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Spätsommerfreundinnen

Als Buch hier erhältlich:

Den alten Gasthof in ihrem Heimatort übernehmen und nur noch tun, was sie liebt: kochen und backen. In ihrer Jugend war das Jettes Traum. Aber dann hat sie studiert und ist in die Stadt gezogen, hat geheiratet und ihre wunderbare, inzwischen erwachsene Tochter bekommen. Als Jette jetzt erfährt, dass der Wirt des Gasthauses gestorben ist, fährt sie zum ersten Mal nach langer Zeit wieder in den Ort in der Heide, um Abschied zu nehmen. Und plötzlich kehren all die Erinnerungen an damals zurück – und mit ihnen Gefühle, die Jette längst vergessen hatte.

„Ab auf die Couch und einfach diesen schönen und warmherzigen Roman in Ruhe genießen.“
Mainhattan Kurier

„Der Roman über alte Freundschaften ist warmherzig, humorvoll und unheimlich natürlich, mit sympathischen Charakteren, in die man sich schnell hineinversetzen kann. Perfekt zum Abschalten und Träumen.“
Fränkische Nachrichten

„Das Buch möchte man nicht mehr weglegen. Eintauchen in eine andere Welt und den Alltag vergessen: So müssen Bücher sein.“
Ludwigsburger Wochenblatt

„Ein glaubwürdiger und lebensnaher Wohlfühlroman, der mit wunderschönen landschaftlichen Beschreibungen der Lüneburger Heide beeindruckt.“
Schweizer Familie


  • Erscheinungstag: 29.12.2020
  • Seitenanzahl: 336
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749902354

Leseprobe

Für meine Freundin Bozena

1. Kapitel

Wie heißt es so schön? Alle sieben Jahre ändert sich der Mensch. Kaum spukt der Gedanke in meinem Kopf herum, weiß ich, dass es der Philosoph Philon von Alexandria war, der unser Leben zum ersten Mal in Jahrsiebte geteilt hat. Ich schüttele unwillkürlich den Kopf und greife nach der Pinzette im Körbchen auf der Ablage vor dem Spiegel. Mein Gehirn macht, was es will. Es vergisst ständig die einfachsten Sachen. Aber ganz spezielle Dinge, die, die sonst keiner weiß, die merkt es sich. Und ich habe keine Ahnung, warum.

Philon also … Ich rücke ganz nah an den Kosmetikspiegel heran und kneife die Augen zusammen, um mich ganz genau betrachten zu können. In meinem Fall stimmt die Siebenjahresregel. Ich bin noch genau zwei Wochen neunundvierzig Jahre alt. In den letzten Monaten haben sich die widerspenstigen schwarzen Haare am Kinn verdoppelt. Und die weißen auf meinem Kopf auch. Meine Naturhaarfarbe ist dunkelblond. Der Friseur hilft seit Neuestem mit honigfarbenen Strähnchen und jeder Menge Highlights nach. Dazwischen fallen die weißen Haare kaum auf. Nur wenn man genau hinschaut, erkennt man, dass sie sich mittlerweile über meinen ganzen Schopf verteilen. Genau wie die kleinen geplatzten Äderchen, die seit Neuestem um meine Nasenflügel herum und auf den Wangen aufgetaucht sind. Vielleicht hätte ich mir den Spiegel mit LED-Beleuchtung und fünfzehnfacher Vergrößerung doch nicht zulegen sollen, überlege ich. Darin erkennt man jede noch so kleine Falte.

Bei normalem Licht und eins zu eins betrachtet, sehe ich immer noch ganz passabel aus. Mal von der kleinen Tatsache abgesehen, dass meine Lieblingsjeans nicht mehr vernünftig sitzt. Als ich sie gekauft habe, hatte ich exakt das gleiche Gewicht und passte perfekt rein. Aber nun quillt der Speck an den Seiten unvorteilhaft über den Hosenbund. Low-waist steht mir nicht mehr. Ich habe mir neue Exemplare zugelegt, alle in mindestens mittlerer Leibhöhe. Dazu habe ich gleich ein paar Shaping-Hemdchen gekauft, sie allerdings noch nie getragen, da sie zwar den Speck weg, aber dafür auch meine Brüste platt wie Flundern drücken.

Was noch hinzukommt ist, dass ich seit Monaten immer häufiger grundlos schlechte Laune habe und gereizt bin. Ich quäle mich lustlos in die Schule und bin froh, wenn ich wieder nach Hause fahren darf. Der Lärm der Kinder macht mir zu schaffen. Im Gegensatz zu meinen Augen funktionieren meine Ohren anscheinend noch ganz gut.

Ich halte einen Moment inne und werfe der Frau im Spiegel einen strafenden Blick zu. Immerhin bin ich gesund und habe Arbeit. Das kann nicht jeder in meinem Alter von sich behaupten. Positiv denken, Jette! Ich ziehe meine Mundwinkel nach oben, sodass mein Gegenüber mich breit angrinst. Erst letztens habe ich gelesen, selbst ein unechtes Lächeln würde unserem Gehirn die Nachricht senden, dass wir glücklich sind.

Einen Moment bleibe ich einfach so stehen und strahle mich selbst an. Dabei komme ich mir so komisch vor, dass ich anfangen muss zu lachen. Meine Laune hat sich tatsächlich gebessert.

Ich nehme mir felsenfest vor, nun jeden Morgen mit einer Runde Gesichtsgymnastik zu beginnen und dass in den kommenden sieben Jahren nicht nur generell alles anders, sondern auch besser wird. Das ist letztendlich nur eine Frage der inneren Einstellung. Und an der kann ich arbeiten!

Erst einmal muss ich jedoch das schwarze Borstenhaar am Kinn erwischen. Aber das ist gar nicht so einfach.

»Mist, verdammter«, entfährt es mir, als ich ein paar Mal hintereinander Pech habe und abrutsche. Das blöde Ding ist noch zu kurz und sitzt außerdem bombenfest. Es dauert bestimmt noch zwei Tage, bis es lang genug ist, um es vernünftig greifen zu können.

»Guten Morgen.« Die helle Stimme meiner Tochter hält mich von einem weiteren Versuch einer Schönheits-OP ab. Jule kommt durch den Flur auf das Badezimmer zugelaufen.

»Morgen«, brumme ich.

Meine Tochter bleibt in der Tür stehen, und lächelt mich an. »So schlimm?«

»Ich werde alt«, antworte ich und lege die Pinzette zurück.

»Quatsch«, sagt meine Tochter. »Fünfzig ist das neue Dreißig.« Sie scannt mich von oben bis unten ab. »Na ja, das war vielleicht ein wenig übertrieben. Aber vierzig würde passen. Du siehst noch total jung aus.« Sie stellt sich neben mich und drückt mir einen Kuss auf die Wange.

»Danke, Schatz.« Unsere Blicke treffen sich im Spiegel. Jule hat das volle, dunkelbraune Haar und die schlanke Statur ihres Vaters geerbt. Die grünen Augen und den geschwungenen Mund hat sie von mir. Sie hat zweifelsohne Glück gehabt und sich die jeweils besten Sachen ausgesucht. Auch wenn ich nicht Jules Mutter wäre, würde ich sie als schön bezeichnen. Mir wird warm ums Herz. Diesmal ist mein Lächeln echt. Und es fühlt sich verdammt gut an.

»Das mit dem jünger Aussehen habe ich übrigens von dir geerbt«, erklärt meine Tochter da. »Als ich am Freitag eine Flasche Wodka für die Cocktailparty bei Kim kaufen wollte, hat mich die Kassiererin um meinen Ausweis gebeten. Den hatte ich dummerweise in meiner Tasche. Und die lag im Auto.« Sie zieht eine Schnute und betrachtet sich im Spiegel. »Vielleicht hätte ich mir die Haare doch nicht abschneiden lassen sollen. Jeder sagt, dass ich viel jünger damit aussehe.«

»Irgendwann freust du dich darüber.« Jule ist zarte einundzwanzig Jahre alt. Ich streiche ihr über die Wange. »Die Kurzhaarfrisur steht dir ausgesprochen gut. Sie betont deine feinen Gesichtszüge.«

»Findest du? Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt.« Meine Tochter zuckt mit den Schultern. »Was soll’s, wächst ja wieder«, sagt sie, dann mustert sie mich ein weiteres Mal, diesmal grinsend. »Lässt du das an?«

Ich trage die leuchtend türkise Haremshose, die ich mir letztes Jahr für einen Wochenend-Meditationskurs zugelegt habe, und dazu ein senfgelbes Shirt. »Soll ich?«

»Warum nicht? Dann komme ich aber auf jeden Fall mit. Den Anblick von Papas Gesichtsausdruck lass ich mir nicht entgehen.«

»Das hättest du wohl gern«, antworte ich. Jule hat recht. Stefan würde Augen machen, wenn ich im Hippie-Look zu unserem Scheidungstermin erscheinen würde. Aber letztendlich wäre ich diejenige, die sich dabei unwohl fühlt. Und Stefan würde sich köstlich amüsieren, wenn er sich erst mal an den Anblick gewöhnt hätte. »Ich ziehe Jeans an«, entscheide ich, eine der neuen in körperfreundlicher Passform, »eine schlichte weiße Bluse und dazu meine braunen Römersandalen.«

»Schade! Bist du aufgeregt?«

»Nur ein bisschen.« Das ist maßlos untertrieben. Gestern Abend habe ich bestimmt eine Stunde lang vor dem Spiegel gestanden und mich etliche Male umgezogen. Wie erscheint man angemessen zu seinem Scheidungstermin? Im schicken Kostüm, Hosenanzug oder doch in einem Etuikleid? Nachdem ich alles anprobiert und mich letztendlich für mein Alltagsoutfit entschieden hatte, habe ich mir die Fußnägel lackiert – in einem knalligen Rot. Sozusagen als Signal dafür, dass es mir sehr gut geht und ich das Leben genieße – ohne Stefan. Die Farbe habe ich jedoch kurz darauf wieder entfernt. Das hatte allerdings zur Folge, dass ich nicht einschlafen konnte, da der Geruch des Lösungsmittels im Zimmer hing. Und weil mir Tausende Dinge durch den Kopf gingen.

Jules Blick geht zur Uhr, die auf dem Regal mit den Handtüchern steht. »Gleich neun. Soll ich nicht doch mitkommen?«

Ich schüttele den Kopf. »Kommt gar nicht in die Tüte. Du gehst schön brav zur Uni und lernst für deine Prüfung.«

»Na gut. Dann springe ich jetzt schnell unter die Dusche.«

»Mach das. Möchtest du was frühstücken?«

»Nur einen Kaffee. Ich beeil mich.«

Ich habe meine Tochter immer schon gerne verwöhnt. Sie ist auch als Schulkind nie ohne liebevoll belegtes Frühstücksbrot und etwas Obst oder Gemüse aus dem Haus gegangen. Und das handhabe ich noch immer so, wenn ich Zeit habe. Ich klappe gerade die prall gefüllte Frühstücksdose zu, als Jule in die Küche kommt.

»Hier, für dich.« Die pinkfarbene Plastikbox ist ein Relikt aus der Vergangenheit und bestimmt schon zehn Jahre alt.

»Danke.« Jule strahlt mich an, greift mit der einen Hand nach ihrem Frühstück und mit der anderen zum Wasserkocher. Unseren Kaffee bereiten wir ganz klassisch mit einem Porzellanfilter zu, seitdem unser Vollautomat vor vier Wochen plötzlich den Geist aufgegeben hat. Die frisch gemahlenen Bohnen habe ich eben schon einmal mit Wasser übergossen. Jule schüttet wieder etwas dazu und beobachtet, wie die dunkle Flüssigkeit in die Glaskanne darunter tropft.

»Eigentlich brauchen wir keine neue Maschine«, sagt sie. »Der handgefilterte ist total lecker. Und auch schnell gemacht.«

»Finde ich auch.« Ich hole zwei große Tassen und gieße aufgeschäumte Milch hinein, Jule füllt sie mit dem heißen Kaffee auf. Wir sind ein eingespieltes Team.

Kurz darauf stehen wir nebeneinander mit unseren Hintern an die Arbeitsplatte gelehnt. Ich nippe an meinem Milchkaffee, Jule rührt mit ihrem Löffel im Schaum.

»Bist du dir ganz sicher, dass ich nicht doch mitkommen soll?«, fragt sie noch einmal. »Der Kurs ist freiwillig, es herrscht keine Anwesenheitspflicht. Und ich hätte auch wirklich kein Problem damit.«

»Das ist lieb von dir, aber nein.« Ich schüttele rigoros den Kopf. »Das schaffen dein Vater und ich ganz alleine.« Bei dem Gedanken, dass Stefan und ich heute geschieden werden, wird mir etwas flau im Magen, aber das lasse ich mir nicht anmerken. »Es ist doch nur noch eine reine Formsache.«

»Na gut. Aber im Zweifelsfall bin ich auf deiner Seite – und für dich da, wenn du mich brauchst.«

Das warme Gefühl macht sich wieder in mir breit. Meine Kleine wird – ist – erwachsen. Und sie hat das Herz am rechten Fleck sitzen. »Ich melde mich gleich nach dem Termin, okay?«

»Gut!« Jule trinkt ihren Kaffee aus und stellt die Tasse in die Spülmaschine. »Muss jetzt los. Hab dich lieb.« Keine fünf Minuten später ruft sie: »Tschüss. Ich drück dir, oder besser euch, die Daumen!« Dann fällt die Haustür geräuschvoll ins Schloss.

Ich bleibe stehen, nippe an meinem mittlerweile lauwarmen Kaffee, und schaue mich in der Küche um. Sonnenlicht fällt durch das Fenster und lässt die cremeweißen Wände warm leuchten. Auf dem Buffetschrank steht die Nana-Skulptur, die Jule aus Pappmaché modelliert und in knallig bunten Farben angemalt hat. Der Läufer auf dem Tisch ist türkis mit weißen Punkten. Unsere Kaffeetassen sind gestreift, mit vielen bunten Herzen verziert oder irgendwie anders gemustert. Wir haben uns eine farbenfrohe Wohlfühloase geschaffen, ein Kontrast zu der edlen, puristischen Einrichtung unseres alten Hauses, in dem Stefan noch immer wohnt. Der Mann, der noch etwa zwei Stunden mein Ehegatte sein wird.

Als wir vor zwei Jahren das erste Mal über Trennung gesprochen haben, war sofort klar, dass ich diejenige sein würde, die geht. Kurz nach unserer Hochzeit sind wir in Stefans Elternhaus gezogen, haben es aufwendig umgebaut und renoviert. Von dem alten Gebäude mit den viel zu kleinen Räumen ist nicht mehr viel übrig geblieben. Aber es ist immer noch das Haus, in dem Stefan aufgewachsen ist. Also bin ich ausgezogen. Gemeinsam mit Jule, die zu diesem Zeitpunkt achtzehn war und ohne zu zögern mit mir gegangen ist, obwohl wir ihr angeboten haben, ihr eine eigene kleine Studentenbude zu finanzieren.

Unsere Wohnung ist mit ihren fünfundachtzig Quadratmetern nicht groß, zumindest, wenn man sie mit unserem alten Haus vergleicht, aber dafür haben wir es uns schön gemütlich gemacht. Über dem Regalbrett, auf dem kreuz und quer die bunten Tassen stehen, haben Jule und ich Postkarten mit schönen oder witzigen Sprüchen gepinnt. Mein Blick bleibt an der schwarz-weißen hängen, die meine Freundin Eva mir geschenkt hat. Sei wild und unersättlich! lese ich leise. Jetzt. Sofort. Der Spruch passt zu Eva. Mein Leben hingegen plätschert beständig vor sich hin. Und das ist auch gut so. Die Aufregung der letzten drei Jahre hat mir gereicht. Ich bin zufrieden, wenn ich meine Ruhe habe, einen guten Kaffee und ein Stück Kuchen, eine frisch gebackene Waffel oder ein paar Pancakes.

Pancakes … Von hier bis zum Gerichtsgebäude brauche ich mit dem Auto knapp zwanzig Minuten. Ich habe also noch über eine Stunde Zeit. Anstatt zu grübeln sollte ich mich lieber anderweitig beschäftigen. Ich stehe auf und gehe zum Kühlschrank. Kurz darauf rühre ich Eier, Zucker, Mehl, Buttermilch, flüssige Butter, etwas Natron und Backpulver in einer Schüssel zusammen. Kochen entspannt mich. Ich liebe das Geräusch, das der dickcremige Teig von sich gibt, wenn ich ihn in kleinen Portionen in die Pfanne gebe. Es knistert und zischt. Kurz darauf strömt der buttrig süße Duft von frisch gebackenen Pancakes in meine Nase. Noch einmal schaue ich auf Evas Karte. Sei wild und unersättlich! Jetzt. Sofort. Ich werde mich auf keinen Fall hungrig auf den Weg zu meinem Scheidungstermin begeben.

2. Kapitel

Stefan wartet vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes. Als er mich kommen sieht, winkt er mir zu. Und dann stehen wir uns auch schon gegenüber.

»Jette … Gut siehst du aus.« Er betrachtet mich eingehend. »Du hast wieder etwas zugenommen.«

Das Kompliment meint Stefan ernst. Er hat oft gesagt, dass ich eine Frau bin, die durch ein paar Kilo mehr auf den Rippen noch schöner wird. Als ich ihn damals geheiratet habe, war ich in der sechsten Woche schwanger und siebenundzwanzig Jahre alt. Nach zwanzig gemeinsamen Jahren mit ihm war ich unglücklich und brachte zwanzig Kilo mehr auf die Waage. Meine Ehezeit mit Stefan hat mir also genau ein Kilo mehr pro Jahr beschert. Davon habe ich in den vergangenen drei Jahren durch den Beziehungsstress fünfzehn Kilo abgenommen und in den letzten sechs Monaten wieder fünf angefuttert. Diesmal sind jedoch die Hormone schuld, da bin ich mir sicher. Stefan ist also aus dem Schneider.

»Wie geht es Jule?«, fragt mein Noch-Ehemann. »Ich habe schon seit Ewigkeiten nichts mehr von ihr gehört. Sie scheint ja schwer beschäftigt zu sein.«

Der Vorwurf in Stefans Stimme ist nicht zu überhören. Für ihn ist es sozusagen so was wie ein Naturgesetz, dass Kinder sich regelmäßig bei ihren Vätern zu melden haben. Es gehört sich einfach so. Jule ist seine Tochter. Er erwartet, dass sie regelmäßig bei ihm vorbeikommt oder zumindest anruft.

»Frag sie doch einfach«, antworte ich und versuche freundlich dabei zu klingen. Nach einem Streit nur wenige Minuten vor unserer Scheidung steht mir nicht der Sinn. »Du hast doch ihre Handynummer.«

Stefan winkt ab. »Ach, lassen wir das jetzt.«

Genau, denke ich, lassen wir das jetzt. Ein Spruch, den ich nicht nur einmal während unserer Ehe gehört habe. Ich schaue auf meine Armbanduhr und straffe die Schultern. »Zehn vor zwölf. Wollen wir?«

Stefan nickt.

»Die kürzeren Haare stehen dir gut«, sagt er, als wir nebeneinander die Treppe zum Gerichtsgebäude hochgehen.

»Danke.« Das letzte Mal haben wir uns an Jules Geburtstag gesehen. Das ist jetzt ein gutes Dreivierteljahr her. Kurz darauf habe ich mich von meiner langen Haarmähne getrennt und mir einen knapp kinnlangen Bob schneiden lassen, der mir aber nicht gefallen hat. Mittlerweile fällt mein Haar wieder bis fast auf die Schultern. Ich kann es hochstecken oder trage es, wie heute, offen und zum Seitenscheitel frisiert. Und ich bin glücklich damit. Den Bob hat Stefan nicht mitbekommen. Mein Noch-Mann ist nicht mehr Teil meines Lebens. Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu. Er sieht aus wie immer. In den letzten neun Monaten hat Stefan sich nicht verändert. Der gute Philon schießt mir wieder durch den Kopf. Stefan ist drei Jahre älter als ich. Er war also neunundvierzig, als er in seinem Leben noch mal was verändern wollte, so alt, wie ich jetzt. Typisch Mann, denke ich. Stefan hat den bequemen Weg gewählt. Anstatt an sich selbst zu arbeiten, hat er mich gegen eine Neue ausgetauscht.

Wir gehen schweigend durch das Gerichtsgebäude. Mir steht nicht der Sinn nach einer Unterhaltung. Mein Bauch grummelt. Das macht er immer, wenn ich nervös bin. Ich möchte die ganze Sache einfach so schnell wie möglich hinter mich bringen.

»Was macht die Schule?«, fragt Stefan, als wir vor dem Raum stehen, in dem wir gleich geschieden werden.

»Alles gut«, antworte ich, aber das stimmt nicht. Zum Glück wird nur wenige Sekunden später die Tür geöffnet.

»Da seid ihr ja schon.« Olaf, unser gemeinsamer Anwalt und Stefans Freund, reicht mir die Hand. »Jette, schön dich zu sehen.« Er räuspert sich. »Natürlich ist der Anlass nicht so schön.«

»Schon gut. Ich freu mich auch, dich zu sehen.« Ich mochte Olaf immer gern und bin froh darüber, dass wir mit nur einem Anwalt auskommen.

Olaf nickt. »Wollen wir?«

Etwa zwanzig Minuten später sind wir einvernehmlich geschieden. Die Bedingungen hatten wir schon vorher mit Olaf geklärt. Mir steht der Versorgungsausgleich zu und eine der größeren Kapitalversicherungen. Stefan behält das Haus und andere Geldanlagen. Er kommt etwas besser davon, aber alles in allem haben wir das Finanzelle fair geregelt. Ich bin zufrieden und nun auch offiziell wieder Single.

»Na dann …«, sagt Stefan, als wir wieder vor dem Gebäude stehen. Seine Stimme klingt überraschend sentimental. »Danke.«

»Wofür?«, frage ich.

»Für die zwanzig Jahre. Und für die tolle Tochter. Ich finde, zumindest Jule haben wir beide richtig gut hinbekommen.«

Wir? liegt mir auf der Zunge, aber ich verkneife mir den Kommentar. Stattdessen sage ich: »Du hast recht, wir haben eine wundervolle Tochter.«

Stefan nickt. »Richte ihr bitte aus, sie möchte die nächsten Tage mal vorbeikommen. Ich muss dringend etwas mit ihr besprechen.«

Ein Seufzer entfährt mir, aber ich antworte nicht auf seine Bitte. Es macht keinen Sinn, Stefan noch einmal darauf hinzuweisen, dass er sich selbst mit Jule in Verbindung setzen kann, wenn er sie sehen möchte. Sprachlosigkeit, genau das war unser Problem, schießt es mir durch den Kopf. Und zwar nicht nur zum Ende unserer Ehe.

»Ich würde ja gerne noch einen Kaffee mit dir trinken, aber …« Mein Exmann zuckt mit den Schultern. »Ich muss los. Die Klinik ruft. Du weißt ja, wie das ist.«

»Ja, allerdings …« Nicht nur einmal habe ich mich in den letzten Jahren gefragt, mit wem Stefan eigentlich wirklich verheiratet ist. Mit mir oder mit dem Krankenhaus, in dem er die meiste Zeit des Tages verbracht hat. Davon mal ganz abgesehen, meint er das mit dem Kaffee nicht ernst. Das war nur eine höfliche Floskel.

Stefan reicht mir die Hand, als wäre ich eine Fremde. Und so fühle ich mich auch. Zwanzig Jahre, und alles, was wir noch gemeinsam haben, ist unsere Tochter. Ich zögere einen Moment, bevor ich zugreife. Seine schlanken Chirurgenfinger fühlen sich ungewöhnlich kalt an. Komisch, denke ich, ich kenne sie nur warm.

Da lässt er auch schon los. »Alles Gute für dich, Jette.«

»Für dich auch.« Nachdem ich damals herausgefunden hatte, dass Stefan seine Arbeitszeit nicht nur mit lebensrettenden OPs, sondern auch intim mit einer seiner Kolleginnen verbringt, habe ich ihm die Pest oder zumindest einen fiesen Ausschlag am ganzen Körper gewünscht. Die Zeiten sind jedoch vorbei. Er ist nicht mehr mein Ehemann, aber noch immer Jules Vater. Und dem soll es gut gehen.

Ich sehe dem immer noch verdammt attraktiven Mann nach, der schnellen Schrittes über die Straße zu seinem weißen SUV läuft, ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen. Es ist typisch, dass Stefan einen Parkplatz für seinen Wagen direkt hier gegenüber gefunden hat. Mein Auto steht ganz am anderen Ende der Parallelstraße.

Was solls, denke ich. Es gibt schließlich Wichtigeres. Unsere Tochter zum Beispiel. Ich atme tief durch, krame mein Handy aus der Tasche, schalte den Ruhemodus aus und schicke eine Nachricht an Jule. Es ist gleich halb eins. Sie ist online, obwohl sie gerade im Seminar sitzen müsste, um für ihre bevorstehende Mathe-Prüfung zu lernen.

Geschafft. Alles friedlich überstanden. Hab dich sehr lieb. Heute Abend Pizzataxi?

Nur ein paar Sekunden später erscheint ein rotes blinkendes Herz auf meinem Display, kurz darauf ein Gut!, danach Ja, sehr gerne und schließlich ein Schlieb! Unsere persönliche Nachrichtenabkürzung für Ich habe dich lieb. Wenn Jule mir schreibt, piept mein Handy in der Regel gleich mehrmals hintereinander. Es ist eine kleine Marotte von ihr, den Text nicht nur in einer Nachricht zu versenden. Wie wars?, erscheint auf meinem Handy und War Papa brav?

War er, antworte ich. Alles gut. Freu mich auf heute Abend! Und jetzt konzentriere dich auf Mathe, wir reden später.

Meine Tochter reagiert mit einer lachenden Emoji, einem Daumen nach oben und noch einem Herz, diesmal in Lila.

Stefan hat recht, denke ich noch einmal, wir haben eine wundervolle Tochter. Allein für sie haben sich die zwanzig Ehejahre gelohnt. Außerdem hatten Stefan und ich auch gute gemeinsame Zeiten.

Wie aus dem Nichts setzt sich ein Kloß in meinem Hals fest.

Ich atme tief durch und suche nach dem Autoschlüssel in meiner Tasche. Jetzt bloß nicht doch noch anfangen zu heulen. Gerade als ich die ersten Schritte in Richtung meines Autos gehe, höre ich eine mir bestens bekannte Frauenstimme laut und deutlich »Jette!« rufen. Ich bleibe stehen und drehe mich um. Eva steht nur wenige Meter von mir entfernt an ihr Auto gelehnt. Sie hebt eine Flasche Champagner und zwei Gläser in die Luft.

»Was machst du denn hier?«, frage ich erfreut. »Bist du schon die ganze Zeit da? Ich habe dich gar nicht bemerkt.«

»Du warst ja auch beschäftigt.« Eva zeigt hinter sich. »Ich habe im Wagen gesessen und gewartet, bis Arschie weg ist.« Sie kommt auf mich zu. »Ich lass dich doch jetzt nicht alleine.«

Ohne Vorwarnung schießen mir die Tränen in die Augen und laufen über meine Wangen. Ich schluchze auf und liege kurz darauf in den Armen meiner Freundin.

3. Kapitel

»Auf dich!« Eva hält mir ihren Champagnerkelch entgegen. »Und auf die Zukunft.«

»Auf die Zukunft.« Unsere Gläser klirren sanft, als wir sie aneinanderstoßen. Beim Trinken schauen wir uns tief in die Augen. Danach lächeln wir beide. Ein Gefühl von Dankbarkeit überrollt mich. Ich genehmige mir noch einen Schluck der angenehm kühlen und prickelnden Flüssigkeit und greife nach Evas Hand. Sie streicht mit dem Daumen über meinen Handrücken. Wir sind vom Gerichtsgebäude mit Evas Wagen direkt zum Rhein-Herne-Kanal gefahren. Hier sitzen wir nun nebeneinander auf einer Bank. Einen Moment schauen wir schweigend auf den Frachter, der sich schwerbeladen an uns vorbei durch das Wasser pflügt. Axel, steht in großen weißen Buchstaben auf seinen Rumpf geschrieben.

»Gut, dass ich mir nie ›Stefan‹ auf meinen Hintern habe tätowieren lassen«, sage ich. »Spätestens jetzt würde ich mich darüber ärgern.«

Eva lacht hell auf. Und ich stimme mit ein.

»Ich hätte niemals zugelassen, dass du dich derart verunstaltest«, erklärt Eva.

Einen kurzen Moment blitzt das Bild einer jungen Frau mit blondem kurzem Haar vor meinem inneren Auge auf: Uta, meine beste Freundin aus der Jugendzeit. Wir waren beide achtzehn, als ich mir in einem Anflug von blinder Verliebtheit tatsächlich den Namen meiner damaligen großen Liebe Jan auf meiner Schulter verewigen lassen wollte. Uta hat mich davon abgehalten. Und jetzt habe ich Eva. »Schön, dass du auf mich aufpasst.« Ich halte Eva noch einmal das Glas entgegen. »Auf uns.«

Sie sieht mich ernst an. »Auf uns. Du bist mein absoluter Lieblingsmensch.«

»Und du meiner.« Abgesehen von Jule natürlich, aber sie ist meine Tochter und sozusagen Teil von mir.

»Schade, dass wir beide nicht auf Frauen stehen«, erklärt Eva und grinst. »Wir wären ein schönes Paar.«

Ich winke ab. »Das würde alles verkomplizieren. Liebe macht verletzlich.«

»Stimmt.«

Ein Jogger läuft an uns vorbei.

»Prost!«, ruft er und dreht sich noch einmal nach uns um.

Eva zieht anerkennend gleich beide Augenbrauen nach oben und schnalzt mit der Zunge. »Nett!«

Ich schaue ihm nach. Dabei fällt mir wieder der Frachter auf. »Axel – würdest du dein Schiff so nennen?«, frage ich. »Wenn ich eins hätte, würde ich ihm einen schönen Namen mit Bedeutung verpassen, aber keinen Vornamen, schon gar keinen männlichen. Die Axel läuft in den Hafen ein, das hört sich komisch an.«

»Vielleicht ist Axel der Name des Sohnes«, überlegt Eva laut. »Oder der des Großvaters. Bestimmt nicht der des Ehemannes.«

»Kann sein.« Ich schließe für einen Moment die Augen und halte mein Gesicht der Sonne entgegen. Wir haben Ende August. Es ist nicht mehr so heiß wie in den letzten Wochen, aber immer noch angenehm warm. »Hope«, sage ich. »Ich würde mein Boot Hope nennen.«

»Klingt gut.« Eva legt ihre Hand auf meine Schulter. »Nach der Woche Sylt wird es dir wesentlich besser gehen, warte mal ab.« Gleich nachdem mein Scheidungstermin feststand, haben wir einen gemeinsamen Freundinnen-Wellnessurlaub gebucht, sozusagen als Mini-Reha für mich. Am Samstag geht es los.

Ich fühle einen Moment in mich hinein. »Mir geht es nicht schlecht. Es war nur die Anspannung der letzten Tage, die sich vorhin gelöst hat. Ich bin froh darüber, dass es jetzt endgültig vorbei ist. Und darüber, dass du da bist.«

»Ist doch selbstverständlich.« Sie klopft auf die Sitzfläche der Bank. »Wie oft haben wir hier schon gesessen?«

»Unzählige Male«, antworte ich. Eva ist Kommissarin. Wir haben uns während einer Fortbildung kennengelernt, bei der es um den Umgang mit gewaltbereiten Kindern ging. Eva war eine der Referentinnen. Ein paar Wochen später traf ich sie bei einem Projekt gegen Mobbing in der Schule wieder, in der ich damals als Sozialarbeiterin in der Ganztagsbetreuung tätig war. Ich war begeistert von Evas Art, mit den Kids umzugehen. Sie schaffte es, auch die sonst eher harten Jungs aus der Reserve zu locken und für das Thema zu sensibilisieren.

Nach Schulschluss beschlossen wir spontan, noch einen Spaziergang zu machen. Wir fuhren zum Kanal, setzten uns auf diese Bank und quatschten uns fest. Das war der Beginn unserer Freundschaft. Wir kennen uns jetzt seit fünfzehn Jahren. Und seitdem kommen wir hierher, reden, lachen, weinen oder fluchen gemeinsam.

Die Axel tuckert unermüdlich weiter den Kanal entlang. Ich seufze tief auf.

»Was ist los?«, fragt Eva. »Wirst du jetzt doch sentimental?«

»Nein, ja, aber nicht wegen Stefan.« Ich zeige auf den Frachter, der gleich hinter einer Biegung unserem Blickfeld entschwunden sein wird. »Ich bin auch eine Axel.«

»Was? Wie kommst du denn darauf?« Eva schüttelt ungläubig den Kopf.

»Doch! Ich bin genauso schwerfällig und träge.«

Ein kleines Lächeln umspielt Evas Lippen. »Ich würde dich eher als ausgeglichen bezeichnen. Du ruhst in dir selbst. Das ist die Eigenschaft, die ich am meisten an dir bewundere.«

»Manchmal verstecken sich die negativen Dinge eben in den positiven«, erkläre ich. »Ich bin träge, zumindest fühle ich mich momentan so. ›Sei wild und unersättlich!‹ … weißt du noch?«

Eva nickt. »Jetzt. Sofort. Klar, die Postkarte mit dem Bette Midler Spruch.«

»Genau. Alles was mir dazu einfällt, ist Pancakes zu backen und mir den Bauch damit vollzuschlagen.« Ich schüttle den Kopf. »Ach, ich weiß auch nicht, was auf einmal mit mir los ist. Vorhin war ich noch froh darüber, dass mein Leben in ruhigen Bahnen verläuft. Jetzt sitze ich hier, jammere rum, und wie aus dem Nichts kommen kleine giftige Gedanken angeflogen, die mir suggerieren wollen, dass ich im Grunde genommen unzufrieden bin. Und ich habe keine Ahnung, warum.«

Eva zuckt mit den Schultern. »Hört sich meiner Meinung nach ganz normal an. Du befindest dich im absoluten Ausnahmezustand. Immerhin bist du gerade geschieden worden. Auch wenn es einvernehmlich war. Du hast eine unschöne Trennung hinter dir und musstest dich erst mal wieder berappeln. Das hat dich Kraft gekostet. Heute bist du den letzten Schritt gegangen. Du wärst nicht die Jette, die ich kenne und liebe, wenn das spurlos an dir vorübergehen würde. Du darfst Unmengen an Pancakes vertilgen, lachen, weinen, wütend, traurig und auch durcheinander sein. Das gibt sich wieder.«

»Danke.« Ich lege meinen Kopf auf Evas Schulter. Das Bild meines Exmannes blitzt vor meinem inneren Auge auf und ich denke an die unpersönliche Verabschiedung. »Stefan hatte eiskalte Hände«, sage ich.

»Ein Zeichen für Stress. Arschie ist eben auch nur ein Mensch und kein Halbgott, obschon es ihm schwerfällt, sich das einzugestehen.«

Eva hat Stefan ganz charmant umgetauft, nachdem sie erfahren hatte, wie dermaßen unehrlich und abgebrüht er sich während der Affäre mit seiner Kollegin mir gegenüber verhalten hat. Meine Freundin ist konsequent. Sie nennt ihn heute noch so. Nur wenn Jule in der Nähe ist, hält sie sich zurück.

»Ich weiß nicht. Er wirkte eigentlich ganz gelassen. Kalte Hände hatte er nie, nicht mal im Winter, und auch nicht bei Stress«, erkläre ich und schüttele nur kurz darauf den Kopf, weil ich mir über das Wohlergehen meines Exmannes Gedanken mache. »Ist ja auch egal. Liegt vielleicht am Alter.«

»Genau. Und jetzt lass uns an positive Dinge denken. Ab sofort beginnt auch offiziell dein neues Leben.« Eva hebt ihr Glas in den Himmel. Die Champagnerperlen leuchten golden in der Sonne. »Auf dein schönes neues Leben!« Sie leert das Glas in einem Zug.

Auch ich trinke den restlichen Champagner aus. Eine dicke Hummel schwirrt laut summend um unsere Köpfe herum. Auf dem Wasser schnattern ein paar Enten um die Wette. Ich bin gesund, habe einen vernünftigen Job, eine tolle Tochter und eine richtig gute Freundin. Ich seufze noch einmal auf. »Im Grunde genommen geht es mir ja doch sehr gut. Ist schön hier, oder?«

Eva kichert laut los. Die hellen, fast schrillen Töne, die sie dabei von sich gibt, haben mich schon immer fasziniert. Sie passen eigentlich nicht zu ihrer tiefen warmen Stimme. Und sie sind ungemein ansteckend. Mit Eva muss ich meine Mundwinkel nicht bewusst nach oben ziehen, sie wandern sozusagen von ganz alleine hoch.

»Ja, hier ist es wunderschön. Aber davon mal ganz abgesehen musst du mal raus«, sagt Eva und wird wieder ernst. »Die Inselluft wird dir guttun. Und mir auch. Ich habe uns für jeden Tag eine Massage gebucht, bevor ich heute Morgen losgefahren bin.«

»Klingt gut.« Eine Woche Sylt. Die Insel kenne ich noch nicht. Seit ich im Ruhrgebiet wohne, liegen die Ostfriesischen Inseln näher. Schon etliche Male habe ich mit Eva Kurzurlaub auf Norderney gemacht. Gemeinsam mit Stefan und Jule war ich auf Borkum, Langeoog und Juist. Von den Nordfriesischen Inseln kenne ich nur eine. Ich bin in der Lüneburger Heide aufgewachsen und später zum Studieren nach Hamburg gezogen. Von dort aus bin ich mit meinem damaligen Freund mal für ein paar Tage nach Amrum gefahren. Nach Sylt wollten wir im nächsten Urlaub. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen. Ich schüttele unwillkürlich den Kopf. An Jan habe ich schon Ewigkeiten nicht mehr gedacht. Heute, am Tag meiner Scheidung, kommt er mir zweimal kurz hintereinander in den Sinn. Ob ich jetzt doch noch sentimental werde?

»Carola hat mir den Masseur empfohlen«, sagt Eva und reißt mich aus meinen Gedanken. »In Sachen Wellness kann man sich auf ihren Geschmack verlassen. Er soll magische Hände haben.«

»Klingt ja fast verführerisch«. Carola ist Evas Schwester. Sie ist sechsundfünfzig Jahre alt, hat zwei erwachsene Töchter und seit Kurzem den dritten Ehemann, einen wohlhabenden Zahnarzt mit Ferienhaus auf Sylt. »Wie heißt deine Schwester jetzt? Ich kann mir den Nachnamen einfach nicht merken.«

»Szewczyk«, erklärt Eva und schüttelt den Kopf. »Meine Schwester tickt in der Beziehung nicht ganz richtig, wenn du mich fragst. Sie findet es lustig, dass sie nun einen Namen hat, den sie buchstabieren muss, wenn sie sich irgendwo vorstellt. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum sie nach ihrer ersten Scheidung nicht wieder unseren Geburtsnamen angenommen und auch behalten hat.«

»Ich bin mir da auch noch unsicher.«

»Bei dir ist das ja auch was anderes. Ihr habt ein gemeinsames Kind. Außerdem ist Florin ein sehr schöner Nachname.«

»Stimmt. Ich überlege trotzdem, ob ich wieder den alten annehme. Für Jule wäre das okay. Sie ist ja schon erwachsen und versteht das.«

»Jette Jacoby.« Eva sieht mich an. »Klingt auch gut, irgendwie schnittig.«

Da fährt ein älterer Mann mit schütterem Haar, kugelrundem Bauch, blauer Jogginghose und weißem Träger-Rippshirt auf einem alten klapprigen Rad an uns vorbei. Vorne an seinem Lenkrad hat er ein kleines Radio angebracht aus dem blechern Nenas Stimme tönt. Irgendwie fängt irgendwann irgendwo die Zukunft an …

»Wenn das mal nicht wie die Faust aufs Auge passt«, stellt Eva trocken fest. »Gib mal dein Glas.« Sie schenkt uns beiden nach, bevor wir ein weiteres Mal anstoßen. »Auf Jette Jacoby, auf dich.«

»Ja …« Der Gedanke gefällt mir. Jetzt, wo ich tatsächlich geschieden bin, kommt es mir richtig vor. Der Name Florin ist schön, aber er war nur ausgeliehen. Jetzt sollte ich wieder ich sein. »Wenn wir von Sylt zurück sind, stelle ich den Antrag.«

»Klasse! Gute Entscheidung.«

Wir nippen an unseren Champagnergläsern und beobachten das Treiben um uns rum. Auf dem Kanal paddeln ein paar Kajakfahrer. Hundebesitzer gehen mit ihren Vierbeinern spazieren. Eine Gruppe Radfahrer fährt an uns vorbei. Mein Blick bleibt am Gasometer hängen, dem Wahrzeichen Oberhausens. Der einhundertsiebzehn Meter hohe Koloss ist mir ans Herz gewachsen. Als meine Eltern damals von dem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide ins Ruhrgebiet gezogen sind, hätte ich erstens nie für möglich gehalten, dass ich mich ausgerechnet hier verliebe und hinterherziehe und zweitens niemals gedacht, dass ich mich hier so dermaßen wohlfühlen könnte. Ich mag den manchmal etwas rauen, aber herzlichen Umgang der Menschen im Ruhrpott. Sie sind direkt und ehrlich. Von meinem Exmann mal ganz abgesehen, aber Ausnahmen bestätigen ja bekanntermaßen die Regel.

Der Miss Marple Klingelton meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Ich zögere, kann mich nicht dazu durchringen, das Gespräch anzunehmen. Meine Mutter trauert ihrem Ex-Schwiegersohn immer noch hinterher. Stefan konnte sehr charmant sein, besonders wenn es um ihre Koch- und Backkünste ging. Ich weiß, dass sie Jule letztens erst gefragt hat, ob sie ihm nicht ein Stück Buchweizentorte vorbeibringen wolle. Meine Tochter hat sich geweigert – und mir brühwarm davon erzählt, als sie wieder zu Hause war.

»Geh schon ran!« Eva schubst mich sanft in die Seite. »Sie will bestimmt wissen, wie es war.«

Ich drücke den Annahmeknopf. »Hallo, Mutti.«

»Jette, wo bist du denn? Ich komme eben vom Arzt. Dein Vater geht nicht ans Telefon. Er wollte mich eigentlich abholen. Fährst du mal bei ihm vorbei? Nicht dass ihm was passiert ist. Ich mach mir Sorgen.«

Seit mein Vater vor zwei Jahren einen Herzinfarkt nur knapp überlebt hat, rechnet meine Mutter ständig damit, dass es wieder passieren könnte. Natürlich ist das nicht ausgeschlossen und ich verstehe ihre Angst. Aber meine Mutter hatte schon immer den Hang zu theatralisieren. Ich gehe davon aus, dass mein Vater bei diesem Wetter gemütlich im Garten sitzt und die Sonne genießt. Aber ganz sicher bin ich mir da natürlich nicht. Wenn ich könnte, würde ich jetzt sofort nachschauen. »Das geht leider nicht, Mutti. Ich habe etwas getrunken und darf nicht fahren.«

»Um diese Uhrzeit?«

Ich verkneife mir die Bemerkung, dass heute mein Scheidungstermin war und frage stattdessen: »Was habt ihr denn ausgemacht? Wann sollte Papa dich abholen?«

»Na, wenn ich fertig bin. Man weiß ja nie, wie voll das Wartezimmer ist und wie lange es dauert, bis man drankommt. Ich sollte ihn anrufen.« Sie seufzt. »Es ist Viertel nach drei. Er weiß doch, dass ich mich melden wollte. Was machen wir denn jetzt?«

»Soll ich einen Kollegen fragen, ob er uns abholt und zu deinen Eltern fährt?«, flüstert Eva neben mir. Meine Mutter hat so laut gesprochen, dass Eva alles mitbekommen hat. Doch noch bevor ich antworten kann, ruft meine Mutter: »Helmut, Helmut, hier bin ich!«

Ich atme erleichtert auf.

»Dein Vater ist da«, ruft meine Mutter ins Telefon. »Helmut! … Da bist du ja, ich habe mir schon Sorgen gemacht. Warum bist du denn nicht ans Telefon gegangen?«

»Weil ich Auto gefahren bin«, höre ich meinen Vater erwidern. »Da kann ich ja schlecht rangehen.«

»Aber du wolltest doch …«

Ich halte das Handy von meinem Ohr weg, bis die beiden ihren kleinen Disput ausgefochten haben.

Als meiner Mutter wieder einfällt, dass ich noch am Telefon bin, erklärt sie mir: »Dein Vater ist nicht ans Telefon, weil er Auto gefahren ist«

»Ich weiß, Mutti, habe ich mitbekommen.«

»Warte, er möchte dich sprechen.«

»Jette, mein Schatz«, sagt mein Vater. »Wie war die Scheidung? Ist alles gutgegangen?«

»Das habe ich ja in der Aufregung ganz vergessen«, ruft meine Mutter aus dem Hintergrund. Dann sagt sie laut: »Deswegen ist Jette betrunken.«

Eva grinst mich an. Sie kennt meine Eltern und mag sie.

»Ich bin nicht betrunken«, erkläre ich meinem Vater, aber nach zwei Gläsern Champagner fahre ich kein Auto mehr. »Ich sitze mit Eva am Rhein-Herne-Kanal und genieße die Sonne. Scheidungsmäßig ist wie erwartet alles vernünftig über die Bühne gelaufen. Die Details erzähle ich euch auf dem Weg zum Flughafen, da haben wir ja genug Zeit.«

»In Ordnung, Schatz. Bis morgen.«

»Pünktlich!«, ruft meine Mutter.

»Natürlich. Bis morgen also.« Ich drücke das Gespräch weg und drehe mich zu Eva.

»Wann geht es denn los?«, fragt sie.

»Der Flieger geht um zwei. Ich soll sie aber schon um zehn abholen, damit sie ihn auch ja nicht verpassen. Du weißt ja, wie meine Mutter ist. Sie setzt sich selbst unter Druck und macht alle um sich rum kirre.«

»Kann ich mir vorstellen. Sie ist bestimmt mächtig aufgeregt.«

»Und wie! Sie hat schon vor Wochen angefangen zu packen.«

»Grüß die beiden bitte ganz lieb von mir und sag ihnen, dass ich ihnen ganz viel Spaß wünsche.«

»Mach ich.«

Meine Eltern brechen morgen zu ihrer ersten großen Kreuzfahrt von Hamburg nach Barbados auf. An Bord werden die beiden, gemeinsam mit dem Kapitän, ihre Goldene Hochzeit feiern, während ich mich mit meiner Freundin auf Sylt von meiner Scheidung erhole.

Meine Mutter steht schon auf dem Gehweg vor dem rot geklinkerten Zechenhaus und bewacht die Koffer, als ich um die Ecke biege. Es ist zwanzig vor zehn, ich bin überpünktlich. Von unserer Wohnung bis zu meinen Eltern brauche ich zehn bis zwölf Minuten, wenn kein Verkehr ist. Aber man kann nie wissen, also bin ich vorsichtshalber schon um halb losgefahren. Ich halte direkt neben ihr an und lasse das Fenster runter: »Taxi gefällig?«

Meine Mutter nickt überschwänglich. Ihre Wangen sind vor Aufregung gerötet. Sie trägt eine 7/8 lange sportliche Cargohose in einem hellen Olivton, eine weiß-rosa-karierte Hemdbluse mit Krempelärmeln und weiße Sneaker. Um ihren Bauch hat sie eine dunkelgraue Gürteltasche geschnallt und in der Hand hält sie eine olivfarbene Schirmkappe. Die Sachen habe ich noch nie an ihr gesehen.

»Schick siehst du aus«, sage ich, und staune nicht schlecht, als mein Vater zur Tür herauskommt. »Und Papa auch.« Bis auf sein weißes Hemd ist er ähnlich gekleidet. Die Hose, die Kappe auf seinem Kopf und die Bauchtasche haben definitiv die gleiche Farbe wie die Kleidungsstücke meiner Mutter.

Ich steige aus, umarme meine Mutter und winke meinem Vater zu, der immer noch in der offenen Tür steht. »Partnerlook?«

Meine Mutter nickt wieder. Dass sie bisher noch nichts gesagt hat, passt gar nicht zu ihr. Sie scheint wirklich mächtig aufgeregt zu sein.

»Ich geh noch mal durchs Haus«, ruft mein Vater. »Nicht, dass doch noch irgendwo was offensteht.«

»Mach das, wir haben noch Zeit«, rufe ich zurück und wende mich wieder an meine Mutter. »Dann packen wir schon mal die Koffer ins Auto.« Auch die sind neu, wie ich mit einem schnellen Blick feststelle. Ich lege den Arm um die Schultern meiner Mutter. Sie ist gut fünf Zentimeter kleiner als ich und etwas rundlicher gebaut. Ihr kurz geschnittenes graues Haar lässt sie sich regelmäßig blond färben. Wie fünfundsiebzig sieht sie nicht aus. Sie könnte glatt als Endsechzigerin durchgehen. Vermutlich hat meine Tochter recht, dass das Jünger-Aussehen bei uns in der Familie liegt. »Ich freue mich wahnsinnig darüber, dass ihr euch endlich euren lang ersehnten Traum erfüllt.« Schon einmal wollten meine Eltern auf Kreuzfahrt gehen, vor fünf Jahren, zum siebzigsten Geburtstag meines Vaters. Damals hat sein Herz den beiden einen Strich durch die Rechnung gemacht. Umso schöner ist es, dass es jetzt klappt.

»Fünfzig Jahre verheiratet«, sagt meine Mutter mit brüchiger Stimme. »Wer hätte das gedacht.« Sie strafft ihre Schultern und räuspert sich. »Na ja, war auch ein hartes Stück Arbeit. Wir hatten auch schlechte Zeiten. Trotzdem ist und bleibt die Ehe immer noch eine der wichtigsten Entdeckungsreisen, die der Mensch unternehmen kann.« Sie sieht zu mir auf. »Schade, dass Stefan nicht der Richtige für dich war. Aber du bist ja noch jung. Du hast auf jeden Fall einen Besseren verdient.«

Ich horche überrascht auf. »Einen Besseren als Stefan? Das meinst du doch nicht wirklich ernst.« Das klingt bissig, aber es ist mir rausgerutscht, bevor ich darüber nachdenken konnte.

Meine Mutter sieht mich streng an. »Du hast ihn dir damals ausgesucht und wolltest ihn unbedingt heiraten, obwohl du ihn kaum kanntest. Ihr habt von Anfang an nicht zusammengepasst, aber du wolltest ja nicht auf mich hören. Jetzt mach mir keinen Vorwurf, weil ich ihn als Schwiegersohn mochte.«

»Nicht auf dich hören?«, frage ich. »Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du mir davon abgeraten hättest.«

»Wenn ich das gemacht hätte, hättest du ihn erst recht geheiratet«, antwortet meine Mutter. »Du warst damals sehr eigensinnig, wenn ich mich recht erinnere.«

»Vielleicht mit sechzehn, aber doch nicht mehr mit Mitte zwanzig«, entgegne ich, aber das lässt meine Mutter nicht gelten.

»Das gehört zu deinem Naturell«, sagt sie.

»Was? Aber …«

Meine Mutter lässt mich nicht ausreden. »Du hast dir auf jeden Fall nichts vorzuwerfen. Er hatte seine zweite Chance und hat sie nicht genutzt. Das hat er jetzt davon. So eine wie dich findet er so schnell nicht wieder. Und du kommst drüber hinweg. Wie gesagt, du hast was Besseres verdient. Ich finde trotzdem, wir sollten ihn uns warmhalten. Er ist immerhin Jules Vater. Und außerdem Arzt. Wir werden schließlich auch nicht jünger. Wer weiß, wozu das noch gut ist.«

Ich weiß, dass meine Mutter Flugangst hat. Normalerweise nimmt sie kurz vor Abflug eine Beruhigungspille. Ob sie es sich diesmal anders überlegt und stattdessen einen gezwitschert hat? Ich schaue sie skeptisch an. Daher kommen bestimmt auch die geröteten Wangen …

Ihr Blick wandert zum Haus. »Übrigens …« Ihre Stimme ist plötzlich ein paar Nuancen leiser geworden. »Matthias ist gestorben. Vorgestern. Es war sein Herz, wie bei deinem Vater.«

Ich brauche einen Moment, bis mir klar wird, wen meine Mutter meint. »Thies? Unser Thies aus Lünzen?«

Sie nickt und klingt traurig, als sie sagt. »Er war etwas jünger als dein Vater, ist gerade mal vierundsiebzig geworden.«

Ich habe Thies das letzte Mal vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren gesehen. Der große breitschultrige Mann hat mich fest in seine Arme genommen, mir alles Gute für meinen weiteren Lebensweg gewünscht und mir das Versprechen abgerungen, ihn irgendwann mal wieder besuchen zu kommen. Aber dazu ist es nie gekommen. Und jetzt ist es zu spät. Plötzlich habe ich einen Kloß im Hals. Ich hatte es ihm versprochen, habe es die Jahre danach verdrängt und schließlich vergessen.

»Wer hat dich denn darüber informiert?«, frage ich.

»Seine Schwester, Ella. Gestern lag ihre Karte im Briefkasten.« Etwas nervös, wie es mir vorkommt, blickt meine Mutter wieder zum Haus, aus dem in diesem Moment mein Vater kommt.

»Ich gehe noch mal kurz nach hinten in den Garten«, ruft er.

»Ella?«, frage ich meine Mutter. »Ich wusste gar nicht, dass ihr noch Kontakt habt.«

»Haben – hatten wir auch bisher nicht.« Meine Mutter winkt ab. »Lassen wir das lieber. Papa weiß das mit Matthias nicht. Sag ihm bitte nichts, ich will nicht, dass er sich aufregt.«

Mein Vater, der eher besonnen und ruhig ist, kam mit Thies’ immer fröhlichen und manchmal etwas lauten Art nicht besonders gut klar. Er hat zwar nie abfällig über ihn gesprochen, aber ich habe die Blicke gesehen, die er ihm manchmal zugeworfen hat, wenn er sich unbeobachtet gefühlt hat. Mein Vater ist mir in dieser Hinsicht ähnlich. Er lässt sich so schnell nicht anmerken, wenn er jemanden nicht mag. Nur wer ihn gut kennt, bemerkt die feinen Unterschiede zwischen Höflichkeit, Freundlichkeit und Herzlichkeit. Thies gegenüber hat er sich immer höflich verhalten, gemocht hat er ihn nicht. Da bin ich mir fast sicher.

Ich kann mir nicht vorstellen, warum es ihn besonders aufregen sollte, wenn er von Thies’ Tod erführe. Natürlich würde er es aufrichtig bedauern – niemals würde er jemandem etwas Schlechtes wünschen. Meine Mutter macht sich da sicher mal wieder zu viele Gedanken. Aber ich respektiere ihren Wunsch. Sie ist aufgeregt und freut sich auf die Reise mit meinem Vater. Also gehe ich auf ihren abrupten Themawechsel ein, als sie sagt: »Ich habe die Topfpflanzen alle ins Wohnzimmer neben die Terrassentür gestellt. Dann müsst ihr nicht im ganzen Haus rumlaufen, um sie zu gießen.«

»Das ist gut«, antworte ich. »Dann vergessen wir auch keine.« Jule wird alle zwei Tage hier nach dem Rechten sehen, während ich auf Sylt bin. Und danach kümmere ich mich um alles. Meine Mutter weiß sehr gut, dass wir beide keinen grünen Daumen haben und sie hat zu Recht Angst, dass wir eine ihrer Pflanze verdursten lassen. Deshalb macht sie es uns immer besonders einfach, damit wir ja keine Fehler machen können.

»Und erinnere Jule bitte noch mal daran, die blaue und die gelbe Tonne morgen rauszustellen.«

»Mach ich, Mutti.«

»Und die Post – ach ja …« Ihre Stimme wird wieder leiser. »Wenn da noch mal was von Ella kommt, nimmst du es vorerst mit zu dir?«

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