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Superspy. Mit einem Fuß im Desaster

hier erhältlich:

Cool, genial und besser als der Geheimdienst

Ada ist sensationell gut – zumindest, wenn es um kriminelle Machenschaften geht. Denn ihr Vater, seines Zeichens cyberkriminelles Genie und Meisterdieb, hat sie in allem ausgebildet, was man für wirklich große Coups braucht. Das hat ihm einen Platz im am besten gesicherten Gefängnis des Landes gebracht – und Ada an die Springfield Military Reform School. Doch dann wird Ada vom Geheimdienst rekrutiert. Jemand hat den „Hacker’s Key“ entwendet, einen Schlüssel, der zeitgleich jeden Computer und jedes Smartphone lahmlegen könnte. Die Welt würde im Chaos versinken! Kann Ada den kaltblütigen Dieb stellen?

Lesespaß und Spannung für Jungen und Mädchen bis zur letzten Seite


  • Erscheinungstag: 27.12.2022
  • Seitenanzahl: 208
  • Altersempfehlung: 11
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505150760

Leseprobe

Für meine Söhne Logan und Zane

Lass sie glauben, es wäre unmöglich

Vor der Südwestküste Islands, unter einem grauen Himmel und in einem dunklen Meer, lag eine kleine Insel mit einem schmalen Strand aus schwarzem Sand. Zu erreichen war sie nur mit einem Boot oder Helikopter. Doch das störte niemanden, denn wer macht sich schon freiwillig auf den Weg zu einem solchen Fleckchen Erde, an dem es sowieso immer kalt und nass ist.

Auf der Insel gab es nur ein einziges Gebäude: eine bescheidene Holzhütte mit einer Tür und zwei Fenstern. Irgendwann war sie blau gestrichen worden, doch durch die salzige Seeluft war die Farbe inzwischen so ausgeblichen, dass die Wände nun fast mit dem grauen Himmel verschmolzen. Die Fenster waren offenbar seit Jahren ungeputzt, Salzschlieren zogen sich über das Glas. Alles wirkte uralt, bis auf eines: Das Türschloss blitzte und glänzte, als wäre es erst am Tag zuvor montiert worden. Es handelte sich um ein unknackbares Magnetschloss.

Die Tür stand sperrangelweit offen.

In der Hütte befanden sich zwei schmale Betten, ein Tisch, ein Kühlschrank und ein kleiner Kanonenofen. Auf dem Boden lagen zwei kräftige Männer, der Kleidung nach Fischer. Es waren aber keine Fischer, sondern Angehörige einer Elite-Sicherheitseinheit der Vereinten Nationen. Oder besser gesagt: Das waren sie gewesen. Jetzt waren sie tot.

In den Boden der Hütte war eine geheime Falltür eingelassen, verborgen unter einem Teppich und so gut gedämpft, dass man sie nicht unter den Füßen spürte, sollte man zufällig darüber laufen. Man würde sie also nur finden, wenn man bereits von ihr wusste. Und selbst wenn man irgendwie von ihr erfahren haben sollte, war sie zusätzlich durch einen Netzhautscanner gesichert, der lediglich drei Personen auf diesem Planeten Zutritt gewährte.

Der Teppich war zurückgeschlagen, die Falltür stand offen.

Wer irgendwie die abgelegene Hütte ausfindig gemacht, das Magnetschloss geknackt, die Elite-Wachen ausgeschaltet, die geheime Falltür entdeckt und den Netzhautscanner überwunden hatte, würde dann auf eine Leiter stoßen, die in einen unterirdischen Raum führte. Dort unten angekommen, hätte man zehn Sekunden Zeit, um zu einer verriegelten Tür am anderen Ende des Raumes zu gelangen und in ein Mikrofon zu sprechen. Sollte die Stimmerkennungssoftware daraufhin grünes Licht geben, würde sich die Tür öffnen. Sollte sie ablehnend reagieren, würde der Raum mit Giftgas geflutet, das einen schnell und schmerzlos ins Jenseits befördern würde. Wie der Netzhautscanner gewährte auch die Stimmerkennung lediglich drei Personen auf diesem Planeten Zutritt.

Die Tür stand offen.

Dahinter befand sich eine kleine Kammer, kaum größer als ein Wandschrank. In der Kammer stand ein Tisch und auf dem Tisch ein Kasten aus kugelsicherem Glas. Dieser war gesichert durch einen Fingerabdruckscanner, der ihn nur für ebenjene drei Personen entriegeln würde.

Der Glaskasten war geöffnet. Der Gegenstand, der sich darin befunden hatte, war verschwunden. An seiner Stelle lag ein altes Videospiel-Modul aus den 1980er-Jahren.

Das Unbegreifliche an all dem war, dass die drei Personen, die offiziell Zugang zu diesem Glaskasten hatten, am Vorabend leblos in ihrem Zuhause aufgefunden worden waren: eine in Washington, eine in Moskau und eine in Peking. Alle drei waren einige Stunden vor dem Diebstahl gestorben, offenbar an Herzversagen.

Komme nie zu spät, außer zu deiner eigenen Beerdigung

Bereits im Aufwachen erkannte Ada Genet, dass sie verschlafen hatte. Um Punkt sechs Uhr früh wäre die Sonne niemals so hell in das kleine Zweierzimmer gefallen. Ada lehnte sich über den Rand des Etagenbettes und warf einen Blick nach unten. Cody Francesco, ihre chilenische Mitbewohnerin, war schon weg. Dass Cody gegangen war, ohne sie zu wecken, wunderte Ada nicht – sie verstand sich nicht besonders gut mit ihr. Ja, es wäre Cody sogar zuzutrauen gewesen, dass sie Adas Alarm verstellt hatte.

Mit einem eleganten Sprung schwang Ada sich vom oberen Bett und griff sich ihre Armbanduhr vom Tisch. Wie erwartet: Es war 6:55 Uhr. Wenn sie nicht in fünf Minuten im Klassenzimmer wäre, würde Mr. Albertson ihr todsicher einen Strafpunkt verpassen, damit hatte er ihr schon ewig gedroht. Ein Strafpunkt mehr, und sie müsste sich auch noch von ihrem letzten bisschen Freiheit verabschieden.

Obwohl sie bereits seit fast einem Jahr auf die Springfield Military Reform School ging, fiel Ada das frühe Aufstehen nach wie vor schwer. Solange sie bei ihrem Vater gelebt hatte, waren sie nur selten vor Mittag auf gewesen. Aus demselben Grund fiel es Ada außerdem schwer, vor drei Uhr nachts ins Bett zu gehen. Ihr war zwar bewusst, dass das eine Problem mit dem anderen zusammenhing, und trotzdem wäre es ihr einfach unsinnig vorgekommen, so viele wundervolle Nachtstunden mit Schlaf zu vergeuden. Ihr Vater wäre da ganz ihrer Meinung gewesen.

Doch der saß inzwischen in einem Hochsicherheitsgefängnis und war deshalb keine große Hilfe. Mit einem Anflug von Neid überlegte Ada, ob er dort wenigstens ausschlafen durfte.

Hastig schlüpfte sie in ihre Schuluniform: weiße Hemdbluse, blau gestreifte Krawatte, hellbrauner Rock, blaue Kniestrümpfe, blauer Blazer. Sie bürstete ihre langen blonden Haare, band sie zu einem Pferdeschwanz und schnappte sich ihren Rucksack. Dann spähte sie vorsichtig in den Flur.

Mitten auf dem Gang stand die Aufsicht, Ms. Grand. Die Arme verschränkt, starrte sie finster unter ihren buschigen grauen Brauen hervor. Es war sowieso schon eine Herausforderung, es jetzt noch pünktlich ins Klassenzimmer zu schaffen, und wenn Ada versuchte, sich an Ms. Grand vorbeizudrücken, würde sie garantiert mit langen Belehrungen aufgehalten werden und käme erst recht zu spät. Sie musste wohl oder übel die andere Route nehmen. Ausgerechnet an diesem Morgen, wo es so kalt war …

Ada wich geräuschlos zurück. In ihrem Zimmer nahm sie ein kleines, selbst gebasteltes Gerät aus der Tasche. Es war etwas größer als eine Münze und bestand aus zwei alten, aus dem Müll gefischten Plastikplättchen und einer schmalen, dazwischen eingeklemmten Platine. Ein einfacher Funksender, den ihr Kumpel Jace für sie gebaut hatte. Presste man die beiden Plättchen zusammen, wurde auf der Platine ein kurzer Kontakt hergestellt und dadurch ein Signal an Jace’ Funkempfänger gesendet. Durch schnelles Drücken schickte Ada ihm eine Nachricht in Morsezeichen:

CQD SOS PLN F II SOS PLN F

Übersetzt bedeutete das: »An alle, es herrscht Gefahr. Ein Notfall ist eingetreten. Plan F durchführen. Ich wiederhole, ein Notfall ist eingetreten. Plan F durchführen.«

Leider war Ada nur in der Lage, Signale zu senden, aber nicht zu empfangen. Deshalb konnte sie nur hoffen, dass Jace ihre Botschaft erhalten hatte. Sie zog die steifen Lederschuhe aus, die sie in der Schule tragen musste, und stopfte sie in ihren Rucksack. Danach öffnete sie das Fenster, hakte das Fliegengitter aus und kletterte hinaus ins Freie.

Adas Zimmer lag im neunten Stock. Als sie in ihren blauen Strümpfen auf den schmalen Steinvorsprung stieg, konnte sie den Blick weit über das Schulgelände schweifen lassen. Auf dieser Seite des Gebäudes lag eine große Grünfläche, auf der sowohl Fußball als auch American Football gespielt wurden. Kühler, böiger Frühlingswind schlug ihr entgegen, ließ ihren Rock flattern und zupfte an ihrem Pferdeschwanz.

Wo war noch mal das Klassenzimmer? »Vier rüber, drei runter«, murmelte Ada vor sich hin, um sich zunächst ein bisschen zu entspannen. Es war das erste Mal, dass sie an dieser Fassade kletterte.

In der Waagerechten kam sie ohne große Probleme voran, denn auf diesem Stockwerk waren die Schülerzimmer sehr schmal. Ein langer Ausfallschritt, ein kurzer Hüpfer, und schon klebte Ada am benachbarten Fenster. So gelangte sie in wenigen Sekunden zu Fenster Nummer vier. Ab diesem Punkt wurde es knifflig. Sie musste kontrolliert drei Stockwerke absteigen – sonst würde sie vorbei an allen acht in die Tiefe rauschen.

Den Bauch an die Scheibe gedrückt, stellte Ada sich so breitbeinig wie möglich auf den Sims. Sie ging in die Knie, packte den Vorsprung unter ihren Füßen mit beiden Händen und ließ sich dann daran herab, bis ihre Arme durchgestreckt waren und ihre Beine vor dem Fenster eine Etage tiefer baumelten. In dieser Position stieß sie die Füße nach links und rechts und presste sie innen in die Fensternische. ›Stemmen‹ nannte man diese Technik beim Klettern. Sie ließ den oberen Vorsprung los. Jetzt hatte sie die Hände frei, ihr volles Gewicht ruhte auf ihren gestreckten Beinen. Drahtig und durchtrainiert, wie sie war, konnte Ada sich durch ein kurzes Anspannen ihrer Muskeln ausbalancieren. So weit, so gut.

Normalerweise hatte Ada bei solchen Unternehmungen allerdings vernünftige Kletterschuhe an den Füßen. Als auf einmal der dünne Stoff eines Strumpfs riss, wurde sie daher kalt erwischt. Ihr Fuß rutschte ein paar Zentimeter ab.

Ada drehte sich der Magen um, sie japste nach Luft. Das sollte sie lieber bleiben lassen. Sie musste sich dringend beruhigen. Und wenn ihre Beinmuskulatur noch so stark brannte, überlastet davon, ihr Gewicht in dieser unnatürlichen Position zu halten – beim Klettern durfte man nie aus Verzweiflung heraus handeln. Also biss Ada die Zähne zusammen, schloss die Augen und wartete ab, bis sie ihre Atmung wieder im Griff hatte. Erst dann krallte sie die Finger in den Fensterrahmen und ließ sich langsam auf den darunterliegenden Vorsprung hinabgleiten.

Dort gönnte sie ihren Beinen ein paar Sekunden Erholung, bevor sie die ganze Prozedur noch zweimal wiederholen musste. Am Ende waren ihre Strümpfe zerfetzt, und ihre Arme und Beine zitterten vor Erschöpfung, doch sie gelangte heil zum Fenster des richtigen Klassenzimmers.

Der Moment der Wahrheit war gekommen. Hatte Jace ihre Nachricht erhalten und das Fenster entriegelt? Darauf setzte Ada all ihre Hoffnung, schließlich hatte sie keinen Plan B – was für ihren Vater bestimmt eine herbe Enttäuschung gewesen wäre.

Sie bückte sich, fasste die Unterkante des Schiebefensters und zog. Geschmeidig glitt es auf. Ada erlaubte sich einen leisen Seufzer der Erleichterung und schlüpfte dann mit dem Gongschlag ins Klassenzimmer.

Vorne saß Mr. Albertson hinter seinem Pult und korrigierte hochkonzentriert Aufgaben, die breite Stirn in Falten gelegt. Cody Francesco sah ihm dabei zu, ein zufriedenes Lächeln auf ihrem perfekt gebräunten Gesicht. Als der Gong verhallte, drehte sie sich um und warf einen siegessicheren Blick auf Adas Platz.

Allein dafür hatte sich der ganze Aufwand gelohnt. Denn als Cody sah, wie Ada sich schnell auf den Stuhl neben Jace schob und die Lederschuhe über ihre ruinierten Strümpfe zog, zerschmolz ihr Grinsen zu einer Grimasse der Fassungslosigkeit.

Ada schenkte Cody ein freundliches Lächeln, bevor sie sich an Jace wandte.

»Ich bin dir was schuldig.«

Jace Winslow hatte dunkelbraune Haut und einen leichten Flaum auf der Oberlippe, der noch lange keinen richtigen Bart hergab. Sein kräftiges Haar war an den Schläfen so kurz rasiert, dass man die Haut durchschimmern sah, während es darüber in wilden Locken abstand, wie es wollte. Er grinste sie an.

»Du bist eindeutig verrückt, Samus.«

Diesen Spitznamen hatte Jace ihr schon am Tag ihrer ersten Begegnung verpasst, weil Ada angeblich verblüffende Ähnlichkeit mit Samus Aran hatte, der galaktischen Kopfgeldjägerin aus den Metroid-Videospielen oder auch aus Super Smash Bros. Von diesem Augenblick an hatte Ada gewusst, dass sie sich bestens verstehen würden.

»Warum sollte ich verrückt sein?«, fragte sie und rückte dabei ihre Schulkrawatte zurecht.

»Plan Fenster? Ich hätte nicht gedacht, dass du den wirklich mal durchziehen würdest.«

»Ich kann mir keinen Strafpunkt mehr leisten. Und ich lasse mich sicher nicht in die C-Klasse verfrachten. Da hat man immer einen Aufpasser an der Backe, und ich brauche ab und zu etwas Zeit für mich. Ein Glück, dass du meine Nachricht bekommen hast.«

»Ohne Handys haben wir ja nichts Besseres. Übrigens, ich bastele doch schon länger an diesen Funkgeräten. Die sollten bald fer…«

»Also dann …« Mr. Albertson blickte von seinen Papieren auf. »Es hat bereits gegongt, deshalb wollen wir allmählich zur Ruhe kommen und …« Er runzelte die Stirn. Nachdenklich blickte er zu Ada hinüber. »Miss Genet, wann sind Sie denn zu uns gestoßen?«

Ada setzte eine Unschuldsmiene auf. »Ich bin schon die ganze Zeit hier, Mr. Albertson.«

»Hmmm …« Sein Blick wanderte zum Fenster. Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. »Und wieso steht das Fenster offen?«

Sie hatte vergessen, das Fenster zu schließen! Da war sie erst seit einem Jahr an dieser Schule und wurde offensichtlich schon nachlässig. »Oh, das habe ich gerade erst aufgemacht, Mr. Albertson. Es geht doch nichts über ein bisschen frische Morgenluft.«

»Hmmm …«, machte Mr. Albertson noch einmal, sichtlich skeptisch – wahrscheinlich weil Ada normalerweise kein Geheimnis daraus machte, was für ein riesiger Morgenmuffel sie war. Die Situation war also mehr als verdächtig, aber Beweise hatte Mr. Albertson keine, deswegen konnte er ihr auch nichts vorwerfen. Resigniert seufzte er. »Na schön. Wie dem auch sei. Fangen wir endlich …«

»Bitte entschuldigen Sie die Störung.«

Eine Frau Anfang vierzig steckte den Kopf zur Tür herein. Kurzes schwarzes Haar, eine Brille mit Silberrahmen. Ada stockte der Atem. Das war ihre Fallbetreuerin Ms. North. Und die unterbrach nie den Unterricht, weil es gute Nachrichten gab. War sie auch für andere Schüler in dieser Klasse zuständig? Ada hoffte es sehr …

Mr. Albertson starrte die Fallbetreuerin unfreundlich an. »Ja, Ms. North? Was gibt es?«

An der Springfield Military Reform School waren Lehrer und Fallbetreuer grundsätzlich nicht unbedingt beste Freunde. Was wahrscheinlich daran lag, dass die Lehrer ihren Schützlingen – zumindest theoretisch – unterstützend zur Seite stehen sollten, während die Fallbetreuer dafür zuständig waren, ihnen das Leben immer noch schwerer zu machen. Durch dieses Hin und Her aus Belehrung und Bestrafung sollten die Schüler anscheinend irgendwie zurück auf den rechten Weg finden und zu aufrechten Mitgliedern der Gesellschaft werden. Ada hatte daran so ihre Zweifel.

Ms. North ließ den Blick ihrer kalten blauen Augen von Mr. Albertson zu Ada wandern. Sie lächelte. Für Ada war dieses Lächeln ein eindeutiges Signal, dass es Ärger gab.

»Ich fürchte, ich muss kurz mit Miss Genet sprechen«, sagte Ms. North in ihrem kontrollierten, kristallklaren Tonfall. »Unter vier Augen. Jetzt.«

Lass sie nie deinen Angstschweiß riechen

Ada lief hinter Ms. North den Flur zur Beratungsstelle entlang und wunderte sich. Wie konnte es sein, dass sie beim Fassadenklettern erwischt worden war? Die anderen aus ihrer Klasse hatten doch überhaupt keine Zeit gehabt, sie anzuschwärzen. Aber wie war es dann rausgekommen? Hatte zufällig irgendwer zur falschen Zeit aus dem Fenster geschaut? Oder war sie von einer Überwachungskamera außerhalb des Gebäudes erfasst worden?

Doch da Ms. North bisher kein Wort darüber verloren hatte, würde Ada sich fürs Erste einfach dumm stellen. Wie sagte ihr Vater immer? Schenk ihnen nichts, selbst wenn du glaubst, sie hätten dich im Sack.

Die Springfield Military Reform School war in Wirklichkeit eine Art Niedrigsicherheitsgefängnis für Teenager, bloß getarnt als Schule. Aber was die »Beratungsstelle« anging, hatte man sich die Tarnung dann gleich gespart. Sobald Ada und Ms. North durch eine große Tür in den entsprechenden Gebäudetrakt wechselten, waren an den Wänden keine farbenfrohen Poster mit Motivationssprüchen und Sicherheitshinweisen mehr zu sehen. Übrig blieben nur kahles Weiß und ein weitläufiger Raum, der mehr nach Großraumbüro als nach Lehrerzimmer aussah.

An langen Schreibtischreihen saßen Männer und Frauen in Geschäftskleidung. Das waren die untergeordneten Fallbetreuer, die sogenannten Junior-Mentoren, zuständig für jeweils zehn bis zwanzig Schüler mit »niedrigem Risiko« aus der B-Klasse. Schüler wie Cody Francesco und Jace Winslow. Die ranghöheren Fallbetreuer, die sogenannten Senior-Mentoren, hatten weniger Fälle zu betreuen, weil sie sich um die »Hochrisikoschüler« kümmerten, die fast alle in die C-Klasse gingen. Ada war eine der seltenen Ausnahmen: Sie besuchte die B-Klasse, hatte aber trotzdem eine Senior-Mentorin. Als würden die da oben schon fest damit rechnen, dass sie es früher oder später doch noch vermasseln und in der C-Klasse landen würde. Gut möglich, dass es heute so weit war.

Ada folgte Ms. North in ihr Büro am anderen Ende des Raumes. Alle Senior-Mentoren verfügten über ein eigenes Büro, und es hatte bestimmt nichts Gutes zu bedeuten, wenn man dort hineingeschleppt wurde und die Tür zuging.

Ada setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und beobachtete, wie Ms. North die Tür schloss.

Ohne Eile schritt Ms. North durch das Zimmer und nahm ebenfalls Platz, legte die Fingerspitzen aneinander und blickte Ada an. Das Deckenlicht spiegelte sich grell in ihren Brillengläsern, ihre Augen waren kaum zu erkennen.

Diese kleine Aufführung sollte Ada einschüchtern, das war ihr klar. Und okay, es funktionierte sogar einigermaßen. Doch das würde Ada sich nicht anmerken lassen. Sie erwiderte Ms. Norths Starren ausdruckslos, fast ein bisschen gelangweilt.

»Miss Genet«, sagte Ms. North, »wissen Sie, wie lange ich nun schon an der Springfield Military Reform School tätig bin?«

Egal, wie Adas Schätzung ausfiel, ob zu niedrig oder zu hoch, Ms. North könnte es immer als Beleidigung auffassen. »Nein, Ma’am«, antwortete sie deshalb einfach.

»Zehn Jahre als Junior-Mentorin, acht als Senior-Mentorin, also insgesamt seit 18 Jahren. In diesen 18 Jahren hat sich ein Grundsatz stets bewährt. In Fällen, in denen ein verurteilter Straftäter seinen Nachwuchs darin geschult hat, die … wie soll ich sagen … Familientradition fortzuführen, empfiehlt die Beratungsstelle der Springfield Military Reform School ausdrücklich, jeden Kontakt zwischen dem betreffenden Kind und dem straffälligen Elternteil zu unterbinden, bis sich das Kind nach Einschätzung seines Mentors in dem Maß gebessert hat, dass es nicht mehr anfällig ist für den schlechten Einfluss des besagten Elternteils.«

»Und deswegen darf ich meinen Vater nicht im Gefängnis besuchen«, sagte Ada. »Obwohl ich mit dem Auto in einer Stunde da wäre.«

Ms. North nickte. »Schön, dass Sie sich noch daran erinnern. Dann wird Ihnen klar sein, dass Sie nur aufgrund außergewöhnlichster Umstände in zehn Minuten abgeholt und zu Ihrem Vater gebracht werden.«

»I… im Ernst?«

»Im Ernst.« Allzu gut gestimmt wirkte Ms. North nie, doch jetzt schien ihre Laune einen neuen Tiefpunkt erreicht zu haben. Ob sie sich darüber ärgerte, nun blöd dazustehen, nachdem sie Ada das ganze Jahr lang prophezeit hatte, dass sie ihren Vater so schnell nicht wiedersehen würde? Oder steckte noch etwas anderes dahinter? Erwartet hatte Ada eine Strafe fürs Fassadenklettern, bekommen hatte sie ein Angebot, endlich ihren Vater besuchen zu dürfen. Es war viel zu schön, um wahr zu sein. Es gab sicher irgendeinen Haken.

»Wieso jetzt?«, fragte sie.

Ms. North nickte, als hätte sie mit dieser Frage gerechnet. »Scharfsinnig wie eh und je, Miss Genet. Dass wir in diesem Fall von unseren Prinzipien abweichen, hat nicht etwa mit sentimentalen Anwandlungen aufseiten der US-Behörden zu tun. Wir brauchen Sie.«

»Ich soll Ihnen helfen?« Nur weil sie den Besuch bei ihrem Vater nicht aufs Spiel setzen wollte, verzichtete Ada darauf, ihrer Senior-Mentorin ins Gesicht zu lachen.

»Aus einer streng geheimen Einrichtung der Vereinten Nationen wurde gestern etwas … Gefährliches entwendet. Und unser bisher einziger Hinweis auf den Verbleib des Diebesguts steht in direktem Zusammenhang mit Ihrem Vater.«

»Aber mein Vater sitzt seit einem Jahr im Hochsicherheitsknast.«

»Das stimmt«, sagte Ms. North. »Wir gehen nicht davon aus, dass er die Tat verübt hat. Unserer Vermutung nach kennt er jedoch den Täter. Und er könnte eine Ahnung haben, was dieser mit dem … entwendeten Objekt vorhat.«

Das Gespräch entwickelte sich in eine ungute Richtung. Vorerst hielt Ada den Mund.

»Selbstverständlich haben wir Ihren Vater schon vernommen«, fuhr Ms. North fort. »Doch er möchte nur mit Ihnen sprechen.«

Ada bemühte sich, ruhig zu antworten, ihre Wut außen vor zu lassen. Es gelang ihr nicht. »Sie erwarten von mir, dass ich meinen eigenen Vater verhöre

»Falls er an den Ermittlungen mitwirkt, sollen Sie ein monatliches Besuchsrecht bei ihm erhalten. Das haben wir Ihrem Vater zugesichert – am Anreiz sollte es also nicht scheitern.« Ms. North schob ihre Brille nach oben und schnitt eine Grimasse. »Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich persönlich habe mich gegen dieses Zugeständnis ausgesprochen. Offen gesagt, fehlt es bei Ihnen aus meiner Sicht an vielem, aber nicht an Kontakt zu Ihrem Vater. Dass ich dennoch von meinen Vorgesetzten überstimmt wurde, sollte Ihnen die ganze Tragweite der Angelegenheit verdeutlichen.«

Monatliche Besuche bei ihrem Vater wären zwar schön, doch dass sie im Gegenzug für die Behörden Informationen aus ihm herauskitzeln sollte – das ging Ada gegen den Strich. Wäre das nicht eine Art Verrat?

»Und wenn ich sage, dass ich nicht will?«, fragte sie.

Ms. North antwortete mit einem eisigen Lächeln. »Tja, dann müsste ich Mr. Albertson leider von Ihrer morgendlichen Kletterpartie an der Schulfassade berichten, mit der Sie offenbar ein weiteres Zuspätkommen abwenden wollten. Da dürfte ihm nichts anderes übrig bleiben, als Ihnen den gefürchteten letzten Strafpunkt zu geben.«

Zornig starrte Ada sie an. Ms. North hatte von Anfang an gewusst, wie sie ins Klassenzimmer gelangt war, und es nur für den richtigen Augenblick in der Hinterhand behalten.

Adas offene Feindseligkeit schien Ms. North nicht zu kümmern. »Also sind wir uns einig?«

Wenn die Behörden Adas Vater einen Deal über Besuchsrechte angeboten hatten, waren sie offensichtlich auf ihn angewiesen. Damit waren sie jetzt auch auf Ada angewiesen. Und ihr Vater sagte immer: Wenn dich jemand braucht, sieh zu, dass die Gegenleistung stimmt.

»Wissen Sie was?«, meinte Ada wie nebenbei. »Laut wissenschaftlichen Studien wirken positive Verstärkungen viel motivierender auf Teenager als Strafandrohungen.«

Ms. Norths Augen verengten sich. »Was schwebt Ihnen vor?«

»Wenn ich etwas Nützliches herausfinde, vergessen Sie nicht nur meinen kleinen Ausflug von heute Morgen, sondern streichen außerdem einen meiner bisherigen Strafpunkte aus der Akte.«

»Miss Genet.« Ms. North lehnte sich vor. »Sollten Sie uns verwertbare Erkenntnisse liefern, sprich irgendwelche Informationen, die tatsächlich zu gebrauchen sind, werde ich dafür sorgen, dass Sie wieder eine blütenweiße Weste haben. Ja, ich würde sogar in Erwägung ziehen, Ihnen den Videospielclub zu genehmigen, den Jace und Sie seit Beginn des Schuljahres wieder und wieder beantragt haben. Genügt das als Ansporn?«

Wer zuhören kann, erfährt mehr als der, der spricht

Zehn Minuten später saßen Ada und Ms. North auf dem Rücksitz eines schwarzen SUV mit getönten Scheiben. Der Fahrerbereich war durch eine Metalltrennwand abgeteilt. Auf dem Springfield-Schulgelände gab es weder Zellentüren noch vergitterte Fenster, daher musste Ada beim Anblick dieser Barriere schlucken. So »frei« war sie also in Wirklichkeit.

Ms. North hatte anscheinend mitbekommen, wie Ada zur Seitentür hinüberschielte. »Falls Sie sich fragen, ob sie sich von innen öffnen lässt – nein.«

»Das habe ich mich nicht gefragt.« Ada wollte weg von hier, aber noch dringender wollte sie ihren Vater sehen.

Sie starrte aus dem Fenster und sah Farmen und kümmerliche Baumgrüppchen, mehr Landschaft hatte dieser Teil von Virginia nicht zu bieten. Wie sie wusste, würde man in nordöstlicher Richtung nach Washington, D.C., gelangen, und dahinter lag Jace’ Heimatstadt Baltimore in Maryland. Die nächstgelegene Stadt im Süden war Richmond, Virginia, dann kam Raleigh, North Carolina. Im Westen erstreckten sich die Ausläufer des Appalachen-Gebirges, im Osten die Chesapeake Bay und schließlich der Atlantische Ozean. Wie immer gab es Ada ein gutes Gefühl, sich im Geist eine Landkarte auszumalen. Früher hatte sie sich häufig gefühlt wie ein Mensch ohne Wurzeln, manchmal sogar, als hätte sie keine Verbindung zur realen Welt. Wahrscheinlich weil sie und ihr Vater ständig auf Reisen gewesen waren. Landkarten verankerten sie im Hier und Jetzt. Sie riefen ihr in Erinnerung, dass sie selbst echt war und kein Geist oder etwas Ähnliches …

»Da wären wir. Miss Genet?«

Aus ihren Grübeleien gerissen, stellte Ada fest, dass der Wagen auf einen gigantischen Betonbau zurollte, der hinter einer nicht minder gigantischen Steinmauer lag. An deren Oberkante war scharfer Stacheldraht gespannt, in regelmäßigen Abständen ragten Wachtürme empor, und auf diesen waren mit Schnellfeuergewehren bewaffnete Uniformträger postiert. Klar, es war ein einschüchternder Anblick, und doch war Ada überrascht, wie … wie langweilig das Ganze wirkte. Kein Vergleich zu den imposanten Haftanstalten, in denen kriminelle Superhirne in Kinofilmen einsaßen. Und zu dieser Gruppe zählte ihr Vater eindeutig.

Der schwarze SUV hielt neben einem Wachposten vor einem massiven Stahltor. Der Fahrer, ein Schwarzer Mann mit glänzender Glatze, ließ das Seitenfenster herunter und zeigte seine Ausweiskarte. Nickend betätigte die Wache einen Knopf, und das Tor schwang gemächlich auf. Ohne Hintergedanken, eigentlich nur aus Gewohnheit, überprüfte Ada es mit dem Blick sorgfältig auf Schwachstellen.

Zwischen der Mauer und dem Hauptgebäude standen einige schwarze, dicht an dicht geparkte SUVs, allem Anschein nach alle dasselbe Modell wie der, in dem sie gerade unterwegs waren. Davon abgesehen war der Hof leer. Der Fahrer steuerte neben die anderen Wagen und stellte den Motor ab.

Ada und Ms. North mussten warten, bis der Fahrer ihnen die Tür öffnete. Dann begaben sie sich zu dritt zu einem unauffälligen Eingang an der Seite des Gebäudes. Der Fahrer hielt seine Ausweiskarte vor einen Sensor, der daraufhin grün aufleuchtete. Mit einem hörbaren Klicken entriegelte sich das Schloss. Ada war verblüfft. Dass eine Hochsicherheitseinrichtung auf derart windige Technik setzte! Mit einem Smartphone und ein paar Bauteilen, die man überall für zehn Dollar bekam, hätte sie problemlos eine Schlüsselkarte für ein solches Lesegerät faken können.

Der Fahrer stieß die Tür auf, und hinter Ms. North betrat Ada einen leeren Flur. Im Licht der antiquierten Neonröhren sahen sie alle aus, als wären sie seit mindestens einer Stunde tot. Ada fragte sich, wie alt diese Anlage wohl war. Und wie man ihren Vater mit solchen Mitteln davon abhalten wollte, einfach abzuhauen.

Anstatt ihnen zu folgen, wartete der Fahrer an der Tür. Wie er dort stand, die Arme vor der Brust verschränkt, zeichnete sich unter seiner Anzugjacke ein eindeutiger Umriss ab: Er war bewaffnet. Außerdem fiel Ada auf, dass der kleine Finger seiner linken Hand fehlte. Bei dieser Beobachtung regte sich irgendetwas in ihrem Gedächtnis, doch sie bekam die Erinnerung nicht zu fassen.

Vor einer Tür ungefähr in der Mitte des Flurs blieb Ms. North stehen. Sie klopfte an.

Für einen Augenblick herrschte Stille, dann meldete sich eine tiefe Männerstimme. »Herein.«

Ms. North öffnete die Tür, und Ada folgte ihr in einen kleinen, aber überfüllten Raum. Vier Männer und eine Frau, alle seriös gekleidet, hatten sich um ein Tischchen mit einem Laptop darauf versammelt.

»Ah, Agent North«, sagte ein älterer Amerikaner mit grau meliertem Bürstenschnitt.

Ada sah Ms. North an. Sie war Agentin?

Ms. North erwiderte ihren Blick, eine dünne schwarze Augenbraue nach oben gezogen, wie um zu sagen: Ups. Dann wandte sie sich an den Mann.

»Genets Tochter Ada. Wie bestellt, Sir. Aber wenn ich noch einmal betonen darf …«

»Ja, ja, Ihrer fachlichen Einschätzung nach machen wir einen Fehler. Ich weiß.« Der Mann winkte ab und wandte sich wieder dem Laptop zu.

Das war dann wohl der Boss von Ms. North. Die war Ada zwar nie sympathisch gewesen, ihren ruppigen Chef konnte sie aber noch weniger leiden. Doch als sie eine leichte Bewegung auf dem Monitor bemerkte, waren alle anderen Gedanken verflogen.

Auf dem Bildschirm lief ein Livestream aus der Gefängniszelle ihres Vaters.

»Papa …« Das Wort kam Ada automatisch über die Lippen, sie konnte nichts dagegen tun, und ihr Magen zog sich zusammen. Dort war der Mensch, den sie mehr liebte als alles andere auf der Welt, gefangen in einer winzigen Kammer.

Er lag lang ausgestreckt auf dem schmalen Bett, eine schlanke, hochgewachsene Gestalt, und las in einem abgegriffenen Taschenbuch – einer seiner Lieblingsromane, Neuromancer von William Gibson. Für Ada war es ein seltsames Gefühl, ihren Vater in diesem orangefarbenen Sträflingsoverall zu sehen, schließlich hatte er nie knallige Kleidung getragen. Schwarz, Grau, Marineblau und Jagdgrün, hin und wieder Braun – das waren die Farben des Monsieur Remy Genet, seines Zeichens Hacker und Dieb, berühmt-berüchtigt in aller Herren Länder. Noch dazu hatte er abgenommen. Denkbar, dass es nur an der unbarmherzigen Beleuchtung der kleinen, kahlen Zelle lag, doch er wirkte beinahe ausgemergelt, seine Wangen waren eingefallen und unter den Augen hatte er dunkle Ringe. Nur die Augen selbst waren zum Glück noch wie früher, strahlend grün mit einem belustigten Glitzern darin und einer großen Portion Verschmitztheit im Blick.

Auf einmal schnürte sich Adas Kehle zusammen, und sie musste blinzeln, um die Tränen zu unterdrücken.

»Kchh. Ein durch und durch absurder Plan«, sagte ein großer, breitschultriger Mann auf Russisch zu seinem kleinen, kahlköpfigen Kollegen. »Was können wir von diesem Kind schon erwarten außer hysterischen Anfällen?«

Mit einem Ruck drehte Ada sich zu ihm um, ihr Gesicht vor Wut feuerrot angelaufen. »Die junge Frau wird Ihnen verwertbare Erkenntnisse liefern«, erwiderte sie in makellosem Russisch. »Also gehen Sie doch in die Sauna!«

In Russland war es eine deutliche Ansage, jemanden zum Gang in die Sauna aufzufordern. So schockiert, wie der Mann dreinblickte, wusste er das ganz genau. Der Glatzkopf neben ihm musste kichern.

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