×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Weihnachtszauber wider Willen«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Weihnachtszauber wider Willen« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Weihnachtszauber wider Willen

Als Buch hier erhältlich:

hier erhältlich:

Als Skifahrer war er unschlagbar - aber als Dad ist Tyler O’Neil weit von einer Goldmedaille entfernt. Um seiner 13-jährigen Tochter zu beweisen, wie sehr er sie liebt, will er ihr das schönste Weihnachtsfest aller Zeiten bereiten. Das Snow Crystal Skiresort seiner Familie bildet dafür schon mal die perfekte Postkartenidylle. Doch bei den restlichen Details braucht er Unterstützung. Wer könnte ihm besser beibringen, was zum Fest der Liebe gehört, als eine Lehrerin? Gut, seine alte Schulfreundin Brenna ist genau genommen Skilehrerin, dennoch scheint sie auch den Slalom weihnachtlicher Bräuche perfekt zu beherrschen. Der guten alten Tradition des Kusses unterm Mistelzweig kann Tyler jedenfalls schnell etwas abgewinnen …


  • Erscheinungstag: 10.10.2015
  • Aus der Serie: Snow Crystal
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 352
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956492440

Leseprobe

1. KAPITEL

Tyler O’Neil trampelte den Schnee von seinen Schuhen, stieß die Tür seines am See gelegenen Hauses auf und stolperte über ein Paar Stiefel und eine Jacke, die im Flur herumlagen.

Er fand Halt an der Wand, bevor er fiel, und fluchte. „Jess?“ Kein Lebenszeichen von seiner Tochter, doch Ash und Luna, die beiden Sibirischen Huskys, stürmten aus dem Wohnzimmer. Resigniert sah er die Hunde auf sich zustürzen. „Jess? Du hast schon wieder die Tür zum Wohnzimmer offen gelassen! Tabuzone für die Hunde, das weißt du ganz genau! Komm sofort runter, und räum deine Jacke und die Stiefel weg! Nicht hochspringen – ich warne euch!“ Er spannte sich an, als Ash an ihm hochsprang. „Warum hört hier eigentlich keiner auf mich?“

Die gehorsamere Luna legte ihm die Pfoten auf die Brust und versuchte, sein Gesicht zu lecken.

„Schön zu wissen, dass mein Wort hier Gesetz ist.“ Tyler kraulte der Hündin liebevoll die Ohren und vergrub seine Finger in ihrem dichten Fell, als Jess aus der Küche kam. In der einen Hand hielt sie einen Toast, in der anderen ihr Smartphone und bewegte den Kopf im Takt einer Musik, bis sie den Kopfhörer von ihren Ohren schob. Sie trug einen seiner Pullover; die Goldmedaille, die er bei einer Abfahrt gewonnen hatte, baumelte ihr um den Hals.

„Hi, Dad. Wie war dein Tag?“

„Ich habe alles überlebt, bis ich durch meine eigene Haustür trat. Ich bin schon Pisten hinuntergebrettert, die sicherer waren als unser Hausflur.“ Tyler blickte sie finster an, drängte die aufgeregten Hunde zurück und schob die liegen gelassenen Schneestiefel mit dem Fuß zur Seite. „Heb sie auf. Und pack die von jetzt an auf die Veranda. Hier drin haben sie nichts zu suchen!“ Kauend starrte Jess auf seine Füße. „Du trägst deine Stiefel doch auch im Haus.“

Nicht zum ersten Mal grübelte Tyler über die Herausforderungen nach, die eine Elternschaft mit sich brachte. „Okay, neue Regel: Ich werde sie ab sofort auch draußen lassen. Auf diese Weise bringen wir keinen Schnee ins Haus. Und häng gefälligst deine Jacke auf, statt sie einfach irgendwohin zu werfen.“

„Du wirfst deine auch irgendwohin.“

Verdammter Mist! „Ich hänge sie auf. Schau!“ Er zog die Jacke aus und warf sie mit übertriebener Geste über den Garderobenhaken. „Und stell die Musik leise. Damit du mich wenigstens hörst, wenn ich dich anschreie!“

Jess grinste unverfroren. „Ich drehe sie auf, damit ich eben nicht hören kann, wie du mich anschreist. Grandma hat mir gerade eine Nachricht in Großbuchstaben geschickt. Du musst ihr erklären, wie das Handy funktioniert.“

„Das weißt du besser. Du erklärst es ihr.“

„Sie hat mir die ganze letzte Woche in Großbuchstaben geschrieben, und die Woche davor hat sie ständig aus Versehen Onkel Jackson angerufen.“

Tyler amüsierte die Vorstellung, wie die Anrufe seiner Mutter seinen stets aufs Geschäft konzentrierten Bruder verrückt machten. Er grinste zurück. „Ich wette, das hat ihm gefallen. Was wollte sie denn?“

„Sie lädt mich ein, hinüberzukommen, wenn ihr euer Teammeeting im Outdoor-Center habt. Ich werde ihr beim Kochen helfen.“ Sie biss von dem Toast ab. „Heute Abend ist Familienabend. Jeder kommt, sogar Onkel Sean. Hast du das vergessen?“

Tyler stöhnte. „Teammeeting und Schreckensabend? Wessen Idee war das denn?“

„Die von Grandma. Sie macht sich Sorgen um mich, weil ich bei dir wohne und Bier das Einzige ist, was im Kühlschrank immer vorhanden ist. Und du sollst es nicht Schreckensabend nennen. Darf ich zum Teammeeting mitkommen?“

„Du würdest jede einzelne Minute hassen.“

„Würde ich nicht! Ich liebe es, Teil eines Familienunternehmens zu sein. So wie es dir mit den Meetings geht, geht es mir mit der Schule. In einem Raum eingeschlossen zu sein ist pure Zeitverschwendung, wenn es draußen so viel Schnee gibt. Aber du kannst immerhin den ganzen Tag Ski fahren. Ich muss auf einem harten Stuhl sitzen und versuchen, Mathe zu kapieren. Ich Ärmste.“ Sie verschlang den letzten Bissen Toast, und Tyler runzelte die Stirn, als ein paar Krümel zu Boden fielen.

Ash stürzte sich voller Begeisterung darauf.

„Du bist der Grund, warum der Kühlschrank leer ist. Du futterst mir die Haare vom Kopf! Wenn ich gewusst hätte, dass du so viel isst, hätte ich niemals eingewilligt, dass du hier wohnen kannst. Du kostest mich ein Vermögen!“

Dass sie über seine Frotzeleien lachte, zeigte ihm, wie nah sie sich schon gekommen waren in dem Jahr, seit sie bei ihm lebte.

„Grandma ist felsenfest davon überzeugt, dass du in deinem Dreck ersticken würdest, wenn ich nicht hier bei dir für Ordnung sorgen würde.“

„Du bist diejenige, die hier rumkrümelt. Benutze wenigstens einen Teller!“

„Du benutzt doch auch nie einen Teller und krümelst rum!“

„Du musst mir nicht alles nachmachen.“

„Du bist mein erwachsenes Vorbild. Ich folge nur deinem Beispiel.“

Allein der Gedanke reichte, dass ihm der Schweiß ausbrach. „Tu das besser nicht. Orientiere dich lieber genau am Gegenteil!“ Er sah zu, wie Jess sich vorbeugte, um mit Luna zu schmusen, wobei die Medaille um ihren Hals hin und her baumelte und fast die Nase des Hundes traf. „Warum trägst du die denn?“

„Sie motiviert mich. Und ich mag das Vorbild, das du abgibst. Du bist der coolste Dad auf dem ganzen Planeten. Und es macht Spaß, mit dir zusammenzuwohnen. Vor allem, wenn du versuchst, dich zu benehmen.“

„Versuche mich zu …“ Tyler löste den Blick von der Medaille, die ihn schmerzhaft an sein altes Leben erinnerte. „Was soll das denn heißen?“

„Ich meine, ich wohne gerne hier. Du machst dir jedenfalls nicht um die gleichen Sachen Gedanken wie die meisten Erwachsenen.“

„Vermutlich sollte ich das lieber.“ Tyler fuhr sich mit der Hand über den Nacken. „Ich habe neuen Respekt vor deiner Großmutter. Wie konnte Mom drei Jungen großziehen, ohne mindestens einen von uns zu erwürgen?“

„Grandma würde niemals jemanden erwürgen. Sie ist geduldig und gütig.“

„Ja, du hast recht. Zu deinem Pech bin ich das nicht, obwohl ich derjenige bin, der dich großzieht.“ Das machte ihm noch immer mehr Angst als jede noch so steile Piste beim Ski-Weltcup der Profis. Wenn er das hier vermasselte, wären die Folgen schwerwiegender als ein kaputtes Bein und eine zerstörte Karriere. „Hast du deine Hausaufgaben fertig?“

„Nein. Ich habe angefangen, aber dann wurde ich abgelenkt von der Aufzeichnung deines Abfahrtsrennens in Beaver Creek. Komm und sieh es dir mit mir an!“

Eher würde er seinen Skistock verspeisen!

„Vielleicht später. Dein Lehrer hat mich heute angerufen.“ So beiläufig wie möglich wechselte er das Thema. „Du hast am Montag deine Hausaufgabe nicht abgegeben.“

„Luna hat sie gefressen.“

„Na klar hat sie das. Du darfst in jedem Trimester eine Hausaufgabe zu spät abgeben. Bei dir waren es schon zwei.“

„Hast du nie Aufgaben zu spät abgegeben?“

Ständig.

Tyler fragte sich, warum sich Menschen eigentlich für mehr als ein Kind entscheiden sollten, wenn das Elternsein so schwierig war. Er versuchte es mit einer anderen Taktik. „Wenn du fünf Hausaufgaben zu spät abgegeben hast, musst du bis zum Abend im Hausaufgaben-Club bleiben. Dann kannst du weniger Ski fahren.“

Ihr Lächeln gefror schlagartig. „Okay, okay, ich mache sie.“

„Gute Entscheidung. Und erledige deine Hausaufgaben das nächste Mal, bevor du Fernsehen guckst.“

„Ich habe nicht Fernsehen, sondern dich geguckt. Ich will deine Technik verstehen. Du warst der Beste. Ich werde in diesem Winter jede freie Minute Ski fahren.“ Beim letzten Satz schloss sie die Hand um die Medaille, sodass es fast wie ein Schwur wirkte. „Wirst du morgen beim Renntraining dabei sein? Du hast versprochen, dass du es versuchen willst.“

Sprachlos angesichts ihrer uneingeschränkten Bewunderung, blickte Tyler seiner Tochter in die Augen und sah dort die gleiche Leidenschaft, die auch in ihm brannte.

Er dachte an all die Arbeit, die sich in Snow Crystal türmte und seine ganze Aufmerksamkeit erforderte. Dann dachte er an all die Jahre, die er mit seiner Tochter nicht hatte zusammen sein können. „Ich werde da sein.“ Er ging in die kürzlich renovierte Küche und fluchte, als kalte Nässe durch seine Socken drang. „Jess, du hast den Schnee durchs ganze Haus getragen! Es ist, als würde man durch einen Fluss waten.“

„Das war Luna. Sie hat sich in einer Schneewehe gewälzt und dann geschüttelt.“

„Das nächste Mal kann sie sich vor unserem Haus schütteln.“

„Ich wollte nicht, dass sie sich erkältet.“ Jess, die ihn beobachtete, strich sich das Haar hinters Ohr. „Du hast unser Haus gesagt.“

„Sie ist ein Hund, Jess! Sie hat dickes Fell. Sie erkältet sich nicht. Und natürlich sage ich unser Haus. Was soll ich sonst sagen? Wir beide wohnen hier, und im Moment habe ich auch keine Chance, das zu vergessen.“ Er stieg über eine weitere Wasserlache. „Ich habe die letzten Jahre damit verbracht, dieses Haus zu renovieren, und ich habe immer noch das Gefühl, als müsste ich meine Stiefel auch drinnen tragen.“

„Ich liebe Ash und Luna. Sie gehören zur Familie. In Chicago hatte ich nie einen Hund. Mom hasst Unordnung. Wir hatten auch nie einen richtigen Weihnachtsbaum. Sie hasste sie, weil sie die Nadeln wegfegen musste.“

Anspannung und Ärger verflogen. Bei der Erwähnung von Jess’ Mutter fühlte sich Tyler, als ob ihm jemand Schnee in den Nacken gestopft hätte. Plötzlich waren nicht nur seine Füße kalt.

Er verkniff sich den Kommentar, der ihm schon auf der Zunge lag. Tatsache war, dass Janet Carpenter so ziemlich alles gehasst hatte. Sie hasste Vermont, sie hasste es, so weit weg von einer Großstadt zu leben, sie hasste das Skifahren. Und am meisten hasste sie ihn. Doch seine Familie hatte von ihm verlangt, vor Jess kein schlechtes Wort über ihre Mutter zu verlieren, und auch wenn ihn dies manchmal fast zum Platzen brachte, hielt er sich an diese Regel. „Wir werden dieses Jahr einen richtigen Baum haben. Wir fahren in den Wald und suchen ihn gemeinsam aus. Und ich bin froh, dass du die Hunde liebst. Das ändert aber nichts daran, dass du die verdammte Wohnzimmertür geschlossen halten sollst, wenn sie im Haus sind. Dieser Ort ist keine Baustelle mehr. Die neue Regel für die Hunde lautet: Runter vom Sofa und raus aus dem Bett!“

„Ich glaube, Luna bevorzugt die alten Regeln.“ In Jess’ Augen blitzte der Schalk. „Und du sollst nicht verdammt sagen. Grams mag es nicht, wenn du fluchst.“

Tyler verzog keine Miene. „Nun, Grams ist nicht hier, oder?“ Seine Großmutter und sein Großvater wohnten noch immer im Resort im umgebauten Zuckerhaus, dem früheren Zentrum von Snow Crystals Ahornsirup-Produktion. „Und wenn du es ihr erzählst, werfe ich dich rücklings in den Schnee, sodass du nasser bist als Luna. Und jetzt hau ab, und mach deine Hausaufgaben fertig, bevor ich den Preis als schlechtester Vater bekomme. Und ich bin nicht bereit, aufs Podium zu klettern, um mir den abzuholen.“

Jess strahlte ihn an. „Wenn ich dir verspreche, meine Hausaufgaben zu machen und niemandem zu erzählen, dass du fluchst, darf ich dann später in deinem Zimmer mit dir Skifahren gucken?“

„Du solltest Brenna fragen. Sie ist eine begnadete Lehrerin.“ Er wollte gerade nach einem Bier greifen, als ihm einfiel, dass er ein Vorbild sein sollte, also schenkte er sich stattdessen ein Glas Milch ein. Seit Jess eingezogen war, achtete er darauf, nicht aus der Packung zu trinken. „Sie wird dir sagen, wo jeder seine Schwächen hat.“

„Sie hat versprochen, mir zu helfen, wo ich es doch jetzt ins Skiteam der Schule geschafft habe. Hast du sie im Fitnessraum gesehen? Sie hat wahnsinnige Bauchmuskeln.“

„Ja, habe ich gesehen.“ Er gestattete es sich nicht, an ihre Bauchmuskeln zu denken.

Er gestattete es sich grundsätzlich nicht, überhaupt an einen Körperteil von ihr zu denken.

Sie war seine beste Freundin, und das sollte sie bleiben.

Um sich von dem Gedanken an Brennas Bauchmuskeln abzulenken, sah er in den Kühlschrank. „Der ist ja leer.“

„Kayla nimmt mich nachher mit ins Dorf, sodass ich etwas einkaufen kann.“ Ihr Handy piepte, und sie holte es aus der Tasche. „Oh –“

Tyler schob die Kühlschranktür mit der Schulter zu und bemerkte ihren Gesichtsausdruck. „Was ist passiert?“

„Kayla schreibt, dass sie zu viel zu tun hat, das ist alles.“

„Klingt hart. Egal. Ich fahre morgen in den Laden.“

Jess starrte aufs Handy. „Ich muss da jetzt hin.“

„Warum? Wir gehen beide nicht gerne einkaufen. Es kann warten.“

„Das hier kann nicht warten.“ Obwohl sie den Kopf gesenkt hielt, sah er, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.

„Hat das etwa mit Weihnachten zu tun? Ist doch erst in ein paar Wochen. Wir haben noch jede Menge Zeit. Die meisten meiner Einkäufe erledige ich gegen drei Uhr, kurz vorm Weihnachtsabend.“

„Es ist nicht wegen Weihnachten! Dad, ich brauche …“, sie brach mit knallrotem Gesicht ab, „… ein paar Sachen aus dem Laden, das ist alles.“

„Was brauchst du denn, das nicht bis morgen warten kann?“

„Mädchensachen, okay? Ich brauche Mädchensachen!“ Sie machte kehrt und lief aus dem Zimmer. Tyler starrte ihr hinterher und versuchte den Grund für ihren plötzlichen Gefühlsausbruch zu verstehen.

Mädchensachen?

Er brauchte einen Moment, bis er schließlich begriff, und fluchte.

Mädchensachen!

Er blickte Richtung Tür. Er wusste, dass er etwas sagen musste, hatte aber keine Ahnung, wie er möglichst sensibel ein Thema ansprechen sollte, das ihnen beiden furchtbar peinlich war.

Konnte er es ignorieren?

Ihr sagen, sie solle sich im Internet informieren?

Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und fluchte erneut, weil er wusste, dass er es nicht ignorieren oder so etwas Wichtiges auch nicht einer Suchmaschine überlassen durfte.

Es war ja nicht so, dass sie ihre Mutter fragen konnte. Er war jetzt der einzige Elternteil in ihrem Leben. Und im Moment empfand sie das vermutlich als ziemlich wenig.

„Jess!“, rief er ihr hinterher. Als er keine Antwort bekam, trat er aus der Küche und fand sie im Flur, wo sie ihre Stiefel anzog. „Steig in den Wagen. Ich fahre dich zum Laden.“

„Vergiss es!“ Ihre Stimme klang erstickt, das Haar fiel ihr ins Gesicht. „Ich gehe hinüber zum Haupthaus und bitte Grandma, mich zu fahren.“

„Grandma fährt nicht gerne bei Schnee und Dunkelheit. Ich bringe dich hin.“ Seine Stimme klang rauer, als er es beabsichtigt hatte. Er streckte eine Hand aus, um ihre Schulter zu berühren, und zog sie dann wieder zurück. Umarmen oder nicht umarmen? Er hatte keine Ahnung. „Ich wollte sowieso zum Laden.“

„Du wolltest morgen in den Laden, nicht heute.“

„Nun, jetzt fahre ich heute.“ Er griff nach seiner Jacke. „Komm schon! Wir holen auch diese Schokolade, die du so magst.“

Ohne ihn anzusehen, fummelte sie weiter an ihren Stiefeln herum. Er seufzte und wünschte sich zum hundertsten Mal, dass es eine Bedienungsanleitung für Teenager gäbe.

„Jess, alles ist gut.“

„Nichts ist gut“, murmelte sie erstickt. „Es ist eine riesige Lawine von Peinlichkeit! Du denkst bestimmt, dass das hier dein schlimmster Albtraum ist.“

„Nein, das denke ich nicht.“ Er legte die Hand auf die Türklinke. „Ich befürchte nur, dass ich es vermasseln könnte. Dass ich das Falsche sage und du dich mies fühlst, was ich nicht möchte.“

Sie schielte ihn durch ihre Haarsträhnen hindurch an. „Du wünschst dir, dass ich nie gekommen wäre, um hier zu leben.“

Er hatte gedacht, dass sie längst darüber hinweg waren. Über die Unsicherheit. Über diese schleichenden, jedes Vertrauen untergrabenden Zweifel, die ihr die Fröhlichkeit raubten. „Nein, das wünsche ich mir nicht.“

„Mom sagte mir, sie wünschte, dass ich nie geboren wäre.“

Tyler zerrte wütend am Reißverschluss seiner Jacke, wobei er sich fast den Finger einklemmte. „Das hat sie nicht so gemeint.“ Er zog die Tür auf und atmete dankbar die kühle Luft ein, die seinen Zorn etwas dämpfte.

„Doch, das hat sie.“ Jess murmelte die Worte nur. „Sie sagte mir, ich sei das Schlimmste, was ihr je passiert wäre.“

„Also ich habe so noch nie gedacht. Nicht ein einziges Mal. Nicht einmal, wenn wieder alles nass ist, weil du die Hunde ins Haus gelassen hast.“

„Du hast dir das hier nicht ausgesucht.“ Sie stockte, und als er die Unsicherheit in ihren Augen sah, hätte er am liebsten in irgendetwas hineingeschlagen.

„Ich habe getan, was ich konnte. Ich bat deine Mutter, mich zu heiraten.“

„Ich weiß. Sie sagte Nein, weil sie dachte, dass du ein schlechter Vater wärst. Ich hörte, wie sie es meinem Stiefvater erzählte. Sie sagte, du seist verantwortungslos.“

Tyler spürte, wie Ärger in ihm hochkochte. „Na ja, das mag richtig sein, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass ich dich wollte, Jess, von Anfang an. Und als deine Mutter mich nicht heiraten wollte, suchte ich nach anderen Wegen, damit du hier bei uns leben kannst. Warum zum Teufel sprechen wir eigentlich jetzt darüber?“

„Weil es die Wahrheit ist. Ich war ein Fehler.“ Jess zuckte die Achseln, als ob es keine Rolle mehr spielte. Doch Tyler wusste, dass es eine überaus wichtige Rolle spielte, deshalb zögerte er. Er wusste auch, dass es von seiner Reaktion abhing, wie sie sich in dieser ganzen Situation fühlte.

„Wir haben nicht wirklich geplant, dich zu bekommen, das ist wahr. Ich will dich da nicht anlügen, doch man kann nicht alles im Leben planen. Auch wenn die Leute glauben, sie könnten es. Sie meinen, sie könnten die Dinge kontrollieren, und dann – peng! – passiert etwas, das beweist, dass man weniger Kontrolle hat, als man glaubt. Und manchmal stellen sich die Dinge, die man nicht geplant hat, als die besten heraus.“

„Ich gehöre nicht dazu. Mom sagte, ich sei der größte Fehler ihres Lebens.“

Er ballte seine Hände zu Fäusten und musste sich zwingen, ruhig zu bleiben. „Sie war vermutlich verärgert oder müde.“

„Das war, als ich mit dem Snowboard die Treppen hinunterbretterte.“

Tyler rang sich ein Lächeln ab. „Ach so, ja, da hast du’s. Das ist der Grund.“ Er zog sie an sich und umarmte sie, spürte ihren mageren Körper und den vertrauten Geruch ihres Haars. Seine Tochter. Sein Kind. „Du bist das Beste, das mir je passiert ist. Du bist eine O’Neil durch und durch, und das macht deine Mom manchmal ein bisschen verrückt, das ist alles. Sie hat nicht allzu viel für die O’Neils übrig. Aber sie liebt dich. Ich weiß, dass sie das tut.“ Er wusste es ganz und gar nicht, doch das wollte er ihr unter keinen Umständen sagen.

„In ihrer Familie steht man sich nicht so nahe, und das macht sie eifersüchtig.“ Ihre Stimme klang erstickt an seiner Brust, und Jess schlang die Arme fester um ihn.

„Du magst zwar die Schule schwänzen, aber dumm bist du nicht.“

Jess machte sich los, ihre Wangen waren rot. „Ist das der Grund, warum du nicht mehr heiraten willst? Wegen dem, was mit Mom geschah?“

Was sollte er darauf antworten?

Er hatte gelernt, dass ihn die Fragen seiner Tochter immer völlig unvorbereitet trafen. Sie fraß die Dinge in sich hinein, hielt sie lange zurück, bis sie schließlich herausplatzten – herausplatzen mussten.

„Einige Menschen sind eben nicht dafür geschaffen, um zu heiraten, und ich gehöre dazu.“

„Warum?“

Tyler dachte, dass es ihm lieber wäre, eine steile Piste bei Nacht und mit geschlossenen Augen hinunterzufahren, als dieses Gespräch zu führen. „Alle Menschen sind in einigen Dingen gut und in einigen schlecht. Ich bin schlecht in Beziehungen. Ich mache Frauen nicht glücklich.“ Frag nur deine Mutter. „Frauen, die sich in mich verlieben, sind am Ende oft sehr verletzt.“

„Dann wirst du also nie wieder mit jemandem zusammen sein? Dad, das ist wirklich bescheuert.“

„Du nennst mich bescheuert?! Was ist aus deinem Respekt mir gegenüber geworden?“

„Ich sage nur, dass es in Ordnung geht, Fehler zu machen, wenn man jung ist. Jeder vermasselt es mal. Es sollte einen aber nicht davon abhalten, es noch mal zu versuchen, wenn man älter ist.“

„Jess –“

„Vielleicht bist du jetzt, da du mich hast, besser in Beziehungen. Wenn du wissen willst, wie Frauen denken, kannst du ja mich fragen“, bot sie großzügig an, worauf Tyler den Mund öffnete und wieder schloss.

„Danke, Liebes. Das weiß ich sehr zu schätzen.“ Mit dem Gefühl, dass das Gespräch immer unangenehmer wurde, holte er seine Autoschlüssel heraus. „Jetzt setz dich in den Wagen, bevor wir beide hier auf der Türschwelle festfrieren. Wir müssen in den Laden, bevor er schließt.“

„Es wäre einfacher für dich, wenn ich ein Junge wäre. Dann müssten wir nicht so peinliche Gespräche führen.“

„Glaub das mal nicht! Jungen im Teenageralter sind grässlich. Ich weiß das. Ich war selbst einer. Und ich schäme mich nicht dafür.“ Tyler hatte das Gefühl, dass seine Zunge taub wurde. „Warum sollte ich mich für etwas schämen, das zum Erwachsenwerden dazugehört? Wenn es etwas gibt, das du mich fragen möchtest …“ – Bitte, lieber Gott, lass es nichts geben, das sie mich fragen möchte! – „… dann nur heraus damit.“

Sie zog ihre Stiefel fester hoch. „Mir geht’s gut. Aber ich muss in den Laden.“

Er nahm ihre Jacke und warf sie ihr zu. „Zieh dich warm an! Es ist eiskalt draußen.“

„Dürfen Ash und Luna mitkommen?“

„Zum Einkaufen?“ Er wollte schon fragen, warum sie zwei aufgeregte Hunde auf die Fahrt ins Dorf mitnehmen wollte, doch als er ihr erwartungsvolles Gesicht sah, entschied er, dass die Hunde vielleicht das beste Mittel gegen Peinlichkeit waren. Und hoffentlich würden sie sie von den Gedanken an ihre Mom und an die Kompliziertheit menschlicher Beziehungen ablenken. „Sicher, gute Idee. Ich liebe nichts mehr als zwei mir in den Nacken hechelnde Hunde, während ich fahre. Aber du musst sie unter Kontrolle halten.“

Jess pfiff nach Ash und Luna, die in Erwartung eines Ausflugs angestürmt kamen.

Tyler fuhr aus Snow Crystal heraus, wobei er immer wieder für Gäste, die von den Pisten zurückkamen, abbremste.

Das Resort war nur zur Hälfte gebucht, doch die Saison hatte gerade erst begonnen, und er wusste, dass sich die Besucherzahl zu den Weihnachtsferien verdoppeln würde.

Und drüben in Europa fand der Ski-Weltcup statt.

Er umfasste das Lenkrad fester und war dankbar, dass Jess vor sich hin plapperte. Er war dankbar für die Ablenkung.

„Onkel Jackson erzählte, dass die Schneekanonen wirklich gut laufen. Die meisten Pisten sind geöffnet. Glaubst du, wir kriegen viel Schnee? Onkel Sean ist hier.“ Sie redete ununterbrochen, während sie nebenbei Luna streichelte. „Ich sah vorhin seinen Wagen. Gramps sagte, er sei wegen des Meetings hier, aber ich verstehe nicht, warum. Er ist Chirurg. Er hat nichts mit dem Betrieb hier zu tun. Oder soll er sich hier um Beinbrüche kümmern?“

„Sean arbeitet mit Christy vom Spa ein Konditionstraining aus. Sie wollen die Zahl der Skiverletzungen reduzieren. Es war Brennas Idee.“ Tyler fuhr langsamer, als sie die Hauptstraße erreichten, und bog in Richtung Dorf ab. Der Schnee fiel gleichmäßig und bedeckte die Frontscheibe ebenso wie die Straße vor ihnen.

„Wie kommt es, dass Brenna das Outdoor-Programm leitet, wo du doch derjenige mit der Goldmedaille bist?“

„Weil Jackson ihr den Job bereits gegeben hatte, als ich zurück nach Hause kam. Und weil ich das Organisieren fast so sehr hasse wie Einkaufen und Kochen. Mich interessiert nur das Skifahren. Und Brenna ist eine gute Lehrerin. Sie ist geduldig und freundlich, während ich die Leute am liebsten in die nächste Schneewehe stoßen möchte, wenn sie etwas nicht gleich begreifen.“ Er sah kurz in den Rückspiegel. „Schläfst du heute Nacht bei Grandma?“

„Möchtest du, dass ich das tue? Hast du vor, heute Sex zu haben oder so etwas?“

Tyler wäre fast in den Straßengraben gefahren. „Jess –“

„Was? Du sagtest, ich könnte über alles mit dir reden.“

Er konzentrierte sich auf die Straße. „Du kannst mich nicht fragen, ob ich vorhabe, Sex zu haben.“

„Warum? Ich möchte nicht im Weg sein, das ist alles.“

„Du bist nicht im Weg.“ Er fluchte im Stillen, dass dieses Thema ausgerechnet jetzt aufkommen musste. „Du bist nie im Weg.“

„Dad, ich bin nicht blöd. Du hattest früher viel Sex. Das weiß ich. Ich habe es im Internet gelesen. In einem Artikel stand, dass du eine Frau schneller ins Bett bekommst, als du eine Piste hinabfährst.“

Mit dem Gefühl, dass ihn eine weitere Lawine von Peinlichkeit mit sich riss, fuhr Tyler langsamer, als sie sich dem Dorf näherten. In den Schaufenstern blinkten die Lichter, und am Ende der Hauptstraße stand ein riesiger Weihnachtsbaum. „Du solltest nicht alles glauben, was du im Internet liest.“

„Ich sage nur, dass du Sex nicht aufgeben musst, nur weil ich bei dir lebe. Du musst wieder mehr ausgehen.“

Es verschlug ihm die Sprache. Vorsichtig bog er in den Parkplatz beim Dorfladen ein. „Ich werde mit meiner dreizehnjährigen Tochter nicht über dieses Thema sprechen.“

„Erstens: Ich bin fast vierzehn. Zweitens: Du solltest nicht schlappmachen.“

„Wie du meinst. Mein Sexleben jedenfalls ist tabu.“

„Hattest du jemals Sex mit Brenna? Hattest du mit ihr eine Beziehung?“

Wie war es möglich, dass er schwitzte, obwohl die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt lagen? „Das ist privat, Jess.“

„Dann hattest du also Sex mit ihr?“

„Nein! Ich hatte nie Sex mit Brenna.“ Sex mit Brenna – daran gestattete er sich nicht einmal zu denken! Niemals. Er dachte nicht an diese Bauchmuskeln. Und er dachte nicht an diese Beine. „Dieses Gespräch ist jetzt beendet.“

„Weil es für mich in Ordnung wäre. Ich glaube, sie mag dich wirklich. Magst du sie?“

Als Tyler begriff, dass seine pubertierende Tochter ihm soeben die Erlaubnis gegeben hatte, Sex zu haben, raufte er sich die Haare. „Klar, natürlich tue ich das. Ich kenne sie, seit wir Kinder waren. Wir hingen die meiste Zeit unseres Lebens miteinander herum. Sie ist eine gute Freundin.“

Und er würde nichts tun, was diese Freundschaft zerstören würde. Nichts. Absolut gar nichts, verdammt!

Er hatte noch jede Beziehung vermasselt, die er je gehabt hatte. Seine Freundschaft mit Brenna war die einzige, die noch intakt war, und er wollte, dass das so blieb.

Jess löste ihren Sicherheitsgurt. „Ich mag Brenna. Sie bekommt nicht diese Stielaugen wegen dir wie andere Frauen. Und sie spricht mit mir nicht wie mit einem Kind. Wenn du mir Geld gibst, gehe ich rein und kaufe, was ich brauche. Ich besorge auch noch was für den Kühlschrank. Wenn Grandma später vorbeikommt, wird sie beeindruckt sein von deiner Haushaltsführung.“

„Stielaugen?“ Tyler griff nach seiner Brieftasche. „Was soll das denn heißen?“

Jess zuckte die Achseln. „Wie einige der Moms in meiner Schule. Sie schminken sich und tragen enge Kleidung für den Fall, dass du mich abholst. Als Kayla mal auf mich wartete, gab es fast einen Aufstand. Manchmal fragen mich die anderen Mädchen, ob du kommst oder nicht. Ich schätze, ihre Moms wollen sich mit diesem ganzen Schminkkram nicht aufhalten, wenn du nicht auftauchst.“

Tyler starrte seine Tochter an. „Meinst du das im Ernst?“

„Ja, aber das ist in Ordnung.“ Jess zog die Jacke enger um ihren schmalen Körper. „Ich sehe das entspannt, dass mein Dad ein nationales Sexsymbol ist. Aber wenn du dir eine aussuchst, mit der ich leben und die ich Mom nennen muss, möchte ich, dass du eine wie Brenna aussuchst, das ist alles. Sie streicht sich nicht die ganze Zeit durchs Haar und lächelt nicht dämlich, wenn sie dich ansieht.“

„Niemand wird mit uns leben, du wirst niemanden Mom nennen, und zum letzten Mal: Ich werde mit Brenna keinen Sex haben.“ Tyler knirschte mit den Zähnen. „Jetzt geh und kauf, was auch immer du brauchst.“

Jess rutschte im Sitz nach unten. „Ich kann nicht.“ Ihre Stimme klang erstickt. „Mr Turner ist gerade mit seinem Sohn hineingegangen, der in meiner Klasse ist. Ich möchte sterben.“

Tyler atmete tief durch und wühlte dann in der Unordnung seines Wagens herum, bis er eine alte Restaurant-Rechnung und einen Stift gefunden hatte. „Mach mir eine Liste.“

„Ich warte, bis sie weg sind.“ Im Wagen war es dunkel, doch er sah, dass sie schon wieder rot im Gesicht war.

„Jess, wir müssen das erledigen, bevor wir beide an Unterkühlung sterben.“

Sie zögerte, nahm dann den Stift und kritzelte etwas.

„Warte hier.“ Tyler nahm die Rechnung und ging in den Laden. Wenn er Österreichs berüchtigte Hahnenkamm-Piste mit einer Geschwindigkeit von 145 Stundenkilometern hinunterrasen konnte, dann konnte er wohl auch Mädchensachen kaufen.

Zehn Minuten später betrat Brenna Daniels den Laden und war erleichtert, der bitteren Kälte entronnen zu sein.

Ellen Kelly kam aus dem Raum hinter dem Tresen, beladen mit drei großen Kartons. „Brenna! Deine Mutter war heute schon hier. Sie erzählte, sie hätte dich seit einem Monat nicht gesehen.“

„Ich hatte zu tun. Kann ich dir damit helfen, Ellen?“ Brenna nahm ihr die Kartons ab und stellte sie auf den Boden. „Du solltest nicht so viel auf einmal tragen. Der Arzt hat dir gesagt, dass du vorsichtig sein sollst beim Heben.“

„Ich bin vorsichtig. Ein Sturm kommt auf, und die Leute legen sich gern Vorräte an, falls sie einen Monat lang eingeschneit sein sollten. Wir hoffen alle, dass es nicht so schlimm kommt wie 2007. Erinnerst du dich an den Valentinstag?“

„Ich war in Europa, Ellen.“

„Richtig, stimmt ja. Hatte ich vergessen. Keine einzige Flocke im Januar und dann einen Meter Schnee innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Ned Morris verlor ein paar seiner Kühe, als das Dach des Stalls einstürzte.“ Ellen rieb sich den Nacken. „Übrigens hast du ihn gerade verpasst.“

„Ned Morris?“

„Tyler.“ Ellen beugte sich hinunter, um einen der Kartons zu öffnen. „Und er hatte Jess dabei. Ich schwöre, sie muss über den Sommer dreißig Zentimeter gewachsen sein.“

„Tyler war hier?“ Brennas Herz schlug ein bisschen schneller. „Wir haben in einer Stunde eine Besprechung im Resort.“

„Ich schätze, sie hatten einen Notfall. Jess blieb im Wagen, und er kam rein, um alles zu kaufen, was sie brauchte. Und ich meine damit alles.“ Ellen Kelly zwinkerte vielsagend und fing an, die Kartons auszupacken und den Inhalt in die Regale zu räumen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich je Tyler O’Neil hier für einen Teenie einkaufen sehen würde. Ich erinnere mich, dass die Leute nur Schlechtes über ihn zu sagen hatten, als Janet Carpenter ihre Schwangerschaft verkündete, aber er hat sie alle eines Besseren belehrt. Diese Janet ist so kalt wie der Winter in Vermont, aber Tyler –“ Sie ordnete Dosen auf dem Regal. „Er mag ein schlechter Kerl im Umgang mit Frauen sein, aber niemand kann sagen, dass er mit dem Kind nicht das Richtige getan hat.“

„Sie ist fast vierzehn.“

„Und scheint eine andere Person zu sein als die, die hier im letzten Winter ganz mager und blass angekommen ist. Kannst du dir das vorstellen? Welche Mutter schickt ihr Kind so fort?“ Ellen schnalzte missbilligend und beugte sich dann vor, um einen mit Weihnachtsdekoration gefüllten Karton auszupacken. „Beschämend.“

Brenna achtete darauf, ihre Meinung darüber für sich zu behalten. „Janet hatte wieder ein Baby bekommen.“

„Und deswegen gab sie das erste Kind auf? Meiner Meinung nach wäre das ein Grund mehr, Jess bei sich zu behalten.“ Ellen hängte Lamettagirlanden an Haken. „Sie könnte fürs Leben gezeichnet sein. Glücklicherweise hat sie Tyler und den Rest der O’Neils. Möchtest du Dekoration, Liebes? Ich habe dieses Jahr eine große Auswahl.“

„Nein danke, Ellen. Ich dekoriere nichts. Und Jess ist nicht fürs Leben gezeichnet. Sie ist ein wunderbares Mädchen.“ Loyal und diskret, wie Brenna war, versuchte sie das Gespräch in eine andere Richtung zu steuern. Sie erwähnte weder die Unsicherheit noch eines der anderen Probleme, unter denen Jess bei der Eingewöhnung gelitten hatte. „Weißt du, dass sie es ins Highschool-Skiteam geschafft hat? Sie hat wirklich Talent.“

„Sie ist ganz die Tochter ihres Vaters. Ich erinnere mich noch an jenen Winter, als Tyler das Dach des alten Mitch Sommerville mit Skiern runtergefahren ist.“ Lächelnd stellte Ellen einen breit grinsenden Weihnachtsmann ins Regal. „Er wurde natürlich verhaftet, aber mein George sagte immer, er hätte noch nie eine so furchtlose Person in den Bergen gesehen. Außer dir natürlich. Ich sah immer, wie ihr euch weggeschlichen habt, wenn ihr in der Schule sein solltet.“

„Ich? Du musst mich verwechseln, Ellen.“ Brenna grinste. „Ich habe mich nie im Leben von der Schule weggeschlichen.“

„Seine Karriere so beenden zu müssen, dürfte ein echter Schlag für Tyler gewesen sein. Zumal er gerade ganz oben war.“

Brenna, die lieber nackt in ein Eisloch gesprungen wäre, als über das Privatleben eines anderen Menschen zu spekulieren, versuchte verzweifelt, das Thema zu wechseln. „Es gibt jede Menge Dinge, die ihn hier in Snow Crystal beschäftigt halten. Die Buchungszahlen sind hoch. Sieht so aus, als könnte es ein arbeitsreicher Winter werden.“

„Schön, das zu hören. Diese Familie verdient es. Keiner war überraschter als ich, als wir hörten, dass das Unternehmen in Schwierigkeiten steckte. Die O’Neils lebten hier schon, als ich noch gar nicht geboren war. Aber Jackson scheint das Ruder herumgerissen zu haben. Es gab Leute hier, die es für einen Fehler hielten, als er all das Geld für schicke Blockhütten mit Whirlpool ausgab, doch wie sich herausgestellt hat, wusste er, was er tat.“

„Ja.“ Brenna sammelte die paar Dinge ein, die sie brauchte, und fragte sich, ob es tatsächlich so etwas wie ein Privatleben geben konnte, wenn man in einer Kleinstadt lebte. „Er ist ein guter Geschäftsmann.“

„Er wusste schon immer, was er wollte. Und dieses Mädchen, das er da hat –“

„Kayla?“

„Sie trägt ihr Herz auf dem rechten Fleck, auch wenn sie hier mit diesen glänzenden Schuhen hereinkommt, die nach New York aussehen.“

Brenna legte Milch in ihren Korb. „Sie ist Britin.“

„Das merkt man erst, wenn sie den Mund aufmacht. Nimm von diesen Schokoladenkeksen, solange du da bist. Sie sind köstlich. Nicht, dass es euch in Snow Crystal an guten Dingen zu essen fehlen würde, wo doch Elise die Küchenchefin ist. Jetzt, wo Jackson und Sean unter der Haube sind, ist Tyler als Nächstes dran.“

Brenna ließ das Konservenglas fallen, das sie in der Hand hielt. Es zerbrach, und der Inhalt verteilte sich über den Boden. Mist! „Oh, Ellen. Das tut mir so leid. Ich mache das sauber. Hast du einen Wischmopp?“ Verärgert über sich selbst, hockte sie sich hin, um die Scherben einzusammeln, doch Ellen bedeutete ihr, wieder aufzustehen.

„Lass das! Ich möchte nicht, dass du dich schneidest. Es gab mal eine Zeit, in der ich dachte, dass ihr zwei zusammenkommen würdet. Ihr wart unzertrennlich.“

Doppelter Mist!

„Wir waren Freunde, Ellen.“ Dieses Gespräch war das Letzte, was sie brauchte. „Und wir sind immer noch Freunde.“

Als sie den Laden schließlich verließ, war sie erschöpft davon, dem Klatsch auszuweichen und an Tyler zu denken.

Sie fuhr zurück nach Snow Crystal und parkte den Wagen vor dem Outdoor-Center neben Seans leuchtend rotem Sportwagen. Es schneite noch immer, auf dem Weg lag bereits eine fünfzehn Zentimeter dicke weiße Pulverschicht. Die Temperaturen waren gefallen, und es sah nach noch mehr Schnee aus. Was für Snow Crystal eine gute Nachricht war, weil die Schneemengen in direktem Bezug zu der Anzahl der Weihnachtsbuchungen standen.

Und sie brauchten diese Buchungen.

Trotz allem, was sie zu Ellen gesagt hatte, wusste sie, dass das Resort noch immer darum kämpfte, sich über Wasser zu halten. Der Bau der Blockhütten, jede mit einem eigenen Whirlpool und dem Blick auf den See und in die Wälder, war teuer gewesen. In den letzten zwei Jahren hatten mehr Hütten leer gestanden als reserviert gewesen waren. Die Lage verbesserte sich allmählich, doch sie hatten noch immer zu viele Leerstände.

Brenna trampelte sich den Schnee von den Stiefeln, stieß die Tür auf und wurde von einer angenehmen Wärme umfangen. Sie ging weiter zu dem friedlichen, ruhigen Spa-Bereich. Das Licht war gedämpft, die Wände hatte man in einem beruhigenden Ozeanblau gestrichen. Im Hintergrund spielte leise Musik, und die Luft war erfüllt von dem Duft verschiedener Aromatherapie-Öle. Sie kitzelten in ihrer Nase, aber sie war auch nie eine gewesen, die herumlag und sich von jemandem, den sie nicht kannte, mit Öl einreiben ließ. Es schien ihr etwas Intimes zu sein. Etwas, das ein Liebhaber vielleicht tat, aber nicht ein Fremder.

Nicht dass Liebhaber in ihrem Leben eine große Rolle spielen würden.

Christy, die im Sommer für den Spa-Bereich eingestellt worden war, sah von ihrem Schreibtisch auf. Ein Minitannenbaum blinkte von der Ecke des Tisches. „Schneit es draußen immer noch?“ Sie war der Typ kühle Blondine. Ihrer Ausbildung zur Physiotherapeutin hatte sie die Massage und die Aromatherapie zu der bereits eindrucksvollen Liste ihrer Qualifikationen hinzugefügt. „Du hattest einen langen Tag. Geht es zu Beginn der Wintersaison immer so verrückt zu?“

„Auf jeden Fall gibt es viel zu planen und vorzubereiten.“ Brenna zog sich die Mütze vom Kopf, wobei etwas Schnee zu Boden fiel. „Sind alle bereit?“

„Wir warten noch auf Elise und –“

Merde, ich bin zu spät.“ Elise, die Küchenchefin, stürzte wie ein Wirbelwind herein. „Wir sind ’eute Abend im Restaurant ausgebucht, und dann ist da noch eine Party für dreißig Personen, die das Bootshaus für ein Jahrestreffen gebucht ’aben. Ich ’abe keine Zeit ’ierfür. Und ich kenne meinen Plan für die Wintersaison sowieso. Er besteht darin, den Leuten das beste Essen zu servieren, das sie je probiert haben. Ich sehe dich morgen als Erstes im Fitnessraum, Brenna. Tut mir leid, dass ich ’eute Morgen nicht da war. Es ist das erste Mal seit Monaten, aber in der Küche war der Teufel los.“

„Es ist Weihnachten, und dein Restaurant ist der einzige Teil des Resorts, der nie in Schwierigkeiten war.“ Brenna stopfte ihre Mütze in die Tasche. „Du bist gestresst. Du lässt das H nur dann weg, wenn du gestresst bist.“

„Natürlich bin ich gestresst. Ich arbeite für acht, und nun soll ich auch noch in einem Meeting sitzen.“ Empört schritt Elise leichtfüßig wie eine Tänzerin davon, ihr glänzendes dunkles Haar schwang um ihr Kinn.

Christy hob die Augenbrauen. „Hat sie zu viel Kaffee getrunken?“

„Nein, sie ist Französin.“ Brenna blickte aus dem Fenster. „Ich habe Seans Wagen gesehen, also nehme ich an, dass alle da sind?“

„Alle außer Tyler. Er fehlt noch. Ich habe ihm eine Nachricht geschrieben, doch er hat nicht geantwortet.“

„Vermutlich hat er sein Telefon stumm gestellt. Das macht er oft. Früher hat er jeden Monat seine Telefonnummer gewechselt, damit ihn die Frauen nicht ständig anriefen.“

„Das überrascht mich nicht. Der Mann ist so unglaublich heiß, dass ich den Rauchmelder abschalte, sobald er durch die Tür kommt. Ich sah ihn heute Morgen im Fitnessraum, was mich überraschte, weil er sonst den in seinem Haus benutzt. Der Kerl könnte beim Bankdrücken ein ganzes Auto hochheben.“ Christy wedelte sich demonstrativ Luft zu. „Ich überlege, ob ich seinen Namen mit auf die Liste der Attraktionen von Snow Crystal setzen soll.“

„Er steht bereits auf der Liste. Kayla hat ihn zu einigen Vorträgen zum Thema Motivation überredet, und gelegentlich gibt er den Führer für erfahrene Skifahrer, die gerne viel Geld bezahlen, um einmal mit Tyler O’Neil Ski zu fahren.“ Und sie wusste, dass er das hasste. Ruhm oder Bewunderung interessierten ihn nicht, sondern nur, wie man so schnell wie möglich einen Berg hinunterfuhr. Er wollte über das, was er tat, nicht reden, er wollte es einfach nur tun. Andere Menschen schienen das nicht zu verstehen, sie schon. Sie verstand seine Liebe zum Schnee und zur Geschwindigkeit. „Er wird auftauchen, wenn er bereit ist, wie er das immer tut. Er funktioniert nach seinen eigenen Regeln, in seiner eigenen Zeit.“

„Ich mag das an ihm. Das ist ein sehr attraktiver Charakterzug. Ich schätze, du bist daran gewöhnt. Du kennst die O’Neils schon dein ganzes Leben. Vermutlich sind sie wie Brüder für dich.“

Was sollte sie darauf antworten? Zwei der O’Neil-Brüder waren wie Geschwister für sie, das stimmte. Was den dritten betraf – sie hatte sich schon lange mit der Tatsache abgefunden, dass Tyler O’Neil ihre Gefühle nicht erwiderte, und sie hatte auf die harte Art lernen müssen, dass Träumereien die Sache nur schlimmer machten. Als Kinder waren sie unzertrennlich gewesen. Als Erwachsene … nun, die Dinge hatten sich nicht so entwickelt, wie sie sich das einst erhofft hatte, doch sie hatte sich daran gewöhnt, damit zu leben und sich nicht nach etwas zu sehnen, das nie geschehen würde. Sie stand mit beiden Beinen auf der Erde, und wenn ihre Gedanken auch nur in die Richtung wanderten, ermahnte sie sich selbst zur Vernunft.

„Du hast Glück!“ Christy legte einen Stapel frisches Papier in den Drucker. „Du darfst jeden Tag mit dem Kerl arbeiten.“

Und das sollte eigentlich schwierig sein. Als sie Jacksons Angebot als Leiterin des Outdoor-Programms angenommen hatte, hatte sie nicht gewusst, dass sie mit Tyler arbeiten würde.

Aber es war nicht schwierig.

Denn mit Tyler zu arbeiten gehörte zu den Dingen, die sie an ihrem Job am meisten liebte. Sie konnte die Tage mit dem Mann ihrer Träume verbringen.

Sie hatte versucht, sich selbst zu kurieren. Sie hatte sich mit anderen Männern getroffen, hatte sogar in Übersee gearbeitet, doch Tyler war tief in ihrem Herzen verankert. Und sie hatte schon lange akzeptiert, dass sich das nicht ändern würde. Wenn es sie in all den Jahren geschmerzt hatte, ihn mit anderen Frauen zu sehen, tröstete sie sich mit der Tatsache, dass die Frauen in seinem Leben kamen und gingen, wohingegen ihre Freundschaft für immer blieb.

„Wie läuft es mit dem Spa? Wirst du über Weihnachten viel zu tun haben?“

„Sieht so aus.“ Christy tippte etwas in den Computer ein, wobei ihre perfekt manikürten Nägel auf der Tastatur klickten. Ihr glänzendes blondes Haar umschmeichelte ihre ebenmäßigen Wangen. „Ich bin für die Weihnachtswoche komplett ausgebucht.“

„Du machst deine Arbeit gut, Christy.“ Brenna fragte sich, wie lange man brauchte, um so gepflegt auszusehen wie Christy. Sie selbst hatte als Kind kaum lange genug ruhig gesessen, dass ihre Mutter ihr die Haare kämmen konnte. Sie hatte Schleifchen und Haarreifen und glänzende Schuhe gehasst. Für ihre Mutter, die sich ein kleines Mädchen gewünscht hatte, das Rosa trug und still mit Puppen spielte, war das eine große Enttäuschung gewesen. Doch Brenna wollte nur Bäume hinaufklettern und mit den O’Neil-Brüdern im Dreck spielen. Sie beneidete die Jungen um die Freiheiten in ihrem Leben und um ihre Familie, die sie so nahm, wie sie waren, und sie in jeder Hinsicht unterstützten.

Die O’Neil-Brüder mussten keine speziellen Regeln befolgen oder sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, um geliebt zu werden.

Sie hatte alles tun wollen, was sie taten, ob sie nun auf Bäume kletterten oder steile Pisten hinabfuhren. Es war ihr egal gewesen, wie dreckig und unordentlich sie war, und ebenso gleichgültig war es ihr, wenn sie mit aufgeschürften Knien und zerrissener Kleidung nach Hause kam. Mit den O’Neil-Jungen fühlte sie sich auf eine Weise akzeptiert, wie sie das zu Hause oder in der Schule nicht spürte.

„Trifft sich Tyler eigentlich im Moment mit jemandem?“ Christys Ton war ganz beiläufig. „Ich schätze, die Frauen stehen Schlange.“

„Er ist nicht gerade bekannt für dauerhafte Beziehungen.“

„Klingt ganz nach meinem Typ.“ Christy gab ein paar Zahlen in eine Tabelle ein. „Ich liebe sie wild. Umso mehr Spaß macht es, wenn man sie zähmt.“

„Ich bin nicht sicher, ob man Tyler zähmen kann.“ Und sie wollte auch nicht, dass er gezähmt wurde. Brenna wollte gar keine andere Version von ihm. Sie wollte ihn so, wie er war.

„Was macht so ein Kerl wie er hier? Ich meine, Snow Crystal ist wunderschön, aber es ist eben mehr ein Familien-Resort als ein Treffpunkt der Reichen und Berühmten.“

„Tyler liebt Snow Crystal. Er ist hier aufgewachsen. Und das hier ist ein Familienunternehmen. Er tut, was er kann, um zu helfen.“ Und sie wusste, dass es ihn fast umbrachte, keine Rennen mehr zu fahren. „Wenn in den nächsten Tagen noch mehr Schnee fällt, werden vielleicht noch ein paar Leute mehr buchen. Ich weiß, dass Kayla schon Angebote vorbereitet.“

„Ja, ich arbeite mit ihr an einem Programm für Nichtskifahrer. Und apropos Kayla –“, Christy kramte in ihrer Schreibtischschublade herum. „Kannst du ihr das hier geben? Es kam heute Morgen, und ich vergaß, ihr Bescheid zu sagen. Es ist Nagellack. Die Farbe nennt sich Ice Crystal. Sie will ihn bei einer Promotion tragen. Hat sie mit dir über ihre Pläne für eine Eisparty gesprochen?“

„Nein.“

„Sie plant ein vorweihnachtliches Event für die Anwohner und die Gäste. Eine Eisparty eben. Feuerstellen, Eisskulpturen, Schlittenhunde, Essen, heiße Getränke, Feuerwerk – es klingt großartig.“

„Ich kann es kaum erwarten, mehr zu hören. Bist du beim Meeting nicht dabei?“

„Nein. Wir sind heute nur zu zweit. Angie hat die Grippe, sodass ich Telefondienst mache. Und ich weiß sowieso nicht, ob ich all das O’Neil-Testosteron in einem Raum aushalten würde. Was hältst du von dem Nagellack? Er ist hübsch, meinst du nicht? Perfekt für die Weihnachtssaison.“

Brenna drehte die Flasche hin und her und sah den Glitter darin im Licht funkeln. „Ich habe die meiste Zeit dicke Fausthandschuhe an, oder ich breche mir meine Nägel ab, wenn ich die Skier durch das Resort schleife. Insofern kann ich nicht behaupten, dass Ice Crystal irgendeine Rolle in meinem Leben spielen wird, aber ja, er funkelt schön.“

Der Nagellack gehörte zu den Dingen, die ihre Mutter gerne an ihr sehen würde.

„Du solltest morgens, bevor es hier losgeht, reinkommen und eine Anwendung genießen. Geht auf mich. Ich könnte dir die Muskelschmerzen wegmassieren. Und du musst mir erzählen, was du mit deinem Haar machst. Es glänzt so. Ich möchte eine Flasche von dem was auch immer es ist, das du da benutzt.“ Christys Miene veränderte sich von freundlich zu katzenhaft, als sich die Tür öffnete und ein Schwall kalter Luft hereindrang. Sie strich sich durch ihr glattes blondes Haar und lächelte. „Hi!“

Brenna brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, wer hereingekommen war. Jeder der drei O’Neil-Brüder konnte eine Frau veranlassen, sich aufrechter hinzusetzen und ihre Lippen zu befeuchten, doch da zwei von ihnen bereits im Besprechungsraum saßen, wusste sie genau, wer hinter ihr stand.

Ihr Herz machte ebenso wie ihre Laune einen Sprung, wie das immer geschah, wenn Tyler einen Raum betrat.

„Hi, Bren.“ Tyler klopfte ihr mit der gleichen beiläufigen Zuneigung auf die Schulter, wie er das bei seinen Brüdern tat. Seine Aufmerksamkeit galt Christy, die mit den Wimpern klimperte.

„Du bist spät, Tyler. Alle anderen sind schon da.“

„Das Beste kommt zum Schluss.“ Er zwinkerte ihr zu. „Wie läuft es hier im Zentrum der Schönheit?“

Brenna beobachtete, wie Christys Wangen sich ein wenig röteten. Das passierte allen Frauen, denen Tyler O’Neil zulächelte. Er strömte Energie aus, und die Kombination aus seinem dunklen, gut aussehenden Typ, männlicher Vitalität und beiläufigem Charme erwies sich als unwiderstehlich.

„Es läuft gut.“ Christy beugte sich vor, um ihre grünen Augen und ihr Dekolleté zur Geltung zu bringen. „Wir haben mehr zu tun als letztes Jahr, und Kayla und ich haben ein paar großartige Ski- und Spa-Angebote ausgearbeitet. Wenn du mal eine Massage brauchst, lass es mich wissen.“ Sie flirtete leichthin, ganz natürlich, wie die meisten Frauen, wenn sie Tyler begegneten.

Brenna war ein hoffnungsloser Fall beim Flirten. Ihr fehlte dieser spezielle Blick, dieses spezielle Lächeln – doch vor allem fehlten ihr die spielerischen Worte.

Christy nutzte ihre Worte wie ein Lasso, das sie auswarf, um ihn wie ein wildes Pferd, das gezähmt werden sollte, zu sich heranzuziehen.

Während sie das Geplänkel beobachtete, fühlte sich Brenna, als würde man ihr Herz zusammenquetschen.

Sie wollte sich lautlos auf den Weg zum Besprechungsraum machen, als Tyler sie am Arm festhielt.

„Hast du die Wettervorhersage gehört?“ Seine Augen leuchteten vor Erwartung, und sie nickte, weil sie wusste, was er meinte.

„Starker Schneefall. Gut fürs Geschäft.“

„Pulverschnee. Gut für uns. Wie wär’s? Tiefer Schnee, abseits der Piste, und nur wir zwei ziehen Spuren, wie wir es schon getan haben, als wir Kinder waren.“ Seine Stimme war sanft, schnurrend, und sie spürte, wie ihre Knie weich wurden wie so oft, wenn er so dicht vor ihr stand.

Sie tröstete sich mit dem Umstand, dass sie hier etwas mit ihm teilte, das Christy nicht konnte. Sie mochte vielleicht nicht in der Lage sein zu flirten, doch Brenna konnte Ski fahren. Und zwar gut. Sie war einer der wenigen Menschen, die meistens mit ihm mithalten konnten.

Ellen hatte recht, dass sie den Unterricht geschwänzt hatte.

Einmal war ihre Mutter deswegen zur Schule zitiert worden. Die angespannte Atmosphäre, die danach zu Hause geherrscht hatte, war diese glückseligen Stunden mit Tyler wert gewesen, in denen sie getan hatten, was sie am meisten liebten.

Doch nun gab es nichts mehr zu schwänzen.

Sie trugen beide Verantwortung. „Ich werde mich hinten anstellen müssen. Wir haben eine Warteliste von Kunden, die bereit sind, viel Geld zu bezahlen, um mit dir im Pulverschnee zu fahren.“

Sein Lächeln erstarb. „Ich Glücklicher.“ Er ließ die Hand fallen und wandte sich wieder Christy zu, der es in der kurzen Zeit, in der Tyler sich umgedreht hatte, irgendwie gelungen war, neuen Lipgloss aufzutragen.

Sie lächelte breit, damit er es bewundern konnte. „Ich schätze, du freust dich darauf, diese Pisten hinunterzurasen. Ich habe neulich eine Aufzeichnung von deinem Goldmedaillen-Lauf im Fernsehen gesehen. Du warst unglaublich schnell.“

Brenna, die wusste, welch ein sensibles Thema das war, blickte rasch zu Tyler, doch seine Miene änderte sich nicht. Es gab nichts in diesem verteufelt gut geschnittenen Gesicht, das darauf hindeutete, dass die Situation schwierig war für ihn.

Doch sie wusste, dass es so war, denn Tyler O’Neil hatte dafür gelebt, Rennen zu fahren.

Seit er zum ersten Mal auf Skiern gestanden hatte, war er der Geschwindigkeit und dem durch die Abfahrt verursachten Adrenalinkick verfallen. Es war seine Leidenschaft. Manche hätten vielleicht sogar Sucht gesagt.

Und dann war er gestürzt.

Bei dem Gedanken an jenen Tag drehte sich ihr der Magen um. Sie erinnerte sich noch gut an die qualvolle Wartezeit, bis sie endlich erfuhren, ob er noch am Leben war.

Die ganze Familie hatte ihn vor Ort anfeuern wollen, und da sie damals für Jackson in Europa gearbeitet hatte, war sie ebenfalls dort gewesen. Sie standen auf der Haupttribüne, sahen zu, wie die Skifahrer mit Höchstgeschwindigkeit herunterrasten, und warteten auf Tyler. Statt sie alle zu schlagen und die Saison triumphal zu beenden, war er gestürzt und hatte seine Karriere als Abfahrtsläufer für immer beendet. Er kam ins Trudeln, verdrehte sich das Bein und schlug hart auf, bevor er die fast senkrechte Piste hinunterrutschte und in einem Auffangnetz hängenblieb. Wie alle Skifahrer war er früher auch schon gestürzt, doch dieser Sturz war anders.

Den Schreien der Zuschauer folgte ein aufgeregtes Gemurmel und dann die angstvolle Stille und atemlose Qual des Wartens.

In der Menschenmenge gefangen, konnte Brenna nichts anderes tun, als hilflos mit anzusehen, wie man den schwer verletzten Tyler mit einem Hubschrauber abtransportierte. Als sie das Blut auf dem Schnee sah, schloss sie die Augen, atmete die eisige Luft ein und betete, wer auch immer ihr zuhören mochte: Bitte lass ihn leben. Und sie gab sich selbst das Versprechen, dass sie, wenn er überlebte, aufhören würde, sich das Unmögliche zu wünschen.

Sie würde aufhören, sich zu wünschen, was sie nicht haben konnte.

Sie würde aufhören zu hoffen, dass er ihre Gefühle erwiderte.

Sie würde aufhören zu hoffen, dass er sich in sie verliebte.

Sie würde sich niemals wieder über irgendetwas beklagen.

Während sie mit dem Rest seiner Familie auf Neuigkeiten wartete, sagte sie sich, dass es ihr egal war, mit wem er zusammen sein würde, Hauptsache, er war am Leben.

Doch natürlich war dieses Versprechen, das sie in den verzehrenden Stunden der Angst gegeben hatte, nicht einfach zu halten gewesen. Noch weniger jetzt, da sie jeden Tag miteinander arbeiteten.

Sie hatte seine Frustration miterlebt, als er gezwungen war, seine heiß geliebte Rennkarriere aufzugeben. Er verbarg seine Gefühle zwar unter einer Bad-Boy-Haltung, doch sie wusste, wie sehr es ihn schmerzte. Sie wusste, wie sehr er sich danach sehnte, wieder Rennen zu fahren.

Er war ein begnadeter Sportler, und es machte sie traurig, ihn an der Seitenlinie stehen oder beim Training von Kindern zu sehen.

Es war, als würde man ein verletztes Rennpferd beobachten, das in der Reithalle gefangen war, dabei wollte es doch einfach nur auf der Bahn laufen, um zu siegen.

Sie hatte keinen Laut von sich gegeben, doch er wandte den Kopf und sah sie an.

Er hatte die Augen der O’Neils, dieses leuchtende tiefe Blau, das sie an den Himmel an einem perfekten Skitag erinnerte. Ein Knoten bildete sich in ihrem Magen, und sie empfand eine gefährliche Vertrautheit. Weder Jackson noch Sean hatten diese Wirkung auf sie. Nur Tyler. Für einen Moment glaubte sie, etwas in der Tiefe seiner blauen Augen aufflackern zu sehen, bevor er ihr ein träges Lächeln schenkte.

„Bist du fertig, Bren? Wenn ich schon vor Langeweile sterbe, möchte ich es wenigstens nicht allein tun.“

Egal wie schlecht der Tag war, Tyler brachte sie immer zum Lachen. Sie liebte seinen schwarzen Humor und seine Gleichgültigkeit gegenüber Autoritäten. Wenn er etwas tat, dann deshalb, weil es für ihn Sinn ergab, weil er daran glaubte, und nicht, weil es den Regeln entsprach.

Da sie selbst mit vielen Regeln aufgewachsen war, beneidete sie ihn um die Entschlossenheit, sein Leben nach seinen eigenen Bedingungen zu leben. Er hatte etwas Wildes in sich, doch seine Karriere als Abfahrtsläufer hatte seine Lust an der Gefahr befriedigt und ihm ein Ventil für seine überschüssige Energie geboten. Wie er mit dieser Wildheit umgegangen wäre, wenn er nicht Skifahrer geworden wäre, war ein Quell für endlose Spekulationen sowohl im Dorf als auch im Weltcup-Umfeld.

Er warf Christy ein letztes Lächeln zu und schlenderte dann Richtung Besprechungsraum – ein Meter neunzig purer Sex-Appeal und umwerfender Charme.

Brenna folgte ihm ein wenig langsamer und hämmerte sich ihr selbst gegebenes Versprechen ein.

Sie standen am Beginn der Saison. Sie musste so anfangen, wie sie auch weitermachen wollte – indem sie realistisch über ihre Beziehung zu Tyler dachte.

Er betrachtete sie als „einen der Jungs“. Als Skikumpel. Selbst zu den seltenen Gelegenheiten, wenn sie sich hübsch machte und hochhackige Schuhe zum engen Kleid trug, blickte er nicht einmal in ihre Richtung. Was nicht so ärgerlich wäre, wenn er nicht fast jede andere Frau anschauen würde, die ihm über den Weg lief.

Sie war vermutlich das einzige Mädchen in ganz Vermont, das Tyler O’Neil noch nicht geküsst hatte.

Im Hintergrund hörte sie das Telefon klingeln. Hörte, wie Christy abnahm und sich perfekt in professionellem Ton meldete. „Snow Crystal Spa, hier spricht Christy, wie kann ich Ihnen helfen?“

Das kannst du nicht, dachte Brenna elend. Niemand kann mir helfen.

Sie liebte Tyler schon ihr ganzes Leben lang, und nichts, was sie tat oder nicht tat, hatte das je ändern können. Nicht einmal als er Janet Carpenter geschwängert hatte und sie sich fühlte, als ob man ihr das Herz entzweigerissen hätte.

In der Hoffnung, Abstand zu ihm zu gewinnen, hatte sie einen Job auf einem anderen Kontinent angenommen. Sie hatte Verabredungen mit anderen Männern gehabt und geglaubt, dass das helfen würde. Doch sie war zu dem Schluss gekommen, dass es offenbar keinen Abstand gab. Ihre Gefühle waren tief und beständig.

Sie war dazu verdammt, Tyler O’Neil für immer zu lieben.

2. KAPITEL

Tyler lümmelte auf einem Stuhl in der Ecke des Raums und hörte nur halb zu, als Jackson und Kayla ihre Pläne für die Wintersaison präsentierten. Diese Art, den Abend zu verbringen, schätzte er ganz und gar nicht, und er musste sich zwingen, sich zu konzentrieren, während die beiden sich durch die Schaubilder klickten, die angestrebte Buchungen, Besucherzahlen und das Verhältnis von Stammgästen zu neuen Gästen zeigten. Doch nach einer Weile verschwamm alles vor seinen Augen, und er schaltete tief gelangweilt innerlich einfach ab.

Wenn er das Wort Cashflow nie wieder hören sollte, würde er das kaum bedauern.

Er hätte in Europa sein sollen, um sich mit seinem Team Aufzeichnungen anzusehen oder Pläne zu schmieden mit Chas, seinem Skitechniker, dessen Kompetenz und magisches Händchen für Kanten, Beschichtungen und Wachs Tylers Zeit um Sekunden gedrückt hatte. Sie waren ein Erfolgsteam gewesen, doch es war nicht nur der Erfolg, den Tyler vermisste. Es waren die Erwartung, der Rausch der Schnelligkeit, die Hundertstelsekunden, in denen man fast die Kontrolle verlor, während man in einer Geschwindigkeit die Piste hinunterraste, die die meisten Menschen nicht einmal mit dem Auto erreichten.

Es war sein Leben gewesen, und dieses Leben hatte sich von einer Sekunde zur anderen verändert.

Glücklicherweise hatte ihn die Nachricht, dass sein Knie den Kräften bei Weltcup-Skirennen nicht mehr standhalten würde, zugleich mit der Neuigkeit erreicht, dass Jess bei ihm wohnen würde, sodass er sich wenigstens auf etwas anderes hatte konzentrieren können.

Seine Gedanken wanderten zu seiner Tochter und dem Gespräch, das sie geführt hatten.

Er konnte der Tatsache, dass sie kein Kind mehr war, nicht länger ausweichen.

Sie war ein Teenager.

Alles veränderte sich. Wie viel genau wusste sie über sein Sexleben? Wie viel wusste sie überhaupt über Sex?

Schweiß brach ihm im Nacken aus, und er rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Sein Unbehagen war fast körperlich zu spüren.

In welchem Alter sollte man ein solches Gespräch führen? Er hatte keine Ahnung. Er hatte von dem allen keine Ahnung.

Und was passierte da in der Schule? Er wusste es nicht, aber es lag auf der Hand, dass irgendetwas nicht stimmte.

Er musste mehr Zeit mit ihr verbringen, und die leichteste Art, das zu tun, bestand darin, sich auf ihr Skifahren zu konzentrieren.

Ans Skifahren zu denken half ihm, sich zu entspannen. Zumindest damit war er vertraut.

Sie war gut auf Skiern, doch da sie in Chicago aufgewachsen war und dazu mit einer Mutter, die alles hasste, was mit dem Skifahren zusammenhing, mangelte es ihr an Erfahrung und Praxis. Irgendwie musste er ihr dazu verhelfen, während er gleichzeitig seinen Verpflichtungen im Familienunternehmen nachkam. Sie brauchte mehr Stunden am Berg mit jemandem, der fähig war, sie zu coachen.

Er wusste, dass er fähig war, wenn auch nicht geduldig genug.

Trotzdem hob sich angesichts der Aussicht, sie zu trainieren, seine Laune. Er mochte vielleicht keine Rennen mehr fahren können, doch er konnte mit seiner Tochter Ski fahren. Er erkannte sich in ihr wieder, was vermutlich der Grund gewesen sein dürfte, warum ihre Mutter sie im vergangenen Winter beinahe hinausgeworfen hatte. Janet hatte alles versucht, um Jess den O’Neil-Anteil auszutreiben, doch es hatte nicht funktioniert.

Stolz vermischte sich mit schwelendem Ärger.

Die Carpenter-Familie hatte ein Vermögen für clevere Anwälte ausgegeben, um sicherzustellen, dass Janet das Sorgerecht für Jess bekam. Zwölf Jahre lang hatte er sich damit abfinden müssen, sie nur in den Sommerferien und zu Weihnachten zu sehen, doch dann war Janet wieder schwanger geworden. Ein neues Baby und die beginnende Pubertät von Jess waren eine ungute Kombination, die darin gipfelte, dass Janet ihre Tochter zu ihm geschickt hatte, damit sie bei ihm lebte.

Tyler war hin und her gerissen zwischen der Erleichterung und der Freude, dass Jess endlich dort war, wo er sie immer hatte haben wollen, und der Wut und der Empörung, dass Janet das Kind einfach fortgeschickt hatte.

Was ihn anging, war Familie einfach Familie, und das blieb auch so, selbst wenn die Dinge schwierig wurden. Man konnte nicht einfach kündigen oder sich zurückziehen. Flucht war keine Option. Er war achtzehn gewesen, als Janet ihm eröffnete, dass ihre einzige Begegnung zu einer Schwangerschaft geführt hatte, und egal welche Gefühle das in der O’Neil-Familie damals auslöste – er hatte niemals an deren Unterstützung zweifeln müssen.

Die Carpenter-Familie war weniger tolerant gewesen, und Janet hatte ihm nie verziehen, dass er sie geschwängert hatte. Sie gab ihm die ganze Schuld, als wäre nicht sie diejenige gewesen, die an jenem Tag nackt und nur mit einem Lächeln in die Scheune gekommen war. Und diese Schuldzuweisung hatte ihre Beziehung zu ihrer Tochter geprägt. Es wunderte ihn nicht, dass Jess nach Snow Crystal gekommen war und sich unsicher, ungewollt und verletzlich gefühlt hatte.

„Was meinst du, Tyler?“

Als er begriff, dass man ihm eine Frage gestellt hatte, die er nicht gehört hatte, wachte Tyler auf und sah seinen Bruder an. „Ja, macht das. Großartige Idee.“

„Du hast keine Ahnung, wovon ich rede.“ Jackson verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn eindringlich an. „Das hier ist wichtig. Du könntest versuchen, mehr Aufmerksamkeit zu zeigen.“

Tyler unterdrückte ein Gähnen. „Du könntest versuchen, weniger langweilig zu sein.“

„Das Highschool-Skiteam hat einen Trainer zu wenig. Das Team verliert öfter, als dass es gewinnt. Sie baten uns um Hilfe.“

„Ich sagte, weniger langweilig.“

Sein Bruder ignorierte ihn. „Ich versprach, dass wir an der Schule für ein paar Stunden aushelfen würden. Wir können Theorie-Unterricht geben und das Wachsen zeigen.“

„Wachsen?“ Kayla hob die Augenbrauen. „Wir reden noch immer vom Skifahren, oder? Nicht von Kosmetik?“

Tyler warf ihr einen Blick zu. „Seit wann lebst du hier eigentlich?“

„Lange genug, um genau zu wissen, wie ich dich auf die Palme bringe.“ Lächelnd notierte sich Kayla etwas auf ihrem Smartphone. „Dem Highschool-Team zu helfen ist gut für unser Image. Das kann ich hier vor Ort gut einsetzen.“

Tyler starrte mürrisch auf seine Füße und wartete darauf, dass sie ihn baten, es zu tun.

Er war einmal mit den Besten der Welt Ski gefahren.

Jetzt würde er ein ständig verlierendes Highschool-Team trainieren.

Bedauern und tiefe Enttäuschung erfassten ihn, dazu eine Sehnsucht, die keinen Sinn ergab. Was geschehen war, war geschehen.

Er wollte schon einen flapsigen Kommentar abgeben in der Art, dass er jetzt wohl endlich ganz oben angekommen war, als Jackson sagte: „Wir dachten, Brenna könnte das übernehmen.“

Brenna bot sich dafür geradezu an. Sie war geprüfte Skilehrerin mit Level drei, dem höchsten Niveau, und eine begnadete Trainerin. Sie war geduldig mit Kindern und fordernd mit erfahrenen Skifahrern.

Als Tyler sie ansah, bemerkte er, wie sich ihre Miene veränderte, ihre Schultern sich versteiften. Man musste kein Experte für Körpersprache sein, um zu erkennen, dass sie es nicht tun wollte.

Und er wusste, warum.

Er wartete darauf, dass sie widersprach, doch stattdessen lächelte sie angespannt.

„Natürlich. Kayla hat recht. Das ist gute Publicity und gut für unseren Ruf.“ Sie gab die Antwort, die Jackson haben wollte, und hörte zu, während er die Details erklärte. Doch von dem Lächeln, das sie eben noch aufgesetzt hatte, war keine Spur mehr zu sehen. Stattdessen starrte sie aus dem Fenster über den schneebedeckten Wald zu den Gipfeln dahinter.

Tyler fragte sich, warum sein Bruder die mangelnde Begeisterung in ihrer Antwort nicht bemerkt hatte, und entschied, dass Jackson wohl zu sehr damit beschäftigt war, das Familienunternehmen über Wasser zu halten, um solche Kleinigkeiten zu registrieren. Zum Beispiel ihre hochgezogenen Schultern.

Er verspürte einen Anflug von Ärger.

Warum ergriff sie nicht das Wort und sagte, was sie fühlte?

Er wusste genau, dass sie es nicht tun wollte. Im Gegensatz zu den meisten Frauen, denen er begegnete, fand er, dass Brenna einfach zu verstehen war. Ihr Gesichtsausdruck entsprach ihrer Stimmung. Er wusste, wann sie glücklich war, er wusste, wann sie sich auf etwas freute, er wusste, wann sie müde und übellaunig war. Und er wusste, wann sie unglücklich war. Und sie fühlte sich jetzt unglücklich angesichts der Neuigkeit, dass sie das Highschool-Team trainieren sollte.

Und er wusste auch, warum.

Sie hatte die Schule gehasst. Ebenso wie er hielt sie das Ganze für Zeitverschwendung. Sie wollte nur in die Berge und Ski fahren, und das so schnell, wie sie konnte. Der Unterricht stand dem im Weg. Tyler war es genauso ergangen, weshalb er Jess nur zu gut verstehen konnte. Er wusste genau, wie es sich angefühlt hatte, in einem Klassenraum gefangen zu sein, über Büchern zu schwitzen, die keinen Sinn ergaben und so schwer und langweilig waren wie alte Ziegel.

Doch in Brennas Fall hatten sie nicht die Liebe zu den Bergen oder die Abneigung gegen Algebra dazu gebracht, die Schule zu schwänzen, sondern etwas viel Hinterhältigeres und Gemeineres.

Sie war gemobbt worden.

Autor