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Ein Sommer voller Liebe

Susan Wiggs
Träume von dir
Ohne Begleitung zu einem Klassentreffen gehen? Das ist die Hölle für Twyla. Aber was wäre, wenn sie einfach Rob Carter, den ihre Freunde ihr auf der Junggesellenauktion ersteigert haben, mitnehmen würde?
Linda Winstead Jones
A Week till the Wedding
Daisys große Liebe Jacob ist zurück und er bittet sie, für seine kranke Großmutter, das glückliche Paar zu spielen. Ein gefährliches Spiel, denn Jacob darf nie erfahren, wie Daisy wirklich fühlt.
Beverly Barton
Eine sinnliche Affäre
CeCe ist süß, privilegiert und aus gutem Hause - und Gardner braucht sie, um sich für das zu rächen, was ihre Familie ihm angetan hat. Doch er hat nicht damit gerechnet, dass er sein Herz an sie verlieren könnte …
Laura Wright
Mein sexy Nachbar
Trent muss heiraten, sonst verliert er sein Erbe. Seine unscheinbare Nachbarin wäre die perfekte Kandidatin. Aber wie macht man einer Frau, mit der man noch nie gesprochen hat, einen Heiratsantrag?
  • Erscheinungstag: 11.04.2016
  • Seitenanzahl: 400
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956499197
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Ein Sommer voller Liebe

Susan Wiggs

Träume von dir

Linda Winstead Jones

Falsche Küsse – echte Liebe

Beverly Barton

Eine sinnliche Affäre

Laura Wright

Mein sexy Nachbar

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgaben:

Husband for Hire

Copyright © 1999 by Harlequin Books, S. A.

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

A Week Till The Wedding

Copyright © 2012 by Linda Winstead Jones

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Lover and Deceiver

Copyright © 1994 by Beverly Beaver

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Front Page Engagement

Copyright © 2008 by Harlequin Books S. A.

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: Büropecher, Köln

Redaktion: Christiane Branscheid

Titelabbildung: HarperCollins France / Getty Images, München / Masterfile

ISBN eBook 978-3-95649-919-7

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Susan Wiggs

Träume von dir

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Inken Kahlstorff

1. KAPITEL

Liebes, du brauchst einen Mann“, sagte Mrs. Duckworth.

„Ich brauche was?“

„Einen Mann, du weißt schon. Ein großes männliches Wesen mit breiten Schultern und vielen Muskeln.“

Twyla McCabe nahm den Stielkamm und trennte geschickt eine von Theda Duckworths silbernen Strähnen ab. „So einen hatte ich mal, er hat mir überhaupt nicht gutgetan. Jetzt habe ich einen Hund.“

Mrs. Duckworth gestikulierte in Richtung der anderen Kundinnen im Salon. „Wir Frauen hier haben das besprochen, Herzchen. Es ist Zeit, dass du dir einen Mann suchst“, sagte sie betont geduldig.

Twyla beugte sich über den Frisierstuhl und begutachtete Mrs. Duckworths Haaransatz. „Süße, ich glaube, wir haben die Lavendeltönung zu lange einwirken lassen. Warum sollte ich mir den Ärger antun?“

Mrs. Duckworth fing Twylas Blick in dem großen runden Frisierspiegel auf. Ihr erstauntes Blinzeln beirrte die pensionierte Lehrerin nicht im Geringsten.

„Damit er dich auf das zehnjährige Klassentreffen begleitet“, sagte Mrs. Duckworth mit ernster Stimme.

Twyla tauchte den Kamm in die Edelstahlschüssel mit dem Lösungsmittel. „Diep“, wandte sie sich an die Nagelpflegerin, „du solltest das Klassentreffen doch nicht erwähnen! Mein Entschluss steht fest.“

Diep Tran lackierte Mrs. Spinellis Fingernägel. „Ich habe kein Wort darüber verloren“, sagte sie, ohne aufzublicken.

„Aber du hast allen die Einladung gezeigt, nicht wahr?“, fragte Twyla und spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg.

„Ein Bild von dir mit Krone, das musste ich allen zeigen“, sagte Diep ungerührt und beugte den Kopf tiefer über die Hand ihrer Kundin. Mit einem extrafeinen Pinsel lackierte sie eine winzige Melonenscheibe auf jeden Nagel. Was Nail Art betraf, machte ihr keiner etwas vor. Diep Tran war die Georgia O’Keeffe der Nagellackkünste. Sie erfüllte ihren Kundinnen sämtliche Wünsche von anatomisch korrekten griechischen Göttern bis zu dem Schriftzug „Es ist aus!“ in Druckbuchstaben. Seit sie im Salon arbeitete, lief das Geschäft noch besser, und inzwischen gab es viele Stammkundinnen, die regelmäßig zur Maniküre kamen. Nur leider musste sie ihre Nase andauernd in die Angelegenheiten anderer stecken.

Twyla wunderte sich immer noch, dass ihre ehemaligen Klassenkameraden der Hell Creek Highschool sie aufgespürt hatten. Nach allem, was passiert war, hatte sie niemandem in ihrem Heimatort erzählt, wo sie hingezogen war. Aber irgendwie hatte die Einladung zum Klassentreffen ihren Weg durch Wyoming zu ihr gefunden.

„Wie oft kriegen wir dich schon mit Krone auf dem Kopf zu sehen, Herzchen?“, fragte Mrs. Duckworth schmunzelnd. Unter ihrem roséfarbenen Umhang mit dem paillettenbesetzten Salonlogo – einem Paar roter Schuhe – zog sie den Newsletter des Organisationskomitees hervor. Den Titel zierten ein Bild der Hell Creek Highschool und eine Fotomontage der Schüler des Jahrgangs von vor zehn Jahren.

Mein Gott, was waren wir jung! dachte Twyla mit Blick auf die Titelseite. Die Schulabgänger lachten voller Selbstvertrauen und Zuversicht, sie sahen jung und stark aus. Ihre jugendlichen Gesichter strahlten vor Freude auf die unbegrenzten Möglichkeiten, die vor ihnen lagen.

Diese Jugendlichen hatten ihr Leben noch vor sich. Jeder Einzelne von ihnen war überzeugt, ihm gehöre die Zukunft.

Das größte Foto in der Mitte zeigte eine sehr viel jüngere Twyla mit einer funkelnden Tiara im Haar und Arm in Arm mit einem jungen Mann, der sie voller Bewunderung ansah. Sein Gesichtsausdruck verriet nicht, was die Jahre, die auf diesen Tag folgen sollten, bringen würden.

Twyla schämte sich beinahe dafür, wie lebhaft ihre Erinnerungen an den Abend waren. Jenen Abend, als sie genau zu wissen schien, wie ihr Leben verlaufen würde, als ihre Träume sie weit über die Kleinstadt in Wyoming, in der sie geboren und aufgewachsen war, hinaustrugen.

So viel zu dem Mädchen mit den vielversprechendsten Aussichten.

Diep und Sugar Spinelli steckten flüsternd ihre Köpfe über dem Maniküretisch zusammen. Mrs. Spinellis Ohrringe glitzerten, allerdings längst nicht so hell wie ihre Augen.

Sadie Kittredge hob die Trockenhaube von ihren Lockenwicklern und nahm Mrs. Duckworth die Einladung aus der Hand. „Wer hätte das gedacht?“, fragte sie lächelnd und blickte von der Einladung zu Twyla auf. „Du warst Aschenputtel.“

Twyla griff hastig nach der Einladung. „Und seht, was aus ihr geworden ist.“

„Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Das kennt jedes Kind.“

Twyla ließ eine Schachtel Alustreifen in ihren Händen auf und ab wippen. „Und warum erfahren wir nie, was danach kommt?“

„Kinder, Bausparvertrag, Schwiegereltern … Wer will davon schon lesen?“ Sadie zwinkerte ihr zu und schnalzte mit ihrem Kaugummi. „Du gehst also hin?“

„Nein“, sagte Twyla, „weißt du, wo Hell Creek liegt?“ Fahrig nahm sie die Aluminiumfolie und wickelte Mrs. Duckworths Haar Strähne für Strähne darin ein.

„Selbstverständlich weiß ich das“, entrüstete sich Mrs. Duckworth, „ich habe fünfunddreißig Jahre lang dort unterrichtet.“

„In der Schule war ich immer schlecht“, räumte Sadie ein. „Gib mir einen Tipp.“

„Es ist meilenweit entfernt“, sagte Twyla. Sie war mit Mrs. Duckworth fertig und streifte sich die Einmalhandschuhe von den Fingern. „Es liegt bei Jackson. Jedenfalls nicht nah genug, um mal eben auf ein Bier vorbeizuschneien. Selbst wenn ich mir ein freies Wochenende leisten könnte, würde ich es nicht für ein Klassentreffen verschwenden.“

„Aber, Schätzchen, das wär doch keine Verschwendung.“ Sadie reichte ihr die aktuelle Woman’s Day. „Hier steht’s: Der Kontakt zu alten Freunden ist gut für die Psyche.“

„Da steht auch, dass Liebe durch den Magen geht“, sagte Twyla und legte die Zeitschrift beiseite. „Ich glaube, das ist zu hoch gezielt.“

„Du kannst Männer ganz eindeutig nicht leiden“, bemerkte Diep kopfschüttelnd. „Dabei sind nicht alle wie dein erster Ehemann.“

Twyla wollte nicht an Jake denken. Wenn sie es doch tat, erschien vor ihrem geistigen Auge das Bild, wie er stolz sein Juradiplom in der Hand hielt. In einem Anflug guten Glaubens und Hoffnung auf die Zukunft hatte sie ihn gleich nach der Highschool geheiratet. Er hatte bereits drei Jahre am College studiert, sah umwerfend aus und hatte hehre Ziele. Wer hätte ahnen können, dass sich ihre Pläne so schnell und gründlich zerschlagen würden und sie ihre Heimat hängenden Hauptes verlassen würde? Seitdem hatte sie jedoch herausgefunden, dass es Schlimmeres gab, als von einem Mann, den man zu kennen glaubte, verlassen zu werden.

„Du meinst meinen einzigen Ehemann“, stellte sie klar. „An einem zweiten bin ich nämlich nicht interessiert.“

„Du hast nur noch nicht den Richtigen gefunden“, sagte Sugar Spinelli. Da sie mit einem Mann verheiratet war, der sie maßlos verwöhnte, sprach sie mit einer weiblichen Gewissheit, die nur schwer zu widerlegen war. Ihr zierlicher Körper, ihre weißen Haare und ihr Lächeln verliehen ihr die gelassene Ausstrahlung einer Frau, die die Liebe eines aufrichtigen Mannes kennengelernt hatte.

„Ich bin gar nicht auf der Suche“, erwiderte Twyla und ließ Sadie auf dem Frisierstuhl Platz nehmen, um ihr die Haare zu bürsten. „Und in meiner Branche laufen mir auch kaum welche über den Weg.“ Sie deutete mit der Hand über die zuckerwattefarbige Einrichtung des Salons.

Seit drei Jahren war sie nun Inhaberin von Twyla’s Tease ’n’ Tweeze. In irgendeinem Buch hatte sie gelesen, dass jedes Geschäft eine Corporate Identity brauchte. Twyla hatte die roten Schuhe aus dem Zauberer von Oz als Logo gewählt. Die rot glitzernden Pumps zierten die Uhr im Salon, das Ladenschild, die Frisierumhänge, die gerahmten Bilder an den Wänden. Twyla selber trug jeden Tag rote Schuhe bei der Arbeit, und Diep hatte es ihr nachgemacht. Die roten Schuhe erinnerten Twyla daran, dass sie all den Zauber, den sie in ihrem Leben brauchte, in sich trug.

Nur war leider auf ihren Zauber absolut kein Verlass. Was man daran sah, wie schnell sich die Rechnungen im Salon und bei ihr zu Hause stapelten. Doch das war ihr gleichgültig. Twyla setzte auf harte Arbeit statt auf esoterische Weisheiten. „Außerdem kann man ja nicht einfach losziehen und sich einen aussuchen“, fügte sie hinzu.

„Doch“, sagte Mrs. Duckworth. Die Alustreifen auf ihrem Kopf flatterten, als sie eine Broschüre unter ihrem Umhang hervorholte. „Das kann man.“

„Was ist das?“

Die ältere Dame tauschte einen aufreizend koketten Blick mit Mrs. Spinelli. „Etwas ganz Besonderes. Seit Tagen sprechen Sugar und ich von nichts anderem.“ Selig drückte sie den Hochglanzkatalog an ihren üppigen Busen. „Ihr kennt doch sicher alle die Lost Springs Ranch.“

Twyla nickte interessiert. Alle hier kannten das Kinderheim nahe des Shoshone Highways. Die Ranch war seit Jahrzehnten dafür bekannt, dass sie Jungen aufnahm, die obdach- oder elternlos waren, in Schwierigkeiten steckten oder als hoffnungslose Fälle galten. Oft bot die Ranch ihnen den letzten Halt, bevor die Jugendstrafanstalt oder das Gefängnis drohten. Dank eines guten Lehr- und Therapiekonzepts konnte Lost Springs das Leben vieler Jungen zum Besseren wenden. Twyla vermutete, dass der Erfolg wenigstens zum Teil auch Lehrern wie Mrs. Duckworth zu verdanken war.

„Bedauerlicherweise geht ihnen das Geld aus“, fuhr sie fort. „Aber sie haben sich eine geniale Idee für eine Spendensammlung ausgedacht.“

„Wartet, bis ihr davon hört“, sagte Mrs. Spinelli und hielt ihre Hände in die Höhe, um ihre Nägel zu inspizieren. Das Licht der Nachmittagssonne fiel durch die Fensterscheibe des Salons und brach sich funkelnd an ihren unzähligen Ringen und Armreifen. Sie und ihr Ehemann besaßen einige Morgen erdölreiches Land, und Sugar Spinelli hatte sich voll und ganz der Wohltätigkeit verschrieben. „Die Idee ist großartig. Erzähl es ihnen, Ducky!“

Mrs. Duckworth hielt den Katalog in die Höhe. „Eine Junggesellenversteigerung!“

Twyla verdrehte die Augen und machte sich daran, Sadies Lockenwickler zu lösen. „Davon habe ich schon gehört. Einsame und frustrierte Frauen ersteigern Männer, die sich für die Krönung der Schöpfung halten. Klingt albern.“

„Dann schau dir das hier an, Miss Ich-brauch-keinen-Mann. Es ist einfacher, als magenfreundliche Gurken in einem Saatgutkatalog zu bestellen.“

„Mein Gott, dann lass mal sehen!“ Sadie griff sich die Broschüre. Ihre frisch gezupften Augenbrauen schossen in die Höhe. Ihr Mund formte ein erstauntes „O“. „Mein Gott“, sagte sie noch einmal, nur war ihre Tonlage diesmal eine andere.

„Okay, lass uns gemeinsam gucken.“ Diep griff nach dem Katalog und breitete ihn auf der rosafarbenen Resopaltheke aus. Sie war so klein, dass Twyla hinter ihr stehen und ihr über den Kopf sehen konnte. Und das, was sie sah, ließ sie vor Lachen prusten.

„Was soll das sein? Eine Art Otto-Katalog?“, fragte sie. „Wer sind diese Typen?“

„Die Männer deiner Träume“, rief Mrs. Duckworth. „Sie alle haben früher auf der Ranch gelebt. Jetzt treiben sie die Spenden dafür ein.“

„Männliche Tussis. Toyboys.“ Twyla rümpfe die Nase. „Die sehen alle gleich aus.“

„O nein“, warf Sadie ein. „Sie haben alle unterschiedliche Gesichter, siehst du? Also kann man sie auseinanderhalten.“

„Also wirklich, das ist umgekehrter Sexismus der schlimmsten Art!“, schimpfte Mrs. Duckworth. „Ich verstehe euch jungen Leute von heute einfach nicht mehr.“

„Was verkaufen die denn?“, fragte Diep, während sie das Bild eines gefährlich aussehenden Mannes auf einer Harley anstarrte.

„Sich selber, Schätzchen.“ Mrs. Duckworth betrachtete Diep. „Ich schätze, du hast noch nie von einer Junggesellenversteigerung gehört?“

„Von Viehauktionen schon“, sagte Diep. „Mein Vater hat mal eine nubische Ziege auf einer Auktion ersteigert. Aber Junggesellen? Diese Männer?“

„Genau“, sagte Twyla. „Man bietet auf sie wie auf nubische Ziegen.“

Ein erstaunter Ausdruck flackerte über Dieps hübsches, puppengleiches Gesicht. „Und was macht man dann mit ihnen?“

„Alles, was du willst, nehme ich an.“ Sadie Kittredge blätterte in dem Heft und begutachtete den Polizisten, den Park Rancher, den Geschäftsmann, den Golfer, den Cowboy … und holte tief Luft. „Solange es legal ist.“

„Stimmt“, sagte Mrs. Duckworth. „Diejenige mit dem höchsten Gebot darf sich von dem Mann ihrer Wahl ausführen lassen. Das Geld geht an die Ranch. Einige der Junggesellen wollen den Einsatz sogar verdoppeln.“ Die Alufolie in ihrem Haar raschelte, als sie sich an Twyla wandte. „Also guck sie dir an und sag uns, welcher es sein soll.“

Twyla lachte, halb amüsiert, halb ungläubig. „Wie bitte?“

„Welcher Mann?“, fragte Sadie betont geduldig. „Du wählst einen aus, der dich auf das Klassentreffen begleitet.“

„Klar, und dann schlage ich die Hacken zusammen und lande wieder in Kansas, wie Dorothy im Zauberer von Oz.“

„Aber Twyla, das ist doch perfekt!“, sagte Mrs. Spinelli, die sich mit der Vorstellung immer mehr anfreundete. Der traubengroße violette Edelstein an ihrem Ohrring hüpfte im Takt ihrer wachsenden Begeisterung hin und her. „Wir sind uns doch einig, dass du einen Mann brauchst, um auf dem Klassentreffen Eindruck zu schinden. Was wäre besser, als dort mit dem perfekten Traummann aufzutauchen?“

„Einen Moment mal. Ich sagte doch gerade, dass ich keinen Mann brauche und nicht zum Klassentreffen gehe.“

„Doch, brauchst du, und doch, tust du“, sagte Mrs. Duckworth mit aller Autorität ihrer fünfunddreißigjährigen Erfahrung als Lehrerin.

Um des lieben Friedens willen riss Twyla das Ruder herum. „Selbst wenn ich wollte, hätte ich das Geld nicht. Ich bin alleinerziehende Mutter, ich komme gerade so über die Runden, und das Letzte, wofür ich mein hart verdientes Geld ausgeben würde, ist ein verwöhnter …“ Sie beging den Fehler, ihren Blick über den Rancher in der Lederweste und den Cowboyhosen schweifen zu lassen. „… überprivilegierter …“ Ihr Blick wanderte auf die nächste Seite, wo ein Mann in einem Armani-Anzug eine langstielige rote Rose hielt und sie anlächelte. „… selbstverliebter …“ Auf der folgenden Seite sah man einen Koch, der eine Schürze und eine Kochmütze trug und sonst nichts.

Entnervt von ihrer ausschweifenden Fantasie konzentrierte sie all ihre Aufmerksamkeit auf Sadies Haar. Sorgfältig drehte sie die honigfarbenen Wellen ihrer Freundin aus den Wicklern und bürstete sie. „Und überhaupt habe ich weder Geld noch Lust dazu. Also lasst uns das Thema wechseln, in Ordnung?“

Mrs. Duckworth strich mit der Hand sanft über das glänzende Papier und seufzte so vernehmlich, dass sich Twylas Gewissen augenblicklich meldete. Es diente doch schließlich einem guten Zweck! Und trotz ihrer Einwände reizte sie die Junggesellenversteigerung, gestand sie sich beschämt ein. Ein Mann, der wie aus dem Nichts auftauchte, wie der Geist aus der Flasche, ihr Date für eine Nacht? Dann hätte sie wenigstens jemanden, den sie auf dem Klassentreffen vorzeigen konnte, wo doch ihr Leben so ganz anders verlaufen war, als sie es sich vor zehn Jahren erträumt hatte.

„Aber“, sagte Twyla, „diese Typen sind nicht meine Liga. Schaut sie euch doch an, die Leute werden Tausende von Dollar bieten.“

„Vielleicht spielen sie nicht in deiner Liga“, erwiderte Mrs. Spinelli und trommelte mit ihren frisch lackierten Nägeln auf dem Frisiertisch.

„O nein!“ Twyla hob protestierend die Hand. „O nein, das wirst du nicht tun! Du wirst dein Geld nicht für mein Date ausgeben!“

Mrs. Spinelli lachte. „Letztes Jahr habe ich zweieinhalbtausend für das Siegerschwein einer Nutztierauktion hingeblättert, und die arme Kreatur endete im Schlachthaus.“

„Ein Junggeselle würde viel mehr Spaß bringen“, warf Sadie ein. „Und er würde dir am Ende auch nicht leidtun.“

„Kommt nicht infrage“, sagte Twyla mit Nachdruck.

Vier Augenpaare straften sie mit kalten, anklagenden Blicken.

Nervös versuchte Twyla einzulenken. „Vielleicht können wir ja hingehen und zuschauen. Wir bringen den Quilt mit, den meine Mutter für das Dorfkrankenhaus näht. Wir könnten ihn bei der Tombola auf der Lost Springs Ranch verlosen und den Erlös spenden.“

„Spielverderberin“, grummelte Diep. Sie zeigte auf die kurzen Texte zu den Fotos. „Hast du das hier gelesen?“

„Hier, der ist gut“, sagte Mrs. Duckworth und deutete auf den halb nackten Koch. „Alter: in den Dreißigern, Beruf: Investmentbanker und angehender Küchengott.“ Sie überflog die biografischen Angaben, die alle herrlich vorhersehbar waren. Sternzeichen, größte Errungenschaft im Leben, Lieblingslied, Automarke. Peinlichstes Erlebnis. „Ach, der Ärmste! Für seine Verabredung hatte er extra Hähnchen-Cordon-bleu gemacht, aber sie waren so sehr miteinander beschäftigt, dass er vergessen hatte, den Ofen auszuschalten, und das Essen verbrannte.“

Versonnen strich Sadie über das Prachtexemplar von Mann. „Wisst ihr, in einer Illustrierten habe ich gelesen, dass Hunger und Leidenschaft einem Mann denselben Ausdruck aufs Gesicht zaubern.“

Mrs. Spinelli schüttelte den Kopf. „Du willst sagen, ich hätte Roy all die Jahre nur zu bekochen brauchen?“

Kichernd las Twyla weiter. „Perfekt! Hier steht, seine Traumfrau hat langes blondes Haar und ist weltoffen. Übersetzt heißt das, er will die Malibu Barbie.“

„Was ist die Malibu Barbie?“, fragte Diep.

„Heißer Sex ohne Verpflichtungen.“

„Gut, der kommt also nicht für dich infrage“, sagte Mrs. Duckworth und las unbeirrt weiter die Steckbriefe vor. Sie alle machten den Leser glauben, dass den Männern das Aussehen der Frauen egal sei, dass sich unter ihrer harten Schale ein weicher Kern verbarg, dass sie natürlich nur aus rein praktischen Gründen einen Porsche fuhren, dass sie ehrliche Absichten hegten, ihre Karriere pfeilgerade und ihr Humor unendlich sei.

„Aber“, warf Twyla ein, „bevor wir zu sehr ins Sabbern geraten, sollten wir nicht vergessen, wo die Jungs herkommen.“

„Von der Lost Springs Ranch für Jungen“, sagte Mrs. Duckworth. „Deswegen nehmen sie ja an der Versteigerung teil.“

„Sie waren als Jugendliche straffällig. Einige wurden als Kinder von ihren Eltern verlassen oder waren verwaist.“ Twyla musste an ihren Sohn Brian denken, und Mitgefühl durchflutete sie. „So etwas hinterlässt Spuren.“ Sie zeigte auf den Cowboy, dessen eisblaue Augen ein Geheimnis zu verbergen schienen. „Man fragt sich unwillkürlich, was die alles mit sich rumschleppen.“

„Wenn du höflich fragst, wird er es dir bestimmt erzählen“, warf Sadie ein. „Mein Gott, dieser Mund! Ob der mit Val Kilmer verwandt ist?“

„Ich finde, es grenzt an ein Wunder, dass sie zu so erfolgreichen und anständigen Männern herangewachsen sind“, sagte Mrs. Spinelli.

„Sie sind ledig. Da fragt man sich doch“, dachte Twyla laut, „warum sie, wenn sie so großartig sind, wie sie behaupten, nicht verheiratet sind.“

„Man findet ja nicht immer gleich beim ersten Mal das große Glück“, sagte Sadie und nickte weise mit dem Kopf.

Twyla spürte einen Stich. Sadie hatte das nicht so gemeint. Nur wenige Menschen in Lightning Creek wussten über ihre Vergangenheit Bescheid. Sadie allerdings, ihre beste Freundin, hatte eine ganz gute Vorstellung davon, was Twyla sich erträumt hatte und vor allem was sie verloren hatte, als ihre Ehe in die Brüche ging.

„Das stimmt“, sagte sie. „Aber jetzt habe ich etwas Besseres gefunden. Ich habe einen eigenen Salon und meinen Sohn. Als ich jung war, hatte ich keine Ahnung, wie wichtig mir das einmal sein würde.“ Und doch, manchmal lag sie nachts wach und wurde das Gefühl nicht los, sich mit weniger zufriedengegeben zu haben, als sie ursprünglich vom Leben erhofft hatte. „Klar, meine erste Ehe ist gescheitert, das gebe ich zu. Aber noch einen Versuch will ich gar nicht erst starten. Mein Leben gefällt mir so, wie es ist.“

„Aber wäre es nicht lustiger, wenn du dich hin und wieder mit einem Mann verabreden würdest?“ Sadie, die sich häufiger als nur hin und wieder mit einem Mann verabredete, versuchte Twyla immer wieder dazu zu bewegen, öfter auszugehen.

„Oh, seht mal!“, rief Mrs. Duckworth, während sie in dem Katalog las. „Das ist der kleine Robbie Carter.“ Sie zeigte auf den Armani-Mann mit der Rose.

„So klein ist der nicht mehr“, sagte Diep.

„Er war Schüler in meiner Klasse. Mannomann, der hat sich aber gut gemacht!“

„Er ist Arzt“, sagte Mrs. Spinelli.

„Und Löwe – ein gutes Sternzeichen“, fügte Sadie hinzu.

Twyla bürstete Sadies Haar und benutzte ein wenig Haarspray. Sie hörte nur mit halbem Ohr hin. Er sprach Spanisch, reiste gern und fuhr einen Ford SUV. Er war Mitinhaber eines medizinischen Labors in Denver. Irgendwie war Twyla enttäuscht, dass die Kurzbiografie in dem Katalog so wenig über ihn preisgab. Der Typ sah so unglaublich gut aus, er schien so vollkommen zu sein, dass sie beinahe hoffte, etwas in seiner Lebensgeschichte zu entdecken, das ihn abhob, etwas in seiner tragischen Vergangenheit vielleicht, das ihr seinen wahren Charakter unter der glatten Oberfläche offenbaren würde.

„Hier steht, er hat die Schule dank eines Sportstipendiums und harter körperlicher Arbeit geschafft. Was mag das für Arbeit gewesen sein, frage ich mich“, sagte Mrs. Spinelli.

Unwillkürlich horchte Twyla auf. Ein Mann, der seine Schulbildung selber in die Hand nahm, wenn er das denn wirklich getan hatte. Um gut dazustehen, würde so ein Typ wohl alles von sich behaupten, mutmaßte sie. Aber sie verlor das Interesse, als Mrs. Duckworth Carters Traumfrau beschrieb: eine gebildete Frau aus der Stadt mit einem anspruchsvollen, erfüllenden Beruf. Übersetzt hieß das: Malibu Barbie mit Diplom und gutem Elternhaus.

Dann soll er doch in seiner Stadt bleiben, dachte sie kopfschüttelnd.

Mal kichernd, mal aufseufzend blätterten sie sich Seite um Seite durch den Katalog mit den Junggesellen und diskutierten, was besser sei: ein einzelner Ohrring oder eine Reihe von Ohrsteckern? Wer bereitete einer Frau mehr Freude: ein Park Rancher oder ein Spielzeughersteller?

„Machst du Witze?“, fragte Sadie lachend. „Was für Spielzeug stellt der wohl her?“

Twyla zupfte die letzte Strähne zurecht. „So. Wie Jennifer Aniston.“

Sadie betrachtete sich kritisch im Spiegel. Dabei drehte sie ihren Kopf in die eine und in die andere Richtung. Schließlich nahm sie einen Handspiegel und besah ihren Hinterkopf. Ihr Haar, dessen Farbe an Karamellbonbons erinnerte, fiel ihr seidig über die Schultern. „O Liebes, du hast dich mal wieder selbst übertroffen!“ Sie stand auf und holte ihr Portemonnaie.

„Also wer soll es sein?“, fragte Mrs. Duckworth scherzhaft. „Nur so aus Spaß. Welchen dieser Männern würdest du wählen?“

Twyla ahnte, dass ihre Freundinnen sie nicht in Ruhe lassen würden. Also antwortete sie, nur so aus Spaß. „Gut“, sagte sie und überflog die Hochglanzseiten, während ihr Herz ein wenig zu schnell schlug. „Okay, lasst mich noch mal einen Blick auf den selbstverliebten Arzt werfen.“

2. KAPITEL

Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich mich von dir dazu habe überreden lassen.“ Rob Carter saß in dem schwarzen Explorer, den er am Flughafen von Casper gemietet hatte, und blickte finster über die salbeibewachsenen Hügel, die an ihm vorbeirasten. Obwohl neunzehn Jahre vergangen waren, seit er das letzte Mal über diese Straße gefahren war, erinnerte er sich an jede Kurve, jeden Hügel und jedes Tal auf dem Weg zur Lost Springs Ranch. Er erinnerte sich an die flirrende Hitze über dem Asphalt und die sprudelnden Ölquellen mit den pumpenden Bohrtürmen, die aussahen wie große metallene Krähen, die nach Samen pickten. Vor allem aber erinnerte er sich daran, wie erleichtert er gewesen war, das Leben in der Kleinstadt Lightning Creek hinter sich zu lassen.

Im Lautsprecher der Freisprecheinrichtung des Wagens rauschte es. Dann war Lauren DeVanes seidiges Lachen über die Lautsprechanlage zu hören. „Schatz, und ich kann nicht fassen, dass du dich so zierst. Es ist doch nur zum Spaß. Und Lindsay Duncan ist eine meiner besten Freundinnen. Als sie mich um Hilfe für die Spendenaktion in Lost Springs bat, habe ich keine Nanosekunde gezögert.“

Aus dem Augenwinkel nahm Rob eine Bewegung wahr und stieg auf die Bremse. Ein Reh sprang über die Straße und verschwand in der salbei- und ockerfarbenen Wildnis. Sein weißer Stummelschwanz blitzte noch einmal auf, dann verschwand das Tier hinter dem Hügel aus seiner Sicht. „Ja“, sagte er zu Lauren, „aber du bist auch nicht diejenige, die sie wie Frischfleisch versteigern.“

„Dafür bin ich diejenige, die zuschauen muss, wie eine andere Frau dich für ein Date ersteigert“, sagte sie mit einem Lächeln in der Stimme. Lauren war viel zu intelligent und viel zu selbstsicher, als dass sie diese Vorstellung ernsthaft beunruhigen könnte.

„Dann ersteigere du mich doch einfach“, sagte Rob und suchte den Straßenrand mit seinen Blicken nach weiteren Rehen ab. „Das wäre die perfekte Lösung.“

„Ich kann unmöglich die Reise nach San Francisco verlegen. Außerdem würde das der Idee der ganzen Veranstaltung zuwiderlaufen. Zwei Fremde, die sich begegnen, das ist ein Bild, das auf viele Menschen einen großen Reiz ausübt.“

„Auf mich nicht“, sagte Rob. Seine Augen waren nun auf den weißen Mittelstreifen gerichtet, und seine Nerven spannten sich mit jeder Meile mehr an. „Vielleicht solltest du doch kommen und dir einen Cowboy suchen.“

Wieder lachte sie. Ihre distinguierte Stimme erfüllte den Wagen und ließ ihn ebenfalls lächeln. „Warum haben Leute diese romantische Vorstellung vom Rancher-Leben? Cowboys sind unausstehlich und sozial gestört. Ich brauche eine gewisse großstädtische Kultiviertheit, Robert. Und überhaupt, die Reise an die Westküste hatte ich schon lange geplant.“ Sie hielt kurz inne. „Ich werde dich vermissen. Ich werde jede Minute an dich denken.“

„Wird mir genauso gehen.“ Insgeheim war Rob erleichtert, dass sie nicht mit auf die Ranch kam. Lauren, die inmitten unermesslichen Reichtums und vieler Privilegien aufgewachsen war, hatte keine Ahnung davon, wie seine Kindheit ausgesehen hatte. Und das war ihm auch lieber so. Er wollte sie davor schützen, denn sie hatte ein weiches Herz und litt bei der leisesten Andeutung von Unglück.

Sie fragte ihn nie über seine Vergangenheit aus, darüber, wie er als kleiner Junge in dem Heim auf der Lost Springs Ranch aufgewachsen war. Nicht, weil es sie nicht berührte. Sondern, weil sie es nicht wissen wollte. Sie wollte schlicht nicht wahrhaben, dass er trotz seines auf Hochglanz polierten und hart erkämpften Erfolges auf ewig ein Mann ohne Familie, ohne Stammbaum bleiben würde. Ein Mann ohne Namen außer dem, den seine Mutter eilig in ein Formular eingetragen hatte, als sie ihn zurückließ.

Ein leises Gefühl von Selbstmitleid stieg in ihm auf, gereizt hämmerte er auf das Lenkrad. Laurens Herz war so groß wie der Westen Amerikas. Es lag nicht an ihr, dass sie niemals verstehen würde, wie er aufgewachsen war. Und es lag nicht an ihm, ihr das zu erklären.

„Ich lege jetzt besser auf, Liebling“, sagte sie. „Ich habe einen Termin beim Friseur. Zum Schneiden.“

„Kürzer?“, fragte er enttäuscht bei der Erinnerung, wie ihr Haar sich einem glitzernden Wasserfall gleich über sein Kissen ergoss – einer seiner liebsten Anblicke auf der Welt.

„Nein, Dummerchen, länger.“ Ihr leichtherziges Lachen erreichte ihn auch über die Meilen, die sie trennten. „Natürlich kürzer. Es wird dir gefallen.“

„Wenn du meinst.“ Menschen, die Frauen ihre wunderschönen Haare abschnitten, gehörten erschossen, fand er.

„Bis bald, Liebling. Ruf mich heute Abend an.“

Rob schaltete das Radio an, um nach dem Telefonat die Stille im Wagen zu übertönen. Eine schrille Stimme sang kläglich: „Don’t come knocking at my door unless you can deliver the goods.“ Auf dem Straßenschild stand, dass Lightning Creek nur noch eine Meile entfernt war, und trotz der Hitze fröstelte er. Seitdem er mit siebzehn weggegangen und per Anhalter nach Casper gefahren war, um in den Zug Richtung Osten zu steigen, war er nie wieder zurückgekehrt. An jenem Tag hatte er geschworen, niemals zurückzukommen. Hier gab es nichts für ihn, nichts als eine verschlafene Stadt im Westen und die urwüchsige Landschaft drum herum.

Aber als ihn der Bittbrief von Lindsay Duncan und Rex Trowbridge, dem Leiter der Ranch, erreichte, hatte ihm Lauren schlicht nicht erlaubt, ihn unbeantwortet zu lassen. Das Heim steckte in Schwierigkeiten, ihm drohte die Schließung. Alle ehemaligen Schüler waren aufgefordert, zu helfen. Rob hatte angeboten, ihnen einen großzügigen Check auszustellen, aber Rex und Lindsay wollten, dass er selbst kam, und schließlich hatte er einfach nicht Nein sagen können.

Lost Springs hatte ihm buchstäblich das Leben gerettet. Hätte seine Mutter ihn nicht als Sechsjährigen dorthin gebracht, hätte sie ihn womöglich in einem heruntergekommenen Motelzimmer zurückgelassen. Vergessen wie ein altes Hemd, das man hinter der Tür hängen lässt. Er konnte sich nicht gut an seine Mutter erinnern, außer daran, wie sie oft Sachen vergaß.

Etwa die Tatsache, dass sie einen Sohn hatte, der in Wyoming auf sie wartete.

Er nahm die Ausfahrt nach Lightning Creek, drosselte das Tempo, als er das Ortsschild erreichte, und bog schließlich auf die Hauptstraße, um sich ein wenig umzugucken. Als sei der Ort aus der Zeit gefallen, hatte sich Lightning Creek kaum verändert. Die Läden an der Hauptstraße strahlten mit ihrem verwitterten Holz und den handbemalten Schildern immer noch den Charme einer Westernstadt aus. Vereinzelt standen Holzgeländer am Gehweg, und ein Geweih hing über einer Tür.

Bilder aus der Vergangenheit schoben sich in Robs Gedächtnis. Er erinnerte sich daran, wie er gespart hatte, um sich in dem Imbiss, den die Einheimischen „Roadkill Grill“ nannten, einen Cheeseburger und einen Schoko-Malz-Milchshake zu kaufen. Weniger erfreulich, dafür umso lebendiger war die Erinnerung daran, wie er beim Klauen in dem kleinen Kaufhaus erwischt worden war. An der Straße gegenüber lag ein Laden, den er nicht kannte, ein Schönheitssalon mit dem Namen Twylas Tease ’n’ Tweeze. Die Fassade war kaugummipink, das Ladenschild zierten roten Schuhe.

Was für eine Platzverschwendung, dachte er. Wer brauchte schon einen Laden, wo Frauen gutes Geld dafür bezahlten, sich die Haare abschneiden zu lassen? Er schüttelte sich bei dem Gedanken an die Landpomeranzen, die dort hingingen.

Den Blick wieder auf die Straße gerichtet, umrundete er den Verkehrskreisel mit der Statue eines Cowboy auf einem bockenden Wildpferd. Mit dem bis in alle Ewigkeit in die Höhe gerissenen Arm war die Statue ein weithin sichtbares Wahrzeichen der Stadt. Viele der Jungen von der Lost Springs Ranch hatten davon geträumt, Cowboy zu werden und Rodeos zu gewinnen und vielleicht sogar eines Tages selber ein Stück Land zu besitzen.

Nicht so Rob Carter. Ihn erinnerte die wilde Landschaft an einen Fleck in seinem Innersten, der ihm nicht behagte, und die Kleinstadtgemeinschaft war ihm zu eingeschworen und beengend. Mit derselben zähen Beharrlichkeit, mit der die anderen Jungs bei den Tieren auf der Ranch gearbeitet hatten, hatte Rob für die Schule gelernt. Mathe, Naturwissenschaften, Physik. Das hatte ihm ein Gefühl von Ordnung und Stabilität vermittelt und ihm eine Karriere ermöglicht, die auf Genauigkeit und Urteilsvermögen gründete. Seine Zielstrebigkeit hatte sich aus seinem Ehrgeiz und zu einem verschwindend geringen Teil auch aus Angst gespeist.

Er hatte sich die besten Klausurergebnisse abgerungen, die besten Noten und Zeugnisse, den gnadenlosesten Stundenplan, weil das sein Weg nach draußen war. Die zermürbenden Aufgaben, die er sich setzte, meisterte er eine nach der anderen, wie ein Bergsteiger einen Felsvorsprung nach dem anderen erklomm. Das College bestritt er dank eines Stipendiums und endloser Schichten als Krankenpfleger. Dann das Medizinstudium samt praktischem Jahr und Probation. Jetzt war er Mitinhaber eines gut laufenden Labors in Denver und verdiente sich eine goldene Nase.

Und das fühlte sich verdammt gut an.

Er überquerte die Poplar Road, fuhr gen Norden und bog auf den Parkplatz des Starlite Motels ein. Wie der Rest der Stadt hatte sich auch das Motel kaum verändert. Der Stern auf dem Neonschild schien schon seit Ewigkeiten zu blinken und das „Zimmer frei“-Schild nie ausgeschaltet gewesen zu sein – nur das zweite M leuchtete wie immer nicht. Erneut überkam ihn eine Welle der Erleichterung, dass Lauren nicht mitgekommen war, und er checkte in sein Zimmer ein.

In dem Zimmer stand ein altes Bett, der Bezug war jedoch frisch und sauber. Das einzige Fenster gab den Blick auf einen Swimmingpool frei, ein blaues Eckchen mitten auf dem riesigen Parkplatz. Rob setzte seinen Koffer ab und wünschte, der Getränkeautomat auf dem Gang würde auch Bier verkaufen. Ein kühles Blondes wäre jetzt genau das Richtige.

Vielleicht später. Heute Abend gab es ein Treffen der Jungs, die an der Versteigerung teilnahmen. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Einige von ihnen kannte er von früher. Aber sie waren Teil seiner Vergangenheit, und er hatte an diesem Tag schon mehr über seine Vergangenheit nachgedacht als in all den Jahren zuvor.

Er ließ sich einige Minuten Zeit, um auszupacken. Lauren war seine Beraterin gewesen. Sie hatte ihm gesagt, was er tragen sollte, um den höchsten Preis zu erzielen. Markenklamotten, Sachen, die man auf exklusiven Golfplätzen sah. Sie hatte ihm den maßgeschneiderten Smoking herausgesucht, den er auf dem Foto für die Broschüre trug. Er hasste ihn, aber Lauren machte er heiß. Und er kannte Lauren gut genug, um zu wissen, dass sie wahrscheinlich recht hatte. Kleider machten nun mal Leute.

Aus dem Fenster sah er eine junge Mutter den Parkplatz überqueren. Sie schob einen Kinderwagen, von dessen Sonnenverdeck Fransen baumelten. Zwei ältere Kinder rannten voraus, schnurstracks auf den Pool zu. Ein bunter aufblasbarer Ball flog durch die Luft. Kreischend liefen die Kinder hinterher, während die Mutter den Säugling auf ihren Schoß hob und seine pummeligen Ärmchen und Beinchen eincremte.

Unwillkürlich spürte Rob ein … ein Ziehen. Einen Augenblick lang dachte er, es sei Sehnsucht, verwarf den Gedanken aber schnell. Er hatte wohl etwas Falsches gegessen, das ihm nun schwer im Magen lag.

3. KAPITEL

Okay, Kumpel, bist du fertig?“, rief Twyla mit einem Blick auf die Uhr über dem Herd.

„Ich komme!“ Mit einem Poltern, das wie ein Trommelwirbel klang, kam Brian die Treppen heruntergerannt. Gehen war nicht sein Ding. Er war der Meinung, wenn er irgendwo hinwollte, konnte er ebenso gut rennen.

Twyla sah gerade noch, wie er das Geländer griff und seine Füße vom Boden abhoben, als er um den Treppenpfosten schwang. „Brian, du sollst doch nicht …“

„Huch“, sagte er und hielt den losen Knauf in der Hand. Kleinlaut reichte er ihn seiner Mutter. „’tschuldigung, Mum.“

„Du gehst heute eine Viertelstunde früher ins Bett“, sagte sie. Für einen Sechsjährigen war das eine Ewigkeit.

„Ach, Mum!“

„Du musst lernen, in diesem alten Haus vorsichtig zu sein.“

„Ja, Mum.“

Während sie resigniert den Knauf zurück in das Bohrloch drückte, überkam sie wieder dieses ungute Gefühl, das an jeder Ecke ihres Lebens zu lauern schien. Das Haus, das in den Zwanzigern erbaut worden war, lag auf einem kleinen Hügel nördlich der Stadt. Es hatte einen großen Garten und einen Baum mit einer Schaukel daran und besaß den unverwechselbaren Charme eines alten Gebäudes, in dem seit Generationen Menschen gelebt hatten. Aber das brachte auch Nachteile mit sich: nachträglich verlegte elektrische Leitungen, leckende Wasserrohre, morsche und wurmstichige Holzwände.

Nur deshalb hatte sich Twyla das Haus leisten können, als sie nach Lightning Creek gezogen war, schwanger und erschüttert von den Vorfällen zu Hause. Das Haus war erstaunlich preiswert gewesen. Es instandzuhalten, erwies sich als sehr viel herausfordernder.

Bedrückt schwieg Brian etwa zehn Sekunden lang. Mit dem gesenktem Kopf, seinem mit Sommersprossen übersäten Gesicht und dem ernsten Blick sah er – wenigstens in diesem Augenblick – wie ein Kind auf einer dieser kitschigen Grußkarten aus. Doch Twyla fiel nicht darauf rein. Sie wusste, dass ein Streich auf den nächsten folgte. Sie fuhr ihm über das rotblonde Haar und lächelte über die Wirbel, die einen eigenen Willen zu haben schienen. „Was macht dein lockerer Zahn?“

Er legte den Kopf in den Nacken und stieß beim Sprechen mit der Zunge gegen den Zahn. „Der Ssahn iss ganss locker.“

„Der ist bald fällig“, sagte sie. „Soll ich ihn ziehen?“

„Nein!“, schrie er und schlug sich die Hand vor den Mund.

Sie lächelte. Die Zähne waren das Einzige, wobei er sich anstellte. „Okay, nimmst du die Dose mit den Losen, Kumpel?“

„Klar, Mum.“ Er schnappte sich die Dose, rannte zum Pickup und sprang auf den Beifahrersitz. Sie beobachtete, wie er voller Überschwang in dem Sitz auf und ab hüpfte, und lächelte. Die Schule dauerte nur noch zwei Wochen, und er konnte es kaum erwarten, dass die Sommerferien begannen.

„Willst du wirklich nicht mitkommen, Ma?“, rief Twyla. Ihre Mutter bewohnte die Zimmer, die von der Küche abgingen, ein Anbau aus den Vierzigern. Die Frage war rein rhetorisch, da Twyla nur zu genau wusste, wie die Antwort lauten würde.

„Nein, danke“, sagte Gwen und trat in den Flur. Wie stets sah sie wie aus dem Ei gepellt aus. Ihre Bermudashorts und ihr Baumwolltop waren blütenrein und ihre schneeweißen, kurzen Haare saßen perfekt.

Die Tatsache, dass ihre Mutter so attraktiv war, machte alles nur noch frustrierender und verwirrender. Gwen war seit sieben Jahren Witwe und lebte nun mit ihrer Tochter und ihrem Enkel zusammen. Sie passte auf Brian auf, wenn Twyla bei der Arbeit war. Zu Anfang hatte es wie das ideale Arrangement gewirkt, der Traum jeder alleinerziehenden Mutter. Es war purer Luxus, eine liebevolle Großmutter im Haus zu haben, die buk, sang und Geschichten vorlas. Nun allerdings blickte Twyla auf die Zeit des Neubeginns zurück und fragte sich, ob sie nicht etwas hätte tun können, um Gwen vor dem Leid zu bewahren, das sie seit so vielen Jahren überschattete.

Falls Gwen ahnte, was ihre Tochter dachte, so zeigte sie es nicht. „Ich habe in dem Heft mit den Junggesellen geblättert, das du aus dem Salon mitgebracht hast.“

„Und? Hast du einen gefunden, der dir gefällt?“, fragte Twyla sie scherzhaft.

„Meine Güte, nein. Ich dachte auch eher an einen, der dir gefällt. Du solltest dir einen jüngeren aussuchen. Erwachsen werden die eh nie.“

„Ma, also wirklich …“

„Mir sind die alle ein wenig zu jung.“ In ihren Augen, die unter den weißen Haaren umso blauer wirkten, funkelte Übermut.

„Kommt darauf an, wofür man sie ersteigert“, erwiderte Twyla.

Gwen blickte auf den schiefen Treppenpfosten. „Vielleicht könntest du einen billig ersteigern und ihn ein paar Reparaturen am Haus ausführen lassen.“

Twyla lachte. „Einen Heimwerker habe ich in dem Heft leider nicht gefunden.“

„Unkenntnis hält Männer meist nicht davon ab, etwas reparieren zu wollen“, entgegnete Gwen.

„Stimmt. Ich biete aber gar nicht mit. Ich will nur Lose für den Quilt verkaufen.“ Sie tätschelte ihrer Mutter die Hand. „Ihr habt da ganze Arbeit geleistet, Ma.“

„Daran zu arbeiten hat uns große Freude gemacht.“ Die Quilt-Gruppe des Krankenhauses im County Converse traf sich einmal in der Woche in Twylas Haus. Zwölf Damen nähten und tratschten dann den lieben langen Nachmittag. Ihre Handarbeiten waren mittlerweile im Ort berühmt, die unverbrauchten, kräftigen Muster begehrt. Twyla staunte immer wieder darüber, dass aus einem Korb voller zusammengewürfelter Stoffreste und -fetzen wie von Zauberhand ein kleines Kunstwerk entstand.

Sie nahm die Schlüssel und ging zu ihrem Truck. Ihre Mutter winkte ihr aus dem großen Vorderfenster hinterher. Der rostige Chevy Apache war nicht schön, aber besonders im Winter fuhr er zu zuverlässig, um ihn verschrotten zu lassen. Aus Jux hatte Twyla das magnetische Tease-’n’-Tweeze-Logo an der Fahrertür angebracht. Das rosafarbene Schild mit den glitzernden roten Schuhen passte überhaupt nicht zu der grauen Grundierung der Tür, aber sie konnte sich keine neue Lackierung leisten.

Mit einem Blick in den Rückspiegel ließ sie den Wagen an. Die Geranien in den Balkonkästen am Fenster blühten, aber an einem Fenster im ersten Stock hingen die Rollläden schief. Der Gegensatz zwischen den wunderschönen Blumen und dem heruntergekommenen Haus war nicht etwa hip, sondern schlicht erbärmlich. Vielleicht sollte sie sich eine kleine Wohnung in der Stadt suchen, damit sie sich nicht mehr über die Instandhaltung des großen Gebäudes zu sorgen bräuchte. Dann dachte sie an Brian und wie er mit Shep, dem Hund, durch den Garten rannte oder auf den Baum mit der Schaukel kletterte, und verwarf den Gedanken. Sie wollte, dass ihr Sohn in einem Haus mit Garten aufwuchs, auch wenn die Familie nicht ganz vollständig war und nur aus Mutter und Tochter bestand.

Als sie sich Lost Springs näherten, lehnte sich Brian nach vorne; seine schmale Brust spannte sich gegen den Sicherheitsgurt, während er aus dem Fenster sah. Dabei bearbeitete er mit seiner Zunge den losen Zahn.

„Na, wie findest du’s, Kumpel?“, fragte sie. „Ist doch schön hier, oder?“

„Ja.“ Weidezäune säumten die Straße. Weiter hinten grasten Pferde auf der mintgrünen Weide unter einer Gruppe alter Eichen. Staub wirbelte über die sonnengegerbte Graslandschaft. Dieses Jahr hatte der Sommer früh in Wyoming Einzug gehalten. Auf dem Hügel hinter dem Haupthaus blühten Wildblumen, ein Flecken weißer Lilien, Goldrute, die für diesen Landstrich so charakteristische rote Präriestaude, lila Vanilleblumen und lange grüne Graswedel.

„Hier wohnt Sammy Crowe“, sagte Brian mit ehrfürchtiger Stimme. „Die Jungen, die hier leben, sind Waisen.“

„Einige ja.“ Twyla wusste nicht allzu viel über die Ranch, obwohl sie seit Jahren eine feste Größe in der Gemeinde war. Sammy, der Junge aus Brians Klasse, fuhr jeden Morgen mit dem Bus in die Schule. Eine der Mütter hatte fallen gelassen, dass Sammys Mutter eine Haftstrafe absaß. „Einige sind hier, weil sich ihre Eltern nicht um sie kümmern können.“

„So wie mein Dad sich nicht um uns kümmern kann?“

Twyla zwang sich, mit ausdrucksloser Miene stur geradeaus zu sehen. Bei Jake war es weniger eine Frage des Könnens, sondern vielmehr des Wollens. Aber das würde sie Brian unter keinen Umständen sagen. „Nicht ganz.“ Sie wählte ihre Worte mit Bedacht. „Grammy und ich kümmern uns ja um dich.“

„Aber wer kümmert sich um dich und Grammy?“

Sie blickte zur Seite. „Wir kümmern uns um uns selber, Kleiner. Und uns geht’s gut.“

Grinsend richtete sie den Blick wieder auf die Straße. Brian wuchs so schnell und veränderte sich von Tag zu Tag. Manchmal schien er sehr weise für sein Alter. Sie fragte sich, ob das Altkluge, diese Reife, daher kam, dass er ohne Vater aufwuchs. Manchmal lag sie nachts wach, wenn die Zweifel sie plagten. Der Junge, den sie aufzog, war wunderbar. Trotzdem fragte sie sich, ob ihm nicht etwas fehlte, ob es nicht Dinge gab, die ihm keine Mutter und keine Großmutter, sondern nur ein Vater geben konnte. Etwas, das schwer zu beschreiben war, wie die einzigartige Chemie zwischen Vater und Sohn. Die hatte sie bei ihrem eigenen Vater gespürt. Sicher, er hatte auch Fehler gehabt, aber seine Liebe hatte ihr Leben auf unvergleichliche Weise bereichert. Was wäre ohne ihn aus ihr geworden?

Ihre Sorge war, dass Brian immer etwas fehlen würde, dass immer ein Loch in seinem Herze bliebe, das mit der Liebe eines Vaters hätte gefüllt werden sollen. Wie ein Quilt, dem eine Ecke fehlte, zwar immer noch ein Quilt war, aber ein unvollständiger.

Schuldbewusst schüttelte sie den Gedanken ab. Dass es nur einen Elternteil gab, war für sie viel schwieriger als für Brian. Aber das gestand sie sich nur selber ein.

Auf der Suche nach einem Parkplatz fuhr sie in eine Lücke nahe dem Bolzplatz. Die Wiese füllte sich schnell mit Autos, die von überall her kamen. Es war erstaunlich, wie viele Menschen diese seltsame Spendenaktion anzog! Sie bemerkte einige Leihwagen und Autos mit Kennzeichen aus anderen Bundesstaaten. Oft schnittige und teure neue Modelle. Die Organisatoren der Versteigerung – Ranch-Besitzerin Lindsay Duncan und Schuldirektor Rex Trowbridge – hatten offenbar gute Beziehungen.

Oder aber die Broschüre hatte nicht übertrieben, was den Erfolg der Junggesellen anging. Aber eine Versteigerung, musste das sein?

Es waren auch einige Übertragungswagen da, Stromkabel wanden sich über den Boden zu der Bühne, auf der die Versteigerung stattfinden sollte. Einige Junggesellen waren recht berühmt und zogen die regionale und die landesweite Presse an. Wahrscheinlich reizte sie auch die Geschichte, dass Frauen öffentlich um ein Date mit einem dieser Männer wetteiferten, vermutete Twyla.

Daher hätte es sie nicht wundern sollen, dass ihr, kaum dass sie aus dem Wagen gestiegen war, ein Mikrofon unter die Nase gehalten und sie nach ihrem Namen gefragt wurde. „Twyla Mc-Cabe“, schoss es aus ihr heraus.

„Was erhoffen Sie sich von dem heutigen Tag, Miss Mc-Cabe?“, fragte der Reporter in ruppigem, stakkatoartigem Ton.

„Männer“, bemerkte sie ironisch. „Viele, viele Männer.“

„Nur für einen Wochenendflirt oder sind Sie auf der Suche nach einem Ehemann?“

„Wie bitte?“ Dachte er wirklich, sie meinte es ernst?

„Glauben Sie, Sie treffen hier heute Ihren zukünftigen Gatten?“

Sie konnte nicht anders und brach in Lachen aus. „Na, klar, ich angle mir ’nen Millionär. Oder wenigstens einen Cowboy mit Waschbrettbauch und Knackarsch.“

„Mit welchen Worten würden Sie die Stimmung hier beschreiben – aufgeregt, romantisch, hoffnungsvoll?

Langsam fand sie ihre Haltung zurück und schob das Mikrofon beiseite. „Das könnte man bestimmt so sagen, es wäre aber falsch.“ Augenzwinkernd fügte sie hinzu: „Wie wär’s mit verwegen oder wollüstig?“

Der schwitzende, hektische Reporter gab auf und hastete auf der Suche nach einer geeigneteren Schlagzeile von dannen.

„Wer war das?“, fragte Brian, während er aus dem Wagen kletterte.

„Keine Ahnung, aber vielleicht sollte ich später in der Redaktion vorbeischauen.“ Sie öffnete die Verladeklappe des alten Pick-ups. „Okay, Sportsfreund, hilf mir mal beim Tragen.“ Sie reichte ihm die Dose mit den Losen und nahm den Quilt, der sorgfältig in einen durchsichtigen Kleidersack gehüllt war. Es handelte sich um die mit Abstand beste Arbeit der Quilt-Frauen. Der Quilt war in klassischem Karomuster aus weichen Stoffresten in allen Regenbogenfarben gestaltet und würde sicher viele Menschen zur Tombola locken.

Sie legte den Quilt auf der Ladefläche ab und hob den Klapptisch heraus. Umständlich nahm sie den Tisch unter einen Arm, den Quilt unter den anderen und machte sich auf zu dem überdachten Pavillon. „Pass auf, Brian!“, rief sie, als ein Ford Explorer, ein Leihwagen, wie sie am Nummernschild sah, auf den Parkplatz bog.

Das Tischbein schrammte über ihr Schienbein, und sie unterdrückte mit zusammengebissenen Zähnen einen Fluch. Es war heiß, sie schwitzte. Sie war noch nicht einmal auf dem Festplatz angelangt und schon genervt.

„Kann ich Ihnen beim Tragen helfen?“

Sie hielt im Gehen inne und drehte sich zu dem groß gewachsenen Mann um, der aus dem schwarzen SUV stieg. In dem Augenblick brach das Sonnenlicht auf der Windschutzscheibe und blendete sie. Twyla blinzelte. Dann kam er auf sie zu, und ihr dankbares Lächeln erstarrte.

Er war es. Der Typ aus der Broschüre. Und nicht irgendeiner, sondern der in dem Smoking mit der langstieligen Rose.

Jetzt trug er allerdings weder einen Smoking noch eine Rose. Stattdessen sah er perfekt aus, lässig und gleichzeitig unglaublich teuer in seiner beigen Stoffhose und dem blauen Polohemd. Eine goldene Uhr glänzte an seinem Handgelenk. Er hatte schwarze Haare, weiße Zähne und so ein unglaublich schönes Gesicht, wie man es sonst nur zur Hauptsendezeit im Fernsehen sah.

„Ähm, ja, danke. Vielleicht den Tisch?“

Seine kühlen, trockenen Finger streiften ihre heiße und verschwitzte Hand, als er ihr den Klapptisch abnahm. Brian kniff die Augen zusammen und starrte den Mann ungeniert an.

„Ich heiße Brian, Brian McCabe. Mein Zahn ist lose.“

„Glückwunsch, Brian“, antwortete der Mann, „Rob Carter. Schön, dich kennenzulernen. Sie auch, Ma’am.“

Twyla kannte seinen Namen nur zu gut. Robert Carter, Dr. Carter. Er war Löwe, sein Lieblingslied „Misty“ und seine Traumfrau Grace Kelly. Lieblingsbeschäftigung: am mondänen Pebble Beach direkt am Meer Golf spielen.

„Twyla McCabe“, sagte sie und ging neben ihm her. „Aber nennen Sie mich nicht Ma’am. Dafür bin ich zu jung.“

„Das werde ich mir merken.“

„Ich nenne sie Ma’am, wenn’s Ärger gibt“, erklärte Brian.

„Dann gibt’s jetzt keinen Ärger?“, fragte Rob.

„Jetzt nicht.“

„Erbsengericht?“

Brian lachte begeistert. „Noch nicht!“

„Dann pass ich besser auf, was ich sage.“ Er war noch größer, als es in der Broschüre den Anschein gehabt hatte, und besaß den hochgewachsenen, durchtrainierten Körper eines Basketballspielers. Und, mein Gott, er sah so umwerfend gut aus, dass Twyla sich zwingen musste, ihn nicht anzustarren. Allein sein Haarschnitt musste ihn hundert Dollar gekostet haben. Sein Aftershave hatte bestimmt einen Namen, den sie weder aussprechen noch sich leisten konnte. Es war, als wäre er eine vollkommen andere Lebensform.

„Twyla“, sagte er versuchsweise. „Ich habe noch nie eine Frau kennengelernt, die Twyla heißt.“

„Mein Opa hat sie so genannt“, erklärte Brian eifrig. Zwar hatte er seinen Großvater nicht mehr kennengelernt, aber Gwen erzählte ihm jeden Abend in dem kleinen Wohnzimmer beim Nähen der Quilts Familiengeschichten – und die Geschichten endeten immer versöhnlich. Für die Wahrheit war Brian noch zu jung.

Dr. Robert Carter lächelte übers ganze Gesicht, als er sie ansah. „Was du nicht sagst.“

„Was? Hab ich doch gesagt!“, protestierte Brian.

„Das sagt man so.“ Carters Lachen war warm, weich und ansteckend.

Doch Twyla war nicht nach Lachen zumute. Er erinnerte sie schmerzlich daran, dass die Klimaanlage in ihrem Auto seit drei Jahren nicht mehr funktionierte, dass ihr Baumwollkleid ihr am schweißnassen Rücken klebte und dass sie nach der Dusche heute Morgen kein Parfüm aufgelegt hatte.

Einschüchternd war er. Und viel zu … zu alles. Zu gut aussehend, zu glatt und freundlich, zu wortgewandt, zu perfekt, zu männlich.

Für das Barbecue war ein Pavillon errichtet worden. Der rauchige Geruch von Rippchen, Hähnchen und Rindfleisch auf dem Grill erfüllte die Luft. Aus den Boxen dröhnte ein schmalziger Country-and-Western-Song. Die jungen Bewohner von Lost Springs rannten über den Platz und spielten Fangen mit den Kindern der Besucher.

„He, da ist Sammy“, rief Brian und zeigte auf einen dunkelhaarigen Jungen, der gerade auf einen Baum auf dem Spielplatz kletterte. „Darf ich zu ihm, Mum? Darf ich?“

Sie nickte. „Ich komme dich nachher zum Picknick holen.“

„Bis später“, sagte Carter, als Brian ihm die Dose mit den Losen reichte und davonstürmte.

„Die können wir hier hinstellen“, sagte Twyla und zeigte auf den schattenspendenden Baum bei der Rodeoarena. Eine andere Freiwillige hatte dort bereits das Transparent der Krankenhausgruppe gespannt: Converse County Hospital – 35 Jahre Hingabe und Pflege.

„Sie arbeiten im Krankenhaus?“, fragte Carter sie, während er den Tisch abstellte und dessen Beine ausklappte.

„Nur einmal die Woche ehrenamtlich.“ Sie überlegte, ob sie ihm die Vorlage dafür liefern sollte, zu erzählen, wie wichtig er als Arzt in der Großstadt war. Sie entschied sich dagegen. Er war eh schon zu perfekt. Und brauchte sicher keine Aufforderung von ihr. „Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit Haareschneiden“, sagte sie beinahe trotzig.

Er stellte den Tisch auf und justierte ihn so lange, bis er sicher stand. Dann sah er sie an, die Hände auf den Tisch gestützt. Die Äste des ausladenden Baumes umrahmten seine breiten Schultern. „Twylas Tweezers“, flüsterte er, „jetzt weiß ich wieder, wo ich den Namen gelesen habe.“

„Es heißt ‚Tease ’n’ Tweeze‘“, korrigierte sie ihn.

„Warum ‚Tease ’n’ Tweeze‘?“

„Weil es das ist, was wir machen. Haare toupieren und zupfen und dabei viel Spaß haben.“

„Und dafür bezahlt man Sie?“

„Genau.“ Sie errötete. Einen Augenblick lang wünschte sie, sie könnte sagen: „Ich bin Bildhauerin für männliche Akte“ oder „Ich bin Anwältin.“ Aber die Wahrheit war: Sie war Friseurin und Brians Mutter. Und es könnte schlimmer sein.

Dazu sagte er nichts. Aber sie meinte zu sehen, wie sein Lächeln in den Mundwinkeln gefror. Gut möglich. Männer wussten mit Friseurinnen meist nichts anzufangen.

„Vielen Dank für Ihre Hilfe“, sagte sie und packte den Quilt aus.

„Keine Ursache.“ Dr. Robert Carter hob die Hand zum Gruß, schob sich die Sonnenbrille auf die Nase und ging zu dem Pavillon.

Sie befestigte ein Schild für den Verkauf der Lose mit einem Streifen Tesafilm am Tisch. Dann breitete sie den Quilt aus und kramte ein paar Wäscheklammern hervor. Sie trat einen Schritt zurück und besah sich einen der Äste am Baum.

Sie hätte ihn um Hilfe bitten sollen. Um den Quilt aufzuhängen, wäre seine Größe von Vorteil gewesen. Nun musste sie ohne ihn an den Ast kommen. Auf Zehenspitzen stellte sie sich auf die Dose mit den Losen und befestigte eine Ecke des Quilts mit einer Klammer am Baum.

Die zweite Ecke war schon schwieriger. Sie streckte sich und spürte zu spät, dass die Dose unter ihr kippte. „Huch“, rief sie und griff nach dem Ast, als die Dose unter ihrem Fuß nachgab. Am Zweig baumelnd verwünschte sie die hohen Absätze ihrer Sandaletten. So kurz der Abstand zum Boden war, sie würde sich die Gelenke verstauchen, wenn sie einfach losließ. Das konnte sie gar nicht gebrauchen: eine dicke Arztrechnung und eine tagelange Krankschreibung.

Leise fluchend hoffte sie, dass sie niemand in ihrer misslichen Lage sah. Sie hing mit dem Rücken zur Menge und wusste also nicht, was hinter ihr vor sich ging. Sie wollte gerade den Ast loslassen und hörte in Gedanken schon das Knacken ihres Fußgelenks, als zwei Hände sie von hinten griffen und sie sanft auf die Erde setzten.

„Sie zupft und toupiert jeden Tag ihre Gäste und schwingt mit Lockerheit durch die Äste“, sagte Dr. Robert Carter, den Ton eines Nachrichtensprechers imitierend.

„Sehr witzig.“ Twyla zupfe ihr Kleid zurecht.

„So sehr ich die Aussicht auch genossen habe“, sagte er, „Sie vom Baum fallen zu sehen, konnte ich dann doch nicht ertragen.“

Twyla lehnte die Stirn gegen den rauen Baumstamm. „Das ist so ziemlich das Peinlichste, was mir seit Mrs. Spinellis limonengrünem Haar passiert ist.“

„Wirklich?“ Wieder dieses ungezwungene Lachen. Er nahm eine Wäscheklammer und befestigte den Quilt. „Das muss wirklich sehr peinlich gewesen sein.“

„Sie machen sich keine Vorstellung.“ Sie warf einen reumütigen Blick auf die umgekippte Dose mit den Losen. „Obwohl, jetzt vielleicht schon.“

Er reichte ihr einen Plastikbecher mit eisgekühlter Limonade vom Tisch. „Ich dachte, Sie haben wahrscheinlich Durst, also habe ich Ihnen was zu trinken besorgt.“

„Danke!“ Sie trank einen Schluck und bedachte ihn mit einem dankbaren Lächeln. „Das ist sehr anständig von Ihnen.“

„Sie sagen das, als seien Sie überrascht.“

„Tue ich das?“

„Ja. Überrascht es Sie so sehr, wenn ein fremder Mann etwas Nettes tut?“

Sie lachte. „Es überrascht mich, wenn überhaupt irgendein Mann etwas Nettes tut.“

Er setzte seine Sonnenbrille ab. „Sie scherzen, hoffe ich.“

„Friseurinnenhumor“, gestand sie mit einem schiefen Lächeln und trank die Limonade aus.

Eine Weile betrachtete Carter den Quilt. „Das verkaufen Sie also?“

„Es ist eine Tombola. Dies ist der Hauptgewinn.“ Sie berührte den Stoff. „Die Damen, die das nähen, leisten wunderbare Arbeit.“ Sie liebte Quilts. Jeder einzelne war auf seine Art ein kleines hausgemachtes Wunder. „Ich finde es erstaunlich, wie man aus alten, zerschlissenen Stoffresten so etwas Wunderschönes nähen kann.“ Sie strich mit ihrem Finger über ein Karo. „Das hier war womöglich der Kittel eines Arbeiters. Dies Geblümte hier sieht aus wie die Schürze einer Großmutter, wahrscheinlich voller Brandflecken vom Herd. Jedes einzelne Stück Stoff ein Fetzen, den es nicht aufzubewahren lohnt. Aber wenn man hiervon ein Stückchen nimmt und eins davon und sie sorgsam zusammennäht, entsteht ein bezauberndes Muster wie dies hier, etwas, das einen ein Leben lang wärmt.“

„Wow!“, rief er, langte in seine Hosentasche und zückte ein schmales Portemonnaie aus Leder, „das nenne ich Werbung!“

Sie lachte ungläubig, als er ihr eine Hundertdollarnote hinhielt. „Ich habe nicht genug Wechselgeld.“

„Ich möchte kein Wechselgeld. Ich möchte hundert Lose haben.“

Sie formte das Wort „einhundert“ lautlos mit den Lippen, während sich ihr Magen vor fröhlicher Gier glücklich zusammenzog. Normalerweise konnte sich das Krankenhaus bei einer Tombola glücklich schätzen, mit den Quilts fünfundsiebzig Dollar einzunehmen. „Wie Sie wünschen“, entgegnete sie und nahm das Geld. Sie zählte einhundert Lose von der Papierrolle ab und gab sie ihm.

„Die behalten Sie und hören bei der Verlosung nachher, ob eine Ihrer Nummern gezogen wurde.“

Er schüttelte den Kopf. „Bewahren Sie die für mich auf. Ich komme später zurück. Vielleicht ist heute mein Glückstag.“

„Aber …“

„Ich vertraue Ihnen.“

„Das sagen meine Kunden auch immer.“

Er setzte sich die Sonnenbrille auf. „Ich muss jetzt los. Ich glaube, es fängt gleich an.“

„Was fängt an?“, fragte sie dümmlich. Dieser Mann war einfach zu perfekt. Ihn anzustarren, wie sie es die ganze Zeit tat, bekam ihrem Denkvermögen offenbar gar nicht gut.

„Die Versteigerung.“ Er schob seinen Daumen unter den Gürtel und betrachtete sie eingehend. „Werden Sie mitbieten, Twyla?“

Er klang wie der Reporter von vorhin. Die Röte stieg ihr wie Ausschlag ins Gesicht. „Sehe ich aus wie eine Frau, die ein Date mit einem fremden Mann ersteigert?“

„Man weiß ja nie.“ Er zeigte auf den Quilt. „Sehe ich aus wie ein Mann, der einer Friseurin eine Wolldecke abkauft?“

„Ein Quilt“, sagte sie. „Es heißt Quilt.“

4. KAPITEL

Die denkwürdige Begegnung mit Twyla McCabe beschäftigte Rob auch dann noch, als er sich eigentlich hätte amüsieren sollen. Denn im Grunde war es sehr unterhaltsam, die Jungs nach all den Jahren wiederzutreffen, zu sehen, was aus ihnen geworden war, mit seinen ehemaligen Lehrern und Betreuern von der Ranch zu reden. Und doch war er ein wenig befangen, als er mit den Jungs beim Picknick saß. Frauen schlenderten mit prüfenden Blicken an ihrem Tisch vorbei, flüsterten miteinander und kicherten wie Schulmädchen.

Während er mit den Jungs zusammensaß, fragte er sich, was diejenigen machten, die an dem Tag nicht da waren, diejenigen, die es nicht auf die andere Seite des Tunnels geschafft hatten.

Ein Tunnel, daran dachte er, wenn er sich an seine Vergangenheit erinnerte. Seine frühe Kindheit war idyllisch und voller Sonne gewesen. Die Erinnerungen an diese Zeit waren so bunt und fröhlich wie Comiczeichnungen Mit seiner Mutter war es immer lustig gewesen. Lachen, spielen, kuscheln und an nichts anderes denken – so hatte er sie in Erinnerung. Er durfte abends lange aufbleiben, und wenn er morgens den Schulbus verpasste, war das nicht schlimm. Ihre Freunde und ihre Musik waren laut und Essen gab es direkt aus der Verpackung. Als Erwachsener war ihm klar, dass sie viel zu jung gewesen war, ungebildet und planlos – und letztlich verantwortungslos.

Dann kam der Tunnel, die langen, dunklen Jahre mit dem quälenden Gefühl, schuld daran zu sein, dass sie ihn verlassen hatte.

Ob das nun stimmte oder nicht, dieses Gefühl hatte ihn dazu getrieben, immer sein Bestes zu geben. Der Sport und die Schule brachten ihn näher und näher an das fahle Licht am Ende des Tunnels. Doch in Wahrheit hatte er das Ende immer noch nicht erreicht. Jahrgangsbester an der Highschool zu sein bedeutete nicht, das Licht am Tunnelausgang erreicht zu haben. Auch nicht das Stipendium an der Universität oder der Abschluss an einer renommierten medizinischen Fakultät. Und auch seine Praxis in Denver nicht.

Vielleicht waren Lauren DeVane und das Leben, das sie zusammen führen wollten, das Licht am Ende des Tunnels – sofern sie sich endlich einmal über ihre Zukunft unterhalten würden. Lauren, neben deren Schönheit die Welt allzu banal erschien, lebte in einer Welt, die in ihrem eigenen Licht schimmerte. Einer Welt, in der kleine Jungs nicht von ihrer minderjährigen Mutter im Stich gelassen wurden. In der Kinder keine Angst vor der Dunkelheit hatten. In der Eleganz und Stil die scharfen Kanten des Lebens milderten. Wenn er mit Lauren zusammen war, fühlte er sich dieser Welt nah – Teil dieser Welt war er allerdings nicht.

Mit seinem vollen Teller setzte er sich zu den anderen, aber sein Blick schweifte zum Spielplatz. Die Geräte waren neu. Das Fort aus Holz und der Kletterturm mit der Rutsche sahen sehr viel sicherer aus als die Wippen und Metallröhren, mit denen er als Junge gespielt hatte. Er erkannte Twylas Sohn Brian auf einer Reifenschaukel. Der Junge hatte den Reifen mehrfach gedreht und schaukelte, ausgelassen lachend und den Kopf in den Nacken gelegt, in atemberaubendem Tempo kreisend vor und zurück. Rob lächelte bei dem Anblick.

Lauren wollte keine Kinder. Sie hatten lange darüber geredet und waren übereingekommen, dass beide zu gerne reisten und spontan etwas unternahmen und daher nicht die Zeit und Verpflichtung aufbringen mochten, eine Familie zu gründen. Es ist schon komisch, dachte er, während er beobachtete, wie Brian die Schaukel ein weiteres Mal um ihre Achse drehte. Sie hatten übers Kinderkriegen gesprochen, aber nicht übers Heiraten. Er hatte ihr nie einen Antrag gemacht, sie ihm auch nicht. Zu heiraten wäre der nächste logische Schritt in ihrer Beziehung, aber keiner von ihnen schien es damit sonderlich eilig zu haben.

Brian kletterte aus dem sich drehenden Reifen und wankte ans andere Ende des Spielplatzes. Sein grünes Gesicht verriet Rob, was als Nächstes passieren würde.

„Ich bin gleich wieder da“, sagte er zu den anderen, stand auf und eilte zum Spielplatz.

„Eklig“, sagte ein Junge, „Brian hat ganze Stücke gekotzt!“ Einige andere Jungen versammelten sich um Brian und riefen im Chor: „Eklig!“ Sie waren nun mal Jungs.

„Hey, Brian“, sagte Rob und suchte nach einem Taschentuch. „Dir ist schlecht geworden?“

Brian hatte sich vornüber gebeugt und seine Hände auf die Knie gestützt. Sein Nacken war blass und verschwitzt. „Ja“, sagte er elendig.

Ein wenig unbeholfen legte Rob dem Jungen eine Hand auf die Schulter und wischte mit dem Taschentuch über sein Gesicht. Er hatte früher kurz überlegt, Kinderarzt zu werden, sich dann aber für die Pathologie entschieden. Er glaubte, ihm fehlten die Geduld und das Einfühlungsvermögen für die Arbeit mit Kindern. Brian sah so verloren aus, also führte Rob ihn zu den Waschräumen, damit der Junge seinen Mund ausspülen und sich das Gesicht waschen konnte.

„Lass uns zu deiner Ma gehen“, schlug er vor.

Auf dem Weg zur Tombola besorgte er einen Becher Wasser für den Jungen. Twyla hatte sie noch nicht entdeckt. Sie stand hinter ihrem Klapptisch und unterhielt sich mit einem langhaarigen Mann in Jeans und Lederweste. Sie lächelte.

Es gab einige offensichtliche Gründe, warum Twyla ihm aufgefallen war und warum er so heftig auf sie reagierte. Zum Beispiel eine tolle Figur und diese Flut an roten Haaren. Vermutlich waren sie gefärbt, schließlich war sie Friseurin und wusste, wie man es möglichst echt aussehen ließ. Vielleicht waren sie aber auch echt. Irgendwoher musste Brian seinen Feuerschopf ja haben.

Einen Ehering trug sie nicht. Das hatte er sofort registriert.

Und doch war es mehr als nur das Äußere. Er hatte schon schönere Frauen gesehen, im Arm gehalten, war mit ihnen im Bett gewesen. Aber etwas an Twyla ging ihm unter die Haut. Ein ausdrucksvolleres Gesicht hatte er noch nie gesehen. Ihre Augen verbargen nichts. Als sie sich miteinander unterhalten hatten, hatte er einen leichten, angenehmen Rhythmus zwischen ihnen verspürt. In dieser einen Unterhaltung hatte sie auf ihn lustig, traurig, respektlos, zupackend, bescheiden und stolz gewirkt. Und ironisch.

Sie lachte über etwas, das der Typ mit dem Pferdeschwanz sagte. Für Rob hatte sie nicht so gelacht. Kaum war ihm der Gedanke durch den Kopf geschossen, kam er sich wie ein Idiot vor. Es ging ihn doch nichts an, wer sie zum Lachen brachte, oder?

Jetzt sah sie ihn auf sich zukommen, und ihr Lachen erstarb. In ihrem Gesicht las er Zärtlichkeit. Die Art und Weise, wie sie ihren Sohn ansah, ihm sein Haar aus der Stirn strich, erweckte in Rob eine diffuse Sehnsucht nach einer längst vergangenen Zeit, die ihm wie ein Traum vorkam.

Stirnrunzelnd trat er einen Schritt zurück. Das konnte er gar nicht gebrauchen. Sentimentalität war seine Sache nicht. Er musste sich auf seine Ziele und seine Zukunft konzentrieren. Je eher er diese Versteigerung hinter sich brachte, desto besser.

„Hey, Kumpel“, fragte Twyla, ihre Aufmerksamkeit war nun ganz auf Brian gerichtet, „ist was passiert?“

„Ich hab gekotzt“, sagte Brian kleinlaut und nippte an seinem Wasser.

Sie sah zu Rob. „Und der medizinische Fachbegriff dafür lautet …?“

Sie weiß also, dass ich Arzt bin, bemerkte er erstaunt. Sie musste seinen Lebenslauf in dem Heft gelesen haben. „Akutes, temporäres Erbrechen, bedingt durch Schwindel.“

„Was so viel heißt wie …?“

„Er hat sich so lange auf der Schaukel gedreht, bis er sich übergeben musste. Es geht ihm so weit gut. Er sollte besser etwa eine halbe Stunde im Schatten bleiben.“

„Präsentieren Sie mir dafür eine Rechnung?“

Er lächelte. „Nur wenn ich nicht die Wolldecke gewinne.“

„Quilt. Es heißt Quilt. Das Muster nennt sich ‚Log Cabin‘.“

„Ich glaub, wir müssen los“, sagte der Typ mit dem Pferdeschwanz.

Rob brauchte ein paar Sekunden, um den ehemaligen Bewohner von Lost Springs zu erkennen. „Stan! Schön, dich zu sehen!“

Das Jaulen der Rückkoppelung aus der Lautsprecheranlage übertönte die Antwort von Stanley Fish. Zum Schutz vor der Sonne hielt sich Rob die Hand über die Augen und blickte in Richtung der Bühne. „Es fängt gleich an.“

„Du hast recht.“

Plötzlich spürte er, wie nervös er war. Wieso hatte er sich bloß von Lauren und ihrer alten Schulfreundin Lindsay dazu überreden lassen, hier mitzumachen? Möglichst lässig nickte er Twyla zu. „Bis später“, sagte er. „Brian, du schaukelst heute lieber nicht mehr.“

Als er und Stan sich von dem Tisch unter der Eiche entfernten, sagte er: „Du bist also auch wegen des Fleischmarktes heute hier?“

„Nein, ich berichte darüber.“

„Berichten?“

„Ja, für das Clue Magazin.“

„Oh, toll. Das heißt also, hierüber wird landesweit berichtet?“

„Klar, warum nicht? Das ist Klatsch und Tratsch. So etwas wollen die Leute lesen. Romantische Dates. Gefallene Jungs, die etwas aus ihrem Leben gemacht haben. Frauen, die sich gegenseitig bei der Ersteigerung eines Mannes überbieten.“

„Dann tue mir einen Gefallen und schreibe, wenn du mich zitierst: Name von der Redaktion geändert.“

Stan machte eine Notiz in seinem Schreibblock. „Wie du willst.“

Eine junge Frau, die eine Kamera und eine Weste mit unzähligen Taschen trug, gesellte sich zu ihnen. „Hallo, ihr!“

„Rob, das ist Betta, meine Fotografin.“

Rob begrüßte sie. „Was halten Sie von der Junggesellenversteigerung?“

„Klingt nach viel Spaß“, sagte sie und zog ihre Baseballkappe tiefer in die Augen, um nicht geblendet zu werden. „Ich mag Shopping.“

„Rob, ich nenne dich den widerspenstigen Junggesellen. He, das klingt gut.“ Stan kritzelte wieder etwas in seinen Notizblock. „Warum also bist du hier?“

„Weil das hier elf Jahre lang mein Zuhause war.“ Rob führte das nicht weiter aus. Aber alle Liebe und Anerkennung, die er über die Jahre erhalten hatte, kam von hier. Und so viel das auch gewesen sein mochte, es war nie genug gewesen. „Heute bin ich hier, weil die Freundin … einer Freundin mich darum gebeten hat.“ Er musste ja nicht Laurens Namen erwähnen. Wegen ihrer Familie war sie für die Presse keine Unbekannte.

„Du freust dich also darauf, als Traumdate ersteigert zu werden?“

„Wie auf eine Wurzelbehandlung, mein Freund. Wie auf eine Wurzelbehandlung.“ Er ging zu der Bühne, auf der die Versteigerung stattfinden sollte. Rex und Lindsay rannten wie Fußballtrainer mit Klemmbrettern in der Hand umher. Lindsays Onkel, Sam Duncan, ein ehemaliger Trainer und Berater, winkte mit seinem Cowboyhut, um so die Junggesellen zusammenzutrommeln. Eine große Menge Leute hatte sich bereits auf den Stühlen vor der Bühne eingefunden, hauptsächlich waren es Frauen. Einige Junggesellen saßen schon auf den Klappstühlen um das Podest herum. Sie rissen Witze und lachten, sie knufften sich gegenseitig in die Schulter und tauschten Anekdoten über ihre Zeit auf der Ranch aus. Rob setzte sich zu Cody Davis. Mit einem Blick über die sich lebhaft unterhaltenden Zuschauerinnen beugte er sich zu ihm herüber: „Hast du auch so viel Bammel wie ich?“

„Und wie!“ Cody wand seine Beine in den Cowboystiefel um die Stuhlbeine und kippelte auf dem Stuhl wie ein Schuljunge. „Wo kommen all die Frauen überhaupt her?“

„Von überall, hab ich gehört.“ Durch seine Sonnenbrille schaute Rob auf die hinteren Zuschauerreihen. „Verdammt, das sind ganz schön viele Frauen.“ Und zwar in allen Formen und Größen, jeden Alters und jeglicher Couleur. Frauen in hautengen Westernjeans, die gut gelaunt pfiffen und johlten, als einige Jungs auf der Bühne für sie posierten, ihre Muskeln zeigten und herumalberten. Eine große Blondine in einem groben Jeanshemd sah aus, als sei sie nach der Arbeit zufällig vorbeigekommen und schien sich nun nicht sicher, ob sie bleiben sollte. Eine Frau mit zwei Kindern zeigte auf die Bühne und schien eine sehr ernste Unterredung mit ihren Kindern zu führen. Eine schwangere Frau saß mit der Broschüre fest an ihre Brust gepresst mutterseelenallein da. Tolle Aussichten, dachte Rob.

Vier Frauen saßen genau in der Mitte der ersten Reihe. Die zwei älteren trugen bunte Jogginganzüge und glitzernde Turnschuhe. Eine andere hatte hochtoupierte goldene Haare und rauchte. Die zierliche asiatische Frau neben ihr war von dem Geschehen sichtlich begeistert.

Rob lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. „Weißt du was?“, sagte er. „Jede Frau ist auf ihre Art schön.“

Davis nickte dankbar. „Wie wahr, wie wahr.“

Dröhnend begrüßte der offensichtlich erfahrene Auktionator die Zuschauer und erklärte die Auktionsregeln. Rob hörte nur mit halbem Ohr hin. Das Ganze schien absurd und kam ihm irgendwie unwirklich vor, als sei dies hier eine Welt für sich.

In gewisser Weise war Lost Springs das tatsächlich. Eine Gruppe Jungen, deren Familien sie im Stich gelassen hatten. An diesem Ort waren sie zusammengekommen und hatten gestritten, geweint, getobt, gelacht und gelernt. Die Ranch versprach Hoffnung und Heilung. Sie durfte einfach nicht geschlossen werden. Deshalb war er hier. Deshalb hatte er sich bereit erklärt, an dieser absurden Spendenaktion teilzunehmen. Dieser Ort war es wert, gerettet zu werden, denn ohne Lost Springs wären Jungs, wie er einer gewesen war, heimatlos.

Wenn es um soziales Engagement und wohltätige Zwecke ging, war Lauren stur. Ihre Familie war so wohlhabend, dass sie vor fünfzig Jahren eine Stiftung gegründet hatte. Die Stiftung der DeVanes beschäftigte ein Dutzend Angestellte, und Lost Springs stand schon seit Jahrzehnten auf ihrer Liste. Rob hatte Lauren auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennengelernt, in dem Fall war es eine harmlose Gala gewesen. Die DeVanes waren mit den Fremonts in Lightning Creek bekannt, und Lauren war damals zusammen mit Kitty Fremont und Lindsay Duncan aufs Internat gegangen.

Rob staunte immer wieder, dass sie zusammengefunden haten, da sie verschiedener nicht hätten sein können. Die Erbin und der Waise. Oliver Twist und Grace Kelly. Hin und wieder fühlte sich Rob in Laurens Gegenwart ein klein wenig unbehaglich. Exakt beschreiben konnte er es nicht, aber das Gefühl war da, spürbar und doch verborgen, wie ein Steinchen im Schuh. Sie war stolz auf seinen Erfolg und seine vielversprechenden Aussichten. Er hatte jedoch den Verdacht, dass sie insgeheim wünschte, er wäre in ihrer Gesellschaftsschicht geboren worden.

Er verwarf den Gedanken. Natürlich stammten sie aus unterschiedlichen Schichten, aber sie waren beide klug genug, die Unterschiede auszugleichen. Sie entsprach haargenau seiner Idealvorstellung, wie er sie in der Auktionsbroschüre beschrieben hatte: „eine gebildete Frau aus der Stadt mit einem anspruchsvollen, erfüllenden Beruf“.

Als er einen blonden Schopf hochgesteckter Haare in der Menge entdeckte, machte sein Herz einen Sprung. Nein, es war doch nicht Lauren. Irgendwie hätte es ihn gefreut, wenn sie es nicht ertrüge, dass er an eine fremde Frau versteigert wurde, und gekommen wäre, um ihn für sich selbst zu ersteigern.

Das aber war reines Wunschdenken und sah Lauren gar nicht ähnlich. Lächerlich!

„Wer soll dich ersteigern?“, fragte Davis. „Gefällt dir eine besonders?“

Unwillkürlich blickte er zum anderen Ende des Platzes, wo sich die Äste einer großen Eiche im Sommerwind bewegten. Die Hände in die Hüften gestemmt stand Twyla McCabe neben dem Quilt und verfolgte ungläubig die Versteigerung. Als er merkte, wohin er sah, richtete er seinen Blick wieder auf die Sitzbänke. „Nein, wie gesagt, alle Frauen sind auf ihre Art schön. Außerdem ist es ja für den guten Zweck.“

„… in alphabetischer Reihenfolge“, sagte der Auktionator. „Also, meine Damen, begrüßen Sie mit mir unseren ersten Junggesellen: Dr. Rob Carter!“

Verdammt. Ungelenk stand Rob auf. Gut, nun war es also an ihm, der Ranch zu helfen. Für Scham oder Ernst war hier nicht der Ort.

Von irgendwoher aus seinem tiefsten Innersten brachte er ein breites Lächeln zuwege. Er nahm Lindsays Hand, beugte sich vor und führte sie galant an seine Lippen. Die Zuschauerinnen seufzten im Chor, und er lachte.

Der Auktionator gab eine Zusammenfassung von Robs Lebenslauf. Wie er das sagte, klang es viel interessanter, als Robs Leben wirklich war. Die Menge kommentierte seine Erfolge im Sport und an der Universität mit „Ooohs“ und „Aaahs“. Den Fragebogen für die Broschüre hatte er mit Fakten über sein pathologisches Labor gespickt. Gedruckt hatten sie das nicht. Tödliche Viren zu isolieren und Epidemien zu verhindern, war offenbar nicht sexy genug.

„Und nun zu dem gewissen Etwas, meine Damen“, sagte der Auktionator. „Er hat die Seele eines Dichters.“

Rob runzelte die Stirn. Wo kam das her?

Der Auktionator zog ein vergilbtes Blatt Papier hervor. Rob reckte seinen Hals, um es besser sehen zu können. Das linierte Schreibpapier war fein säuberlich in Schreibschrift beschrieben. Auf der oberen Ecke prangte ein goldener Aufkleber in Form eines Sterns, den Lehrer für besonders gute Leistungen vergaben. „Mrs. Duckworth hat uns das gegeben, sie war früher Lehrerin an der Grundschule.“

Rob kramte in seinem Gedächtnis. In seiner Erinnerung war Mrs. Duckworth streng, pragmatisch und liebevoll. Aufs Schreiben hatte sie großen Wert gelegt. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, was er ihr geschrieben haben sollte.

„Das hat Rob als kleiner Knirps geschrieben. Folgendes hatte der kleine Mann damals zu sagen: ‚Wenn ich groß bin, will ich Vater werden. Das soll nicht schwer sein, aber ich weiß es nicht genau.‘“

Ein Lachen ging durch die Zuschauer. Robs Lächeln gefror. Wenn die Leute glaubten, dies würde seinen Preis erhöhen, müssten sie total verrückt sein. Wer wollte sich schon das naive Geschwafel eines Neunjährigen anhören?

„‚Ein Vater repariert Sachen‘“, las der Auktionator, „‚meistens das Auto, aber auch Dinge im Haus und im Garten. Ein Vater ist sehr stark. Aber er braucht eine Frau und ein Kind, um überhaupt Vater zu sein. Darüber muss ich noch länger nachdenken.‘“

Die Frauen auf den Sitzbänken lachten und klatschten gerührt über die niedliche Geschichte. Rob versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Er wollte möglichst entspannt und freundlich wirken, als der Auktionator nun die Versteigerung eröffnete.

„Wer bietet fünfhundert Dollar für diesen Prachtkerl?“

Jemand auf den hinteren Sitzen streckte die Hand hoch.

„Fünfhundert. Bietet jemand sechshundert?“

Herrje, dachte Rob, als Gebot um Gebot einging. Hatte Abraham Lincoln seinerzeit nicht das Versteigern von Sklaven verbieten lassen?

Die Hände flogen so schnell in die Höhe, dass er nicht sehen konnte, wer der Bieter war. Schnell stiegen die Gebote steil an. Unter Gelächter und Gejohle feuerten sich die Frauen untereinander an.

„Zwölfhundert Dollar. Wer bietet mehr?“

Rob brach der kalte Schweiß aus.

Sein Blick huschte von einer Bieterin zur nächsten. Die junge Frau in dem Jeanshemd. Die Dame mit dem hochgesteckten Haar. Die zweifache Mutter. Die Schwangere. Eine New Yorkerin, die ganz in Schwarz gekleidet war. Eine Frau in Schlangenlederstiefeln und mit einer Rolex am Handgelenk. Die weißhaarige ältere Dame. Ältere Dame? Verdammt!

Rob brauchte ein Bier. Dringend.

Die Gebote schossen in astronomische Höhe. Neuntausend, zehntausend, zwölftausend. Rex und Lindsay kannten einige sehr großzügige Leute, so viel war klar. Das Jeanshemd überbot die Hochsteckfrisur. Jemand aus der Fremont-Familie machte ein Gebot. Dann wechselten die Schlangenlederstiefel mit dem Weißhaar blitzschnell ein paar Worte.

Rob fragte sich, ob beten helfen würde. Er ertappte sich dabei, wie er geradezu verzweifelt zu Twyla rüberschaute. Mitgefühl war da keins zu holen. Sie verdrehte die Augen und lachte über die aberwitzige Vorstellung. Dennoch beruhigte es ihn ein wenig, ihren Blick aufgefangen zu haben. Sie war wie ein Fels der Vernunft in einem Meer aus Wahnsinn. Aber sie lachte weiter.

„Zum Ersten, zum Zweiten uuuund zum Dritten … verkauft“, rief der Auktionator. „An Sugar Spinelli, hier in der ersten Reihe.“

Twyla McCabe hörte augenblicklich auf zu lachen, wankte rückwärts gegen den Klapptisch und schlug sich die Hand vor den Mund. Sogar aus der Entfernung konnte Rob erkennen, wie sie erbleichte.

Sein Kinn fiel herunter, als die Höchstbietende einen Siegesschrei ausstieß. Donnernder Applaus brandete auf. Die Bieterin und ihre Freundin sprangen von ihren Sitzen und umarmten sich. Ihre bunten Trainingsanzüge – einer pink, der andere lila – glitzerten im Sonnenlicht.

Rob traute kaum seinen Augen. Nicht in seinen wildesten Fantasien hätte er sich das erträumen lassen. Die Frau, die am meisten für ihn geboten hatte, war ein grauhaariges Großmütterchen.

5. KAPITEL

Erleichtert verließ Rob das Podium. Unter dem erneut aufbrandenden Johlen des Publikums stellte der Auktionator ein neues Opfer und dessen Vorzüge vor. Rob hatte seinen Teil getan, aber er wollte immer noch ein Bier.

Die Damen im Trainingsanzug, die den Zuschlag erhalten hatten, regelten die Formalien mit den Veranstaltern. Also ging Rob zum Imbissstand und holte sich ein kühles Bier vom Fass. Dann nahm er sein Handy aus der Tasche und rief Lauren an.

Als sie sich meldete, konnte er ein Lachen nicht unterdrücken. „Ich glaube, du hast mich für immer verloren.“

„Die Versteigerung ist schon zu Ende? So schnell?“

„Jedenfalls meine Versteigerung.“

„Erzähl. Wie war’s?“ Vor seinem geistigen Auge sah er, wie sie es sich auf ihrem schwarzen Wildledersofa gemütlich machte, und er wünschte, er könnte bei ihr sein. „Ich will alles wissen.“

Er trank einen Schluck Bier. „Ich war als Erster dran.“

„Weil du am meisten wert bist, Liebling.“

„Weil es nach alphabetischer Reihenfolge ging“, sagte er mit einem trockenen Lachen. „Es wurde geboten und geboten, und du rätst nicht, wer den Zuschlag bekommen hat.“

„Ich will nicht raten. Sag’s mir.“

„Ein Frau namens Spinelli. Ja, ich glaub, so heißt sie.“

„Sugar Spinelli?“

„Du kennst sie?“

„Sie macht in Öl. Ist stinkreich. Man kennt sie.“

„Lauren, für dich bedeutet ‚man‘ etwas anderes als für mich.“ Er wusste, dass sie es nicht so meinte, aber wenn sie „man“ sagte, klang das snobistisch und nach exklusiven Kreisen, zu denen Rob nicht gehörte.

„Sie ist uralt, Rob. Warum um Himmels willen macht sie bei einer Junggesellenversteigerung mit?“

„Keine Ahnung. Vielleicht will sie einen Enkelsohn für einen Tag?“ Die beiden Damen im Trainingsanzug hatten das Finanzielle mit den Auktionatoren geregelt und kamen fröhlich plaudernd zu ihm herüber. „Das werde ich gleich herausfinden“, sagte er zu Lauren. „Ich ruf dich später noch mal an.“

Er stellte sein Bier ab und setzte sein gewinnendstes Lächeln auf. „Die Damen“, sagte er, „sehr erfreut.“

„Wir auch, Robert, wir auch“, sagte Mrs. Spinelli, „wir dürfen doch Robert zu Ihnen sagen?“

„Gern. Nennen Sie mich Rob.“

„Früher hießt du Robbie“, sagte die zweite Dame im pinkfarbenen Anzug.

Er horchte auf und betrachtete sie eingehend. Blauweiße Haare, eine eckige Brille mit Metallgestell. Aus ihrem einnehmenden Gesicht sprachen mütterliche Sanftheit, jugendlicher Schalk und noch etwas anderes. Ein eiserner Wille.

„Mrs. Duckworth!“

„Na, Gott sei Dank. Ich hatte schon befürchtet, du erkennst mich nicht.“

„Es ist lange her.“ Betreten fragte er sich, wie man seine ehemalige Grundschullehrerin begrüßte. Sollte er „Ma’am“ zu ihr sagen? Ihr anbieten, die Tafel zu wischen?

Bevor er eine Antwort fand, öffnete sie ihre Arme. „Ich vermute, du hast dich mehr verändert als ich.“

Rob umarmte sie flüchtig und trat unbehaglich einen Schritt zurück. „Vielen Dank“, sagte er an Mrs. Spinelli gewandt, „Sie waren sehr großzügig. Die Ranch wird Ihre Spende sicherlich sinnvoll nutzen.“

„Süßer“, erwiderte sie augenzwinkernd, „ich will Sie sinnvoll nutzen.“

Ihm lief es eiskalt den Rücken runter. Eine Sekunde lang dachte er, sie wolle … Nein! Um Gottes willen.

Mrs. Duckworth hatte die Panik in Robs Gesicht bemerkt. Sie nahm ihn am Arm und führte ihn vom Imbissstand fort. „Sugar, wir erklären Robbie jetzt besser unseren Plan, damit er alles regeln kann.“

„Regeln?“, fragte er verdutzt.

„Ihr Date.“

Oh, Mann. „Und dieses Date …?“, fragte er vorsichtig.

„Gütiger Gott! Nicht mit uns!“ Mrs. Spinelli lachte. „Theda, hast du das gehört? Ist er nicht schnuckelig?“ Sie nahm seinen anderen Arm. „Mein lieber Junge, Sie sind sehr charmant, aber nichts für uns. Das Date ist mit jemand anderem. Jemand sehr Besonderem.“

Sein Hirn lief auf Hochtouren. Womöglich hatte sie eine psychisch gestörte Tochter, die bereits eine Reihe von Ehen hinter sich hatte. Oder eine durchgeknallte Nichte, die sich nach einem Mann verzehrte.

„Ich höre“, sagte er und versuchte, möglichst ruhig zu bleiben.

„Wir haben eine ganz zauberhafte Verabredung arrangiert“, sagte Mrs. Duckworth.

„Es ist alles organisiert“, fügte Mrs. Spinelli hinzu, „bis ins letzte Detail.“

Rob fühlte sich ein wenig wohler. Bilder von Kreuzfahrtschiffen, Candle-Light-Dinner, Theaterbesuchen und Golfplätzen kamen ihm in den Sinn. „Ein Klassentreffen“, sagte Mrs. Spinelli.

Die Bilder in seinem Kopf zerstoben. Palmen, die sich im Wind wiegten, machten Girlanden aus Krepppapier Platz, die in muffigen Turnhallen hingen. „Habe ich das richtig verstanden? Ich führe eine Frau zu ihrem Klassentreffen aus?“

„Nächstes Wochenende“, sagte Mrs. Duckworth. „Herrlich wird das! Das Treffen findet in einer Kleinstadt nahe Jackson statt, du musst den Flieger nehmen, aber keine Sorge, wir haben die Flugtickets und eine Unterkunft gebucht.“

„Aber Sie haben mich gerade … gekauft“, warf er skeptisch ein.

„Mein Lieber, es steht außer Frage, dass Sie derjenige welcher sind. In dem Katalog stand alles über Sie“, sagte Mrs. Spinelli. „Sie hat Sie vom Fleck weg ausgewählt. Ich glaube, es lag an dem Armani-Anzug.“

„Nein, an der Rose“, sagte Mrs. Duckworth. „Die rote Rose in seiner Hand, Sugar. Das hat bei ihr den Ausschlag gegeben, meinst du nicht?“

Lauren, dachte er mit plötzlicher Hoffnung. Lauren hatte sich einen Scherz erlaubt und diesen Ringelpiez mit Anfassen arrangiert. Schließlich war sie diejenige gewesen, die auf der Rose und dem Anzug für das Foto bestanden hatte. Und sie kannte Mrs. Spinelli. Sie hielt ihn hier zum Narren und hatte die alten Damen auf ihn angesetzt.

„Eins noch.“ Mrs. Spinelli sah ihm streng in die Augen. „Das ist wichtig. Sie müssen vorgeben, verlobt zu sein.“

Rob lachte. Keine Frage, da steckte Lauren hinter. Wahrscheinlich war ihr eine Ehe doch nicht so gleichgültig, wie er dachte. Wahrscheinlich wollte sie ihre Beziehung vertiefen. „Verlobt, ja?“

„Ja, verlobt.“

Sie hatten lange genug um den heißen Brei herumgetanzt. „Lauren hat Sie also auf mich angesetzt.“

Die beiden Damen tauschten einen Blick. Finster sagte Mrs. Duckworth: „Wir kennen keine Lauren. Wir haben keine Ahnung, von wem du sprichst.“

Irgendetwas sagte ihm, dass sie ihn nicht veräppelten. War es ihnen wirklich ernst? Wollten sie ihn wirklich auf ein Klassentreffen mit einer fremden Frau schicken?

Rob versuchte, in ihren arglosen Gesichtern zu lesen. Verdammt, sie sahen aus wie lammfromme Kirchgängerinnen.

„Es tut mir leid, meine Damen. Das war so nicht vereinbart. Es sollte ein Date sein, kein Schmu.“

„Sei kein Spielverderber!“, ermahnte ihn Mrs. Duckworth. „Schon in der Schule hast du keinen Spaß verstanden und dich zur Spielstunde auf dem Klo versteckt.“

„Es ist alles vorbereitet“, sagte Mrs. Spinelli mit gekränktem Unterton.

„Ich glaube nicht, dass das funktionieren wird, Ma’am.“ Eigentlich hatte er sie nicht „Ma’am“ nennen wollen, ebenso wenig wie Twyla vorhin. Die überhöfliche Anrede rutschte ihm einfach so raus. Seltsam, aber er fühlte sich in Gegenwart der wohlmeinenden, wenngleich querköpfigen älteren Damen sicher und aufgehoben. Er wollte sich mit ihnen nicht wohlfühlen, wollte sich in dieser gemütlichen Kleinstadtgemeinschaft nicht zu Hause fühlen. Die freundliche Stimmung in Lightning Creek passte nicht zu seinem Lebensentwurf. Je eher er zurück nach Denver kam, desto besser.

„Gut“, sagte er und griff in seine Hosentasche, „ich stelle Ihnen einen Scheck über Ihre heutigen Ausgaben aus. Dann sind wir quitt.“

Die alten Damen protestierten lauthals. Als er gerade nach einem Stift suchte, sah er Twyla McCabe mit dem Quilt überm Arm auf sich zukommen. „Ich habe gute Neuigkeiten“, sagte sie und hielt ihm den Quilt entgegen.

„Die kann ich gebrauchen.“

„Wir haben die Lose gezogen. Sie haben gewonnen.“

Der Tag war also nicht gänzlich im Eimer. Immerhin hatte er den Quilt gewonnen. „Danke, Twyla.“

„Ihr kennt euch?“, fragte Mrs. Spinelli und schlug begeistert die Hände zusammen. „Perfekt!“

Rob kniff die Augen zusammen. Diese Damen sahen zwar aus wie Klementine aus der Ariel-Werbung, aber ihre Absichten waren ganz sicher weder sauber noch rein. „Was ist perfekt?“

„Dass ihr euch kennt“, sagte Mrs. Duckworth langsam und deutlich mit ihrer Lehrerinnenstimme. „Dann könnt ihr gleich die Einzelheiten klären.“

Rob betrachtete Twyla McCabe. Seidiges rotes Haar. Große, sanfte Augen. Ein Hauch von Sommersprossen. Sie war hübsch, obwohl man ihr den harten Alltag ansah, und sie hatte eine 1a-Figur. Ein typisches Kleinstadtmädchen.

„Ach, um Sie geht’s“, sagte er erstaunt. „Es ist Ihr Klassentreffen.“

„Twylas zehnjähriges Klassentreffen“, erklärte Mrs. Duckworth. „Ihr beide werdet dort ein unvergessliches Wochenende verbringen.“

„Genau darüber wollte ich mit euch reden“, sagte Twyla entnervt.

Verblüfft und ohne recht zu wissen warum, steckte Rob sein Scheckbuch wieder ein.

Die Sonne ging schon unter, als Twyla den Klapptisch zu ihrem Wagen trug, Brian im Schlepptau. Der Abend brachte Abkühlung, die Luft war frischer. Verhalten sangen einige Vögel, der Duft frisch gemähten Rasens wehte über das Gelände. Nach der ersten Begegnung war sie Rob aus dem Weg gegangen. Angespannt hatte sie den weiteren Verlauf der Veranstaltung verfolgt. Jedes Mal, wenn Rob sich ihr nähern wollte, tat sie beschäftigt, sie half sogar freiwillig am Limonadenstand aus. Jetzt, da der letzte Junggeselle versteigert war, war es Zeit, zu gehen.

Brian hatte sich rasch von seiner Übelkeit erholt und den Tag zusammen mit seinen Freunden mit Spielen, Essen, lautem Rufen und Toben verbracht. Die Versteigerung hatte ihn nicht interessiert, ihm fehlte schlicht das Verständnis dafür. Auch wusste er nicht, was Mrs. Duckworth und Mrs. Spinelli gemacht hatten. Was okay war, da Twyla eh nicht wollte, dass Rob Carter das Ding durchzog.

Gegen Ende der Versteigerung schien Brian aufzuschnappen, was da vor sich ging. Er kam zu ihr an den Limonadenstand und fragte: „Wenn eine Frau einen Mann kauft, muss der Mann dann machen, was die Frau sagt?“

Twyla lächelte. „Gewissermaßen.“

„Für wie lange?“

„Das müssen die beiden wohl unter sich klären.“

„Dann sollte sie machen, dass er bleibt und Vater wird.“

Gegen die Logik eines Sechsjährigen kam man nicht an. Sie hätte ihn schlicht nicht fragen sollen, tat es aber trotzdem: „Brauchen denn alle Jungen einen Vater?“

„Klar!“

Die nächste, folgerichtige Frage wollte sie nun wirklich nicht stellen: Und du, Brian? Brauchst du einen Vater?

Sie war sich nicht sicher, ob sie die Antwort darauf hören wollte.

„Sammy Crowe sagt, Mrs. Spinelli hat diesen Rob gekauft, und dass er alles tun muss, was du sagst.“

„Tja, da hab ich Glück, was?“, sagte Twyla. „Was soll er tun? Hast du eine Idee?“

„Machst du Witze?!“ Brian strahlte. „Ich hab tausend Ideen!“

Sie wollte seine Begeisterung dämpfen, ihn warnen, dass alles nur ein Missverständnis sei, aber die Situation war zu vertrackt, um sie erklären zu können.

„Morgen ist Gottesdienst“, sagte sie, während sie die Wagentür öffnete, ihn anschnallte und eine Decke um ihn wickelte. Laut gähnend nahm er sein Dinosaurierbuch und schlug es auf. In ein paar Minuten würde er eingeschlafen sein.

Als Twyla um ihren Wagen herum zur Fahrerseite ging, hatte sie das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. In der Windschutzscheibe, die in der untergehenden Sonne golden glänzte, sah sie sein übergroß erscheinendes Spiegelbild. Sie setzte den Tisch ab und drehte sich zu ihm. Das stand er, Dr. Robert Carter, glänzendes schwarzes Haar und ein erwartungsfrohes Lächeln. Er sah sie lange an, auf eine Weise, wie kein Mann sie in den letzten Jahren angesehen hatte – Faszination, Wertschätzung und eine Andeutung von Zärtlichkeit lagen in seinem Blick. Twyla musste zugeben, dass er haargenau so aussah wie ein Mann, für den man zwölftausend Dollar ausgeben würde.

„Okay“, sagte sie, sich beinahe verhaspelnd. „Ich hatte mit dieser verrückten Idee nichts am Hut, ich hatte keine Ahnung, was Sugar und Theda vorhatten. Ein Date mit Ihnen will ich so wenig wie die Krätze.“

Mit dem Quilt unterm Arm betrachtete er sie beunruhigend lange. Wahrscheinlich ist er ein guter Arzt, dachte sie. Es war ihm nicht unangenehm, anderen in die Augen zu schauen.

„Mit der Krätze hat mich noch keine verglichen.“

Nervös lachte sie. „Nichts für ungut, es ist nur so, dass …“ Sie schwieg und nickte müde einer der Quilt-Näherinnen zu, die über den Parkplatz ging und sie und Rob neugierig beäugte.

„Lassen Sie uns hier rübergehen“, Rob zeigte aufs andere Ende des Parkplatzes, wo eine kleine Anhöhe zum Fußballfeld führte.

„Es gibt nichts zu besprechen“, sagte sie. Die Menge verließ den Veranstaltungsort. Einige Menschen starrten sie und Rob mit kaum verhohlener Neugier an. Neuigkeiten verbreiteten sich schnell in Lightning Creek.

„Dann lassen Sie uns das Nichts unter vier Augen besprechen.“ Er marschierte voran, ohne zu schauen, ob sie ihm folgte.

Twyla strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie konnten das Ganze ebenso gut klären. Wahrscheinlich wollte er so schnell wie möglich zurück nach Denver. Sie warf einen Blick zurück zu Brian – der in sein Dinosaurierbuch vertieft war – und folgte Rob zu dem Fußballfeld. Von der Anhöhe aus hatte man einen atemberaubenden Blick auf die Wind River Range in einiger Entfernung. Die Sonne über den zerklüfteten Bergrücken leuchtete goldrot und schickte ihre letzten traumwandelnden Strahlen über das Gras, das sanft im Wind wogte, und über die Salbeibüsche hinter Lost Springs.

Als Rob sich zu ihr umdrehte, setzte ihr Herz einen Schlag aus, denn einen Augenblick lang schien er wie in Bernstein getaucht. Das flüchtige Spiel von Licht und Schatten ließ ihn wie ein Wesen erscheinen, das nicht von dieser Welt war, vielleicht gar aus einem anderen Zeitalter, gefangen in einem Juwel, das ihn vor seiner Umwelt schützte. Dann bewegte er sich, streckte ihr die Hand entgegen, und der seltsam magische Moment war vorüber.

Twyla näherte sich ihm langsam, ohne seine Hand zu nehmen.

„Hier“, sagte er und zeigte auf eine Treppe am Hang zum Fußballfeld. „Setzen Sie sich.“

„Ich hatte ganz vergessen, dass Sie sich in Lost Springs auskennen“, sagte sie.

„Ja.“

Sie hätte ihn gern über seine Kindheit ausgefragt. Warum war er hier gewesen? Wie lange hatte er hier gelebt? Erinnerte er sich an seine Familie? Hatte es ihm auf der Ranch gefallen? Hatte er sich als Sechsjähriger einen Vater gewünscht?

Nein. Sie durfte ihm nicht derart intime Fragen stellen. Schließlich wollte sie ihn loswerden. Höflich natürlich. Immerhin hatte er nicht darum gebeten, von zwei Kupplerinnen, die sich überall einmischten, zum Dienst gezwungen zu werden. So großzügig und freigiebig, wie er war, hatte er es nicht verdient, zur Belohnung auf ein Klassentreffen entführt zu werden.

Sie setzte sich auf die oberste Stufe, er nahm auf einem unteren Treppenabsatz Platz. In der abendlichen Brise lag der Duft von süßem Gras und wildem Thymian. Hoch über den Bergen funkelte einsam ein erster Stern. Ein kühler Lufthauch fuhr über ihre Arme, also zog sie die Knie an die Brust und schlug das Sommerkleid um ihre Beine.

„Ich erwarte nicht“, begann sie, „dass Sie tun, was Mrs. Spinelli und Mrs. Duckworth möchten. Sie sollten wissen, dass ich sie nicht dazu angestiftet habe.“

„Vielleicht sollten Sie mir das erklären. Was hat die beiden überhaupt dazu gebracht, das zu tun?“

„Sie können sich vermutlich nicht vorstellen, wie es in einem Schönheitssalon zugeht“, sagte sie und dachte an den besagten Tag im Salon zurück.

„Da haben Sie vollkommen recht.“

„Die beiden waren meine ersten Kundinnen, als ich den Laden neu eröffnet habe. Der erste Dollarschein, den Sugar Spinelli mir gezahlt hat, hängt eingerahmt an der Wand im Salon. Sie haben mich unter ihre Fittiche genommen, und ich liebe sie dafür heiß und innig.“ Unwillkürlich legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. „Aber manchmal gehen sie einfach zu weit. Sie meinen, mir fehle etwas im Leben. Genau genommen meinen sie, mir fehle ein Mann im Leben. Und sie werden nicht eher Ruhe geben, bis sie einen Mann für mich gefunden haben. Selbst wenn es sie mehrere Tausend Dollar kostet.“ Sie lachte schmerzlich. Denn so unfassbar es war, genau das hatten die beiden getan.

„Es gibt Schlimmeres, als jemanden wie Mrs. Spinelli oder Mrs. Duckworth als Freundin zu haben.“

„Das weiß ich und bin auch sehr dankbar. Aber dieses Mal sind sie doch ein bisschen zu weit gegangen.“

„Was wollen Sie jetzt tun?“

Sie legte ihren Kopf in den Nacken und seufzte. Einer nach dem anderen flammten die Sterne am violetten Abendhimmel auf. „Das frage ich mich auch.“

„Es würde sie bestimmt verletzen, wenn Sie nicht nach ihrem Plan spielen.“

„Das würde es.“ Sie erschauderte bei dem Gedanken an die strafenden Blicke ihrer beiden Lieblingskundinnen. „Es geht ihnen nicht ums Geld – Mrs. Spinelli liebt Wohltätigkeitsarbeit –, sondern um das, was sie für den perfekten Plan halten. Der Plan, mich aus dem Nest zu schubsen. Sie möchten, dass ich mit wehenden Fahnen in meine Heimatstadt fahre, zusammen mit einem Typen, der wie von Geisterhand in meinem Leben auftaucht.“

„Ein Schicksal schlimmer als der Tod.“

Sie lachte. „Ich gebe zu, die Vorstellung hat etwas. Wer würde nicht auf dem Klassentreffen als super erfolgreich erscheinen wollen? Obendrein noch mit einem Arzt aus der Großstadt an seiner Seite. Aber ich sehe mich beim besten Willen nicht bei dieser Maskerade mitspielen.“

Er pflückte einen Grashalm und kaute daran. Bestimmt wollte er damit nicht die Aufmerksamkeit auf seinen Mund lenken. Doch sie konnte den Blick nicht davon abwenden, wie er selbstvergessen an dem Grashalm knabberte. „Kann ich Sie was fragen?“

„Klar.“ Sie versuchte, nicht auf seinen Mund zu achten.

„Warum gehen Sie nicht als Sie selbst auf das Klassentreffen – als Geschäftsführerin und Brians Mutter?“

„Ich habe bestimmt nichts zu verbergen. Aber …“ Sie unterbrach sich, weil sie von Gefühlen übermannt wurde. Wenn sie mit ihm sprach, schienen alle Dämme zu brechen. Sie sollte besser ihren Mund halten.

„Aber …?“, fragte er nach.

„Ich war wie alle anderen Mädchen in der Schule auch. Ich hatte große Träume, von einem schönen Leben, von Erfolg, von bestimmten Dingen, die ich erreichen wollte. Und dann … dann kam das echte Leben und nichts von dem, was ich mir erträumt hatte, wurde wahr. Wenn ich ganz ehrlich bin, es wäre schön, dort mit strahlendem Lächeln und einem Traummann an meiner Seite zu erscheinen.“

„Ich wäre also Ihr Traummann?“

Sie errötete. „Ist das Ihr Ernst? Sehen Sie sich doch an! Ein erfolgreicher Arzt mit guten Manieren und teuren Klamotten? Jemanden wie Sie gibt es nur einmal in Lightning Creek, das kann ich Ihnen sagen. Ganz zu schweigen von Hell Creek.“

„Hell Creek?“

„Mein Heimatort.“ Denn das war er immer noch, trotz allem, was ihr dort widerfahren war, und obwohl sie seit sieben Jahren nicht mehr dort gewesen war. „Die würden sich das Maul über Sie zerreißen.“

„Es ist nicht immer so, wie man denkt“, sagte er nachdenklich und blickte in den Himmel, der sich dunkelviolett färbte und von Sternen durchsetzt war.

„Was meinen Sie damit?“ Um Himmels willen, barg er etwa ein dunkles Geheimnis?

„Eigentlich bin ich ganz langweilig.“

Sie schwiegen eine Weile. Sie spürte, dass sie sich noch nicht sehr vertraut waren. Was sagte man einem Mann, den man kaum kannte? Einem Mann, der zudem dafür bezahlt wurde, dass er einem Gesellschaft leistete?

Er trommelte mit seinen Fingern auf den Stufen. „Wissen Sie was?“

„Was?“

„Wir haben gar keine andere Wahl, wir müssen das durchziehen.“

Ihr Mund öffnete sich zum Protest, aber sie brachte kein Wort hervor. „Das durchziehen? Zum Klassentreffen gehen?“

„Genau.“

„Wissen Sie, wo Hell Creek liegt?“

„Nicht allzu weit von Jackson entfernt, wurde mir gesagt.“

„Aber es ist ganz anders als Jackson.“

Er steckte die Hände in die Taschen. „Twyla, es ist doch so: Ich habe mich bereit erklärt, an der Spendenaktion teilzunehmen. Ich habe mir die Zeit genommen, für jemanden den Junggesellen zu geben – aus Jux und für den guten Zweck. Viele Leute haben viel Arbeit in die Versteigerung gesteckt. Es bringt uns doch nicht um, unseren Teil der Abmachung zu erfüllen.“

„Ich habe mit niemandem eine Abmachung getroffen“, entgegnete sie.

„Dann treffen Sie eine mit mir. Hier und jetzt. Wir fahren zum Klassentreffen.“

Nie und nimmer, nicht in ihren kühnsten Träumen hätte sie das erwartet. Sie war so verblüfft, dass sie in sein Gesicht sah und sagte: „Ich denke darüber nach. Rufen Sie mich morgen an, dann gebe ich Ihnen meine Antwort.“

6. KAPITEL

Zurück im Starlite Motel im Norden der Stadt starrte Rob auf sein schweigendes Telefon. Mittlerweile bereute er seine Worte. Twyla McCabe hatte großen Anstand bewiesen und ihn von der Leine lassen wollen. Aber er hatte die Chance zur Flucht vermasselt. Am besten rief er sie gleich an, um ihr zu sagen, dass sie recht hatte, dass das niemals funktionieren würde.

Aber es war noch nicht morgen. Herrje, es war noch nicht einmal zehn Uhr abends. Er konnte sie unmöglich anrufen. Er sollte besser Lauren anrufen und ihr von dem unerhörten Antrag der beiden älteren Damen erzählen.

Der Stern auf der Leuchtreklame flackerte hin und wieder bläulich durch die Jalousien. Die nächtlichen Geräusche der Prärie hinter dem Parkplatz drangen durch die dünnen Wände des Motels – das Zirpen der Grillen, das Quaken der Frösche und ab und an der Schrei einer Eule.

Aus Neugier blätterte er in den Unterlagen, die Mrs. Duckworth ihm gegeben hatte. Sie steckten in einer Mappe, auf der „Twylas zehnjähriges Klassentreffen“ stand.

Die Damen hatten keinen Wunsch unerfüllt gelassen. Sie hatten einen Flug von Casper nach Jackson gebucht und einen Wagen für das Wochenende gemietet. Die Unterkunft war – nach allem, was die Broschüre versprach – vom Feinsten. Eine Fischerhütte mit dem Namen Laughing Water Lodge, die am Ufer eines Flusses lag und mit zwei Schlafzimmern, einem Whirlpool und einer Sauna ausgestattet war. Die Holzhütte befand sich in der Nähe eines Reiterhofs außerhalb von Hell Creek. Sie gehörte einem wohlhabenden Bauunternehmer aus Jackson, der müde Kalifornier und reiche Texaner locken wollte, Wurzeln in der Gegend zu schlagen. „Wild West Wonderland“ nannte eine Touristenbroschüre die Gegend und zeigte einen Mann mit Cowboyhut, der einen Eimer Pferdefutter über eine Koppel trug.

Rob warf die Broschüre auf den Tisch. Gegen einen gelegentlichen Ausritt hatte er nichts einzuwenden, aber die Arbeit auf einer Farm reizte ihn nicht.

Als Mrs. Duckworth ihm die Mappe in die Hand gedrückt hatte, hatte sie ihn mit dem strengen Blick einer Grundschullehrerin bedacht. „Junger Mann, vergiss nicht, dass das Wochenende für Twyla einfach wundervoll werden muss.“

Für den Fall, dass ihm nichts einfiel, hatten sie und Mrs. Spinelli eine To-do-Liste mit Vorschlägen beigefügt. Er sollte Twyla das Gefühl geben, etwas Besonderes zu sein. Ein Geschenk sollte sie bekommen, Blumen oder gar Schmuck. Tanzen sollte er mit ihr. Mit ihr ein Picknick machen. Ausreiten. Ein Candle-Light-Dinner. Ein Spaziergang bei Mondschein. Wein trinken auf dem Teppich vor dem Kamin. Frühstück im Bett.

„Wir haben unseren Teil getan“, hatte Mrs. Spinelli gesagt, „jetzt müssen Sie Ihren tun. In den letzten Jahren hat kein Mann Twyla das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein. Jetzt liegt es an Ihnen.“

Sehr subtil, dachte Rob belustigt.

Er zog den Vorhang vors Fenster, um das flackernde Neonlicht auszuschließen. Durch die Lamellen sah er einen Pick-up mit Abblendlicht und verchromten Felgen vorbeifahren, wahrscheinlich auf dem Weg zum Roadkill Grill am Ende der Straße. Er warf einen Blick zurück auf das Telefon, bevor er die Schlüssel nahm und das Motel verließ. Um Lauren anzurufen, war es eh zu spät. Also konnte er ebenso gut in der einzigen Kneipe im Ort mit den Jungs ein Bier trinken gehen.

„Hallo, Doc!“, sagte Chance Cartwright und winkte von der rustikalen Holztheke herüber, als Rob eintrat. Aus einem Krug schenkte Chance ihm ein Bier ein und reichte ihm das Glas. „Na, hat’s Spaß gemacht?“

„Und ob.“

„Hey“, sagte Rex Trowbridge mit einem schiefen Grinsen, „wir haben heute viele Mäuse für die Ranch eingenommen, jetzt sollten wir die Mäuse tanzen lassen.“

Jemand wähle einen Country-Klassiker an der Jukebox aus. Die Stimme von Jerry Jeff Walker erfüllte die Bar. Die Männer klopften sich auf die Schulter und rissen Witze über die Auktion. Die anderen Versteigerungen hatte Rob nicht verfolgt. Nun erfuhr er, dass Wohltätigkeit und Spaß an der Freude nicht die einzige Motivation hinter den Geboten waren. Russ Hall musste ein Wochenende lang den Familienvater mimen. Cody Davis sollte in seiner Heimatstadt eine Parade anführen. Und ein anderer armer Teufel sollte einer Witwe auf ihrer Ranch zur Hand gehen.

„Und was ist mit dir?“, fragte Stanley Fish, der Reporter, und setzte sich neben ihn auf den Barhocker. „Was macht dein Date?“ Als er Robs Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er schnell hinzu: „Keine Sorge, das bleibt unter uns. Ich bin nur neugierig.“

„Mich interessiert viel mehr, warum du heute nicht auf dem Podium gestanden hast.“

„Ich leiste doch meinen Beitrag. Der Artikel wird der Ranch viel Aufmerksamkeit bescheren. Die Spenden werden nur so fließen, wenn die Leser die gut aussehenden und zugleich sozial engagierten jungen Männer sehen.“ Stan trank einen Schluck Bier. „Schieß los!“

Rob atmete tief ein. „Ich soll eine Frau zu ihrem Klassentreffen begleiten.“

Stan verdrehte die Augen. „Du machst Witze.“

„Ich wünschte, es wäre so.“

„Was Langweiligeres kann man sich ja kaum vorstellen.“

„Du sagst es.“ Rob trank sein Bier und stellte sich eine schlecht belüftete Turnhalle voller ihm unbekannter Leute vor, die viel zu fein angezogen waren, sich überschwänglich umarmten, den Bauch einzogen, die Namensschilder der anderen beäugten und sich über die vergangenen zehn Jahre unterhielten. Dabei versuchten sie natürlich, was nur allzu menschlich war, besser dazustehen, als sie es in Wirklichkeit taten.

„Weißt du, warum sie dich auf das Klassentreffen mitnehmen will?“, fragte Stan.

„Das war gar nicht ihre Idee“, entgegnete Rob und erzählte ihm von Mrs. Spinelli und Mrs. Duckworth. Er musste an den kitschigen pinkfarbenen Salon um die Ecke denken. Es wäre so verdammt leicht, ihr zu helfen. Ihre Freunde aus dem Salon machten es so einfach. „Die beiden glauben, ihr damit einen Gefallen zu tun. Sie möchten, dass sie mit wehenden Fahnen und stolz erhobenen Hauptes in ihre Heimatstadt getänzelt kommt.“

„Das klingt nach einer billigen Schnulze.“ Stan schaute Rob fragend an. „Und dazu braucht sie dich?“

„Nein, eigentlich bräuchte sie niemanden. Ihr geht’s super.“

„Warum also?“

„Die alten Ladys wollen eben, dass Twyla gut rüberkommt, auch in Sachen Ehe.“

„Twyla? Die Frau heißt Twyla?“ Stan verschluckte sich beinahe.

„Genau, Twyla. Stimmt mit dem Namen was nicht?“, fragte Rob verärgert. „Das Ganze haben die liebenswerten alten Damen ausgeheckt.“

„Dann blas das ab.“

„Nein, ich habe bereits zugesagt.“

„Verdammt, an dieser Twyla muss etwas dran sein.“

Er zuckte mit den Schultern.

„Wie ist sie denn so?“, ließ Stan nicht locker.

Rob vergegenwärtigte sich ihre großen verklärten Augen und wie sie ihrem Sohn liebevoll über den Kopf strich. Er wollte sich lieber nicht daran erinnern, wie sich ihre Taille angefühlt hatte, als er sie vom Baum gehoben hatte. So kurz die Berührung auch gewesen war, sie hatte ihn doch nachhaltig beeindruckt. Twyla fühlte sich jung und fest an und angenehm warm. Und sie errötete, wie nur Rothaarige erröten konnten.

„Lass es mich so sagen: Eine Vogelscheuche ist sie nicht.“

Stan bedeutete dem Kellner, ihr Bier nachzufüllen. „Ganz verkehrt kann es nicht sein, einen Abend lang den Traummann für diese Twyla zu geben, wenn es ihr denn hilft. Komm, lass uns eine Runde Darts spielen.“

Den Rest des Abends dachte Rob darüber nach, wie es wäre, der Traummann zu sein. Stan war immer noch genauso clever wie damals in der Schule. Er konnte immer noch den Finger genau auf den wunden Punkt legen. Denn in Wahrheit half Rob wirklich gerne. In seiner Arztpraxis ließ er nie eher ab, als bis er die Lösung für ein Problem gefunden hatte. Auch wenn das hieß, dass er nächtelang arbeitete, riesige Stapel medizinischer Fachbücher in der Bibliothek oder im Internet wälzte.

Lauren prahlte gerne mit seiner Hingabe an seinen Beruf, aber das stimmte nicht. Eigentlich kannte er seine Beweggründe nur zu genau. Die hatten nichts mit Idealismus oder der Verbesserung der Welt zu tun. Vielmehr gingen sie auf seine Kindheit zurück und darauf, Sicherheit großzuschreiben. Das wiederum lag an dem letzten Blick, den er von seiner Mutter erhascht hatte, einer blassen, zierlichen Frau mit Tränen in den Augen und einem Veilchen im Gesicht. Nur zu deutlich sah er sich als schüchterner Junge in dem Büro des Schuldirektors stehen und über die riesigen Ledersofas und die Gemälde an den Wänden staunen.

Mit krakeliger Hand setzte seine Mutter ihre Unterschrift auf ein mehrseitiges Formular. „Du wirst es hier besser haben“, sagte sie. Und noch drei Jahrzehnte später spürte Rob ihre warme Hand an seiner Wange. „Ich kann dir kein Leben bieten, noch nicht. Vielleicht später …“

Vielleicht später. Ihre Worte hatten ihn jahrelang verfolgt. Auf der Ranch war Sonntag Familientag. Pünktlich um zwölf Uhr erschien Rob jeden Sonntag mit gekämmtem Haar, in blitzblanken Schuhen und seiner besten Hose. „Falls sie heute kommt“, sagte er Mr. Duncan. Aber sie kam nie.

Auch nachdem Mr. Duncan ihm behutsam nahegelegt hatte, sich eine andere Beschäftigung am Sonntag zu suchen, gab Rob die Hoffnung nicht auf. Er setzte sich in eine Ecke des Besucherzimmers und sah, wie die Jungs von ihren Eltern umarmt wurden. Die Eltern zogen ihre Söhne zwar nicht zu Hause auf, kamen aber wenigstens hin und wieder zu Besuch und brachten ihnen Schokolade und Comic-Hefte mit.

Rob wusste, dass die Duncans versuchten, seine Mutter ausfindig zu machen. Sie wollten wenigstens erreichen, dass sie ihre Vormundschaft auf- und ihn zur Adoption freigab. Man konnte sie jedoch nie ausfindig machen, und Rob verbrachte von allen Jungs die längste Zeit in Lost Springs.

Als er älter wurde, versuchte er, sich das Leben von Peggy Jean Carter auszumalen. Sie war als Minderjährige von zu Hause abgehauen, hatte keine Familie, keinen Schulabschluss. Sie schlug sich mit einem gewalttätigen Mann und der Sozialbehörde herum. Sie war pleite und verzweifelt und hatte schließlich ihren Sohn in fremde Hände gegeben und ihn verlassen.

Wer weiß, hätte jemand seiner Mutter etwas Gutes getan, hätte sie ihn vielleicht nicht verlassen. Hätte stattdessen vielleicht ihren Stolz und ihre Selbstachtung wiedergefunden, hätte ihr Leben angepackt, anstatt zu verzagen.

Zuneigung konnte viel bewirken – das war die bleibende Lektion von Lost Springs. Vielleicht war das der Grund, warum er Twyla dazu überreden sollte, mit ihm zu ihrem Klassentreffen zu gehen.

Rob erwachte vom Klang der Kirchenglocken. Er trat vor sein Motelzimmer und holte tief Luft. Der Himmel strahlte in einem zarten, aber intensiven Blau, das es nur in diesem Landstrich Wyomings gab. Rob hätte die ganze Welt oder gar das Universum umarmen wollen. So klar war die Luft, so stark das Licht.

Er ging wieder rein, duschte, rasierte sich und zog Jeans und Polohemd über. Dann steckte er seine Sonnenbrille in die Tasche. Twyla hatte gesagt, er solle sie anrufen. Aber das erschien ihm nicht richtig, er wollte sie sehen.

Nach dem Frühstück im Roadkill Grill machte er sich auf zu dem alten Haus der McCabes. So hatte Reilly aus dem Laden für Farmbedarf es genannt. „Das alte Haus der McCabes“ klingt altertümlich, dachte Rob und stellte sich ein würdevolles viktorianisches Gebäude mit englischem Rasen vor.

Nachdem er die unebene Auffahrt aus Schotterstein hinaufgefahren war, hätte es ihn nicht verwundern sollen, dass seine Vorstellung nicht der Wirklichkeit entsprach. Der bloße Anblick des Anwesens stimmte ihn nachdenklich.

Das Holzhaus aus den zwanziger Jahren fiel auseinander. Das auf einer Felskuppe gelegene Gebäude sah sehr mitgenommen aus. Mit dem klapprigen Verandageländer erinnerte es an einen Menschen, der dringend zum Zahnarzt musste. Das Holz verwitterte, die Farbe blätterte ab, die Fensterläden hingen schief. Für Farbtupfer sorgten lediglich die Hecken und die Blumentöpfe mit Geranien.

Als Rob aus dem Wagen stieg, kamen ein kleiner Junge und ein großer Hund ausgelassen hüpfend den Hügel heruntergelaufen. Der Hund bellte einmal scharf, und Brian rief ihn zur Ordnung. „Aus, Shep. Hallo, Rob!“

„Hallo, Brian! Ich will deine Mutter besuchen. Ist sie zu Hause?“

„Ja. Ich und Mom sind grad vom Gottesdienst zurück. Komm rein!“ Brian stapfte zur Haustür.

Die Stufen zur Veranda knarrten bedenklich unter Robs Schritten.

„Hi, Mooom!“, rief Brian. „Rob ist hier. Der Typ, den Mrs. Spinelli gestern für dich gekauft hat.“ Er pfiff nach dem Hund und rannte wieder nach draußen. Die Fliegengittertür fiel krachend zu, und das ganze Haus schien zu wackeln.

Rob fand sich in einer altmodischen Diele wieder. Es roch nach Zitrone und Poliermittel und nach Zimt und Kaffee. Es roch wie zu Hause, könnte man sagen. Aber das Zuhause anderer, es war nie sein Zuhause.

Er legte seine Hand auf den altersdunklen Treppenpfosten – und hielt im nächsten Moment den Knauf in den Fingern. Er fluchte leise und wollte ihn gerade wieder anbringen, als Twyla in die Diele trat.

„Hallo“, sagte sie. Sie schien ein wenig verwundert. „Ich habe Sie nicht erwartet …“ Dann sah sie den Knauf in seiner Hand.

„Entschuldigung“, sagte er.

„Das passiert andauernd.“ Sie drehte den Knauf wieder ein und lächelte Rob an. „Ich wollte es schon längst reparieren, aber ich habe dafür einfach kein Händchen. Haare – kein Problem. Dinge im Haushalt reparieren – keine Ahnung.“

Verlegen schwiegen sie eine Weile. Rob fiel ihr gelbes Kleid auf. Wahrscheinlich für die Kirche, dachte er und fragte sich, ob die Männer ihr dort hinterherguckten. Sie sah verdammt gut aus mit ihrem roten Haar und diesen Beinen. Er versuchte, an etwas anderes zu denken. Etwa daran, warum er überhaupt hergekommen war. Sie hatte ihn gestern so gut wie von der Leine gelassen. Und trotzdem konnte er nicht anders, als zu ihr zu fahren und sie zu überzeugen, dem Ganzen eine Chance zu geben. Jetzt, wo er wie ein Eindringling in ihrem Haus stand, wusste er plötzlich nicht mehr, was ihn bewogen hatte, herzukommen.

Eine zierliche weißhaarige Frau betrat die Diele. Sie trug eine geblümte Schürze über ihrem Kleid, ausgefallene rote Turnschuhe und ein breites Lächeln.

„Ma, darf ich vorstellen? Das ist Rob. Rob, meine Mutter, Gwen.“

Er schüttelte ihr die Hand. „Schön, Sie kennenzulernen. Ich wollte Sie nicht am Sonntag stören …“

„Um Himmels willen, nein! Sonntage sind wie gemacht für Besuch, nicht wahr, Twyla? Wir haben so gerne Besuch. Möchten Sie einen Kaffee? Die Zimtschnecken kommen gerade aus dem Ofen.“

„Wie könnte ich Ihre Einladung ausschlagen?“, sagte er. „Es riecht köstlich.“

„Ich helfe dir, Ma.“

„Kommt nicht infrage. Bin gleich zurück.“

Mutter und Tochter lächelten einander zu. Manchmal, wenn er Eltern mit ihren Kindern sah, spürte er ein Brennen in seinem tiefsten Inneren, das kein Gegengift kannte. Vor langer Zeit hatte er eine Liste mit den Dingen erstellt, die er nie haben würde, wie eine Mutter und einen Vater. Stattdessen hatte er sein Leben darauf verwandt, die Dinge zu erlangen, die er bekommen konnte: eine solide Ausbildung, eine erfüllende Karriere und gute Freunde. Seit er Lauren DeVane kannte, gehörte sogar eine Ehefrau zu den Möglichkeiten.

„Ihre Mutter ist sehr nett.“

„Sie ist die Beste.“ Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, ihr Lächeln erstarb kurz und flammte dann wieder auf. „Sie wohnt bei uns, hinten in der Einliegerwohnung, und kümmert sich um Brian, wenn ich im Salon arbeite. Sie hat an dem Quilt mitgenäht, den Sie gewonnen haben.“

Twyla führte ihn in eine altmodische Stube. Die hohe Zimmerdecke zierte Stuck, Spitzenvorhänge hingen vor den großen Fenstern. Die Möbel waren nicht sehr vornehm und bestimmt keine teuren Antiquitäten, fügten sich aber ins Gesamtbild. Zwischen den beiden Fenstern stand ein gut gepflegtes Klavier. Das Einbauregal war mit einem kunterbunten Sammelsurium von Büchern vollgestopft. Rob bemerkte darunter viele Psycho-Ratgeber und Selbsthilfebücher über alles Mögliche, von Panikattacken bis zu ganzheitlicher Trauerbewältigung. Nichts, was man bei einer Friseurin erwarten würde. Vielleicht las ihre Mutter all die Bücher.

Über die Lesegewohnheiten anderer zu sinnieren erschien ihm unhöflich, also wandte er seine Aufmerksamkeit den Familienfotos zu. Überall an den Wänden hingen gerahmte Bilder, es gab keine freie Oberfläche, auf der nicht ein Bild stand. Rob ergriff die Gelegenheit, das Schweigen zu unterbrechen. „Bekomme ich eine Privatführung? Die Fotos sind nicht beschriftet.“

„Das sind nur langweilige Familienfotos“, erwiderte sie.

Er nahm eins in die Hand. Auf dem Foto war Twyla zu sehen, wie sie als junges Mädchen vor einem Wohnwagen spielte. „Das werden wir sehen. Zeigen Sie sie mir zuliebe.“

„Herrje, war ich spindeldürr!“, sagte sie. „Die Wohnwagensiedlung heißt Lazy Acres, da habe ich den größten Teil meiner Kindheit verbracht. Sehr schick“, sagte sie ironisch und schüttelte den Kopf. „Das ist mein Vater auf dem Minigolfplatz, den er entworfen hat. Dafür hat er sein Sparbuch geplündert.“

„Nicht schlecht.“

Sie stellte das Foto zurück. „Leider hatte er trotz der ausgetüftelten Sound-Effekte keinen Erfolg. Wenn der Ball ins Loch ging, erklangen Glocken und Pfeifen.“

„Er war seiner Zeit voraus.“

„Er war ein Träumer“, sagte Gwen milde. Sie trug ein Tablett mit Kaffee und den Zimtschnecken. „Und ein Amateur, der nie ein Projekt zu Ende brachte.“ Sie schaute liebevoll auf das Foto mit dem Minigolfplatz. Dann wischte sie ihre Hände an der Schürze ab. „Ich lasse euch zwei jetzt allein …“

„Bleiben Sie doch.“

Abwehrend hob sie eine Hand. „Ich habe Brian versprochen, dass ich die Brombeeren, die er gepflückt hat, zubereite. Heute Abend gibt es Beerentorte.“

Rob lächelte, als sie die Stube verließ. „Lassen Sie mich raten. Sie macht wie die anderen beiden bei der Kuppelei mit.“

Twyla nickte. „Manchmal habe ich echt die Schnauze voll. Sie sind felsenfest überzeugt, dass ich einen Mann brauche. Sie wollten mich schon mit einem Kfz- und Traktormechaniker verkuppeln, mit einem Viehhändler, einem Rodeoreiter, dem Hilfssheriff und noch einigen mehr.“ Sie lächelte verlegen. „Jetzt haben sie sogar für einen Mann bezahlt, den sie mit mir verkuppeln wollen.“

„Die können einen ganz schön unter Druck setzen.“ Er schenkte Kaffee ein und nahm eine noch warme Zimtschnecke. „Machen Sie weiter, zeigen Sie mir mehr Fotos!“

Die Fotos von ihr zeichneten ein Leben nach, das woanders hätte hinführen sollen. Mit dreizehn stand sie stolz nach ihrem ersten gewonnenen Klavierwettbewerb neben dem Preisrichter. Sie war die zauberhafteste Cheerleaderin, die er je gesehen hatte, und Klassenbeste an der Highschool. Das Foto vom Abschlussball war nur zu typisch: überdimensionierte Blumenanstecker, die Aufregung in den Gesichtern und die ungelenke Haltung. Sie hatte Französisch in einem Fernlehrgang gelernt und hatte die Zusage von ganzen vier Colleges.

„Und, haben Sie studiert?“, fragte er.

„Das hatte ich vor. Aber dann kam was dazwischen“, sagte sie versonnen.

„Darf ich fragen, was?“

Sie zuckte mit den Schultern und ein schmerzvoller Ausdruck trat in ihre Augen. „Ich habe gleich nach der Schule einen Mann geheiratet, der bereits aufs College ging. Natürlich waren wir viel zu jung. Alle jungen Paare glauben, sie seien eine Ausnahme und würden nicht unter die Scheidungsstatistiken fallen, nicht wahr?“

„Darüber habe ich noch nie nachgedacht.“

„Haben Sie je geheiratet, Rob?“

„Nein.“ Lauren erwähnte er nicht. Sie waren weder verheiratet noch verlobt. Sie waren bloß … wie sie waren. Er trank seinen Kaffee in zu großen und schnellen Schlucken. „Warum fragen Sie?“

„Nur so.“ Sie biss sich auf die Lippe. Tränen stiegen ihr in die Augen.

„Sie sind mir keine Rechenschaft schuldig“, sagte Rob schnell. Genau aus diesem Grund arbeitete er als Arzt in einem Labor. Ihm fehlten die Geduld und das Mitgefühl für Patienten, die Seelen-Striptease betrieben.

„Schon gut, mir macht es nichts aus, über die Vergangenheit zu sprechen.“

Na toll. Sie hat mir gestern einen Ausweg geboten, dachte Rob. Doch anstatt ihn zu nehmen, war er wie ein Idiot bei ihr zu Hause aufgekreuzt. In ihrem baufälligen, armseligen Zuhause, das nach selbst gebackenem Brot und Möbelpolitur roch, und durch das das Gelächter eines kleinen Jungen hallte.

Ihre verschleierten Augen schienen durch das Fenster in die Vergangenheit zu blicken. „Es tut mir leid, ich will nicht auf die Tränendrüse drücken. Aber das, was passiert ist, war für einen kleinen Ort wie Hell Creek ein großes Thema.“

Sie trank einen Schluck Kaffee und versuchte sichtlich, sich zusammenzunehmen. Ihr Gesicht ist einfach großartig, dachte Rob. Auf dem zarten Teint, wie ihn nur Rothaarige haben, schimmerten blass einige Sommersprossen. Ihre Augen sagten zu viel. Ihr Mund lächelte zu bereitwillig.

Nervös stand sie auf und rieb ihre Arme, als sei ihr kalt. „Um es kurz zu machen: Mein Vater verstarb sehr plötzlich, und meine Mutter …“, sie warf einen Blick zur Tür und fuhr dann leise fort, „… war am Boden zerstört, seelisch und finanziell.“

Rob wünschte sich weit fort. Sehr weit. „Twyla, wollen Sie mir das wirklich alles erzählen?“

Sie öffnete die Arme. „Ist Ihnen das unangenehm?“

„Nein“, log er.

„Falls doch, sagen Sie mir Bescheid, und ich höre auf.“

„Da kommt also noch mehr?“

Sie trank einen Schluck Kaffee. „Bleiben Sie dran, gleich geht’s weiter. Wo sind wir stehen geblieben? Ach ja. Es war auch nicht gerade hilfreich, dass mein Mann mich ausgerechnet dann, als mein Vater starb, sitzen ließ. So viel zu meinen eigenen Plänen. Ich konnte nicht gehen und meine Mutter hängen lassen. Da ich Haare schneiden konnte, habe ich mich nach einem zum Kauf stehenden Salon umgesehen, damit wir alle zusammenbleiben können. So bin ich praktisch über Nacht Ladeninhaberin geworden.“

„Twyla’s Tease ’n’ Tweeze.“

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich setzte. „Es ergab sich quasi aus einer spontanen Laune heraus. Ma und ich waren an dem Abend mit dem Rotwein ein wenig zu großzügig gewesen.“

Familie ist auch eine Art goldener Käfig, dachte Rob. Nach seinem Hochschulabschluss hatte seinen Plänen niemand im Weg gestanden. Kein Elternteil in Not, keine Geschwister in Schwierigkeiten, keine Freundin, die Ansprüche stellte. Er fragte sich, ob er seine Ziele für ein Familienmitglied, das Hilfe brauchte, aufgegeben hätte.

Rob senkte den Blick. Twyla hatte eine Serviette in ihrem Schoß zerpflückt. „Ich wollte nicht, dass Sie sich aufregen“, sagte er.

Sie sah auf die Serviette und schüttelte den Kopf. „Keine Sorge. In einer Stadt wie Lightning Creek hat man keine Geheimnisse. Wahrscheinlich wissen die Frauen des Quilt-Clubs auch, dass Sie hier sind.“

„Ist das ein Problem?“

„Nein, überhaupt nicht. Aber ich entbinde Sie hiermit offiziell von der Pflicht, mich auf das Klassentreffen zu begleiten.“

„Darüber wollte ich mit Ihnen reden.“

„Gut. Freut mich, dass wir einer Meinung sind.“

„Wir gehen hin.“

Sie lachte. Ein helles Lachen, nachsichtig und ein wenig herablassend. So lacht sie bestimmt auch in ihrem Salon, wenn ihre Kundinnen von den Macken ihrer Ehemänner erzählten, dachte er.

„Rob, ganz ehrlich. Das ist nett von Ihnen. Aber Sie würden sich so langweilen.“

„Ich meine es ernst. Wir gehen auf das Klassentreffen.“

„Warum?“ Sie schien erstaunt, geradezu argwöhnisch. „Warum wollen Sie unbedingt der Gentleman sein?“

„Haben Sie etwas gegen Gentlemen?“

„Nein, aber es wundert mich, dass Sie einer sind. Die meisten reichen Ärzte würde das einen feuchten Dreck scheren.“

„Na toll, Sie stecken mich einfach in eine Schublade“, sagte Rob. „Die beiden alten Damen haben das alles bis ins kleinste Detail geplant. Wenn wir mitspielen, geben die Kupplerinnen vielleicht eine Weile Ruhe.“

Sie dachte nach. Rob fragte sich, wie es wäre, sie besser zu kennen und ihre Gedanken in den ausdrucksvollen Augen lesen zu können.

Nein, das wollte er ja gar nicht. Sie blieben besser Fremde, die einen höflichen Umgang miteinander pflegten. Nach dem Klassentreffen wollte er sie nicht wiedersehen. Deshalb brauchten sie sich auch nicht gegenseitig ihr Herz auszuschütten. Er brauchte sich gar nicht erst zu fragen, was wäre, wenn … Der Gedanke fesselte ihn. Die Menschen machten sich gegenseitig das Leben schwer. Twyla McCabe war der lebende Beweis dafür. Das brauchte er alles nicht.

„Kommen Sie mit auf einen Spaziergang?“, fragte sie unvermittelt.

Noch in seine Überlegungen versunken sagte er: „Ja, gern.“

Sie gingen nach draußen und auf den sonnenbeschienenen Hügel hinterm Haus. Auf der Anhöhe summten Bienen träge über den Gänseblümchen, Lupinen und den roten Präriestauden. Doch Robs Blick wanderte zu Twyla.

Immer wieder ermahnte er sich, Abstand zu wahren. Aber das ging nicht. Alles an ihr fiel ihm auf. Wie ein Luftzug in ihr Haar fuhr, dass sie keine Strumpfhose trug, wie liebevoll ihr Gesichtsausdruck war, wenn sie Brian und ihre Mutter auf der hinteren Veranda mit den Brombeeren sah. Frauen hatten immer so einen bestimmten Ausdruck im Gesicht, wenn sie einen geliebten Menschen ansahen. Das war ihm schon im Praktikum in der Kinderklinik aufgefallen. Einen sanfteren, zärtlicheren und liebevolleren Blick konnte er sich nicht vorstellen. Twyla schien dieser Blick angeboren zu sein.

Sie führte ihn über das Grundstück und imitierte scherzhaft einen Museumsführer. Der Schuppen war eine wahre Fundgrube voller Werkzeug, der Traum aller Heimwerker. „Der Vorbesitzer hatte hier eine Holzwerkstatt“, erklärte sie. „Haben Sie je geschreinert?“

„Schreinerei stand in Lost Springs auf dem Stundenplan. Mir hat es gefallen“, hörte Rob sich zu seiner eigenen Überraschung sagen. Er hatte die Arbeit gemocht, aber seit Jahren schon nicht mehr mit seinen Händen gearbeitet.

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