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Ballet School - Der Tanz deines Lebens

Als Buch hier erhältlich:

Die neue Reihe von Bestseller-Autorin Gina Mayer

Nach dem frühen Tod ihrer Mutter, der berühmten Primaballerina Lara O’Neill, hat April sich die Welt des Balletts mit aller Kraft vom Leib gehalten. War nicht der Tanz Schuld daran, dass ihre Mutter starb, als April gerade mal ein Jahr alt war? Nein, keine zehn Pferde bringen April in einen Tanzsaal, auch ihre beste und ballettbesessene Freundin Mimi nicht. Aber als April nach einer verlorenen Wette schließlich doch zur Probestunde mitkommen muss, wird in ihr ein Feuer entfacht, das sich nicht mehr löschen lässt. April ist fürs Ballett geboren! Doch kann Talent die vielen Jahre Training wettmachen, die andere Tänzerinnen ihr voraushaben? Als Mimi ihr den Platz beim Vortanzen an der Royal Ballet School in London überlässt, ist Aprils Traum zum Greifen nahe.

Erzählt einfühlsam und mitreißend von der Suche eines Mädchens nach seinem Platz im Leben und an der Schule ihrer Träume - eine Geschichte mit Suchtpotenzial

»Der zauberhafte erste Band einer neuen Reihe erzählt in leisen Tönen von einer starken Persönlichkeit, die sich durch nichts und niemanden von ihrem Ziel abringen lässt.« Münchner Merkur

»Spannend und abwechslungsreich.« Kinderbuch-Couch


  • Erscheinungstag: 22.02.2022
  • Aus der Serie: Ballet School
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 208
  • Altersempfehlung: 10
  • Altersempfehlung: 11
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783748801849

Leseprobe

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1. Auflage 2022
Originalausgabe
© 2022 Dragonfly in der
Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
Text: Gina Mayer
Covergestaltung: Carolin Liepins, München
unter Verwendung von Motiven von Shutterstock
E-Book-Produktion von Fotosatz Amann, Memmingen
ISBN E-Book 978-3-7488-0184-9

www.dragonfly-verlag.de
Facebook: facebook.de/dragonflyverlag
Instagram: @dragonflyverlag

Für Blanca, Helene und Katrin

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Mr Bronx redet und redet. Am Anfang der Stunde ging es um Napoleons Niederlage bei Waterloo, jetzt spricht er seltsamerweise über den Ersten Weltkrieg. Keine Ahnung, wie er so schnell dahin gekommen ist. Mein Geschichtsheft hat sich während seines Vortrags mit Schlangenlinien, Kringeln und wilden Schraffuren gefüllt.

Ich kann mich einfach nicht auf den Unterricht konzentrieren. Ich denke an mein eigenes Waterloo.

Normalerweise wette ich nie. Aber ich war mir so sicher, dass ich diese Wette gewinnen würde. Mimi hatte keine Chance, schließlich habe ich jeden Tag auf dem Eis verbracht, seit die Fläche Ende November aufgeschüttet worden war. Und Mimi hat vielleicht dreimal geübt.

Aber diesen blöden Kiesel hatte ich nicht einkalkuliert. Nach der dritten Drehung bin ich voll aufs Eis geknallt. Mimi schaffte fünf Pirouetten. Wette verloren.

Und jetzt muss ich bluten.

»… die Parallele zu den jüngsten Entwicklungen in China ist unübersehbar«, sagt Mr Bronx. Wow! Nun hat er nicht nur einen Sprung in die Gegenwart gemacht, sondern ist auch um die halbe Welt geflogen, ohne dass ich mitbekommen habe, wie er das gemacht hat. Bevor er in der Zukunft landen kann, erlöst uns der Schulgong.

»Seht euch bis zur nächsten Stunde mal die BBC-Doku über die Schlacht bei Waterloo an«, ruft Mr Bronx, während im Klassenzimmer alle ihre Sachen zusammenraffen und nach draußen stürmen. Für heute ist der Unterricht zu Ende.

Mimi schreibt sich den Titel der Doku auf. Ihre blonden Haare sind straff aus der Stirn gekämmt und oben auf dem Kopf zu einem Dutt gebunden.

»Willst du dir das wirklich anschauen?«, frage ich ungläubig.

»Na klar.« Sie klappt ihr Heft zu und lässt es in ihrer Schultasche verschwinden.

Mimi ist die disziplinierteste und fleißigste Person, die ich kenne. Und seit der ersten Klasse meine beste Freundin. Ich hab mich mit ihr angefreundet, ohne zu wissen, dass sie zum Ballett geht. Sonst hätte ich einen weiten Bogen um sie gemacht.

Was echt echt schade gewesen wäre, wir verstehen uns nämlich richtig gut. Außerdem wäre ich ohne sie längst untergegangen. Mimi hat mich unzählige Male in letzter Sekunde gerettet, weil sie mich in der Pause schnell noch ihre Hausaufgaben abschreiben ließ oder mir das Geld für den Schulausflug geliehen hat, das wir vor Wochen hätten abgeben müssen.

»Dann kannst du mir ja morgen erzählen, worum es in der Doku geht«, sage ich, während wir nach draußen auf den Flur laufen. »Sag mal, wollen wir nicht doch lieber in die Stadt? Bei R&C haben sie coole neue Tops, ich würde dir auch eines …«

»Haha«, sagt Mimi, ohne die Mundwinkel zu verziehen. »Netter Versuch.«

An der Garderobe im Flur reicht sie mir einen Beutel.

»Was ist das?«

»Ein Paar Schläppchen. Sportsachen hast du ja wohl selbst mitgebracht.«

Ich nage an meiner Unterlippe. »Ich weiß echt nicht …«

Aber auch dieses Mal unterbricht sie mich. »Deal ist Deal, April.«

Sie sieht mich streng an. Obwohl es gerade Winter ist, tanzen auf ihrer Stupsnase winzige Sommersprossen.

Ich seufze tief. Aus der Nummer komm ich nicht mehr raus, so sieht’s wohl aus.

Warum muss Mimi ausgerechnet tanzen? Wieso spielt sie nicht Tennis oder Geige oder geht zum Töpfern?

Sie hat mit dem Ballett angefangen, als sie im Kindergarten war. Zuerst tanzte sie einmal wöchentlich, dann dreimal, und seit dem vierten Schuljahr trainiert sie sogar an vier Tagen in der Woche. In anderthalb Jahren will sie die Aufnahmeprüfung in der Royal Ballet School des Londoner Opernhauses machen. Das ist Englands beste Schule für Balletttänzer. Jedes Mal, wenn Mimi davon spricht, versetzt es mir einen Stich. Es ist schlimm genug, dass sie mich verlassen will. Und dann ausrechnet für diese Schule!

Aber es ist ja noch eine Weile hin bis zur Prüfung. Hoffentlich ändert sie ihre Meinung noch.

Auf jeden Fall hat Mimis voller Terminplan mich auf die bescheuerte Idee mit der Wette gebracht. Ich wollte nämlich unbedingt mit ihr in den neuen Film mit Ava Reginatto – und der läuft diese Woche nur noch im Nachmittagsprogramm. Also müsste Mimi dafür einmal ihr Training ausfallen lassen.

Mein Wetteinsatz war, dass ich eine Probestunde in der Ballettschule nehme.

Ich war mir einfach total sicher, dass ich gewinne.

Mrs Kaprinski sieht genauso aus, wie man sich eine Ballettlehrerin vorstellt. Sie ist groß und hager, schaut sehr streng und hat ihre pechschwarzen Haare im Nacken zu einem festen Knoten geschlungen.

Ich trete nach Mimi in den kleinen Umkleideraum der Ballettschule, wo ein paar Mädchen gerade ihre Tanzschuhe anziehen. Die Tanzlehrerin steht hoch aufgerichtet in der offenen Tür, die zu dem verspiegelten Tanzsaal führt, und mustert mich.

»Eine Probestunde geht nur nach Anmeldung«, sagt sie zu Mimi. »Und dann bestimmt nicht gleich bei den Fortgeschrittenen.«

Ich jubele innerlich. Da geht er hin, Mimis schöner Plan. Es tut mir fast ein bisschen leid für sie. Seit einer Ewigkeit redet sie auf mich ein, dass ich sie einmal zum Training begleiten soll. Als ob sie nicht genau wüsste, dass der Tanz mein Leben zerstört hat, bevor es richtig begann.

Doch bevor ich den Rückzug antreten kann, bettelt Mimi: »Aber April ist meine beste Freundin!«

Der Augenaufschlag, mit dem sie Mrs Kaprinski bedenkt, würde einen Gletscher zum Schmelzen bringen. Doch die Lehrerin verzieht keine Miene. Jetzt wandert ihr Blick zurück zu mir. Wie sie mich anstarrt!

»April?«, fragt sie.

»Ja.« Ich fühle mich äußerst unbehaglich inmitten der elfenähnlichen Gestalten im Umkleideraum. Genau wie Mimi sind auch die anderen vier Mädchen unglaublich dünn und haben lange, staksige Beine.

Ich bin viel kräftiger gebaut, mit breiten Schultern und muskulösen Armen und Beinen. Die Muskeln verdanke ich dem Turntraining. Ich bin fünf Jahre lang zum Kunstturnen gegangen.

Mrs Kaprinskis Blicke durchbohren mich.

»Also gut, meinetwegen«, sagt sie dann.

Mimi, die gerade auf einem Bein steht, weil sie ihre Schläppchen anzieht, verliert prompt das Gleichgewicht und muss sich an mir festhalten, um nicht umzufallen.

»Echt?«, fragt sie ungläubig. Offensichtlich ist es nicht Mrs Kaprinskis Art, ihre Meinung zu ändern.

Die Ballettlehrerin klatscht laut in die Hände.

»Beeilung, Leute. Sonst ist die Stunde vorbei, bevor wir uns aufgewärmt haben.«

Die anderen Mädchen tragen enge Tops und weiße Leggings, über die sie kurze schwarze Faltenröckchen gezogen haben. Ich schlüpfe in meine Jogginghose und ein labbriges T-Shirt. Als ich neben Mimi in den Saal laufe, komme ich mir vor wie ein Bär in einer Herde Gazellen.

Ich hasse Ballett, hab ich das schon erwähnt? Ich gehe nicht einmal zu Mimis jährlichen Aufführungen in der Ballettschule, obwohl meine Freundin mir wirklich alles bedeutet.

»Stell dich neben mich an die Stange«, sagt Mimi, »und bleib einfach cool.«

Haha, sehr witzig. Soeben taucht Mrs Kaprinski mit ihren Raubvogelaugen hinter mir auf.

»Du hast also noch keine Balletterfahrung?«, fragt sie.

Ich schüttele stumm den Kopf. Überhaupt keine Erfahrung. Wenn man mal von Mums YouTube-Videos absieht, von denen ich jedes bestimmt fünfhundertmal angeschaut habe. Heimlich, nachts im Bett. Grandma mag es nämlich nicht, wenn ich die Ballettaufführungen ansehe. Im Haus meiner Großeltern hängen überall Fotos von meiner Mutter. Aber auf keinem ist sie als Tänzerin zu sehen.

»Gut«, sagt die Lehrerin. »Orientier dich einfach an Mimi. Konzentrier dich auf die Beine und lass die Arme erst mal weg.«

Wieder klatscht sie in die Hände, und das Geplapper im Raum verstummt.

»Erste Position«, befiehlt sie.

Mimi hält sich mit einer Hand an der Stange fest und dreht ihre Füße nach außen.

»Demi Plié«, befiehlt Mrs Kaprinski. Mimis Knie wandern nach außen. Ihr Körper geht nach unten, nur ein kleines Stück, dann strecken sich ihre Knie wieder durch. Ich imitiere ihre Bewegungen, meine Haltung richtet sich unwillkürlich auf. Mein Oberkörper streckt sich, der Kopf wandert nach oben.

»Grand Plié«, kommandiert Mrs Kaprinski. Diesmal sinkt Mimi tiefer in die Hocke und kommt wieder nach oben.

Danach beugen wir den Oberkörper weit nach vorn, beim Aufrichten öffnen wir die Beine. Mimis linke Hand liegt auf der Stange, genau wie meine, aber ihr rechter Arm unterstreicht jede Bewegung auf anmutige Weise.

Wir gehen wieder in die Knie, ein kleines Stück tiefer, dann beugen wir den Oberkörper zur Seite.

»Dritte Position«, befiehlt die Lehrerin.

Mimi verdreht die Beine, ihre rechte Ferse platziert sie genau in der Mitte des linken Fußes. Demi Plié, Grand Plié, Allongé, die Anweisungen prasseln nur so auf uns ein. Mrs Kaprinski geht im Saal auf und ab und korrigiert die Haltung der einzelnen Schüler. Sie zieht sie an den Händen und schiebt ihre Schultern in die richtige Position. Ihren Raubvogelaugen scheint nichts zu entgehen.

»Die Beine berühren sich nicht, Henry«, erklärt sie. »Die Knie sind durchgestreckt.«

Ich schiele unwillkürlich nach unten, aber meine Jogginghose kaschiert zum Glück jeden Haltungsfehler.

»Beim nächsten Mal ziehst du bitte Leggings an«, sagt Mrs Kaprinski, der auch mein Blick nicht entgangen ist.

Beim nächsten Mal. Ich unterdrücke im letzten Moment ein lautes Lachen. Es wird ganz bestimmt kein nächstes Mal geben.

Aber dann schaltet Mrs Kaprinski die Musik an. Ihre Anlage ist nicht besonders gut, das Klavierstück klingt scheppernd und flach. Und dennoch habe ich das Gefühl, dass mir jemand unter die Arme fasst und mich hochzieht. Ich atme tief ein und spüre, wie sich meine Brust weitet.

Wir drehen uns um, die rechte Hand liegt jetzt auf der Stange. Statt auf Mimi blicke ich auf ein anderes Mädchen, das nun mit gestreckten Füßen in die Luft springt. Das Mädchen landet in der vierten Position, wobei die Füße abwechselnd nach vorn und nach hinten schnellen. Ich beginne ebenfalls zu springen, lande falsch, springe und verpatze es wieder. Und hebe erneut ab. Es fühlt sich gut an.

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»Am Anfang ist es echt verwirrend«, raunt Mimi mir zu, als wir eine kurze Trinkpause machen. »Wenn du die Übungen erst mal kennst, geht es viel leichter.«

Ich werde sie aber nicht kennenlernen, will ich sagen. Ich bringe die Worte jedoch nicht raus, weil meine Kehle total trocken ist. Ich laufe in den Waschraum. Während ich in großen Zügen aus dem Wasserhahn trinke, spüre ich wieder Mrs Kaprinskis Raubvogelblick auf meinem Rücken. Dabei ist sie gar nicht hier.

Nach der Pause verteilen wir uns im Raum. Mrs Kaprinski stellt sich vor den Spiegel und tanzt eine kleine Choreografie vor, die wir nachtanzen sollen. Ich weiß von Mimi, dass sie dreiundsechzig ist, vier Jahre jünger als meine Grandma. Aber sie bewegt sich wie ein junges Mädchen. Einige Figuren deutet sie bloß an, nur die letzte führt sie komplett vor. Sie dreht sich auf der linken Fußspitze, während ihr rechtes Bein hoch zur Zimmerdecke wandert. Ihr linker Arm beschreibt einen eleganten Halbkreis vor dem Körper. Sie streckt das gehobene Bein weit nach hinten aus, reckt den langen Hals und kommt ohne Wackeln wieder zu stehen. Mrs Kaprinski war früher Profitänzerin, hat Mimi mir auch erzählt, doch das ist Jahrzehnte her. Aber gelernt ist offensichtlich gelernt.

Ich habe mir nur einen Bruchteil ihrer Schritte gemerkt, und Mimi ist mir jetzt auch keine Hilfe mehr. Das Tempo ist zu schnell, die Abfolge zu kompliziert. Ich mache nur etwa jede dritte Bewegung mit. Meine Wangen glühen, mein Herz klopft schnell und laut, vor Anstrengung, aber auch vor Aufregung.

Was zum Teufel geht hier ab? Es ist, als ob etwas Fremdes Besitz von mir ergriffen hätte. Ich tanze nicht, ich werde getanzt.

»Danke schön!« Mrs Kaprinski stellt die Musik ab und öffnet das Fenster. Kalte Winterluft fließt in den Raum. Ich drehe mein schweißnasses Gesicht in den kühlen Strom. Dieses tiefe Glück, das mich erfüllt, auch das ist neu. So gut habe ich mich nach dem Turnen nie gefühlt.

»Pass auf, dass du dich nicht erkältest.« Mrs Kaprinski schiebt mich an den Schultern in den Umkleideraum. »Zieh dir etwas über. Dann reden wir.«

»War das wirklich deine erste Ballettstunde?« Mrs Kaprinski mustert mich misstrauisch. Wir sitzen auf einer Bank im Ballettsaal, während Mimi im Nebenraum auf mich wartet.

»Ich hab früher Kunstturnen gemacht.«

»Warum hast du damit aufgehört?«

»Aus verschiedenen Gründen«, sage ich. Meine Lieblingstrainerin ist weggezogen, und ihr Nachfolger hat definitiv einen an der Waffel. In meiner letzten Trainingsstunde hat er eine Hantel nach mir geworfen. Ich hatte aber auch vorher schon die Lust am Turnen verloren.

»Gut.« Mrs Kaprinski greift nach ein paar Formularen, die auf dem Fensterbrett liegen. »Das sind meine Konditionen und Preise.« Sie reicht mir die Blätter. »Deine Großeltern müssen den Vertrag am Ende unterschreiben.«

Meine Großeltern? Woher weiß Mrs Kaprinski, dass ich bei meinen Großeltern lebe? Hat Mimi ihr das erzählt? Ich blättere durch die Seiten. Ballettstunden sind ganz schön teuer, stelle ich fest. Dann fällt mein Blick auf das Formblatt am Ende, in das Mrs Kaprinski bereits meinen Namen eingetragen hat.

April O’Neill, steht da.

Ich sehe Mrs Kaprinski verdattert an. »Woher kennen Sie meinen Nachnamen?«

Ihre dunklen Augen bohren sich in meine Stirn.

»Du bist deiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Und der Name April ist nicht allzu häufig.«

»Kannten Sie meine Mutter?«

Blöde Frage. Mrs Kaprinski ist Ballettlehrerin, und meine Mum war eine der berühmtesten Primaballerinen der Welt. Natürlich kennt sie sie.

»Sie war meine Schülerin«, sagt Mrs Kaprinski.

»Was? Echt?« Mein Mund bleibt ein paar Sekunden lang offen stehen. Dann klappe ich ihn wieder zu und schüttele den Kopf. Das kann ja gar nicht sein. Mrs Kaprinskis Ballettstudio gibt es erst seit sieben Jahren. Als Mimi mit vier hier angefangen hat, war die Schule gerade eröffnet worden.

»Ich habe damals in Rovenhead unterrichtet«, erklärt Mrs Kaprinski.

Rovenhead ist mindestens zwanzig Kilometer von Mulchester entfernt. Eine ganz schöne Strecke. Aber Grandma hat mir erzählt, dass sie früher jeden Nachmittag unterwegs war, um Mum zum Ballettunterricht zu bringen und wieder abzuholen.

Ich drehe den Vertrag in meinen Händen hin und her. Mrs Kaprinski hat mich sofort erkannt, als sie vorhin in der Umkleide meinen Namen hörte. Deshalb hat sie mich bei der Tanzstunde mitmachen lassen.

»Ich weiß nicht, ob meine Großeltern damit einverstanden sind«, sage ich.

»Wenn die Gebühren ein Problem sind, können wir darüber reden.« Die dunklen Augen mustern mich unverwandt.

Ich schweige.

»Willst du denn tanzen?«, fragt Mrs Kaprinski.

Ich senke meinen Blick auf das Blatt mit meinem Namen. Wenn Mum nicht getanzt hätte, wäre sie heute noch am Leben und vermutlich auch noch mit meinem Vater zusammen. Wir wären eine ganz normale Familie. Vielleicht hätte ich sogar Geschwister.

Ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen steigen.

Nein, denke ich. Ich werde bestimmt nicht den gleichen Fehler machen wie sie.

Aber da war diese seltsame Kraft, die mich vorhin erfüllt und getragen hat. Die Aufregung, die mein Herz auch jetzt noch schneller schlagen lässt. Und diese Freude, die ich noch nie zuvor gespürt habe.

»Ja«, sage ich.

Mrs Kaprinski lächelt.

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»Das ist nicht dein Ernst«, sagt Grandma. Sie steht am Herd und dreht mir den Rücken zu, sodass ich ihr Gesicht nicht sehen kann. Aber ich weiß genau, wie sie aussieht: Ihre Lippen sind zu einer schmalen Linie zusammengepresst, wie immer, wenn sie enttäuscht ist.

Schweigend schöpft sie Suppe in einen Teller und stellt ihn mir hin. Dann zieht sie ihren Stuhl zurück und setzt sich.

»Isst du nichts?«, frage ich.

»Ich hab schon mit Grandpa gegessen. Er ist jetzt im Pub.«

Natürlich. Jeden ersten Dienstag im Monat trifft Grandpa sich mit seinen Freunden zum Dartsspielen im Castle Inn.

Die knotigen Finger meiner Grandma streichen über den Vertrag, den ich ihr auf den Tisch gelegt habe. Ihre Hände zeigen ihr Alter. Der Rest ihres Körpers wirkt viel jünger, die meisten Leute, die uns nicht kennen, halten sie für meine Mutter. Grandma hat fast keine Falten im Gesicht, ihre langen graublonden Haare trägt sie zusammengebunden in einem schlichten Zopf. Und genau wie Mum hat sie sehr lange Beine – egal, was sie anhat, sie sieht immer elegant aus. Die Beine habe ich geerbt – die Eleganz leider nicht. Aber vielleicht kommt das noch, ich bin ja erst elf.

»Mrs Kaprinski sagt, dass wir über den Preis reden können, wenn es euch zu teuer ist«, sage ich.

»Es geht nicht um das Geld«, sagt Grandma, ohne einen Blick in den Vertrag zu werfen. »Du wolltest doch nie tanzen.«

»Ja«, sage ich, »aber nun hab ich es ausprobiert.« Ich schlucke. »Es war richtig gut.«

»Am Anfang ist es gut.« Grandma macht eine Pause, in der sie die Lippen zusammenpresst. »Und dann frisst es dich auf.«

»Wir können erst mal einen Probemonat machen«, sage ich. »Das wär doch okay, oder?«

Grandma dreht den Kopf und blickt aus dem Fenster, hinter dem Schneeflocken zu Boden taumeln. Sie sieht so traurig aus, dass ich sie am liebsten umarmen würde. Aber ich weiß, dass sie mich zärtlich zurückschieben würde. Wenn sie so guckt wie jetzt, vermisst sie Mum. Und dann kann sie nichts trösten.

»Ich rede heute Abend mal mit Grandpa«, sagt sie. »Danach sehen wir weiter.«

Zwei Tage später habe ich meine erste Ballettstunde. Natürlich komme ich nicht in Mimis Klasse, die Mädchen und Jungen in ihrem Kurs trainieren ja alle schon jahrelang.

In der Anfängerklasse, in die Mrs Kaprinski mich steckt, sind außer mir noch vierzehn Mädchen. Dreizehn von ihnen sind zwischen sechs und acht Jahren alt und kichern und tuscheln die ganze Zeit. Die Vierzehnte ist Amanda, die in meine Parallelklasse geht. Sie hat wilde dunkelbraune Locken, ein rundes Gesicht und riesige hellblaue Augen.

»Ich liebe tanzen«, erklärt sie mir voller Stolz, als ich mich neben sie an die Stange stelle. »Es ist echt hart, aber wenn man nicht aufgibt, wird man richtig gut.«

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