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Was lange liebt, wird endlich gut

Unter der Sonne in Mischief Bay wird am Ende alles gut.

Für ihre Familie geben diese Frauen alles! Gabby hat ihren Beruf zurückgestellt, bis ihre Zwillinge fünf geworden sind. Hayley hatte schon mehrere Fehlgeburten, ist aber nicht bereit aufzugeben. Und Nicole will ihren Sohn Tyler nach der Scheidung unbedingt vor einer Enttäuschung schützen und kann sich zunächst auf keine neue Beziehung einlassen. Für die drei Freundinnen kommt jedoch alles anders als geplant. Aber auch wenn das Leben mit so manchen Überraschungen aufwartet, halten sie zusammen. Denn gerade darin liegt der Schlüssel zu ihrem Glück …

Ob unerfüllter Kinderwunsch, den Mut, eine neue Beziehung einzugehen, oder den Wunsch nach Familie und Karriere - drei Freundinnen helfen einander durch dick und dünn.

  • »Eine fesselnden Lektüre, die man ganz und gar verschlingt.« Publishers Weekly
  • »Ein sehr origineller und faszinierender Pageturner.« Romantic Times Book Reviews
  • »Ein Roman über die Beziehungen zwischen Frauen, Freundinnen, Schwestern, Müttern, Töchtern und Stiefkindern mit einem starken romantischen Subplot.« Library Journal

  • Erscheinungstag: 31.01.2020
  • Aus der Serie: Mischief Bay Serie
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 464
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959674492
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für Marla –
möge unsere Freundschaft ewig halten!
xoxo

1. Kapitel

War es wirklich falsch, allein auf Toilette gehen zu wollen? Über diese Frage hatte Gabrielle Schaefer bestimmt vierhundertmal innerhalb der letzten Monate nachgedacht. Ja, sie liebte alles an ihrem Leben: ihren Ehemann, ihre fünfjährigen Zwillingstöchter, die Haustiere, ihr Haus. Sie hatte sehr viel Glück gehabt, das alles war ein unglaubliches Geschenk, das wusste sie. Aber ab und zu … okay, mindestens einmal am Tag wollte sie in der Lage sein, allein ins Bad zu gehen, wie jeder normale Mensch. Sich auf die Toilette zu setzen und zu pinkeln.

Und zwar ungestört. Ohne dass jemand die Tür aufstieß und sich beschwerte, dass sie Hunger hatte oder Kenzie ihr die Puppe geklaut hatte. Ohne dass Andrew mit je einem Paar Socken in der Hand hereinkam, um sie zu fragen, welches die bessere Wahl wäre. Ohne dass sich eine rosige Katzenpfote unter der Tür hindurchstreckte oder der Basset leise auf der anderen Seite wimmerte und darum bettelte, hereingelassen zu werden. Allein. Oh, diese dreißig oder vierzig Sekunden allein sein zu können. In aller Ruhe spülen und sich allein die Hände waschen.

Gabby setzte den Blinker, um auf die linke Fahrbahn zu wechseln, dann wartete sie darauf, dass sie abbiegen konnte. Siebenundfünfzig Tage, rief sie sich in Erinnerung. Sie hatte noch siebenundfünfzig Tage, bis die Zwillinge in die Vorschule kamen und sie zur Arbeit zurückkehren würde. Nur in Teilzeit, aber immerhin. Es würde wundervoll werden. Auch deshalb, weil sie dann endlich mal allein pinkeln könnte.

»Was ist so lustig?«, fragte Kenzie vom Rücksitz. »Warum lächelst du?«

»Erzählst du dir einen Witz?«, fragte Kennedy. »Dürfen wir ihn auch hören?«

Ja, sie sind in dem Alter, in dem sie tausend Fragen am Tag stellen, dachte Gabby, den Blick fest auf den entgegenkommenden Verkehr gerichtet. Als sie eine Lücke sah, bog sie auf den Parkplatz ein und fuhr zum Ende der Ladenzeile. Direkt vor Supper’s in the Bag waren noch ein paar Plätze frei. Sie bog auf einen ein und stellte den Motor ab.

»Ich habe nur lustige Gedanken«, erklärte sie ihren Mädchen. »Ich kenne keine Witze.«

Kennedy zog die Nase kraus. »Okay.«

Ihr war die Enttäuschung anzuhören. Beide Mädchen wussten, dass Dinge, die Erwachsene lustig fanden, und wirklich lustige Dinge nicht dasselbe waren.

Gabby nahm ihre Handtasche mit dem langen Schulterriemen, der es ihr erlaubte, sie quer über dem Körper zu tragen, und stieg aus. Dann ging sie zur hinteren Tür und öffnete sie.

»Bereit?«, fragte sie.

Beide Mädchen nickten. Sie waren bereits dabei, ihre Sicherheitsgurte zu lösen.

Sie aus den Kindersitzen herauszukriegen, war nie ein Problem. Sie hineinzubekommen, das war eine ganz andere Frage. Obwohl die Sitze für Kinder bis zu dreißig Kilo gemacht waren, wollten die beiden lieber nur eine Sitzerhöhung statt der Kindersitze. Nur Babys hatten Kindersitze, war Gabrielle schon mehrfach aufgeklärt worden. Die Tatsache, dass Kindersitze sicherer waren, schien in der Diskussion keine große Rolle zu spielen.

Andrew und ich müssen eine bessere Strategie entwickeln, dachte sie, als sie zuerst Kennedy und dann Kenzie half, aus dem Auto zu steigen. Denn so langsam ging ihr das schwer auf die Nerven. Jeden Tag der gleiche Stress. Außerdem wurden die Kindersitz-Diskussionen immer länger, sodass sie jedes Mal fünf bis zehn Minuten mehr einplanen musste, nur um rechtzeitig da zu sein.

Das Problem ist, dass beide Mädchen nach ihrem Vater kommen, dachte sie amüsiert. Er war ein hochtalentierter Verkaufsleiter und verfügte über sehr viel verbalen Charme. Selbst mit ihren fünf Jahren fingen die Zwillinge schon an, sich aus Schwierigkeiten herauszureden.

»Ist Tyler da?«, wollte Kennedy wissen.

Gabby strich ihrer Tochter die Haare aus den Augen. Der verdammte Pony musste mal wieder geschnitten werden. »Ja, ganz bestimmt.«

Die Mädchen jubelten. Tyler, der Sohn ihrer Freundin Nicole, war sechs und würde bald in die erste Klasse kommen. In den Augen der Zwillinge, die bald in die Vorschule gingen, war Tyler ein Mann von Welt. Er wusste vieles, und die beiden beteten ihn förmlich an.

Gabby griff um die verhassten Kindersitze herum nach den leeren Einkaufstaschen, die sie für ihre Mitgliedschaft erhalten hatte. Sie waren hellgrün und mit dem Logo von Supper’s in the Bag bedruckt. Alle zwei Wochen nahm sie mit ihren Freundinnen an einer dreistündigen Session im Supper’s in the Bag teil, und wenn sie ging, hatte sie sechs vollständige Mahlzeiten für ihre Familie dabei. Mahlzeiten, die in den Ofen geschoben oder auf den Grill geworfen werden konnten. Sie waren gewürzt, vorportioniert und mussten nur noch zubereitet werden.

Der Grundsatz von Supper’s in the Bag war einfach: Jeder Termin dauerte ungefähr drei Stunden. In der großen Industrieküche gab es acht verschiedene Stationen, die je einem anderen Hauptgericht gewidmet waren. Man folgte den schriftlichen Erklärungen, wog Fleisch ab, gab Gemüse in wiederverwendbare Schüsseln und würzte gemäß den Anweisungen. Und schon hatte man mehrere Mahlzeiten, die man später nur noch aufzuwärmen brauchte.

Anfangs hatte Gabby sich schuldig gefühlt, weil sie sich für diesen Service entschieden hatte. Sie war Hausfrau und Mutter, da sollte sie sich doch so weit im Griff haben, dass sie für ihre Familie kochen konnte. Und doch, dachte sie und ging mit ihren Töchter in Richtung Ladentür – die Tage rannen ihr nur so durch die Finger. Zum Glück war die Besitzerin von Supper’s in the Bag die Schwester einer engen Freundin. Sich zu sagen, dass sie ein örtliches Unternehmen unterstützte, half, die Schuldgefühle zu mindern.

Und weil Andrew zu den Guten gehörte, ermutigte er sie, den Service zu nutzen. Mindestens einmal pro Woche gingen sie zum Essen aus. Wenn sie also alle vierzehn Tage sechs Mahlzeiten vorbereitete, musste sie nur sechs weitere Mahlzeiten selber zubereiten.

Der Raum war groß und offen, und die Kochstationen verteilten sich an den Wänden. In der Mitte standen Industrieregale, die mit Lebensmitteln gefüllt waren. An der Tür gab es weitere Regale, in denen die Kunden Taschen und Einkaufstüten ablegen konnten. Die Arbeitsflächen waren, genau wie die Spülbecken, aus rostfreiem Edelstahl.

Zur Linken befand sich eine kleine Essecke, in der die Kunden sich aufhalten und miteinander reden konnten. Zur Rechten war ein Bereich abgetrennt und in bunten Farben gestrichen. Hier gab es Stühle und Tische in Kindergröße, ein paar Spielzeuge, Wachsmalkreiden und Unmengen an Malbüchern. Cecelia, die Kinderbetreuerin, war bereits da. Die zierliche College-Studentin mit den lockigen Haaren grinste, als sie die Zwillinge sah.

»Ich hatte gehofft, dass ihr beide heute kommt«, sagte sie und winkte ihnen zu. »Wir werden so viel Spaß haben.«

»Cece!«

Die Zwillinge ließen die Einkaufstaschen fallen und rannten los, um das Mädchen zu begrüßen. Es folgte eine wilde Umarmung.

»Kommt Tyler auch?«, fragte Kenzie angespannt.

»Ja. Bestimmt haben er und seine Mom sich nur mal wieder verspätet.« Cecelia führte die Mädchen zu einem der Tische. »Okay, fangen wir mit einem Bild an, während eure Mom sich um die Mahlzeiten kümmert«, sagte sie.

Gabby nutzte die Ablenkung, um sich am Empfang eine Schürze zu holen. Dann nahm sie den Zettel in die Hand, auf dem stand, welche Stationen sie heute in welcher Reihenfolge benutzen würde.

Supper’s in the Bag war keine einzigartige Idee. Angebote wie diese gab es im Land einige. Auch wenn Gabby nie ein großer Fan von Morgan gewesen war – der Frau, der das Geschäft gehörte –, musste sie doch ihren Hut davor ziehen, wie sie es schaffte, ihren Kunden noch den letzten Dollar aus der Tasche zu luchsen.

Kinder waren für den Preis von fünf Dollar pro Kind und Stunde willkommen. Für Gabby bedeutete das dreißig Dollar extra, aber es war besser, als selbst eine Babysitterin zu finden. Zu jedem Hauptgericht gab es eine Auswahl an passenden Weinen, die man ebenfalls extra kaufen konnte. Gabby schätzte, die Gewinnmarge lag bei gut hundert Prozent. Aperitif- und Dessertweine konnten natürlich auch erstanden werden.

Morgans Schwester, Gabbys Freundin Hayley, kam an mehreren Tagen in der Woche frühmorgens hierher, um die Lebensmittel vorzubereiten. Sie übernahm einen Großteil des Schnippelns und Schneidens, füllte die Gewürzgläser auf und öffnete die benötigten Dosen. Dafür bekam sie nichts weiter als ein paar kostenlose Mahlzeiten, wie Gabby wusste.

Während Hayley behauptete, damit den besseren Teil des Deals erwischt zu haben, hatte Gabby daran so ihre Zweifel. Egal, wie die Situation aussah, Morgan schien immer als Gewinnerin hervorzugehen, und Gabby bezweifelte, dass es bei dem Arrangement mit Hayley anders war.

Inzwischen waren weitere Frauen eingetroffen. An jeder Session konnten zweiunddreißig Leute teilnehmen, wobei es tagsüber meist um die fünfundzwanzig waren. Von Donnerstag bis Sonntag hatte Supper’s in the Bag auch nachmittags von vier Uhr bis abends um halb neun geöffnet.

Gabby erblickte Hayley, Nicole und deren Sohn Tyler. Nicole gab ihn bei Cecelia ab, dann trafen sie sich alle am Spülbecken, wo man sich die Hände waschen konnte.

»Hi«, sagte Gabby und umarmte ihre Freundinnen zur Begrüßung.

Nicole war groß, blond und beneidenswert schlank. Gabby war nicht sicher, inwieweit das genetisch bedingt war und wie viel daher rührte, dass Nicole als Pilates-Lehrerin arbeitete. Gabby versprach sich ständig, sich auch mal für einen Kurs anzumelden. Nach ihrer Schwangerschaft trug sie immer noch fünfundzwanzig überflüssige Pfunde mit sich herum. Und da ihre Kinder demnächst in die Vorschule kamen, musste sie entweder anfangen, Sport zu treiben, um die Kilos loszuwerden, oder aufhören, ihren Mädchen dafür die Schuld zu geben.

Hayley war auch dünn, aber auf eine Weise, die Gabby Sorgen bereitete. Wie üblich war ihre Freundin blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Doch zum ersten Mal seit Langem wirkte sie energiegeladen.

»Ich freue mich heute richtig auf das, was wir zubereiten werden«, verkündete Hayley. »Das Gemüse ist besonders frisch, und ich glaube, das neue Enchilada-Rezept ist der Hammer.«

»Du wirkst glücklich«, erwiderte Gabby, während sie sich die grüne Supper’s in the Bag-Schürze umband. »Was ist los?«

»Och, nicht viel.«

Gabby fragte sich, ob das stimmte. Hayleys Leben glich in emotionaler und körperlicher Hinsicht einer Achterbahnfahrt. Grund dafür waren die verzweifelten Versuche, eine Schwangerschaft bis zum Ende durchzustehen. Hayleys letzte Fehlgeburt lag erst ein paar Monate zurück, und nun machte sie auf Anordnung der Ärzte eine Pause.

Nicole band sich die langen Haare zu einem Pferdeschwanz. »Bist du sicher?«, fragte sie. »Du wirkst so hibbelig.«

Hayley lachte. »Ich glaube nicht, dass das eine schmeichelhafte Beschreibung ist.«

Die drei Freundinnen gingen zu ihrer ersten Station. Die Anleitungen standen auf einer laminierten Karte, und die Zutaten für den Auflauf warteten schon in Schüsseln und Tüten auf sie. Alle Gewürze waren eindeutig beschriftet.

Jede von ihnen nahm sich eine Auflaufform. »Kaum zu glauben, dass schon Mitte Juli ist«, sagte Nicole, während sie die Maistortilla auf dem Boden der Form auslegte. »Ich hatte gehofft, mit Tyler ein paar Tage wegfahren zu können, aber irgendwie sehe ich das gerade nicht. Dazu muss ich zu viel arbeiten.«

»Du bist Geschäftsinhaberin«, meinte Gabby und unterdrückte einen Anflug von Schuldgefühlen. Ich sollte auch ein Geschäft haben, dachte sie. Oder mehr als nur zwanzig Stunden in der Woche arbeiten. Und alle Mahlzeiten selbst zubereiten. Ehrlich, sie hatte keine Ahnung, wohin die Zeit war. Die Zwillinge waren jeden Tag von acht bis eins im Sommercamp. Makayla, ihre fünfzehnjährige Stieftochter, war in einem anderen Camp, das von acht bis vier ging. In der Zeit sollte sie es doch schaffen, ihre Einkäufe zu erledigen, Wäsche zu waschen, Essen zu kochen und etwas zur Rettung der Welt beizutragen. Aber irgendwie kam es nie dazu.

»Ihr könntet ins Disneyland fahren«, schlug Hayley vor, während sie die gewürfelte Hühnerbrust in ihre Auflaufformen gab. Anstatt eine große Form zu nutzen, hatte Hayley sich zwei kleine genommen, was ihre Anzahl an Mahlzeiten verdoppelte. Aber bei ihr aßen ja auch nur sie und Mann Rob.

»Tyler liebt Disneyland«, erzählte Nicole. »Es kommt mir nur irgendwie wie Mogeln vor.«

»Sei doch dankbar, dass ihr es nicht weit habt«, warf Gabby ein.

Der große Vergnügungspark lag nur ungefähr dreißig Meilen von Mischief Bay entfernt. Wenn die Verkehrsgötter einem wohlgesinnt waren, bedeutete das eine Fahrt von etwas unter einer Stunde.

Gabby legte einen Arm um Nicoles Schultern. »Es könnte schlimmer sein. Es könnte ein Brad-der-Drache-Land geben. Dann wärst du wirklich gearscht.«

Nicole grinste. »Ich wäre verleitet, es in Brand zu stecken.«

Hayley und Gabby lachten.

Brad der Drache war eine beliebte Kinderbuchserie. Viele kleine Jungen, einschließlich Tyler, liebten B den D, wie er von Eingeweihten genannt wurde. Aus Gründen, die Gabby nie verstanden hatte, mochte Nicole die Figur nicht und hatte einen regelrechten Hass auf den Autor. Sie behauptete, dass sie einmal einen Artikel gelesen hatte, in dem stand, dass Jairus Sterenberg nur auf Geld aus sei, dass er bösartig sei und vermutlich verantwortlich für jede Zombie-Apokalypse, die ihres Weges kommen würde. Gabby war sich dessen nicht so sicher. Aber es gab auch genügend Eltern, die nichts mehr sehen konnten, was mit Frozen oder den Minions zu tun hatte.

»Wie war Hawaii? War es so unglaublich schön, wie alle immer sagen?«, fragte Nicole.

Gabby nickte und erinnerte sich an die zehn Tage, die sie und Andrew mit den Zwillingen letzten Monat in einem Apartment auf Maui verlebt hatten. Es waren nur sie vier gewesen. Makayla hatte die Zeit bei ihrer Mutter verbracht.

»Es war wunderschön! Großartiges Wetter und man kann viel unternehmen. Die Mädchen hatten eine fabelhafte Zeit.«

»Wie ist Makayla damit zurechtgekommen, bei ihrer Mutter zu bleiben?«, wollte Hayley wissen.

Gabby seufzte. »Ganz okay. Ihre Mom kommt nicht gut damit zurecht, wenn sie länger als ein Wochenende bei ihr ist, was die Sache schwierig macht. Ich verstehe das nicht. Makayla ist fünfzehn. Gut, sie kann ein bisschen vorlaut sein, aber sie ist ihre Tochter. Man soll seine Kinder doch lieben.«

»Ist sie jetzt wieder bei euch?«, hakte Nicole nach.

»Ihre Mom hat sie noch am Abend unserer Heimkehr bei uns abgesetzt.«

»Zu schade, dass ihr sie nicht mitnehmen konntet«, sagte Hayley.

»Hmhm«, murmelte Gabby und verstreute Käse auf ihrem fertig geschichteten Auflauf, bevor sie den Plastikdeckel daraufsetzte. Vermutlich hätte sie sich wünschen sollen, dass Makayla mitkam, aber in Wahrheit war sie froh über die Pause von ihrer Stieftochter gewesen.

Nachdem sie ihre erste Mahlzeit erfolgreich zusammengestellt hatten, gingen sie mit ihren Auflaufformen zu der Wand aus Kühlschränken und stellten sie auf die für sie reservierten Regalböden. Dann wanderten sie zur nächsten Station weiter. Hayley fing an, die Gewürzgläser herunterzuholen, während Gabby und Nicole die Anweisungen überflogen.

»Ein Eintopf … klingt interessant«, kommentierte Nicole mit leichtem Zweifel in der Stimme. »Aber die Informationen über den Schmortopf hören sich gut an.«

»Du wirkst nicht sonderlich überzeugt«, wandte Gabby leise ein.

»Wir haben Sommer. Im Sommer will ich nicht mit dem Schmortopf kochen.« Nicole schüttelte den Kopf. »Ein klassisches Erste-Welt-Problem, oder? Aber so oder so – Tyler liebt Eintöpfe, also bin ich dankbar für ein Gericht, das leicht zuzubereiten ist und das er garantiert essen wird. Ich bin also dabei.«

»Ausgezeichnete Einstellung«, lobte Gabby sie augenzwinkernd. »Du bekommst heute ein Goldsternchen.«

»Ich lebe für die Goldsterne.«

Hayley deutete auf die Gewürzgläser, die sie ordentlich aufgereiht hatte. »Das wird köstlich«, versprach sie. »Du wirst es lieben. Und an der nächsten Station dreht sich alles ums Grillen über offenem Feuer.«

»Du hast heute wirklich gute Laune«, sagte Nicole. »Was ist los? Hat dein Chef dir eine Gehaltserhöhung gegeben?«

»Nein. Und das ist auch in Ordnung.« Hayley öffnete eine der bereitliegenden Gefriertüten und gab die abgewogenen Gewürze hinein. »Gabby hat heute auch schon eine Bemerkung zu meiner Stimmung gemacht. Bin ich sonst wirklich so nörgelig?«

»Überhaupt nicht«, widersprach Gabby schnell. Sie wusste nicht, wie sie es erklären sollte. Hayley wirkte glücklich und entspannt. Hätte Gabby nicht gewusst, dass ihre Freundin gerade eine Pause bei den Versuchen, schwanger zu werden, einlegte, hätte sie sich gefragt, ob sie wohl in freudiger Erwartung war. Doch bevor sie sich entschieden hatte, ob sie Hayley darauf ansprechen sollte, nahm die schon eine Flasche Rotwein vom Tisch, maß ein halbes Glas ab und goss es in den Gefrierbeutel.

Nein, dachte Gabby. Nicht schwanger. Aber irgendetwas war los.

Sie arbeiteten sich durch die restlichen Stationen und packten ihre Mahlzeiten am Ende in die Einkaufstaschen. Gabby brachte ihre schnell zum Auto, bevor sie die Mädchen abholte.

»Seid ihr so weit?«, fragte sie.

Kenzie und Kennedy schauten einander an, dann nickten beide.

»Sie waren toll«, erklärte Cecelia.

»Wir waren sehr artig«, fügte Kenzie an.

»Dessen bin ich mir sicher.«

Die Zwillinge waren in dem Alter, in dem sie sich allen Leuten gegenüber wie die reinsten Engel verhielten – nur bei ihr nicht. Sie hatte dutzende Bücher über Kindererziehung gelesen, und laut Experten kämpfte in diesem Alter das Bedürfnis nach Unabhängigkeit mit dem Bedürfnis nach Nähe zur Mutter. Während also alle anderen ein strahlendes Lächeln und hervorragendes Benehmen sahen, bekam Gabby Widerworte und Tränen.

Sie wartete, während die Zwillinge Cecelia zum Abschied umarmten. Wirklich unglaublich, wie schnell die beiden wachsen, dachte sie zufrieden. Ihre Mädchen waren klug, wissbegierig und liebevoll. Bei so viel Glück konnte Gabby mit ein paar Widerworten hier und da gut leben.

Gemeinsam verließen sie die Kinderecke und gingen in Richtung Ausgang. Heute hatten die beiden sich für die gleiche Kleidung entschieden. Blaue Shorts und blau-weiße T-Shirts mit kleinen Kätzchen darauf. Ihren Babyspeck hatten sie bereits verloren. Sie sahen schon aus wie richtige kleine Mädchen.

Obwohl die beiden zweieiig waren, sahen sie einander so ähnlich, dass die meisten Menschen sie für eineiige Zwillinge hielten. Sie hatten beide große braune Augen und rötlich-blondes Haar. Ihre Stimmen klangen gleich, und sie waren beide lebhaft und energiegeladen.

Aber es gab auch Unterschiede. Zum Beispiel die Kinnform. Außerdem hatte Kennedy dickere, leicht gewellte Haare, dafür war Kenzie ein wenig größer. Es wird interessant, wenn sie in die Schule kommen, überlegte Gabby. Kennedy war wesentlich aufgeschlossener, aber Kenzie verfügte über eine Geduld, die ihrer Schwester fehlte. Gabby war sich nicht sicher, welche Eigenschaft mehr Erfolg versprach.

Als sie den SUV erreicht hatten, öffnete Gabby die hintere Tür auf der Fahrerseite.

»Einsteigen.«

Die Mädchen rührten sich nicht.

»Wir wollen Sitzerhöhungen«, verkündete Kennedy entschlossen. »Kindersitze sind für Babys. Mommy, wir kommen bald in die Vorschule.«

»Das bedeutet, wir sind keine Kinder mehr«, fügte Kenzie an.

Gabby wusste nicht, welches Kind in dem Sommercamp etwas über Sitzerhöhungen und Kindersitze gesagt hatte, aber sie wünschte wirklich, der- oder diejenige hätte den Mund gehalten.

Ihre Gedanken gingen zu den Weinflaschen, die im Kofferraum in den Supper’s in the Bag-Taschen lagen. Sie könnte die Mädchen wieder bei Cecelia abgeben, sich ein paar Gläser genehmigen und dann Andrew anrufen, damit er sie alle zusammen nach Hause fuhr. Sie könnte auch mit dem Kopf gegen das Wagendach schlagen, bis der Schmerz größer war als der Ärger über die Diskussion. Oder sie könnte ihre Genervtheit herunterschlucken, sich daran erinnern, dass sie ein tolles Leben führte und dass diese Diskussionen sicher bald vorbei waren.

Obwohl das Szenario mit dem Wein wirklich verlockend war, entschied sie sich für die letzte Option.

»Ihr seid noch im Wachsen«, erklärte sie mit sanfter Stimme. »Und ich liebe euch sehr. Deshalb möchte ich, dass ihr so gut geschützt wie möglich seid. Bitte steigt in eure Sitze, damit wir nach Hause fahren und das Essen für euren Dad zubereiten können.«

Die Zwillinge blieben stur stehen.

Gabby unterdrückte ein Seufzen. Was konnte sie bei diesem Streit gewinnen? Sie würde sich nicht von Fünfjährigen erpressen lassen. »Boomer und Jasmine warten auch auf ihr Essen. Ich möchte nach Hause. Bitte steigt jetzt ein.«

»Nö. Machen wir nicht.« Kennedy verschränkte die Arme vor der Brust, und Kenzie tat es ihr gleich, denn Kenzie machte ihr immer alles nach.

»Für jede Minute, die wir hier warten, werdet ihr fünfzehn Minuten Fernsehzeit verlieren«, erklärte sie den Mädchen. Was eine ziemlich große Sache war, denn die Fernsehzeit im Hause Schaefer war sowieso schon begrenzt.

Die Zwillinge schauten einander an, dann wieder zu ihrer Mutter. Kenzie beugte sich zu ihrer Schwester.

»Fünfzehn Minuten sind ganz schön lang!«

Kennedy seufzte schwer und stieg dann in den Wagen. Kenzie war die Nächste. Gabby schwor sich, später mit ihrem Mann zu reden und gemeinsam mit ihm zu versuchen, eine Lösung zu finden. Oder zumindest ein Glas Wein zu trinken und einander daran zu erinnern, dass die Zwillinge in zehn Jahren anfangen würden auszugehen. Dann würden sie auf die Streitereien um Kindersitze zurückblicken und sich sagen, was für schöne Zeiten es gewesen waren.

2. Kapitel

»Ich habe die Neuigkeiten gehört«, sagte Cecelia, während sie die Wachsmalkreiden aufräumte, die verstreut auf den Kindertischen lagen.

Nicole Lord unterdrückte einen Seufzer und zwang sich zu einem breiten Lächeln. »Natürlich. Ist das nicht großartig? Wir sind alle ganz aus dem Häuschen.«

Cecelia trat näher und senkte die Stimme. »Alles in Ordnung. Tyler ist da drüben.«

Nicole warf einen Blick zu ihrem Sohn, der auf der anderen Seite des Raums mit Hayley spielte. Dann sah sie wieder die neunzehnjährige Betreuerin an. »Kannst du das glauben? Ich kann es nicht. Ausgerechnet jetzt. Tyler ist total aufgeregt. Er zählt schon die Tage. Wenn er besser rechnen könnte, würde er die Minuten zählen.«

»Und du?«, fragte Cecelia.

Nicole verdrehte die Augen. »Ich zähle auch die Minuten, aber aus anderen Gründen.«

»Du wirst ihn doch nicht angreifen oder so? Ich würde nur ungern lesen, dass du verhaftet worden bist.«

Die Frage, die lustig gemeint war, ließ ein Bild entstehen, das Nicole ungemein verlockend fand. Natürlich nicht die Vorstellung, verhaftet zu werden. Obwohl sie ein heimlicher Fan von Orange Is the New Black war, ging Nicole davon aus, dass sie im Knast nicht besonders gut zurechtkommen würde. Aber was eine Attacke auf Jairus Sterenberg betraf … Ja, dieser Teil gefiel ihr sehr. Sie hätte nichts dagegen, ihm eine schallende Ohrfeige zu verpassen. Oder ihm vielleicht einfach die Meinung zu sagen – also den wütenden, genervten Teil davon.

»Ich werde ihn nicht angreifen, versprochen. Tyler liebt seine Brad-der-Drache-Bücher, und ich würde meinem Sohn niemals wehtun.«

»Und was wäre, wenn er es nie erfahren würde?«, zog Cecelia sie auf. Dann hob sie eine Hand. »Okay, schon gut, ich höre ja auf. Es ist nur … Mein Gott, du hasst den Typen wirklich.«

»Ich hasse ihn nicht«, konterte Nicole in der Hoffnung, dass das stimmte. »Wie kann ich jemanden hassen, den ich noch nie getroffen habe? Es ist nur …« Sie schüttelte den Kopf. »Dieses Imperium, das er sich aufgebaut hat. In dem Artikel, den ich vor einer Weile gelesen habe, stand, dass er ein ziemlich schrecklicher Mensch ist, der mit Kindern sein Luxusleben finanziert. Was bedeutet, dass er ein kleines Wiesel ist, das auch Luft als Merchandising-Artikel verkaufen würde, wenn er einen Weg fände, sie einzufangen.«

Brad der Drache hatte als Star eines Bilderbuchs das Licht der Welt erblickt. Inzwischen gab es jedoch Brad-Bücher für Kinder, die schon allein lesen konnten. Und dann das Merchandising! Es gab Plüschtiere und Kleidung und Bettwäsche und Spiele. Jairus Sterenberg muss nur so in Geld schwimmen, dachte Nicole verbittert. Geld, das er überall auf der Welt Kindern und Eltern aus den Taschen zog.

Was noch schlimmer war, viel schlimmer: Sie hatte herausgefunden, dass er in der Gegend wohnte. In einer ach so großzügigen Geste hatte er angeboten, im diesjährigen Sommerprogramm einen Wettbewerb zu veranstalten. Und zwar ausgerechnet in dem Camp, in dem Tyler war.

Die Kinder waren eingeladen worden, einen kleinen Aufsatz zu schreiben, warum sie B den D so liebten. Jairus würde den Gewinner und seine Klasse persönlich besuchen und ihnen handsignierte Bücher schenken.

Tyler war beinahe ausgeflippt, als er davon gehört hatte. Zwei Wochen hatte er hart an seinem Aufsatz gearbeitet. Das wusste Nicole genau, denn sie hatte ihm bei jedem Schritt geholfen. Sie und ihr kleiner Sohn hatten sich eine neue Geschichte für B den D ausgedacht, in der Brad auf Tyler traf. Dazu hatten sie entsprechende Bilder gemalt.

»Ich weiß, du hältst ihn nicht für einen schlechten Kerl«, sagte Nicole. »Aber mal ehrlich. Kinder dazu zu zwingen, einen Aufsatz zu schreiben, bevor sie ihn treffen können? Kann er nicht einfach wie ein normaler Mensch in dem Camp auftauchen? Aber neiiiiin …«

Cecelia lachte. »Du hast es auf den armen Mann abgesehen, oder?«

»Glaub mir, von arm ist der weit entfernt.«

»Trotzdem. Was ist, wenn er nicht böse ist?«

»Dann werde ich mich sehr, sehr schlecht fühlen, weil ich so über ihn geredet habe.«

»Und, ist das wahrscheinlich?«, fragte Cecelia.

Nicole grinste. »Keine Chance.«

Sie bestätigte die Termine für die folgende Woche, dann ging sie, um Tyler zu holen. Sie musste – wenn auch nur insgeheim – zugeben, dass ihr Widerwille gegen den Erschaffer von B der D ziemlich neu war. Und tief im Herzen verstand sie, dass sie vielleicht, ganz vielleicht, ihre Gefühle auf einen Mann projizierte, den sie noch nie getroffen hatte.

Vor beinahe zwei Jahren hatte ihr damaliger Ehemann seinen Job gekündigt, um ein Drehbuch zu schreiben. Das hatte er vorher weder mit ihr besprochen noch überhaupt erwähnt. Erst zwei Tage später hatte er ihr davon erzählt. Es hatte keine Vorwarnung, keine Gespräche gegeben. Eric hatte den Bürojob einfach hingeschmissen und es ihr überlassen, sich um das Einkommen für die Familie zu kümmern, während er surfen ging, um »den Kopf klar zu kriegen«, bevor er sich hinsetzte, um zu schreiben.

Ungefähr zu dieser Zeit hatte Nicole angefangen, Brad den Drachen und die damit einhergehenden Merchandising-Artikel nervtötend zu finden. Was war das nur mit Autoren? Mussten die alle egoistische Idioten sein? Oder betraf das nur die erfolgreichen? Denn Eric hatte sein Drehbuch tatsächlich für die unglaubliche Summe von einer Million Dollar verkauft. Und sie dann verlassen.

»Bist du bereit?«, fragte sie Tyler.

Er hatte seine dünnen Arme um Hayleys Taille gelegt und sich an sie gelehnt. Hayley erwiderte die Umarmung. Die zwei hatten sich schon immer nahegestanden. Hayley war durch und durch ein Kindermensch.

»Ich seh dich das nächste Mal«, sagte er zu Hayley.

»Ich kann es kaum erwarten«, erwiderte sie. »Hab viel Spaß, wenn du Jairus triffst.«

Tyler grinste so breit, dass Nicole wusste, es musste fast wehtun. »Nur noch fünf Tage.«

»Weißt du, wie viele Minuten das sind?«, fragte Hayley und schlug sich dann die Hand vor den Mund, als Tyler sich an Nicole wandte.

»Mommy?«

»Es tut mir so leid«, flüsterte Hayley. »Ich habe es nur noch schlimmer gemacht, oder?«

»Wir werden es überleben.«

Tyler kam zu ihr und tanzte vor ihr auf und ab. »Können wir rauskriegen, wie viele Minuten es noch sind?«

»Natürlich. Wir rechnen es aus, sobald wir zu Hause sind. Dazu brauchen wir aber einen Taschenrechner.«

Hayley zuckte zusammen. »Jetzt hab ich dich auch noch dazu verdonnert, Mathe zu machen.«

Nicole umarmte ihre Freundin. »Ich liebe dich, auch wenn du mich zum Rechnen zwingst. Aber wenn ich mein Badezimmer neu verfuge, bist du die Erste, die ich anrufe.«

»Abgemacht.«

Nicole richtete sich auf und musterte Hayley kurz. Wie immer sah sie aus, als kämpfe sie gegen eine schreckliche Krankheit an. Nicole wusste, dass die Realität nicht ganz so verzweifelt, aber trotzdem schmerzhaft war, denn Hayley erholte sich von einer weiteren Fehlgeburt.

Nicole nahm Tylers Hand und verließ mit ihm das Gebäude. Während sie ihm half, sich auf seiner Sitzerhöhung anzuschnallen, plapperte er ununterbrochen über B den D und den anstehenden Besuch des erfolgreichen Autors.

Vielleicht ist es nicht Jairus’ Schuld, sagte sie sich und schloss die hintere Tür. Vielleicht war er wirklich ein netter Mensch, der Kinder liebte. Sie bezweifelte es, auch wenn sie hoffte, dass Tylers großer Held sich nicht als absolutes Scheusal entpuppen würde. Denn das würde ihrem Sohn das Herz brechen.

Das Gute daran war, dass sie sich freiwillig gemeldet hatte, bei diesem Besuch als Aufpasserin dabei zu sein. Wenn Jairus sich also als komplettes Arschloch herausstellen sollte, würde sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um Tyler und die anderen Kinder zu beschützen. Zumindest könnte sie dem Mann unauffällig ein Bein stellen. Ihn mit Schimpfwörtern bedenken. Ihn möglicherweise mit einem B der D aus Plüsch hauen.

Diese Vorstellung ließ sie lächeln. Alles eine Frage der Perspektive, dachte sie sich. Wie so oft im Leben.

»And we’re learning how to trust. And we’re finally starting to live.«

Hayley Batchelor klopfte mit den Fingern auf dem Lenkrad den Takt, während sie den neuen Song von Destiny Mills aus dem Radio mitsang und sich dabei auf ihrem Sitz hin- und her-wiegte. Als die Ampel grün wurde, überquerte sie die Kreuzung und bog rechts ab.

Um halb sieben an einem Donnerstagabend herrschte viel Verkehr – Nachbarn bogen in ihre Auffahrten ein, Kinder spielten in den Vorgärten. Die Geschwindigkeitsbegrenzung lag bei fünfundzwanzig Meilen pro Stunde, und hier fuhr niemand schneller, denn so ein Viertel war es nicht.

Hayley sah, dass das Eckhaus nun ein zweites Stockwerk hatte. Seit Monaten war es eine einzige Baustelle gewesen. Es war interessant gewesen zuzuschauen, wie erst alles abgerissen und dann neu aufgebaut worden war. Einmal fertig, würde das Haus umwerfend aussehen. Die meisten Häuser in der Nachbarschaft durchliefen einen ähnlichen Prozess – sie wurden renoviert, aufgehübscht. Hayley wusste, dass es einen Begriff dafür gab. Vielleicht »Gentrifizierung«?

An der nächsten Ecke bog sie ab und fuhr ihre Straße hinunter. Hier gab es weitere Anzeichen für eine Revitalisierung. Ihr gefielen die frischen Farben und die neuen Haustüren. Aber als sie auf ihre Einfahrt einbog, zog sie die Nase kraus. Wo wir gerade von Aufhübschen sprechen, dachte sie und starrte auf ihren von Unkraut überwachsenen Garten und die abblätternde Farbe an den Fensterrahmen. Der blassgraue Stuck war noch gut in Schuss, trotzdem sah das Haus nach dem aus, was es war: ein Ort, der schon eine ganze Weile vernachlässigt worden war.

Dafür gab es einleuchtende Gründe. Aber es hatte sich etwas verändert. Und es war an der Zeit, dass ihr Haus diese Veränderungen widerspiegelte.

Sie nahm ihre Supper’s in the Bag-Taschen vom Rücksitz, ging zur Haustür und trat ein.

Das Haus war nicht allzu groß, gerade einmal hundertvierzig Quadratmeter. Ursprünglich waren es nur etwa hundert gewesen, aber die Vorbesitzer hatten ein Schlafzimmer samt angrenzendem Badezimmer und begehbarem Kleiderschrank angebaut. Damit hatten sie jetzt drei Schlafzimmer und zwei Bäder. Das Grundstück hatte eine gute Größe, und die Lage – nur wenige Straßenzüge vom Meer entfernt – war beinahe unschlagbar.

Der Parkettfußboden und der Kamin im Wohnzimmer waren noch original. Wobei sie den Kamin nur selten nutzten. Die Gegend um Los Angeles war nicht gerade für kalte Winter bekannt. Doch der Kamin war schön, und ab und zu fielen die Temperaturen weit genug, dass es sich lohnte, ein Holzscheit oder zwei zu verbrennen.

Hayley ging in die Küche und verstaute das Essen. Zwei vorbereitete Mahlzeiten kamen in den Kühlschrank, der Rest in den Gefrierschrank. Als sie damit fertig war, schaltete sie den Ofen an und holte alles heraus, was sie für einen Salat brauchte. Sie faltete die Einkaufstaschen zusammen und legte sie in die kleine Waschküche. Dann schaute sie sich mit halbwegs kritischem Blick in der Küche um.

Der Grundriss war gut. Die Arbeitsflächen waren mit Mosaiksteinchen aus den 1950er-Jahren in zwei verschiedenen Grüntönen gefliest und nicht gerade der letzte Schrei, aber sie passten zum Haus. Es gab ausreichend Stauraum, und die Fenster sorgten für viel natürliches Licht. Die Schränke waren aus Massivholz und wunderschön, auch wenn man ihnen ihr Alter ansah, genau wie den Elektrogeräten und den Armaturen. Sie strich mit der Hand über eine der Schranktüren und fragte sich, was nötig wäre, um sie wieder richtig schick zu machen. War das etwas, das Rob und sie alleine hinbekommen könnten?

Der Fußboden war mit einem inzwischen eher traurig aussehenden Linoleum belegt, doch das zu ersetzen, würde zu viel kosten. Die Spüle war etwas neuer, und als ihr alter Backofen den Geist aufgegeben hatte, hatten sie ihn mit einem moderneren Modell ersetzt.

Wenn sie die Arbeitsplatten so lassen und sich einzig auf die Schränke konzentrieren würden … Ja, das würde einen Unterschied machen. Und etwas frische Farbe könnte auch Wunder wirken.

Sie ging den kurzen Flur hinunter, der zum großen Badezimmer und zwei weiteren Räumen führte. Über das Badezimmer hatten sie und Rob viel diskutiert. Es war auch noch im Originalzustand, mit Kacheln in zwei verschiedenen Blautönen und einer riesigen Badewanne. Rob hatte es komplett rausnehmen und durch etwas Moderneres ersetzen wollen, doch Hayley gefiel der Charakter des Bads.

Die beiden Zimmer hier hinten wären einfach. Ein wenig Farbe und vielleicht ein paar neue Vorhänge. Das Kleinere der beiden beherbergte ihr Büro. Und das andere … nun, das betrat sie nie. Sie wusste, wie es aussah. Blassgelbe Wände und ein glänzender Holzfußboden. In einer Ecke stand ein Schaukelstuhl. Ansonsten war der Raum leer.

Das Schlafzimmer lag auf der anderen Seite des Hauses. Auch hier würden ein wenig Farbe und vielleicht neue Bettwäsche schon ausreichen, um es schöner zu machen. Das Haus war solide gebaut und lag in einem guten Viertel. Sie mussten ihm nur ein wenig mehr Zuneigung und Fürsorge entgegenbringen.

Sie hörte, wie die Haustür geöffnet wurde, und dann Schritte im Wohnzimmer.

»Ich bin zu Hause!«, rief Rob.

Hayley ging zu ihm, um ihn zu begrüßen. »Hi. Ich bin selber gerade erst nach Hause gekommen. Zum Abendessen gibt es heute einen Enchilada-Auflauf.«

Rob war knapp eins fünfundsiebzig groß, hatte hellbraunes Haar und blaue Augen. Er trug eine Brille und hatte ein einnehmendes Lächeln. Er war ein Mensch, dem andere instinktiv vertrauten, und Hayley hatte ihn von ihrer ersten Begegnung an gemocht.

Sie trat in seine Umarmung und lehnte ihren Kopf an seine Brust. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange.

»Wie war dein Tag?«, fragte er.

»Gut. Viel zu tun. Ich bin bei Supper’s in the Bag gewesen.«

»Das dachte ich mir. Du weißt, wie sehr ich Enchiladas liebe.«

»Ja, das weiß ich.«

Er sah sie an. »Geht es dir gut?«

»Mir geht es super. Ich fühle mich stark.«

Ein Anflug von Zweifel huschte über sein Gesicht, aber er lächelte. »Gut. Es ist so ein schöner Abend. Wir könnten draußen essen.«

Denn während der Rest von Los Angeles in der schwülen Juli-Hitze brütete, wurde Mischief Bay von einer leichten Meeresbrise verwöhnt.

»Gute Idee.«

Gemeinsam gingen sie in die Küche. Während Rob sich die Hände wusch, schob Hayley den Auflauf in den Ofen und stellte dann die Uhr. Rob nahm zwei Bierflaschen aus dem Kühlschrank und zwei hohe Gläser aus dem Schrank. Dann schenkte er ein und reichte Hayley ein Glas. Sie gingen nach draußen auf die gepflasterte Terrasse, die im Schatten lag, da das Grundstück nach Osten ausgerichtet war.

Hayley setzte sich auf ihren üblichen Platz und legte ihre Füße auf eine Ottomane. Rob setzte sich ihr gegenüber.

»Was ist mit dir?«, fragte sie. »Hattest du einen guten Tag?«

Er nickte. »Es ist nichts in die Luft geflogen.«

»Das ist doch schon mal was.«

Das war ein vertrauter Scherz zwischen ihnen. Vor sechs Monaten hatte Rob die Stelle als Managementassistent bei dem örtlichen BMW-Händler von Mischief Bay angetreten. An seinem ersten Arbeitstag hatte es in einer der Werkstattbuchten eine Explosion gegeben. Irgendetwas mit Druck und Hitze, Hayley hatte es nicht ganz verstanden. Zum Glück war niemand verletzt worden und auch an den Autos war kein Schaden entstanden. Aber es war definitiv ein aufregender Start in den neuen Job gewesen.

Dieser Jobwechsel war für Rob ein großer Schritt nach vorne – sowohl karrieretechnisch als auch finanziell. Die Arbeitszeiten waren lang, aber er musste nicht mehr reisen, und sie mochte es, ihn bei sich zu haben. Außerdem erhielt er einige Zusatzleistungen, die ebenfalls nicht zu verachten waren. Er bekam sogar bezahlten Urlaub – wenn auch erst in einigen Monaten. Trotzdem würde das sehr gelegen kommen, sobald sie ein Baby hatten. Rob hatte außerdem noch einen Nebenjob. An den Wochenenden half er einem Freund, alte Autos zu restaurieren. Was für einen Mann, der Autos liebte, mehr Vergnügen als Arbeit war.

»Bist du sicher, dass es dir gut geht?«, fragte er.

Sein Tonfall war leicht, aber sie hörte die Sorge hinter seinen Worten. Und sie kannte den Grund dafür. Wenn sie in den Spiegel schaute, erkannte sie, dass sie aussah wie jemand, der eine schwere Krankheit überstanden hatte. Der Preis, den ich zahlen muss, dachte sie grimmig. Und den sie weiter zahlen würde, komme, was wolle. Denn ihr Traum war zu wichtig, um es nicht zu tun.

»Mir geht es wirklich gut«, versicherte sie ihm und stieß seinen Fuß sanft mit ihrem an. »Du machst dir Sorgen.«

»Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch. Und ich habe nachgedacht.«

Seine Hand, die gerade die Bierflasche an den Mund führen wollte, hielt inne. »Wird mir das, worüber du nachgedacht hast, gefallen?«

»O ja. Vorhin, auf dem Weg nach Hause, habe ich mir unser Viertel angeschaut. Wir haben das hässlichste Haus in der Straße. Das sollte nicht so sein. Dieses Haus ist bezaubernd, aber bei allem, was los war, hatten wir keine Zeit, es zu renovieren. Ich würde gerne mit dir darüber reden, welche Veränderungen wir durchführen können.«

Rob beugte sich zu ihr. »Wirklich? Das ist super. Ich stimme dir vollkommen zu. Wir sind eine Schande für die Nachbarschaft. Ich erwarte täglich, dass die Leute nebenan eine Petition starten. Ich habe schon ganz viele Ideen.«

Was Hayley nicht im Geringsten überraschte. Sie und Rob hatten schon immer gleich gedacht.

»Das Äußere ist leicht hinzukriegen«, sagte sie. »Dafür braucht es nur ein wenig Zeit.«

Rob wirkte nicht überzeugt. »Hayley, Liebes, du darfst dich körperlich nicht anstrengen. Einer der Jungs in der Firma hat einen Bruder, der eine Gartenbaufirma betreibt. Die können den Garten innerhalb weniger Tage in Ordnung bringen, und dann können wir beide neue Blumen und Sträucher pflanzen. Das sollten wir allein hinbekommen.«

Sie hasste die Vorstellung, Geld dafür auszugeben, dass jemand anderes ihren Garten auf Vordermann brachte, aber sie verstand Robs Einwand. Sie war immer noch ziemlich schwach, und er hatte zwei Jobs. »Ich will aber nicht zu viel Geld ausgeben«, setzte sie an.

»Ich auch nicht. Ich bitte Ray, dass er seinen Bruder mal vorbeischickt, damit er uns einen Kostenvoranschlag macht. Wir lassen erst einmal nur den Vorgarten aufräumen.«

»Okay.« Der hintere Garten war nicht allzu schlimm. Es gab die Terrasse und ein paar Bäume, der Rest war Rasen. Wenn sie anfangen würden, ihn regelmäßig zu bewässern, würde er bald wieder grün sein.

»Was hast du dir für drinnen überlegt?«, fragte er. »Wir sollten die Küche neu machen.«

Hayley bemühte sich, nicht zusammenzuzucken. »Wie wäre es, wenn wir mit etwas Farbe anfangen?«, sagte sie. »Und vielleicht ein paar neue Vorhänge oder Jalousien.«

Sie hatte mit Widerspruch gerechnet, doch er überraschte sie, indem er nickte. »Du hast recht. Eine komplette Renovierung der Küche wäre im Moment zu viel.«

Schuldgefühle blitzten in ihr auf. Rob machte sich Sorgen, dass sie sich überanstrengen könnte. Denn er machte sich immer Sorgen. Sie hatten so viel durchgemacht, und er war bei jedem Schritt an ihrer Seite gewesen. Ihre wiederholten Versuche, schwanger zu werden, hatten sowohl ihren Körper als auch ihr Bankkonto ausgelaugt und sie emotional erschöpft.

Aber der Grund, warum sie die Küche nicht renovieren wollte, war ein anderer. Einige hätten sogar gesagt, dass es ein egoistischer Grund war. Doch diesen Leuten hätte sie geantwortet, dass sie eben keine Ahnung hatten, was sie durchmachte. Wie es war, wenn einem das Einzige verwehrt blieb, das man je gewollt hatte.

Ich habe einen Plan, ermahnte sie sich. Es bestand immer noch Hoffnung. Und sie würde auf keinen Fall aufgeben.

»Im Baumarkt gibt es eine Abteilung mit Angeboten«, sagte sie. »Wie wär es, wenn wir nach dem Dinner hinfahren und gucken, ob sie irgendeine Farbe haben, die uns gefällt? Wir brauchen nur ein paar Liter für das Büro und das Schlafzimmer. Und für die Wände in der Küche, dachte ich.«

Rob runzelte die Stirn. »Du meinst diese übrig gebliebenen Farbeimer, die niemand haben wollte?«

»Das sind keine Überbleibsel, sondern Fehlentscheidungen, weil irgendwem die Farbe doch nicht gefiel oder er zu viel gekauft hat. Da kann man einen Eimer für um die fünf Dollar kriegen.«

»Ich weiß, es bereitet dir Freude, jeden Penny dreimal umzudrehen, aber ich bin mir sicher, dass wir uns die Farbe leisten können, die uns gefällt. Auch wenn wir dafür den vollen Preis zahlen müssen.«

Er zog sie nur auf, das hörte sie in seiner Stimme und sah es in seinem sanften Lächeln. Sie zwang sich, entspannt zu bleiben, obwohl sie innerlich schreien wollte, dass sie jeden Dollar brauchten, den sie sparen konnten. Dass Babys Geld kosteten und – in ihrem Fall – schwanger zu werden noch teurer war.

Aber darüber hatten sie sich schon oft genug gestritten. Sie würde Rob an ihrer Seite brauchen, wenn sie die nächsten paar Monate durchstehen wollte. Sie mussten ein Team sein. Nächstes Jahr um diese Zeit würde alles anders sein. Sie würden eine Familie haben, dessen war sie sich sicher. Denn dieses Mal, das wusste sie, würde ein Wunder geschehen.

3. Kapitel

»Mommy, können Boomer und Jasmine heiraten?«, fragte Kennedy am Freitagnachmittag aus ihrem Kindersitz im Auto.

»Nein, das können sie nicht.«

»Weil sie sich nicht mögen?«, hakte Kenzie nach.

»Sie mögen einander schon«, erwiderte Gabby und reihte sich in die Schlange der Autos ein, die darauf warteten, die Teenager aus dem Sommercamp für Zwölf- bis Fünfzehnjährige abzuholen. Natürlich lag es auf der anderen Seite des Parks und hatte die gleiche Anfangszeit wie die Ferienbetreuung der Zwillinge. Manchmal fragte sie sich, was die zuständigen Leute in den Behörden sich dachten, wenn sie die Zeitpläne erstellten. Ganz zu schweigen davon, wann welche Straßen vorübergehend morgens oder abends zu Einbahnstraßen wurden. Sie wollte so gerne glauben, dass sie taten, was für einen guten Verkehrsfluss am besten war. Dass niemand heimlich das Chaos beobachtete, das jeden Tag entstand, und sich ins Fäustchen lachte, während Mütter mit Kindern in verschiedenen Altersklassen versuchten, an zwei Orten gleichzeitig zu sein.

»Sie können nicht heiraten, weil Boomer ein Hund ist und Jasmine eine Katze. Außerdem gibt es keine Tierhochzeiten.«

»Aber was ist, wenn sie sich lieben?«, fragte Kenzie verträumt. Mit fünf Jahren war »einander lieben« das Ende beinahe jedes Märchens. Das und »glücklich bis ans Lebensende«, was praktisch das Gleiche war.

Kurz überlegte Gabby, dass sie, wenn sie eine bessere Mutter wäre, ihren Töchtern realistischere Geschichten vorlesen würde. Geschichten, in denen Frauen Firmen leiteten, ein Unternehmen gründeten oder Ärztinnen wurden, anstatt eine Prinzessin zu sein, die einen Mann fand, weil sie wunderschön und geistlos war.

Aber das ist ein Problem für einen anderen Tag, sagte sie sich und stöhnte, als sie einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett warf.

Sie war fünf Minuten zu spät, weil die Zwillinge sich beim Abholen wieder einmal geweigert hatten, sich anzuschnallen. Diese blöden Kindersitze. Sie wurden von Tag zu Tag zu einem größeren Problem.

Im Schneckentempo bewegte sie sich vorwärts und erinnerte sich daran, dass sie nur noch die nächsten Stunden überstehen musste, bevor sie sich entspannen konnte. Sie würde den Kindern ihr Abendessen machen und dann nach oben gehen, um ein langes Bad zu nehmen, während Andrew …

»Scheibenkleister!«

Das kam einem Schimpfwort so nah, wie sie es sich dieser Tage erlaubte. Denn in ihrer nahen Zukunft wartete kein Schaumbad auf sie. Sie hatte ganz vergessen, dass sie und Andrew am Abend auf eine Spendengala gingen. Irgendetwas, das mit seiner Arbeit zu tun hatte. Oder war es etwas Politisches? Sie konnte sich nicht erinnern. Doppelter Scheibenkleister. War ihre schwarze Hose schon aus der Reinigung zurück?

Der Wagen hinter ihr hupte. Gabby merkte, dass sie eine kostbare Lücke zwischen ihrem und dem Auto vor sich hatte entstehen lassen, und fuhr wieder an. Dabei überlegte sie, was sie anziehen sollte, während sie gleichzeitig zuhörte, wie Kenzie und Kennedy darüber diskutierten, was Jasmine wohl anziehen würde, wenn sie und Boomer heiraten könnten. Das Brautkleid bereitete ihnen dabei weniger Probleme als der Brautstrauß. Wie würde eine Katze den auf dem Weg zum Altar wohl tragen?

Gabby schaute zu den wenigen Jugendlichen, die noch am Rand des Parks standen, und erblickte Makayla. Ihre Stieftochter war groß und hatte unendlich lange Beine. Die blonden Haare fielen ihr beinahe bis zur Taille über den Rücken. Sie trug ein lockeres Oberteil ohne Ärmel und Shorts. Sie war hübsch und noch ein wenig schlaksig, aber in ein paar Jahren würde sie eine Schönheit sein, die jede Frau auf der Welt neidisch machte. Genau wie ihre umwerfende Mutter.

Wenn sie mit einer von ihnen zusammen war, fühlte sich Gabby immer klein und etwas zu rund um die Hüften, wofür Makayla natürlich nichts konnte.

Sie fuhr an den Bordstein und sah zu, wie das Mädchen näher kam. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie versuchte, die Stimmung abzuschätzen. Es war der Freitag eines Besuchswochenendes, was bedeutete, dass es so oder so ausgehen konnte.

»Hi«, sagte Gabby fröhlich, als Makayla die Beifahrertür öffnete.

»Hi.« Makayla setzte sich und schnallte sich an, bevor sie sich zu den Zwillingen umdrehte. »Hey, ihr Zwerge.«

»Makayla!« Beide Mädchen begrüßten sie fröhlich.

»Wir finden, Boomer und Jasmine sollten heiraten«, verkündete Kennedy. »In einem weißen Kleid.«

»Hm. Ich glaube nicht, dass Boomer in einem weißen Kleid gut aussehen würde, oder?«

Die Zwillinge lachten. Gabby lächelte, als sie sich ihren Basset in weißen Tüll gehüllt vorstellte.

»Doch nicht Boomer«, sagte Kenzie. »Sondern Jasmine.«

»Oh, das ist natürlich etwas anderes.«

Der Knoten in Gabbys Magen löste sich auf. Es würde diese Woche kein Geschrei oder Türenknallen geben. Kein schmollendes Schweigen. Makayla würde sich fertig machen, um ihre Mutter zu besuchen, und dann wäre sie für achtundvierzig Stunden weg. Die Chancen standen gut, dass es am Sonntagabend schlimm wurde – wie üblich –, aber bis dahin war noch Zeit.

Die Höhen und Tiefen, die mit einer Fünfzehnjährigen einhergingen, wurden durch Makaylas Beziehung mit ihrer Mutter noch verstärkt, denn diese Beziehung war, freundlich ausgedrückt, sehr wechselhaft. Manchmal wollte Candace die beste Mutter aller Zeiten sein, und manchmal betrachtete sie ihre Tochter als unwillkommene Störung. Traurigerweise macht es ihr nichts aus, diese Stimmungsschwankungen Makayla mitzuteilen.

Gabby versuchte, sich immer wieder klarzumachen, dass es bei den unweigerlich folgenden Anfällen von Wut und Depression nicht um sie ging. Makayla musste jemandem die Schuld geben, und Gabby war ein sicheres Ziel. Wenn es zu hart wurde, gab es zum Glück immer noch Schokolade und das Wissen, dass Makayla – ganz egal, was sonst los war – ihre Halbschwestern liebte.

Gabby fädelte sich in den freitäglichen Nachmittagsverkehr ein. Für die drei Blocks am Pacific Coast Highway benötigte sie beinahe eine Viertelstunde, aber sobald sie es in ihr Viertel geschafft hatten, ließ der Verkehr merklich nach.

Sie war keine fünf Straßenzüge von hier entfernt aufgewachsen. Ihre Geschwister und sie waren auf die gleiche Grundschule gegangen, auf die Kenzie und Kennedy gehen würden. Sie wusste, wo die Kinder gerne abhingen, wie lange es genau dauerte, zu Fuß nach Hause zu gehen, und wie man am schnellsten von zu Hause zum Strand kam.

Manchmal fragte sie sich, wie es gewesen wäre, von einem anderen Ort hierhergezogen zu sein. Mischief Bay als Erwachsene entdeckt zu haben. Für sie gab es hier nur absolute Vertrautheit.

Sie bog in ihre Einfahrt ein. Makayla stieg aus und öffnete dann die hintere Tür, um den Zwillingen herauszuhelfen. Gabby ging zur Haustür und schloss auf. Dabei hörte sie bereits Boomer, der bellend und kratzend darum bettelte, hinausgelassen zu werden. Das Einzige, was ihn davon abhielt, durch die Tür zu brechen, war eine Metallplatte, die Andrew angeschraubt hatte.

Sobald sie die Tür öffnete, schoss der Hund an ihr vorbei, um seine Mädchen zu begrüßen. Denn obwohl Boomer alle seine Menschen liebte, waren Makayla und die Zwillinge sein Rudel. Er folgte ihnen überallhin, bemühte sich, alle so gut es ging in Schach zu halten, und wenn sie gegen seine Regeln verstießen, verpetzte er sie.

Jetzt lief er in Kreisen um die drei Kinder herum und bellte seine Freude darüber, sie wiederzusehen, laut heraus. Er benahm sich, als wäre er wochenlang allein gewesen und nicht nur ein paar Stunden. Gabby dachte daran, ihn darauf hinzuweisen, dass sie beinahe den ganzen Nachmittag über zu Hause gewesen war, fürchtete aber, dass die Information Boomer nicht sonderlich beeindrucken würde.

Makayla und die Zwillinge streichelten ihn kurz, bevor sie auch ins Haus gingen. Sobald sie sich in Bewegung setzten, drängelte Boomer sich an ihnen vorbei und schoss durch die offen stehende Tür. Gabby achtete darauf, dass Jasmine nicht nach draußen in die Freiheit flüchtete, trat dann in den Flur und schloss die Tür hinter sich.

Es war beinahe vier Uhr. Nach ihren Berechnungen blieben ihr weniger als zwei Stunden, um die Zwillinge für den Abend fertig zu machen, das Essen vorzubereiten, die Tiere zu füttern und sich von einer trutschigen Hausfrau in die glamouröse, charmante Ehefrau des erfolgreichen Andrew Schaefer zu verwandeln. Das würde nicht leicht werden.

Sie ging direkt in die Küche und ließ ihre Handtasche auf den eingebauten Schreibtisch fallen, der ihre Auffangstation für alles war, was sonst keinen Platz hatte. Dann warf sie einen Blick auf den Kalender an der Wand, in dem die Aktivitäten der Familienmitglieder in unterschiedlichen Farben eingetragen waren. Makaylas Mom würde sie um sechs Uhr abholen. Andrew und Gabby mussten um Viertel nach sechs das Haus verlassen, und Cecelia, ihre Babysitterin, würde um Viertel vor sechs eintreffen.

»Mommy, kann ich heute Abend meinen lila Hut zum Essen tragen?«, fragte Kenzie, während sie in die Küche gerannt kam. »Kennedy will ihren grünen anziehen, aber ich mag den lilanen lieber. Der hat nämlich Federn und Spitze.«

»Hast du meine dunkelblaue Jeans aus der Reinigung abgeholt?«, fragte Makayla, die nun ebenfalls in die Küche kam. »Die brauche ich am Wochenende. Mom will mit mir ins Kino und danach zum Essen gehen. Was bedeutet, dass wir mal wieder in irgendein schickes Lokal gehen werden.«

»Hab ich. Sie liegt in deinem Zimmer.«

Was du wissen würdest, wenn du dir die Mühe gemacht hättest nachzugucken. Aber das sagte sie nicht laut. Genauso wenig, wie sie erwähnte, dass es lächerlich war, dass eine Fünfzehnjährige ihre Jeans in die Reinigung geben durfte. Konnte die nicht mit den anderen Sachen zusammen gewaschen werden? Aber Makayla hatte behauptet, es wäre wichtig, und Andrew hatte zugestimmt.

Makayla setzte sich auf einen der Barhocker an der Kücheninsel. »Mom hat gesagt, sie geht mit mir zu ihrem Friseur und lässt mir die Haare schneiden. Vielleicht lasse ich mir einen Pony machen. Es ist noch ausreichend Zeit, ihn wieder rauswachsen zu lassen, bevor die Schule anfängt. Also, falls es mir nicht gefällt.«

Während sie sprach, streckte sie ihre langen Arme mit verschränkten Fingern über dem Tresen aus. Kenzie beobachtete sie ganz genau, und Gabby wusste, dass sie am nächsten Morgen die gleiche Pose beim Frühstück sehen würde. Denn es gab nichts, was die Zwillinge lieber taten, als ihre ältere Schwester nachzuahmen.

»Vielleicht gehen wir auch für die Schule shoppen. Sie kann mich mitnehmen, damit ich mir die ganzen Herbstlooks angucken kann, die noch nicht auf dem Markt sind. Wir haben uns schon die Lookbooks der Designer angesehen, und ich hab mir ein paar Sachen ausgesucht.«

Candace war Einkäuferin für ein exklusives Kaufhaus und hatte damit Zugriff auf viele Dinge, die für die Öffentlichkeit noch nicht erhältlich waren. Gabby sagte sich, dass es nett war, wenn Makayla sich bei ihrer Mom besonders fühlen konnte. So sollte es schließlich sein. Und meistens kaufte sie sich das ab. Beinahe zumindest.

Makayla zog dramatisch eine Schulter hoch. »Das liegt daran, dass ich ein Auge für Trends habe.«

»Das hast du.«

Makayla musterte Gabbys knielange, ausgeleierte Shorts und das übergroße T-Shirt – das blaue mit dem Fleck auf der Vorderseite und dem kleinen, aber immer größer werdenden Loch in der Nähe des Saums.

»Soll ich mal mit Daddy darüber sprechen, dass er dir ein Umstyling spendiert?«

»Danke, meine Süße, aber nein.«

Sie sagte sich, dass sie es gar nicht so schlecht getroffen hatte. Makayla war ein ziemlich gutes Kind. Sie hatte ihre Launen, aber die meisten davon waren den Hormonen oder ihrer Mutter geschuldet. Makayla liebte ihre kleinen Schwestern und hatte immer ein Auge auf sie.

Das Schwierige war das nagende Gefühl, dass Makayla nicht wie ein Mitglied der Familie behandelt wurde. Sie war mehr ein illustrer Gast, um den alle anderen kreisten. Wie bei dieser Sache mit der Reinigung. Wirklich? Für Jeans? Oder dass es Makayla nichts ausmachte, auf die Zwillinge aufzupassen, wenn Gabby Hilfe brauchte. Aber nur für eine Stunde. Niemals für einen ganzen Nachmittag oder Abend. Und selbst die wenigen Minuten, die sie aufpasste, waren lediglich ein Gefallen und nichts, auf das Gabby sich verlassen konnte. Makayla irgendwelche Anordnungen zu geben, war nicht gestattet.

Das Zweite-Frau-Syndrom, sagte Gabby sich. Ab und zu nervte es sie, dass sie sich mit Andrews Vergangenheit herumschlagen musste. Umgekehrt war das Schlimmste, was er hatte ertragen müssen, dass ein alter Schulfreund auf dem zehnjährigen Abschlusstreffen mit ihr geflirtet hatte. Und das war wohl kaum das Gleiche.

»Mommy, ich glaube, Jasmine muss sich übergeben!«, rief Kennedy von irgendwo im ersten Stock. Makayla und Kenzie rannten los. Gabby hielt lange genug inne, um sich ein paar Haushaltstücher zu schnappen. Als sie in Richtung der Treppe lief, fragte sie sich, ob es falsch war, darauf zu hoffen, dass Boomer als Erster oben ankam und sich für sie um die Sache kümmerte. Wenn es darum ging, sauber zu machen, konnte man sich immer auf den großen Kerl verlassen.

Um fünf Uhr war das Chaos im Haus ansatzweise in Ruhe übergegangen. Zumindest redete Gabby sich das ein. Das Essen stand im Ofen, Makayla war dabei, fürs Wochenende zu packen, und die Zwillinge waren in ihrem Spielzimmer und überlegten, was sie abends mit Cecelia machen wollten.

»Verkleiden«, sagte Kennedy bestimmt, den kleinen grünen Hut auf dem Kopf. »Und Lego.«

»Auf jeden Fall Lego«, stimmte Kenzie zu. Ihr Hut schien nur aus Spitze und Federn zu bestehen. Sie waren beide so bezaubernd. Stur, aber bezaubernd.

Gabby hatte festgestellt, dass Abende mit dem Babysitter besser liefen, wenn jeder mit den richtigen Erwartungen daranging. Für diesen Zweck stellte sie immer einen Teller mit Snacks für ihre Töchter und die Babysitterin zusammen und sorgte dafür, dass Spielzeuge, Bücher und Filme vorab ausgewählt wurden.

Die ausgewählten Spielzeuge wurden auf den kleinen Kindertisch gestellt. Daneben lagen drei Bücher, die Cecelia ihnen vor dem Einschlafen vorlesen würde, und ein paar DVDs. Jasmine, die sich vom Hochwürgen ihres Fellballs erholt hatte, kam hereingeschlendert. Sie ging zu Gabby und stieß ein sehr mädchenhaftes Miauen aus – ein Zeichen dafür, dass in ihrer Katzenwelt alles in bester Ordnung war. Boomer folgte ihr, die Nase in den Teppich gedrückt, als suche er nach heruntergefallenen Krümeln oder Ähnlichem.

Die Zwillinge zogen ihre Tiere an sich, und Gabby nutzte die Ablenkung, um das Zimmer zu verlassen. Sie musste noch duschen – denn dazu hatte sie am Morgen keine Zeit gehabt – und irgendetwas mit ihren Haaren machen.

Eine Weile hatte sie es mit Blond probiert, aber ehrlich gesagt war es mit drei Kindern zu schwer, Zeit für regelmäßige Friseurtermine zu finden. Bald würde sie außerdem wieder anfangen zu arbeiten. Wenn sie jetzt schon keine Zeit hatte, würde sie die dann erst recht nicht haben. Also hatte sie das letzte Jahr über die Farbe herauswachsen lassen, sodass ihre Haare jetzt wieder ihren natürlichen irgendwie bräunlichen, irgendwie rötlichen Ton hatten. Sie überlegte, sich zur Feier der Rückkehr ins Berufsleben Strähnen machen zu lassen, aber nur, wenn ihre Friseurin ihr versprach, dass die nicht öfter als alle sechs Monate aufgefrischt werden mussten.

Sie schaffte es zu duschen, ohne gerufen zu werden oder sich um eine Krise kümmern zu müssen. Als sie aus der Dusche trat, hatten es sich die Zwillinge, Boomer und Jasmine auf dem Fußboden im Bad gemütlich gemacht und beobachteten sie, während sie nach ihrem Handtuch griff.

Kenzie und Kennedy hatten jeweils eins von Boomers Ohren in ihren kleinen Händen. Die Hüte schief auf dem Kopf, lehnten sie an seinem langen Körper und streichelten das seidige Fell. Jasmine beobachtete alles vom Badvorleger am Waschbecken aus, als hätte sie hier die Oberaufsicht. Was vermutlich auch so war. Jasmine liebte es, die Kontrolle zu haben.

»Was ziehst du an, Mom?«, wollte Kenzie wissen. »Du wirst hübsch aussehen.«

»Danke. Ich bin mir noch nicht sicher.«

»Ein Kleid«, sagte Kennedy entschlossen. »Mit hochhackigen Schuhen.«

Die Mädchen liebten es, hochhackige Schuhe anzuziehen, wenn sie sich verkleideten.

»Und Lippenstift«, ergänzte Kenzie.

Gabby schlüpfte in ihre Unterwäsche und ging dann in den großen begehbaren Kleiderschrank, den sie sich mit Andrew teilte. Während seine Seite beinahe militärisch durchorganisiert war – alles war nach Art und dann nach Farbe sortiert –, war ihre Seite etwas chaotischer. Ein paar Klamotten lagen auf dem Boden unter den Kleiderbügeln. Sie war nicht sicher, ob das Absicht war oder ob Jasmine sie heruntergezogen hatte, und das hier war nicht der passende Moment, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Zwei Reihen Kleiderstangen und ein eingebauter Schubladenschrank hätten ihr das Ordnen ihrer Kleidung leicht machen sollen, aber irgendwie kam sie nie dazu. Andrews Schubladen hingegen waren perfekt sortiert. Socken nach Farben geordnet, Sport-T-Shirts getrennt von den T-Shirts, die er unter seinen Hemden trug. Wie kam das? Sie räumte doch die Wäsche ein. Also war sie es auch, die seine Ordnung aufrechterhielt, während sie auf ihrer Seite gerade mal ein einigermaßen kontrolliertes Chaos zustande brachte.

Das ist jetzt alles nicht wichtig, sagte sie sich, während sie sich durch die Kleiderbügel wühlte, auf der Suche nach einem einigermaßen sauberen, einigermaßen schicken kleinen Schwarzen. Sie fand es ganz hinten, neben einem flauschigen pinkfarbenen Morgenmantel, den sie noch nie gemocht hatte.

Das Kleid hatte lange Ärmel, ein gewickeltes Oberteil und einen knielangen Rock. Sie hatte es seit einer ganzen Weile nicht mehr getragen, aber es sah sauber aus. Abgesehen von den pinkfarbenen Fusseln des Morgenmantels, die sie aber mit einem Klebestreifen schnell entfernen konnte. Die größere Frage war: Würde es noch passen?

Sie wusste, dass sie irgendwo einen Mörder-Spandexslip hatte, aber bevor sie sich dieser Demütigung ergab, wollte sie gucken, ob das Kleid überhaupt im Bereich des Möglichen lag. Sie zog den Reißverschluss auf und zog sich das Kleid über den Kopf.

An den Armen fühlte es sich ein wenig eng an, und über ihren Brüsten bauschte sich der Stoff. Sie zog und zerrte und wand sich, bis sie es endlich über ihren Körper gezogen hatte. Noch bevor sie nach dem Reißverschluss griff, wusste sie, dass es ein Problem gab.

Das Kleid sah schrecklich aus. Es betonte ihre rundliche Mitte und die kleine Speckrolle über ihrer Taille. Außerdem klaffte es am Reißverschluss einige Zentimeter auf, und kein noch so inniges Gebet würde es schaffen, dass sie es zubekam. Nicht einmal die Mörder-Spandex würde hier helfen.

Wie viel wog sie eigentlich? Sie war bestimmt seit einem Jahr nicht mehr auf der Waage gewesen. Sicher, da waren die zusätzlichen Pfunde nach der Geburt der Zwillinge, aber das hier kam doch unerwartet. Sie hatte doch nicht noch mehr zugenommen, oder?

Noch während sie an die Kekse dachte, die sie an den meisten Tagen nach dem Frühstück aß, und an ihren geheimen Pralinen-Vorrat in ihrem Nachttisch, ermahnte sie sich, nicht vom Thema abzukommen. Andrew würde jede Minute zu Hause sein. Dann würde Cecelia eintreffen, Makayla würde noch eine Krise bekommen, bevor sie zu ihrer Mom fuhr, und bei den Zwillingen konnte man nur darauf hoffen, dass sie es zwanzig Minuten schafften, sich allein zu beschäftigen. Ihre Zeit lief langsam, aber sicher ab.

Sie zog das Kleid aus und warf es auf den Boden, dann griff sie nach ihrer schwarzen Hose, die immer passte. Sie war zwar an der Taille ein wenig außer Form geraten und müsste mal ersetzt werden, aber das war jetzt egal. Hauptsache, sie ging zu.

Nachdem sie die Hose angezogen hatte, suchte sie nach einem Oberteil, das modisch, aber auch professionell wirkte. Sie fand einen schwarzen Blazer, der immer funktionierte, nur leider hatte der einen Fleck auf der Vorderseite. Hektisch schob sie die Bügel über die Stange und versuchte, sich daran zu erinnern, was sie besaß, das nicht zu klein, zu abgetragen oder einfach nur zu hässlich war. Ihre Kehle zog sich zusammen, als die Panik einsetzte. In ihrem Kopf hörte sie das hektische Ticken der Zeit, das sich mit der grauenhaften Erkenntnis vermischte, dass sie irgendwann in der letzten Zeit fett geworden war.

Am anderen Ende der Kleiderstange erblickte sie einen roten Ärmel. Sie zog die Bluse vom Bügel und atmete erleichtert aus. Okay, die Farbe war nicht so gut, aber das lockere, seidige Oberteil würde ihr passen. Der Stoff war ein wenig durchsichtig und leider mit einem Goldfaden durchwirkt. Sie hatte keine Ahnung, was sie geritten hatte, diese Bluse zu kaufen. Aber egal. Sie war dankbar, dass sie überhaupt etwas zum Anziehen hatte.

Sie schnappte sich noch ein schlichtes schwarzes Unterhemd und eilte mit ihren Funden zurück ins Bad. Die Zwillinge lagen quer über Boomer. Jasmine war nirgendwo zu sehen, was wenig überraschend war – die Katze hatte einen hervorragenden Selbsterhaltungstrieb. Sie schien genau zu spüren, wann eine Krise nahte, und zog sich zurück, bevor diese Krise ausbrach.

Make-up, dachte Gabby hektisch, während sie ihre Lockenwickler vorheizte. Haare eindrehen, Make-up, Abendessen vorbereiten, Makayla, Cecelia, Tiere füttern, mit den Zwillingen reden und raus aus der Tür. Es ist machbar, sagte sie sich. Unwahrscheinlich. Aber machbar.

Sie legte die rote Bluse über den Rand der Badewanne. Kennedy rümpfte die Nase.

»Mommy, du hast gesagt, dass du ein Kleid anziehst.«

»Nein, das hast du gesagt. Ich mag Hosen.«

»Du bist immer noch hübsch«, bemerkte Kenzie loyal.

»Danke, Süße.«

»Daddy mag dich in Kleidern«, beharrte Kennedy stur. »Und in hohen Hacken.«

»Ich werde ja auch Schuhe mit hohen Absätzen tragen.« Na ja, so in der Art, dachte Gabby und hörte schon, wie ihre Zehen protestierend wimmerten.

»Gabby, wo sind meine weißen Hüfthosen?«, fragte Makayla von der Badezimmertür aus. »Ich habe sie heute Morgen in die Wäsche getan.«

Gabby griff nach ihrem Kamm. Nachdem sie einzelne Strähnen ihrer Haare abgeteilt hatte, drehte sie einen heißen Lockenwickler hinein. »Freitags wasche ich keine Weißwäsche. Die ist Montag und Donnerstag dran.«

»Aber du hast gewusst, dass ich sie für dieses Wochenende brauche.« Makayla sah genervt aus, und ihre Stimme wurde immer lauter. Gefahr. »Du hast sie absichtlich nicht gewaschen.«

Die Zwillinge schauten einander an. Identisch aussehende Münder formten ein perfektes O, während sie darauf warteten, was als Nächstes passieren würde.

Jeden Freitag geht Makayla zu ihrer Mutter, dachte Gabby grimmig. Jeden Freitag gibt es einen Streit, eine Krise, irgendetwas.

Und es war immer ihre Schuld. Scheibenkleister, Scheibenkleister, Scheibenkleister.

Gabby sah ihre Stieftochter an. Wieder einmal ließ sie sich kurz von dem Gedanken ablenken, wie hübsch das Mädchen war und wie es als Erwachsene über diese Schönheit definiert werden würde. Oh, so verflucht zu sein, dachte sie reumütig.

»Makayla, du weißt, dass ich einen Plan für das Wäschewaschen habe. Den gibt es schon, seitdem du vor zwei Jahren bei uns eingezogen bist. Weißwäsche am Montag und Donnerstag. Wenn du besondere Wünsche hast, helfe ich dir gerne, aber du hast mir nichts von der Hose gesagt. Ich konnte nicht wissen, dass sie in der Wäsche ist.«

Tränen stiegen dem Mädchen in die Augen. »Du hättest gucken können.«

Diese unvernünftige Antwort raubte Gabby den Atem. Tief durchatmen. »Und du hättest es mir sagen können. Ich kann keine Gedanken lesen. Hast du nicht eine andere Hose, die du stattdessen mitnehmen kannst?«

»Nein. Das Wochenende ist ruiniert

»Wieso?«

Die Frage kam aus dem Schlafzimmer, und der Druck um Gabbys Brust ließ ein wenig nach. Die Zwillinge rappelten sich auf und rannten gemeinsam mit Boomer auf den Sprecher zu.

»Daddy! Daddy!«-Rufe wetteiferten mit Boomers Gebell und Makaylas Beschwerden über ihre weiße Hose.

Gabby drehte sich wieder zum Spiegel um. Die Chancen, Andrew innerhalb der nächsten zehn Minuten nahe zu kommen, gingen gegen null. Die Zwillinge und Makayla nahmen seine Aufmerksamkeit immer voll in Anspruch, sobald er nach Hause kam. Boomer brauchte auch seinen Moment mit dem Herrn des Hauses. Und sogar Jasmine würde für eine kleine Streicheleinheit vorbeikommen.

Gabby rollte ihre Haare weiter auf und schminkte sich dann schnell. Sie hatte eine Routine entwickelt, die nur fünf Minuten dauerte und für beinahe alle Situationen passend war. Da sie keine Ahnung hatte, worum es bei der Spendengala ging oder mit wem sie es da zu tun haben würden, gönnte sie sich etwas mehr Zeit für den Lidschatten und den Eyeliner.

Zehn Minuten später nahm sie die Lockenwickler heraus und kämmte ihre Haare mit den Fingern durch, dann sprühte sie sie mit Haarspray ein. Es folgten die Ohrringe, bevor sie in ihre Pumps schlüpfte und aus dem Bad eilte.

Sie ging in Makaylas Zimmer. Das Mädchen war gerade dabei, eine pinke Hose zusammenzulegen.

»Geht es dir gut?«, fragte Gabby und bemühte sich, fröhlich und nicht vorsichtig zu klingen.

Makayla nickte, ohne sie anzusehen.

»Okay. Sag Bescheid, wenn du was brauchst.«

Gabby ging weiter in die Küche, wo sie schnell nach dem Essen sah. Sie war nicht sicher, wo die Zwillinge waren, hörte aber Gelächter und Andrews tiefe Stimme von irgendwo weiter hinten im Haus.

Boomer und Jasmine kamen in die Küche. Die Katze wand sich um Gabbys Beine – ein Zeichen der Zuneigung, wie sie annahm. Oder zumindest ein Ruf nach Aufmerksamkeit.

»Ich weiß, wie spät es ist«, erklärte sie ihren Tieren. »Ihr seid als Nächste dran.«

Sie gab Boomers Fressen in seinen Napf und stellte ihn in den Vorraum, dann holte sie Jasmines Futter heraus. Feuchtfutter vermischt mit Wasser, um Jasmines Blasentrakt gesund zu halten. Gabby machte noch eine kleine Schüssel mit Trockenfutter zurecht und trug beides in die Waschküche, weil Hunde und Katzen auf keinen Fall gemeinsam fressen konnten. Zumindest nicht, wenn die Katze von ihrem Futter auch etwas abbekommen sollte.

Jasmine sprang auf den Tisch und miaute, bis Gabby ihr die Näpfe hinstellte.

Nachdem die Tiere gefüttert waren, kehrte Gabby in die Küche zurück und deckte den Tisch für drei, während sie ständig mit einem Auge auf die Uhr schaute. Sie holte den Teller mit dem rohen, geschnittenen Gemüse heraus, den sie früher am Tag vorbereitet hatte, denn auch wenn die Zwillinge kein gekochtes Gemüse anrührten, aßen sie es, wenn es roh war.

Pünktlich auf die Minute klingelte es an der Tür. Boomer kündigte den Besucher auch noch mal an, nur für den Fall, dass er der Einzige war, der die Türglocke gehört hatte. Die Zwillinge kamen angerannt und riefen Cecelias Namen. Gabby ließ das Mädchen rein und lächelte dankbar.

»Hi«, sagte sie seufzend. »Ich hoffe, du magst Lasagne.«

»Ich liebe Lasagne.«

Cecelia trug einen Rucksack über der Schulter. Gabby wusste, sobald die Zwillinge im Bett waren, würde das Mädchen lernen. Zusätzlich zu ihrem Teilzeitjob bei Supper’s in the Bag arbeitete Cecelia als Babysitterin und belegte Kurse in der Sommerschule. Ihr Pensum war wirklich beeindruckend.

Zum gefühlten siebenundvierzigsten Mal in den letzten zehn Minuten kehrte Gabby in die Küche zurück und erklärte, was für das Abendessen noch getan werden musste. Sie ging mit Cecelia die Spielzeuge, Bücher und Filme durch, die sie vorher ausgewählt hatten, und sagte ihr, dass sie keine Ahnung hatte, wann sie und Andrew wieder zurück wären.

»Du hast unsere Handynummern, oder?«, fragte sie.

»Die sind in meinem Handy gespeichert«, beruhigte Cecelia sie. »Mach dir keine Sorgen. Wir werden viel Spaß haben.«

»Ich weiß. Aber ich kann nicht anders.«

Sie schaute auf die Uhr. »Candace wird jede Sekunde hier sein«, sagte sie. »Ich muss noch mal nach Makayla sehen.«

Die Zwillinge, Boomer und Jasmine folgten ihr den Flur hinunter zu Makayla, die neben ihrem gepackten Koffer stand. Ihre Miene war angespannt, ihr Körper steif. Sie sah eher aus, als würde sie zum Zahnarzt gehen als übers Wochenende zu ihrer Mutter.

Für einen kurzen Moment hatte Gabby Mitleid mit ihr. Makayla hatte es nicht leicht. Nett ausgedrückt war Candace eine eher desinteressierte Mutter, und sie kam oft zu spät. Mehr als einmal hatte sie in der letzten Minute angerufen und gesagt, dass sie ihre Tochter doch nicht übers Wochenende zu sich nehmen konnte. Manchmal gab es dafür einen legitimen Grund – wie eine Geschäftsreise. Aber wesentlich öfter bot sie überhaupt keine Erklärung an.

»Ist sie schon da?«, fragte Makayla angespannt.

»Noch nicht. Ich wollte nur sichergehen, dass du alles hast, was du brauchst.«

»Alles bis auf die weiße Hose.«

Gabby wusste, dass sie sehenden Auges dieses Minenfeld betreten hatte, und versuchte, nicht darauf zu reagieren. Kenzie drängte sich an ihr vorbei und schaute zu Makayla auf.

»Musst du denn weg?«

Die Anspannung löste sich sofort auf, als Makayla in die Knie ging und ihre Arme ausstreckte. Kennedy kam ebenfalls angerannt, und die drei Mädchen umarmten einander fest.

»Ich bin zurück, ehe ihr es bemerkt«, versprach Makayla.

»Du könntest uns mitnehmen.« Kennedy stieß ihr gegen den Arm. »Wir sind auch ganz brav. Versprochen.«

»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, sagte Makayla sanft.

»Warum nicht?«, wollte Kenzie wissen.

»Weil ich euch zu sehr vermissen würde«, sagte Gabby. »Ich wäre total traurig ohne meine Mädchen. Es ist schon schlimm genug, dass Makayla weg ist. Was würde ich ohne meine Flöhe tun?«

Die Zwillinge rannten von ihrer Schwester zu ihr. Mit ihren dünnen Ärmchen hielten sie sie ganz fest, und Gabby spürte ihre Liebe bis ins Herz. Sie erfüllte sie und rückte ihre Welt wieder gerade.

In dem Moment schaute sie zu Makayla und sah die Sehnsucht in ihren blauen Augen. Dieses rohe Gefühl erschreckte Gabby. Bevor sie jedoch wusste, was sie sagen sollte, war es schon wieder verschwunden.

»Makayla, deine Mom ist da.«

Andrews Stimme hallte durch den Flur.

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