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Nehmt mich bitte mit. Eine Weltreise per Anhalter

Als Buch hier erhältlich:

Eine verblüffende Wiederentdeckung: Zu Beginn der 50er Jahre unternahm eine junge Frau eine Weltreise, allein und ohne Geld in der Tasche. Von Wien aus schafft sie es über Indien, Burma und Japan bis in die USA. Unterwegs entgeht sie nur knapp der Aufnahme in Prinz Abduls Harem, fällt in Japan mit der Papiertür aus dem Haus und wird von Besucherscharen am Taj Mahal überrannt, weil sie nachts noch weißer leuchtet als das Grabmal. Im Amerika der Nachkriegszeit wird ihr Mut als Sensation gefeiert. Katharina von Arx' Bericht liest sich so modern und frisch, als wäre es eine Anleitung für heutige Globetrotter – und er zeigt, wie sie das Abenteuer bestand: vor allem, indem sie über sich selbst lachen konnte.
  • Erscheinungstag: 28.09.2015
  • ISBN/Artikelnummer: 9783312006670

Leseprobe

Erstes Kapitel

Das bin ich, so wie ich in Zürich hänge, im Schlafzimmer meiner Mutter.

 

 

 

Im Übrigen bin ich jetzt in Wien. Ich lehne an einem großen Kachelofen und denke an früher. Vor ein paar Jahren habe ich in derselben Weise gelehnt, nur war ich damals am Kachelofen nicht so zufrieden wie heute. Ich weiß nicht genau, ob es am Kachelofen lag, er war zwar selten warm, nicht einmal im Sommer. Vielleicht ist das Haus über mir zu schwer geworden – ich wohne nämlich fast im Keller – oder es ist etwas über mich gekommen, wie halt manchmal etwas über einen kommt – ein Heimweh oder ein Fernweh oder irgendein Weh – vielleicht nur die Wehmut? Kann sein, dass es das Fernweh und die Wehmut zusammen waren, die miteinander den Fernwehmut oder ganz einfach den Fernmut ergeben.

Eines Tages aber griff ich zur Schreibmaschine und schrieb an alle Leute, die mit der Ferne und dem Fahren zusammenhängen. In vierzig Briefen fragte ich verlegen an, ob ich auf einem Schiff einen Freiplatz bekommen könnte, das heißt irgendeinen freien Platz, wo doch auf jedem Schiff da und dort etwas freier Platz übrig bleibt – wenn auch nur vor der Küchentür … Es kamen vierzig freundliche Antworten. Ich las vor allem nur das Nein. Doch was sich einmal in meinen Kopf hineinbegeben hat, das begibt sich selten wieder hinaus, und solange mich nicht jemand hindert, hindert mich nichts.

Ich versuchte es noch einmal, diesmal schrieb ich nicht, sondern ging zu vierzig Leuten. Viele lächelten mitleidig, als ich kam, und sie bedauerten. Einer aber lächelte nicht. Dieser eine war vom «Lloyd Triestino».

Er fragte mich: «Und wenn Sie dann in einem fernen Hafen aussteigen, so einfach mit nichts, was werden Sie dann tun?»

«Das, was ich hier tue. Ich muss auch hier selber für mein Dach sorgen. Wissen Sie, ich kann viel, zwar nichts richtig, aber von allem ein wenig. Ich kann ein wenig sprechen und ein wenig schreiben. Etwas Musik kann ich machen und Kinder hüten, und ich kann malen.» Wegen des Malens besuche ich übrigens in Wien die Akademie, wenn nicht gerade Semesterschluss oder sonst irgendetwas los ist.

Nach unserem Gespräch reiste der Mann nach Triest. Als er zurückkam, überreichte er mir eine Schiffskarte, darauf stand:

Spezialkarte GENUA–BOMBAY

m/s ASIA Touristenklasse, Kabine 196.

Für diese Schiffskarte musste ich etwas bezahlen, aber fast nichts. Aus meinem Kleiderkasten nahm ich eine Jacke und zwei Kleider, eines für den Abend und eines für den Tag, und dann noch ein Paar lange schwarze Hosen für immer. Diese Sachen packte ich in ein Säcklein, das man unter dem Arm tragen kann.

Ein Freund lud mich zum Abschiedsessen ein. An jenem Essen aß auch ein kleiner dunkler Mann aus Indien, Mr Raj hieß er, der sagte zu mir: «Vielleicht kann ich Ihnen in Indien behilflich sein. Indien wird Ihnen sehr gefallen.»

Zuletzt schrieb ich einen Brief an die Mutter in Zürich: … Weißt Du, ich nehme diesmal die östliche Route von Wien nach Zürich – zur Abwechslung.

Das war alles vor dem Anfang geschehen.

 

 

Zweites Kapitel

Am Anfang war die Straßenbahn. Ich stieg ein und sagte «Auf Wiedersehen» zu dem Knaben, der mir mein Säcklein getragen hatte. Man schaute sich noch nach, dann drehte jeder den Kopf, und dann drehte jeder den Kopf noch einmal, um zu sehen, ob der andere auch wieder schaute, und dann fuhr die Straßenbahn um die Ecke.

Der Schaffner fragte: «Wo woens denn hin mitn Tropnhut?» – «Bisserl über die Endstation hinaus.» – «Do tät ich a glei mitfoan.» Es fuhr sonst niemand an die Endstation an einem gewöhnlichen Dienstagmorgen im Juni.

Bei einer Tankstelle wartete ich eine Weile, bis jemand käme, der mich mitnähme. Ich hatte etwas säuerliche Gedanken, während jener Weile. Eigentlich hätte ich die eingebrockte Suppe lieber stehenlassen, aber man muss schon für eine Weile verschwinden, nachdem man abschiedgefeiert worden war.

«Wo woens denn hin, Engerl?», fragte der Tankwart. – «Nach Bombay.» – «Bis Pompe woens foan, jo des is jo ganz in Italien, do woens ganz allän hinfoan. Schad, dass i ned glei an Urlaub hab, do tät ich a glei mitfoan, des wär a Hetz.»

Es kam nun einer, der Benzin tankte, der nahm mich mit bis Graz. In Graz stieg ich um und fuhr noch ein kleines Stück weiter in die Steiermark. Die Steiermark lag zwar nicht ganz an meinem Weg, aber ich hatte dort noch Geschäftliches zu erledigen. Ich hatte den Auftrag, in der Steiermark ein Schlossbadezimmer auszumalen, nicht flach, sondern durchbrochen, das war eben das Peinliche an dem Geschäft. Der Schlossherr wünschte etwas Fröhliches in seinem Badezimmer, das heißt etwas Weibliches. Aber wo es eine Hausfrau gibt, da gibt es eine zweite Ansicht, und die zählt oft mehr. Die Schlossdame war mehr für Pflanzliches. Ich dankte Gott, denn ich bin in der Regel auch mehr für Pflanzliches.

So malte ich dann in das Badezimmer das Meer und was darin wächst und kreucht und fleucht. Man kann sich gar nicht vorstellen, was ich in jenem Badezimmer durchgestanden habe. Der Grundriss war ein Vieleck, aber kein geometrisches. Ungefähr acht Wände und ein asymmetrisches Deckengewölbe waren zu bemalen. Jede Wand stammte aus einem anderen Jahrhundert, deshalb wurde das Grün nicht an jeder Wand gleich. Aber in meiner Kasse ging etwas ein, das gegen Ende des Monats aus meiner Kasse in eine Schiffskasse einzugehen hatte.

Zum Abschied bekam ich zwei nützliche Briefe, von denen einer an den Aga Khan adressiert war. Diesen Brief konnte ich nie verwerten, weil der Aga Khan immer gerade nicht da war, wo ich war. Ich bekam außerdem ein Messer zum Abschied, worauf stand: «Nicht traurig sein.»

Dann kam der erste Tag, an dem ich wieder am Straßenrand stand und auf Beförderung wartete. Der erste Wagen, der mich mitnahm, hatte viel Rost an sich, ich glaube, er war vom Abschleppdienst. Mit dem fuhr ich fünf Kilometer weit, dann bog er von der Hauptstraße ab, und ich ging zu Fuß weiter. Ich trug mein Säcklein, einen Tropenhelm und ein Ukulele. Das Ukulele ist ein Ding, das Töne von sich gibt, wenn man daran zupft. Auf meinem Wege nach Bombay kam ich durch ein österreichisches Dorf. Einmal stellte ich mein Säcklein ab und wartete mitten im Dorf, aber gegenüber im Bürgerhäuschen wurde es hinter den Tüllvorhängen bald lebendig, so ging ich wieder weiter. An einem Waldrand setzte ich das Warten fort. Ein Auto kam und nahm mich mit bis vor das Haus in Kärnten, das ich suchte. So, einfach in Hosen und wie dem Menschen am wohlsten ist, klopfte ich an das Haus in Kärnten. Ich hätte die Tochter des Hauses sehen wollen, die war aber nicht da. Nur ihr Vater war da und sein Bruder, und ein Professor und dann noch einer, und viele, viele Diener. Ich war beinahe schüchtern vor lauter Herren, aber man muss seine Schüchternheit im Zügel halten können, wenn man reisen will. Weil es Abend war, wurde ich eingeladen zu einem Dach über dem Kopf.

Beim Nachtessen war ich dann nicht mehr einfach in Hosen. Ich saß auf einem Stuhl, dessen Lehne weit über mich hinausragte. Hinter mir stand ein Diener in weißen Handschuhen, der mir beim Benehmen zuschaute.

Am nächsten Tag zog ich in aller Frühe weiter, begleitet bis zur Hauptstraße von brauchbaren Wünschen und von allen jenen Herren. Ein kolossaler Benzincamion hielt an. Der Chauffeur erklärte, dass er nur mich mitnehmen könne und nicht alle diese Männer. «Die kommen von selber weiter», antwortete ich und stieg hinauf. Seine Durchlaucht lachte sehr und filmte diesen Aufstieg.

In der Führerkabine klebten an jedem freien Platz fröhliche Bilder, aber keine pflanzlichen. Am Wörther See bat ich den Chauffeur anzuhalten, weil ich schnell Schilfrohr für Zeichenfedern schneiden wollte. Der Chauffeur schenkte mir daraufhin einen Bleistift, damit ich Arme nicht selber Bleistifte fabrizieren müsse.

 

 

 

Später fuhr ich in einem Topolino, in dem schon vier Italiener saßen. Das Dach wurde geöffnet, um mehr Platz zu schaffen. Ich konnte kaum atmen vor lauter Platzmangel, dafür musste ich Ukulele zupfen. Jeder sang und stampfte mit auf seine Art. Der am Steuerrad hupte im Takt mit und stampfte auf das Gaspedal, so dass wir ruckweise, aber immerhin im Takt vorwärtskamen. Der neben mir stampfte mir auf die Füße, aber ich merkte es nicht in der Hitze des Gesanges – erst nachher beim Aussteigen. Lustig war es auf jeden Fall. An der großen Kreuzung hatte ich alle Mühe, den vier Buben klarzumachen, dass ich nach Genua und nicht nach Mailand fahren wolle. Zum Abschied bekam ich ein Salamibrot.

In Italien war es ein Leichtes. Einmal hielten zwei Autos auf einmal an. Ich stieg dann dort ein, wo es mir besser gefiel, und nicht dort, wo ich schneller weiterkommen konnte. Ich hatte ja Zeit.

Ich kam an jenem Abend bis Padua, wo ich wieder einmal ein Haus zu suchen hatte. Das Haus lag weit draußen auf dem Land, und es war leider kein Haus, sondern ein Palast, das hatte ich vorher nicht gewusst.

Im Mondlicht stand ich vor dem Palast, blickte schaudernd durch die Kristalltüre in die Flut von Licht und Schönheit und überlegte, ob ich nicht lieber nebenan in den Agaven verschwinden solle, um dort den Sonnenaufgang unbemerkt zu erwarten. Da aber trat jemand in knallroter Livree und weißen Handschuhen heraus. Der Mensch stand in seiner Uniform da wie eine Kerze im Halter. Jetzt konnte ich nicht mehr anders. Ich übergab meinen Brief. Mir wurde etwas warm beim Erwarten der Dame. Man muss die italienischen Herrschaften kennen, um sich meine Wärme vorzustellen.

Die Dame sah so aus, wie sie es ihrem Namen schuldig ist. Sie hätte eigentlich recht menschlich ausgesehen, wenn ich nicht vor ihr gestanden wäre, mit Sack und Pack und in Hosen – man denke …

«So, und wie sind Sie denn hergekommen?» Ich stotterte irgendetwas, natürlich nicht die Wahrheit, sondern etwas vom Cousin, der weiterfahren musste. Vielleicht wurde ich rot dabei, denn sie fragte nicht weiter.

Ich bin erstaunt, wie einfältig ich an jenem Abend war. In der peinlichen Situation blieb uns beiden, die wir einander gegenüberstanden, nichts anderes übrig, als uns gegenseitig zu dulden. Am gleichen Abend folgte dann noch ein allseitiges Auftauen. Jedenfalls wurde ich zu einem weiteren Überfall auf meinem Rückweg eingeladen. Sie hat nämlich selber Kinder, die zu überfallen pflegen.

Früh am anderen Morgen brachte mich der Hofchauffeur zum Stadt- und Straßenrand. An jenem Tag stieg ich einige Male um. Einmal fuhr ich mit einem riechenden Fischtransport, mit dem ich gar nicht hatte fahren wollen, der aber, einer Intuition folgend, angehalten hatte. Der Fischtransporteur gab mir zwei rohe Fische mit auf den Weg, mich grauste ein wenig, später habe ich die Fische in einen Bach geworfen, sie schwammen aber nicht weiter, wahrscheinlich waren sie schon tot.

Die Poebene war heiß und staubig und kein Genuss für mich, schon gar nicht, weil ich dort mit jemand fuhr, der mich im Fahren oft in eigenartiger Weise anschaute. Jener Mensch litt an Kleiderüberfluss. Er war Damenkleiderfabrikant. Gerne hätte er mich an seinem Überfluss zehren lassen, das heißt, wenn ich mit ihm nach Mailand gefahren wäre. Aber ich wollte wirklich nicht nach Mailand fahren, schon gar nicht mit dem.

Ich fuhr durch einen Ort, wo es fast kühl war und wo es unpassenderweise hohe schattige Bäume gibt – mitten in der Poebene. Es ist dort überhaupt alles verkehrt, der Ort ist eben ein Kurort. Die reichen Mädchen tragen ausgefranste Hosen mit großen roten Flicken, und die armen Mädchen sind ordentlich angezogen.

Es war schon dunkel, als ich in das letzte Auto stieg. In jenem recht alten Vehikel saßen drei Schullehrer, die sangen ihre überschäumende Lebensfreude in die Welt, auf dass alle Mitbenützer der Straße mitgenießen sollten. Sie waren alle in Hemdsärmeln und Hosenträgern. Den Kragen hatten sie der Hitze wegen abgenommen und die Hemdknöpfe geöffnet, damit die Stimme herauskommen kann. Dem am stärksten Bestimmten diente ein langer Bart als Resonanz. Ich musste natürlich auch mitsingen und spielen, von meinem Instrument hörte man allerdings nichts, trotzdem sprang eine Saite. Von diesen drei Schulmeistern wurde ich in väterlicher Weise auf einen Abweg, ich will sagen ab vom Weg geführt zu einem Kollegen, wo ich übernachten sollte. Der Professor, bei dem ich für eine Nacht wohnte, unterrichtet Deutsch. Ich musste also Deutsch mit ihm sprechen. Sein Thema war Goethe. So gut es ging, schwärmte ich bis Mitternacht mit. Die Frau Professor verstand uns nicht, aber sie hörte uns aufmerksam zu und strahlte immer, wenn ihr Mann die schwierigen fremden Laute von sich gab. Die Frau Professor gab mir einen Apfel und einen Panettone mit auf mein letztes Stück Europa. – Der Letzte, der mich mitnahm, war ein Flugzeugfabrikant. Das Blickfeld jenes Mannes ging nicht über die Flugzeuge und was damit zusammenhängt, hinaus. «Lassen Sie Ihr Schiff ruhig fahren», sagte er, «in zwei Wochen werden wir zwei zusammen fliegen. Wir werden noch vor dem Schiff in Bombay sein, ganz bestimmt – ich schwöre es.» Aus seinem Plan wurde nichts. Ich wohnte in Genua im Kloster.

 

 

 

Ich habe Genua besonders gern, weil es so viele Katzen in sich birgt. Den ganzen Tag ging ich in Genua den Katzen nach, ins Hafenviertel. Es ist ein imposantes Viertel, das Hafenviertel, und ein ungezwungenes. Der Fremde findet im Hafenviertel leicht Anschluss, wenn er sich einsam fühlt. Ich fand keinen Anschluss, vielleicht weil ich nicht fremd genug ausgesehen habe.

Ich habe in Genua sozusagen nur das Hafenviertel gesehen. Mit diesem nachhaltigen Eindruck verließ ich Europa.

Drittes Kapitel

So wie man immer auf große Dinge lange wartet, so wartete ich am ersten August lange auf die Besteigung der ASIA. Außer mir warteten in derselben Weise noch etwa fünfhundert andere Leute.

Man war von überall her. Vor mir stand ein Pater, der einen braunen Tropenhelm trug. Hinter mir standen zwei Chinesinnen, deren lange enge Röcke auf der Seite eingeschnitten waren um des Schreitens willen. Neben mir stand Fridolin, der fand, die Einschnitte gingen zu weit. Fridolin war von weit her gekommen um des Winkens willen.

 

 

 

Es gab drei Klassen von Passagieren. Die ersten zwei Klassen waren sichtbar, der Rest – der eigentlich die große Masse ausmachte – war unsichtbar; wahrscheinlich wurde die Masse direkt in den Schiffsbauch befördert. Ich dachte so für mich, nach dem bezahlten Fahrgeld müsste ich eigentlich an der Schiffsschraube hängen. Ein Zöllner fragte mich nach meinem Gepäck. «Da, dieser Sack.» – «Nein, ich meine Ihr ganzes Gepäck.» – «Das ist mein ganzes Gepäck.» – «Ach so, Sie fahren nach Neapel?» – «Nein, nach Bombay.» – «Per l’amor di Dio», und er lachte, lachte, dass der Schiffsbahnhof dröhnte, und er lief im Kreise herum, bis alle die Geschichte von meinem Säcklein wussten, das allein mit mir nach Indien fuhr. Es lachte nun der ganze Zoll. Von da an genoss ich beschleunigte Bedienung.

Der nach mir kam, war etwas mehr belastet mit seinen dreihundertachtundsiebzig Gepäckstücken. Er hatte es aber trotzdem einfacher als alle anderen, denn er mühte sich nicht selber um sein Gut. Für die Mühe hatte er einen Hofmarschall. Er war nämlich kein gewöhnlicher Mensch, sondern ein märchenhafter, einer aus Tausendundeiner Nacht. Sein Hofmarschall war fast noch märchenhafter als er selber, der war so schön, dass ich beinahe vergessen hätte, manchmal auch nach links zu schauen, wo der Fridolin stand.

Das Schiff war ganz weiß und ganz neu. Im Innern roch es nach frischem Gummi. Mein Bett stand in einer Dreierkabine der Touristenklasse, lieblich umrahmt von geblümten Bettvorhängen. Alles gefiel mir, außer dem Wandgemälde im Treppenaufgang – da hätte etwas Pflanzliches hingehört.

Fridolin wurde jetzt an Land geschickt, und die Brücke wurde aufgezogen. Weiter geschah dann lange nichts.

Um zwei Uhr nachmittags bewegte sich das Schiff. Neben mir standen die beiden Märchenhaften. Sie hatten selber nichts zu winken; ich fühlte, dass sie mir beim Winken zuschauten. Neben mir stand noch ein anderer Mann, der war etwa halb so groß wie ich und angegraut. Sein Mitteilungsbedürfnis trieb ihn dazu, mich anzusprechen. Er sprach Französisch wie ein Wasserfall. Ich vernahm, dass er mit einer vierzigköpfigen Pariser Reisegesellschaft nach Indien fahre. Er reise in der ersten Klasse, sagte er, und er werde mich gerne manchmal hinauf einladen. «Ich habe schon mit dem Kapitän gesprochen … Wissen Sie, die erste Klasse ist sehr vornehm, unsere Damen tragen wertvollen Schmuck – besitzen Sie Garderobe?» Vor dem Betreten der Halle riet er mir, den Tropenhelm wegzulegen. «Geben Sie sich nur ungeniert, Sie sind ja in meiner Gesellschaft.» Drinnen fuhr er mit großen Augen fort: «Wissen Sie, dass wir im Roten Meer die Hölle erleben werden, und wissen Sie, dass man da auch bei Nacht auf Deck den Tropenhelm tragen muss? Der Mond über dem Roten Meer ist gefährlich.» – «Ja, ich weiß, Monsieur, der Mond ist gefährlich, oft nützt aber die Kopfbedeckung nichts gegen den Mond.» – «Oh, Mademoiselle, ich habe mir einen Tropenhelm mit Doppelstrahlenfilter machen lassen. Haben Sie nicht von dem Fall gehört; es soll ein Mann nachts auf Deck tot umgefallen sein – ja, im Roten Meer, niemand wusste, weshalb, aber ich weiß es – die Strahlen … und wissen Sie …» Sein Wissen ging weiter, stundenlang. «In Indien werden Ihnen alle Knöpfe rosten – und erst die Zähne – ich habe nur Goldfüllungen in den Zähnen … Sie müssen turnen, wenn Sie seekrank werden – die Frauen werden immer seekrank –, zweimal im Laufschritt um das Deck, sich immer vorstellen, das Schiff schwankt nicht – nein, das Schiff schwankt nicht –, sechsmal am Boden rollen – und immer essen, essen.»

 

 

 

Essen konnte man alles, was es gibt, und so viel man wollte. Ich bestellte die ganze Speisekarte. In den nächsten Tagen war mir dann nicht mehr so ums Essen, die Speisekarte war zu viel gewesen, nicht etwa das Meer.

Nach einem Tag auf See waren wir schon wieder in Europa: Neapel. Wegen Kartoffeln wurde der Hafen angelaufen, man denke, nur wegen Kartoffeln, wenn man wenigstens Wein oder Ölgemälde geladen hätte, nein, man lud nur Kartoffeln für Ceylon, die ganze Nacht lang, und zuletzt noch ein Fahrrad für Port Said.

Am Nachmittag ging ich ein wenig an Land. Nur mit Mühe kam ich aus dem Hafen. Zehn Taxichauffeure hatten ein Geschäft gerochen und liefen mir unter vielem gegenseitigen Stoßen und Schreien nach. «Signorina, eine Stadtrundfahrt im Luxusauto – viertausend Lire – dreitausend Lire …» Ich kehrte meine Hosentasche um, es fiel nichts heraus – da war es nur noch einer, der rief: «Bella Signorina, ich fahre Sie umsonst.» – «Ich auch – ich bin selber Student – Signorina …» Da waren es wieder fünf, die mich fahren wollten, alle umsonst, aber die wollten ins Grüne fahren, mir war aber nicht ums Grüne, das Grüne ist überall grün. Einen Mann, der neben einem Fahrrad saß, fragte ich, ob er mir sein Fahrrad borgen würde. Er war zuerst ein wenig erstaunt, aber er borgte es mir. So fuhr ich lange Zeit per Rad durch die Stadt. Ich fuhr so weit, bis ich den Vulcano sah, und dann wieder zufrieden zurück. Einem herzigen Bettelkind, das mich am Arm zog, gab ich eine Münze, nachher fehlte mir ein Armreif.

Die ASIA lag jetzt tiefer im Wasser, die Kartoffeln zogen nach unten. Man fuhr weiter, vorbei an Sizilien und an vielen felsigen Inseln. Eine Frau rief: «Dort steht der Giuliano» – aber es war nur ein Leuchtturm.

Dann entschwand Europa meinem Blickfeld bis auf weiteres. Das Leben an Bord war sorglos. Man wurde sozusagen gelebt. Es gab ein Schwimmbassin und einen Spielplatz, das alles natürlich nicht für die große Masse.

 

 

 

Wir näherten uns der afrikanischen Küste. Der Wüstenwind blies Wolken auf manche Stirn. Auch der kleine Mann hatte Wolken auf der Stirn, er fuhr der Gefahr entgegen, die hinter jedem Sandkorn lauert. Er wird nicht lächeln in Ägypten, damit die Räuber sein Gold im Mund nicht sehen. Im Übrigen hatte er seinen Doppelstrahlenfilter im Tropenhelm, und er war der Schützling des Reiseleiters. Der kleine Mann führte den Reiseleiter zu mir, und ich wurde aufgenommen in den französischen Kreis, damit ich alle Vorteile der Masse, so auch die gemeinsame Landung in Afrika, mitgenießen könne.

Es roch nach Land. Der Himmel färbte sich gelb und auch das Wasser. Auf einmal verlief zwischen Himmel und Wasser ein schwarzer Strich – eine Stadt tauchte daraus hervor, Port Said. Die ersten Menschen, die man sah, waren Krämer. Sie ruderten in Schwärmen auf unser Schiff los. Von unten herauf boten sie echte afrikanische Ledertaschen mit Reißverschlüssen feil. Die nächsten Lebewesen waren große Vögel, die auf der Hafenmauer hockten. Als das Schiff sich näherte, merkte ich, dass die Vögel Leute waren. Wie komisch sie saßen, nicht auf dem gleichen Teil wie wir, sie saßen auf einem viel tieferen Teil, auf den Fersen nämlich, ihre Fersen standen hinten heraus wie Krähenfüße.

 

 

 

An Land wurden wir gezählt, in Autos verteilt und nach Kairo gefahren. Auf der Straße gingen viele Leute und Esel. Die Männer trugen lange Nachthemden, und eine Art Handtuchstoff auf dem Kopf, gewunden in kunstvollen Verschlingungen. Es gingen auch schwarze wallende Tücher mit Tontöpfen obendrauf, das mussten Frauen sein. Die Farben sah ich nicht so leuchten, wie man in Büchern liest, alles Farbige war vermischt mit der gelbgrauen Farbe der Straße. Das Land war flach und die Kamele hügelig. Am Anfang tauchten aus der Fläche aus flachen Booten gebogene Maste, später gab es nur noch Sand, in dem wie Spieße ein paar Gräser steckten. Die afrikanische Trommelmusik aus dem Autoradio ergänzte diese Einförmigkeit.

In Kairo war Nacht, als wir ankamen. Auf dem Hauptplatz mussten wir lange warten, weil der Reiseleiter am Organisieren war. In den Autos wurden nun die Plätze gewechselt. Zwei Damen saßen jetzt hinter mir, die mir um eine Generation voraus waren. Für eine Nacht wurde man untergebracht in der Universitätsstadt. Am anderen Morgen trugen die beiden Damen Zöpflein und wirkten jugendlich. Beide wollten im Auto stets vorne sitzen wegen der Sicht. Mir war es recht so.

Sie waren im Übrigen nicht besonders freundlich zu mir.

 

 

 

Wir sahen die Pyramiden und die Sphinx, die lächelte, als wir kamen, wegen der Zöpflein vielleicht …

Jeder, der in Ägypten geführt wurde, der kennt die Madame Mameluk. Sie führte uns bei der Hitze ins Museum. Vor dem Museum marschierte die ägyptische Armee im Takt zur Dudelsackmusik vorbei. Ein Monsieur Lambert fotografierte diesen Marsch. Die ägyptische Militärpolizei hatte diese verdächtige Handlung bemerkt und nahm Monsieur Lambert das Werkzeug aus der Hand.

Am gleichen Tag wurden wir noch auf eine Festung und in eine Moschee geführt. Ich habe so viel gesehen, dass ich gar nicht mehr weiß, wie alles ausgesehen hat, doch man konnte glücklicherweise von allem Ansichtskarten kaufen.

Unzählige Male mussten wir vor heiligen Hallen die Schuhe ausziehen. Ich litt Unsägliches unter meinem Tropenhelm, und ich benahm mich wie der Dorn im Auge der Madame Mameluk. Ich ging stets einzeln, entweder zu weit hinten oder zu weit vorn. Ich saß immer im unrichtigen Moment am unrichtigen Ort. Im Museum saß ich auf einem Grabstuhl, dessen Fugen Madame Mameluk krachen hörte. Vor den Pyramiden saß ich auf einem Esel, der mit mir durchbrannte. Eine wilde Jagd brach aus, zwischen mir und dem Esel und drei Beduinen, die in wehenden Nachthemden hinter uns herrannten. Madame Mameluk schnaubte dazu.

Der Weg von Port Said nach Suez war ein Leidensweg. Gegen das Ende des Ausflugs, als wir durch die Wüste fuhren, fingen auch die beiden Damen an zu leiden. Sie wurden stiller, aber böser. Die Zöpflein hingen an den Ohren welk herunter. Die Wüste langweilte sie, denn sie konnten nur die blaue Straße, den gelben Sand sehen, und den Himmel, der sie am wenigsten interessierte. In Suez bestiegen wir das Schiff, das ohne uns durch den Kanal gefahren war.

Stille herrschte auf der ASIA. Jeder erholte sich unter der Dusche von der durchgestandenen Besichtigung Ägyptens. Wir fuhren durch das Rote Meer, und man mied das heiße Freie. Durch die hermetisch geschlossenen Fenster sah man Delphine von Welle zu Welle springen.

Einmal spielte ich auf der Treppe mit einem weißen Hund, da kam einer daher, sprach mit dem Hund und dann mit mir. Er war ganz dunkel im Gesicht und hatte schneeweiße Zähne, Letzteres war ihm sehr bewusst, denn er lächelte immer und oft ohne Grund. Er trug einen weißen Turban und einen schwarzen Bart. Er lud mich ein zum Ball in der ersten Klasse am Abend. Ich hatte eigentlich nichts dagegen.

Bei Tisch fragte ich meine englische Nachbarin, was die Männer mit Bart und Turban für Leute sind. «Das sind die Sikhs», erklärte Mrs Taylor, «sie stammen aus Nordindien. Die Sikhs tragen lange Haare unter dem Turban, sie dürfen sich kein einziges Haar schneiden. Sie haben uns während des Krieges wertvolle Dienste in der Armee geleistet. Die Sikhs sind ein Kriegervolk …»

Das Fest war gemischt in jeder Beziehung. Die weißen Frauen trugen bis weit unter den Hals nichts, die dunklen Frauen trugen in der Magengegend nichts, aber am Hals gewichtige Steine. Man war bei guter Laune, sprach Lustiges, aber wenig Geistiges. Leutnant Singh, so hieß er, sagte, dass er leider schon in Aden das Schiff verlassen und weiterfliegen müsse. Im Lauf des Abends sah ich, wie der Leutnant jemand zunickte. Darauf sagte er zu mir, Hoheit möchte mich kennenlernen. Hoheit war jener Mann mit den dreihundertachtundsiebzig Koffern und dem schönen Hofmarschall. Er saß zusammen mit Familie, hoffähigem Personal und dem Kapitän. Hoheit trug einen rosaroten Turban und einen dynastischen Schnurrbart. Wenn er früher auf die Welt gekommen wäre, dann hätte ihn sein Volk wohl gefürchtet, heute braucht es aber mehr zur Volksfurcht. Hoheit bleibt somit nur noch die Harmlosigkeit übrig. Hoheit tanzte mit mir. Ich fühlte viele Blicke mir folgen. Hoheit war sehr interessiert an meiner Person. Er wollte wissen, wer jener junge Mann gewesen sei, damals im Hafen von Genua, ferner wie mir jener indische Offizier gefalle. «Ich werde ein Fest geben – aber erst nach Aden.» Er machte listige Äuglein dazu. «Sie werden dann kommen, nicht wahr?»

 

 

 

Eines Morgens blies ein frischer Wind. Felsblöcke ragten aus dem Meer, und aus den Felsblöcken ragten silberne Erdöltöpfe. Ein Rudel schwarzer Buben schwamm um das Schiff herum und tauchte nach Geldstücken, die man hinunterwarf. Einer von den Tauchern hatte schwarze Haut und blondes Wollhaar.

Die Franzosen waren von mir und ich vom Herdentrieb geheilt, deshalb ging ich auf eigene Gefahr an Land. Der Hafen von Aden ist ein Freiplatz. Ich glaube, es darf so ziemlich jeder sich dort aufhalten.

Neben mir blieb etwas langes Schwarzes stehen, das ein weißes Kraftleibchen und ein knielanges Röckchen trug, ein Somali-Neger. Beängstigend ruhig schaute er mich an. Ein blinder Bettler ging mit ausgestreckter Hand an mir vorbei und sang arabische Lieder in den Himmel. Man trug hier wieder Nachthemden. Manche trugen über dem Nachthemd noch ein Taghemd, oder was nach langem Gebrauch davon übrig geblieben ist. Auf den verschiedenartigen Köpfen saßen oft bunte baumwollene Töpfe. In der dunklen Umgebung wirkte ein weißer Mann, der vor einem Krämerladen stand, wie ein Engel. Er sah zwar nicht gerade engelhaft aus, denn mitten in seinem Gesicht stand ein ungeheuerlicher roter Gegenstand, das war die Nase. Der Engel lächelte mir zu, und die Engelsnase wurde noch einmal so breit. Ich fragte ihn, wie ich zu einem Fahrrad kommen könnte. «Aber mein liebes Mädchen, Sie wollen doch nicht etwa Rad fahren, hier fährt kein Mädchen Rad. Wissen Sie nicht, dass Sie in einem gefährlichen Land sind?» – «Oh, mir wird nichts passieren – ganz sicher nicht, ich weiß es.» – «Wir werden sehen, Mustaf – wo ist der Kerl –, Mustaf, hole ein Fahrrad!»

Bis in die Stadt hinein kam ich nicht zu Rad, denn diese liegt hinter dem Berg. Ich fuhr im Hafenbezirk herum und in arabischen Gässchen zwischen niederen Würfelhäusern. Ich fuhr so weit, bis ich keine Gässchen mehr sah, sondern einfach da einen Würfel und dort einen Würfel, wie wenn es einmal Würfel geschneit hätte. Es dunkelte. Aus den Würfeln wurden Gestelle getragen, die vor dem Loch im Würfel aufgestellt wurden, und auf die und unter die man sich legte, ich sah es in der Silhouette, denn aus dem Loch drang Feuerschein. Einmal stieg ich vom Rad, weil ich auf weichen Grund geraten war, da fing es an, dunkel um mich zu wimmeln. Ich stieg schnell wieder auf mein Rad und fuhr zurück. – In Aden kann man alles kaufen, was es auf der Welt gibt. Schon damals hatte mir der kleine Mann aus Paris geraten, meine Aussteuer in Aden zu kaufen, da dort alles billiger sei, aber es fehlten mir die Mittel zum Zweck.

Immerhin betrat ich ein Kunstgeschäft. Der Bilderkrämer setzte mir ganze Bilderberge vor. Schreckliche Bilder gab es da, aus aller Welt. Das schönste und billigste Bild war eine chinesische Pinselzeichnung. Ich kaufte sie für drei Schillinge. «Weil Madame Kunst versteht, will ich etwas ganz Wertvolles zeigen», flüsterte der Krämer mit geheimnisvoll leuchtenden Augen. Ich ging ihm nach um viele Ecken – eine steile Treppe hinauf, bis er vor einem monströsen Gemälde stehen blieb. Eine blonde Venus war da gemalt, die war so groß und so schrecklich, dass mich schauderte. Sie hatte Beine wie dorische Säulen, auf denen sie stand, als ob sie umfallen möchte. «Wundervoll, nicht? Italienischer Meistermaler – wird auf zehntausend Dollar geschätzt.» – «Die Schätzung ist etwas hoch», sagte ich. – «Madame trinken Kaffee?» – «Nein, danke – das Bild ist mir ohnehin zu groß.» Das war nicht höflich von mir, für arabische Begriffe, ich erkannte es an seinem veränderten Gesicht. Man darf sich das Merken der Absicht nicht anmerken lassen.

Ich fuhr dann wieder zurück zu Emanuel, dem griechischen Engel. «Darf ich Sie mit meinem Auto nach Aden führen?», fragte mich Emanuel. – «Ja, wenn ich selber lenken darf.» Emanuel machte kein kluges Gesicht, er hatte noch nie eine Frauensperson ein Auto lenken gesehen. Aber er musste schließlich doch begreifen, weil ihm an der Fahrt gelegen war.

Ängstlich saß er neben mir. Die Straße führte über einen kahlen felsigen Berg. Im Gelände sah ich Wellblech und Lumpenwände im Scheinwerferlicht, dahinter sollen angeblich Menschen wohnen. Emanuel wollte anhalten, ich aber nicht. «Wir haben Zeit genug», sagte Emanuel. «Sie müssen gar nicht mehr auf das Schiff zurückkehren, Sie sind bei mir in guten Händen, Sie wissen, ich bin unverheiratet. Ich habe ein gutes Geschäft, wir können also schon morgen heiraten, wenn Sie wollen, ich meine es ernst …» Leider sind es immer die Verkehrten, die mich heiraten wollen. Der Emanuel wäre auch nicht ganz der Richtige gewesen, aber was sagt man in so einem Fall? … «Wissen Sie, Emanuel, so schnell kann ich nichts sagen – und ich muss zuerst zu Hause fragen – es würde alles sehr lange dauern.» – «Ach, ich werde warten, Ihr Vater wird mich nicht verschmähen, ich bin ein Ehrenmann. Schreiben Sie mir immer, und telegraphieren Sie, wenn alles so weit ist, ich werde immer bereit sein.»

Unterdessen hatte ich dem Hafen zugesteuert. Emanuel drückte mir ein Paket in die Hand und sagte mit bebender Stimme Lebewohl. Wenn nicht der Donald meinen Weg gekreuzt hätte, dann hätte ich vielleicht noch lange dem griechischen Engel Emanuel nachgesonnen. Donald war ein englischer Offizier, der nach einem Besuch gerade im Begriff war, das Schiff zu verlassen, als ich einstieg. Er verließ das Schiff dann doch nicht gleich. Ganz jung und ganz blond war Donald, und sehr geschickt, denn er erreichte es irgendwie und auf untadelige Weise, dass er mir vorgestellt wurde. In jenem Moment hauchte das Schiffshorn zum Aufbruch, es reichte gerade noch zum Austausch der Adressen – dann huschte Donald weg, und die Brücke wurde aufgezogen. Im Hafen leuchtete noch lange ein blonder Kopf, und ich winkte.

An Bord war ein Maskenfest im Anzug. Die Maharani, die Frau von Hoheit, wickelte mich in ein indisches Gewand, ein wunderschönes Stück von goldbestickter Seide. Mit einem roten Punkt auf der Stirn trat ich auf.

An jenem Abend war Hoheit leider sehr verstimmt. Der junge indische Offizier war nämlich immer noch an Bord, obwohl ihm Hoheit nahegelegt hatte, um jeden Preis zu versuchen, rechtzeitig in Bombay einzutreffen – was nur möglich sei, wenn er das Schiff in Aden verlassen und weiterfliegen würde. Die Armeeleitung würde ihn degradieren, wenn er zu spät ankäme. Hoheit fragte mich beim Tanzen, ob ich so male, dass man Nase und Mund auf dem Bild erkennen könne, oder ob ich an Stelle der Augen zwei Nasen male. Er lachte sehr über seinen gelungenen Spaß, Hoheit ist nämlich Witzbold, er lacht stets als Erster über seine Witze. «Ich male so viele Nasen, als der Mensch hat», antwortete ich. Hoheit lachte wieder, aber nicht mehr so sehr. Er lud mich ein in seinen Palast, ich sollte ihn dort porträtieren. «Haben Hoheit die Geduld, lange still zu sitzen?» Hoheit machte ein merkwürdiges Gesicht und hatte plötzlich eine ganz andere Stimme. «Sie meinen, wenn wir uns langweilen würden – ach, es gibt so viele Möglichkeiten zur Vertreibung der Langeweile, das wissen Sie wohl selber, nicht wahr?» – «Gegen angeborene Langeweile gibt es kein Mittel.» – «Ich habe noch kein langweiliges Mädchen getroffen.» Wir lächelten beide vielsagend, aber doch nicht in gleicher Weise. «Dann bin ich das Erste», sagte ich. «Sie werden nicht weit kommen …» Hoheit wurde plötzlich stiller, dann sah sich Hoheit weiter um.

Ein aufmerksamer Hofmarschall sorgt für das geistige und leibliche Wohl seines Gebieters. Er hat immer ein Auge auf seinen Herrn, und er weiß stets, wovon Hoheit bewegt ist. Der Hofmarschall ist opferbereit und denkt erst an sich, wenn Hoheit nichts abgeht. Der Hofmarschall stellte Hoheit die Dame vor, mit der er gerade getanzt hatte.

Nach dem Maskenfest, als ich der Maharani die fünf Meter kostbaren Gewandes zurückbringen wollte, lächelte sie und sagte: «Ich habe es Ihnen geschenkt» – und schnell sprach sie von etwas anderem, damit ich nicht zum Danke kam. Die Maharani trug immer einen Diamanten im linken Nasenflügel. Sie war schön, nicht mehr ganz jung, aber immer noch schön, in ihren Augen lag die ganze Güte der Welt. «Die arme Frau, mit so einem Mann», hat einmal jemand zu mir gesagt, als wir von der Maharani sprachen, aber ich fand es gar nicht, man muss gesehen haben, wie behutsam er seine Frau führt und wie er mit ihr spricht. Natürlich hat es ihm zuweilen der Whisky oder sonst was angetan, aber so ganz ohne Laster kann der Mensch schließlich auch nicht leben, wenn er schon die Mittel dazu hat, zudem kann man sich im Orient den Einflüssen des Okzidents nicht verschließen.

Es gab an Bord einen Mann aus Wien mit einem schönen braunen Gesicht, das aussah wie eine Felswand. Jener Mann stand oft draußen und blickte übers Meer. Ich beneidete ihn, denn er brauchte keine gesellschaftliche Anregung zu seiner Zufriedenheit. Er war auf dem Weg zum Dach der Welt. (Letzte Woche habe ich ihn übrigens wiedergesehen, in Zürich an der Bahnhofstraße, auf seiner Rückreise vom Dach. Zweieinhalb Finger fehlen ihm jetzt, dafür hat er eine Erstbesteigung hinter sich. «Macht nix», hat er gesagt, als ich die schwarzen Finger anschaute, «i brauch die beiden Finger eh ned.»)

Bei meinem Bordspaziergang begegnete ich oft dem Herrn Frei aus Basel, der immer den Kopf schüttelte, wenn er mich sah. Ich fand diese altkluge Kopfbewegung recht überflüssig, und ich ärgerte mich jedes Mal. Ich wusste ja, dass es Bölimänner gibt, das brauchte mir der Herr Frei gar nicht erst beizubringen – aber er war halt eben ein Schweizer. «Sie mache sech e ganz falschi Vorstellig vo däm Land – gehn Sie mr denn numme nid däne baar Diamanten uf dr Liim.» – «Oh nai, Heer Frei, Päärle schteen mr jo viil bessr.» – «Sie wäärte n ehri Wundr no erlääbe.»

Manchmal begegnete ich auch Shalu, die auf Deck immer mit ihren vom Winde verwehten Gewändern beschäftigt war. Shalu war unbeschreiblich schön, vielleicht das Schönste, was es geben kann. Ihre Augen wären auch ohne indische Umrandung groß genug gewesen. Sie trug jeden Tag ein neues Vermögen an Schmuck, ganze Geflechte aus Edelsteinen am Halse. Jedes Mal, wenn ich Shalu begegnete, war sie so schön wie noch nie. Sie reiste gerade ihre Hochzeitsreise. «Wenn du nach Delhi kommst, dann musst du mich besuchen», sagte sie zu mir. Einmal sah ich Shalu beim Schwimmbassin sitzen und sich die Haare kämmen, die ihr bis ans Knie reichten. Damals war der Hofmarschall gerade am Schwimmen. Er sah merkwürdig aus ohne Turban. Auf dem Kopf hatte er ein Kügelchen von aufgebundenen Haaren. Ein paar Haarsträhnen reichten leider nicht bis hinauf, die hingen traurig herunter wie Wasserschlingpflanzen in der Luft. Im Ganzen hatte man das Gefühl, es gebe nur Franzosen auf dem Schiff, obwohl unter den fünfhundert Passagieren nur vierzig Franzosen waren. Als aber der Himmel anfing, sich bleigrau zu färben, und unsere Welt manchmal eine schiefe Ebene darstellte, da entleerten sich die Säle und Hallen, und nur noch der Monsun trieb Unfug. Doch trotz Sturm und Schwanken spazierte der kleine weise Mann aus Paris täglich fröhlich auf dem Deck hin und her. Er strahlte, denn es war alles so gekommen, wie er schon lange gewusst hatte – «les dames se reposent». Nur er und alle, die ihm geglaubt und nachgelebt hatten, die waren jetzt noch munter.

Als das Schiff ruhig in den Hafen von Karachi einlief, da wurde allgemein wieder aufgelebt. Auch die beiden Damen kamen wieder zum Vorschein. Heute trugen sie die Zöpflein rund um den Kopf – wie das Gretchen, nur ohne Spinnrad.

Im Hafen standen so etwas wie Pferde. Ich wäre gerne geritten, doch da in der Regel immer der Schwerere den Leichteren trägt, konnte ich nicht wagen, mich auf eines dieser Pferdegerippe zu setzen. Außerdem kannte ich ihre Erziehung nicht. – Es kam dann wieder so, dass ich zu Rad in die Stadt hineinfuhr.

Gewisse Stadtteile waren unbefahrbar, da gerade eine Demonstration wegen Kaschmir im Gange war. Es roch und war klebrig heiß. Ich fühlte mich düster und orientalisch angeschaut. Neben mir fuhren vier auf zwei rostigen Rädern. Nach einer halben Stunde fuhren die vier immer noch neben mir, überdies hinter mir weitere drei.

Ich war nur halb glücklich in Karachi. Am Ende hat der Herr Frei recht. Ich sehnte mich nach allem, was es hier nicht gab, und es gab so vieles nicht, was es bei uns gibt. Es gab keine Schaufenster und keine richtige Teestube, es gab nur Kaffeehäuser für die Herren, es war überhaupt alles nur für die Herren gedacht. Damen sah man nicht. Sonst gab es Leute genug, wo man hinschaute, nur Leute, man sah vor lauter Leuten die Stadt nicht. Manche lagen einfach am Boden, andere hockten am Straßenrand, dabei war die Straße nicht etwa sauber. Ich wagte nicht von meinem Rad zu steigen, deshalb fuhr ich immerzu, durch die Stadt und wieder hinaus, bis ich zu einem Sandstrand kam. Zwischen einigen Grasbüscheln lagen da Lumpen und Bretter herum, es sah so aus, wie wenn der Monsun eine Überschwemmung angerichtet hätte. Weiter hinten auf der Sanddüne rauchte es. Um den Rauch kauerte Menschliches in Lumpen gehüllt. Ein paar braune Kinder mit schmutzig grauen Haarsträhnen über dem Gesicht sprangen fröhlich herum, als sie mich erblickten, hinter mir her, sie wussten gar nicht, wie arm sie waren. Hinter diesen Kindern und hinter den Sanddünen beleuchteten weiße palastartige Mietskasernen die Gegend, als einzigen Lichtblick. Draußen auf dem Meer ragte der Bug eines versunkenen Schiffes senkrecht in den dunkelgrauen Himmel.

 

 

 

Am Abend fuhr die ASIA weiter. Während der Fahrt wurde der Uhrzeiger jeden zweiten Tag um eine Stunde vorgerückt. Ich ertrug diesen Betrug einfach nicht, und ich lebte die alte Zeit weiter, so kam es, dass ich in den letzten Tagen von morgens vier bis mittags zwei Uhr schlief. Es mangelte mir dabei an nichts, denn ich stand mit dem Chef de Service auf gutem Fuß.

Des Nachts hing ich dann einsam an irgendeinem Geländer, schaute übers dunkelblaue Meer und hinauf zum verschleierten Mond. Ich dachte über alles, was war und sein wird, an die Vergänglichkeit und die Vergangenheit, und eben an meine Zukunft, von deren Schwüle ich bereits eine Ahnung hatte.

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