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Fest der Herzen: Schicksalstage - Liebesnächte

hier erhältlich:

Ashley O´Ballivan ist hübsch, liebenswert und erfolgreich - aber immer noch Single. Und gar nicht glücklich darüber. Besonders in der besinnlichen Weihnachtszeit träumt sie davon, romantische Stunden mit dem Mann ihres Lebens zu verbringen. Allerdings sieht es nicht so aus, als ob dieser Traum sich bald erfüllen würde - oder? Denn überraschend kehrt ihre große Liebe Jack McCall nach Stone Creek zurück ...


  • Erscheinungstag: 11.10.2013
  • Seitenanzahl: 192
  • ISBN/Artikelnummer: 9783862788941
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Lael Miller

Fest der Herzen: Schicksalstage - Liebesnächte

1. KAPITEL

Ashley O’Ballivan ließ die letzte Lichterkette in den Karton mit dem Weihnachtsschmuck fallen. Sie musste sich zurückhalten, um ihn nicht mit einem kräftigen Tritt in die Ecke der Dachkammer zu befördern, anstatt ihn ordentlich auf die anderen Kisten und Kartons zu stapeln.

Für sie waren die Feiertage alles andere als fröhlich verlaufen – im Gegensatz zu ihrem Bruder Brad und ihrer Schwester Olivia, die beide glücklich verheiratet waren. Sogar ihre arbeitssüchtige Zwillingsschwester Melissa hatte den Silvesterabend mit einem Date verbracht.

Ashley dagegen hatte ganz allein vor ihrem tragbaren Fernseher gesessen und um Mitternacht den Countdown am Times Square verfolgt.

Wie lahm ist das denn?

Es war nicht nur lahm, sondern geradezu jämmerlich. Sie war noch nicht einmal dreißig und schon auf dem besten Weg, alt zu werden.

Mit einem Seufzen wandte sie sich von ihrem weihnachtlichen Sammelsurium ab – sie ging in ihrem Mountain View Bed and Breakfast bei jedem Feiertag aufs Ganze, was die Dekoration anging.

Als sie die Dachbodenleiter hinunterstieg, ertönte vor der Garage eine vertraute Hupe, die zweifellos zu Olivias uraltem Geländewagen gehörte.

Mit gemischten Gefühlen verstaute Ashley die steile Leiter in der Dachluke. Sie liebte ihre ältere Schwester, doch seit dem Begräbnis ihrer Mutter vor einigen Monaten war ihre Beziehung angespannt.

Weder Brad noch Olivia oder Melissa hatten auch nur eine einzige Träne um Delia O’Ballivan vergossen – nicht beim Gottesdienst in der Kirche, nicht während der anschließenden Zeremonie auf dem Friedhof. Okay, Delia hatte nicht dem Idealbild einer mustergültigen Mutter entsprochen, sondern die Familie vor langer Zeit verlassen und sich allmählich selbst zerstört – durch eine ganze Serie falscher Entscheidungen.

Trotzdem hat sie uns zur Welt gebracht. Zählt das denn gar nicht?

Ein Klopfen erklang an der Hintertür; Olivias rundliches Gesicht war durch die Glasscheibe zu sehen.

„Es ist offen!“

Mit strahlender Miene stieß sie die Tür auf und trat schwerfällig ein. Die Geburt ihres ersten gemeinsamen Kindes mit Tanner Quinn, ihrem Ehemann und ihrer großen Liebe, stand unmittelbar bevor. Ihren Ausmaßen nach zu urteilen, bekam sie Vierlinge oder einen Sumo-Ringer.

„Du weißt doch, dass du nicht anklopfen musst“, bemerkte Ashley distanziert.

Olivia öffnete den alten Mantel ihres Großvaters Big John, der ihr momentan perfekt passte, und enthüllte ein weißes Kätzchen mit einem blauen und einem grünen Auge. Sie bückte sich unbeholfen und setzte das Kätzchen auf den makellos sauberen Küchenfußboden, wo es mitleiderregend miaute und sich dann auf der Jagd nach seinem buschigen Schwanz blitzschnell um die eigene Achse drehte.

„Oh nein!“

„Das ist Mrs Wiggins“, erklärte Olivia, ihres Zeichens Tierärztin – und zwar die beste in Stone Creek. Jedes streunende Tier im Land, ob nun Hund, Katze oder Vogel, schien irgendwann zu ihr zu finden. Zu Weihnachten im Vorjahr hatte sich ein Rentier namens Rodney vertrauensvoll an sie geschmiegt.

Olivias kobaltblaue Augen funkelten unter den dunklen glatten Ponyfransen, doch einen skeptischen Ausdruck konnte sie nicht verbergen. Offenbar bekümmerte und beschämte auch sie das schwierige schwesterliche Verhältnis. Sie hatten sich schließlich immer sehr nahegestanden.

Ashley ging zur Spüle und setzte Wasser auf. Manche Dinge ändern sich nie. Sie tranken immer Tee zusammen, wenn sie sich trafen, was in letzter Zeit immer seltener vorkam. Kein Wunder. Schließlich hat sie ein erfülltes Privatleben. „Ich nehme an, sie hat dir bereits ihre Lebensgeschichte erzählt“, sagte Ashley spitz und deutete mit dem Kopf zu der Katze.

Olivia schmunzelte vage und kämpfte sich aus dem alten Mantel, an dem wie immer einige Strohhalme hingen. Obwohl sie und Tanner gut situiert waren, kleidete sie sich nach wie vor wie eine Landtierärztin. „Da gibt es nicht viel zu erzählen.“ Sie zuckte gelassen die Schultern, als wäre telepathischer Gedankenaustausch mit allen schuppigen, gefiederten und pelzigen Kreaturen etwas ganz Gewöhnliches. „Sie ist erst vierzehn Wochen alt und hat noch nicht sehr viel erlebt.“

„Ich will keine Katze“, teilte Ashley ihr unumwunden mit.

Olivia sank auf einen Stuhl am Tisch. Sie trug wie gewöhnlich Gummistiefel, die nicht besonders sauber aussahen. „Du glaubst nur, dass du Mrs Wiggins nicht willst. Sie braucht dich, und ob es dir bewusst ist oder nicht, du brauchst sie.“

Ashley drehte sich zum Wasserkessel um und versuchte, das niedliche Fellknäuel zu ignorieren, das mitten in der Küche seinem Schwanz nachjagte. Sie war verärgert, aber auch beunruhigt. „Solltest du überhaupt noch unterwegs sein? Du bist hochschwanger!“

„Bei Schwangerschaft geht es nicht um das Gewicht. Entweder man ist es oder nicht.“

„Du bist jedenfalls blass“, stellte Ashley besorgt fest. Sie hatte schon zu viele geliebte Menschen verloren – beide Eltern und ihren Großvater Big John. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass einem ihrer Geschwister etwas zustoßen könnte, egal welche Differenzen gerade zwischen ihnen bestehen mochten.

„Gieß einfach den Tee auf. Mir geht es blendend.“

Obwohl sie nicht die Gabe ihrer Schwester besaß, mit Tieren zu sprechen, war sie intuitiv veranlagt. Nun verriet ihr ein Prickeln, dass etwas Unerwartetes geschehen würde. Sie nahm am Tisch Platz und fragte argwöhnisch: „Stimmt etwas nicht?“

„Komisch, dass du das fragst.“ Obwohl ein kleines Lächeln um Olivias Lippen spielte, wirkten ihre Augen ernst. „Ich bin gekommen, um dich dasselbe zu fragen. Obwohl ich die Antwort ja bereits kenne.“

Sosehr Ashley die Unstimmigkeiten hasste, die zwischen ihr und ihren Geschwistern herrschten, neigte sie dazu, das Thema zu meiden. Sie sprang vom Stuhl auf, ging zu der antiken Anrichte und holte zwei zarte Porzellantassen aus dem Glasschrank.

„Ash?“

„Ich bin in letzter Zeit nur ein bisschen traurig. Das ist alles.“ Weil ich meine Mutter nie kennenlernen werde. Weil Weihnachten ein Desaster war.

Die Festtage hatten sich als Flop erwiesen. Schon seit Thanksgiving war kein einziger Gast in ihrem viktorianischen Bed and Breakfast abgestiegen. Dadurch war sie zwei Raten im Rückstand mit den Zahlungen an Brad, der ihr vor einigen Jahren ein Privatdarlehen für den Kauf der Frühstückspension gewährt hatte. Nicht, dass er wegen der Rückzahlung Druck auf sie ausübte. Er hatte ihr das Geld bedingungslos überlassen, aber sie bestand darauf, ihm jeden Cent zurückzuzahlen.

Darüber hinaus hatte sie seit sechs Monaten kein Wort von Jack McCall gehört. In einer schwülen Sommernacht hatte er seine Sachen gepackt und war sang- und klanglos verschwunden, während sie den letzten Liebesrausch ausgeschlafen hatte. Hätte er sie nicht wecken und ihr den Grund für den plötzlichen Aufbruch erklären können? Oder wenigstens eine Nachricht hinterlassen? Oder vielleicht mal zum Telefon greifen und ein Lebenszeichen geben?

„Es ist wegen Mom“, vermutete Olivia. „Du trauerst um die Frau, die sie nie war, und das ist okay. Aber es könnte dir helfen, mit uns über deine Gefühle zu reden.“

Ashley wirbelte so aufgebracht auf dem Absatz ihrer Sportschuhe herum, dass die Gummisohlen auf dem frisch gebohnerten Fußboden quietschten. Dann fiel ihr ein, dass Aufregungen bei Hochschwangeren vermieden werden sollten, und sie schluckte ihre Wut und Verzweiflung hinunter. „Lass uns nicht wieder davon anfangen.“

Das Kätzchen krabbelte an ihrer Jeans hinauf. Spontan bückte sie sich und hob es hoch. Mit zuckenden Öhrchen, die sie am Kinn kitzelten, kuschelte es sich in ihre Halsbeuge und schnurrte wie von Batterien angetrieben.

„Du bist ziemlich sauer auf uns, oder? Ich meine, auf Brad, Melissa und mich.“

„Nein“, behauptete Ashley nachdrücklich. Eigentlich wollte sie das Kätzchen absetzen, doch sie brachte es nicht über sich. Irgendwie schaffte es das federleichte Wesen, dass sie sich auf einmal geborgen fühlte.

„Komm schon, sei ehrlich!“ Olivia lächelte ein wenig wehmütig. „Wenn ich nicht im neunten Monat wäre, würdest du mir an die Kehle springen.“

Ashley zögerte, denn sie wollte nicht in Selbstmitleid verfallen. Mit dem Kätzchen auf der Schulter setzte sie sich wieder auf den Stuhl. „Ach, es ist nur, dass einfach gar nichts klappt. Das Geschäft. Jack. Der verdammte Computer, den du mir aufgeschwatzt hast.“

„Das ist aber nicht alles. Mach mir nichts vor. Du weißt doch, dass ich sonst keine Ruhe gebe.“

Der Kessel dampfte und stieß ein schrilles Pfeifen aus. Mrs Wiggins erschrak und sprang mit einem kläglichen Miauen zu Boden.

Olivia stand auf und nahm den Kessel vom Herd. „Bleib sitzen. Ich mache den Tee.“

„Das lässt du schön bleiben.“

„Ich bin bloß schwanger, nicht behindert. Also, sprich mit mir.“

Ashley seufzte. „Es muss furchtbar sein, so zu sterben wie Mom.“

„Delia war nicht bei Verstand. Sie hat nicht gelitten.“

„Sie ist gestorben, und niemand hat sich darum geschert.“

Olivia trat zu Ashley und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Du warst noch sehr klein, als sie weggegangen ist. Du kannst dich nicht erinnern, wie sie war.“

„Ich erinnere mich, dass ich jeden Abend gebetet habe, dass sie wiederkommt.“

„Wir wollten alle, dass sie nach Hause kommt. Zumindest am Anfang. Aber die Wahrheit ist nun mal, dass sie es nicht getan hat. Nicht mal, als Dad bei dem Gewitter gestorben ist. Nach einer Weile sind wir sehr gut ohne sie zurechtgekommen.“

Du vielleicht. Ich nicht. Jetzt ist sie für immer fort. Ich werde nie erfahren, wie sie wirklich war.“

„Sie war …“

„Sag es nicht!“

Die unsichtbare Mauer baute sich erneut zwischen ihnen auf und änderte schlagartig die Atmosphäre.

Olivia wich zurück. „Sie hat getrunken. Sie hat Drogen genommen. Sie war nie bei klarem Verstand. Wenn du dich anders an sie erinnern willst, ist es dein Recht. Aber erwarte nicht von mir, dass ich die Geschichte umschreibe.“

Mit einem Handrücken wischte Ashley sich Tränen von den Wangen. „In Ordnung“, sagte sie steif.

„Es bedrückt mich, dass wir uns nicht mehr so gut verstehen wie früher. Es ist, als würden wir auf verschiedenen Seiten einer tiefen Kluft stehen.“ Olivia hantierte einen Moment am Schrank und kehrte mit einer dampfenden Kanne Tee und zwei Tassen zurück. „Brad und Melissa belastet es auch. Wir sind schließlich eine Familie. Können wir uns nicht einfach darauf einigen, dass wir verschiedener Meinung sind, was Mom angeht?“

„Ich werde es versuchen.“

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Probleme mit dem Computer hast?“

Ashley war unendlich dankbar für den Themenwechsel, auch wenn sie sich gleichzeitig ärgerte. Sie verabscheute diesen neumodischen Apparat genau wie alles andere, was mit Elektronik zusammenhing. Das Ding wollte einfach nicht funktionieren, obwohl sie das Handbuch Wort für Wort befolgt hatte. Sie war ein altmodischer Typ und in mancherlei Hinsicht so viktorianisch wie ihr Haus. Sie besaß nicht einmal ein Handy, sondern nur ein Festnetztelefon.

„Carly und Sophie sind Computerfreaks. Sie richten dir liebend gern eine Website ein und zeigen dir, wie du im Internet surfen kannst.“

Brad und seine Frau Meg, geborene McKettrick, hatten gleich nach ihrer Hochzeit Megs Halbschwester Carly adoptiert, die ihren dreijährigen Stiefbruder Mac vergötterte und sich auf Anhieb mit Sophie, Tanners vierzehnjähriger Tochter aus erster Ehe, angefreundet hatte.

„Das wäre nett. Aber du weißt ja, dass ich mit technischen Geräten auf Kriegsfuß stehe.“

„Ich weiß auch, dass du nicht dumm bist.“ Olivia schenkte Tee für beide ein.

Das Kätzchen hüpfte Ashley unverhofft auf den Schoß, erschreckte sie und brachte sie zum Lachen. Wie lange war es her, seit sie das letzte Mal richtig gelacht hatte? Auf jeden Fall zu lange, nach Olivias Gesichtsausdruck zu urteilen.

„Geht es dir wirklich gut?“

„Mir geht es blendend. Ich bin mit dem Mann meiner Träume verheiratet. Ich habe in Sophie eine reizende Stieftochter, einen Stall voller Pferde und eine gut gehende Tierarztpraxis.“ Sie runzelte die Stirn. „Da wir gerade von Männern reden …“

„Lieber nicht.“

„Hast du immer noch nichts von Jack gehört?“

„Nein. Und das kann mir nur recht sein.“

„Das nehme ich dir nicht ab. Ich könnte Tanner bitten, ihn anzurufen und …“

„Nein!“

„Schon gut. Du hast recht. Das wäre hinterlistig, und Tanner würde bestimmt nicht mitspielen.“

Ashley streichelte das Kätzchen, obwohl sie eigentlich nicht vorhatte, es ins Herz zu schließen. „Jack und ich hatten eine Affäre. Sie ist offensichtlich vorüber. Ende der Geschichte.“

„Vielleicht brauchst du Urlaub. Und einen neuen Mann in deinem Leben. Du könntest so eine Kreuzfahrt für Singles machen.“

„Oh, wie verlockend! Ich würde Männer kennenlernen, die doppelt so alt sind wie ich, dicke Goldketten und schlechte Toupets tragen. Oder Schlimmeres.“

„Was könnte denn noch schlimmer sein?“

„Kunsthaar aus der Spraydose.“

Olivia lachte.

„Außerdem will ich hier sein, wenn dein Baby kommt.“

„Aber du solltest mehr ausgehen.“

„Wohin denn? Zum Bingo im Gemeindesaal? Oder soll ich mich der Bowling-Seniorenmannschaft anschließen? Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte: In Stone Creek geht nicht gerade die Post ab.“

„Da hast du allerdings recht.“ Olivia seufzte resigniert und sah auf die Uhr. „Ich treffe mich in zwanzig Minuten mit Tanner in der Klinik. Keine Panik, es ist nur eine Vorsorgeuntersuchung. Wollen wir beide danach zusammen essen?“

„Ich kann leider nicht. Ich muss einige Besorgungen erledigen.“ Das Kätzchen kletterte an Ashleys Hemd hinauf und kuschelte sich wieder in ihre Halsbeuge. „Du willst dieses Tier doch nicht wirklich bei mir abladen, oder?“

Lächelnd stand Olivia auf und trug ihre Tasse zur Spüle. „Gib Mrs Wiggins eine Chance. Wenn sie heute in einer Woche dein Herz noch nicht erobert hat, suche ich ihr ein anderes Zuhause.“ Sie nahm Big Johns schäbigen Mantel von der Hakenleiste neben der Hintertür, schlüpfte hinein und nahm ihre Tasche vom Küchenschrank. „Soll ich Sophie und Carly bitten, nach der Schule vorbeizukommen und nach deinem Computer zu sehen?“

„Warum nicht?“

„Abgemacht“, sagte Olivia, und damit verschwand sie zur Tür hinaus.

Ashley hielt sich das Kätzchen vor das Gesicht. „Du bleibst nicht hier.“

„Miau“, antwortete Mrs Wiggins kläglich.

„Na gut. Aber wenn ich auch nur einen einzigen Ziehfaden in meinen neuen Seidenbezügen entdecke …“

Der Helikopter neigte sich schwindelerregend zur Seite. Von einem Fieberschub geschüttelt, klammerte Jack McCall sich möglichst unauffällig an die Sitzkante.

Vince Griffin merkte es dennoch und verkündete: „Du gehörst ins Krankenhaus, nicht in irgendeine Pension am Ende der Welt.“

Seine Stimme klang blechern durch die Kopfhörer. Er war für Jack mehr als nur ein Pilot, der seit vielen Jahren in Jacks Security-Firma angestellt war. Er war vor allem ein guter Freund.

Jack hatte keine Ahnung, was ihm eigentlich fehlte. Er wusste nur, dass es nicht ansteckend war. Die Seuchenschutzbehörde hatte ihn lange genug in Quarantäne gesteckt, um das eindeutig abzuklären. Doch es lag immer noch keine genaue Diagnose vor, und somit gab es kein Heilmittel außer viel Ruhe. „Ich mag keine Krankenhäuser. Da sind so viele kranke Leute.“

Vince grinste. „Was zieht dich denn ausgerechnet nach Stone Creek in Arizona? Da gibt’s doch so ziemlich gar nichts.“

Ashley O’Ballivan ist in Stone Creek, und sie ist etwas ganz Besonderes. Doch Jack hatte weder genug Kraft noch Lust, das zu erklären. Nachdem er sie vor sechs Monaten wegen eines Notrufs Hals über Kopf verlassen hatte, erwartete er nicht, willkommen zu sein. Aber wie er sie kannte, war sie so großzügig, ihn trotz allem aufzunehmen.

Ich muss unbedingt zu ihr. Dann wird alles wieder gut. Mit diesem Gedanken im Kopf schloss er die Augen und ließ sich vom nächsten Fieberschub übermannen.

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er durch einen heftigen Ruck wieder zu sich kam und feststellte, dass der Hubschrauber gelandet war. Verschwommen sah er einen Krankenwagen auf dem Rollfeld stehen. Anscheinend war die Dämmerung hereingebrochen, aber er war sich nicht sicher. Seit das Gift in seinem Körper wütete, konnte er seinen Wahrnehmungen nicht mehr trauen.

Tage wurden Nächte. Oben war plötzlich unten.

Laut Diagnose der Ärzte war ein Gehirntumor ausgeschlossen. Jack hatte trotzdem das Gefühl, dass irgendetwas sein Gehirn auffraß.

„So, da wären wir“, sagte Vince.

„Ist es dunkel, oder werde ich blind?“

„Es ist dunkel.“

„Gott sei Dank.“ Jacks Kleidung – wie üblich schwarze Jeans und schwarzer Rollkragenpullover – fühlte sich feucht auf seiner Haut an. Er begann, mit den Zähnen zu klappern.

Zwei Männer luden eine Trage aus dem Krankenwagen und warteten unschlüssig darauf, dass der Rotor zum Stillstand kam, damit sie sich dem Hubschrauber nähern konnten.

Vince öffnete seinen Sicherheitsgurt. „Na toll! Die beiden Gestalten sehen aus wie Zivis, nicht wie echte Rettungssanitäter. Die Seuchenschutzbehörde hatte dich aus gutem Grund im Walter Reed untergebracht. Kannst du mir sagen, warum das nicht gut genug für dich war?“

Es gab nichts gegen das berühmte Militärkrankenhaus einzuwenden, aber er stand nicht im Dienst der US-Regierung, zumindest nicht offiziell. Es ging ihm einfach gegen den Strich, ein Bett zu belegen, das womöglich für einen verwundeten Soldaten gebraucht wurde, und in einem gewöhnlichen Spital hätte er eine allzu leichte Beute für seinen Widersacher abgegeben.

Vince begrub die Hoffnung, eine Antwort zu bekommen. Kopfschüttelnd öffnete er die Tür und sprang zu Boden.

Jack nahm den Kopfhörer ab und fragte sich, ob er aus eigener Kraft stehen konnte. Nachdem er eine Weile erfolglos mit der Schnalle des Sicherheitsgurts hantiert hatte, entschied er, es lieber nicht darauf ankommen zu lassen.

Im nächsten Moment wurde die Tür auf seiner Seite aufgerissen. Sein alter Freund Tanner Quinn erschien und öffnete den Gurt. „Du siehst aus wie eine wandelnde Leiche“, bemerkte er in munterem Ton, doch seine Augen blieben ernst.

„Seit wann bist du denn Sanitäter?“

Tanner stützte ihn mit der Schulter und half ihm aus dem Hubschrauber. „In einem Nest wie Stone Creek muss jeder mit anpacken.“

„Ach so.“

Vince sah, dass Jacks Knie nachgaben, lief zu ihm und stützte ihn auf der anderen Seite. „Gibt es in diesem Kuhdorf überhaupt ein Krankenhaus?“, fragte er gereizt.

„In Indian Rock gibt es eine gute kleine Klinik, und zum Bezirkskrankenhaus in Flagstaff ist es auch nicht weit“, erwiderte Tanner gelassen. „Du bist in guten Händen, Jack. Meine Frau ist die beste Tierärztin im Staat.“

Vince murrte einen Fluch vor sich hin.

Jack grinste und stolperte zwischen den beiden Männern herum, die ihn zu der Trage bugsierten. Er wurde von dem zweiten Sanitäter festgeschnallt, was einige böse Erinnerungen heraufbeschwor, und mit vereinten Kräften in den Krankenwagen gehievt. „Ich bin übrigens nicht ansteckend“, erklärte er, als Tanner zu ihm ins Heck stieg und sich auf einen Klappsitz neben der Trage hockte.

„Das habe ich schon gehört. Hast du Schmerzen?“

„Nein. Aber womöglich kotze ich dir auf die schicken Cowboystiefel.“

„Du merkst ja auch alles. Alle Achtung, in deinem Zustand.“ Schmunzelnd hob Tanner einen Fuß und zog das Hosenbein hoch, um die Stickerei auf dem Schaft zu zeigen. „Mein Schwager Brad hat sie mir geschenkt. Er hat sie früher auf der Bühne getragen, als er auf seinen Konzerttourneen reihenweise Herzen gebrochen hat. Er hat bei jedem Auftritt Tee aus einer Whiskyflasche gesoffen, um für einen harten Typen gehalten zu werden.“

Jack musterte seinen engsten und vertrautesten Freund und fragte sich, ob es klug gewesen war, nach Stone Creek zurückzukehren.

Seit die seltsame Krankheit ausgebrochen war – eine Woche nach der Rückholung eines siebenjährigen Mädchens von ihrem drogenabhängigen und kriminellen Vater –, konnte er an nichts anderes als an Ashley denken. Sofern er überhaupt fähig war, einen klaren Gedanken zu fassen.

Jetzt, in einem der ersten lichten Momente, seit er sich am Vortag selbst aus dem Krankenhaus entlassen hatte, wurde ihm bewusst, dass er womöglich einen großen Fehler machte. Nicht, dass er Ashley überhaupt aufsuchte; das und mehr war er ihr schuldig. Aber er brachte sie womöglich in Gefahr, und dazu Tanner und dessen Tochter und schwangere Frau.

Leise sagte er: „Ich hätte nicht herkommen sollen.“

Ungehalten biss Tanner die Zähne zusammen und schüttelte den Kopf über die Bemerkung. Seit er verheiratet war und seine Konstruktionsfirma verkauft hatte, um sich in Arizona als Rancher zu versuchen, war er ein wenig weicher geworden, aber er war noch immer ein Raubein.

„Falsch. Du hättest nicht weggehen dürfen. Du gehörst hierher, Kumpel. Hättest du vor sechs Monaten genug Verstand besessen, um das zu begreifen, anstatt Ashley im Stich zu lassen, würdest du jetzt nicht in diesem Schlamassel stecken.“

Ashley. Der Name war Jack in diesen sechs Monaten tausendfach in den Sinn gekommen. Ihn jetzt von jemand anderem laut ausgesprochen zu hören, verschlug ihm die Sprache.

„Ich hatte schon das Gefühl, es würde bald etwas passieren“, sagte Ashley zu dem Kätzchen, während sie es von der Gardine im Wohnzimmer pflückte und beobachtete, wie ein Krankenwagen direkt vor ihrem Haus anhielt.

Ohne sich einen Mantel zu holen, trat sie hinaus auf die Veranda. Ihr Herz pochte. Einen Moment fühlte sie sich wie erstarrt, nicht vor Kälte, sondern von einer seltsamen Vorahnung gelähmt. Dann stieg sie vorsichtig die eisigen Stufen hinunter und eilte über den Gehweg und durch das Tor. „Was …“, setzte sie an, doch der Rest der Frage blieb unausgesprochen.

Tanner war aus der Ambulanz gestiegen und blickte sie mit einem höchst seltsamen Gesichtsausdruck an. „Ich habe eine Überraschung für dich.“

Jeff Baxter, der zweite ehrenamtliche Sanitäter, kam vom Fahrersitz nach hinten und baute sich vielsagend vor der offenen Hecktür auf. Er sah aus, als sei er auf eine gewaltige Explosion vorbereitet.

Ungeduldig zwängte Ashley sich zwischen die beiden Männer und spähte in den Krankenwagen.

Jack McCall saß aufrecht auf der Trage und grinste betreten. Sein schwarzes Haar, bei ihrer letzten Begegnung militärisch kurz geschnitten, war nun länger und ein wenig zottelig. Seine Augen glühten fiebrig. Mit gerunzelter Stirn fragte er: „Wessen Hemd ist das?“

Vor lauter Verblüffung verstand sie die Frage nicht sofort. Mehrere Sekunden verstrichen, bis sie an sich hinuntersah. „Deins.“

„Gut“, sagte er erleichtert.

Sie überwand den Schrecken, der ihr bei Jacks Anblick in die Glieder gefahren war, und erkundigte sich: „Was machst du denn hier?“

Er rutschte näher zur Tür und fiel beinahe aus den Krankenwagen, sodass Tanner und Jeff ihn festhalten mussten. „Ich checke ein. Du bist doch immer noch im Geschäft, oder?“

Der Mann hat Nerven! „Du gehörst in ein Krankenhaus, nicht in ein Bed and Breakfast.“

„Ich brauche einen Ort, um mich für eine Weile bedeckt zu halten.“ Sein markantes Gesicht nahm einen verletzlichen Ausdruck an. „Ich bin bereit, das Doppelte zu zahlen. Bist du dabei?“

Ihre Gedanken überschlugen sich. Ihn nach ihrer misslichen Vorgeschichte unter ihrem Dach zu haben, gefiel ihr gar nicht. Aber sie konnte es sich nicht leisten, einen zahlenden Gast abzuweisen. Und nicht nur wegen ihrer Schulden bei Brad. Die Rechnungen begannen sich zu stapeln. „Nur, wenn du verdreifachst.“

Jack blinzelte verblüfft, doch dann schmunzelte er. „Okay. Das Dreifache. Obwohl eindeutig Nebensaison ist.“

Jeff und Tanner schleppten ihn ins Haus.

Ashley stand noch einige Augenblicke auf dem verschneiten Bürgersteig.

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