreckte Hand und schloss jeden einzelnen ihrer Finger darum. Seine Hand lag noch einen Augenblick lang auf ihrer Faust, bevor er sie zurückzog.

Alanas Mund verzog sich zu einem leichten Grinsen. »Stimmt. Ich brauche einen besseren Platz dafür.« Sie ließ den Schlüssel in ihre Hosentasche gleiten.

Wow, die beiden konnten wirklich gut flirten.

»Ich glaube, wir kennen uns noch gar nicht«, sagte Diego an mich gewandt. Vermutlich hatte er bemerkt, dass ich sie anstarrte.

»Oh.« Beiläufig legte Alana eine Hand auf seinen Arm. »Das ist meine beste Freundin, Kathryn. Aus Lakesprings. Kate, das ist Diego.«

»Hi«, grüßte ich und war unsicher, was ich diesem einen Wort noch hinzufügen könnte.

»Wie wirst du jetzt genannt? Kathryn oder Kate?«, fragte Diego.

»Seltsamerweise sowohl als auch.«

»Aus dem Namen Kathryn kann man eine Menge machen.«

»Kate ist aber die einzige abgewandelte Form, die ich mag«, ließ ich ihn wissen. Anscheinend etwas zu nachdrücklich, denn Diego antwortete eilig: »Verstanden.«

»Oh, sieh mal!«, unterbrach Alana unser Gespräch. »Da ist dein Bruder, Kate.« An Diego gewandt fuhr sie fort: »Wir haben ihn schon gesucht. Wir müssen jetzt los.« Dann drehte sie sich um und ging gemächlich in Richtung meines Bruders.

»Ähm … tut mir leid«, entschuldigte ich mich bei Diego, denn ich hatte das Gefühl, dass Alana etwas überstürzt gegangen war. Ich verstaute unser Mittagessen in einer braunen Papiertüte, stand auf und deutete in Max’ Richtung. »Wir müssen …«

»… euch auf die Suche nach jemand Interessantem machen?«, beendete Diego meinen Satz und zwinkerte mir zu. Also hatte er unser Gespräch mitgehört! Kein Wunder, dass Alana ihn mochte. Er war so selbstsicher wie sie.

»Ja … Ich meine, nein. Hat mich gefreut, dich kennenzulernen.«

»Mich auch.«

Ich lief los, um Alana noch einzuholen. »Was sollte das?«, zischte ich ihr zu.

»Vertrau mir«, sagte sie, während wir weiter auf Max zugingen. »Ich musste diejenige sein, die zuerst geht.«

»Okay. Und das mit deinem Haustürschlüssel?«

Sie grinste und mir wurde klar, dass Diegos überraschendes Auftauchen tatsächlich Teil ihres Plans gewesen war. Sie war gut.

Wir erreichten meinen Bruder, der in seiner viel zu weiten Jeans und mit seinen zu langen braunen Haaren auf dem Weg zur Bibliothek war.

»Maximilian!«, rief Alana und legte ihm einen Arm um die Schultern.

»Hi«, grüßte er sie.

»Was machst du?«, wollte ich wissen.

»Ein Buch zurück in die Bibliothek bringen.« Er hielt ein Buch übers Programmieren in die Luft.

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