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Scherben bringen Glück und Liebe

Im Leben ihres Nachbarn Cole regiert das Chaos - und das ist völlig unvereinbar mit den Plänen der karriereorientierten Lauren. Trotzdem wirbelt der attraktive Witwer ihre Emotionen durcheinander und weckt unbekannte Sehnsüchte in ihr!
  • Erscheinungstag: 06.02.2017
  • Seitenanzahl: 134
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956499715
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

Wumm!

Lauren Russel zuckte zusammen. Gerade war irgendetwas direkt neben ihr von außen gegen die Hauswand geprallt. So heftig, dass sie vor Schreck gegen die Schreibtischplatte gestoßen war und sich der heiße Tee über den Stapel mit dem frisch ausgedruckten Informationsmaterial aus dem Internet ergossen hatte.

„Verdammt!“ Sie sprang auf, griff nach ihrer Leinenserviette und tupfte damit notdürftig die Pfütze auf. Dann rettete sie noch schnell ihre teure Funkmaus und rannte zum Fenster. Was war da bloß passiert?

Gerade eben bekam sie noch mit, dass ein kleiner Junge einen Baseball aus ihrem Garten aufhob und ihn über die Hecke einem Mädchen auf dem Nachbargrundstück zuwarf. Dann verschwand er wieder nach nebenan.

Aha, die kleinen Monster schon wieder. Das hätte ich mir denken können.

Sofort fühlte Lauren sich schuldig. Eigentlich mochte sie Kinder ja. Wobei die Betonung wohl auf dem Wort „eigentlich“ lag: Die Nachbarskinder trieben sie nämlich langsam in den Wahnsinn.

Sie ging wieder an den Schreibtisch und wischte die restliche Flüssigkeit auf. Die feuchten Ausdrucke nahm sie vorsichtig hoch und trug sie ins Bad, um sie dort mit dem Föhn zu bearbeiten. Am Ende war das Papier zwar wellig und braun, aber die Schrift ließ sich zum Glück noch gut lesen. Schön sahen sie nicht gerade aus, und das gefiel ihr ganz und gar nicht … aber sie hatte jetzt nicht die Zeit, alles noch mal aus dem Internet herauszusuchen und neu auszudrucken.

Schließlich setzte sie sich wieder an ihren Schreibtisch, um weiterzuarbeiten. Gar nicht so leicht, dabei das fröhliche Gekreische von nebenan auszublenden. Es klang, als würden gerade zwei Grundschulklassen durch den Nachbargarten toben. Immer wieder schlug etwas gegen ihre Hauswand – offenbar der Baseball. Und jedes Mal zuckte Lauren zusammen. Wie konnten drei Kinder bloß so einen Krach machen?

Da soll sich noch mal jemand darüber beschweren, dass die Kleinen heutzutage nur im Haus herumhängen und Computerspiele spielen …

Egal, darüber wollte sie sich jetzt keine Gedanken machen. Immerhin musste sie ihren Artikel, für den sie bis eben recherchiert hatte, bis zwölf Uhr mittags abgeschickt haben. Unbedingt. Und jetzt, wo sie wusste, was der ganze Krach zu bedeuten hatte, konnte sie ihn vielleicht umso besser ausblenden und sich auf ihre Arbeit konzentrieren. Obwohl sie die Kinder am liebsten ermahnt hätte, doch bitte etwas leiser zu spielen. Aber sie hatte gestern schon mit den dreien geschimpft, als sie einfach durch ihre perfekt gepflegten Blumenbeete getrampelt waren. Und letzte Woche hatte sie ihnen einen kleinen Vortrag darüber gehalten, dass sich Frisbees nicht gerade optimal mit Tomatenstauden vertrugen.

Auf gar keinen Fall wollte sie wie eine verbitterte alte Hexe wirken, die über jede Kleinigkeit meckerte und spielenden Kindern den ganzen Spaß verdarb. Andererseits befand sich ihr Arbeitszimmer ausgerechnet auf der Seite der Krachmacher-Nachbarn.

Warum waren die Garrisons bloß ausgezogen? So ein nettes und vor allen Dingen ruhiges älteres Ehepaar! Gut, die beiden hatten in der Nähe ihrer ältesten Tochter und deren Familie wohnen wollen, und die lebte nun mal in Arizona, nicht hier in Huntsville, Alabama. Also hatten die Garrisons ihr Haus ausgerechnet an eine Familie mit drei Kindern verkauft. Zumindest hatte Lauren bisher drei Kinder zu Gesicht bekommen: zwei Jungen und ein Mädchen. Bitte mach, dass es nicht noch mehr sind! dachte sie.

Sie starrte auf den Monitor und versuchte, sich voll und ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Das ging natürlich nach hinten los: Jetzt nahm sie jedes Geräusch nur noch deutlicher wahr. Da, ein spitzer Schrei! Jemand machte eine höhnische Bemerkung. Dann Gelächter.

In zwei Stunden musste der Artikel für die Lokalzeitung fertig sein. Und gleich danach warteten schon die Änderungsvorschläge, die ihre Lektorin zu ihrem Buch gemacht hatte. Es war eine Sammlung von Rezepten und Haushaltstipps; die meisten hatte sie schon einmal im Rahmen ihrer wöchentlichen Serie im Lokalblatt veröffentlicht.

In drei Tagen sollte die überarbeitete Fassung beim Verlag sein. Eigentlich hatte sie gehofft, heute damit fertig zu werden, um das überarbeitete Manuskript schon morgen abschicken zu können. Immerhin war es ihr erstes Buch, und sie hoffte, dass noch weitere folgen würde. Wenn sie jetzt den Abgabetermin überzog, machte sie sich bei ihrer Lektorin nicht gerade beliebt.

Außerdem war es für Lauren sowieso unerträglich, einen Termin nicht einhalten zu können. Das fand sie fast genauso schlimm wie die Unpünktlichkeit anderer Leute. Das war eben eine ihrer … na ja, Macken eben. Und jeder hatte doch das Recht auf eine kleine Macke, oder?

Lauren atmete tief durch und machte sich bereit dafür, in ihr Reich der tiefen inneren Stille einzutauchen … da riss sie ein ohrenbetäubender Krach abrupt in die Gegenwart zurück. Glasscherben verteilten sich auf dem Orientteppich und dem Beistelltischchen ihrer Großmutter. Laurens Herz machte einen Riesensatz, und sie schrie auf. Dann erst wurde ihr klar, wie still es auf einmal geworden war. Das Kreischen und Lachen auf dem Nachbargrundstück war schlagartig verstummt.

Als sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte, stand sie auf und ging vorsichtig über die Scherben in Richtung Fenster. Immerhin war sie heute nicht barfuß, wie sonst oft in diesem heißen Sommer! Ein paar Meter von der zersplitterten Scheibe lag die Wurzel allen Übels: ein Baseball. Der kleine, dreckige Ball thronte zwischen den ehemals makellosen, ordentlich sortierten Manuskriptseiten ihres Buches, die jetzt mit den Änderungsvorschlägen ihrer Lektorin versehen waren. Von „makellos“ und „ordentlich sortiert“ konnte allerdings keine Rede mehr sein: Die obersten Seiten waren verschmiert, und der gesamte Stapel hatte sich über den Boden verteilt.

Immer wieder hatte Lauren die Beschreibung gehört, dass jemand „vor Wut kochte“. In diesem Augenblick hatte sie erstmalig eine Vorstellung davon, wie sich so etwas anfühlte. Sie blickte vom dreckigen Baseball zu ihren ruinierten Manuskriptseiten und schließlich zur zerbrochenen Fensterscheibe. Mir langt’s, dachte sie. Ich kann nicht mehr.

Entschlossen griff sie nach dem Ball, ging mit energischen Schritten zur Hintertür und sah sich draußen auf dem steinernen Treppenabsatz um. Nicht zum ersten Mal fiel ihr Blick auf ihre zertretenen Blumen und die abgeknickte Tomatenstaude. Außerdem lag seit heute ein leerer Getränkekarton auf dem zertrampelten Rasen. Bin ich etwa der städtische Müllabladeplatz? dachte Lauren. Bis vor Kurzem hatte sie noch einen wunderschönen, perfekt gepflegten Hintergarten gehabt. Und ein schönes, ordentliches Arbeitszimmer. Aber dann waren ihre neuen Nachbarn eingezogen und hatten alles kaputtgemacht. Auch das Trampolin und das Fußballtor, das sie aufgestellt hatten, störten das einheitliche Gesamtbild in dieser gepflegten Wohngegend enorm.

Die Kinder waren nirgends zu sehen, nur das Zischen des Rasensprengers durchbrach die Stille. Lauren ging zwischen den beiden Häusern hindurch nach vorn zur Straßenseite.

Mit aller Kraft wummerte Lauren gegen die Haustür ihrer neuen Nachbarn – so fest, dass ihr die Fingerknöchel wehtaten. Sie hätte zwar auch klingeln können, aber das hätte ihre derzeitige Stimmung nicht angemessen zum Ausdruck gebracht.

Dann schüttelte sie ihre schmerzende Hand und wartete. Dabei ließ sie den Blick über das Chaos auf der Veranda schweifen: ein Baseballhandschuh, mehrere Frisbees, dazu eine einbeinige Barbiepuppe mit sehr individuellem Haarschnitt … und ein Skateboard. Wahrscheinlich sah es im Hausinneren nicht besser aus.

Schade, dachte Lauren. Man könnte es sich hier so hübsch machen: ein paar weiße Korbstühle aufstellen und ein paar Blumenampeln aufhängen zum Beispiel.

Als niemand auf ihr Klopfen reagierte, drückte sie doch auf den Klingelknopf. Und dann noch einmal. Sie hörte, dass im Haus geflüstert wurde. Offenbar ignorierten diese Vandalen sie einfach. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Die Kinder waren doch bestimmt nicht völlig allein zu Hause!

Jetzt war es wieder still, Lauren hörte nicht mal jemanden flüstern. Also drückte sie zum dritten Mal auf den Klingelknopf. Als auch dann niemand reagierte, beschloss sie, noch ein weiteres Mal anzuklopfen. Gerade hatte sie die Hand gehoben, da schwang die Tür auf. Vor ihr stand ein großer, breitschultriger Mann, der sich ein Handy ans Ohr hielt. Irritiert wirkte er, und nicht gerade gut gelaunt. Er hob einen Finger, um ihr zu bedeuten, dass er noch eine Minute Zeit brauchte.

Aha, das war also der Vater dieser drei Vandalen. Dem müsste auch mal jemand anständiges Benehmen beibringen, genau wie seinen Kindern. Am liebsten hätte sie ihm jetzt das Mobiltelefon aus der Hand gerissen. Dann hätte sie bestimmt sofort seine volle Aufmerksamkeit gehabt.

Aber so etwas würde sie natürlich nie tun. Außerdem war Lauren inzwischen längst nicht mehr so entschlossen, ihren Nachbarn kräftig zusammenzufalten. Sie hatte sich noch nie besonders wohl in ihrer Haut gefühlt, wenn sie mit einem Mann aneinandergeriet. Erst recht nicht, wenn er auch noch so unverschämt gut aussah wie dieser.

Dass Lauren gerade mal eins sechzig groß war und ihr neuer Nachbar deutlich über eins achtzig, trug auch nicht dazu bei, dass sie sich wohl in ihrer Haut fühlte. Das machte es nicht gerade leicht, sich mit ihm von Angesicht zu Angesicht zu unterhalten.

Sie musterte ihn aufmerksam. Offenbar hatte er sich in den letzten ein, zwei Tagen nicht rasiert. Es sah auch so aus, als wäre er schon länger nicht mehr beim Friseur gewesen. Seine Haare waren zwar nicht direkt lang, hingen ihm aber etwas zottelig ins markante Gesicht. Besonders seine perfekt geschnittene Nase fiel Lauren auf; sie hatte eine Schwäche für schöne Nasen. Und obwohl er bloß Jeans und ein verwaschenes graues T-Shirt trug, strahlte er trotzdem eine unglaubliche Autorität aus.

Na super, dachte Lauren. Vielleicht hätte ich ihm doch lieber einen bösen Brief schreiben sollen.

„Du, ich ruf dich später noch mal an, ja?“, sprach der Mann in den Hörer. Dann sah er ihr das erste Mal in die Augen. Und lächelte. „Vor meiner Haustür steht gerade eine Frau in Schlafanzug und Häschenpuschen, und sie hat einen Baseball in der Hand. Ich glaube, es geht um etwas Wichtiges, sie sieht nämlich aus, als hätte ihr jemand in die Cornflakes gespuckt.“

Lauren versuchte, möglichst unauffällig an sich herabzusehen. Ja, sie war tatsächlich noch im Schlafanzug: Zu einer langen, weichen Baumwollhose trug sie ein ärmelloses, ziemlich eng anliegendes Oberteil. Und keinen BH darunter. Zum Glück füllte sie das Top nicht besonders stark aus.

Trotzdem war es ihr inzwischen unangenehm, in diesem Aufzug zu ihrem neuen Nachbarn herübergerauscht zu sein. Nicht nur unangenehm, sondern sogar hochnotpeinlich.

Außerdem hatte sie immer noch den blöden Baseball in der Hand.

In diesem Augenblick klappte der Mann sein Telefon zu und sah sie direkt an. Lauren erschauerte. Seine Augen waren blau. Und das nicht nur ein bisschen: Sie leuchteten so intensiv wie ein klarer Frühlingshimmel, an dem hier und dort Eiskristalle aufblitzten. Schnell ließ Lauren den Blick sinken, um stattdessen sein Kinn zu betrachten. Das war im Gegensatz zu seiner Nase und seinen Augen völlig durchschnittlich – zum Glück.

Sie reichte ihm den Baseball, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust, weil ihr inzwischen bewusst war, dass sich unter ihrem dünnen Oberteil viel zu viel abzeichnete. Dummerweise hatte ihr Nachbar das inzwischen wohl auch mitbekommen.

Wie sollte sie ihm da noch einigermaßen gefasst all die Dinge sagen, die sie sich eben durch den Kopf hatte gehen lassen? Dazu fehlten ihr eindeutig die Nerven. „Dürfte ich bitte mit Ihrer Frau sprechen?“, sagte sie.

Gerade hatte sich Cole noch über den Auftritt seiner Nachbarin amüsiert, jetzt wurde er schlagartig ernst. Inzwischen müsste er sich eigentlich an diese Fragen gewöhnt haben, aber sie erwischten ihn jedes Mal eiskalt. Immerhin hatte er beim Antworten eine gewisse Routine entwickelt. „Meine Frau ist tot“, erwiderte er knapp. „Sie müssen leider mit mir reden.“

Die junge Frau, die eben noch ziemlich verärgert gewirkt hatte, betrachtete ihn mitfühlend. Diese Reaktion kannte er schon.

„Ich … ich wollte Ihnen nicht … Das tut mir leid“, stammelte sie, dann runzelte sie die Stirn. „Als Sie hier eingezogen sind, habe ich auch eine Frau gesehen, die einen Koffer ins Haus getragen hat. Da dachte ich …“

„Das war meine Schwägerin“, gab er zurück. „Sie hat uns beim Umzug geholfen.“ Er musterte seine Nachbarin. Ja, jetzt erkannte er sie, er hatte sie schon ein paarmal im Garten erblickt oder war ihr begegnet, wenn sie gerade nach der Post sahen.

Dass sie ganz hübsch anzuschauen war, hatte er schon von Weitem festgestellt. Jetzt, aus der Nähe betrachtet, bemerkte er, dass „ganz hübsch“ weit untertrieben war. Sie war zwar keine klassische Schönheit, hatte aber so ein gewisses Etwas. Sie war zierlich, hatte grünbraune Augen, schön geschwungene Lippen und goldblondes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug.

Cole konnte sich gleich denken, warum sie ihm den schmutzigen Baseball mitgebracht hatte: Er war entweder in ihrem Garten gelandet oder – schlimmer noch – in ihrem Haus. Und hatte dabei eine Fensterscheibe zerschlagen.

Kein Wunder, dass die Kinder eben hereingestürmt und in ihren Zimmern verschwunden waren, als wäre der Teufel hinter ihnen her.

Die Frau vor seiner Haustür trat einen Schritt zurück. „Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie nicht stören. Ich gehe dann einfach wieder und …“

Cole wandte sich um. „Hey, ihr drei, kommt ihr mal ganz schnell hierher!“, brüllte er.

Einige Sekunden lang war es totenstill, dann erschienen seine Kinder. Sie waren noch völlig durchnässt vom Rasensprenger und machten allesamt ziemlich betretene Gesichter. „Was ist eigentlich passiert?“, erkundigte sich Cole ruhig.

Einen Moment lang schwiegen die drei – was selten genug vorkam –, dann fingen alle gleichzeitig an zu reden. Einer lauter und aufgeregter als der andere. Angestrengt hörte er zu und versuchte, die Satzfetzen zu einer zusammenhängenden Geschichte zusammenzusetzen: Justin hatte den Ball geworfen, Hank hatte ihn nicht gefangen, und Meredith hatte ihre kleinen Brüder einfach machen lassen. Obwohl sie die Älteste von den dreien war und ihnen das Baseballspiel im Garten hätte verbieten sollen.

Cole versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er gerade ziemlich stolz auf seinen jüngsten Sohn war: Immerhin war Justin erst fünf. Wenn sein Wurf ein Fenster zerschmettert hatte, musste der richtig kraftvoll gewesen sein. Aber dazu konnte er den Kleinen jetzt schlecht beglückwünschen.

„Hört mal, Ihr entschuldigt euch gefälligst alle bei …“, begann er stattdessen und wies mit dem Kopf auf seine hübsche Nachbarin. „Es tut mir leid, aber ich weiß nicht mal, wie Sie heißen“, sagte er.

„Lauren Russell“, erwiderte sie.

Er reichte ihr die Hand. „Freut mich, ich bin Cole Donovan. Und die drei Rotznasen hier heißen Meredith, Hank und Justin.“

Kurz spürte er den festen Druck ihrer Finger, dann ließ sie auch schon wieder los und verschränke erneut die Arme vor dem Oberkörper. Offenbar wollte sie damit ihre Brüste verbergen, aber in Wirklichkeit schob sie sie damit sogar noch ein Stück hoch und betonte sie nur noch mehr. Aber wo guckte er da eigentlich gerade hin? „So, ihr drei. Jetzt entschuldigt ihr euch bitte bei Ms. Russell. Und dann geht ihr sofort in eure Zimmer. Ich will erst mal keinen Piep mehr von euch hören, habt ihr das verstanden?“

Besonders reumütig klangen die Entschuldigungen der Kinder nicht. Dann beschwerten sie sich lautstark über ihre Strafe.

Cole betrachtete sie streng. „Das müsst ihr eben hinnehmen“, sagte er. „Hat mir etwa einer von euch Bescheid gesagt, dass das Fenster kaputtgegangen ist? So etwas kann ja durchaus mal passieren … aber dann muss man auch dafür geradestehen und darf sich nicht einfach aus dem Staub machen.“

„Soll ich dir einen Kaffee kochen, Dad?“, erkundigte sich Meredith mit zuckersüßer Stimme. Seine Tochter war inzwischen fast dreizehn, und das war irgendwie beängstigend. Außerdem war sie ein jüngeres Abbild ihrer Mutter, mit ihren langen blonden Haaren, den dunkelbraunen Augen, den hohen Wangenknochen und den langen Beinen. Warum konnte sie nicht einfach für immer zwölf Jahre alt bleiben und nie erwachsen werden? Jedenfalls nicht so schnell.

Er begegnete ihrem Blick mit strenger Miene. „Damit kriegst du mich auch nicht weichgekocht“, sagte er.

Betreten zogen sich die Kinder in ihre Zimmer zurück. Lange wollte er den Hausarrest nicht andauern lassen – die drei sollten bloß merken, dass sie sich falsch verhalten hatten. Er wandte sich an Lauren Russell. „Ich kümmere mich um Ihr Fenster.“

Sie war praktisch schon im Gehen begriffen. „Nein, schon gut, machen Sie sich keine Gedanken.“

„Natürlich kümmere ich mich darum“, rief er ihr nach. „Das ist eindeutig meine Aufgabe, meine Kinder haben die Scheibe ja kaputtgemacht.“

„Wie Sie meinen.“ Sie winkte ihm noch einmal zu, allerdings ohne sich umzudrehen. Schade, also konnte er keinen letzten Blick mehr auf ihre kleinen festen Brüste in dem knappen Top werfen. Andererseits: Von hinten sah diese Lauren Russell auch nicht gerade schlecht aus. Außerdem hatte sie einen sehr weiblichen Hüftschwung.

Dabei hatte er weder die Zeit noch die Gelassenheit, sich näher mit einer Frau auseinanderzusetzen.

„Hey, warten Sie mal kurz!“, rief er und lief ihr hinterher. Sie blieb stehen, dann drehte sie sich langsam zu ihm um und sah ihn herausfordernd an. Ihre Augen funkelten. Am liebsten hätte er sich noch einmal in Ruhe mit ihr unterhalten. Immerhin waren sie jetzt Nachbarn, und ihr erstes Zusammentreffen war alles andere als glücklich verlaufen. Aber so, wie sie ihn gerade ansah … war das vielleicht keine so gute Idee.

„Ja, bitte?“, hakte sie nach, nachdem er sie sekundenlang schweigend angeschaut hatte – wie ein Volltrottel.

„Es tut mir leid, dass wir uns ausgerechnet unter so blöden Umständen kennengelernt haben“, begann er und überlegte verzweifelt, wie er das Gespräch fortsetzen sollte. Sollte er sie vielleicht nach den besten Einkaufsmöglichkeiten in der Gegend fragen? Nach dem nächsten Kino? Oder danach, wie sie mit den anderen Nachbarn zurechtkam?

Aber offenbar wollte die Frau im Moment am liebsten in Ruhe gelassen werden. Und das konnte er durchaus verstehen. „Ich … passe von jetzt an auf, dass meine Kinder Sie nicht mehr stören.“

Ihre Miene entspannte sich. „Es tut mir leid, wenn ich vorhin etwas heftig geworden bin.“ Schon wieder versuchte sie, unauffällig ihre Brüste zu bedecken. „Es sind ja noch Kinder, und ich weiß, dass sie das Fenster nicht mit Absicht kaputtgemacht haben.“

Cole schob die Hände in die Hosentaschen. Warum bin ich ihr bloß nachgelaufen? fragte er sich. Eigentlich lag die Antwort auf der Hand: Lauren Russell war eine attraktive, interessante junge Frau, außerdem hatte er sich schon seit Tagen nicht mehr mit einem erwachsenen Menschen unterhalten. Zum Glück hatte er inzwischen Routine darin, sich aus unangenehmen Situationen wieder herauszuwinden. „Dann weiß ich ja, an wen ich mich wenden kann, wenn ich mal einen Babysitter brauche“, erwiderte er.

Lauren Russell starrte ihn so entsetzt an, dass er sich ein breites Grinsen nicht verkneifen konnte. „Hey, das war doch bloß ein Scherz.“

Sie senkte den Kopf, verabschiedete sich höflich und lief dann zu ihrem Haus. Diesmal ließ er sie einfach gehen.

Lauren beugte sich über ihren Bildschirm. Gerade gab ihr Magen ihr hörbar zu verstehen, dass es Zeit fürs Mittagessen war. Zum Glück hatte sie noch einen Rest Gemüselasagne von gestern im Kühlschrank – eines ihrer Lieblingsgerichte. Inzwischen hatte sie auch ihren Artikel fertiggeschrieben und an die Zeitung gemailt, die Glasscherben vom Fußboden gesammelt und alle kleineren Splitter weggesaugt. Außerdem hatte sie ein Stück Karton vor das große Loch in der Scheibe geklebt.

Bevor sie sich die Lasagne aus dem Kühlschrank aufwärmte, wollte sie noch ein bisschen im Internet surfen. Das Internet war wirklich eine tolle Sache. Zahlreiche Leute, die nach einem Rezept suchten, landeten beim Googeln auf Laurens Website. Das war aber noch nicht alles: Die Suchmaschine eignete sich auch hervorragend dafür, neue Nachbarn auszuspionieren.

Da weder „Cole“ noch „Donovan“ besonders außergewöhnliche Namen waren, hatte Lauren nicht damit gerechnet, ihn so leicht zu finden. Aber zu ihrer Überraschung war gleich ihr erstes Suchergebnis ein Treffer. Ja, das war eindeutig ihr neuer Nachbar auf dem Bild neben dem Artikel!

Wenn sie sich selbst auch nur ein bisschen für Baseball interessierte, hätte sie ihn wahrscheinlich längst erkannt: Offenbar war Cole Donovan nämlich vor ein paar Jahren noch ein echter Star auf dem Gebiet gewesen. Lauren musste sich erst durch ein paar weitere Links klicken, um herauszufinden, warum er sich so plötzlich von seiner vielversprechenden Karriere verabschiedet hatte.

Als sie den entscheidenden Artikel las, schluckte sie. Ihr Nachbar hatte ja schon erwähnt, dass seine Frau gestorben war, jetzt erfuhr Lauren Genaueres: Mary Donovan war urplötzlich im Supermarkt tot umgefallen. Offenbar war sie mit einem schweren Herzfehler geboren worden, von dem sie aber nichts gewusst hatte. Als Lauren die Geschichte las, lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Unfassbar – wie ein Mensch eben noch am Leben sein konnte und dann auf einmal … tot. Es gab auch niemanden, den man für diesen Tod verantwortlich machen konnte: keinen angetrunkenen Fahrer und keinen Arzt, der eine Fehldiagnose erstellt hätte. Die junge Frau war damals neunundzwanzig Jahre alt gewesen, genau wie ihr Mann. Die beiden hatten sich an der Highschool ineinander verliebt.

Lauren las weiter. Nach dem Tod seiner Frau hatte Cole beschlossen, als alleinerziehender Vater ganz für seine Kinder da zu sein – statt die drei bei Verwandten unterzubringen oder eine Nanny einzustellen. Er hatte lieber seine lukrative Baseball-Karriere an den Nagel gehängt.

Jetzt fühlte sich Lauren sogar noch weniger wohl in ihrer Haut. Ihr wurde richtig schlecht, wenn sie sich daran erinnerte, wie sie mit dem schmutzigen Baseball aufs Nachbargrundstück gelaufen war. Wie sie empört gegen die Haustür geschlagen hatte. Als hätte die kleine Familie nicht schon genug Sorgen! Wahrscheinlich würde dieser schreckliche Schicksalsschlag sie alle bis an ihr Lebensende verfolgen.

Lauren betrachtete noch mal die Zeitangaben in dem Internet-Artikel und rechnete nach: Mary Donovan war vor ungefähr fünf Jahren gestorben. Zu dem Zeitpunkt musste der jüngste Sohn, Justin, noch ein Baby gewesen sein.

Und sie? Verlor völlig die Fassung, bloß weil die Kinder beim Spielen ein bisschen Krach gemacht hatten und ihre Scheibe dabei zu Bruch gegangen war …

Inzwischen war es ihr auch ein bisschen peinlich, dass sie Cole Donovan im Internet nachspioniert hatte. Manche Dinge gingen sie einfach nichts an. Andererseits: Wenn sie irgendwann darüber sprechen würden, konnte sie nicht so tun, als wüsste sie von nichts.

Als sie in der Küche die Reste ihrer Gemüselasagne aus dem Kühlschrank holte, kam ihr eine Idee. Sie könnte ihren neuen Nachbarn ja etwas Schönes kochen – sozusagen als Friedensangebot. Vielleicht eine deftige Lasagne mit Bolognesesoße? Und danach ein gebackenes Dessert mit frischen Pfirsichen? Mochten Kinder so etwas wohl? Lauren konnte das nicht beurteilen, es gab so wenige Kinder in ihrem Umfeld. Sie hatte weder Nichten noch Neffen, und die Kinder ihrer Freundinnen sah sie nur selten.

Andererseits: Lasagne mochte doch eigentlich jeder, oder? Und ihr Spezialrezept mit den frischen Pfirsichen hatten bisher all ihre Gäste über den grünen Klee gelobt. Sie bereitete es nach einem alten Rezept ihrer Großmutter zu.

Während sich der Teller mit der Gemüselasagne in der Mikrowelle drehte, schenkte Lauren sich ein Glas Eistee ein. Dann rückte sie die anderen Behälter mit den Einpersonen-Portionen im Kühlschrank zurecht. Genau wie in ihren Küchenschränken hatten auch hier die Dinge ihren festen Platz. Und alles blitzte und blinkte. In einer sauberen Umgebung fühlte sie sich nun mal am wohlsten.

Lauren setzte sich mit ihrer aufgewärmten Lasagne in die Essnische und betrachtete stolz ihren perfekt gepflegten Hintergarten. Dann ging sie im Geiste ihre Planung für den restlichen Tag durch. Zuerst wollte sie die Anmerkungen ihrer Lektorin zu ihrem Buchmanuskript einarbeiten, sich eine halbe Stunde lang auf den Hometrainer setzen und anschließend duschen. Um sechs Uhr war sie mit ihrer Großmutter zum Dinner verabredet, danach wollte sie ein paar Dinge aus dem Supermarkt besorgen. Morgen würde sie dann die Lasagne und das Pfirsichdessert für ihre Nachbarn machen – gleich nachdem sie das überarbeitete Manuskript weggebracht hatte.

Lauren atmete tief durch. Im Moment war es nebenan genauso ruhig wie bei ihr, außerdem hatte sie ihre nächsten beiden Tage komplett durchgeplant. Also war alles erst mal in bester Ordnung.

2. Kapitel

Komisch, dachte Cole. Die Kinder haben jetzt schon seit einer halben Stunde keinen Mucks mehr von sich gegeben. Wahrscheinlich macht ihnen das kaputte Fenster schwer zu schaffen.

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