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Was in den Träumen steht

Als Buch hier erhältlich:

Seit zehn Jahren trifft Buchhändlerin Bea jede Nacht ihren Traummann - allerdings nur im Schlaf. Immer sitzt er auf derselben Parkbank in London und wartet auf sie. Bevor sie sein Gesicht sehen kann, wacht sie jedes Mal auf. Doch sie ist sich ganz sicher, dass sie diesem perfekten Mann einmal im wahren Leben begegnen wird. Und tatsächlich trifft sie eines Tages auf Dan, der die Verkörperung ihres Traummannes zu sein scheint. Obwohl er keine Bücher mag und mit ihrem Humor nichts anfangen kann, muss er einfach der Richtige sein. Denn Träume lügen nicht, oder?


Einfach wahnsinnig amüsant … Ich habe mich sofort mit all den Charakteren verbunden gefühlt.«
Leserstimme auf Goodreads
»Zum Totlachen. Charmant und bezaubernd … Weiter so, Keris Stainton.«
Leserstimme auf Goodreads


  • Erscheinungstag: 01.02.2019
  • Seitenanzahl: 288
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956498473

Leseprobe

Für meine Schwester Leanne,
die, während ich dieses Buch schrieb,
dem Krebs einen Tritt in den Hintern verpasste.

Prolog

Ich bin im Park. Es ist mitten am Tag – die Sonne scheint warm und golden –, doch im Gras schimmern Regentropfen, und der schmiedeeiserne Zaun glänzt feucht. Ein Taxi fährt vorbei. Ich sehe ihn aus der Ferne und weiß sofort, dass er zu mir gehört. Oder, falls er noch nicht zu mir gehört, wird er bald zu mir gehören. Er kommt auf dem Pfad auf mich zu, aber er schaut nicht in meine Richtung. Er blickt zu den Geschäften auf der gegenüberliegenden Seite des Parks. Ich atme den Duft des frisch gemähten Grases ein. Aus dem griechischen Café duftet es nach Kaffee und aus dem Pizzaladen mit dem blinkenden Neonschild nach Knoblauch und Tomate.

Ich bewege mich nicht. Ich beobachte nur. Starre. Und er hat immer noch nicht in meine Richtung geguckt, doch ich weiß, dass es ihn glücklich machen wird, wenn er mich entdeckt. Ich spüre schon ein freudiges Kribbeln in mir. Aber nicht einfach nur Freude, sondern Wärme, Vertrauen und Liebe.

Er wendet den Blick von den Geschäften ab, setzt sich auf eine Bank – streckt die Beine lang aus – und legt den Kopf in den Nacken, das Gesicht der Sonne zugewandt.

Und ich gehe auf ihn zu.

1. Kapitel

»Haben Sie ein Buch über Körper?«, fragt der Mann, ohne mich richtig anzuschauen.

Ich stehe hinter dem Verkaufstisch und blicke ihn stirnrunzelnd an, während ich versuche, mich daran zu erinnern, wo ich so ein Buch gesehen habe. »Ich glaube, es gibt eins über Anatomie, in dem …«

»Nein.« Ein langer Pony verbirgt sein Gesicht. Er senkt die Stimme, obwohl sonst niemand im Laden ist. »Nicht so was. Körper. Also … nackte Körper.«

»Oh.« Meine Wangen werden heiß, als ich begreife, was er meint. »Ja. Die befinden sich sogar genau hinter mir, hier.« Ich deute auf die hohen Regale hinten in einer Ecke, und er geht hin, ohne noch mal hochzusehen. Ich hoffe, er stößt unterwegs nicht mit einem Werbeaufsteller zusammen.

»Ich glaube, da gibt es ein Buch über Anatomie«, äfft Henry mich flüsternd nach.

»Sei still.« Ich blicke zu dem Kunden, der eines dieser riesigen, hochglänzenden Kunstbücher vom Regal genommen hat und es jetzt an einem Tisch durchblättert. Er sitzt zusammengekrümmt wie ein Fragezeichen.

»Nicht ganz so schlimm wie die Frau, die dich nach einem Klitoris-Buch gefragt hat«, stellt Henry fest. »Aber du bist auf einer Skala von zehn schon bei drei rot angelaufen.«

Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt. Ich sollte wirklich nicht mehr erröten, wenn jemand Klitoris sagt. Und das Lächerliche daran ist, dass Henry jedes Mal selbst errötet, wenn er die Klitoris-Story erzählt. Dennoch zieht er mich immer damit auf. (Und er ist sechsundzwanzig.)

»Du bist derjenige, der statt Einfach Christus gehört hat: Einfach Nuss«, sage ich und ahmte ihn nach: »Ist das von Nigella Lawson?«

Henry schnaubt. »Der Typ war ganz schön beleidigt.«

»Nicht so beleidigt wie der Schwangerschaftsperverse.« Das lag jedoch daran, dass Henry den aus dem Laden gejagt hat. Der Typ hatte seine Hose nicht mal ordentlich zugemacht.

Ein paar Minuten später läuft der mutmaßliche Perverse des Tages mit hängendem Kopf an uns vorbei aus dem Geschäft. Die Ladentürglocke bimmelt hinter ihm her, aber er scheint wenigstens vollständig angezogen zu sein.

»Ich gucke besser mal nach, ob das Buch, das er gefunden hat, noch da ist«, meint Henry.

»Ja. Ich mache uns einen Tee.«

Die Küche ist eigentlich überhaupt keine richtige Küche, sondern eine Art Küchenschrank im hinteren Bereich des Ladens. Deshalb spreche ich einfach weiter mit Henry, während ich den Kessel aufsetze.

»Ich habe letzte Nacht von dir geträumt«, erzähle ich ihm, während ich meine Tasse mit der Aufschrift: Mein Leben ist eine Romantic Comedy aus dem Regal hole. (Nur, dass bei mir die Romantik fehlt und ich alleine über meine Witze lache.)

»Hör auf, Bea«, erwidert Henry. »Ich werde rot.«

»Nein, nicht so«, erkläre ich ihm und hänge einen Teebeutel in die Tasse. »Wir waren in der U-Bahn, aber du hast sie gefahren, und ich habe mit dir geredet, und du hast gesagt, dass ich dich ablenke. Also habe ich dir vorgeschlagen, mich an deiner Stelle ans Steuer zu setzen, doch plötzlich saßen wir nicht mehr in der U-Bahn, sondern in einem Bus. Die Fenster waren total beschlagen. Ich konnte nicht sehen, wohin wir fahren.«

»Ich glaube, dass bedeutet, dass du das Gefühl hast, unsere Beziehung zu wenig kontrollieren zu können«, höre ich Henry sagen.

»Im Ernst?« Ich strecke den Kopf aus dem Küchenschrank. »Ich meine, das würde eigentlich Sinn ergeben, aber …«

Henry lacht. »Nein! Ich glaube, es bedeutet, dass du gestern Abend, als du Master of None geguckt hast, das letzte Stückchen des guten Käses aufgegessen hast.«

Das habe ich tatsächlich getan. Ich verdrehe die Augen. »Sehr hilfreich. Danke.«

»Ich wollte aber immer schon mal U-Bahn-Fahrer sein.«

»Ich weiß«, erwidere ich. »Deshalb sitzen wir in der U-Bahn auch ständig vorne.«

»Wir sollten das am Wochenende mal wieder machen. Das letzte Mal ist eine Ewigkeit her.«

Er stellt sich hinter den Verkaufstisch, damit ich ihn vom Küchenschrank aus sehen kann.

»Du hattest also nicht deinen üblichen Traum?«, fragt Henry. »Ich dachte, den hättest du jede Nacht.«

Er meint meinen wiederkehrenden Traum. Von dem Mann im Park. Alle wissen davon. Und sie ziehen mich deswegen auf.

»Nein, letzte Nacht nicht«, entgegne ich, obwohl ich von ihm geträumt habe. »Und ich träume auch nicht jede Nacht davon. Nur in den meisten Nächten.«

Sobald das Wasser im Kessel kocht, öffne ich den Kühlschrank und stelle fest, dass wir keine Milch mehr haben. Schon wieder. Dabei liegt da ein großer weißer Zettel, auf dem steht: Hast du den letzten Rest Milch genommen? Kauf neue! (Das habe ich geschrieben und den Zettel dorthin gelegt.) Doch niemand hält sich daran. Ich begreife das nicht. Wenn man die Milch aufbracht – und man weiß das, wenn man den Milchkarton ausgewaschen und ihn in die Recyclingkiste gestellt hat –, WARUM geht man dann nicht los und kauft neue? Ich könnte es verstehen, wenn der nächste Laden weit weg wäre (obwohl das immer noch sehr selbstsüchtig wäre), aber er ist praktisch nebenan. Der übernächste Eingang, um genau zu sein. Es dauert also im wahrsten Sinne des Wortes nur zwei Minuten, um hin- und wieder zurückzugehen.

»Verdammt«, murmele ich.

»Wir sollten einfach anfangen, ihn schwarz zu trinken«, meint Henry. »Diese faulen Schwachköpfe.«

Ich lasse den milchlosen Tee stehen und schnappe mir meinen Mantel vom Haken an der Tür.

»Ist es in Ordnung, wenn ich dich alleine lasse?«, frage ich. Die Buchhandlung ist leer, aber wir fragen uns das immer gegenseitig. Es ist zu unserem Standardscherz geworden.

»Ich glaube, ich kriege das vermutlich hin.« Henry setzt sich hinter die Kasse und schlägt eine Ausgabe des Observer auf, den Craig, der an den Wochenenden im Laden arbeitet, dagelassen hat.

Als ich vor einer Stunde hier ankam, regnete es, doch kaum, dass ich draußen auf der Straße bin, bemerke ich, dass das Wetter sich total geändert hat. Es ist ein bisschen kühl, der Himmel ist jedoch klar und blau, und die Sonne scheint. Die Straße glänzt nass, und ich trete vorsichtshalber ein paar Schritte zurück, da ein schwarzes Taxi vorbeirast – der Bürgersteig ist hier ziemlich eng, und ich bin schon einmal nass gespritzt worden.

Im Lebensmittelladen ist nicht viel los – ich habe die erste Stoßzeit verpasst, bin aber zu früh für den Mittagsbetrieb. Zeta steht hinter der Verkaufstheke. Sie starrt auf ihr Handy, ihre Daumen fliegen über die Tastatur, dann schaut sie mich an und lächelt. Ich gehe nach hinten, um Milch zu holen, bleibe kurz stehen und überlege, eine Avocado und vielleicht ein paar Tomaten zum Mittagessen zu kaufen. Allerdings habe ich eine Tupperdose mit Nudeln im Laden, deshalb sollte ich mir das lieber für morgen aufheben. Ich nehme einen Apfel für mich und eine Orange für Henry und bezahle bei Zeta.

Beim Verlassen des Geschäfts kommt Zetas Freund an mir vorbei, und ich drehe mich um und sehe, wie er Zeta hochhebt und sie herumwirbelt. Die beiden sind so süß zusammen, Henry dagegen sagt immer, von ihren öffentlichen Liebesbekundungen würde man einen Zuckerschock bekommen. Ich habe den Verdacht, dass er die beiden heimlich auch süß findet – ich bin davon überzeugt, dass irgendwo unter seiner Strickjacke ein romantisches Herz schlägt –, doch das würde er nie zugeben.

»Trennung«, flüstert mir Henry zu und deutet verstohlen auf ein Paar, das nach der Mittagspause den Laden betritt. »Definitiv.«

»Warum?« Ich betrachte die beiden. Der Mann ist viel größer als die Frau. Er trägt eine Lederjacke und eine Fahrradkuriertasche. Die Frau ein T-Shirt-Kleid über Leggings zu gelben Converse, solche habe ich auch. Langsam dreht sie den Postkartenständer, und er liest in einem der angesagten Taschenbücher, ich kann nicht genau erkennen, in welchem.

»Er verdrehte die Augen, als sie zu ihm meinte, dass sie sich ein paar Karten anschauen wolle.«

»Ach so? Vielleicht haben sie schon in zehn Läden nach Karten gesucht. Vielleicht hat er Karten total satt.«

»Aber die Augen zu verdrehen ist aggressiv. In einer Beziehung.«

Grinsend verdrehe ich die Augen. »Sie sehen süß aus.«

Wir spielen dieses Spiel immer, wenn Pärchen in den Laden kommen – und versuchen vorherzusagen, ob sie zusammenbleiben oder sich trennen. Wir haben mit dem Spiel angefangen, nachdem mal ein Pärchen hier war, das zuerst total verliebt aussah – sie hatte die Hand in der Gesäßtasche seiner Jeans, was ich hasse, aber immerhin –, doch dann hielt er später die Ausgabe eines dieser kunstvoll gemachten »Anatomie«-Bücher hoch und rief quer durch den Laden: »Ey, weißt du noch, als deine so aussahen?« Nachdem sie an die Kasse kam, um den Nicholas-Sparks-Roman zu bezahlen, sagte sie: »Tut mir leid wegen ihm. Er ist ein Arsch.«

»Was hältst du von der?«, fragt die Frau von heute und hält dem Mann eine Karte hin.

»Geht mir im wahrsten Sinne des Wortes am Arsch vorbei«, mault er, ohne von seinem Buch hochzuschauen.

»Oh«, mache ich. »Ich glaube, du hast recht.«

»Recht?«, fragt Henry. »Ich hätte irgendwie gerne, dass sie ihm sofort eine reinhaut.«

Ich lächele. Das ist das einzige Problem bei diesem Spiel. Wir finden nie heraus, wer von uns recht hat.

»Ich verstehe nicht, wie man mit jemandem zusammen sein kann, der so mit einem spricht«, sagt Henry, sobald das Paar das Geschäft verlassen hat.

Sie hat die Karte nicht gekauft, er allerdings das Buch.

»Vielleicht hatte er einen schlechten Tag, und er ist normalerweise total süß«, erkläre ich. »Das weiß man nie so genau.«

»Oder, wenn er sie in der Öffentlichkeit schon so behandelt, wie behandelt er sie dann erst, wenn sie alleine sind?«, kontert Henry.

»Vielleicht hätten wir ihr eine Notiz schreiben sollen. Zum Beispiel: Du musst nicht mit ihm zusammenbleiben, wenn er immer so gemein ist.«

»Wir sollten Karten drucken lassen mit Sachen wie: Verlass ihn«, schlug Henry vor. »Die könnten wir in die Bücher legen.«

»In alle Bücher?«, frage ich. »Mutig.«

»Wir könnten verschiedene Karten drucken lassen«, schlägt Henry vor, während er seine Orange schält. »Für alle Gelegenheiten. Du weißt schon, so wie: Probiere es mal mit einem Deo.«

Ich rümpfe reflexartig die Nase. Wir haben mehr als einen Kunden, der »sich negativ auf den Geruch unseres Ladens auswirkt«, wie ein geheimer Kundenbericht es einmal beschrieben hat. Im Moment riecht es dank Henry nach Zitrusfrucht und dem holzig duftenden Eau de Cologne, das er benutzt.

»Sie müssten nicht alle negativ sein«, fuhr Henry fort, der sich immer mehr für das Thema erwärmt. »Zum Beispiel: Nette Schuhe. Oder: Tolle Frisur! Oder: Ja, deine Kinder sind nervig, doch alle Kinder sind manchmal nervig, und du scheinst eine großartige Mama zu sein.«

»Spezifisch«, sage ich lachend. »Oder vielleicht eher etwas kryptischer? Wie: Vielleicht nicht. Oder: Denk noch mal drüber nach.«

»Bereue!«, meint Henry so laut, dass die ältere Frau, die das Selbsthilferegal durchstöbert, uns besorgt ansieht.

»Vielleicht: Du machst das super, Schätzchen«, erwidere ich. »Wer würde so was nicht gerne hören?«

Henry schaut mich einen Moment lang an. »Die Idee gefällt mir immer besser.«

Ich grinse ihn an. »Tatsächlich? Bin mir trotzdem nicht sicher, ob die Geschäftsführung damit einverstanden ist.«

»Nein«, sagt er. »Deppen.«

»Deppen«, pflichte ich ihm sanftmütig bei. Die Geschäftsführung ist eigentlich in Ordnung. Wir hören kaum was von ihr. Die einzige Kundin geht. Henry verschwindet in der Küche, um neues Wasser für einen Tee aufzusetzen.

2. Kapitel

Henry und ich gehen nach der Arbeit zusammen nach Hause, und als wir in die Wohnung kommen, verschwindet er wie immer direkt in sein Zimmer. Nach einem Tag im Laden will ich gern noch ein Bier oder ein Glas Wein trinken und mit einem unserer WG-Mitbewohner sprechen. Doch Henry braucht mindestens eine halbe Stunde, um sich von seinem Arbeitstag zu erholen. Anfangs fand ich das eigenartig, aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.

»Jemand hat schon wieder das Frühstücksgeschirr stehen lassen«, sagt Freya, die am Spülbecken steht und mir den Rücken zuwendet.

»Woher wusstest du, dass ich hier bin?«, frage ich sie, bleibe hinter ihr stehen und stütze mein Kinn auf ihre Schulter.

»Ich hatte keine Ahnung, dass du es bist. Ich wusste nur, dass jemand da ist. Und dass schon wieder jemand das Frühstücksgeschirr stehen lassen hat.«

Das ist der eigentliche Nachteil daran, dass wir alle eine gemeinsame Küche nutzen – die Leute räumen ihr Geschirr nicht weg, und manchmal stibitzen sie anderen das Essen. Ich verbringe zu Hause und bei der Arbeit bei Weitem zu viel Zeit damit, mich über die schlechten Manieren anderer Menschen aufzuregen. Wir kochen meistens abwechselnd zu Abend, und das funktioniert wirklich gut, aber das Geschirr ist ein ständiges Problem. Henry hat versucht, seinen Vater, unseren Vermieter, davon zu überzeugen, eine Geschirrspülmaschine anzuschaffen, doch da hat sich noch nichts getan.

Ich küsse Freya auf die Wange. »Lass es stehen. Ich mach das.«

»Jetzt bin ich fast fertig«, erwiderte sie. »Hol dir was zu trinken.«

Als ich hier einzog, waren Küche und Bad die einzigen Räume, die wir gemeinschaftlich nutzen sollten. Es gibt fünf weitere Zimmer – in dieser dreistöckigen Wohnung, die über einem Café mit Terrasse in einem viktorianischen Haus liegt – bei meinem Einzug waren alle Zimmer belegt. Freya und ich haben jeweils einen der hinteren Räume. Obwohl das Haus seinem Vater gehört, bewohnt Henry ein wirklich winziges Zimmer in der Nähe der Wohnungstür. Früher wohnten Adam und Celine in einem der beiden vorderen Zimmer und Henrys Cousin in dem anderen. Nachdem dieser weg war, haben wir uns ein paar Leute angesehen, aber keinen so richtig gemocht. Schließlich stellten wir fest, dass wir niemand Neues haben wollten. Also bot uns Henrys Vater an, dass wir alle ein bisschen mehr bezahlen und das obere Schlafzimmer in eine Lounge umwandeln dürfen. Das war das Beste, was wir je gemacht haben.

»Was kochst du?«, frage ich Freya, während ich mir eine Flasche Corona aus dem Kühlschrank hole.

»Corned Beef Bolognese.«

»Perfekt.« Ich rücke einen Stuhl an die Wand, damit ich nicht im Weg stehe. Ich setze mich hin und strecke die Arme über dem Kopf aus, wobei ich meinen Rücken dehne, und höre mein Rückgrat knacken. Obwohl im Laden nicht viel los ist, verbringe ich die meiste Zeit stehend, und es tut mir immer gut, mich hinzusetzen, wenn ich nach Hause komme. Das Bier hilft auch.

Die Haustür wird zugeschlagen. Celine stürmt in die Küche, wirft ihre Tasche auf den Tisch und schlüpft aus ihrer Jacke.

»Ist Adam da?«

Sie hängt ihre teure, karamellfarbene Wildleckerjacke über die Rücklehne eines Stuhls und streicht sich durch das lange dunkle Haar. Als ich Celine zum ersten Mal sah, glaubte ich nicht, dass ich sie mögen würde. Ich muss absolut zugeben, das lag daran, dass sie einfach wunderschön ist. Und klug – sie arbeitet als Anwältin, spezialisiert auf Urheberrecht. Sie wirkt total einschüchternd. Aber sie ist auch liebenswert und lustig und nett, und ich bin ein Schwachkopf. Sie wäre die perfekte Mitbewohnerin, wenn sie und Adam sich nicht andauernd streiten würden. Und dann dieses Rumgeknutsche. Das Rumgeknutsche ist eigentlich noch schlimmer als ihre Streitereien. Freya, Henry und ich haben bereits darüber diskutiert, sie darauf anzusprechen, sind aber unentschlossen.

Ich schüttele den Kopf. »Keine Ahnung. Bin gerade nach Hause gekommen.«

»Ich hab ihn nicht gesehen«, sagt Freya und geht vom Spülbecken zum Herd.

»Oh, er ist so ein Arsch.« Celine öffnet den Kühlschrank, nimmt sich ein Bier und bricht beinahe den an der Wand befestigten Öffner ab, weil sie es so heftig dagegenknallt.

»Schlechter Tag?«, erkundigt sich Freya und rührt den Inhalt der Pfanne mit einem Holzlöffel um.

»Schlechtes, mieses Leben«, antwortet Celine. Sie trinkt einen großen Schluck Bier. »Ich glaube, diesmal ist es vorbei.« Sie zieht sich die falschen Wimpern ab und wirft sie in ihre Tasche.

»Warum?«, frage ich, bin aber nicht besorgt. Sie hat so etwas schon mal gesagt. Viele Male.

Sie zuckt die Achseln. »Er ignoriert mich den ganzen Tag, obwohl wir darüber gesprochen haben, dass er das andauernd macht. Er weiß, dass ich das hasse. Es macht mir nichts aus, wenn er mir sagt, dass er keine Zeit zum Reden hat, aber das muss er mir sagen und mich nicht einfach nur ignorieren!«

»Was, wenn er, ähm, keine Zeit hat, es dir zu sagen?«, erwidert Freya.

Ich beiße mir auf die Zunge, damit ich nicht aus Versehen loslache.

»Hör zu, wenn er Zeit hat, mit seinem Pennerkumpel in der Mittagspause in diesen dämlichen Nudel-Schuppen zu gehen, hat er auch Zeit, mir eine Nachricht zu schreiben. Der Idiot.«

Sie öffnet den Kühlschrank und nimmt einen Kopfsalat, eine Packung Tomaten und eine rote Paprika heraus und legt alles auf den Esstisch. Dann fängt sie auf eine unglaublich aggressive Art an, Salat zu schnippeln. Das Messer schabt über das gläserne Schneidbrett.

»Möchtest du nicht lieber die Kartoffeln schälen?«, fragt Freya. »Ich bin mir nicht sicher, ob der Kopfsalat diese Misshandlung überlebt.«

Celine legt das Messer hin und beißt in ein Stück Paprika.

»Kann es denn so schwer sein?«, fragt sie und schaut dabei abwechselnd von mir zu Freya und wieder zurück. »Ich weiß nicht, ob es so schwer sein muss.«

»Die Paprika?«, fragt Freya.

»Ach komm«, sagt Celine. »Die Frage ist ernst gemeint.«

Freya und ich schauen uns an. Celine und Adam streiten sich die ganze Zeit, aber Celine hat uns noch nie nach unserer Meinung gefragt.

»Ich glaube, Beziehungen fallen einer Menge Leute schwer«, sage ich zögernd.

»Dir auch?«

Sie starrt mich an, und mir fällt auf, wie müde sie aussieht. Ihre Schminke ist unter den Augen grau verschmiert, und ihre Haut wirkt beinahe durchsichtig.

»Ich habe keinen Freund«, antworte ich. »Ich habe schon … länger keinen.«

»Ich weiß, aber ich meine in der Vergangenheit. War es schwer? Habt ihr euch gestritten?«

Ich schüttele den Kopf. »Ich, ähm, nein? Nicht wirklich. Doch nur, weil ich noch nie eine richtige Beziehung hatte. Ich habe noch nie mit jemandem zusammengelebt oder …« Ich trinke einen Schluck Bier, doch meine Brust fühlt sich eng an. Ich möchte eigentlich nicht darüber sprechen.

Celine runzelt die Stirn. »Was ist mit dir?«, wendet sie sich an Freya.

»Keine Ahnung«, sagt Freya. »Ich glaube, mit Mädchen ist es anders. Oder vielleicht stimmt das auch nicht. Ich weiß es nicht. Aber ich mag streiten und vögeln, weißt du. Mir gefällt eine leidenschaftliche Beziehung.«

Celine lächelt zum ersten Mal, seit sie nach Hause gekommen ist. »Stimmt. Wir knutschen gerne.«

»Manchmal ständig«, entgegnet Freya und hält Celine die Gabel hin. »Probier mal.«

Celine probiert etwas von dem Essen auf der Gabel. »Das ist richtig gut.«

»Nimm nicht dieselbe Gabel, um …«, fange ich an zu sagen, aber die Gabel wandert wieder ins Essen in der Pfanne, bevor ich den Satz beendet habe.

»Celine hat keine Viren, oder?«, fragt Freya. »Sie ist perfekt und makellos. Ich würde mich geehrt fühlen, wenn sie mir ins Essen spucken würde.«

»Iih«, sage ich. »Du bist die Schlimmste.«

»Ich gehe jetzt mein makelloses Selbst duschen«, kündigt Celine an und stellt ihre Bierflasche auf dem Tisch ab. »Falls Adam zurückkommt, teile ihm mit, ich habe ihn verlassen. Mal sehen, wie er reagiert.«

»Es gibt einen Neuen bei der Arbeit«, erzählt mir Freya, nachdem Celine weg ist. »Und er ist genau dein Typ.«

»Ach, nein danke.«

Freya dreht sich am Herd um und starrt mich aus zusammengekniffenen Augen an, bis ich sage: »Lieber Gott, was?«

»Er schreibt …«

»Arbeitet er bei euch? Also ist er eigentlich Lehrer.«

Sie zuckt mit den Schultern. »Man kann beides sein. Er hat schon was veröffentlicht.«

Gegen besseres Wissen interessiert mich das. »Was hat er denn veröffentlicht?«

»Einen Roman. Für Kinder. Etwas über Videospiele. Ich glaube, er hat Wiesel gesagt. Aber da hat gerade die Pausenglocke geläutet, deshalb könnte ich das vielleicht falsch verstanden haben. Er sagte, es sei bei Waterstones das Buch des Monats gewesen. Oder bei Smith. Jetzt schreibt er die Fortsetzung. Egal, er ist süß. Und er liest. Er hat beim Essen gelesen.«

»Einen Roman?«

Sie nickt. »Von David Nicholls. Aber nicht dieses eine, was auch verfilmt wurde.«

»Drei auf Reisen? Keine weiteren Fragen?«

»Weiß nicht. Ich habe mir nur den Namen gemerkt. Der schreibt hauptsächlich Liebesgeschichten. Stimmt’s?«

Ich nicke.

»Also!«

»Also was?«

»Er ist Single. Das habe ich gecheckt.«

»Du schlägst vor, ich soll mich mit einem Mann treffen, weil du ihn eine Liebesgeschichte hast lesen sehen?«

»Und er schreibt!«

»Ja, ich brauche mehr als das.«

»Stimmt«, erwidert Freya. »Und das ist genau dein Problem.«

»Was ist mein Problem?«

»Du bist zu wählerisch.« Sie wendet mir den Rücken zu, hebt Topfdeckel an und rührt Zeug um.

»Ich glaube nicht, dass ich wählerisch bin.« Ich halte kurz inne, um an meinem Bier zu nippen. Wir hatten diese Unterhaltung schon mal, inzwischen allerdings schon länger nicht mehr.

Freya schnaubt. »Oh bitte. Du wolltest nicht mit Neil ausgehen, weil er ›Fülm‹ statt Film gesagt hat.«

»Es war nicht ›Fülm‹, es war ›Kamün‹. Und das war auch nicht der Grund. Ich habe ihn mit seinen Brillenbügeln in der Nase popeln sehen.«

»Ach ja.« Sie legt Deckel auf Töpfe, bevor sie sich umdreht und mich anschaut. »Das macht er. Aber, weißt du, jeder hat schlechte Angewohnheiten, du musst sie ihnen nur abgewöhnen.«

Ich seufze.

»Ich weiß, was du denkst. Und du machst dir selbst etwas vor.«

»Was?« Ich knibbele am Etikett meiner Bierflasche.

»Ein Traummann ist nur deshalb perfekt, weil es ihn nicht gibt. Wenn es ihn gäbe und du ihm je begegnen würdest, würdest du erfahren, dass er dreckige Hosen trägt, sich an den Füßen herumfummelt und nicht weiß, wer Khloé und wer Kourtney ist …«

»Ich weiß nicht, wer Khloé und Kourtney sind.«

»Im Ernst? Khloé ist wirklich groß und …«

»Und es ist mir egal«, unterbreche ich sie.

Freya zieht eine Grimasse. »Du kennst Kim, stimmt’s? Das ist das Wichtigste. Hast du eigentlich gesehen …«

Sie fängt an, mir etwas über Kim Kardashians neues Baby zu erzählen – oder dass sie noch ein Baby bekommt, ich bin mir nicht sicher. Und ich gratuliere mir zu einem erfolgreichen Themenwechsel. Es ist normalerweise nicht ganz so einfach, Freya von einem Thema abzubringen. Vor allem, wenn es sich dabei um mein nicht vorhandenes Liebesleben handelt.

Nach dem Essen – wir müssen die Musik in der Küche aufdrehen, um das Geschrei von Adam und Celine zu übertönen, während wir Freyas Corned Beef Bolognese essen – gehe ich in mein Zimmer und lese einen der neuen Liebesromane, die in der heutigen Lieferung waren. Ich lese, bis mir die Augen zufallen und ich immer und immer wieder denselben Satz lesen muss. Ich lade mir noch schnell einen Roman von David Nicholls runter (ich habe Zwei an einem Tag gelesen, aber sonst noch nichts), und dann mache ich das Licht aus. Es ist nicht mal zehn Uhr.

Ich bin schon fast eingeschlafen, als ich leises Stöhnen höre, das von unten kommt. Ich stöhne auch und lege mich auf den Bauch, um mein Gesicht ins Kissen zu drücken. Großartig. Keine Chance mehr, in der nächsten Zeit einschlafen zu können.

»Oh, gut, ja. Da. Ja.«

Ich schlage meinen Kopf ins Kissen.

»Nein! Da!«, schreit Celine. »Nicht da. Nein. Nein! Da!«

Celine gibt ein lautes Keuchen von sich, und ich drücke mir die Hände auf die Ohren und versuche, was ich in den letzten Jahren oft versucht habe, wenn ich wieder einschlafen wollte: Ich erzähle mir eine Geschichte. Solange ich denken kann, habe ich mich vor dem Einschlafen meinen Tagträumen hingegeben. Ich bin tagsüber nicht so eine große Träumerin, doch ich habe mir immer gerne eine kleine Gutenachtgeschichte erzählt, wenn ich ins Bett ging. Ich glaube, ich kann mich sogar noch an meine erste erinnern.

Wir waren in den Ferien in Cornwall in einem Wohnwagen, der jemandem gehörte, den Dad aus dem Pub kannte. Wir sind mit dem Boot in die Bucht gefahren, und der Typ, dem das Boot gehörte, war echt süß. Ich erinnere mich, dass Dad mich damit aufgezogen hat, wie verliebt ich war, und ich wurde sauer, weil es mir peinlich war. Aber dann habe ich mir an jenem Abend im Bett eine Geschichte erzählt, in der ich wieder im Boot war, diesmal alleine. Und der Typ war über Bord gefallen, und ich musste ins Wasser springen, um ihn zu retten. Das war’s. Ich bin mir nicht mal sicher, ob es überhaupt zu einem Kuss gekommen war. Nur, dass er Hilfe brauchte und ich ihn gerettet und mich gut gefühlt habe.

»Verdammt! Oh nein. Das sind meine Haare. Du liegst auf meinen Haaren!«

Als ich älter wurde, beinhalteten die Träume definitiv auch Küsse. Und manchmal auch mehr, aber normalerweise nicht, weil ich so mit dem Fantasieren beschäftigt war, dass ich meistens einschlief, bevor es zum Sex kam. In den Träumen ging es immer um einen Promi oder jemanden aus einer Fernsehshow oder aus einem Film. Nachdem ich Friday Night Lights gesehen hatte, spielte Tim Riggins monatelang eine Rolle in diesen Träumen. Manchmal habe ich im Traum auch ein paar Dinge durcheinandergebracht. Ich sagte dann Sachen, die mein echtes Ich nie gesagt hätte, oder jemand anderes hat was Nerviges oder etwas, das nicht zu seinem Charakter passte, getan – und ich musste noch mal von vorne anfangen.

Über die Jahre habe ich mir eine Menge Konzepte ausgedacht, die immer funktionierten, egal, wer die männliche Hauptrolle spielte oder ob ich neben einem Fremden saß, der sich als superheiß entpuppte, oder in einem Lift gefangen war. Oder im Urlaub auf einer tropischen Insel, wo der superheiße Typ zufällig auch alleine da war, weil er sich von einem Liebeskummer erholte. Meine Träume waren alle flexibel und zuverlässig. Ich weiß nicht, ob andere so etwas ebenfalls machen, ich hoffe es. Ich habe keine Ahnung, wie man sonst einschlafen soll.

»Oh ja!« Adam stöhnt. »Mach weiter! Mach weiter! Mach weiter!«

Er klingt, als würde er einem Pferd gut zureden.

Doch sobald ich mit dem Park-Traum anfange – ein wiederkehrender Traum, den ich jetzt schon seit zehn Jahren habe und an den ich am häufigsten vor dem Einschlafen denke –, verändere und schmücke ich ihn noch ein bisschen aus. Ich stelle mir vor, wir würden zusammen picknicken. Oder wir würden uns auf einer Bank küssen. Oder ich wäre im Park und würde auf ihn warten und ihn aus der Entfernung sehen und wissen, dass er kommt, um sich mit mir zu treffen. Ich wüsste, wie glücklich er wäre, wenn ich zu ihm ginge, wüsste, dass wir uns lieben und glücklich miteinander sind. Einmal stellte ich mir vor, dass wir zur selben Zeit aus zwei verschiedenen Richtungen im Park eintrafen und uns entgegenliefen, aber das war sogar mir zu kitschig.

Adam stößt einen hohen Stöhnlaut aus. Ich kneife die Augen fest zu und versuche, mich auf den Park-Traum zu konzentrieren. Ich bin im Park. Und er sitzt auf einer Bank …

»Oh Mist!«, brüllt Celine. »Oh!«

»Komm!«, schreit Adam.

Und dann sind die beiden glücklicherweise ruhig. Ich denke an den Park-Traum und lasse eine Hand zwischen meine Beine gleiten.

3. Kapitel

Ich bin im Park.

Die Sonne scheint, und er schlendert den Pfad entlang auf mich zu und schaut zu den Läden auf der anderen Seite rüber. Ein Bus fährt vorbei. Mit Seitenwerbung für die neueste Romcom mit Reese Witherspoon. Und er blickt nach hinten.

Er hat mich immer noch nicht gesehen, doch ich weiß, dass er sich freuen wird, wenn er mich entdeckt. Ich möchte zu ihm rennen, aber ich zwinge mich, abzuwarten.

Er wendet den Blick von den Geschäften ab und setzt sich auf eine Bank, seine langen Beine ausgestreckt – in schwarzer Jeans –, dann legt er den Kopf in den Nacken und genießt die Sonne. Und ich gehe zu ihm …

Und dann wache ich auf. Wie immer. Wie jedes einzelne Mal in den letzten zehn Jahren, wenn ich exakt diesen Traum hatte. Manchmal ändert sich ein kleines Detail. Einmal hat er den Park verlassen und ist über die Straße und in einen Laden gegangen, den es dort eigentlich nicht gibt. Er sah sich Sandwiches in der Auslage eines Geschäftes an. Ich bin ihm gefolgt. Aber ich bin nicht zu ihm gegangen oder habe mit ihm gesprochen.

Einmal ist ein Eichhörnchen über den Pfad gehüpft, und er hat sich hinuntergebeugt, um es mit Nüssen zu füttern. Wieso er Nüsse dabeihatte, weiß ich nicht.

Ein anderes Mal bin ich fast an der Bank angekommen – so nah, dass ich beinahe sein Gesicht erkennen konnte. Nur, dass ich es am Ende doch nicht sah, weil die Sonne so grell schien und mich blendete. Als ich danach aufwachte, weinte ich.

Der von letzter Nacht war der Standardtraum, den ich in den vergangenen Jahren immer hatte. Der Traum, den ich als Hauptgeschichte bezeichne – Eichhörnchen und Sandwiches sind so eine Art Zusatzbonus wie bei DVDs, nett zu sehen, aber nicht wichtig für den weiteren Verlauf der Handlung. Er ist in der Hauptgeschichte. Der Mann meiner Träume.

»Kennst du diese Szene aus Harry und Sally, wo Sally ihm von ihrem immer wiederkehrenden Sex-Traum erzählt?«, fragt Freya und schiebt mir einen Kaffee über den Esstisch zu.

»Ja.«

»Und wo sie erzählt, dass ihr ein gesichtsloser Mann die Kleider vom Leib reißt? Und Harry denkt, dass das wirklich langweilig ist?«

»Ja.«

»Dein Traum ist weitaus schlimmer als das.«

Ich verdrehe die Augen, als sie mich angrinst. Freya hält meine Träume für langweilig und unnütz. Sie kann nicht glauben, dass ich immer wieder denselben, wie sie sagt »megalangweiligen« Traum habe. Seit zehn Jahren. Und ich kann ihr nicht verständlich machen, dass nicht die Handlung im Traum wichtig ist – denn ich gebe zu, er ist nicht besonders aufregend –, sondern wie ich mich danach fühle.

»Soll ich dir mal meinen Traum erzählen?«, fragt Freya. Sie trinkt einen Schluck Kaffee, steht dann auf und holt etwas aus dem Kühlschrank. Sie nimmt jeden Tag ein Lunchpaket mit zur Arbeit.

»Ehrlich gesagt nein.«

Sie ignoriert mich. Natürlich.

»Ich träumte, dass ich Jetski fahre, und Gina Rodriguez hat mir von einer Jacht aus zugewinkt. Ich bin zur Jacht gefahren, und an der Seite wurde eine Tür geöffnet, und eine Welle hat mich in die Jacht gespült, und als ich hoch an Deck kam, wartete Gina auf mich. Im Bikini.«

»Das ist der abgefahrenste Traum, den du je hattest.«

Sie grinst mich über die Schulter hinweg an. »Nein, das stimmt nicht. Obwohl das ein guter war. Aber weißt du, wenn ich zehn Jahre lang diesen selben Traum hätte, wäre ich nicht glücklich. Nicht, wenn es nicht mal irgendwie vorwärtsginge. Nicht, bevor ich ihr den Bikini ausgezogen hätte. Oder Beyoncé auftauchen würde oder so. Derselbe langweilige Hintern immer und immer wieder.« Sie winkt ab.

»Ich finde es nicht langweilig. Das ist der Punkt. Ich empfinde den Traum als tröstlich.«

»Was ist tröstlich?«, fragt Henry, während er reinkommt.

Freya und ich sind immer noch im Schlafanzug. Ich trage einen ordentlichen durchgeknöpften Pyjama mit Wölkchenmuster. Freya knielange Leggings und eine Weste. Henry ist grundsätzlich vollständig angezogen, bevor er aus seinem Zimmer kommt. Ich habe ihn zwar schon in Hoodies und Sporthose gesehen, aber nie in dem, was er nachts trägt.

»Offenbar Beas langweiliger Traum«, erklärt ihm Freya.

»Zieht euch was an, ja?«, bittet er uns wie immer. »Lenkt mich sonst vom Frühstück ab.«

»Hör auf, mich zu bevormunden«, erwidert Freya und beugt sich nach unten, um eine Plastikdose aus dem Regal zu holen.

Henry dreht sich so abrupt weg, dass es mich überrascht, dass er sich dabei nicht verletzt. Als er mich ansieht, hat er pinkfarbene Wangen. Freya macht das absichtlich.

»Hatten wir wieder diesen Traum?«, fragt er mich.

Ich nicke über die Tasse hinweg.

»Ich habe ihr erzählt, dass ihre Besessenheit verständlicher wäre, wenn der Traum auch mal fortschreiten würde«, sagt Freya und holt ein Paket Frazzles-Chips aus dem Schrank. »So was, wie sich auf der Bank auf seinen Schoß zu setzen oder so.«

»Und ich sagte, dass ich die Wiederholungen tröstlich finde«, sage ich. »So, wie man sich einen Lieblingsfilm immer wieder ansehen kann und ihn trotzdem noch genauso mag.«

»Wie Inception«, sagt Henry.

»Ja. Außer, dass ich Inception nicht gesehen habe.«

Henry schüttelt den Kopf. Mein mangelndes Interesse für Christopher-Nolan-Filme erschüttert ihn.

»Aber wie Pretty Woman. Ich könnte dir nicht mal mehr sagen, wie oft ich den schon gesehen habe. Ich weiß genau, was passiert, doch wenn der Film im Fernsehen läuft, muss ich ihn mir trotzdem ansehen. Keine Frage. Und ich muss mir keine Sorgen machen, dass er ein trauriges oder schreckliches Ende haben könnte. Ich weiß, dass alles gut ausgeht.«

»Und sie lebten antifeministisch bis ans Ende ihrer Tage«, sagt Freya.

»Das ist nicht antifeministisch«, argumentiere ich und schiebe den Stuhl vom Tisch weg. Ich muss los und unter die Dusche. »Sie retten sich gegenseitig.«

Freya schnaubt.

Unter der Dusche denke ich darüber nach, was Freya gesagt hat. Ich weiß, sie findet mich lächerlich, weil ich so von meinem Traum besessen bin. Aber ich träume diesen Traum aus einem ganz bestimmten Grund schon seit zehn Jahren. Ich hatte bisher keinen anderen sich wiederholenden Traum. Ich träume viel, doch ich hatte noch nie einen anderen Traum, der sich so echt anfühlte. Also ist es mir egal, ob Freya ihn langweilig findet oder mich lächerlich, weil ich fest daran glaube, dass der Traum wahr wird, weil es einfach so sein muss. Warum sonst sollte ich das immer wieder träumen?

4. Kapitel

»Wir haben keine Milch mehr«, ruft Henry.

»Verdammt!«, murmele ich, bevor ich mich daran erinnere, dass wir gestern selbst den Rest verbraucht haben und ich gesagt hatte, dass ich heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit welche kaufen wollte.

»Ich gehe gleich mal kurz raus«, rufe ich zurück und scrolle noch ein bisschen weiter durch das Intranet, um Preise und Promotionsaktionen herauszusuchen. Wenn ich das nicht als Erstes tue, wird es nicht gemacht, und das gehört zu den Hauptgründen, weswegen die Geschäftsleitung sauer wird. Sobald ich das erledigt habe und Taschen und Kassenzettelrolle gecheckt und die Lesezeichen sauber ausgerichtet sind, sage ich Henry, dass ich kurz weg bin.

»Kommst du alleine klar?«, rufe ich von der Tür aus.

»Ich glaube, es wird mir gelingen«, antwortet er, ohne vom Neil-Gaiman-Roman hochzusehen, den er gerade liest.

Das Wetter ist wesentlich schöner als gestern – die Sonne scheint so, dass ich mich seltsam positiv gestimmt fühle. Ich bin mir nicht sicher, ob ich irgendwelche damit verbundenen Erinnerungen habe (mir wollen jedenfalls keine einfallen). Aber bei diesem Wetter fühle ich mich, als ob ich alles machen kann. Das stimmt natürlich nicht wirklich. Ich kann nur Milch kaufen und sie in den Laden bringen. Immerhin kann ich für mich und Henry Tee kochen – das geht.

Und es gibt noch etwas, das ich tun kann. Ich kann zu Tesco gehen. Wir mögen den griechischen Lebensmittelladen zwar lieber, doch Tesco ist viel billiger, und ich wurde ermahnt, ein wenig auf die Ausgaben zu achten. Und auf die Art komme ich durch den Park. Falls Henry aus dem Ladenfenster schaut, wird er sich wundern, wohin ich gehe, doch ich vertraue darauf, dass er genügend in sein Buch vertieft ist, sodass ihm das nicht auffällt. Außerdem ist das Glas mit bunten Promotionsstickern beklebt, man hat also nicht gerade die beste Sicht.

Ich gehe über den Zebrastreifen auf das Kino zu und noch weiter. London in der Sonne hat was. Vor allem dieser Teil von London. Es wirkt alles so unverändert. Wenn die Autos, die Schilder, die Bushaltestellen und die Mülleimer nicht wären, könnte es vor hundert Jahren genauso ausgesehen haben. Womöglich sogar schon vor zweihundert.

Ich laufe weiter, bis ich fast am Park bin, und sage mir, dass ich nur fünf Minuten bleibe und dann Milch hole – und vielleicht noch ein paar Kekse und Kuchen. Henry mag Schokozopf. Ich öffne das Tor und gehe in die Gartenanlage. Jemand sitzt auf der linken Seite auf der Bank, aber als ich näher komme, erkenne ich, dass es eine alte Dame ist mit einem kleinen Hündchen zu ihren Füßen. Es ist sowieso nicht die richtige Bank. Ich gehe weiter den Pfad entlang und versuche nicht direkt zur Bank hinzusehen, doch ich kann nicht anders – mein Blick gleitet automatisch dorthin.

Ich bin fast wieder am Tor, als ich ein merkwürdiges Déjà-vu-Gefühl empfinde. Das kenne ich schon. Das passiert mir ziemlich häufig, aber diesmal ist es so stark, dass mir beinahe ein wenig schwindelig wird. Es fühlt sich an, als ob mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird, und ich frage mich, ob ich gleich ohnmächtig werde. Das wäre mir sehr peinlich. Ich strecke die Hand aus und stütze mich an einem Baum ab. Das Gefühl der Borke unter meiner Hand – rau und trocken, doch auch moosig – ist mir ebenfalls vertraut. Ich weiß, dass ich mich gleich umdrehen muss. Ich würde mich sowieso umdrehen, wenn ich am Tor bin, aber ich muss mich jetzt umdrehen. Ich drehe mich um. Und da ist er.

Er sitzt auf der rechten Bank, auf der Hälfte der Strecke, die ich gerade langgegangen bin. Er muss hinter mir gewesen sein, weil er definitiv noch nicht dort gesessen hat, als ich vorbeiging. Alles an ihm ist genau wie erwartet: schwarze Stiefel, Jeans, ein schwarzes T-Shirt, schwarze Colani-Jacke, viereckige schwarze Sonnenbrille. Sein dunkles Haar nach hinten gestrichen, sitzt er da und wendet sein Gesicht der Sonne zu. Ich lehne mich an den Baum und starre ihn an. Ich weiß, dass er nicht herschaut, weil ich das alles schon einmal gesehen habe. Ich weiß, dass ich ihn betrachten kann, weil er mit zurückgelegtem Kopf, geschlossenen Augen und überkreuzten Beinen dasitzt.

Ich habe so lange auf diesen Moment gewartet und gedacht, es würde sich viel merkwürdiger anfühlen. Es wirkt eigentlich alles ziemlich natürlich. Ich bin nicht mal besonders nervös. Tatsächlich fühle ich mich fast ein bisschen albern vor Glück. Am liebsten würde ich laut loslachen. Wie oft bin ich diesen Parkweg schon gegangen, um Ausschau nach ihm zu halten? Wie oft habe ich mit meinen Freunden darüber gesprochen? Es ist inzwischen schon ein Running Gag unter uns. Sie würden nicht glauben, dass ich ihn wirklich gesehen habe.

Ich stehe da. Sie würden es tatsächlich nicht glauben. Sie würden denken, jetzt hätte ich total den Verstand verloren. Noch mehr als damals, als ich ihnen zum ersten Mal von ihm erzählte. Ich hole mein Handy aus der Tasche und tippe auf die Kamera. Ich weiß, dass ich nicht nah genug dran bin, um ein gutes Foto machen zu können, aber alles ist besser als nichts. Ich zoome ihn ein bisschen näher heran – zu viel und das Foto wäre zu unscharf. Die Kamera im Handy ist nicht besonders gut. Gerade als ich draufdrücken will, um ein Foto zu machen, schaut er hoch. Er schaut hoch und zu mir. Ich schnappe nach Luft, und bevor ich auch nur darüber nachdenken kann, habe ich den Park schon verlassen und gehe in Richtung der Läden. Mit zitternden Händen stecke ich mein Handy wieder in die Tasche. Er hätte mich gar nicht sehen sollen. Er hätte nicht zu mir hinsehen sollen. Das hätte nicht passierend dürfen. Verdammt.

Aber dann wird mir bewusst, dass ich zurückgehen muss. Ich muss mit ihm sprechen. Ich habe so lange darauf gewartet, und jetzt ist er da, da kann ich doch nicht weglaufen. Oder? Was, wenn ich ihn nie wiedersehe? Ich denke daran, was Freya an diesem Morgen zu mir gesagt hat; von wegen, einfach hingehen und mich auf seinen Schoß setzen. Natürlich werde ich das nicht tun, aber vielleicht könnte ich hingehen und mit ihm reden. Ja. Das sollte ich machen. Oh Gott.

Ich kehre tatsächlich in den Park zurück und murmele den ganzen Weg über atemlos: »Bitte lass ihn noch da sein … bitte lass ihn noch da sein …« Er ist noch da. Ich sehe ihn, sobald ich um die Ecke biege – meine ganze Willenskraft ist nötig, mich wieder in diesen Park bis zu seiner Bank zu kriegen. Er sitzt mitten auf der Bank, also setze ich mich neben ihn und starre geradeaus.

»Hallo«, sage ich beiläufig.

Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie er den Kopf leicht zu mir dreht, und halte die Luft an, als ob mich das unsichtbar machen würde. Ich umklammere den Rand der Parkbank unter meinen Oberschenkeln, um mich zu beruhigen und meine Hände davon abzuhalten, zu zittern.

»Hallo«, sagt er.

Seine Stimme klingt tief. Ich wusste, dass es so sein würde.

»Das wirkt jetzt merkwürdig. Tut mir leid.«

Er lacht. Sein Lachen hört sich nett an. »Nein. Schon in Ordnung. Aber ich sag dir lieber gleich, dass ich nicht an Botschaften Gottes interessiert bin.«

Er spricht mit einem leichten Akzent, den ich nicht einordnen kann. Midlands vielleicht. Das finde ich anziehend (und ich fühle mich bereits sehr zu ihm hingezogen). Ich wende mich ihm zu, um ihn anzuschauen. Er sieht wirklich gut aus. Richtig gut. Unter normalen Umständen hätte ich auf keinen Fall den Mut gehabt, ihn anzusprechen.

Ich lächele. »Nein. ’tschuldigung. Das will ich gar nicht. Ich bin keine dieser … Ich bin nicht religiös. Überhaupt nicht. Ich musste nur … ich sah dich und … ich musste dich einfach ansprechen. Ich weiß, das hört sich jetzt verrückt an, aber das bin ich nicht. Ehrlich.«

»Alles gut«, sagt er erneut. »Mir gefallen Mädchen, die Eier haben.«

Ich lache.

Er grinst. »Das meine ich natürlich nicht wortwörtlich.«

»Nein, das habe ich auch nicht gedacht.« Unterhalten wir uns gerade? Ich glaube, wir unterhalten uns tatsächlich.

»Ich meine, ich finde es schön, dass du gekommen bist, um dich mit mir zu unterhalten.«

»Freut mich«, sage ich. »Ich weiß, es ist ein bisschen merkwürdig.«

»Nein«, erwidert er und hält das Gesicht wieder in die Sonne. »Ich habe mir gerade jemanden gewünscht, mit dem ich teilen kann. Dein Timing ist perfekt.«

»Was teilen?«

»Die Botschaft Gottes.«

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