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Beautiful Idols - Wissen ist Macht

Wo ist Madison Brooks? Das Hollywood-It-Girl ist verschwunden, Blutspuren weisen auf ein Verbrechen hin. Aster, Layla und Tommy, die in den Clubs der Glitzerstadt ein und aus gehen, sind geschockt. Als Aster wegen Mordverdachts verhaftet wird, wollen Layla und Tommy die Unschuld ihrer Freundin beweisen. Und sie finden Tagebucheinträge von Madison, die schreckliche Geheimnisse aus der Vergangenheit offenbaren. Wer ist Madison Brooks wirklich?

»Alison Noël enhüllt die dunkle, schonungslose Seite des Ruhms und nimmt den Leser in einem Netz aus Lügen und Intrigen gefangen.«
Jennifer L. Armentrout über BEAUTIFUL IDOLS - Die Nacht gehört dir

»Wie der Vorgänger hat dieser spannende Pageturner ein verführerisches Suchtpotenzial.«
Booklist

»Nicht alle schönen Menschen von L.A. führen auch ein schönes Leben. Alyson Noël zeigt uns mit dem genauen Blick eines Insiders, was sie wirklich im Schilde führen, spät in der Nacht. Wie ein guter Promi ist dieses Buch so geheimnisvoll und unwiderstehlich und umwerfend, dass man nicht wegsehen kann.«
Cecily von Ziegesar, Autorin der Gossip-Girl-Serie über BEAUTIFUL IDOLS - Die Nacht gehört dir

»Alles, angefangen beim Glitzerwelt-Setting bis zum Spannungsplot ist hier pures Gold.«
Jamie McGuire, #1 New-York-Times-Bestsellerautorin über BEAUTIFUL IDOLS - Die Nacht gehört dir


  • Erscheinungstag: 02.07.2018
  • Aus der Serie: Beautiful Idols
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 480
  • Altersempfehlung: 14
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959677745

Leseprobe

Für Charlie und Rachel, meine A-Promi-Freunde

Niemand ist reich genug, um sich seine Vergangenheit zurückzukaufen.

Oscar Wilde

Eilmeldung: Fund von blutgetränktem Kleid führt zu Festnahme von Party-Promoterin des Night for Night!

Von Trena Moretti

Hochaktuell – Nur wenige Stunden, nachdem Teenieschwarm Ryan Hawthorne dem Gericht Frage und Antwort zum Verschwinden seiner Ex-Freundin, Hollywoodstar Madison Brooks, stehen musste, erhielt die Polizei von Los Angeles einen anonymen Hinweis auf ein blutgetränktes Kleid, das mutmaßlich Aster Amirpour gehören soll, die als Party-Promoterin für den Club Night for Night arbeitet.

Laut der offiziellen Erklärung des LAPD sind die Untersuchungen hinsichtlich der Herkunft des Bluts noch nicht abgeschlossen. Doch einer internen Quelle Polizei zufolge sei bereits erwiesen, dass das Blut auf dem Kleid von der vermissten Madison Brooks stammt.

Das Kleid sei der Polizei bereits übergeben worden, als eine Angestellte des W Hotels Verdacht schöpfte, so informierte uns die Quelle.

„Ich habe ganz normal meine Arbeit gemacht, indem ich Anzahl und Art der Kleidungsstücke im Wäschebeutel des Gasts mit Anzahl und Art der Kleidungsstücke abgeglichen habe, die der Gast auf dem Formular angegeben hat“, sagte die Angestellte, die anonym bleiben möchte. „Das ist ein Standardverfahren, das wir regelmäßig durchführen, bevor wir die Wäsche an unseren Vertragspartner weiterleiten. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Leute nicht zwischen einem Nachthemd und einem Kleid unterscheiden können. Jedenfalls ist mir bei der Kontrolle aufgefallen, dass ein schwarzes Kleid fälschlich als Bluse aufgeführt worden war. Bei näherem Hinsehen habe ich erkannt, dass das Kleid voller großer, dunkler Flecken war, die mir verdächtig vorkamen. Daraufhin habe ich meine Vorgesetzten informiert, und die haben dann alles ins Rollen gebracht. Wenn es sich tatsächlich um das Blut von Madison Brooks handelt, dann können wir bloß für das arme junge Ding beten, denn es war wirklich eine ganze Menge Blut. Das Kleid war über und über damit bedeckt.“

Meinen letzten Informationen zufolge wurde Aster Amirpour ins Bezirksgefängnis von L.A. gebracht. Wir berichten weiter über die aktuellen Entwicklungen.

1. KAPITEL
Girl Afraid

Madison Brooks löste sich widerwillig von den verblassenden Resten ihres Traums und blinzelte in die Finsternis. Es herrschte absolute Stille. Die Luft hing schwer und abgestanden im Raum. Trotz der Verheißungen des Schlafs blieb ihr Leben im Wachzustand die reine Hölle.

Obwohl sie unter zahlreichen Ängsten litt – Angst davor, bei einem Live-Auftritt ihren Text zu vergessen, Angst davor, dass ihre geheime Vergangenheit auffliegen könnte –, so hatte Angst vor der Dunkelheit doch nie dazugehört. Schon als Kind war ihr klar gewesen, dass das mysteriöse Monster unter dem Bett im Vergleich zu ihren Eltern verblasste, die nur allzu reale Monster waren und sich regelmäßig im Wohnzimmer zudröhnten.

Und daran hatte sich nichts geändert.

Sie erhob sich von der schmuddeligen Matratze, auf der sie geschlafen hatte, und schlich zu der massiven Stahltür, in der Hoffnung, irgendetwas wahrzunehmen – einen Geruch, ein Geräusch –, irgendetwas, was ihr einen Hinweis darauf liefern könnte, wer sie entführt hatte, wohin man sie verschleppt hatte und warum. Nach dreißig Tagen in Gefangenschaft war Madison einer Antwort nicht näher gekommen als in der Nacht, in der man sie überwältigt hatte. Unzählige Male hatte sie den Vorfall Revue passieren lassen – die Erinnerung lief in Endlosschleife, während sie ein Bild nach dem anderen studierte und nach dem kleinen, aber entscheidenden Detail suchte, das sie übersehen haben könnte. Doch jeder Durchlauf zeigte hartnäckig immer wieder das Gleiche.

Sie hatte sich von Ryan getrennt, nur um von Tommy gerettet zu werden. Kaum hatte sie ein paar Bier mit Tommy getrunken (und ein paar denkwürdige Küsse mit ihm ausgetauscht), hatte sie eine SMS von Paul erhalten, in der er sie bat, sich im Night for Night mit ihm zu treffen, und sie war, ohne nachzufragen, davongeeilt. Allerdings hätte sie, sobald sie an dem geschlossenen und leeren Club angelangt war, sofort wissen müssen, dass hier ganz massiv etwas nicht stimmte. Paul war ein Profi. Pünktlich. Wenn er sich wirklich mit ihr hätte treffen wollen, wäre er längst da gewesen. Sie war leichtsinnig in eine Falle getappt, aber hinterher war man ja immer schlauer. Noch etwas, was sie auf die lange Liste der Dinge setzen konnte, die sie geflissentlich ignoriert hatte, bis sie nun hier festsaß und genug Zeit hatte, um zu grübeln und sich Vorwürfe zu machen.

Wie hatte sie so vertrauensselig sein können? So naiv?

Warum hatte sie so lange auf der Terrasse des Clubs gewartet und über die Vergangenheit nachgedacht, die sie so unbedingt unter Verschluss halten wollte, und dabei ihr Bauchgefühl ignoriert, das ihr dringend riet zu flüchten?

Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war ein Windzug an ihrem Rücken und der Hauch eines Dufts, den sie nach wie vor nicht einordnen konnte. Dann hatte sich eine Hand fest über ihren Mund gelegt, und die Zeit war in sich zusammengestürzt.

Und nun, etliche Wochen später, saß sie noch immer in einer fensterlosen Zelle fest, die wenig mehr zu bieten hatte als ein Waschbecken, eine Toilette, eine nackte Matratze auf dem Fußboden und eine Abfolge fader, klumpiger Mahlzeiten, die ihr dreimal täglich gebracht wurden.

Nicht der geringste Hinweis auf ihren Entführer.

Nicht der geringste Hinweis darauf, warum man sie verschleppt hatte.

Ihre brillantbesetzte Piaget-Uhr, die goldenen Kreolen, ein Geschenk von Ryan, die Gucci-Stilettos, die sie an dem Abend getragen hatte, und das Kaschmirtuch, das sie jetzt als Decke benutzte, waren das Einzige, was sie noch an ihren früheren Status als Hollywood-It-Girl erinnerte.

Falls sie auf Geld aus waren, hätten sie ihr längst sämtliche Luxusartikel weggenommen. Dass sie sie ihr gelassen hatten, wirkte beinahe grausam. Als wollten sie ihr vor Augen führen, wer sie einst gewesen war, wenn auch nur, um ihr zu zeigen, wie schnell sie ihr alles nehmen konnten.

Sie setzte sich mit gespreizten Beinen auf den Zementfußboden und fragte sich wie so oft, was wohl außerhalb der Betonwände vor sich ging. Bestimmt wusste die ganze Welt von ihrem Verschwinden. Wahrscheinlich war sogar speziell für ihren Fall eine Sondereinheit gebildet worden. Also warum brauchten sie so lange, um sie zu finden? Und, wichtiger noch, warum hatte Paul sie nicht zu ihr geführt, wo er doch derjenige war, der – als hätte er mit so etwas gerechnet – darauf bestanden hatte, ihr den Mikrochip-Tracker in den Arm zu implantieren, direkt unter die Brandnarbe?

Dem Zeitplan entsprechend gingen die Lampen an – die Leuchtstoffröhren flackerten und summten und tauchten den Raum in grelles grünes Licht. Als sich kurz darauf die Klappe öffnete, ging Madison direkt daneben in die Hocke, riss den Mund weit auf und schrie aus voller Kehle.

Doch genau wie an allen anderen Tagen schoss das Tablett mit dem faden Essen an ihr vorbei, die Klappe knallte zu, und Madisons Hilferufe verhallten ungehört.

Sie versetzte dem Tablett einen Fußtritt und blickte sich um, auf der Suche nach etwas, das sie übersehen haben könnte, irgendetwas, das sie benutzen könnte, um sich zur Wehr zu setzen. Paul hatte sie gelehrt, über das Alltägliche hinauszuschauen. Fast alles hat eine doppelte Funktion, hatte er ihr erklärt. Noch der simpelste Gegenstand lässt sich zur Verteidigung benutzen. Doch selbst wenn sie ihren Stilettoabsatz als Waffe nutzte, sie hatte keinen Gegner – es gab niemanden, den sie attackieren konnte. Sie saß vollkommen allein in ihrer Leichtbetonzelle fest.

Madison seufzte frustriert und wandte sich den Bildern ihres achtjährigen Ichs zu, die an der Decke und den Wänden hingen. Das sich ständig wiederholende Foto wurde immer wieder von einem Spiegelstreifen durchbrochen, der ihr wohl zeigen sollte, in welch erbärmlichem Zustand sie sich momentan befand. Auf dem Bild hatte sie zerzauste Haare und nackte, schmutzige Füße. Sie hielt eine alte Puppe, die von ihrer Hand herabbaumelte, und starrte mit einem tiefen Blick aus ihren veilchenblauen Augen in die Kamera.

Es war dasselbe Bild, das jemand als unausgesprochene Drohung an Paul geschickt hatte.

Das Bild, das er laut seinen Beteuerungen vor langer Zeit verbrannt hatte, zusammen mit allem anderen aus ihrer Vergangenheit.

In den zehn Jahren, seit das Foto entstanden war, war sie weit gereist und in große Höhen aufgestiegen, nur um nun wieder am Anfang anzukommen und genauso machtlos, verzweifelt und schmutzig dazustehen wie damals in ihrer Kindheit.

Paul hatte ihr nichts als Lügen erzählt. Ihre Vergangenheit war nie ausgelöscht worden. Es war alles die ganze Zeit da gewesen und hatte geduldig auf den richtigen Moment gewartet, um sie an die Sünden zu erinnern, die sie für ihren Aufstieg begangen hatte.

Irgendjemand hatte zwischen dem hoffnungslosen Kind, das sie gewesen, und dem triumphalen Star, der sie geworden war, Verbindungslinien gezogen.

Irgendjemand hatte die dunklere Wahrheit ihres Lebenswegs aufgedeckt – die Lügen, die sie erzählt, die Menschen, die sie verraten hatte –, und jetzt ließ er sie dafür bezahlen.

Auch wenn sie nicht glauben konnte, dass Paul dahintersteckte – er hatte sie zu lange beschützt, um sich jetzt gegen sie zu wenden –, war nicht auszuschließen, dass ihn jemand in der Hand hatte. Wie dem auch war, sie konnte jedenfalls nicht mehr darauf zählen, dass er sie finden würde.

Geistesabwesend fuhr sie mit einem Finger über das Netz aus frischen Narben, das ihre Knöchel und Hände bedeckte – die Erinnerung an einen Fluchtversuch, der zu einem Bruch des kleinen Fingers, einem böse verstauchten Handgelenk und dem Verlust dreier Fingernägel geführt hatte. Sie hatte impulsiv gehandelt, sich von ihrer Angst leiten lassen. Diesen Fehler würde sie nicht noch einmal machen. Ihr nächster Versuch musste gelingen. Scheitern kam nicht mehr infrage.

Sie blieb weiter sitzen, starrte an die Wand und sann über einen Plan nach. Dabei verschmolzen die Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart miteinander, bis die letzte Mahlzeit des Tages gebracht wurde und das Licht in der Zelle wieder erlosch.

2. KAPITEL
Heart-Shaped Box

BEAUTIFUL IDOLS

Unschuldig bis zum Beweis der Schuld, yo!

Von Layla Harrison

Warnung: Wenn ihr auf diesem Blog gelandet seid, um in die üblichen Lästerattacken gegen Prominente einzusteigen, solltet ihr vielleicht noch rechtzeitig die Flucht ergreifen und euch eure Klicks und Kommentare für Perez Hilton, Popsugar und andere Orte sparen, wo ihr eure tägliche Dosis Hollywoodklatsch tankt, nachdem ihr meine Beiträge gelesen habt.

Tut bloß nicht so, als wären wir monogam.

Ich weiß, dass ihr herumgeklickt habt.

Normalerweise liefere ich ja nur allzu gern den ganzen miesen, verächtlichen Hollywood-Mist, nach dem ihr süchtig seid, aber heute kann will ich das Spielchen nicht mitmachen.

Falls ihr nicht in der sprichwörtlichen Höhle gelebt habt, habt ihr vermutlich mitgekriegt, dass Aster Amirpour wegen Mordes an Madison Brooks verhaftet worden ist. Eine vertrauenswürdige Quelle bestätigt, dass der Bravado Channel sogar eine ganz besondere Folge von Real Housewives of Hades gekippt hat, um über die brandheiße Geschichte zu berichten. Ich glaube, wir können uns alle darauf einigen, dass die Bereitschaft des Senders, die täglichen Ausschweifungen der ach so beliebten teufelsfüßigen, forkenbewaffneten Blondinen mit den tiefen Dekolletés aus dem Programm zu streichen, beweist, wie enorm ernst diese Sache ist.

Sie ist tatsächlich ernst, und ich war dabei, als sie losging. Ich musste nämlich entsetzt zusehen, wie eine unschuldige Person vor Dutzenden von Paparazzi ungerechtfertigterweise in Handschellen abgeführt und in einem Streifenwagen weggebracht wurde.

Wenn ihr selbst noch nicht miterlebt habt, wie jemand eines schlimmen Verbrechens bezichtigt wird, von dem ihr wisst, dass er es nicht begangen hat, dann könnt ihr wahrscheinlich nicht nachempfinden, was ich momentan durchmache. Der Punkt ist, dass ich ohne den geringsten Zweifel – also jedenfalls ohne jeglichen vernünftigen Zweifel – weiß, dass Aster Amirpour unschuldig ist. Deshalb werde ich auch nicht auf meine übliche Art über ihre Festnahme schreiben.

Auch wenn ich gerne weiterhin über alle möglichen Hollywood-Exzesse berichte, kann und will ich diesen Blog nicht dazu benutzen, um eine Unschuldige zu Fall zu bringen oder eine Geschichte zu verbreiten, die einfach nicht wahr ist.

Da wir es in Zeiten wie diesen offenbar immer wieder vergessen, möchte ich euch außerdem daran erinnern, dass unser Rechtssystem auf einem kleinen Prinzip namens Unschuldsvermutung beruht, das man in etwa so definieren kann: Die Beweislast liegt bei demjenigen, der beschuldigt, nicht bei demjenigen, der leugnet.

Schlagt es nach:

https://de.wikipedia.org/wiki/Unschuldsvermutung

546 Kommentare:

Anonym

Du Vollidiotin.

MadisonFan101

Deine Freundin ist eine Mörderin, und ihr fahrt alle beide zur Hölle.

RyMadLives

Aster Amirpour ist eine Schlampe und eine Mörderin, und alle wissen das außer dir.

StarLovR

Dein Blog ist so hässlich und langweilig und primitiv wie du selbst.

CrzYLuVZomby38

Wenn das Kleid nicht passt, kommt sie aus der Haft! Aber wir wissen alle, dass es passt, also …

AsterMustDie

Ich hoffe, du bist bald genauso tot wie Madison.

Layla Harrison saß an ihrem Platz, nippte geistesabwesend an ihrem Kaffee und starrte auf die Kommentare auf dem Computerbildschirm. Eigentlich hätte sie arbeiten müssen. Hätte sich profilieren müssen, indem sie dafür sorgte, dass die Party zur Einführung von Ira Redmans neuer Tequilamarke Unrivaled das aufregendste und angesagteste Event der Saison wurde. Stattdessen las sie hier auf Kosten der Firma in ihrer Arbeitszeit (noch dazu auf dem Firmencomputer) die Kommentare, die eine Horde von medienmanipulierten Idioten auf ihrem Blog hinterlassen hatte.

„Unschuldig oder schuldig?“

Layla schaute auf. Emerson, der Typ ein paar Kabinen weiter, stand für ihren Geschmack viel zu nah bei ihr und spähte über ihre Schulter.

Mit einem Klick minimierte Layla den Tab, zusammen mit dem anderen Bild auf ihrem Monitor – auf dem eine verängstigte und bleiche Aster in einen Streifenwagen geschoben wurde. Die Schlagzeile darüber verkündete: Party-Promoterin Aster Amirpour wegen Mordes an Madison Brooks verhaftet!

Sie brauchte es wirklich nicht erneut zu betrachten. Schließlich hatte sie vor nur einer Woche direkt neben Tommy Phillips gestanden und die ganze schmutzige Szene mit eigenen Augen verfolgt.

„Einhundertprozentig nicht schuldig“, fauchte Layla. Für Emerson war die Sache kaum mehr als ein heißes Tratschthema über eine Kollegin bei Unrivaled. Ihn betraf es nicht so persönlich wie Layla. Sie nahm ihm übel, dass er es als Eisbrecher benutzte, und hatte kein Problem damit, ihm das zu sagen.

„Nicht, dass es wichtig wäre.“ Emerson musterte sie durch große topasfarbene Augen, die seine dichten Wimpern und die perfekt gezupften Brauen noch betonten. Es war Laylas erster Tag im Büro, und nun hatte sie schon zum zweiten Mal Bekanntschaft mit seiner herablassenden Miene gemacht. Zum Glück hatte sie mitten in der Woche angefangen, sodass es nur noch zwei Tage bis zum Wochenende waren.

Das erste Mal hatte sie Emersons genervten Blick kassiert, als sie sich auf dem Rückweg aus dem Pausenraum in dem Labyrinth aus identischen Kabinen verirrt hatte. Er hatte mit den Augen gerollt und Layla mit einem hörbaren Seufzer zu ihrem Platz begleitet. Die nächste halbe Stunde hatte Layla innerlich gekocht. Wie sollte sie ihren Platz erkennen, wenn alles gleich aussah? Bei der Einrichtung seiner Clubs scheute Ira keine Kosten. Kein Wunder, dass sie einen coolen Millenniumcampus mit Espressostationen, Basketballplätzen, Wellnesseinrichtungen und vielleicht sogar einem Yogastudio oder einem Meditationsraum erwartet hatte. Doch die Büroräume von Unrivaled Nightlife mit Teppichboden und Arbeitsplätzen im Einheitslook waren im Grunde nur eine Studie in Grau-Beige und stellten in ihrer enttäuschenden Farblosigkeit das glatte Gegenteil dessen dar, was sich Layla ausgemalt hatte. An ihrem ersten Arbeitstag hatte sie geglaubt, in einer Buchhaltungsfirma gelandet zu sein.

Den Rest des Tages hatte sie online mit Recherchen über Madison Brooksʼ Verschwinden vor etwas über einem Monat verbracht und nach Indizien gesucht, die das LAPD in den Wochen danach gegen Aster angehäuft hatte, bis sie schließlich ausgerechnet von Emerson dabei ertappt wurde.

„In solchen Fällen hängt alles von der Wahrnehmung ab.“ Emerson stand noch immer zu nah, und er spähte ihr noch immer über die Schulter, obwohl es nichts zu sehen gab – ihr Bildschirm war jetzt leer. „Und die Wahrnehmung beeinflusst immer den Ausgang der Geschichte.“

Layla ließ ihren Blick über die glatten Flächen seines Gesichts wandern – die hohen Wangenknochen, den markanten Kiefer, das fein geschnittene Kinn, die makellose dunkle Haut – und merkte, wie sie erstarrte und kaum mehr atmen konnte. Extreme Schönheit hatte oft diese Wirkung – genau wie die lähmende Angst, an ihrem ersten Arbeitstag gefeuert zu werden. Sie konnte nur hoffen, dass Emerson ihre alles andere als fulminante Leistung gegenüber Ira nicht erwähnen würde.

„Ich dachte, du wüsstest das“, sagte er. „Geht es in unserer Abteilung im Grunde nicht darum? Die öffentliche Wahrnehmung dahingehend zu beeinflussen, dass die Leute Iras Clubs für die einzigen Lokale halten, in denen es sich lohnt, zu sehen und gesehen zu werden, und seinen Tequila für die einzige Marke, die es sich zu trinken lohnt?“

Layla fummelte nervös an den Strähnen ihres platinblonden Bobs herum und drehte sich dabei auf ihrem Bürostuhl hin und her. Obwohl ihr Emersons Gegenwart allmählich unangenehm wurde, musste sie zugeben, dass seine Worte viel Wahres bargen.

„Wie auch immer“, fuhr er in einem lockeren Tonfall fort, dem sie nicht ganz traute. Garantiert hatte er sie auf dem Kieker. „Das hier ist wohl für dich. Es steht nämlich dein Name drauf.“ Damit ließ er ein rechteckiges Päckchen auf ihren Schreibtisch fallen.

Layla musterte es skeptisch. Oberflächlich betrachtet wirkte es harmlos, doch irgendetwas daran machte sie nervös. Zum einen stand kein Absender darauf. Zum anderen war es ihr erster Arbeitstag, und sie erwartete keine Post.

„Es hat auf meinem Stuhl gelegen, als ich vom Mittagessen kam. Eine Verwechslung vonseiten der Poststelle, vermute ich.“

Layla zupfte ungeschickt an den Kanten des Päckchens herum, doch sie hatte nicht vor, es zu öffnen, ehe Emerson in seine Kabine zurückgekehrt war. „Okay, danke“, sagte sie so beiläufig wie nur irgend möglich. Sie wartete, bis er sich wieder auf den Weg machte und außer Sichtweite war.

Das Päckchen hatte ein gewisses Gewicht, war aber nicht übermäßig schwer. Als sie es vorsichtig schüttelte, spürte sie, wie sich darin etwas Großes bewegte. Nichts davon half ihr dabei, seinen Inhalt zu erraten.

In der Hoffnung, dass sie in der Poststelle ein Standardverfahren zur Entdeckung potenzieller Paketbomben hatten, zog sie eine Schere aus der Schublade, zerschnitt das Klebeband und starrte perplex auf die herzförmige rote Satinschachtel, die zusammen mit einem kleinen Umschlag zum Vorschein kam.

Es war eine jener Schachteln, wie man sie zum Valentinstag verschenkte. Die Art von Schachtel, die mitten an einem brütend heißen Augustnachmittag auf ihrem Schreibtisch völlig fehl am Platz wirkte. Und da ihr Liebesleben, seit Mateo sie verlassen hatte, so gut wie inexistent war, hatte Layla nicht die leiseste Ahnung, wer sie ihr geschickt haben mochte.

Ihr Dad neigte nicht zu großen Gesten. Und Ira – tja, Ira war ihr Boss, womit es absolut daneben gewesen wäre und völlig unvorstellbar war. Und Tommy … also, daran durfte sie nicht einmal denken.

Vorne auf dem Umschlag stand in verschnörkelter Schreibschrift ihr Name. Noch immer ohne Ahnung, wer der Absender sein könnte, drehte sie den Brief um, fuhr mit dem Finger unter die Kuvertlasche und zog eine kleine, rechteckige Karte heraus. Die Abbildung darauf zeigte eine grinsende Cartoon-Katze mit einer fein säuberlich um den Hals gelegten Schlinge.

Layla starrte auf die Karte – sie war hässlich, gruselig und jagte ihr kalte Schauer über den Rücken. Sie hatte keine Ahnung, was die Karte bedeuten sollte, doch eines stand fest: Sie stammte garantiert nicht aus dem Regal mit den üblichen Glückwunschkarten.

Mit zitternden Fingern schlug sie die Karte auf und fand einen in derselben verschnörkelten Schrift verfassten Text.

Hey, Valentine!

Um deine Freundin aus dem Knast zu kriegen ,

Hast du dich in deinem Blog total verstiegen.

Für diesen Blödsinn fehlt mir die Geduld,

Wir wissen doch beide, es ist nur deine Schuld.

Suchst du nach Belegen,

Kann ich dir etwas geben.

In der Schachtel liegen Sachen,

Da wirst du große Augen machen.

Nur will ich dann hoffen,

Dass du’s postest, ganz offen.

Schau mir nicht in die Karten

Und lass mich nicht warten.

Doch wenn du dich fragst,

Ob du mitmachen magst,

Dann denk an die Katze

Und schau in ihre Fratze.

Neugier ist der Katze Tod,

Doch Genugtuung bringt sie wieder ins Lot.

Xoxo

Dein geheimer Bewunderer

Layla legte die Karte beiseite und öffnete die Schachtel. Genervt stöhnte sie auf, als ein Schwall aus pinkfarbenen Konfetti und Glitter herausstob. Mit pochendem Herzen schob sie einen Fingernagel unter die Lasche des schmalen braunen Umschlags, der darunterlag, und entnahm ihm ein einzelnes, ordentlich auf ein Drittel seines Formats gefaltetes Blatt.

Das Papier war leicht vergilbt, abgegriffen und wellte sich an den Kanten. Die Schrift hatte ausladende Schlingen und kleine dicke Herzchen über den is, während sich akkurat gezeichnete Sterne und Blumenstängel an den Rändern entlangzogen.

Layla begann zu lesen. Als sie am Ende angelangt war, kehrte sie zum Anfang zurück und begann erneut. Nach dem dritten Mal hatte sie mehr Fragen als Antworten, vor allem die eine: Wem in aller Welt gehörte das, und weshalb war jemand auf die Idee gekommen, es ihr zu schicken?

Sie hatte das Blatt gerade zusammengefaltet, um es wieder in den Umschlag zu schieben, als ein Foto, das sie bisher übersehen hatte, herausfiel und mit der Bildseite nach oben auf ihrem Tisch landete.

Das Mädchen auf dem Bild war jung, schätzungsweise sieben oder acht Jahre alt, jedenfalls definitiv nicht älter als zehn. Ihre dunklen Haare waren lang und zerzaust. Sie hatte dünne Beine und nackte, schmutzige Füße. Ihr Kleid war zerknittert, fleckig und mindestens eine Nummer zu klein. Der Puppe, die an ihrer Seite baumelte, fehlten ein Auge und ein Arm, und auf dem Gesicht des Spielzeugs lag ein sonderbares, irgendwie gehässiges Grinsen.

Doch es waren die Augen des Mädchens, die Layla in ihren Bann zogen. Sie schauten so intensiv, so faszinierend und so verblüffend vertraut, dass sie den Blick kaum abwenden konnte.

Eilig stopfte sie das Päckchen in die Tasche, verließ ihren Platz und raste zum Ausgang. Während sie spürte, wie sich Emersons Blick in ihren Hinterkopf brannte, klemmte sie sich das Telefon zwischen Schulter und Ohr und sagte mit gesenkter Stimme: „Wir müssen uns treffen. Ich glaube, ich habe gerade unseren ersten Anhaltspunkt gefunden.“

3. KAPITEL
This Summer’s Gonna Hurt Like a Motherf* * * *er

Aster Amirpour schlurfte herein und setzte sich auf den einzigen für sie verfügbaren Stuhl – den, der am Boden festgeschraubt war. Obwohl sie jeden Augenblick hasste, den sie eingesperrt in ihrer Zelle verbringen musste, graute ihr mittlerweile auch davor, diese zu verlassen, und das hatte sie ihren Eltern zu verdanken. Natürlich meinten sie es gut. Doch nach jedem Besuch von ihnen und ihren Anwälten fühlte sie sich noch schlechter, ohne jede Hoffnung und voller Abscheu gegen die Horrorshow, zu der ihr Leben geworden war.

Inzwischen kam es ihr seltsam vor, dass sie erst vor ein paar Monaten ihren Highschool-Abschluss gemacht hatte und der festen Überzeugung gewesen war, am Beginn einer strahlenden Zukunft zu stehen, nur um dann für den Mord an einem Superstar verhaftet zu werden.

Zeit ihres Lebens hatte sie davon geträumt, berühmt zu sein – ihr Gesicht auf jeder Titelseite, ihr Name in aller Munde. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass sie all das auf die absolut schlimmste, unvorstellbarste Art erreichen würde.

Mittlerweile befand sie sich seit einer knappen Woche im Gefängnis und vermisste bereits absolut alles aus ihrem früheren Leben. Sie vermisste ihren kleinen Bruder Javen so sehr, dass es fast körperlich schmerzte. Sie vermisste das Gefühl der heißen kalifornischen Sonne auf ihrer Haut und die Spontantrips zum Strand mit ihren Freundinnen. Sie vermisste die Shoppingtouren bei Barneys und ihre große Sammlung von Designerhandtaschen und – schuhen ebenso wie die wöchentlichen Termine für Maniküren, Pediküren und zum Haareglätten. Nach den ekelhaften, kohlenhydrathaltigen Gefängnismahlzeiten, die sie hinunterwürgen musste, konnte sie ehrlich sagen, dass sie sogar grüne Smoothies vermisste. Inzwischen vermisste sie praktisch jeden Aspekt ihres täglichen Lebens, den sie einst für selbstverständlich gehalten hatte, mit der gleichen Intensität, mit der sich andere nach geliebten Menschen oder Haustieren sehnten. Falls sie das Glück haben sollte, wieder herauszukommen, so schwor sie sich, erheblich mehr Dankbarkeit für das Luxusleben zu zeigen, das ihr gegönnt war.

Doch im Moment befand sie sich hinter Gittern, steckte in einem orangefarbenen Gefängnisoverall und hatte wenig Grund zur Dankbarkeit. Ihre Eltern weigerten sich, Javen zu Besuch kommen zu lassen – angeblich, weil sie nicht wollten, dass Aster ihn noch mehr traumatisierte, als dies bereits der Fall war. Gerade war sie sich sicher gewesen, ganz unten angelangt zu sein, da machte ihr diese Bemerkung klar, dass es noch wesentlich schrecklichere Zonen der Hölle zu erkunden gab.

Dazu kamen die Fesseln an Händen und Füßen, die die Gefängnisbehörden ihr auferlegt hatten und die nicht nur erniedrigend, sondern auch völlig überflüssig waren. Aster war nicht gewalttätig, und sie stellte mit Sicherheit für niemanden eine Bedrohung dar, doch es war ihr nicht gelungen, das Wachpersonal davon zu überzeugen.

Es war ja wohl kaum ihre Schuld gewesen, dass sie nur wenige Minuten, nachdem man sie in die überbelegte Arrestzelle gesperrt hatte, in eine Schlägerei geraten war. Gerade hatte sie noch die schmutzige Toilette beäugt, die mitten in der Zelle stand, und sich gefragt, wie lange sie durchhalten konnte, bis sie keine Wahl mehr hätte und sie benutzen musste, da ging auf einmal eine Verrückte mit erhobenen Fäusten auf sie los, sodass Aster nichts anderes übrig blieb, als die Hiebe und Tritte einzusetzen, die sie im Kickboxkurs gelernt hatte. Obwohl sie in Notwehr gehandelt hatte, wollte sich das Wachpersonal davon nicht überzeugen lassen.

Letztlich hatte ihr der Vorfall ein blaues Auge und eine geplatzte Lippe eingebracht, dazu das Misstrauen der Aufseher und eine Zelle für sich allein, was als Strafe gedacht war, sich aber mehr wie ein Gewinn anfühlte.

Sie rutschte vor an die Stuhlkante und wartete auf ihre Anwälte, in der Hoffnung, dass diese sich endlich darauf geeinigt hatten, eine Kaution für sie zu stellen. Ihre Eltern hätten das schon vor Tagen erledigen können, doch sie wollten Aster eine Lektion erteilen. Als wäre die Mordanklage, die ihr drohte, nicht schon Lektion genug.

Doch so dringend sie auch herauswollte – sosehr sie das Essen hasste, die schmuddelige Matratze, die fehlende Intimsphäre, die widerlichen Gerüche, den hässlichen orangefarbenen Overall, den sie tragen musste, und so ziemlich alles Weitere –, die Vorstellung, nach Hause zurückzukehren und wieder bei ihren Eltern zu wohnen, erschien ihr wie eine andere Art von Gefängnis. Sicher, das Ambiente war unglaublich luxuriös, doch die häuslichen Regeln waren genauso streng. Nur leider hatte sie im Moment keine Alternative.

Hinter ihr flog die Tür auf, und Aster schloss die Augen, um noch ein paar Momente für sich selbst zu sein, ehe sie das perfekt frisierte Haar ihrer Mutter mitsamt dem makellos geschminkten Gesicht vor sich sah, das ihren abwertenden Blick nur noch verstärkte. Doch so hart es war, ihrer Mutter gegenüberzutreten, ihrem Vater zu begegnen war noch schlimmer. Er brachte es kaum über sich, sie anzusehen, und wenn er es tat, wünschte Aster sich nur noch, er hätte es gelassen. Sein Kummer war so tief, dass Aster ihn regelrecht aus ihm herausquellen sah wie Auspuffgase aus einem Auto. Sie hatte, seit sie denken konnte, immer eine engere Bindung zu ihrem Vater gehabt als zu ihrer Mutter, doch jetzt, wo sie das Undenkbare getan hatte, jetzt, wo sie ihn enttäuscht und Schande über die ganze Familie gebracht hatte, war sie sicher, dass es nichts gab, wodurch sie sich je wieder gut mit ihm hätte stellen können.

Es war kindisch, nicht hinzusehen. Genauso hatte sie es als Kind gemacht, wenn sie mit etwas konfrontiert wurde, mit dem sie sich nicht auseinandersetzen wollte. Natürlich hatte es nie funktioniert, doch das hinderte sie nicht daran, es zu versuchen. Vielleicht wäre es ja diesmal anders. Vielleicht würde sie diesmal aus dem Albtraum erwachen und könnte ihr Leben zu dem Tag zurückspulen, als ihr Agent sie angerufen und ihr von Ira Redmans Wettbewerb erzählt hatte. Nur dass sie diesmal, mit dem Vorwissen ausgestattet, das ihr damals gefehlt hatte, das Angebot ablehnen und den Sommer genau wie jede andere Achtzehnjährige verbringen würde – shoppen, in der Sonne liegen, mit süßen Jungs flirten und darauf warten, dass ihr erstes Semester am College begann.

„Aster. Aster – alles okay?“

Die Stimme klang vertraut, doch es war nicht die, die sie erwartet hatte. Blinzelnd schlug sie die Augen auf und sah sich Ira Redman gegenüber. Er trug ein frisches Baumwollhemd, dessen Manschetten er hochgeschlagen hatte, um seine sportliche Breguet-Uhr besser zur Geltung zu bringen. Neben ihm saß der Anwalt, den sie schon einmal getroffen hatte, als sie zum ersten Verhör geholt worden war und noch nicht ahnte, wie viel Ärger ihr unmittelbar bevorstand.

„Ich weiß nicht, ob Ihnen das klar ist, aber ich vertrete Sie noch immer.“ Der Anwalt sah sie eindringlich an.

Aster nickte und zupfte an ihrem Gefängnisoverall, der ihren Teint fahl machte und sie so todgeweiht aussehen ließ, wie sie sich momentan fühlte. Es war seltsam, die beiden mächtigen Männer hier vor sich sitzen zu sehen. Alles bildete einen so starken Kontrast zu dem, was Alster erwartet hatte, dass sie ein paar Momente brauchte, um es zu verarbeiten.

„Ich wäre ja schon früher gekommen, aber du hast vergessen, uns auf die Liste zu setzen.“ Ira warf ihr einen bezeichnenden Blick zu, der ihr sagte, dass sie beide wussten, dass es sich dabei nicht direkt um ein Versehen gehandelt hatte.

Sie sah zwischen dem Anwalt und Ira hin und her. Die beiden Männer waren etwa gleich alt, doch Ira war eindeutig derjenige, der die Macht hatte. In einer Stadt wie L.A. galten Maßanzug und Seidenkrawatte als die Uniform derer, die einer höheren Autorität unterstanden. Iras dunkle Designerjeans und sein lose herabhängendes Hemd dagegen demonstrierten, dass er niemandem unterstand.

„Wir wollen dir helfen. Wenn du uns lässt, meine ich.“

Aster starrte auf die schmutzig grüne Wand direkt hinter seiner Schulter, deren Farbton sich in ihrem Kopf für immer als die Farbe von Elend, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit eingeprägt hatte. Sie verschränkte die Hände im Schoß und wusste nicht, welches von zwei Übeln schlimmer war – in der Schuld ihrer Eltern zu stehen oder in der Schuld von Ira Redman. Hilfe brauchte sie auf jeden Fall. Die Hilfe, die ihre Eltern für sie im Sinn hatten, bestand darin, das eine Gefängnis gegen ein anderes auszutauschen und sie unter Hausarrest zu stellen. Nicht dass sie sich außerhalb der Villa der Familie irgendwo hätte blicken lassen können. Sie war die verhassteste Person von ganz L.A. Am sichersten war sie, wenn sie innerhalb des von soliden Mauern umgebenen Anwesens ihrer Familie in Beverly Hills blieb, wo niemand an sie herankam.

Doch Aster wollte nicht auf Nummer sicher gehen. Wollte sich nicht eingestehen, dass sie ihr Leben so verbockt hatte, dass sie die strenge Aufsicht ihrer Eltern benötigte, um wieder in die Spur zu kommen. Ihre Sturheit verbot ihr einfach ohne Wenn und Aber, sich dem Willen ihrer Eltern zu unterwerfen. Trotzdem würde sie selbstverständlich alles tun, um die beiden vor dieser schrecklichen Geschichte abzuschirmen und ihre Beteiligung auf ein Minimum zu beschränken. Iras Hilfe zu akzeptieren würde mit Sicherheit dazu beitragen.

Sie hatte so viele dumme Fehler gemacht – sich in Ryan Hawthorne zu verlieben stand ganz oben auf der Liste. Sie hatte sich von ihrem Ego hinreißen lassen und war dumm genug gewesen, Ryan zu glauben, als er beteuerte, dass ihm etwas an ihr liege und er immer für sie da wäre. Natürlich waren das alles nur Lügen gewesen.

Was hatte Ira gesagt? Trau niemals einem Schauspieler, Aster. Sie schauspielern immer; sie haben keinen Ausschaltknopf. Erst jetzt erkannte sie, wie wahr diese Worte waren.

Das Einzige, was sie sicher wusste, war, dass sie Madison Brooks kein Haar gekrümmt hatte. Sie war jeglicher Straftat zu hundert Prozent unschuldig – trotz der angehäuften Beweismittel, die der Staat Kalifornien gegen sie ins Feld führte.

„Wir sind bereit, eine Kaution für dich zu stellen.“

Aster blickte zwischen ihren feuchten, verklumpten Wimpern hervor. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie weinte. Das tat sie in letzter Zeit öfter.

„Und was muss ich dafür tun?“

Ira und der Anwalt wechselten einen vielsagenden Blick, ehe sich Ira wieder ihr zuwandte. „Nichts.“

„Du weißt, dass ich es dir nie werde zurückzahlen können.“ Mit finsterer Miene sah sie auf ihre abgebrochenen Nägel und die rissigen Nagelhäutchen herab. Ihr Haar war glanzlos und schmutzig, ihre Haut war picklig geworden, und wahrscheinlich steuerte sie gerade auf einen schlimmen Fall von zusammengewachsenen Augenbrauen zu, doch sie war zu deprimiert, um sich darüber Gedanken zu machen. Schließlich postete sie ja keine Selfies aus der Gefängniszelle.

„Hast du vor, das Land zu verlassen?“

Sie runzelte die Stirn. „Wo soll ich denn hingehen?“

Ira zuckte die Achseln. „Dann hat ja wohl keiner von uns einen Grund zur Sorge.“

„Ihr stellt also die Kaution für mich … und was dann?“

„Du kehrst in dein normales Leben zurück. Deine Suite im W wartet auf dich.“

Sie sank noch ein Stückchen tiefer auf dem Plastikstuhl. Es war peinlich, ständig etwas von Ira anzunehmen. Das musste ein Ende haben. Sie musste auf eigenen Beinen stehen. Doch im Moment war sie so weit davon entfernt, brauchte so dringend einen Retter, dass sie gar nicht wusste, wo sie anfangen sollte.

„Und wovon soll ich leben?“, murmelte Aster. „Wie soll ich mich finanzieren? Wer wäre verrückt genug, mich einzustellen?“

Ira lachte. Ja, er warf sogar den Kopf in den Nacken und lachte lauthals, als hätte sie einen Witz gemacht. Als er sich schließlich beruhigt hatte, sah er sie an und sagte: „Nenn mich verrückt, aber ich erinnere mich genau daran, dass ich dir einen Job angeboten habe, und irgendwie habe ich auch in Erinnerung, dass du ihn angenommen hast.“

„Ja, und ungefähr fünf Sekunden später hat mir jemand Handschellen angelegt und mich über meine Rechte informiert.“ Sie schüttelte den Kopf und wich seinem Blick aus. „Ich nütze dir nichts mehr.“

„Im Gegenteil“, versetzte er rasch. „Das hier ist Hollywood, Aster, nicht die republikanische Vorwahl. Im Nachtclub-Business sind Skandale bares Geld. Und selbst wenn du dich nicht für mein Angebot interessieren solltest, ist da immer noch das Preisgeld, das du gewonnen hast.“

Aster fragte sich, ob sie so verblüfft aussah, wie sie sich fühlte. Ihre letzte Erinnerung an das Preisgeld war der Moment, als Ira ihr den Scheck aus den Fingern gerissen und ihn eingesteckt hatte. „Zur sicheren Aufbewahrung“, hatte er gesagt, obwohl sein Gesichtsausdruck ihr vermittelt hatte, dass sie den Scheck nie wiedersehen würde. Ein paar Sekunden später war sie auf den Rücksitz eines Streifenwagens geschubst und abtransportiert worden und hatte bis jetzt praktisch nicht mehr daran gedacht. Hatte sie Ira wirklich so falsch eingeschätzt?

„Du hast dir das Geld redlich verdient. Es gehört dir. Ich habe es unter deinem Namen auf einem Treuhandkonto deponiert.“

„Behalt’s.“ Sie tat das Angebot mit einer schnellen Handbewegung ab. Auch wenn sie verzweifelt und pleite war, musste sie so entscheiden. „Nimm es für die Anwaltskosten und die Kaution.“ Sie warf einen kurzen Blick auf den Anwalt auf der anderen Seite des Tischs und stellte im Kopf ein paar kurze Berechnungen an. Obwohl der Scheck über das Preisgeld eine beeindruckende Menge von Nullen aufwies, wäre das lediglich ein Anfang. Ein gutes Team für ihre Verteidigung würde die Summe binnen kürzester Zeit aufbrauchen. Es wäre weg, noch ehe es zur Verhandlung käme.

Sie senkte das Kinn auf die Brust und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Sie hatte einen Schritt vorwärts gemacht, nur um wieder ganz am Anfang zu stehen. Sie hatte weder ein Zuhause noch eine gute Methode, um sich selbst zu finanzieren. Als Highschool-Absolventin ohne richtige Ausbildung und mit einem Verbrecherfoto, das im Internet hohe Wellen geschlagen hatte, war sie unberührbar, unvermittelbar. Die Unabhängigkeit, nach der sie sich gesehnt hatte, kam sie allzu teuer zu stehen.

„Ich meine auch das mit dem Jobangebot ernst“, sagte Ira, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Das war ein Job als Promoterin. Wie soll ich Leute anlocken? Ich bin gesellschaftlich ruiniert!“

Ira ließ sich nicht beirren. „Wenn du die öffentliche Meinung ändern willst, musst du rausgehen und beweisen, dass du nichts zu verbergen hast. Ich würde dir das Angebot nicht machen, wenn ich nicht der Meinung wäre, dass du das schaffst. Erinnerst du dich noch an das Versprechen, das ich euch zu Beginn des Wettbewerbs gegeben habe?“

Sie sah ihn an, und ihr schwirrte der Kopf von allem, was er gesagt hatte, und allem, was ungesagt geblieben war.

„Ich habe versprochen, dass du, wenn du für mich arbeitest, die Art von echter Lebenserfahrung kriegst, die du in einer Schule nicht bekommst, richtig?“

Als ihr erneut die Tränen über die Wangen strömten, versuchte Aster nicht, sie zu unterdrücken. Nun hatte ihr Ira schon zum zweiten Mal auf eine Weise geholfen, wie ihre Eltern es ihr verweigerten. Aber, wichtiger noch, im Gegensatz zu ihren Eltern verurteilte Ira sie nicht. Er versuchte nicht, sie kleinzuhalten und abzuwerten. Sein Glaube an ihr Potenzial war unerschütterlich, und er ermutigte sie, ebenso unerschütterlich an sich selbst zu glauben.

Sie fragte sich, warum er das tat – warum er sich überhaupt die Mühe machte. Er hatte als Gegenleistung nie etwas anderes verlangt, als dass sie ihre Arbeit gut machte. Da er jemand war, der immer Hintergedanken zu haben schien, lag es an ihr herauszufinden, welche er ihr gegenüber hegte.

Obwohl sie ihre Familie liebte, war ihr der Gedanke unerträglich, nach Hause zurückzukehren, unter die Argusaugen von Nanny Mitra und ihren Eltern. Es war furchtbar für sie, dass sie einen Retter brauchte, doch sie war dankbar dafür, dass sich jemand anders als ihre Eltern erbot, sie vor dem Untergang zu bewahren.

„Danke“, sagte sie. Ihre Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an, sodass sie an den Worten beinahe erstickt wäre.

Ira erhob sich lächelnd. Kurz darauf stand auch der Anwalt auf. „Es kann ein paar Stunden dauern, bis wir das mit der Kaution für Sie durchgeboxt haben“, sagte er, „aber Sie kommen bald hier raus.“

Aster sah zu, wie der Wachmann die Tür öffnete und die beiden Männer hinausgingen.

„Und Aster“, rief Ira ihr über die Schulter zu. „Mach dir nicht so viele Sorgen. Es kommt alles ins Lot. Das verspreche ich dir.“

Als der Wachmann sie in ihre Zelle zurückführte, klammerte sich Aster an Iras Worte wie an einen Rettungsring.

4. KAPITEL
Why’d You Come In Here Lookin’ Like That

Tommy Phillips traf fünf Minuten später ein als geplant, aber immer noch früh genug, um sich die dunkelste, intimste Nische in der fast leeren Bar zu sichern. In dieser Stadt voller ehrgeiziger Überflieger, die Erfolg mit aufgeblasener Geschäftigkeit gleichsetzten, waren die einzigen anderen Gäste ein paar Touristen, die ihre Instagram-Accounts um einen schonungslosen Einblick in den Alltag von Hollywood erweitern wollten, sowie die nachmittäglichen Stammgäste mit dem weichen, niedergeschlagenen Gesichtsausdruck von Menschen, die das Rennen nicht nur verloren hatten, sondern gar nicht erst angetreten waren.

Drei Stunden später wären sie alle weg, verdrängt von den After-Work-Kriegern, die zugunsten ihres Bedürfnisses nach billigen Drinks, willigen Frauen und jedem anderen Betäubung versprechenden Laster bereitwillig über den leichten Geruch nach verbranntem Popcorn und die antiquierte Musikbox, die unablässig klassische Rockmusik spielte, hinwegsahen.

Tommy lebte zwar nicht wirklich seinen Traum, aber zumindest hatte er es geschafft, die Hölle eines Achtstundentags zu umgehen.

Er ließ sich auf das rote Vinylpolster fallen und bestellte sich bei der Bedienung ein Bier. Sie hatte ihm einen aufreizenden Blick zugeworfen, den er nicht erwiderte. Noch vor einem Monat hätte er unverzüglich sein Herzensbrecherlächeln aufgesetzt, das ihn auf der Highschool in Oklahoma zur Legende gemacht hatte. Doch seit Madison Brooks verschwunden war und die Boulevardblätter sich wegen der kleinen Nebenrolle, die er dabei gespielt hatte, auf ihn gestürzt hatten, bestand Tommys Standardreaktion auf die Flirtversuche hübscher Frauen darin, den Blick abzuwenden und zu warten, bis sie wieder weg waren.

Das wirkte sich katastrophal auf sein Liebesleben aus. Von seinem nicht vorhandenen Sexleben ganz zu schweigen.

Wie jeder in L.A. sehnte er sich danach, dass die Durststrecke zu Ende ging.

Er fixierte den Eingang, um Laylas Ankunft nicht zu verpassen. Zwar schickten sie sich regelmäßig Nachrichten, doch sie hatten sich seit einer Woche nicht gesehen. Eine Woche, seit L.A. brannte und sie hatten zusehen müssen, wie ihre Freundin unter Mordverdacht abgeführt worden war.

Als kurz darauf die Tür aufging und in einem Lichtkegel Laylas zierliche, schwarz gekleidete Gestalt erschien, begriff Tommy beim ersten Blick auf ihr platinblondes Haar, ihre graublauen Augen und ihr reizvolles blasses Gesicht, dass er nicht einmal ansatzweise über sie hinweg war.

Allerdings bestand kein Zweifel daran, dass sie mit ihm abgeschlossen hatte.

Nicht dass es wirklich etwas gegeben hätte, worüber man hätte hinwegkommen müssen. Der Kuss war eine einmalige Sache gewesen. Außerdem hatte Layla seinen Informationen nach einen festen Freund. Trotzdem hatte sich die Erinnerung an diesen Moment in ihm festgesetzt, so sehr er auch versuchte sie zu vergessen.

Layla blieb am Eingang stehen und sah sich im Lokal um. Bald würde sie ihn entdeckt haben, auch ohne sein Zutun. Tommy bekam nicht oft Gelegenheit, Layla unbemerkt zu beobachten. Sie wirkte ein klein wenig verloren und unsicher, ganz anders, als es ihre sonst so sarkastische und großspurige Art war, und das wollte er so lange wie möglich genießen.

„Ne super Location hast du da ausgesucht, Tommy.“ Layla warf ihre Tasche auf die Polsterbank und ließ sich auf den Sitz gleiten, wobei Tommy zu ignorieren versuchte, wie sich ihr Kleid die Schenkel hinaufschob. Wenn sie ihn beim Gaffen erwischte, würde sie ihn bei lebendigem Leib auffressen. „Hat man hier nicht die Leichenteile der zerstückelten Schauspielerin gefunden, ordentlich in Plastikbehältern in der Tiefkühltruhe aufbewahrt?“

„Das war in den Sechzigerjahren. Seitdem haben sie die Küche renoviert“, erwiderte Tommy, von der schaurigen Vergangenheit des Lokals nicht im Geringsten schockiert.

Layla sah sich skeptisch um. „Anscheinend ist die Küche das Einzige, was sie renoviert haben.“

Die Bedienung kam mit Tommys Bier, und Layla bestellte einen Kaffee, ohne Milch und Zucker. Als die Bedienung davonging, drehte sich Layla zu Tommy und fragte: „Hat sie gerade vor mir die Augen verdreht?“

„Sie sind eben auf ihre Trinkgelder angewiesen“, sagte Tommy mit einem Schulterzucken. „Außerdem – hast du deinen Koffeinpegel noch nicht erreicht?“

Layla checkte ihr Handy und legte es vor sich auf den Tisch. „Ich habe dieses Treffen nicht vereinbart, um meine angebliche Kaffeesucht mit dir zu diskutieren.“

Tommy verkniff sich ein Grinsen und trank gemächlich einen Schluck von seinem Bier. Layla hatte keinen Sinn für Small Talk. Das hatte er bereits am ersten Tag ihrer Bekanntschaft lernen müssen, als er vergeblich versucht hatte, die süße Blonde, die auf einer metallicblauen Kawasaki zum Vorstellungsgespräch bei Unrivaled Nightlife angerauscht gekommen war, in ein Gespräch zu verwickeln. Ihre erste Begegnung war nicht gut gelaufen, aber damals hatte Layla ja auch Aster gehasst. Doch hier war sie nun, entschlossen, einen Weg zu finden, um sie zu retten.

Tommy presste die Unterarme auf die Tischplatte und lehnte sich zu Layla hinüber. Es war an der Zeit, dass er aufhörte, von einer Beziehung zu träumen, die es nie geben würde, und so konzentrierte er sich auf den wahren Grund für dieses Treffen.

„Sie lassen mich noch immer nicht zu Aster.“ Layla seufzte. „Wer hätte gedacht, dass es schwerer ist, ins Bezirksgefängnis einzudringen als in die VIP-Lounge von einem von Iras Clubs?“ Sie runzelte die Stirn. „Ganz zu schweigen davon, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass Trena mehr weiß, als sie zugibt. Aber jedes Mal, wenn ich davon anfange, weicht sie aus. Es ist, als wollte sie mich um jeden Preis abblocken, aber ich habe keine Ahnung, warum. Schließlich habe ich ihr den entscheidenden Hinweis auf Ryan Hawthorne gegeben. Vielleicht sollte ich sie daran mal erinnern.“

„Sie behält ihr Wissen für sich. Will nicht, dass du sie ausstichst, oder wie das bei euch Journalistinnen heißt.“ Tommy verfolgte, wie Layla geistesabwesend mit einem blau lackierten Fingernagel unsichtbare Kreise auf den Tisch malte. Trena war nicht die Einzige, die um den heißen Brei herumredete; auch Layla hielt sich bedeckt. Am Telefon hatte sie so getan, als wäre es dringend, und darauf bestanden, dass er sofort alles stehen und liegen ließ und sich mit ihr traf. Doch jetzt, wo sie einander gegenübersaßen, schien es, als bereute sie ihre Entscheidung – oder, schlimmer noch, als überlegte sie, ob sie ihm vertrauen konnte oder nicht.

Layla setzte zum Sprechen an, hielt jedoch inne, als die Kellnerin ihr den Kaffee hinstellte. Sobald die Frau außer Hörweite war, sah sie Tommy an. „Ich habe ihr gesagt, dass ich nicht mehr darüber schreibe“, erklärte sie. „Ich mache in Bezug auf das Thema Pause, und glaub mir, wenn ich dir sage, dass meine Leserzahlen seitdem in den Keller gegangen sind. Meine Anzeigenkunden springen ab, und meine Einnahmen sinken. Aber ich kann einfach nicht guten Gewissens weiter darüber schreiben. Schließlich bin ich von Asters Unschuld überzeugt.“ Reumütig starrte sie in ihre Kaffeetasse. „Ich hätte niemals die Bilder veröffentlichen dürfen, auf denen sie und Ryan sich küssen. Damit habe ich die Cops erst auf sie aufmerksam gemacht, und von da an waren sie zu faul, um noch nach anderen Verdächtigen zu suchen.“

Tommy konnte kaum glauben, was er soeben gehört hatte. „Und was ist mit den Bildern von mir, die du gepostet hast?“

Falls er eine Entschuldigung erwartet hatte, so wurde er enttäuscht. Layla lehnte sich abrupt zurück und ließ sich gegen das Vinylpolster fallen. Sie verschränkte die Arme und bedachte ihn mit einem stahlharten Blick. „Soweit ich mich erinnere, hattest du nichts dagegen, deine fünfzehn Minuten Ruhm in Anspruch zu nehmen.“

Tommy wurde wütend. Niemand konnte ihn so auf die Palme bringen wie Layla. Nach ein paar Momenten angespannten Schweigens hatte er sich genug beruhigt, um sich einzugestehen, dass ihre Äußerung in vieler Hinsicht zutraf. Doch das würde er ihr gegenüber um keinen Preis zugeben.

„Warum schreibst du dann nichts zugunsten ihrer Verteidigung?“, fragte er, im Bemühen, das Gespräch voranzubringen, ehe Layla hinausstürmte oder noch Schlimmeres. In seinen Augen lag die Lösung auf der Hand. Wenn er einen Blog hätte, würde er genau das tun. Jedenfalls hatte er regelmäßig diesen Standpunkt vertreten, wenn man ihn interviewte, was inzwischen allerdings immer seltener vorkam.

Voller Träume, in der Musikbranche groß herauszukommen, war Tommy nach L.A. gezogen. Doch er hatte schon bald feststellen müssen, dass das nicht einmal ansatzweise so leicht war, wie er gehofft hatte. In einer Stadt, wo nahezu jeder lächerlich schön und auf dem Weg zu Ruhm und Reichtum war, wurden sein gutes Aussehen und sein Talent kaum registriert. Dabei hatten ihm diese zwei Dinge zu Hause in seiner Kleinstadt in Oklahoma die Aufmerksamkeit der Leute eingebracht. Als schließlich die Nachricht von Madisons Verschwinden publik wurde, hatte Tommy nicht gezögert, sich seinen Platz im Rampenlicht zu sichern. Damals war er überzeugt gewesen, dass Madison sich lediglich versteckt hielt und schon bald wieder auftauchen würde. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass ihr Blut auf der Terrasse des Night for Night nachgewiesen und dann auch noch Asters verschmutztes Kleid mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht werden würde.

Layla löste die verschränkten Arme voneinander und nippte an ihrem Kaffee. Angewidert rümpfte sie die Nase und trank gleich noch einen Schluck. „Offenbar liest du meinen Blog nicht“, sagte sie und stellte die Tasse wieder ab. „Sonst wüsstest du, dass ich Morddrohungen bekommen habe, als ich ein einziges Mal gewagt habe, Aster in einem Artikel zu verteidigen.“ Sie schüttelte angesichts der Erinnerung den Kopf.

„Alle lieben leichte Ziele.“ Tommy musterte sie und beobachtete, wie eine Reihe verschiedener Gefühle über ihre zarten Gesichtszüge wanderte, während sie zögerlich nickte.

„Zu Asters Pech ist es leicht, sie zu hassen. Sie ist jung, reich, umwerfend schön, ein bisschen zickig …“

„Ein bisschen?“ Tommy schämte sich für seine Frage, kaum dass er sie gestellt hatte. Bei allem, was Aster durchmachte, kam es ihm nicht angebracht vor, sich über sie lustig zu machen, ganz egal, wie zutreffend das Etikett auch war. „Offen gestanden gilt das Gleiche auch für dich. Jedes Mal, wenn du dich an die Öffentlichkeit wagst, oder schlimmer noch, dich in einer Form an die Öffentlichkeit wagst, die deine Überzeugungen zum Ausdruck bringt, musst du damit rechnen, dass alle über dich herfallen.“

„Sprichst du aus Erfahrung?“ Layla zog eine Braue hoch und musterte ihn forschend.

Tommy zuckte die Achseln, trank von seinem Bier und dachte an die üblen Reaktionen, die er kassiert hatte – den Strom von Hass-Tweets und die aufgeschlitzten Autoreifen –, alles nur, weil er der Letzte war, der mit Madison gesehen worden war. Das Internet war der grausamste Gerichtshof von allen. Dort zeigte sich die schlimmste Mentalität der Masse – von ihrem Wohnzimmersessel aus verurteilte ein Heer von selbstgerechten Besserwissern einen Einzelnen nur anhand von Gerüchten. Zu Tommys Glück hatte der Wutrausch inzwischen nachgelassen, jedoch nur, weil die Hassprediger in Aster eine neue Zielscheibe gefunden hatten.

„Okay“, sagte Layla. „Als ehemalige Präsidentin des Ich-hasse-Aster-Amirpour-Clubs kann ich das verstehen. Aber jetzt möchte ich ihr nur noch helfen. Zum einen ist Aster unschuldig. Und zum anderen ist es einfach angebracht.“

Tommy musterte sie eingehend. Sie benahm sich seltsam und verschwieg ganz eindeutig das, was sie eigentlich mit ihm hatte besprechen wollen. Und auch wenn ein Teil von ihm hoffte, dass sie das Ganze nur vorgeschoben hatte, um ihn zu treffen, so wusste er es doch besser. Layla hatte wirklich nicht den geringsten Hang zu verschämter Koketterie. Sie war das direkteste Mädchen, das ihm je begegnet war – jedenfalls meistens. Im Moment brauchte sie eindeutig einen kleinen Stupser, obwohl sie diejenige war, die dieses Treffen angeregt hatte.

„Und was sind das nun für Indizien, die du gefunden hast?“ Er lehnte sich an das Rückenpolster und wartete, dass sie endlich den Mund aufmachte.

Mit resigniertem Seufzen griff sie in ihre Tasche, zog ein Päckchen heraus und schob es zu ihm hinüber.

Tommy blickte zwischen Layla und der herzförmigen Schachtel hin und her und begann schließlich, das darin liegende Schriftstück zu lesen.

14. März 2012

Heute in der Schule hätte ich mich fast verraten. Oder vielmehr, ich habe mich verraten, aber da es nur Dalton mitgekriegt hat, wurde es nicht zu der Katastrophe, die es hätte sein können, denn jeder weiß, dass Dalton für andere nicht wichtig genug ist, als dass sie ihm zuhören würden.

Nach all der Mühe, die ich mir gemacht habe, um meinen früheren Hillbilly-Akzent ein für alle Mal spurlos auszumerzen, indem ich mir unzählige alte Filme angeschaut habe, um dadurch ein bisschen britisch zu klingen oder wenigstens so, als könnte ich von überall herkommen, bloß nicht aus West Virginia, kann ich kaum glauben, dass ich dumm unvorsichtig genug war, um mich als die Landpomeranze zu outen, die ich in Wirklichkeit bin.

Es ging alles damit los, dass ich mir im Kunstunterricht eine ganze Dose Farbe über den Kittel gekippt habe und wüst zu fluchen begonnen habe, was normalerweise keine große Sache wäre, es sei denn, ein Lehrer hört es (was glücklicherweise nicht der Fall war, da Mr. Castillo viel zu sehr damit beschäftigt war, sein Profil auf Tinder zu aktualisieren, um auf mich zu achten). Es wurde aber schnell EINE GANZ GROSSE SACHE, weil Dalton alles mitgekriegt hat und mir klar wurde, dass ich VERSEHENTLICH IN MEINEM ALTEN AKZENT GEFLUCHT HATTE!!!!!

Puh.

Ich pack’s nicht. trauriges emoji

Sowie ich begriffen hatte, was ich getan hatte, stand ich nur noch völlig verdattert da. Ich schwöre, ich konnte kaum atmen!! Doch als Dalton mir in die Augen sah, dachte ich ehrlich, ich müsste auf der Stelle sterben. Ich hatte das Gefühl, als würde mein ganzes Leben zurückgespult – alles lief vor meinen Augen ab. Es war, als würde ich all meine Träume – alles, worauf ich hingearbeitet habe – in einem einzigen schrecklichen Moment buchstäblich zu Staub zerfallen sehen.

Oder zumindest kam es mir im ersten Moment so vor.

Doch nachdem ein paar Sekunden vergangen waren, riss ich mich genug zusammen, um zu kapieren, dass ich dazu stehen musste, was ich getan hatte, wenn ich den Schaden wieder rückgängig machen wollte.

Während also Dalton mit großen Augen dastand und glotzte, als müsste er sich erst darüber klar werden, wie er mit dieser heißen Info umgehen sollte, hab ich ihm voll in die Augen gesehen, mir ein Lächeln abgerungen und ihn angesprochen. „Mal ganz ehrlich – hat das authentisch geklungen?“

Dalton stand wie angewurzelt da, den Mund sperrangelweit aufgerissen wie ein Fisch zur Fütterungszeit.

Und so habe ich noch breiter gegrinst und gesagt: „Ich geh am Wochenende zu einem Casting für einen Fernseh-Werbespot und arbeite noch an meinem Akzent.“

Er hat mich so lange angestarrt, dass mir allen Ernstes der Schweiß ausgebrochen ist. Es war, als könnte ich sehen, wie sein Gehirn sich daran abarbeitet, den schnellsten Weg dafür zu finden, meinen Fehltritt zu nutzen, um seine Beliebtheit schlagartig zu steigern.

„Küssen gehört auch dazu“, habe ich angefügt, ehe ich es richtig durchdacht hatte, aber harte Zeiten verlangen nach harten Maßnahmen und so …

Ich bin näher zu ihm hingegangen, so nah, dass wir uns fast berührt hätten, und habe gesagt: „Und das sollte ich wohl am besten auch noch üben. Vielleicht kannst du mir ja nach der Schule dabei helfen?“

Was auch immer er zuvor gern mit mir gemacht hätte, tja, jetzt dachte er offenbar an etwas völlig anderes. Und auch wenn mir nicht recht wohl bei dem Gedanken war, es tatsächlich durchzuziehen, blieb mir jetzt, nachdem ich die Idee in die Welt gesetzt hatte, nichts anderes mehr übrig.

Nach der Schule hat er auf mich gewartet, und ich habe mich von ihm nach Hause bringen lassen. Zum Glück waren meine Eltern bei der Arbeit, und wir hatten das ganze Haus für uns. Und obwohl ich mich eigentlich nur maximal zehn Minuten lang von ihm küssen lassen wollte, war es erstaunlicherweise gar nicht so schlecht, Dalton zu küssen, also hab ich ihn mit auf mein Zimmer genommen und mich ein bisschen länger (und ein bisschen intensiver) mit ihm vergnügt als geplant.

Morgen um diese Zeit wird Dalton total beliebt sein (dafür sorge ich!), und mein Geheimnis ist sicher. Ich hoffe nur, er erwartet nicht, dass ich jetzt seine Freundin bin oder so. Denn auch wenn er ziemlich gut küsst, darf ich es nicht riskieren, ihn näher an mich ranzulassen.

Ich darf es nicht riskieren, irgendjemanden näher an mich ranzulassen – niemals.

Es war echtes Glück, dass es Dalton war und nicht Emma oder Jessa oder irgendwer, der sich nicht so leicht hätte manipulieren ablenken lassen.

Im Endeffekt war es eigentlich ganz gut so. Zumindest hat es mir mal wieder gezeigt, dass ich unter keinen Umständen riskieren darf, meine Wachsamkeit aufzugeben.

Dass ich niemals aufhören darf, die strahlende neue Version meiner Person zu spielen.

Dass ich niemals aufhören darf zu schauspielern, Punkt.

Der Tagebucheintrag strotzte derart von Widersprüchen, dass man kaum folgen konnte. Die Massen von Herzchen, Blümchen und Sternen wiesen eindeutig auf ein romantisches und verträumtes junges Mädchen hin. Doch der Inhalt an sich zeigte bereits eine Form von Ehrgeiz, Reife und Entschlusskraft, die man nur selten bei einem so jungen Menschen fand. Tommy studierte die kopierten Seiten und wusste genau, dass Madison das geschrieben hatte. Nach dem Datum oben auf der Seite zu urteilen, war sie damals etwa vierzehn Jahre alt gewesen.

Erneut musterte er das Foto. Nur ein Mensch hatte solche Augen, und Augen logen nie.

Tommy hatte zwar keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte, doch eines stand fest: Madison Brooks war ganz und gar nicht die Person, die sie vorgab zu sein.

Der feine Ostküstenakzent war antrainiert. Auch wenn die Kindheit, von der sie in Interviews sprach, auf den späteren Teil ihres Lebens zutreffen mochte, so unterschieden sich Madisons frühe Lebensjahre, wenn man nach dem Bild und dem Tagebucheintrag ging, doch ganz erheblich von der Geschichte, die sie erzählte. Ihr Leben, wie sie es beschrieben hatte, war nichts anderes als ein clever konstruiertes Märchen.

Offenbar hatte sich Madison alle erdenkliche Mühe gegeben, um ihre Geheimnisse zu verbergen, weshalb sich Tommy nun fragte, ob ebendiese Geheimnisse für das verantwortlich waren, was ihr zugestoßen war.

War die Wahrheit aus ihrer Vergangenheit zurückgekehrt und hatte sich an ihr gerächt?

„Und … was glaubst du?“ Layla beugte sich zu ihm hinüber. „Es ist Madison, oder nicht?“

Tommy schluckte. Da er seiner Stimme nicht traute, räusperte er sich, ehe er zu sprechen begann. „Das ist sie eindeutig.“ Er schüttelte den Kopf. Es schien so unglaubwürdig und passte trotzdem perfekt zusammen. Ihre gemeinsame Zeit war kurz gewesen, hatte jedoch einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Und eines war sicher – so, wie sie Bier trank, wie sie küsste und wie sie ihren Akzent hatte durchschimmern lassen, hegte er nicht den geringsten Zweifel daran, dass mehr hinter Madison Brooks steckte, als es den Anschein hatte. „Auf jeden Fall irgendwie gruselig.“ Er warf einen Blick auf Layla, und sie nickte ihm aufmunternd zu, dass er fortfahren solle. „Ich meine, es ist so kalt und berechnend, wie sie diesen Dalton dazu manipuliert hat, ihr Geheimnis zu bewahren.“ Kopfschüttelnd fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar. „Immerhin war sie damals erst vierzehn und hat schon Sex benutzt, um Gefälligkeiten einzufordern – oder zumindest die Aussicht auf Sex.“

„Ganz zu schweigen von der Stelle, an der sie schreibt, dass sie permanent schauspielert – dass sie gar nicht aufhören kann, eine Rolle zu spielen.“ Layla verzog das Gesicht. „Ich meine, wenn ihr ganzes Leben nichts als Lug und Trug ist, heißt das dann, dass auch ihr Verschwinden inszeniert ist?“

Tommy dachte einen Moment über die Frage nach, fand jedoch keine klare Antwort. „Wer hat dir das geschickt?“ Er zwang sich, den Blick von dem Bild abzuwenden und wieder Layla anzusehen.

Sie zuckte die Achseln. „Mein Schutzengel vermutlich.“

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