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Wenn das Herz heimkehrt

hier erhältlich:

Katrinas Plan steht fest: Sie will das Schloss ihrer Eltern in Schweden verkaufen, dann schnell nach New York zurückkehren. Doch als sie an dem stillen See unter tiefblauem Sommerhimmel überraschend ihre Jugendliebe Lars wiedertrifft, ist es Zeit für Plan B ...


  • Erscheinungstag: 01.02.2013
  • Seitenanzahl: 160
  • ISBN/Artikelnummer: 9783862789740
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Pia Engström

Mittsommerträume – Wenn das Herz heimkehrt

Roman

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2013 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Originalausgabe

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Getty Images, München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-86278-974-0

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

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1. KAPITEL

Von oben betrachtet, wirkte die Landschaft wie ein bunter Flickenteppich. Grüne Wiesen wechselten sich ab mit gelb leuchtenden Rapsfeldern und schattigen Kiefernwäldern. Mitten durch das Tal zog sich, wie ein silbriges Band, das Flüsschen Nålskan, das in dem kleinen See mündete, an dessen Südufer das Söderhus lag.

Ihr Elternhaus …

Der alte Pferdewagen holperte langsam den Hügel hinauf, und Katrina, die hinten auf dem Karren saß, wurde kräftig durchgeschüttelt.

“Geht's noch, fröken?” Der Landwirt mit dem wettergegerbten Gesicht blickte von seinem Platz auf dem Kutschbock zu ihr nach hinten, schob seinen Hut zurück und kratzte sich die Stirn. “Bequem ist's nicht gerade, was? Aber wir haben es ja auch nicht mehr weit.”

Anstelle einer Antwort zwang Katrina sich zu einem Lächeln. Was sollte sie auch sagen? Bequem war ihr Sitzplatz nicht, aber sie musste dankbar sein, überhaupt eine Mitfahrgelegenheit gefunden zu haben. Ihr Mietwagen stand nämlich ein paar Kilometer weiter mit qualmendem Motor am Straßenrand.

Das Pferdefuhrwerk erreichte jetzt die Kuppe des Hügels, und Katrina bot sich ein fantastischer Anblick über das gesamte Tal. Viel schien sich in den vergangenen fünf Jahren nicht verändert zu haben. Doch dass die Uhren hier, in und um den kleinen südschwedischen Ort Kronsfjället anders gingen, hatte sie bereits vor langer Zeit festgestellt.

Ein merkwürdiges Gefühl beschlich Katrina. Vor fünf Jahren hatte sie das Tal im Zorn verlassen, jetzt kehrte sie zurück, um auch die letzten Brücken hinter sich abzubrechen. Zugleich ließ sie die Schönheit der Natur, die sich ihr hier darbot, nicht völlig kalt.

Dieser Ort konnte das Paradies sein – Katrina hatte ihn jedoch schon früh nur noch als Gefängnis empfunden. Und an ihrer Einstellung hatte sich im Verlauf der vergangenen fünf Jahre auch nichts geändert. Sie war nicht freiwillig hier, und um nichts in der Welt wollte sie für längere Zeit bleiben.

Wenn sie daran dachte, was ihre neue Wahlheimat alles zu bieten hatte. New York, die Stadt, die niemals schlief. Dort gab es jeden Tag etwas Neues zu entdecken und zu erleben. Und wenn sie einmal die Sehnsucht nach blühender Natur verspürte, dann konnte sie jederzeit einen Abstecher in den Central Park machen.

Im Gegensatz dazu war Kronsfjället schrecklich konservativ und furchtbar langweilig. Jeder kannte jeden, alles ging seinen geregelten Gang.

Wie um unliebsame Erinnerungen loszuwerden, schüttelte Katrina den Kopf. Dann wandte sie den Blick ab und beschäftigte sich damit, den Inhalt ihrer Handtasche zu sortieren, während die Fahrt weiterging.

“Brrrr!” Der alte Schwede ließ die Pferde anhalten. “So, da wären wir”, rief er seinem Fahrgast schließlich zu. “Das ist die einzige Autowerkstatt in der Gegend. Soll ich warten, bis Sie hier alles besprochen haben?”

“Vielen Dank, das ist nicht nötig.” Sie zückte ihre Geldbörse. “Was bekommen Sie für Ihre Hilfe?”

Der Schwede lachte. “Lassen Sie mal, min fröken. Es war schön, mal ein bisschen Gesellschaft zu haben. Ich wünsche Ihnen viel Glück mit Ihrem Wagen.” Er lüpfte seinen Hut und zwinkerte Katrina noch einmal zu, ehe er seine Pferde wieder antrieb.

Eine halbe Stunde später war alles geregelt. Holger Taklund, der Inhaber der Werkstatt, hatte Katrina versprochen, sich um den defekten Mietwagen zu kümmern, und ihr als Ersatz sogar einen alten Toyota überlassen.

Damit setzte sie nun ihre Fahrt fort.

Schon bald erreichte sie die ersten Ausläufer von Kronsfjället. Die kopfsteingepflasterte Hauptstraße des Ortes bildete zugleich auch sein Zentrum. Falunrote und ockergelbe Holzhäuser, die Fenster- und Türrahmen dekorativ weiß umrahmt, reihten sich daran auf wie bunte Perlen an einer Schnur.

Sie sah die alte Bäckerei – das Messingschild mit dem Bild einer Torte schaukelte noch immer über der Eingangstür im Wind –, das Postamt und die Buchhandlung, in der sie in ihrer Jugend so viel Zeit verbracht hatte.

Ein paar neue Geschäfte gab es allerdings auch. Zum Beispiel die Kunstgalerie, an der sie gerade vorbeifuhr. Sie verlangsamte das Tempo, während sie versonnen das Schaufenster betrachtete.

Was für eine Verschwendung. Andeutungsweise schüttelte Katrina den Kopf. Die Einwohner von Kronsfjället mochten viele positive Eigenschaften besitzen, Kunstkenner aber waren sie gewiss nicht. Und die wenigen Touristen, die sich in den kleinen Ort verirrten, kamen bestimmt nicht, um Dekorationsgegenstände für zu Hause zu erstehen. Dabei gab es wirklich ein paar sehr hübsche Objekte, die …

Abrupt brachte sie den Toyota zum Stehen. Dem Fahrer des Wagens hinter ihr gelang es gerade noch auszuweichen. Mit lautem Hupen machte er seinem Ärger Luft.

Katrina nahm es kaum wahr.

Wie eine Schlafwandlerin stieg sie aus dem Wagen und überquerte den Bürgersteig, bis sie direkt vor dem Schaufenster der Kunstgalerie stand.

Sie hatte nur Augen für ein einziges Gemälde.

Das Bild zeigte den Nålskansee kurz vor Sonnenuntergang. Die Art und Weise, wie der Künstler die Farben eingesetzt hatte, um die einmalige Stimmung festzuhalten, beeindruckte sie.

Doch noch viel faszinierender erschien ihr die Tatsache, dass dieses Bild direkt aus ihrer Erinnerung zu stammen schien.

Katrina schloss die Augen und ließ zu, dass ihre Gedanken in die Vergangenheit zurückwanderten. Sie sah sich selbst unter der alten Trauerweide am Ufer der kleinen Insel, mitten im See sitzen, die schon immer ihr geheimer Zufluchtsort gewesen war. Die Beine angewinkelt, das Tagebuch auf die Oberschenkel gestützt. Nachdenklich die Stirn in Falten gelegt, kaute sie auf ihrem Stift herum, als er plötzlich vor ihr stand.

Lars.

Sie schaute in seine Augen – dunkelblaue Augen, so tiefgründig und geheimnisvoll wie der Nålskansee – und …

Sofort aufhören!

Erschrocken über sich selbst schlug sie die Lider auf. Für einen Moment fühlte sie sich, als sei sie soeben aus einem tiefen Schlaf erwacht. Aber hierbei handelte es nicht um einen Traum, und sie war auch keine siebzehn mehr.

Zeit, sich wieder auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren.

Als sie Kronsfjället verlassen hatte, war sie ein junges Mädchen gewesen. Gerade einmal neunzehn Jahre alt, unerfahren und naiv, hatte sie sich in ein Abenteuer gestürzt und es bis heute nicht bereut.

Eines aber war ihr nach den ersten unschönen Erfahrungen in der wirklichen Welt stets im Gedächtnis geblieben: Rührseligkeiten führten selten zu positiven Ergebnissen und hielten einen zumeist nur unnötig auf.

Entschlossen erwiderte sie den forschenden Blick ihres Spiegelbilds im Schaufenster. Sie strich sich eine Strähne ihres honigblonden Haares aus dem Gesicht, wandte sich von der Galerie ab und kehrte zum Wagen zurück.

Es gab noch viel zu tun. Wenn sie ihren Aufenthalt in Kronsfjället so kurz wie möglich halten wollte, sollte sie besser aufhören, ihre Zeit zu vertrödeln.

Lars blinzelte erstaunt.

Das Gesicht, das er durch die leicht verdunkelnden Scheiben des Schaufensters hindurch erblickte, erschien ihm wie eine Vision aus der Vergangenheit.

Katrina …

Nein, das konnte nicht sein. Es war schon so lange her, dass sie aus Kronsfjället fortgegangen war.

Fünf Jahre, um genau zu sein. An einem heißen Junitag, kurz vor Midsommar, dem schwedischen Mittsommerfest, ganz ähnlich wie heute. Sie hatte es nicht einmal für nötig befunden, sich von ihm zu verabschieden. Und doch war es ihm niemals gelungen, sie völlig aus seinen Gedanken zu verbannen.

“Lars? Stimmt etwas nicht?” Seine Geschäftspartnerin und gute Freundin Marie trat aus der angenehm dunklen Kühle im hinteren Bereich des Ladenlokals zu ihm. Sie lächelte. “Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.” Sie folgte seinem Blick, und ihr Lächeln verblasste. Das schmale, von hellbraunen Locken umrahmte Gesicht wurde bleich. “Ist das nicht …”

“Katrina”, beendete Lars den Satz für sie. Aber konnte es wirklich sein?

Marie jedenfalls schien daran nicht zu zweifeln. “Katrina”, hauchte sie. “Was sie wohl wieder hier will?”

“Ihre Eltern sind doch vor ein paar Wochen gestorben”, entgegnete Lars. “Wahrscheinlich ist sie gekommen, um ihre Angelegenheiten zu regeln.”

“Ich habe gehört, dass sie nicht einmal bei der Beerdigung war.” Maries Tonfall klang vorwurfsvoll, so als habe Katrina mit ihrer Abwesenheit jegliches Recht verwirkt, sich in Kronsfjället aufzuhalten.

Lars atmete tief durch. “Sie ist eine erwachsene Frau”, sagte er. “Was sie tut oder lässt, ist allein ihre Sache.”

“Aber danach konnte sie …”

Mit einem harschen Kopfschütteln gab er Marie zu verstehen, dass er nicht weiter darüber reden wollte. Er wandte den Blick wieder dem Fenster zu.

Doch die Frau war verschwunden.

Ohne lange darüber nachzudenken drängte er sich an einer Kundin vorbei und stürmte aus der Galerie. Auf dem Bürgersteig angekommen, blickte er suchend nach rechts und links.

Da war sie!

“Katrina?”, rief er. “Katrina, warte!”

Sie blieb stehen, drehte sich zu ihm um. Nun konnte kein Zweifel mehr bestehen. Sie war es wirklich.

Lars verlangsamte seine Schritte. Jetzt, wo er ihr beinahe gegenüberstand, wusste er nicht mehr, was er sich eigentlich dabei gedacht hatte, ihr nachzulaufen. War zwischen ihnen nicht längst alles gesagt?

Hej, Lars”, sagte sie kühl. Sie schien nicht im Mindesten überrascht, ihn zu sehen. “Wie geht es dir?”

“Interessiert dich das wirklich?”, beantwortete er ihre Frage mit einer Gegenfrage.

Ein Muskel auf ihrer Wange zuckte, sonst offenbarte sie keinerlei Reaktion. Erstaunlich wenig erinnerte an das fröhliche und lebenslustige Mädchen, als das er sie kannte. Ohne Zweifel war sie in den vergangenen fünf Jahren reifer und erwachsener geworden.

Allerdings fragte er sich unwillkürlich, ob man diese Veränderung tatsächlich als positiv bezeichnen konnte.

Er dachte an die Bilder, die aus seiner Erinnerung an sie entstanden waren. Keines davon hing in der Galerie, die er im letzten Jahr gemeinsam mit Marie eröffnet hatte. Fast alle stammten aus der Zeit kurz nachdem Katrina aus seinem Leben verschwunden war. Sie zeigten sie so, wie er sie vor sich sah, wenn er die Augen schloss: lebensfroh und begeisterungsfähig, aber auch dickköpfig und stur.

Jetzt zeigte ihr Gesicht fast überhaupt keine Gefühlsregung mehr. Lars empfand diesen Umstand beinahe als Verlust.

“Natürlich interessiert es mich”, erwiderte sie nach kurzem Zögern. “Sei bitte nicht albern, immerhin waren wir früher einmal ziemlich gut befreundet.”

“So könnte man es auch bezeichnen.”

Sie runzelte kurz die Stirn, doch schon Sekunden später hatte sie sich wieder im Griff. “Das ist doch Zeitverschwendung. Es war nett, dich wiederzusehen, Lars, aber ich bin im Augenblick sehr beschäftigt, wie du dir sicher vorstellen kannst.”

“Natürlich. Ach, übrigens – ich hatte bislang leider nicht die Gelegenheit, dir mein Beileid auszusprechen. Der Tod deiner Eltern war sicherlich ein Schock für dich. Ich konnte es kaum glauben, als ich hörte, dass sie mit ihrem Wagen verunglückt sind.”

Er hielt ihr die Hand entgegen, aber sie stand nur da und starrte ihn an. Dabei schien sie ihn jedoch nicht einmal richtig wahrzunehmen, sondern geradewegs durch ihn hindurchzublicken.

Für einen schrecklichen Moment fühlte Katrina sich zurückversetzt zu jenem verregneten Tag auf dem Friedhof von Nausberga vor zwei Wochen.

Die Trauergemeinde hatte sich bereits in alle Winde verstreut, als sie mit vier Stunden Verspätung vom Flughafen eintraf. Einsam und allein stand sie am Grab ihrer Eltern, ihre Tränen vermischten sich mit dem warmen Frühsommerregen, der sanft vom Himmel fiel.

Als würden die Engel weinen …

Was für eine Ironie, dass ihr die Worte ihrer Mutter ausgerechnet in diesem Augenblick in den Sinn gekommen waren. Und wie überaus bezeichnend.

“Katrina? Ist alles in Ordnung mit dir?”

Lars' Frage holte sie in die Gegenwart zurück. Sie blinzelte kurz, dann hatte sie sich wieder im Griff. “Entschuldige bitte, was hast du gerade gesagt?”

“Ich wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist.”

“Ja, natürlich. Alles bestens.” Sie lächelte gequält. “Vielen Dank für dein Mitgefühl, ich weiß es zu schätzen. Aber lass uns lieber über etwas anderes reden. Das Bild im Schaufenster – ist das von dir?”

“Einige der Gemälde habe ich gemalt”, erklärte Lars. “Die Galerie gehört mir. Nun, genau genommen eigentlich nur zur Hälfte. Marie hat …”

“Marie Hedlund?”

Er nickte.

“Seltsam, ich hatte nie den Eindruck, dass sie sehr an Kunst interessiert war”, murmelte Katrina. Den Rest ihres Gedanken – an dir dafür umso mehr – ließ sie unausgesprochen.

Lars schien nicht recht zu wissen, was er darauf erwidern sollte. “Menschen verändern sich nun mal.”

“In der Tat”, erwiderte sie mit einem kleinen bitteren Lächeln. “Wer sollte das besser wissen als wir beide?” Sie atmete tief durch. “Hör zu, ich habe es wirklich eilig. Vielleicht laufen wir uns ja noch einmal über den Weg.”

“Wie lange wirst du bleiben?”

“Solange es nötig ist. Ich nehme an, dass ich in ein paar Tagen wieder nach New York zurückkehren kann.” Sie nickte Lars noch einmal kurz zu. “Bis dann also.”

“Ja, bis dann.”

Katrina wandte sich ab und ging eilig zurück zu ihrem Wagen. Lars' Blicke schienen sich durch den Stoff ihrer leichten Sommerjacke hindurch direkt in ihre Haut zu brennen.

Als sie endlich im Auto saß und den Motor anließ, atmete sie erleichtert auf. Nichts wie fort von hier!

Doch um gleich zum Haus ihrer Eltern zu fahren, fühlte Katrina sich zu aufgewühlt. Außerdem musste sie zuvor noch etwas Wichtiges erledigen.

Kurz hinter der schmalen Steinbrücke, die den rasch dahinfließenden Nålskan überspannte, kreuzte der Gamlavägen die Hauptstraße. Das war der “alte Weg”, der Nord und Süd von Kronsfjället miteinander verband.

Wenn sie hier links abbog und dem Flusslauf bis hinunter zum See folgte, würde sie automatisch zum Söderhus gelangen, dem “Südhaus”, wie das Haus ihrer Eltern genannt wurde.

Katrina setzte den Blinker und fuhr nach rechts, Richtung Norden.

Hier, am Ende des Gamlavägen, wohnte Torben Strindberg in einem himmelblau gestrichenen Haus, das inmitten des allgegenwärtigen Gelb und Rot völlig exotisch wirkte. Als einziger Anwalt in der näheren Umgebung hatte er auch ihre Eltern über viele Jahre betreut. Katrina kannte ihn von Kindesbeinen an. Wie alt mochte Strindberg inzwischen sein? Siebzig? Fünfundsiebzig?

Ihm verdankte sie es, dass sie überhaupt so rasch vom Tod ihrer Eltern erfahren hatte. Die Mühlen der Bürokratie drehten sich in Schweden ebenso langsam wie in jedem anderen Land der Welt, doch der Anwalt hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sie in den Staaten aufzutreiben. Und mit seiner Unterstützung war es ihr sogar gelungen, die Beerdigung von New York City aus zu organisieren.

Nur den Pilotenstreik, der sie daran gehindert hatte, rechtzeitig zur Trauerfeier nach Nausberga zu gelangen, hatte auch er nicht voraussehen können.

Katrina stellte den Toyota vor dem blauen Haus ab und nahm den zerknitterten Umschlag aus ihrer Handtasche. Sie brauchte den Brief nicht herauszuholen, sie kannte den Text beinahe auswendig. Es handelte sich um die Einladung zur Testamentseröffnung. Der Termin war für den heutigen Tag angesetzt.

Noch einmal atmete sie tief durch, dann stieg sie aus dem Wagen und überquerte den Fußweg. Auf ihr Klopfen hin wurde die Tür des blauen Hauses von einer älteren Dame geöffnet. “God Dag.”

God Dag”, erwiderte Katrina. “Torben Strindberg erwartet mich.”

Sie wurde in ein behaglich eingerichtetes Büro geführt. Dunkles Leder dominierte den Raum, an dessen Stirnwand ein wuchtiger Schreibtisch aus Ebenholz stand. Direkt dahinter befand sich ein großes Butzenfenster, durch das helles Sonnenlicht hereinfiel.

“Bitte nehmen Sie Platz”, sagte die Frau – vermutlich die Haushälterin des Anwalts. “Ich werde Sie sofort melden.”

Anstatt sich zu setzen, trat Katrina hinter den Schreibtisch und schaute durch das Fenster hinaus in den Garten des Hauses. Wer immer hier auch Hand anlegte, besaß ganz offensichtlich Geschick im Umgang mit Pflanzen.

Fichten, weiß blühender Hartriegel und Trauerweiden bildeten den grünen Hintergrund für farbenprächtige Blumenrabatten. Violetter Phlox, Rittersporn und purpurne Stockmalve wetteiferten in ihrer Pracht mit Gladiolen von zartem Rosa und leuchtend blauem Vergissmeinnicht.

Ein herrlicher Anblick, der Katrina unwillkürlich an ihre Mutter denken ließ. Cynthia Hallström, eine gebürtige Engländerin, hatte ebenfalls viel Zeit darauf verwendet, den Garten vom Söderhus zu hegen und zu pflegen. Leider besaß Katrina ihren grünen Daumen nicht. Selbst die genügsamsten Topfpflanzen, mit denen sie versuchte, den winzigen Balkon ihres New Yorker Apartments zu verschönern, gingen regelmäßig ein. Wahrscheinlich lag es schlicht und einfach daran, dass sie viel zu beschäftigt war. Als aufstrebende Immobilienmaklerin blieb ihr kaum einmal eine Atempause. Aber sie liebte ihren Job über alles. Vollkommen unerheblich, ob sie eine miserable Gärtnerin war.

Katrina hörte, wie die Tür geöffnet wurde und jemand den Raum betrat. Mit einem leisen Seufzen wandte sie sich vom Fenster ab.

Hej, Katrina, wie schön, dich zu sehen”, begrüßte sie der Anwalt. Katrina stellte fest, dass er in den Jahren ihrer Abwesenheit äußerlich stark gealtert war – geistig schien er aber noch immer fit wie eh und je. “Ich war mir nicht sicher, ob du meiner Einladung Folge leisten würdest, nachdem du vor zwei Wochen so eilig wieder nach New York reisen musstest. Dringende Geschäfte?”

“Ein unaufschiebbarer Termin”, erwiderte Katrina ausweichend. Sie verspürte keinen gesteigerten Drang, den Anwalt darüber aufzuklären, dass dieser sogenannte Termin durchaus privater Natur und zudem eine der größten Enttäuschungen ihres Lebens gewesen war. “Aber jetzt habe ich mir ein paar Tage freigenommen, schon allein, weil ich mich persönlich um den Verkauf des Söderhus kümmern möchte. Niemand kennt den Wert des Hauses besser als ich.”

Strindbergs Miene war undurchdringlich. Er bot ihr einen Platz an. “Warum setzen wir uns nicht erst einmal? Dann können wir sämtliche Details des Testaments deiner Eltern miteinander durchsprechen.” Er warf ihr einen merkwürdigen Blick zu. “Eine Klausel dürfte dich auch in Bezug auf den Verkauf des Söderhus interessieren. Aber machen wir es uns doch zunächst ein bisschen bequem. Möchtest du vielleicht einen Tee oder einen Kaffee?”

“Nein, danke”, winkte Katrina ab und setzte sich. Sie musterte den Anwalt argwöhnisch. “Von was für einer Klausel sprechen wir bitte?”

“Nun, was das Testament deiner Eltern betrifft, so haben deine Mutter und dein Vater dich natürlich zur Alleinerbin bestimmt.”

Erleichtert lehnte sie sich in ihrem Besuchersessel zurück. Dann war ja alles in Ordnung. Für einen kleinen Moment hatte sie gefürchtet, dass es Probleme geben könnte.

“Nur insofern es einen Verkauf des Grundstücks und des Hauses betrifft, gibt es eine winzige Einschränkung.”

Katrina setzte sich auf.

“Es handelt sich im Grunde lediglich um eine kleine Formalität”, fuhr Strindberg mit einem hintergründigen Lächeln fort. “Alles, was du tun musst, ist, sechzig Tage im Söderhus zu wohnen. Danach kannst du mit deinem Erbe anfangen, was immer dir beliebt.”

2. KAPITEL

Wütend hieb Katrina mit der Faust auf das Lenkrad des Toyotas, der noch immer vor dem blauen Haus am Ende des Gamlavägen stand. Sie war viel zu durcheinander, um jetzt zu fahren. Wahrscheinlich würde sie einen Unfall verursachen, ehe sie auch nur hundert Meter hinter sich gebracht hatte.

Sie schloss die Augen und massierte ihre Schläfen mit den Fingerspitzen. Das konnte nicht wahr sein. Das durfte einfach nicht wahr sein!

Sechzig Tage.

Als Torben Strindberg sie vorhin über die Klausel im Testament ihrer Eltern in Kenntnis gesetzt hatte, war es ihr zunächst wie ein böser Traum vorgekommen. Sie sollte sechzig Tage am Stück im Söderhus wohnen, um es danach verkaufen zu dürfen? Wer, um Himmels willen, kam auf so eine Idee?

Verflixt, was hatten ihre Eltern sich nur wieder dabei gedacht? Wann würden diese ewigen Einmischungen endlich aufhören?

Ganz offensichtlich hielt nicht einmal der Tod Cynthia und Kristof Hallström davon ab, ihrer Tochter vorschreiben zu wollen, wie sie ihr Leben zu führen hatte. Selbst posthum mussten sie ihren Willen noch durchsetzen!

Genau das war der Grund, weshalb sie es damals nicht mehr in Kronsfjället ausgehalten hatte. Sie war sich vorgekommen wie der sprichwörtliche Vogel im goldenen Käfig, der alles bekam, was er sich wünschte – abgesehen von seiner Freiheit.

Kurz nach ihrem neunzehnten Geburtstag war es dann zum großen Krach gekommen, den Katrina zum Anlass nahm, ihre Koffer zu packen und ihr Zuhause zu verlassen.

Das Haus, in dem sie – so es nach dem Willen ihrer Eltern ging – die nächsten sechzig Tage verbringen sollte.

Als sie einen Blick auf die Digitalanzeige im Armaturenbrett des Toyotas warf, stellte sie zu ihrem Erschrecken fest, dass es bereits weit nach fünf war. Wie lange mochte sie hier herumgesessen und gegrübelt haben? Das passte eigentlich gar nicht zu ihr. Sie betrachtete sich gern als Frau der Tat, die sich mit Ehrgeiz und Elan jeder Herausforderung stellte. Dies war eindeutig der falsche Zeitpunkt, sich wieder in längst besiegt geglaubte Verhaltensmuster drängen zu lassen.

Von neuer Energie erfüllt, startete Katrina den Motor und wendete den Wagen. An der Kreuzung mit der Hauptstraße fuhr sie dieses Mal geradeaus. Bald darauf konnte sie vor sich schon das klare Wasser des Nålskansees sehen, das im Sonnenlicht wie eine Million Diamanten funkelte.

Wenige Minuten später erreichte sie das Söderhus und stellte den Wagen neben dem großen verschachtelten Gebäude ab.

Es war in der typisch schwedischen Holzbauweise errichtet und wies zahlreiche Erker und Giebel auf. Die Rahmen der hohen Fenster, die Geländer der Balkone sowie die breiten Holzbalken des Dachstuhls waren weiß gestrichen und bildeten einen hübschen Kontrast zu den dunklen Schindeln und der lindgrünen Fassade.

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