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Grenzenlos wie meine Lust

Seit Wochen jettet Juliana um die halbe Welt; sie testet beruflich den Service einer Airline. Völlig gestresst verpasst sie beinahe den letzten Flug nach Hause - da kommt ihr ein überwältigend gut aussehender Fremder zu Hilfe. Ein kleiner Flirt mit einem heißen Typen könnte doch für Entspannung sorgen! Die Begegnung mit Law über den Wolken endet grenzenlos erotisch … Er geht Juliana unter die Haut - und nicht mehr aus dem Kopf! Kurz darauf begegnen sie sich wieder - Zufall? Welche Pläne verfolgt der einflussreiche Law wirklich?


  • Erscheinungstag: 01.04.2021
  • Seitenanzahl: 208
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745752878
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

In der Toilettenkabine des Airbus A380 blinkte das Anschnallzeichen auf, doch Juliana bemerkte es gar nicht. Die Lippen des Mannes hatten die ihren erobert, und er ließ seine kräftigen Hände über ihren übergroßen Kaschmir-Tunikapullover nach unten gleiten, schob sie unter den Stoff und legte sie heiß und schwer auf ihre Hüften. Sie drängte sich ihnen entgegen und erhaschte in dem kleinen Spiegel über dem winzigen Stahlwaschbecken einen Blick auf ihr Gesicht. Ihr dunkles Haar war zerzaust, ihre Wangen waren gerötet und ihre Pupillen geweitet, sodass ihre normalerweise hellbraunen Augen beinahe schwarz aussahen. Der Mann war so groß, so durchtrainiert … Seine Rücken- und Schultermuskeln bewegten sich unter seinem dünnen T-Shirt, als er sich mit dem Mund zu ihrem Hals vorarbeitete.

Würde sie es tun? Würde sie wirklich Sex auf einer Toilette haben? Jenseits der dünnen Plastiktür saß ein ganzes Flugzeug voller Passagiere, die zweifellos alles mitanhören konnten, sofern sie nicht mit Kopfhörern auf den Ohren an ihren Handys, Tablets und Notebooks klebten, deren flackernde Displays auf diesem Nachtflug die einzige Lichtquelle in der abgedunkelten Kabine waren. Der Mann, der ihr vor zwei Stunden noch völlig fremd gewesen war, zog eine Spur aus Küssen über ihren Hals. Sie stöhnte unwillkürlich auf, als er mit der Zunge ihr Ohrläppchen liebkoste und hauchzart mit den Zähnen daran knabberte.

Es war schon zu lange her, dass sie ihren Kopf das letzte Mal abgeschaltet und den Bedürfnissen ihres Körpers nachgegeben hatte. Sie hatte vergessen, wie gut sich das anfühlen konnte. Ihr Körper schrie förmlich nach dieser Erlösung, stand lichterloh in Flammen. So etwas hatte Juliana noch nie im Leben getan – Sex mit einem Fremden? Sex in einem Flugzeug?

Doch sie wollte ihn tief in sich spüren; sie wollte, dass er sie so ausfüllte, wie nur ein Mann es konnte. Genau das wollte sie: diesen Mann, zu ihren Bedingungen. Sie hatte das hier angefangen, und sie würde es auch zu Ende bringen.

Abrupt wurde ihr klar, dass sie nicht einmal den Nachnamen des Mannes kannte, ja, nicht einmal wusste, wo er lebte, und doch stand sie hier und küsste ihn, als gäbe es kein morgen, spürte ihn an sich gepresst in dem beengten Räumchen, spürte den immer härter werdenden Beweis seines Verlangens nach ihr an ihrem Bauch. Ja, sie wollte es. Hier. Jetzt. Schnell, schmutzig, praktisch anonym. Wie zwei Tiere, die einfach ihren Instinkten folgten. Dieses eine Mal in ihrem so überaus hektischen Leben würde sie ihren überaktiven Verstand ausschalten und sich nur auf das hier konzentrieren, auf diese eine Sache, den Mund dieses Mannes auf ihrem, seinen starken, muskulösen Körper vor ihr.

Keuchend unterbrach er den Kuss, dann drehte er sich mit ihr um und hob sie auf den schmalen Rand des Waschbeckens, als wäre sie leicht wie eine Feder, und plötzlich wurde ihr klar, wie stark er tatsächlich war, wie kompakt und kräftig seine Muskeln sein mussten. Sie fing seinen Blick aus diesen unglaublich blauen Augen auf und spürte, wie sich ihr eigenes Verlangen zwischen ihren Beinen Ausdruck verlieh. Sie hatte ihn schon in dem Augenblick gewollt, als sie ihn gesehen hatte, und jetzt würde sie ihn bekommen. Ich bin ein brünstiges Tier, das nur noch von seinen Instinkten gesteuert wird, von purer Begierde. Er griff in den Taillenbund ihrer Stretch-Leggins, zog sie hinunter und deckte damit Julianas Geheimnis auf: Sie trug keine Unterwäsche.

Er ließ die Hände ihr Bein hinaufwandern und stieß auf ihre Nacktheit. Er grinste und zog fragend eine Augenbraue hoch. Eigentlich trug sie bloß der Bequemlich halber keine Unterwäsche, doch jetzt wurde ihr klar, dass er dem Ganzen eine völlig andere Bedeutung zumaß. „Sieh mal an“, murmelte er überrascht, während er sich weiter vortastete und zärtlich ihre empfindsame Klitoris streichelte. Julianas Herz begann zu rasen, als er über ihre feuchte Mitte strich. „Warst du schon bereit, als du hier reingegangen bist?“

Sie wollte ihm sagen, dass sie so etwas noch nie getan hatte, in ihrem ganzen Leben noch nicht, doch ihr schnürte sich der Hals zu, und sie brachte kein Wort heraus. Nicht in diesem Moment, da seine Lippen ihren so nah waren. Die nackte Wahrheit war, dass sie überhaupt noch nie etwas getan hatte, das dem hier auch nur ansatzweise nahekam: Sex mit einem Fremden in einem Flugzeug oder überhaupt an irgendeinem öffentlichen Ort. Der Mile-High-Club? Diese Mitgliedschaft hatte sie nie angestrebt und auch nie erwartet, dass sie sie je erhalten würde.

Plötzlich drang er mit den Fingern in sie ein, und sie schnappte nach Luft. Seine Berührung trieb sie in den Wahnsinn, und ihr wurde klar, dass er jetzt wohl unweigerlich gemerkt haben musste, wie sehr sie ihn wollte, wie feucht er sie gemacht hatte.

„Ja, du warst schon bereit, als du hier reingegangen bist“, murmelte er, und sie stellte fest, dass er damit richtiglag. Sie hatte das Gefühl, schon immer bereit für das hier gewesen zu sein. Für ihn.

Das Herz hämmerte ihr in der Brust. So war es noch nie mit einem Mann gewesen – so heiß, animalisch, drängend. Die Angst, erwischt zu werden, war allgegenwärtig, und das Bewusstsein, dass sie hier gerade gegen alle Regeln des Anstands verstießen, verwandelte jede Berührung in glühend heiße Begierde. Für gewöhnlich bestand Juliana immer erst auf einem gemeinsamen Abendessen, und der Mann musste eine ganze Reihe von Bewährungsproben bestehen, bevor sie ihm auch nur einen Blick auf ihre Unterwäsche gestattete. Doch jetzt, hier, in diesem Flugzeug, würde sie diesem Fremden alles geben. An Ort und Stelle. Ohne irgendwelche Bedingungen. Ohne jegliche Verpflichtung.

Vielleicht hatte sie das ja schon seit Langem gebraucht. Schmutzigen, schnellen Sex mit einem Fremden, bei dem sie zur Abwechslung mal nicht die korrekte, förmliche Gutachterin sein musste, nicht die Expertin im adretten Businesskostüm, die sie den ganzen Tag lang spielte. Hier konnte sie sein, wer sie sein wollte: eine Frau, die sich einen Mann nahm, wann und wo es ihr gefiel; eine Frau, die halbnackt mit gespreizten Beinen auf dem Waschbecken einer Toilettenkabine saß, so erregt wie noch nie zuvor.

Jede Minute konnte die Flugbegleiterin an die Tür klopfen. Oder ein anderer Passagier. Sie konnten hier jederzeit erwischt werden. Und doch fühlte sie sich auf merkwürdige Weise … frei. Zum ersten Mal seit Langem fühlte sie sich lebendig. Sie war dabei, etwas Falsches zu tun, und doch fühlte es sich vollkommen richtig an. Das hier war ihre Entscheidung. Und es war einfach herrlich.

Er bewegte seine Finger in ihr, und sie ließ mit einem wohligen Stöhnen den Kopf in den Nacken fallen und stieß dabei gegen den Waschbeckenspiegel. Sie wiegte die Hüften im Rhythmus seiner Hände. Es fühlte sich so gut an, wahnsinnig gut. Vielleicht würde er sie direkt hier kommen lassen. Sie gab sich ganz ihrem Verlangen hin und stöhnte noch lauter auf.

Hat das jemand gehört? fragte sie sich. Lauschte vielleicht gerade jetzt jemand an der Tür. Und kümmerte es sie überhaupt?

Der Mann trat in dem beengten Raum ein Stück zurück, und sie stürzte sich auf seinen Reißverschluss, begierig darauf, die Sache voranzutreiben, begierig darauf, es endlich zu tun. Er küsste sie erneut leidenschaftlich, und wieder stöhnte sie auf, als der Rausch des Verlangens, ein Tsunami der Begierde, all ihre Sinne überflutete. Sie befreite sein bestes Stück, und es lag schwer, hart und gleichzeitig samtig weich in ihren Händen.

Ja, danach lechzte sie. Nach ihm, danach, ihn ganz in sich zu spüren. Zum Teufel mit den Konsequenzen. Denn aller Wahrscheinlichkeit nach würden sie sich nie wiedersehen. Sie kannte ja noch nicht einmal seinen vollen Namen, und dabei hielt sie gerade den intimsten Teil von ihm in den Händen. Und der war ganz schön beeindruckend. Dick. Ziemlich groß und, oh, so unglaublich bereit für sie.

Er stöhnte auf, als sie die Hände um ihn legte und spürte, wie groß auch sein Verlangen war. Er begehrte sie ebenso sehr wie sie ihn. Mit einem Mal fühlte sie sich ganz trunken, mächtig, während sie ihn so in Händen hielt.

Es würde wirklich passieren. Sie konnte es kaum glauben. Sie war diesem Mann gerade erst begegnet, einem x-beliebigen Fremden, der zufällig in der Sitzreihe am Notausstieg neben ihr gesessen hatte, und jetzt stand sie kurz davor, ihn in sich eindringen zu lassen, was sie in ihrem ganzen bisherigen Leben nur einer Hand voll Männern erlaubt hatte. Sie sah in seine blauen Augen und betrachtete sein sexy, markantes Kinn. Ja, sie wollte ihn. So sehr. Ohne Reue. Nicht für das hier.

Er drängte sich an sie, und seine pralle Spitze drückte gegen ihre empfindlichste Stelle wie ein Versprechen der Wonne, der reinsten animalischen Lust, der köstlichen, süßen Erlösung. Ständig hielt sie in ihrem Leben die Zügel fest in der Hand, und jetzt würde sie sie endlich einmal loslassen. Sie würde einfach alles loslassen. Sie hielt sich an seinen Schultern fest und sehnte sich tief im Innern danach, ausgefüllt zu werden, gedehnt zu werden, zu neuen Höhen emporgetragen zu werden, während dieser Blechvogel Tausende von Fuß über dem Boden durch die Wolken segelte.

„Bist du so weit?“, fragte er und rieb erneut seine Eichel an ihr. Eine Welle heißen Verlangens schoss ihr durch die Schenkel bis in die Knie.

„Ja“, flüsterte sie heiser und krallte ihm die Fingernägel in die Schultern. In ihrem ganzen Leben war sie noch nie so bereit gewesen.

1. KAPITEL

Zwei Stunden vorher.

Juliana konnte es nicht ausstehen, sich zu verspäten. Sie rannte durch das Terminal am JFK Airport, vorbei an Vätern, die Kinderwagen vor sich her schoben, und sonnenverbrannten College-Studenten auf dem Rückweg aus dem Spring Break, und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sie das Gate noch erreichte, bevor es schloss. Sie musste diesen Flug – den letzten Heimflug nach Chicago – unbedingt erwischen.

Sie hatte ihrer Schwester nämlich versprochen, zu ihrem Geburtstagsessen morgen Abend zu erscheinen, doch ihre Gutachtertätigkeit im Rahmen des Blue-Sky-Projekts spannte sie dermaßen ein, dass sie schon seit Wochen nicht mehr zu Hause gewesen war. Stattdessen war sie kreuz und quer durchs ganze Land gejettet, um die größte Fluggesellschaft der USA zu beurteilen. Sie wäre eigentlich pünktlich am JFK eingetroffen, aber der Verkehr war die Hölle gewesen und um den Flughafen herum sogar noch schlimmer als üblich. Plötzlich verkündete ihre Smartwatch mit einem Piep, dass eine neue Textnachricht eingegangen war. Juliana sah aufs Display.

Garrison hatte ihr geschrieben.

Wir müssen reden.

Juliana stöhnte. Sie hatte jetzt keine Zeit für ihren Boss. Er konnte warten. Sie rannte weiter durch den Flughafen, ihr schicker Handkoffer wirbelte auf seinen Rollen hinter ihr her, und ihr dunkles Haar, das sie, wie üblich, in einem strengen Knoten trug, drohte sich zu lösen, während sie so durch den Terminal hechtete. Wenn sie diesen Flug nicht erwischte … würde sie einen ganzen Tag lang auf den nächsten warten müssen, und sie brauchte diesen Tag, um ihr Gutachten zu erstellen – mit dem sie aber erst anfangen konnte, wenn sie den Service der Fluglinie auf eben diesem Flug beurteilt hatte.

Sie näherte sich dem Gate und sah dort eine Mitarbeiterin in Blue-Sky-Uniform – dunkelblauer Hosenanzug mit blauweißem Halstuch – stehen. Gott sei Dank!

Keuchend erreichte sie den Schalter und hielt ihr Ticket hoch. „Gerade … noch … geschafft“, keuchte sie völlig außer Atem.

„Ich bedaure, Miss“, erwiderte die Airline-Mitarbeiterin, „aber wir sind schon beim Boarding der Standby-Passagiere und haben Ihren Platz bereits vergeben.“

„Aber … das Gate ist doch noch offen, und ich habe ein Ticket.“ Juliana hielt ihr Business-Class-Ticket hoch wie ein Beweisstück vor Gericht. „Ist der Standby-Passagier denn schon an Bord?“

Die Airline-Angestellte – „Bette“, ihrem Namenschild zufolge – sah widerstrebend auf ihren Computermonitor und tippte mit einem Gesichtsausdruck, an dem abzulesen war, wie lästig sie diese zusätzliche Arbeit fand, auf der Tastatur herum. „Nein, noch nicht.“ Ihre Stimme klang abgehackt, gereizt. Und genau deshalb steckt ihr in diesem Social-Media-Marketing-Schlamassel, dachte Juliana. Genau deshalb beschweren sich eure Kunden über euren herablassenden Umgang mit ihnen.

„Dann lassen Sie mich bitte an Bord.“ Sie war schließlich die zahlende Kundin, die eigentliche Kundin, wohingegen ein Standby-Passagier eben nur jemand ohne Ticket war, der bloß darauf hoffte, noch eins zu ergattern. Sie machte sich im Geist einen Vermerk über das mürrische Verhalten der Airline-Angestellten und über ihre mangelnde Hilfsbereitschaft. Zahlenden Kunden den Flug zu verwehren, hatte Blue Sky in letzter Zeit in arge Schwierigkeiten gebracht, nachdem sich eine Reihe vernichtender Videos rasend schnell im Internet verbreitet hatte. Und hier stand schon wieder eine wenig hilfsbereite Mitarbeiterin, der anscheinend gar nicht bewusst war, welches schlechte Licht sie hier gerade auf das Unternehmen warf. Auf jeden Fall würde Juliana das in ihr Fusions- und Übernahmegutachten für AM Airlines mit aufnehmen.

„Aber der Standby-Passagier ist ein Mitarbeiter der Airline, und ich fürchte …“

„Kann ich vielleicht helfen?“ Eine tiefe Baritonstimme hinter ihr ließ Juliana zusammenzucken. Sie wirbelte herum und vor ihr stand ein großer Mann, schätzungsweise in den Vierzigern, mit den schönsten blauen Augen, die sie je gesehen hatte. Er trug dunkle Jeans und ein eng anliegendes Polohemd über seiner breiten Brust und sah eher wie der Hauptdarsteller eines Films aus als wie ein x-beliebiger Flugpassagier. Normalerweise achtete Juliana nicht darauf, ob jemand attraktiv war oder nicht, wenn sie sich unter Fremden befand, doch dieser Mann hatte irgendetwas an sich, das es ihr unmöglich machte, ihn zu ignorieren. Sie konnte seine Anziehungskraft beinahe spüren, wie eine Macht, die ihre volle Aufmerksamkeit verlangte, wie ein Wikinger, der eine fremde Küste eroberte.

„Sir …“ Die Angestellte wirkte zunehmend griesgrämiger.

„Ich bin ein Standby-Passagier“, erklärte er, und seine tiefe Baritonstimme ging Juliana durch und durch, so kraftvoll klang sie. „Wenn es hilft, verzichte ich auf meinen Platz.“ Er reichte der Mitarbeiterin sein Standby-Ticket, sodass diese seinen Namen lesen konnte.

Juliana warf ihm einen überraschten Blick zu. Sie hatte immer geglaubt, es gäbe keine Ritterlichkeit mehr, vor allem nicht an Flughäfen. Jeder war nur sich selbst der Nächste, ob an den Gates, in den Fliegern oder an der Gepäckausgabe. Sein Angebot überraschte sie. Der Mann sah Juliana an und lächelte, ein strahlend weißes, blendendes Lächeln. Ob er berühmt war? Er schien diese gewisse Ungezwungenheit zu besitzen, wie jemand, der es zu etwas gebracht hatte. Ihr Blick fiel auf seine Bruno-Mali-Wildlederslipper. Ja, er besaß eindeutig ein prall gefülltes Bankkonto. Dennoch zögerte Juliana. Wollte sie sich wirklich von einem Fremden helfen lassen? Sie war ja schließlich keine Jungfrau in Nöten. Sie kam ganz gut allein zurecht. Sie bat nie um Hilfe, denn das war ein Zeichen von Schwäche, und sie war nicht schwach.

Eine zweite Blue-Sky-Mitarbeiterin sah vom benachbarten Schalter hoch. „Bette, kann ich Sie kurz sprechen?“, rief sie ihre Kollegin zu sich. Die beiden Frauen steckten die Köpfe zusammen und unterhielten sich, und innerhalb von Sekunden wurde Bette kreidebleich. Was war passiert? Was hatte die Kollegin zu ihr gesagt? War Julianas Tarnung aufgeflogen? Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die einfachen Angestellten von ihrer Identität als Gutachterin wussten, die Inkognito-Flüge unternahm, um den Kundenservice zu bewerten.

„Es tut mir furchtbar leid“, stammelte Bette, als sie an ihren Schalter zurückkam. „Wir haben Platz für Sie beide auf diesem Flug, das ist gar kein Problem.“ Sie warf einen Blick auf Julianas Ticket, nickte rasch und tippte mit klackernden Fingernägeln hastig auf ihrer Tastatur herum, und schon spuckte der kleine Drucker am Schalter zwei neue Tickets aus. „Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich Ihnen neue Plätze zugewiesen habe. Sie sitzen jetzt in der Touristenklasse, aber …“

„Das macht mir nichts aus“, erwiderte Julianas Retter. „Es sei denn, Sie haben etwas dagegen?“

Juliana sah den faszinierenden Mann neben sich an und musste den Hals recken, weil er so groß war. Sie fragte sich, ob sie sich überhaupt auf ihre Arbeit würde konzentrieren können, wenn er neben ihr saß. Und sie fragte sich, ob er tatsächlich berühmt war – so, wie die Angestellten vor ihm katzbuckelten. Vielleicht lag es aber auch nur an seinem verschmitzten Lächeln.

„Nein, ich habe nichts dagegen“, sagte sie.

„Sehr schön. Und entschuldigen Sie bitte nochmals die Unannehmlichkeiten, Ms. Hart“, redete die Angestellte eindringlich auf Juliana ein. Vielleicht hatte ihnen doch jemand gesteckt, dass Juliana hier war, um ihre Leistung zu beurteilen. Aber wer? Falls jemand ihre Flugroute hatte durchsickern lassen, wäre ihre Beurteilung dieses Fluges müßig, denn es war ja Sinn und Zweck des Ganzen, dass sie anonym blieb, einfach eine normale Passagierin. Sie warf einen Blick auf den Mann hinter sich.

„Ja, ich möchte mich noch einmal dafür entschuldigen.“ Bette scannte beide Tickets ein, gab sie ihnen wieder zurück, wobei ihr Blick einen Hauch länger auf Julianas Retter verweilte. Nein, dachte Juliana, hier ging es überhaupt nicht um sie. Sondern um ihn. Er war der Grund, weshalb man sie doch noch an Bord ließ.

„Kein Problem“, tat er das Ganze mit einer wegwerfenden Handbewegung ab und trat zurück. In seiner Stimme schwang ein kaum hörbarer Akzent mit. Britisch? Juliana konnte es nicht genau festmachen.

Er sah Juliana an und ließ ihr mit einer Handbewegung den Vortritt. Schon wieder diese Ritterlichkeit. Einerseits sträubte sich alles in ihr dagegen, denn sie war schon immer stark genug gewesen, sich selbst die Tür zu öffnen und sich einen Stuhl zurechtzurücken, doch andererseits empfand sie es auf merkwürdige Weise … erfrischend. Sie war so daran gewöhnt, die Ellbogen auszufahren, um sich inmitten ihrer überwiegend männlichen Kollegen einen Platz am Konferenztisch zu erkämpfen, dass sie völlig vergessen hatte, wie es war, wenn ein Mann sich mal nicht vordrängelte.

Sie zog ihren kleinen Rollkoffer durch die offene Tür des Gates, und sie gingen die Gangway hinab. In dem Aluminiumkorridor mit dem dünnen Teppich konnte sie die schweren Schritte des Mannes hinter sich förmlich spüren. Der Mann war groß und ganz eindeutig muskulös. Wer war er nur, dass er bloß mit den Fingern zu schnippen brauchte und die Leute sprangen?

Eine Flugbegleiterin nahm sie mit einem kurzen Nicken in Empfang, las ihre Tickets und dirigierte sie dann in die obere Ebene des zweistöckigen Airbus – dem fliegenden Gegenstück zu einem Doppeldeckerbus, dachte Juliana. Das riesige Flugzeug würde erst nach Chicago und dann weiter nach Honolulu fliegen. Sie kannte den Flugplan auswendig; das gehörte zum Grundwissen im Rahmen ihres Blue-Sky-Projekts.

Trotzdem wurde ihr etwas flau im Magen, als sie das Flugzeug bestieg. Aber das hatte nichts zu bedeuten. Sie flog ständig und war dabei nie nervös, also warum hatte sie plötzlich das Gefühl, von den Wänden des Flugzeugs erdrückt zu werden? Sie versuchte, das Gefühl abzuschütteln. Reiß dich zusammen. Sie sah auf ihr Ticket und stellte fest, dass ihre Plätze ganz hinten in der letzten Reihe waren. Tja, das hatte man wohl davon, wenn man zu spät kam, dachte sie und hoffte, es würde auf dem langen Flug nicht allzu unangenehm werden, so nah an der Toilettenkabine zu sitzen.

„Fensterplatz oder Gang?“, fragte Juliana den Mann.

„Was ist Ihnen denn lieber?“, gab er die Frage zurück, legte den Kopf schief und sah sie mit seinen klaren blauen Augen aufmerksam an. Er ließ sich nicht anmerken, ob es ihm wichtig war, wo er saß. Seine breiten Schultern versperrten den Gang, während er auf ihre Antwort wartete.

„Fenster“, antwortete Juliana. „Wenn das in Ordnung ist.“ Am Gangplatz kam es oft vor, dass die Flugbegleiterinnen mit ihrem Wagen gegen ihren Laptop oder Ellbogen stießen, wenn sie nicht aufpasste, und das konnte sie nicht ausstehen.

„Absolut.“ Erneut strahlte er sie mit diesem Lächeln wie aus einer Zahnpastareklame an. Wow, seine Augen waren so blau wie kristallklares Wasser, beinahe so eisblau wie bei einem Wolf. Irgendwie strahlte er auch etwas Gefährliches aus, jene herrliche Art von Gefahr, die atemlosen Spaß versprach, so, wie ohne Helm auf dem Sozius eines Motorrads mitzufahren. Seine Haltung zeugte von Selbstvertrauen, und sein Benehmen verriet Juliana, dass er erfolgreich, weltgewandt und kultiviert war. Sie versuchte, die Griffstange ihres Koffers zurückzuschieben, da beugte der Mann sich zu ihr.

„Lassen Sie mich Ihnen helfen“, sagte er mit fester Stimme, die keinen Einwand zuließ, und hob ihren Koffer ins Gepäckfach, als wäre er leichter als ein Kissen. Das hätte ich auch geschafft, lag es ihr schon auf der Zunge. Ich bin nicht hilflos. Sie rutschte auf den Fensterplatz, und er setzte sich an den Gang. Wie bei vielen anderen Fluggesellschaften waren die Sitze der Touristenklasse auch bei Blue Sky ziemlich schmal. Der Platz war so knapp bemessen, dass Juliana jede auch noch so kleine Bewegung des Mannes neben sich mitbekommen würde. Sein Ellbogen auf der schmalen Armlehne streifte ihren, und sie wurde sich dessen bewusst, dass seine Nähe sie auf diesem Flug ganz schön ablenken würde.

„Ähm, also …“ Juliana lächelte ihm zu und machte sich daran, ihren Gurt zu schließen, damit ihre Hände etwas zu tun hatten.

„Nennen Sie mich Law. Kurzform von Lawrence.“ Law, wie in Outlaws – Die Gesetzlosen. Seine breiten Schultern schienen auch viel eher für Leder und Stahlnieten gemacht zu sein als für das brave Polohemd, das er trug.

„Law. Schön, Sie kennenzulernen. Ich heiße Juliana.“

Law schüttelte ihr die Hand. Seine Hand fühlte sich gut an, groß, beschützerisch, stark. Wie dafür gemacht, eine Axt oder ein Schwert zu schwingen und keinen Aktenkoffer. „Sie … haben einen Akzent“, bemerkte sie. „Sind Sie … aus Großbritannien?“

„Australien.“ Er schenkte ihr ein strahlend weißes Lächeln. Jetzt sah sie diesen Wikinger vor sich, wie er mit Krokodilen rang. Jedes Mal, wenn sie glaubte, noch männlicher könne er nicht mehr wirken, setzte er noch eins drauf. Sie rief sich innerlich zur Räson. Was war nur mit ihr los? „Aber ich lebe schon in den Staaten, seit ich zwölf war, darum habe ich so gut wie keinen Akzent mehr. Doch ab und zu schlägt er wieder durch. Meistens nach ein, zwei Drinks beim Dinner.“

Ihr gefiel, wie Dinner bei ihm fast wie Dinnah klang. Es war allerdings wirklich nur eine Spur von einem Akzent, nur eine leichte Andeutung. „Also, wie haben Sie das vorhin angestellt? Erliegen Airline-Angestellte immer Ihrem Charme?“ Juliana wollte kokett klingen, doch sie hörte sich beinahe … neidisch an. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die dank ihres Charmes alles bekamen, was sie wollten. Sie erreichte ihr Ziel normalerweise, indem sie hart arbeitete und stets alle Fakten parat hatte, indem sie unermüdlich am Ball blieb, bis ihre Gegner nachgaben. In jüngeren Jahren war sie eine richtige Streberin gewesen, ein Bücherwurm, eine Musterschülerin mit lauter Einsen. Dass sie als Spätzünderin erst im zweiten Jahr am College richtige Kurven bekommen hatte, hatte die Sache nicht gerade einfacher gemacht. Bis dahin war sie nämlich spindeldürr gewesen.

„Na ja, ich bin Vielflieger“, erklärte er, und sein kräftiger Ellbogen kam ihrem auf der kurzen Armlehne gefährlich nahe.

Juliana drehte sich überrascht zu ihm um. „Das bin ich auch, aber so zuvorkommend hat man mich noch nie behandelt.“

„Ja, aber ich habe jetzt so in etwa elf Millionen Meilen zusammen.“

Nur mit Mühe gelang es Juliana, ihn nicht offenen Mundes anzugaffen. „Elf Millionen?“ Sie überschlug die Summe kurz im Kopf. „Also wenn Sie seit – sagen wir mal – fünfzehn Jahren fliegen, wären das 733.333 Meilen pro Jahr.“

Er verzog die Mundwinkel zu einem amüsierten Lächeln. Sie war erleichtert, dass er nicht überrascht tat oder womöglich sogar Wow, Sie verstehen sich aber wirklich gut auf Zahlen sagte, wie es manche Männer taten, die völlig schockiert darüber zu sein schienen, dass eine Frau kopfrechnen konnte.

„Ja, das haut ungefähr hin. Ich fliege aber schon seit zwanzig Jahren regelmäßig, also sind es bloß in etwa 550.000 Meilen im Jahr.“

„Trotzdem … Das ist … unfassbar.“ Juliana hatte Mühe, diese schwindelerregende Zahl zu verarbeiten. „Ich dachte, ich reise schon viel, und ich habe gerade erst letztes Jahr die 200.000-Meilen-Grenze geknackt. Was machen Sie denn? Sind Sie Pilot?“

Er schmunzelte und erwiderte leise. „Nein, aber das wäre ich gern geworden. Ich leide an einer speziellen Form von Farbenblindheit. Ich kann Blau und Grün nicht unterscheiden, und das ist ein K.-o.-Kriterium für eine Pilotenlaufbahn.“ Seine tiefblauen Augen waren fest auf sie geheftet. Schwer vorstellbar, dass irgendetwas mit ihnen nicht in Ordnung sein sollte. „Mit zwanzig wollte ich Kampfjets fliegen, aber daraus wurde nichts.“ Er zuckte mit einer muskulösen Schulter. Juliana erhaschte einen Hauch von seinem Aftershave. Subtil, erdig. Sie mochte es. Sie ertappte sich dabei, wie sie sich näher zu ihm lehnte. „Und so bin ich statt zur Air Force Academy an die Wharton School of Business gegangen. Und … hier bin ich.“

„Und was machen Sie nun?“

„Was ich beruflich mache oder was meine Leidenschaft ist?“

Juliana überlegte. Sie kannte viele Menschen, für die ihre Karriere nicht gleichzeitig auch die große Leidenschaft war. Das konnte sie nachvollziehen. Schließlich wollte auch sie nicht ihr Leben lang Gutachterin bleiben. Sie würde viel lieber irgendwann ihre eigene Firma leiten und selbst das Heft in der Hand halten. Das würde sie gern tun. Der Boss sein.

„Was ist Ihre Leidenschaft?“

„Wohltätigkeit und Innovation.“ Laws Augen leuchteten. Das war wirklich seine Leidenschaft. Juliana musste zugeben, dass die Antwort sie überraschte. Irgendwie passte sein verwegenes Auftreten nicht zu gemeinnütziger Arbeit. „Ich habe gerade eine Wohltätigkeitsorganisation ins Leben gerufen. Sie unterstützt Existenzgründer aus aller Welt. Ich finde, wir brauchen mehr Innovation, und manchmal hemmen große Unternehmen den Wettbewerb.“

„Was macht diese Wohltätigkeitsorganisation denn?“

„Wir geben Kleinunternehmern in aller Welt Fördergelder, ganz egal, ob in Uganda oder New Jersey.“

„Das ist ja toll.“

Er grinste und zeigte seine blendend weißen Zähne. Sie fing seinen amüsierten Blick auf und vergaß alles, was sie hatte sagen wollen. Diese Augen. So blau. So unglaublich klar. Diese starken, muskulösen Arme, die sich durch das dünne Baumwollhemd abzeichneten. Juliana gab sich innerlich einen Ruck. Was machte sie hier bloß? Schmachtete sie etwa den Passagier auf 34H an? Ernsthaft?

Sie war doch kein Teenager, der sich bis über beide Ohren in den neuen Jungen in der Klasse verknallt hatte; sie war eine berufstätige Frau mit Verantwortung. Außerdem war er bestimmt verheiratet. Sie sah beiläufig auf seine linke Hand. Kein Ring. Was aber nicht unbedingt etwas zu bedeuten hatte. Er konnte dennoch in festen Händen sein. War er wahrscheinlich auch. Mit seinem markanten Kinn und diesem Akzent? Gar keine Frage.

Law stupste sanft ihren Ellbogen an, und alle Gedanken verflüchtigten sich aus ihrem Kopf. Sein Arm fühlte sich warm und verlässlich und stark an. Sie fragte sich, wie es wohl wäre, in diesem Arm zu liegen. „Und was machen Sie?“

Juliana schluckte, weil ihr Mund plötzlich ganz trocken war. Jetzt starr ihm nicht so auf die Lippen, Juliana! Menschenskinder!

„Ich bin Unternehmensberaterin. Fusionen und Übernahmen.“

„Das ist bestimmt kein leichter Job.“ Er sah beeindruckt aus.

„Ich mag es auch nicht leicht. Wo bleibt da die Herausforderung?“ Sie grinste, als sie ihm ihr übliches Motto servierte, das sie stets für Fremde in Flugzeugen, in Hotels und auf Konferenzen parat hatte. Da sie so gut wie ständig unterwegs war, hatte sie gelernt, ihr Leben in ein paar leicht verdaulichen Sätzen zusammenzufassen.

Law kicherte leise. Es gefiel Juliana, ihn zum Lachen zu bringen. Und sie hätte es gern noch mal getan, doch bestimmt waren sie inzwischen an dem Punkt des Flugs angelangt, an dem er ein Buch, eine Zeitschrift oder seinen E-Reader herausholen würde. Er würde sich darin vertiefen, sie würde mit ihrem Smartphone E-Mails beantworten, und im Nu wären sie wieder Fremde.

Juliana wartete geradezu darauf. Schließlich wollte ein Mann wie er sich garantiert nicht den ganzen Flug über mit ihr unterhalten. So etwas passierte einfach nicht.

Ihre Mutter glaubte fest daran, dass sie auf ihren Reisen mal jemanden kennenlernen würde, ihren zukünftigen Ehemann oder zumindest jemanden für eine feste Beziehung, aber es wollte einfach nicht geschehen. Vielleicht war Juliana zu sehr auf ihre Arbeit fixiert, vielleicht holte sie immer gleich zu eifrig ihren Laptop heraus und blendete alles andere um sich herum aus. Sie hätte ihrer Mutter aber auch gern verständlich gemacht, dass es so gut wie unmöglich war, echte Verbindungen zu Menschen zu knüpfen, während sie kreuz und quer durch den ganzen Kontinent jettete und ihre Zeit ständig in irgendwelchen fliegenden Blechbüchsen und Hotels verbrachte.

„Und was machen Sie zum Zeitvertreib?“ Law sah sie noch immer an. Er machte keinerlei Anstalten, sein Handy rauszuholen und schnell noch seine Nachrichten zu checken oder sich das Airline-Magazin zu Gemüte zu führen. Stattdessen schien er noch immer interessiert zu sein. Merkwürdig.

„Ach, meistens arbeiten“, antwortete sie. „Wenn ich samstags mal frei habe, jogge ich fünf Kilometer, aber normalerweise arbeite ich. Ich schätze, ich führe ein ziemlich langweiliges Leben.“

Jetzt kommt der Moment, an dem er anfängt sich zu langweilen. Wegsieht. Sich mit irgendetwas anderem beschäftigt. Männer langweilten sich immer schnell mit ihr, vor allem gut aussehende Männer. Sie wartete. Doch er sah sie nach wie vor aufmerksam an.

„Ich weiß, was Sie meinen“, erklärte er. „Ich arbeite auch die meiste Zeit.“

Julianas Smartwatch piepte. Sie sah hinab und ärgerte sich. Schon wieder Garrison.

Wenn du zurück bist, müssen wir uns treffen. Ich möchte es dir erklären.

Sie ignorierte die Nachricht. Garrison musste es endlich mal gut sein lassen. Sie verdrehte gedanklich die Augen. Verstand der Mann denn keinen Wink mit dem Zaunpfahl?

Die Flugbegleiterinnen arbeiteten sich den Gang hinab und schlossen die Gepäckfächer. Der Start stand kurz bevor. Juliana spürte, wie ihr Blutdruck anstieg und ihr im Rücken der Schweiß ausbrach. Was war denn nur los? Sie hatte noch nie im Leben Angst vorm Fliegen gehabt, woher kam also plötzlich diese Nervosität?

Sie atmete tief ein und aus. Ob es vielleicht daran lag, dass sie im Rahmen ihres jüngsten Projekts so viel zu Flugzeugabstürzen recherchiert hatte? Sie wusste es nicht. Erneut holte sie tief Luft. Sei nicht so albern, ermahnte sie sich. Das ist eins der sichersten Flugzeuge der Flotte. Trotzdem pochte ihr Herz noch lauter. Du musst einfach nur den Start überstehen. Sie wusste, dass die meisten Unfälle während des Starts oder der Landung geschahen. In diesen Phasen konnte das meiste schiefgehen, weil das Flugzeug dicht am Boden und noch relativ langsam unterwegs war … Und … Tief atmen, befahl sie sich. Hol tief Luft. Denk an etwas Schönes. An ein Glas deines Lieblingsweins. Daran, wie du an deinem Lieblingsstrand liegst … Daran …

„Flugangst?“, fragte Law, dessen aufgewecktem Blick nichts entging.

„Normalerweise nicht.“ Juliana lachte halbherzig. Was war nur los mit ihr? Brütete sie irgendetwas aus? Oder vielleicht eine Lebensmittelvergiftung? „Eigentlich nie. Ich weiß auch nicht, wieso, aber plötzlich“ – sie zuckte die Schultern – „fühle ich mich irgendwie so merkwürdig.“ Schwindelig, ja sogar verängstigt. Wie peinlich war das denn: eine Gutachterin für Fluggesellschaften … die Angst vorm Fliegen hatte! Sie war doch allein diesen Monat schon unzählige Stunden geflogen, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Vielleicht brüte ich irgendwas aus.“

Vielleicht liegt es am Stress. Blue Sky war ganz ohne Frage ein schwieriges Projekt, aber sie hatte schon schlimmere gehabt.

Ihr Handy piepte. Garrison schon wieder.

Bist du schon in der Luft?

Sie schaltete ihr Handy stumm. Kein Wunder, dass sie ein Nervenbündel war. Garrison ließ sie einfach nicht in Ruhe.

Kapier’s doch endlich, bat sie ihn im Geiste. Ernsthaft, kapier’s endlich. Ich bin nicht interessiert. Und werde es auch nie sein. Muss ich’s dir buchstabieren? Tun wir doch einfach so, als wäre nichts davon je passiert, und gehen wieder zur Tagesordnung über.

Garrison war ein korpulenter, verheirateter Mann Anfang fünfzig mit einem Brustkorb wie ein Fass. Allein schon beim Gedanken an Garrisons gedrungene Figur musste sie sich innerlich schütteln. Er mochte sie ja vielleicht attraktiv finden, aber dieses Gefühl beruhte ganz sicher nicht auf Gegenseitigkeit. Und er war verheiratet, rief sie sich in Erinnerung. Er lebte mit Frau und zwei Kindern in der Vorstadt.

Aber es waren meistens verheiratete Männer, die ihr Avancen machten. Sie wusste nicht, wieso. Suggerierte sie den Männern unbewusst irgendwie, dass sie verzweifelt genug war, jemanden in Betracht zu ziehen, der bereits vergeben war? Sie wusste es nicht genau, aber es kam öfter vor, als sie zugeben mochte.

Sie konzentrierte sich wieder auf den Passagier neben sich. Eine Ablenkung konnte sie jetzt dringend brauchen, und er war der perfekte Kandidat dafür. Diese wahnsinnig blauen Augen! Ja, irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck gab ihr das Gefühl, er würde sie verstehen. Aber was spann sie sich denn da zusammen? Dass sie diesem Mann etwas bedeutete? Er war ein Wildfremder. Und würde sich garantiert bald mit ihr langweilen.

„Das muss Ihnen nicht peinlich sein. Jeder hat doch vor irgendetwas Angst.“ Sie bezweifelte, dass sich der Australier neben ihr vor irgendetwas fürchtete.

„Danke. Ich weiß wirklich nicht, was mit mir los ist.“ Sie fächerte sich Luft zu und versuchte, ihr Unbehagen abzuschütteln.

Law legte den Kopf schief. „Also, Sie fliegen hier mit der sichersten Airline der Welt. Blue Sky hat die niedrigste Unfallquote aller Fluggesellschaften weltweit. Darum …“ Law machte eine Pause. „Darum fliege ich so oft damit.“

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