
Hermann Burger
RAUCHSIGNALE
KINDERGEDICHTE
KIRCHBERGER IDYLLEN
Gedichte
Mit einem Nachwort von
Harald Hartung
Nagel & Kimche
Die Werkausgabe wurde ermöglicht dank der großzügigen Unterstützung durch
den Kanton Aargau
sowie der Unterstützung durch
die UBS Kulturstiftung
die STEO-Stiftung Zürich
die Stadt Zürich Kultur
den Verein zur Förderung des Schweizerischen Literaturarchivs
© 2014 Nagel & Kimche
im Carl Hanser Verlag München
Umschlag: Stefanie Schelleis, München
Porträtfoto Hermann Burger: um 1967, Schweizerisches Literaturarchiv (Bern). Foto: privat
Herstellung: Andrea Mogwitz und Rainald Schwarz
Satz: Satz für Satz. Barbara Reischmann
ISBN Band 1: 978-3-312-00612-0
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Datenkonvertierung E-Book:
Kreutzfeldt digital, Hamburg
INHALTSVERZEICHNIS
FRÜHE GEDICHTE
Früher Sonntagnachmittag Einkehr
RAUCHSIGNALE: Gedichte
I
Der stumme Bruder Gefangenschaft
Landschaft bei Aarau Schwerindustrie
Dichterin Malven Abend vor dem Dorf
Baum I und II Scherben und Glück
II
An einem Streichholz entfacht Drachen im Herbst Schlüsselkinder Erinnerung Landschaft im Winter Jahres-Markt Flamants roses Sommerengel Begegnung
III
Landschaft am See Glück Venise
Kreuzsonate Drüben Spätnovemberliches
Wohnraum Nebelgeliebte · Schmerz
KINDERGEDICHTE
Beim Betrachten einer ländlichen Idylle aus den Münchener Bilderbogen Das alte Karussell
KIRCHBERGER IDYLLEN
1. DUODEZHEFT
Studierstube Nüsperli-Linde Sophoren beim Eingang Krähen Erdbestattung
Auf dem Turm Baumgarten Gipsreibi
2. DUODEZHEFT
Pfarrhaus-Estrich Eidgenössischer Oberst
Chriesbaum beim Friedhof Brunnen
Totengräber-Werkstatt Turmhahn Das Tälchen Schellenbrücke Krankheit
3. DUODEZHEFT
Kohlenkeller Koryphäen und Koniferen
Clematis Das Wurfgitter Leichentor
Nebelkirche Kranzdeponie Ruine Horen
4. DUODEZHEFT
Studierzimmer-Birke Wigger Friedhof im Winter Hochzeit Sandplatz
Papiermühle Feierabend im Sommer
Diesseits und jenseits der Mauer
NACHGELASSENE KIRCHBERGER IDYLLEN
Archiv Gartensaal Kanzelaufstieg
VERSTREUTE GEDICHTE
ANHANG
Alphabetisches Register der Gedichttitel
SPÄT
Spät im Oktober,
Wenn die primären Tage vorbei sind,
Und abends sich die Wälder
In graue Nebelkulissen stufen –
Wenn die leeren Gehäuse der Züge
Ausfahren
Mit frühen Stirnlichtern besteckt –
Wenn die erleuchteten Schaufenster
Wie Silberplomben
Im Weichbild der Stadt sitzen,
Riecht es da nicht schon
Nach Schnee und älteren Gestirnen?
GELIEBTES LAND
Geliebtes Land, deine Burgen altern.
Im Turmsaal über der Stadt
verschwistern die Stunden
zu grauen Gespinsten;
es wimmelt von Asseln und Faltern.
Von der Wand
fällt das Lorbeerblatt in den Schrein.
Die Erinnerung verwelkt,
orangensüßer Duft entschwindet
mit dem Rauch in der Dämmerung.
Durch die Tore ziehen Sagen ein.
FRÜHER SONNTAGNACHMITTAG
Die Welt ist weiß
und vom Nebel durchbissen.
Die grauen Wälder mit ihren
Reif besetzten Orgelstämmen
bewachen das Schweigen.
Aus entlegenen Dörfern
schicken die Kirchen
den bronzenen Klangfuß übers Land.
Figurengruppen bewegen sich
am Eisweiher vorbei
auf dem gelben Band der Straße.
Friedvoll bäuerliches Spiel
dem Tale zu.
EINKEHR
Kehrt ein in den dürren Zelten,
den Oktoberschenken, die
hoch im Winde schaukeln, kehrt ein!
Da gibt es noch einen feuchten
schwarzen Wein von tödlicher Süße,
ein berauschendes Scherbengelächter.
Aber unter uns höhlt das Geschrei
der Raben einen Raum längst vermorschter
Gefühle. Auf den tiefer liegenden
Äckern verherbsten die Brote zu Stein,
und in fernster Tiefe verraucht still
das stürzende Schwarzblut der Wälder.
GONG
Der Himmel aus Bronze und
aus Bronze die See, die Sonne
ein nicht lokalisierbares
Glanzlicht und der Nebel
metallische Ausdünstung.
Alles hart und gehämmert,
dass die Öltanker erträglich
werden mit den schwarzen
Rauchfahnen, die starrhalsigen
Kräne über den Werkhallen,
die Blechzigarren in der Luft.
Weckt ja nicht das Lied,
das, nach Eichendorff, in allen
Dingen schläft. Ein Gewitter
grausig golden scherbender
Gongschläge müsste über uns
hereinbrechen.
ERNTEGEWITTER
Burg um Burg hast du erbaut
mit Sommern, Stirnen und Staub,
Stirnenstaub,
vor den Toren spielen Kinder Krieg im Korn,
blutig verrostet der Zinnsoldat.
Vergebens spielen die Kinder Krieg,
keine meiner Wunden löscht der Mohn,
schwarzer Mohn,
die Vogelscheuchen lächeln sich Kopfweh zu,
ein grüner Engel wettert am Horizont.
Die Vogelscheuchen gehen irr durchs Korn,
lautlos rast im Hof das Karussell,
die Orgel tief im Wahn,
die Kinder reiten wild und schreien
nach dem goldnen Ring in deiner Stirn.
Die Kinder schreien nach dem goldnen Ring,
lass die Burgen verrauchen im Herbst,
bitteres Rauchsignal,
in den Wolkenhallen kracht die Erztür zu,
der Engel schmerzt dich, wenn du barfuß sprichst.
In gelben Wolkenhallen kracht die Erztür zu,
Konfetti schneit dir vors Herz,
bunte Silben,
die Schwänin sinkt im Scherbenweiher, trink
ihr aus den Federn den blutigen Mond.
SANDUHR
Es rinnt mir aus den Augen
in deine Augen:
Sand, aus dem kein Gold gewaschen wurde.
Nahtlos trennt dein Schatten
sich von meinem Schatten.
Unsere Blindheit trägt kein Zeichen,
nur dies: erschlaffte Gewitter
in aufgeworfenen Armen.
Unaufhörlich rinnt der Sand
aus deinem Haar
in mein bodenloses Herz.
Roter Sand,
aus dem kein Gold gewaschen wurde.