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Sitz, Platz, Plätzchen

Als Buch hier erhältlich:

Übergewichtig, niedergeschlagen und nicht mehr der Jüngste - Brydies neuer Mitbewohner, der Mops Teddy Roosevelt, bringt ihr Leben ganz schön durcheinander. Als würden eine anstrengende Scheidung und ein plötzlicher Umzug nicht schon genügen. Doch dann hat Brydie eine Idee: Warum nicht ihre Backkünste mit ihrem neu erworbenen Wissen über Hunde kombinieren und ein Café für Hund und Herrchen eröffnen? Sie will ganz neu anfangen und sich vielleicht sogar irgendwann noch einmal verlieben …


Annie England Noblins Geschichte über Neuanfang ist voller farbenfroher Helden und dabei gleichzeitig unbeschwert und lebensbejahend. Die Leser erwartet ein absolut süßer Genuss! - USA Today
Wer dieses Buch verschlungen hat, wird unbedingt noch mehr von Annie lesen wollen. - Library Journal


  • Erscheinungstag: 01.10.2018
  • Seitenanzahl: 384
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956498367

Leseprobe

Für Emilia, die perfektesten drei Pfund,
die ich je in meinen Armen halten durfte,
und für Nikki, der nun im Himmel auf sie aufpasst.

1. KAPITEL

DER HUND GEHÖRTE zum Haus. Vielleicht auch das Haus zum Hund. Wie auch immer, beides gehörte auf jeden Fall zusammen.

Brydie Benson sah auf das dicke Fellknäuel zu ihren Füßen, das gerade den Parkettboden vollsabberte. Sie trat einen Schritt zurück. »Sicher, dass er nicht bei einem Verwandten oder Bekannten unterkommen kann? Ich bin kein großer Hundefreund.« Dabei war sie sich nicht einmal sicher, ob das keuchende Etwas zu ihren Füßen überhaupt ein Hund war.

»Es gibt keine Verwandten«, erwiderte Elliott Jones, ihre beste Freundin. Sie ging in die Hocke und streichelte dem Tier den Kopf. »Und auch leider keine Bekannten. Armer Teddy Roosevelt.«

»Heißt er etwa so? Teddy Roosevelt?«

»Ja, das ist sein Name.«

Brydie musste kichern. »Im Ernst?«

»Ja, im Ernst«, antwortete Elliott und sah sie an. »Willst du das Haus jetzt oder nicht? Ich mein’ – nicht dass ich was dagegen hätte, dass du bei uns wohnst. Aber jetzt ist schon ein halbes Jahr um!«

Sie hatte recht. Es ist Zeit, sich ein eigenes Dach über dem Kopf zu suchen, dachte Brydie. Ihre beste Freundin hatte genug um die Ohren mit Leo, der vierjährigen Mia und ihrem Babybauch. Irgendwann im Januar sollte ein kleiner Junge geboren werden.

Am Anfang war es wie in alten Zeiten gewesen, wie damals zu Hause in Jonesboro, Arkansas. Damals, bevor Elliott nach Memphis in Tennessee zu Leo gezogen war, dem erfolgreichen Anwalt für Schadensrecht. Mittlerweile war Oktober, und Brydie konnte nicht ewig bei ihrer Freundin im Untergeschoss wohnen. Sie brauchte endlich eine eigene Bleibe!

Sie hatte Elliott gesagt, dass sie jedes Haus nehmen würde, solange sie es sich leisten konnte. Leider konnte sie sich nicht viel leisten. Sie sah sich um. Die Villa war wunderschön und in makellosem Zustand. Der zwei Stockwerke hohe Altbau aus braunem Sandstein lag in Germantown, einem der wohlhabenderen Viertel von Memphis. Sie war begeistert gewesen, als Elliott ihr erzählt hatte, dass sie hier mietfrei wohnen könnte, es gäbe da nur einen Haken, hatte sie gesagt: Die ältere Dame, der das Haus gehörte, war mit dem Chef der Immobilienfirma befreundet, in der Elliott arbeitete. Sie war kürzlich in ein Altersheim gezogen und wollte das Haus noch nicht verkaufen. Also hatte Elliotts Chef ihr versprochen, für einen Haussitter zu sorgen, solange die Villa noch nicht zum Verkauf stand.

»Und was ist das bitte schön für eine Rasse?« Brydie zog eine Augenbraue hoch und zeigte auf den Hund.

Elliott zuckte mit den Schultern. »Ein Mops, glaub’ ich. Ein ziemlich alter. Als sein Frauchen ins Altersheim gezogen ist, hat man ihn in einer Hundepension untergebracht. Ich glaube, er ist echt froh, jetzt wieder zu Hause zu sein.«

»Aha. Und woran erkennst du das?« Brydie war schleierhaft, wie irgendwer aus diesem zerknautschten Hundegesicht Gefühle ablesen sollte.

»Er ist wirklich pflegeleicht.« Elliott strich sich über den Bauch. »Wenn du das Haus nicht willst, sag’s jetzt. Ich musste meinen Chef förmlich anflehen, eigentlich wollte er seinen Nichtsnutz von Sohn hier einquartieren.«

»Okay«, seufzte Brydie. »Einverstanden.«

Elliott zog einen Stapel Papiere aus ihrer Ledertasche: »Hier, der Vertrag. Er gilt jeweils einen Monat, und Mrs. Neumann muss zustimmen.«

»Wer ist Mrs. Neumann?«

»Die Dame, der das Haus gehört.«

Brydie runzelte die Stirn. »Ich dachte, die ist im Pflegeheim?«

»Ist sie auch.« Elliott deutete auf eine Stelle im Vertrag. »Du wirst sie kennenlernen, wenn du sie mit Teddy Roosevelt sonntags im Heim besuchst.«

»Moment mal«, sagte Brydie. »Heißt das, ich soll nicht nur auf das dicke Fellknäuel aufpassen, sondern es auch noch jeden Sonntag zu seinem Frauchen kullern?«

»In der Not frisst der Teufel bekanntlich Fliegen«, befand Elliott, ganz die Maklerin.

So groß ist die Not nun auch nicht, dachte Brydie. Andererseits hätte sie auch nie erwartet, dass ihr Leben mit vierunddreißig einmal so aussehen würde. Vorteilhaft war ihre Lage zurzeit jedenfalls gewiss nicht. Sie sollte dankbar sein für diese Chance! Leider war Dankbarkeit eine Haltung, die ihr dieser Tage nicht leichtfiel. Ihr Leben war alles andere als rosig, tatsächlich sogar derart durcheinandergeraten, dass sie kaum wusste, wo oben und unten war. Ich bin hier, in diesem Haus, dachte sie. Und ich werde das Beste daraus machen. Sie musterte den Hund auf dem Parkettboden. Der kleine Kerl war wieder eingeschlafen, die Lider flatterten leicht, die Zunge hing ihm aus dem rechten Mundwinkel.

Vielleicht war dieser Deal gar nicht mal so übel. »Wo muss ich unterschreiben?«

Elliott blätterte durch den Mietvertrag. »Hier«, sie deutete auf die entsprechende Stelle, »und hier.«

Brydie unterschrieb. »Glaubst du, ich könnte sogar heute schon einziehen?«

»Das hatte ich gehofft. Deshalb hab ich Roosevelt vorhin von der Hundepension erlöst und mitgebracht.«

»Dann holen wir nachher meine Klamotten und den anderen Kram bei dir ab«, schlug Brydie vor. »Das wird nicht lange dauern, ist ja nicht viel.«

»Ich rufe nur noch Mrs. Neumann an.« Schon war Elliott zum Telefonieren nach draußen geeilt.

Na toll, dachte Brydie. Allein in einem großen Haus, und meine einzige Gesellschaft ist ein schlafender Mops. Erstaunt stellte sie bei einem Rundgang fest, dass das Haus vollständig möbliert war. In allen vier Schlafzimmern standen Himmelbetten, und in den drei Bädern lagen dicke Wannenvorleger. Sie hatte keine nennenswerten Habseligkeiten mehr, nur ein paar Kleider und andere Sachen, die sie bei Elliott im Untergeschoss verstaut hatte. Sie würde also nicht auf dem Fußboden schlafen müssen, stellte sie erleichtert fest.

War es wirklich erst ein halbes Jahr her, dass sie eine eigene Firma gehabt hatte? Und einen Ehemann, ja, sogar ein eigenes Haus? Wo war das alles hin? Über Nacht abhandengekommen, einfach so? Der Gedanke versetzte ihr einen Stich. Am liebsten hätte sie sich auf das apricotfarbene Sofa im Wohnzimmer sinken lassen und wäre eingeschlafen, doch stattdessen sah sie sich weiter um.

Die Wohnung war blitzblank, offenbar ein perfekt geführter Haushalt. Bestimmt beschäftigte die alte Dame eine Putzfrau – ein Luxus, den sie selbst sich nicht leisten konnte. Brydie wurde mit einem Mal klar, dass sie selbst von nun an für dieses Haus verantwortlich sein würde. Langsam schlenderte sie zurück in den Flur, wo sie vorsichtig über den schlafenden Mops stieg. Als Elliott ihr vorhin das Haus gezeigt hatte, hatte sie kaum hingesehen, ihre Gedanken hatten sich wie eine riesige Würgeschlange um ihr früheres Leben gelegt, das Leben, das sie noch vor nicht allzu langer Zeit geführt hatte.

Sie schaltete das Flurlicht an in der Erwartung, Bilder an den Wänden zu erblicken, aber da waren keine. Ebenso wenig im Schlafzimmer und in den anderen Räumen. Keine Fotos, nicht mal irgendeine Deko, die etwas über die Besitzerin des Hauses oder darüber, wie sie wohl aussehen mochte, verraten hätten. Die großen Schränke und sämtliche schwere Eichenholz-Kommoden waren leer, genau wie die Spiegel- und Waschbeckenschränke in den Badezimmern. Immerhin war die Küche voll ausgestattet, und die Küchenregale waren voller Kochutensilien. Das alles kann ich nun für mich nutzen, dachte sie glücklich. In einer der Vorratskammern fanden sich ein Beutel Hundefutter, je ein Fress- und Trinknapf und sogar Leine, Halsband und ein Geschirr.

Brydie füllte einen der Näpfe mit Wasser, in den anderen gab sie ein wenig Hundefutter. Mit den vollen Näpfen hockte sie sich zu Teddy Roosevelt. »Hier«, sagte sie, »iss!«

Der Hund öffnete kurz die Augen, sah sie misstrauisch an und schnupperte an den Näpfen. Dann ließ er ein leises Niesen ertönen und schlief augenblicklich wieder ein.

»Wie du meinst.« Brydie zuckte mit den Schultern. Sie hatte nie einen Hund gehabt, auch als Kind nicht, und sie wusste nicht recht, was sie mit dem Tier anfangen sollte. In dem Jahr vor der Scheidung, als sie sich ein Baby gewünscht hatte, hatte ihr Mann stattdessen den Vorschlag gemacht, einen Hund anzuschaffen, damit sie sich schon mal »einspielen« könnte, wie er sagte, bevor sie an die Familienplanung dachten. Sie hatte ihm erklärt, dass ein Hund ganz und gar nicht dasselbe war wie ein Kind. Aber er meinte nur, er hätte bislang weder das eine noch das andere gehabt, weshalb sich das nicht beurteilen ließe. Daraufhin war ein Streit entbrannt, der erste von vielen über dieses Thema.

Allan würde sicher dumm aus der Wäsche schauen, wenn er sehen könnte, wie sie hier vor dem seltsamen kleinen Kerl hockte. Sie strich dem Hund zögerlich übers Fell. Eigentlich hatte sie sich ihre Zukunft so nicht vorgestellt, aber wenigstens führte sie jetzt wieder ihren eigenen Haushalt.

2. KAPITEL

IN IHREM FRÜHEREN Leben war Brydie Konditorin gewesen. Allan und sie hatten eine Bäckerei geführt, »Bake Me A Cake«. Der Tag der Eröffnung war der schönste Tag in Brydies Leben gewesen, obwohl die Bäckerei schon immer eher der Traum ihres Mannes gewesen war.

Sie hatte Allan während ihrer Ausbildung an der Kochfachschule kennengelernt. Sie war neunzehn gewesen, er neunundzwanzig und ihr Lehrer im Fach Backwaren. Trotz der Warnung von Familie und Freunden – Allan war als Junggeselle stets ein gewisser Ruf in der Stadt vorausgeeilt – hatte Brydie ihn ein Jahr darauf geheiratet. Fünf Jahre später eröffneten sie die Bäckerei, und sie war überzeugt, von nun an stünde sie auf der Schokoladenseite des Lebens. Doch nur acht Ehejahre später kam Brydie eines Morgens früher als sonst zur Arbeit und ertappte ihren Mann dabei, wie er sozusagen mit einer anderen den Teig rührte.

Nur ein knappes Jahr war seitdem vergangen. Nachdem sie damals monatelang während des nervenzerreibenden Scheidungsprozesses bei ihrer Mutter gewohnt hatte, hatte Brydie schließlich ihre Siebensachen gepackt und war in ihrem Honda Civic zu Elliott nach Memphis gefahren, was nur eine Dreiviertelstunde entfernt lag. Sie hatte gehofft, den Schmerz hinter sich lassen und von vorn beginnen zu können, doch sie konnte die trübseligen Gedanken nicht abschütteln.

Und obwohl ihre beste Freundin ihr nun bei der Wohnungssuche geholfen hatte, kam sie sich doch ein wenig verlassen vor, als Elliott und Leo jetzt die Kartons aus dem Auto ins Wohnzimmer trugen. Und als die beiden sich auf den Rückweg machten, verspürte Brydie sogar so etwas wie Neid auf ihre Freundin, die Frau mit dem Ehemann, dem Kind und dem Schwangerschaftsbauch. Es erinnerte sie daran, dass sie all das nicht hatte und wahrscheinlich auch niemals haben würde. Sie ließ sich zwischen all den Kisten auf den Fußboden plumpsen.

Auf dem Küchentisch klingelte ihr Handy. Sie sah auf. Eigentlich sollte sie rangehen. Ihre Mutter hatte heute schon dreimal angerufen, bestimmt war das ein neuer Versuch. Aber ihr fehlte schlicht die Kraft zu reden. Ihre Mutter wollte sie jedes Mal davon überzeugen, sich einen neuen Mann zu angeln. Oder einen Job. Oder sich wenigstens eine neue Frisur zu gönnen. Wenn es nach Ruth Benson ging, gab es nichts, was sich nicht mit einem anständigen Haarschnitt wieder in Ordnung bringen ließ, und natürlich machte sie aus ihrer Meinung keinen Hehl, dass so einiges in Brydies Leben in Ordnung gebracht werden müsste.

Als das Telefon aufhörte zu klingeln, stieß Brydie den angehaltenen Atem aus. Wenn es eines gab, was sie wirklich wollte, dann ein Gespräch mit ihrem Vater. Er hätte sie nicht gedrängt, irgendetwas in Ordnung zu bringen, er hätte ihr einfach nur zugehört. Danach wäre es ihr besser gegangen, sie wäre innerlich ruhiger und zuversichtlicher. Doch der Wunsch, mit ihrem Vater zu reden, war genauso sinnlos wie der Wunsch nach einer Familie, wie Elliott eine hatte. Denn Gerald Benson war vor zwei Jahren gestorben.

Und weil es jetzt selbst fürs Haareschneiden zu spät war, machte sich Brydie schließlich ans Auspacken des ersten Umzugskartons.

3. KAPITEL

TEDDY ROOSEVELT WOLLTE partout nicht sein Geschäft verrichten. Eigentlich wollte er gar nichts. Er wollte nichts essen, nichts trinken. Er wollte sich noch nicht einmal bewegen. Brydie kannte sich mit Hunden nicht aus, aber so viel wusste sie: dass ein Hund zumindest irgendetwas tun sollte. Letzte Nacht hatte sie ihn in der Küche zurückgelassen, und als sie heute Morgen aufgestanden war, hatte er immer noch auf den Fliesen gelegen. Brydie hätte noch nicht einmal sagen können, ob er überhaupt ein einziges Mal aufgewacht war.

Sie beugte sich zu ihm, legte ihm sein Geschirr an und befestigte daran die Leine. »Komm«, sagte sie aufmunternd, »lass uns Gassi gehen.«

Als er das Wort »Gassi« hörte, stellte der Vierbeiner eins seiner kleinen Ohren auf, bequemte sich aber nicht dazu, aufzustehen.

»Willst du nicht raus?«

Teddy regte sich nicht.

»Also gut.« Brydie bückte sich, um ihn hochzuheben. »Dann trag’ ich dich eben.«

Er war schwerer als gedacht. Mit Ach und Krach gelang es ihr, die Tür zum Hinterhof zu öffnen, den Hund noch immer auf dem Arm. Als sie sah, dass der Hof eingezäunt war, setzte sie den Mops ab und löste die Leine vom Geschirr. »Geh und mach dein Häufchen«, bat sie.

Teddy legte sich ins Gras und fing an zu schnarchen.

Brydie stemmte die Hände in die Hüften. »Schön, mach doch, was du willst.« Sie ging zurück auf die Veranda und ließ sich auf einen der gusseisernen Stühle fallen. »Du machst mich noch zum Idioten! Jetzt red’ ich schon mit einem Hund!«

Einen Augenblick lang sah sie ihn an, als erwarte sie eine Antwort. Dann ließ sie den Blick über den Hof schweifen. Alles wirkte sehr gepflegt, genau wie im Haus. Sie wünschte, es wäre schon Sommer, dann könnte sie einen Garten anlegen. Aber es war erst Oktober, eine Jahreszeit, in der man kaum etwas anderes machen konnte, als die kommenden Feiertage zu planen. Eigentlich ihre liebste Zeit des Jahres. Voller Vorfreude dachte sie an die festlich geschmückten Wohnungen vor Halloween, Erntedank und Weihnachten. Jedes Jahr stach sie Plätzchen in der Form von Geistern und Hexen aus und machte den leckeren Eierpunsch für ihre Freunde. Meine alten Freunde, dachte sie, Allans Freunde.

Sie liebte die Weihnachtszeit. Obwohl Brydie sonst eher zurückhaltend war, brachten die Feiertage ihre besten Seiten zum Vorschein – oder ihre schlechten Seiten, je nachdem, wen man fragte. Weihnachten mochte sie besonders gern. Sie fing schon im Oktober an, die Tage zu zählen, ihre Lieblingsweihnachtsfilme aufzunehmen und Eierpunsch zu trinken, sobald er erhältlich war. Allan hatte immer die Augen verdreht über so viel Vorfreude auf die Feiertage. Das Einzige, was er an den Feiertagen mochte, war das Geld, das die Bäckerei dann einbrachte. Brydie war das immer einerlei gewesen. Sie behielt einfach nur ihren Weihnachts-Countdown im Auge und sagte ihrem Mann jeden Morgen, dass Heiligabend wieder einen Tag näher gerückt sei.

Da kam Brydie eine Idee. Sie würde auch dieses Jahr wieder die Tradition des Weihnachts-Countdowns ausgraben, aber dieser sollte ein bisschen anders ausfallen. Anstatt einfach nur die Tage bis Weihnachten zu zählen, wollte sie den Countdown nutzen, um über Allan hinwegzukommen. Bis zu den Feiertagen wollte sie über seinen Seitensprung und die Trennung hinweg sein, koste es, was es wolle. Genau! Pünktlich zum Fest der Liebe.

Entschlossen und mit neuer Kraft sprang sie auf und eilte zu Teddy, der sich natürlich nicht bewegt hatte. »Vielleicht sollte ich wieder mit dem Backen anfangen«, überlegte sie laut und hob ihn auf die Arme. »Vielleicht sollte ich für dich backen!«

Sie ging hinein, setzte den schweren Vierbeiner auf dem Küchenboden ab und ging ins Bad, um sich fertig zu machen. Elliott wollte später vorbeikommen und ihr zwischen zwei Besichtigungsterminen beim Auspacken helfen. In dieser Straße standen viele Häuser zum Verkauf, was laut Elliott daran lag, dass die Besitzer alle wie Mrs. Neumann waren: alte Leute. Sie zogen in Seniorenheime oder fanden auf dem Friedhof von Germantown ihre allerletzte Ruhestätte.

So war es auch in Jonesboro gewesen, als sie und Allan ihr erstes Haus gekauft hatten. Ihre Mutter hatte entdeckt, dass es zum Verkauf stand, und einen guten Deal für sie beide ausgehandelt, aber für das Ehepaar war die Küche ausschlaggebend gewesen. Sie mussten viel Arbeit in die Renovierung stecken, die Schränke und den Boden ersetzen und einen neuen Herd einbauen. Aber die Küche war groß und geräumig, ganz anders als die kleine in der Mietwohnung, in der sie zuvor jahrelang gehaust hatten.

Nach der Scheidung hatten sie das Haus mit Verlust verkauft. Außerdem musste Brydie ihren geliebten Umluftherd dort lassen, weil sie ihn nirgendwo unterbringen konnte. Tatsächlich hatte sie fast ihre gesamte Habe verkauft oder Allan überlassen, eine Tatsache, über die ihre Mutter und Elliott verständnislos den Kopf geschüttelt hatten. Aber Brydie wollte nichts behalten. Das gemeinsame Leben mit Allan war vorbei, und all die Sachen erinnerten sie nur an die alte Zeit. Aus dem Grund hatte sie auch auf den Hausverkauf bestanden, selbst als Allan angeboten hatte, es ihr zu überlassen. Andernfalls wäre er mit seiner neuen Freundin dort eingezogen, das war ihr sofort klar. Und wenn sie in dem Haus wohnen bliebe, wäre sie unweigerlich an das alte Leben gefesselt, ihr gemeinsames altes Leben, während er sich mit seiner Neuen vergnügte.

Ein Geräusch ließ sie aufhorchen. Barfuß rannte sie in die neue Küche und schaute fassungslos auf den umgekippten Mülleimer und dessen Inhalt, der über den ganzen Boden bis zum Wohnzimmer verteilt war. »Ist das etwa dein Werk?«, tadelte Brydie und sah Teddy Roosevelt vorwurfsvoll an.

Der Hund schien den Blick einen Augenblick lang zu erwidern, bevor er ein Bein hob. Ein Urinstrahl ergoss sich über Mülleimer und Boden.

»Aus!«, rief Brydie. Sie hastete zu ihm, verlor den Halt, rutschte über die glatten Fliesen und landete mit dem Hintern direkt in einer stinkenden Pfütze.

»Igitt!« Hastig rappelte sie sich auf. »Du ungezogener Hund! Pfui!« Sie schlüpfte aus der Jeans und warf sie in eine Ecke. Nachdem sie erfolgreich alle Schränke nach Feudel und Putzlappen durchforstet hatte, machte sie sich daran, nur in Shirt und Unterwäsche auf allen vieren den Boden zu schrubben.

Als Elliott ein wenig später als geplant eintraf, waren sämtliche Entschlusskraft und Energie von vorhin verflogen. »Was ist denn hier los?«

»Er ist los!«, blaffte Brydie und deutete auf Teddy.

Verwirrt blickte Elliott von der Jeans auf dem Küchenboden zu ihrer Freundin. »Ach Gott!«

Ihr breites Lächeln war so strahlend, dass es oft mit dem einer jüngeren und weniger blassen Ausgabe von Julia Roberts verglichen wurde. Mit perfekten weißen Zähnen.

Darauf war Brydie wahnsinnig neidisch, sie sah beim Lächeln immer aus, als wenn sie schmollte. »Er nervt!«

»Hatte mich schon gefragt, wie’s bei dir läuft. Jetzt hab’ ich die Antwort.« Elliott hielt sich den Bauch vor Lachen.

»Ich weiß einfach nicht, was der Kerl will«, rief Brydie. »Ich muss ihn sogar nach draußen tragen, er bewegt sich kein Stück! Macht nichts außer schlafen und schnarchen und … pupsen.«

Elliott rümpfte die Nase. »Vielleicht vermisst er sein Frauchen«, meinte sie. »Ich hab’ sie ein paar Mal getroffen. Wirklich eine liebenswerte alte Dame.«

»Schwer vorzustellen, dass eine liebenswerte alte Dame diesen Fiesling hält.«

»Du wirst schon sehen. In ein paar Tagen, wenn du sie kennenlernst.«

Brydie verdrehte die Augen. »Na toll.«

»Warum gehst du mit ihm nicht in den Hundepark am Ende der Straße?«, schlug Elliott vor. »Frische Luft täte euch beiden gut.«

»In diesem Geschirr will er offenbar nirgendwohin gehen«, erwiderte Brydie. »Wir waren vorhin draußen, da lag er nur faul im Gras.«

Elliott musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut loszuprusten. »Im Hundepark braucht er das Geschirr nicht. Außerdem ist wunderbares Wetter.«

Das Wetter war wirklich wunderbar. Es war Anfang Oktober und immer noch recht warm, selbst für Memphis. »Ja, sollte ich vielleicht wirklich mal versuchen.« Brydie klemmte sich eine widerspenstige braune Haarsträhne hinters Ohr. Der Kurzhaarschnitt, den sie sich vor einem Jahr hatte verpassen lassen, war mittlerweile in einer ungünstigen Übergangsphase, das Haar ließ sich noch nicht wieder zu einem Zopf binden. Sie sah an sich hinab. Auf ihre knappen eins siebzig hatten sich stets wohlgeformte weibliche Rundungen verteilt, eine Bäckerinnenfigur, wie Brydie selbst fand. Mittlerweile schlabberte das Shirt. Die Monate voller Sorgen hatten bewirkt, was sie in all den Ehejahren nicht hinbekommen hatte: Sie hatte einige Kilos verloren. »Ich seh’ unmöglich aus!«

»Unsinn«, sagte Elliott, »du siehst großartig aus.«

»Und ich will nirgends hingehen.«

Aus zusammengekniffenen Augen sah Elliott sie an. »Du kannst dich nicht von Couch zu Couch hangeln«, befand sie. »Du musst rausgehen, an die Luft! Du musst dir einen Job suchen!«

»Ja, mach’ ich schon noch.«

»Wirklich?«, bohrte Elliott. »Das sagst du schon seit einem halben Jahr. Bei aller Liebe, aber du solltest aufhören, dich selbst zu bemitleiden, und dein Leben wieder auf die Reihe bekommen.«

»Ich weiß, ich weiß!« Brydie winkte ab und blinzelte, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken.

»Der Hundepark ist doch schon mal ein guter Anfang.« Elliott klang nun ein wenig sanfter. »Ich weiß, wie schwer das ist. Aber du darfst dich nicht so abschotten, du musst raus.«

»Gut«, willigte Brydie ein, schluckte den Kloß hinunter und tappte hinüber ins Schlafzimmer, um in eine saubere Hose zu schlüpfen. »Aber du trägst Herrn Von-und-zu-Roosevelt zum Auto.«

Der Hundepark von Germantown lag nur zwei Ecken entfernt. Brydie war noch nie in einem Hundepark gewesen, aber Elliott hatte ihr erklärt, dass man hier seine Vierbeiner ohne Leine herumtollen lassen konnte. Brydie fand es bedenklich, dass die Hunde alle frei herumrannten und niemand aufpasste, aber ihre Freundin meinte, das sei völlig in Ordnung. Sie parkte den Wagen und drehte sich zu Teddy um, den sie auf den Rücksitz verfrachtet hatte. Er stand tatsächlich auf seinen Hinterbeinchen und schaute hechelnd aus dem Fenster. »Willst du raus?«, fragte sie erfreut.

Teddy tapste mit der Vorderpfote gegen das Fenster und gab einen wimmernden Laut von sich.

»Na, dann mal los!« Brydie stieg aus, öffnete die Hintertür und hob ihn hoch, um ihn wenig später bis zum Eingang des Parks zu tragen. Sie entdeckte ungefähr zehn weitere Leute, doch niemand schien Notiz von ihnen beiden zu nehmen. Die Besucher des Parks ließen ihre Hunde weiter Bälle apportieren, unterhielten sich oder saßen auf einer der Bänke im Park und tranken aus mitgebrachten Kaffeebechern. Die Sonne schien, und der Rasen war frisch gemäht. Brydie sog den süßlichen Geruch ein. Ja, hier gefiel es ihr.

Sie setzte Teddy Roosevelt auf den Boden und sah ihm nach, als er davondackelte und gleich am ersten Baum ein Hinterbein hob. Erstaunt stellte sie dann fest, dass er wie verwandelt wirkte. Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee gewesen, herzukommen. Rechts von ihr stand eine Frau, sehr gedrungen, mit sehr kurzem Pony und einer Strickjacke, und fütterte ihre große schwarz-weiß gefleckte Dänische Dogge mit Leckerlis. Als die Dogge auf die Hinterpfoten sprang, um das Leckerli zu schnappen, überragte sie ihr Frauchen sogar. Nachdem der Hund die Belohnung für was-auch-immer verschlungen hatte, sagte die Fremde wie zu einem Kleinkind: »Gut gemacht, Thor. Braver Junge!« Daraufhin leckte der Hund ihr mit seiner Riesenzunge das Gesicht ab.

Ein Mann warf einen Ball, dem ein schon etwas betagt aussehender Beagle hinterherlief. Genau genommen waren Mann und Hund womöglich im selben Alter. Beide hatten graue Haare und humpelten leicht.

Brydie war so damit beschäftigt, die Dänische Dogge und den Beagle zu beobachten, dass sie nicht bemerkte, dass Teddy Roosevelt davongetrabt war. Erst als sie den Blick löste, sah sie, dass der Mops nicht mehr am Baum stand. Sie spürte Panik aufsteigen und suchte den Park mit den Augen ab. Der Hund war nirgends zu sehen. »Teddy!« Sie sprang suchend umher und zog damit die Blicke der anderen Parkbesucher auf sich. »Teddy Roosevelt! Wo zur Hölle bist du?«

Dann entdeckte sie ihn – am anderen Ende der Wiese beschnupperte er einen großen zotteligen Hund, der dreimal so groß war wie er. Ein Mann stand daneben, beugte sich herab und tätschelte beiden Vierbeinern den Kopf. Atemlos eilte Brydie zu dem Fremden hinüber.

»Ist das Ihr Hund?« Der Mann mit dem Dreitagebart sah Brydie an. Er hatte dichte schwarze Locken, und seine Augen schienen fast dieselbe Farbe zu haben.

»Ich …« Brydie wusste nicht, was sie erwidern sollte. Genau genommen war Teddy ja eigentlich nicht ihr Hund.

Der Unbekannte richtete sich auf und strich sich eine widerspenstige Locke hinters Ohr. Erwartungsvoll sah er sie an.

»Äh, ja«, sagte Brydie schnell. »Das ist mein Hund.«

»Er scheint meine Sasha zu mögen.«

»Tut mir leid.« Brydie bückte sich nach Teddy Roosevelts Halsband. »Wir sind zum ersten Mal hier.«

»Kein Problem«, sagte er. »Sie mag andere Hunde.« Er streckte Brydie eine Hand entgegen. »Ich heiße übrigens Nathan.«

»Brydie.«

»Schön, Sie kennenzulernen.«

»Danke.« Sie lächelte ihn an. Er musste ungefähr in ihrem Alter sein, vielleicht ein bisschen jünger, eher dreißig. Und er sah ziemlich gut aus, ein freundlicher, netter Typ in dunklen Jeans und einem offenen Flanellhemd, unter dem ein hellweißes Shirt hervorlugte. Bestimmt roch er auch ziemlich gut … »Was für eine Rasse ist Sasha? Sie ist so groß wie ein Pferd«, beeilte sich Brydie, das Gespräch am Laufen zu halten.

Nathan lachte. »Eher wie ein Pony. Aber Sie haben recht, sie ist tatsächlich sehr groß. Ein Irischer Wolfshund. Fast noch ein Welpe. Und so tollpatschig!«

Brydie fiel in sein Lachen ein. »Ach, das scheint Teddy Roosevelt nichts auszumachen.«

Die Hunde lagen auf dem Rasen, und der Mops beschnupperte eingehend eins von Sashas Ohren.

»Ihr Hund heißt Teddy Roosevelt?«

Brydie lief rot an. »Der Name kommt nicht von mir.«

»Von Ihrem Ehemann?«

»Nein, nicht von meinem Ehemann.« Brydies Wangen glühten. »Das ist … ein alter Familienbrauch, Hunden die Namen von Präsidenten zu geben.«

»Verstehe.«

Die Sonne ging bald unter, Wind kam auf. Es wurde merklich kühler. Brydie war nicht darauf vorbereitet gewesen, jemanden zu treffen, der … etwas von ihr wissen wollte. Von mir und meinem Leben, dachte sie. Tja, wissen Sie, ich bin geschieden und pleite und daher genötigt, den Hundesitter für diesen launischen, müllfressenden alten Mops zu spielen, denn meine beste Freundin konnte mich, niedergeschlagen, wie ich bin, nicht länger in ihrer Nähe ertragen.

Sie blickte zu Teddy hinab. Er hatte von Sashas Ohren abgelassen und beschnüffelte nun Nathans Schuhe. Und dann gab ihr Leihhund ein Geräusch von sich, das wie trockener Husten oder umgekehrtes Niesen klang. Bevor Brydie reagieren konnte, musste sie entsetzt mit ansehen, wie Teddy Roosevelt sein Mäulchen öffnete und sich erbrach.

Er traf nicht nur den Rasen und seine eigenen Pfoten, sondern – und das war am allerschlimmsten – auch Nathans Schuhe.

Unfähig, sich zu bewegen, konnte Brydie nur tatenlos zusehen, bis das Elend beendet war.»Ach du meine Güte!«, rief sie. »Das tut mir schrecklich leid!« Sie beugte sich vor und schnappte sich den Hund. »Er hat vorhin im Müll gewühlt. Da muss er … etwas gegessen haben, was …« Sie sprach nicht weiter, sondern starrte bloß auf die Schuhe des Mannes, zumindest das, was man davon noch sehen konnte. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und rannte, den zappelnden Teddy Roosevelt wie eine Bowlingkugel unter den Arm geklemmt, aus dem Park.

Auf dem ganzen Heimweg verfluchte sie ihre beste Freundin Elliott.

4. KAPITEL

DU BIST WIRKLICH ohne ein weiteres Wort gegangen? Unglaublich!«, rief Elliott entgeistert, während sie den Einkaufswagen durch ShopCo, einen der größten Supermärkte in Memphis, schob. »Also, du hast den Mops geschnappt und bist auf und davon?«

Brydie nickte. »Ich hatte Panik!«

»Du hättest ihm wenigstens anbieten sollen, ihm neue Schuhe zu kaufen.«

»Die sahen ziemlich teuer aus.«

Elliott lachte. »Vielleicht kannst du’s ja wiedergutmachen, wenn ihr euch das nächste Mal in dem Hundepark trefft.«

»Da geh’ ich nie wieder hin!«, schnaubte Brydie.

»Hab’ ich mir fast gedacht, dass du das sagst.«

Brydie griff nach einer Flasche Weißwein, die im Sonderangebot war, und betrachtete sie eingehend. »Ich bin aus dem Haus gegangen, ganz wie du wolltest. Und es war ein Desaster. Also brauch ich jetzt ausreichend Lebensmittel, um über den Winter zu kommen. Dann verkriech’ ich mich ins Bett und bleibe dort bis Ostern.«

»Warum müssen diese Weinflaschen immer so riesig sein?« Elliott tat, als hätte sie Brydie nicht gehört. »Wer soll das denn schaffen?«

Brydie nahm ihr die Flasche aus der Hand und legte sie in den Wagen. »Ich nehme zwei, sicher ist sicher.«

»Du willst mir was vortrinken? Obwohl du genau weißt, dass ich grad nicht trinken darf?«

Brydie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und nickte.

»Na, gut«, stimmte Elliott zu. »Aber zu dem Weißen brauchen wir Cupcakes!«

»Ich werde nicht für dich backen, falls du darauf hinauswillst«, sagte Brydie.

»Du hast so lange nicht mehr für mich gebacken!«

»Ich hab’ schon echt lange schon für niemanden mehr gebacken«, erwiderte Brydie seelenruhig. »Wir finden hier bestimmt irgendwo Cupcakes, die so groß sind wie die Weinflaschen.«

ShopCo erinnerte sie an einen Supermarkt in Jonesboro, ein Megastore wie dieser hier, vielleicht nicht ganz so riesig. Die Eröffnung des Supermarkts hatte es ihrer kleinen Bäckerei nicht gerade leicht gemacht, da Backwaren dort deutlich günstiger gewesen waren als bei ihr und Allan. Als sie die Backabteilung erreicht hatten, erblickte Brydie ein Schild, das über zwei Plastiktorten prangte. Aushilfen gesucht, stand darauf.

»Guck mal«, Elliott knuffte sie schelmisch in die Seite, »du könntest glatt hier anfangen!«

Brydie sah sich den Aushang genauer an. »Die suchen sowohl jemanden für Feinkost als auch fürs Backen.«

»Dein Ernst?«

»Warum eigentlich nicht?«

»Erstens, weil der Laden eine gute Stunde mit dem Auto von deiner Haustür entfernt liegt«, antwortete Elliott. »Und zweitens, weil es fürchterlich hier ist! Wir kaufen hier doch auch nur, weil der Wein so billig ist.«

»Hattest du mir nicht erst von den Fliegen erzählt, die der Teufel in der Not frisst?«

»Damit hab’ ich aber nicht gemeint, dass du hier arbeiten sollst!«

Brydie zuckte mit den Schultern. Klar, ihr Traumjob war das sicher nicht. Aber das, was einmal ihr Traumjob gewesen war, hatte sich nun mal als Albtraum entpuppt. »Es wär’ doch sowieso nur befristet …«

»Vermutlich ist ein Job besser als kein Job«, meinte Elliott. »Und immerhin, wenn sie dich in der Bäckerei nehmen, kannst du wieder genau das tun, was du am liebsten machst.«

»Ja, vielleicht.« Brydie war sich nicht sicher, ob Backen wirklich noch immer das war, was sie am meisten liebte. Sie hatte keinen Kuchen mehr in den Ofen geschoben, seit sie Allan und seine Gespielin damals dabei erwischt hatte, wie sie sich im Mehl in ihrer Backstube wälzten. Als sie damals entsetzt durch das Café geflohen war, hatte Allan noch nicht einmal versucht, sie aufzuhalten. Seitdem erinnerte Backen sie immer an ihr früheres Leben – und daran, dass es sozusagen zu Mehl zerfallen war.

»Hier steht, man soll sich über deren Homepage bewerben.« Elliott deutete auf das Schild. »Wenn du willst, kannst du zu mir kommen und die Bewerbung abschicken. Bei Mrs. Neumann gibt’s nämlich keinen Internetanschluss.«

»Du müsstest mir dann aber auch beim Lebenslauf helfen«, bat Brydie. »Seit der Bäckereieröffnung hab’ ich keinen mehr geschrieben.«

Elliott nickte. »Okay. Aber eins nach dem andern. Erst Cupcakes. Dann Bewerbung.«

Von dem Sofa aus sahen die beiden Freundinnen auf Teddy Roosevelt herab. Der Mops hatte sich nicht bewegt, seit sie es sich gemütlich gemacht hatten.

»Womit könnte man ihn wohl aus der Reserve locken?« Brydie hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt.

Elliott unterdrückte einen Lacher und stieß die Freundin in die Seite. »Deine tierliebe Seele möcht ich haben!«

»Ach komm schon!« Brydie stieß den Arm der Freundin von sich. Dabei schwappte ein Schluck Wein aus ihrem Glas, was sie in der Hand hielt, und landete auf dem Boden – direkt neben einer Hundepfote. Teddy hob den Kopf und schnupperte an der kleinen Pfütze, dann hob er die Lider und blickte die beiden Frauen voll Unverständnis an.

»Wie wär’s mit einem Cupcake?«, schlug Elliott vor. Mit einem Finger strich sie über die Glasur und hielt den kleinen Kuchen Teddy Roosevelt vor die Nase.

Bevor Brydie protestieren konnte, hatte der Hund seine Zunge ausgefahren und beinahe Elliotts Hand mit verschlungen. »Nein, nicht so ein süßes Zeug!«, schalt Brydie. »Das ist nicht gut für ihn!«

»Ein klitzekleines bisschen Zucker wird ihm schon nicht schaden.« Elliott verdrehte die Augen und wischte sich die Hand an ihrer Bluse ab. »Außerdem ist es Vanille, keine Schokolade.«

»Trotzdem.« Brydie ließ sich nicht erweichen. »Ich wohne noch keine Woche hier, da will ich den Hund nicht gleich umbringen.«

»Er frisst Müll«, warf Elliott ein. »Oder hast du den Vorfall im Park schon vergessen, nachdem er sich deinem Abfalleimer gewidmet hat?«

Brydie spürte, wie sie rot anlief. »Wie könnte ich!«

»Er scheint sich hier irgendwie nicht wohlzufühlen«, mutmaßte Elliott.

»Was?«, fragte Brydie irritiert. Eben hatte sie an Nathan denken müssen. Und an seine dunklen Augen. Und seine Locken. »Wer fühlt sich nicht wohl?«

»Der Hund! Irgendwie scheint er fehl am Platz. Er ist alt, er muffelt und frisst Müll. Dabei ist dieses Haus …«, Elliott ließ den Blick durch das große Wohnzimmer schweifen, »… makellos.«

Brydie nickte. Elliott hatte recht. Der Mops passte nicht in dieses Haus. In einem Haus wie diesem sollte ein anderer Hund leben … ein Irischer Wolfshund wie Sasha vielleicht, ein Hund, der mehr hermachte oder wenigstens größer war. Sie schaute auf den kleinen Vierbeiner herab, als ein Gedanke sie durchzuckte: Teddy war nicht der Einzige, der hier nicht so recht hinpasste. Beinahe zögerlich beugte sie sich vor und kraulte ihm das Kinn. Vielleicht, dachte sie, während sie ihn weiter mit Streicheleinheiten bedachte, vielleicht bin ich ja doch bald nicht mehr so einsam. Bevor sie die Hand zurückziehen konnte, nieste Teddy Roosevelt laut.

»Jepp.« Elliott steckte demonstrativ einen Zeigefinger in die Cupcake-Glasur. »Ein echt toller Hecht bist du!«

5. KAPITEL

BRYDIE STAND VOR der Seniorenresidenz von Germantown. Das große schöne Gebäude mit den weißen Säulen und den gepflegten Backsteinmauern wirkte überhaupt nicht wie ein Altenheim. Es sah auch völlig anders aus als das Heim in Piggott in Arkansas, in das ihre Großeltern damals gekommen waren. Diese Einrichtung hier wirkte eher wie eine hochherrschaftliche Villa, und auch mit der Grünanlage, die sich um den Gebäudekomplex zog, hatte man sich offenbar größte Mühe gegeben. Überall auf dem Gelände lachten und plauderten Pfleger in blütenweißen Kitteln mit älteren Menschen, als seien sie auf einer Party.

Brydie war mehr als erstaunt. Sie hatte ein düsteres, miefiges Altenheim erwartet. Doch als sie jetzt mit Teddy den Eingangssaal betrat, stieg ihr der Duft von süßlich-sattem Mahagoni und einem unbekannten Gewürz in die Nase. Das ist das echte Germantown, sagte sie sich, während sie den Hund auf den Marmorfliesen absetzte, Reiche lebten nun mal nicht in den hintersten Löchern.

Die Frau hinter dem Empfangstresen lächelte sie an. »Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich möchte …« Brydie stockte. »Ich möchte zu Mrs. Pauline Neumann.«

Die Frau runzelte die Stirn. »Sind Sie eine Verwandte?«

»Nein«, sagte Brydie. »Ich wohne in ihrem Haus und habe ihren Mops.«

Die Frau sah sie immer noch fragend an.

»Ich meine …«, beeilte sich Brydie zu sagen, »ich passe auf ihr Haus auf, und ich soll ihren Hund einmal die Woche zu Besuch bringen. So ist das vereinbart.«

»Einen Moment, bitte. Ich muss erst in meiner Liste nachsehen.« Die Frau schien noch nicht überzeugt. »Und ich bräuchte Ihren Ausweis, bitte.«

Brydie kramte den Führerschein aus ihrer Handtasche hervor. Die Frau sah ihr ins Gesicht, dann verschwand sie in dem Büro hinter dem Empfangstresen. Brydie umklammerte Teddys Leine. Ob die Frau dachte, sie würde etwas im Schilde führen? Oder dass sie Lügen erzählte? Schließlich war ihr selbst nicht ganz klar, warum man ein Seniorenheim besuchen sollte, wenn man nicht unbedingt hinmusste. Allerdings war dies das schönste Heim, das sie je zu Gesicht bekommen hatte. Vielleicht versuchten die Leute ja andauernd, sich hier reinzumogeln und Bewohner zu besuchen, die sie gar nicht kannten.

Während Brydie den Hund ansah, der sich auf dem Boden lang ausgestreckt hatte, beschlich sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Wahrscheinlich die Empfangsdame, die ihr gleich den Zutritt verweigern würde. Sie wandte sich um und wollte gerade etwas sagen, als sie in ein bekanntes Gesicht sah und verstummte.

Nathan.

Der Mann aus dem Hundepark.

Er stand vor ihr, und auf seinem Gesicht spiegelten sich zugleich Erstaunen und Freude über das Wiedersehen. Er verschränkte die Arme vor dem Karo-Hemd. Nach einer kleinen Ewigkeit sagte er: »Hier hätte ich Sie beide nun wirklich nicht vermutet.«

Brydies Wangen wurden heiß. »Ich will nur jemanden besuchen«, sagte sie rasch, weil das das Einzige war, was ihr einfiel. Herrje, es gab doch gar keinen Grund, peinlich berührt zu sein! Er war hier fehl am Platz!

Nathan sah sie über den Rand seiner Drahtgestellbrille hinweg an. Er wirkte elegant und gepflegt, abgesehen von den ungebändigten Locken, die ihm offen in die Stirn fielen, fast bis zu den Augenlidern. Einen Moment lang schien er verwirrt, dann erhellte sich sein Gesicht. »Ich weiß, wen Sie besuchen wollen!« Und mehr zu sich selbst sagte er: »Dass ich da nicht früher drauf gekommen bin!«

»Worauf?«, fragte Brydie. »Besuchen Sie auch jemanden?«

Mittlerweile war die Empfangsdame zurückgekehrt. Sie beobachtete die beiden eine Weile und unterbrach sie dann. »Ms. Benson«, sagte sie mit einem Blick auf Brydies Führerschein, »ich würde Sie jetzt zu Mrs. Neumann bringen.«

»Sparen Sie sich die Mühe, Sylvia«, sagte Nathan und winkte ab. »Ich werd’ sie auf der Visite dort hinbringen.«

Die Frau schenkte Brydie ein dünnes Lächeln. Brydie war sich nicht sicher, aber sie meinte, einen Anflug von Missgunst auf dem Gesicht der Dame namens Sylvia zu entdecken, als sie sagte: »Wie Sie meinen, Dr. Reid.«

Brydie traute ihren Ohren kaum. Doktor? War er Arzt? Etwa hier?

Sie versuchte ihr Erstaunen zu kaschieren und zog an Teddys Leine. Aber der Vierbeiner bewegte sich nicht, sodass sie sich seufzend bückte und ihn hochnahm. Genervt fragte sie sich, warum sie ihm überhaupt immer die Leine und das Geschirr anlegte.

»Kommen Sie?«, fragte Nathan und drehte sich zu ihr um. Und dann bat er schmunzelnd: »Aber halten Sie ihn bitte von meinen Schuhen fern.«

Mit dem Hund unterm Arm eilte sie ihm hinterher. »Was das angeht«, sagte sie, als sie ihn eingeholt hatte, »es tut mir wirklich leid. Ich hätte nicht einfach weglaufen sollen. Das Ganze war mir so peinlich! Ich werde natürlich für Ihre Schuhe aufkommen, die sind jetzt bestimmt hinüber.«

»Das war nicht das erste Mal, dass Erbrochenes auf meinen Schuhen gelandet ist, glauben Sie mir«, erwiderte der Doktor. »Allerdings passiert das normalerweise auf der Arbeit.«

»Sie arbeiten also hier? In einem Altenheim? Sind Sie Arzt?«

Er nickte. »Eigentlich bin ich in der Notaufnahme im Baptist-Memorial-Krankenhaus. Aber wir Ärzte haben abwechselnd hier im Heim Dienst, gewissermaßen als Erholung von der stressigen Notaufnahme. Bis nächstes Jahr bin ich hier.«

»Oh«, war alles, was Brydie dazu einfiel.

»Sind Sie mit Mrs. Neumann verwandt?« Endlich hielt der Doc vor einer weißen Tür am Ende des Ganges inne, die nur angelehnt war.

Brydie starrte die Tür an. Dahinter würde eine Frau sitzen, die sie nicht im Mindesten kannte, eine Frau, deren Leben sie jetzt führte, schoss es ihr durch den Kopf. Neugierig sah Reid sie an. »So was in der Art«, gab sie zurück und sah ihm in die Augen. »Darf ich?«

»Natürlich.« Er nickte und grinste dann. »Als sie mir vorhin gesagt hat, dass Teddy Roosevelt heute zu Besuch käme, hab ich schon an ihrem Verstand gezweifelt.«

Brydie spähte durch den Türspalt, doch bevor sie sich versah, war Teddy auf den Boden gesprungen und ins Zimmer gehechtet. Mit einem Satz sprang er auf den Schoß der Frau, die dort am Fenster saß und las, und stieß ihr dabei das Buch aus der Hand.

»Oh, das tut mir leid.« Brydie huschte ins Zimmer, hob das Buch auf und reichte der lächelnden Dame das Buch. »Er ist mir einfach entwischt.«

Die Frau schwieg, vollauf damit beschäftigt, ihren Hund zu begrüßen, der ihr unzählige Hundeküsschen gab. Nach einer Weile wandte sie sich zu Brydie. Das Lächeln war verschwunden. Während sie Teddy Roosevelt auf ihrem Schoß weiter streichelte, fragte sie: »Passiert das öfter? Dass Sie ihn entwischen lassen?«

Brydie richtete sich auf. Sie musste daran denken, wie Teddy Roosevelt ihr im Hundepark ausgebüxt war. Unwillkürlich sah sie zur Tür, wo Nathan eben noch gestanden hatte. Jetzt war er nicht mehr da.

»Hallo? Junge Frau?« Die Dame holte mit einem Fuß aus und trat ihr gegen das Schienbein. »Ich rede mit Ihnen!«

»Au!«, rief Brydie und trat einen Schritt zurück. »Tut mir leid, nein, das passiert natürlich nicht öfter. Teddy Roosevelt entwischt mir nie.«

Aus zusammengekniffenen Augen sah die Frau sie an. »Setzen Sie sich«, befahl sie. »Sie wissen wahrscheinlich schon, dass ich Pauline Neumann heiße. Von Ihnen habe ich auch schon einiges gehört, bloß an Ihren Namen kann ich mich nicht erinnern.«

»Ja, richtig. Ich bin Brydie Benson.«

»Der Hund riecht nach Abfall.«

»Er, äh, wühlt immer wieder im Mülleimer«, druckste Brydie herum. »Manchmal vergesse ich, ihn nachts außer Reichweite zu stellen.

»Wie alt sind Sie?«, fuhr Pauline sie scharf an. »Man sagte mir, eine junge Frau würde sich um Teddy kümmern. Sie sind doch mindestens dreißig.«

»Vierunddreißig, um genau zu sein.«

»Sind Sie verheiratet?«

»Nein.«

Pauline räuspert sich leise und bohrte dann weiter: »Kinder haben Sie dann wahrscheinlich auch keine?«

Brydie zog sich die Brust zusammen. Wie oft in ihrem Leben hatte sie schon sagen müssen: »Nein, ich habe keine Kinder«? Stattdessen antwortete sie: »Nicht jeder braucht heutzutage ein Kind.« Dann huschte ein warmes Lächeln über ihr Gesicht und ließ ihre Züge weicher werden. »Manchmal sind Hunde aber auch ein bisschen wie Kinder.« In aller Ruhe musterte sie die Dame, die in einem makellosen Leinenkleid, die Füße übereinandergeschlagen, vor ihr saß, das geflochtene schlohweiße Haar oben auf dem Scheitel zu einem Dutt hochgesteckt. Aus dem faltigen Gesicht leuchteten Brydie fröhlich zwei helle blaue Augen entgegen. Der Hund schien hier genauso verkehrt zu sein wie in dem Haus, aber aus unerfindlichen Gründen vergötterte Mrs. Neumann ihn. »Sie haben auch keine Kinder, oder?«, gab sie die Frage zurück.

»Ich war vier Mal verheiratet, Kleines«, erwiderte Pauline. »Meine Ehemänner waren mir kindisch genug.«

Brydie musste lächeln.

»Teddy«, fuhr die alte Dame fort, »war ein Geschenk meines vierten Ehemannes, der vor vier Jahren verstarb. Dieser Hund ist alles, was mir noch von ihm geblieben ist. Als ich den Schlaganfall hatte und herziehen musste, dachte ich schon, ich würde Teddy nie wiedersehen.«

»Ich werde dafür sorgen, dass Sie ihn regelmäßig sehen«, versprach Brydie gerührt.

Pauline nickte. »Oh, ich bin sicher, dass Sie das tun werden, meine Liebe.«

»Nur dass …« Brydie zögerte. Sie wollte nicht, dass die alte Dame sie für unfähig hielt und den Eindruck bekam, sie würde nicht gut auf Teddy aufpassen. »Nur dass es schwer ist, ihn zum Essen zu bewegen. Oder mit ihm an der Leine Gassi zu gehen. Und überhaupt …«

»Jaja, er mag es, getragen zu werden.« Mrs. Neumann kraulte ihren Liebling zwischen den Ohren. »Das Geschirr habe ich erst vor Kurzem besorgt, als ich ihn nicht mehr tragen konnte. Die Verkäuferin in der Tierhandlung meinte, das sei das Beste. Aber wie Sie sehen, macht er sich nichts daraus.«

»Und sein Futter?«

Pauline zuckte mit den Schultern. »Ich gebe ihm meistens Essensreste. Das Hundefutter habe ich mit dem Geschirr zusammen gekauft. Mittlerweile ist es wohl abgelaufen.«

»Dann werde ich neues besorgen«, versicherte Brydie.

»Ich weiß, dass Essensreste nicht gut sind. Davon kriegt er Blähungen.« Pauline rümpfte die Nase. »Aber irgendwie kann ich nicht anders.«

»Vielleicht schmecken ihm die Essensreste besser als das Hundefutter?«, sagte Brydie.

»Wahrscheinlich haben Sie recht«, erwiderte Pauline. »Und wenn Sie mich das nächste Mal besuchen, sollte er nicht wie eine Müllhalde stinken.«

»Ich werde mich bemühen«, sagte Brydie, zögerte einen Moment und gestand dann: »Ich hatte noch nie einen Hund, er ist mein erster.«

»Keinen Mann, keine Kinder, keinen Hund?« Die alte Dame legte den Kopf schief und sah in dem Moment aus wie Teddy. »Wie kommt man als Frau in seinem Leben dann überhaupt so weit?«

»Ich bin geschieden«, sagte Brydie knapp und verstummte.

»Seit Kurzem.«

Das war keine Frage gewesen. Brydie fragte sich, woher die Dame das wissen konnte, und beschloss, etwas mehr ins Detail zu gehen. »Seit einem halben Jahr.«

»Also frisch geschieden«, kommentierte Pauline schulterzuckend. »So lange hat in etwa meine erste Ehe gehalten.«

»Wir waren über ein Jahrzehnt lang verheiratet«, erklärte Brydie und verspürte leichten Unmut. Sie wusste selbst nicht genau, warum, aber sie wollte sichergehen, dass die alte Dame verstand, dass es sich bei ihrer Ehe nicht um so eine Ehe gehandelt hatte.

»Manche Menschen brauchen eben etwas länger, um herauszufinden, dass sie nicht füreinander geschaffen sind«, befand Pauline.

Brydie schluckte. Sie wollte etwas entgegnen, konnte aber nicht. Offensichtlich waren sie beide, nachdem Allan seine neue Gespielin Cassandra getroffen und die Scheidung eingereicht hatte, nicht füreinander bestimmt. Das war allerdings eine Erkenntnis, die sie sich noch immer nicht wirklich eingestehen mochte – und schon gar nicht jemand anderem. Vielmehr war es doch so, dass sie nicht für ihn geschaffen war. Aber weil sie erst vor Kurzem beschlossen hatte, diesen Teil ihres Lebens hinter sich zu lassen, lenkte sie ein: »Wahrscheinlich haben Sie recht.«

»Verzeihen Sie«, unterbrach Pauline den kurzen Moment des Schweigens. »Ich wünschte, ich könnte behaupten, immer das zu sagen, was mir durch den Kopf geht, wäre eine Marotte des Alters. Leider ist dem nicht so. Ich habe schon immer frei heraus gesagt, was ich denke.«

»Das wollte ich auch immer«, gestand Brydie. »Stattdessen drehe und wende ich jedes Wort in Gedanken, bis mich die Angst überflutet, dass es sowieso die falschen Worte sind.«

»Dann passen wir ja hervorragend zusammen.« Pauline sah sie offen an. »Sie sorgen dafür, dass ich mehr nachdenke, bevor ich rede. Und ich dafür, dass Sie weniger überlegen.«

Brydie schenkte ihr ein herzliches Lächeln. »Abgemacht!«

Nach dem ausgiebigen heißen Bad in dem großen Badezimmer erwartete sie, Teddy am Mülleimer zu finden, den sie wieder einmal nicht außer Reichweite geschoben hatte, wie ihr in der Wanne eingefallen war. Aber der Hund befand sich genau dort, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte. Dabei machte es ihm doch offensichtlich eine Menge Spaß, die Abfälle nach Leckereien zu durchwühlen. Und Mrs. Neumann hatte recht – er stank tatsächlich.

Brydie tappte ins Schlafzimmer und zog sich ein übergroßes Shirt über – eins von Allans T-Shirts, die sie einfach nicht wegwerfen konnte. Und dann ließ sie noch einmal Wasser ein. Dass sie darauf nicht schon früher gekommen war! Danach roch Teddy bestimmt deutlich angenehmer. Und vielleicht fühlte er sich dann auch wohler.

Eigentlich hatte sie erwartet, dass der kleine Vierbeiner protestieren würde. Doch stattdessen saß er mit halb geschlossenen Augen in der zentimeterhohen Pfütze und ließ Brydie warmes Wasser mit einem Becher aus der Wanne schöpfen und über ihn gießen. Brydie konnte kein Hundeshampoo finden, deshalb nahm sie ihr eigenes Shampoo mit Erdbeerduft – besser als nichts. Sie seifte ihn ein und achtete darauf, dass kein Schaum in seine Augen oder Ohren kam. Als sie fertig war, rieb sie den Hund mit einem Handtuch trocken, mit sanften Kreisbewegungen rubbelte sie ihn vom Kopf bis zu den Pfoten ab. Wie brav er das mit sich machen ließ! So geduldig und aufmerksam, wie er da saß, erinnerte sie das an ihre frühe Kindheit, als ihr Vater sie nach dem Baden aus der Wanne gehoben, sorgfältig abgetrocknet und ihr einen Schlafanzug angezogen hatte.

Ihre Mutter hatte oft bis spät abends gearbeitet, daher hatte der Vater sich um sie gekümmert. Ruth und Gerald Benson waren beide Immobilienmakler und hatten sich in jungen Jahren bei der Arbeit kennengelernt. Als Ruth immer erfolgreicher und wenig später dann Brydie geboren wurde, war ihr Vater zu Hause geblieben, bis sie eingeschult worden war. Wie sehr hatte sie die Zeit mit ihm genossen! Er war warmherzig und sanftmütig gewesen, und ein guter Geschichtenerzähler. Im Sommer gingen sie in den Park und ins Freibad, im Winter ins Kino oder in Museen. Manchmal fuhren sie nach Memphis, um dort etwas Spannendes zu unternehmen.

Ihre Mutter war nie mitgekommen.

Noch bevor Brydie in den Kindergarten kam, hatte sie verstanden, dass ihre Mutter arbeitete, oder besser: arbeiten musste, um die Familie zu ernähren. Als junges Mädchen hatte ihr das nichts ausgemacht, und sie hatte es Ruth nie zum Vorwurf gemacht. Nein, sie hatte damals keinen Groll gehegt, wenn sie nach dem Bad frisch gewaschen im Pyjama auf dem Sofa gesessen hatte und ihre Mutter an ihr vorbei ins Arbeitszimmer im hinteren Teil des Hauses gegangen war, ohne einen Blick, eine Umarmung oder gar einen Gutenachtkuss. Sie hatte auch keine Enttäuschung gespürt, wenn der Vater sich nach dem Abendbrot mit einer Rum-Cola vor den Fernseher gesetzt hatte und auch noch dort geblieben war, bis es längst Schlafenszeit gewesen war – obwohl Ruth wieder einmal vergessen hatte, dass sie mit dem Zubettbringen dran gewesen wäre.

Nein, es war kein Groll, es war etwas anderes, das an Brydie nagte, seit sie denken konnte. Ein Gefühl, das immer noch da war, selbst dreißig Jahre später. Ein Gefühl, gegen das sie seit der Scheidung von Allan ankämpfte. Wenn sie einen Finger darauflegen und es benennen sollte, hätte sie gesagt, es fühlte sich an wie Einsamkeit.

Vielleicht fühlte sich auch Teddy Roosevelt einsam.

Von sich selbst genervt, schüttelte sie den Kopf. Wie albern, menschliche Gefühle auf einen Hund zu projizieren! Aber als sie in das faltige Gesicht sah, entdeckte sie dort einen vertrauten Zug. Sie hockte sich neben ihn, um seinen Kopf trocken zu rubbeln. Wenn sie beide schon einsam waren, dann wenigstens gemeinsam.

6. KAPITEL

AM NÄCHSTEN VORMITTAG saß Brydie in ihrem Wagen auf dem Parkplatz vor ShopCo. Eine Frau namens Bernice hatte sie am frühen Morgen angerufen und sie überraschend zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Als Brydie verschlafen aufgelegt hatte, war es ihr so vorgekommen, als hätte sie das womöglich nur geträumt. Zum Glück konnte Elliott kurzfristig einspringen und war mit Mia zu ihr gekommen, um auf den Hund aufzupassen, den sie nur ungern hatte allein lassen wollen. Das kleine Mädchen hatte das Beste von Elliott und Leo geerbt, der ausdrucksstarke Mund und das Lachen ähnelten der Mutter, die dunklen Haare und Augen dem Vater.

»Passt du auf Teddy auf, während ich weg bin?«, hatte Brydie gefragt, und Mia hatte eifrig genickt.

»Du fängst noch an, ihn zu mögen, was?« Elliott hatte Teddy Roosevelt das Fell gestreichelt. Er lag noch immer am liebsten faul herum und fraß auch kaum, obwohl Brydie ihm extra neues Futter besorgt hatte. »Gib ihm Zeit. Er wird sich schon noch fangen.«

Brydie stieg aus dem Auto, trat ins Sonnenlicht und strich ihren schwarzen Bleistiftrock glatt. Sie wusste nicht, wo sie hinmusste. Die Frau am Telefon hatte gesagt, sie solle sich beim Kundenservice melden. Leichter gesagt als getan in diesem riesigen Supermarkt.

Als sie endlich, leicht verschwitzt und außer Atem, vor dem Servicetresen ankam, presste sie hervor: »Mein Name ist Brydie Benson. Ich bin mit einer Frau namens Bernice verabredet.«

»Sind Sie wegen der freien Stelle in der Backwarenabteilung hier?«

Brydies Bestätigung klang eher wie eine Frage, ohne dass sie das beabsichtigt hatte.

Der Mann hinter dem Tresen musterte sie auf diese schmierige Art, die einige Männer draufhatten. Dann sagte er: »Scheint, als würde die Backabteilung sich machen.«

Brydie folgte ihm in die Geschäftsräume im hinteren Teil des Ladens. ShopCo war riesig – eine dieser großen Einzelhandelsketten, die Waren in Big Packs verkauften. Ihr war schleierhaft, wer ein Zehn-Kilo-Glas Mixed Pickles brauchte. Noch viel weniger hätte sie von sich gedacht, dass sie jemals in einem Supermarkt anfangen wollte, der diese Riesengläser verkaufte. Wie wohl die Backwarenabteilung aussah?

Der Mann führte sie durch eine schwere Doppeltür in eine Art Pausenraum. Dort saß eine Frau, den Rücken ihnen zugewandt. Ihr lilafarbenes Haarnetz glitzerte im Licht der Leuchtstoffröhre. »He, Bernie, hier ist eine Frau, die dich sprechen will.«

Aha, das musste Bernice sein. Sie drehte sich um und schenkte den beiden ein kurzes Lächeln.

»Setzen Sie sich«, sagte sie zu Brydie. »Hab’ grade Mittagspause gemacht.«

Brydie setzte sich gegenüber an den Tisch. Sie zog ihren Lebenslauf aus der Tasche und reichte ihn der Frau. »Hallo, ich bin Brydie Benson.«

»Interessanter Name«, sagte Bernice tonlos und leckte sich ein paar Erdnussflips-Krümel von den Fingern.

»Das ist die gälische Variante von Bridget.«

»Ah, hallo, Bridget. Ich bin Bernice. Aber alle nennen mich Bernie. Ich hab mir Ihren Lebenslauf angesehen. Bin beeindruckt.«

»Danke.«

»Sie hatten eine eigene Bäckerei?«

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