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Bridgerton - Penelopes pikantes Geheimnis

Als Buch hier erhältlich:

Wer ist Lady Whistledown?

London, 1824: Seit langem ist Penelope heimlich in den umschwärmten Colin Bridgerton verliebt – hoffnungslos, da der begehrte Junggeselle sie, ein unscheinbares Mauerblümchen, bis jetzt gar nicht wahrgenommen hat. Doch dann begegnet sie ihm im Haus seiner Schwester. In einem bewegenden Gespräch gesteht Colin ihr, wie sehr er sich nach wahrer Liebe sehnt, und küsst sie zärtlich. Fortan hat er nur noch Augen für sie. Aber Penelope hat ein Geheimnis, dessen Enthüllung ihr unverhofftes Glück gefährden würde: Unter dem Pseudonym Lady Whistledown schreibt sie pikante, manchmal skandalöse Kolumnen über die Mitglieder der Gesellschaft. Jeder will wissen, wer die Lady mit der Giftfeder ist. Was, wenn Colin es herausfindet?

»Wer noch nie einen Liebesroman gelesen hat, sollte hiermit beginnen.« Washington Post über »Bridgerton– Der Duke und ich«


  • Erscheinungstag: 27.12.2021
  • Aus der Serie: Bridgerton
  • Bandnummer: 4
  • Seitenanzahl: 432
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749903993

Leseprobe

Der April rückt heran und mit ihm die neue Londoner Saison. Schon kann man in den Modesalons ehrgeizige Mamas mit ihren reizenden Töchtern antreffen, beide auf der Suche nach dem einen zauberhaften Kleid, welches die Jungfer unfehlbar in eine Braut verwandeln wird.

Was ihre Opfer betrifft, die hartnäckigen Junggesellen, so ist zu sagen, dass Mr. Colin Bridgerton, wiewohl noch nicht zurückgekehrt von seiner jüngsten Reise auf den Kontinent, auf der Liste wünschenswerter Ehegatten wieder einmal ganz oben rangiert. Zwar besitzt er keinen Titel, das ist wohl wahr, verfügt dafür jedoch in reichem Maße über gutes Aussehen, Vermögen und, wie jeder weiß, der unsere Hauptstadt schon einmal betreten hat, umwerfenden Charme.

Doch nachdem Mr. Bridgerton mittlerweile das stattliche Alter von dreiunddreißig Jahren erreicht hat, ohne je Interesse an irgendeiner jungen Dame bekundet zu haben, besteht keinerlei Grund zu der Annahme, dass das Jahr 1824 in dieser Hinsicht irgendwie anders verlaufen wird als das Jahr 1823.

Vielleicht wären die reizenden Debütantinnen – oder, wichtiger noch, ihre ehrgeizigen Mamas – gut beraten, wenn sie anderswo Ausschau hielten. Denn falls Mr. Bridgerton auf der Suche nach einer Gattin ist, verbirgt er diesen Wunsch sehr gut.

Andererseits – ist nicht gerade dies eine jener Herausforderungen, welche eine Debütantin besonders reizt?

Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal

PROLOG

Am sechsten April 1812 – genau zwei Tage vor ihrem sechzehnten Geburtstag – verliebte sich Penelope Featherington. Es war erschütternd. Die Erde bebte. Ihr Herz war in Aufruhr. Es raubte ihr den Atem. Und, wie sie sich hinterher mit einiger Befriedigung versichern konnte, der fragliche Herr – ein gewisser Colin Bridgerton – empfand genau das Gleiche.

Von der Liebe einmal abgesehen. 1812 verliebte er sich ganz gewiss nicht in sie, auch nicht 1813, 1814 oder 1815 und, verflixt noch mal, auch nicht in den Jahren 1816 bis 1822 und garantiert nicht im Jahr 1823, das er fast zur Gänze im Ausland verbrachte. Doch auch für ihn bebte die Erde, sein Herz geriet in Aufruhr, und Penelope war sich auch vollkommen sicher, dass es ihm den Atem raubte. Mindestens zehn Sekunden lang.

Das passierte eben, wenn man vom Pferd fiel.

Es geschah folgendermaßen: Sie war mit ihrer Mutter und zwei älteren Schwestern im Hyde Park spazieren, als sie plötzlich ein donnerndes Dröhnen unter den Füßen verspürte (siehe oben: die Sache mit der bebenden Erde). Da ihre Mutter sie gerade nicht weiter beachtete (wie immer eigentlich), stahl Penelope sich einen Augenblick davon, um einmal nachzuschauen. Die anderen Featheringtons plauderten gerade angeregt mit Lady Bridgerton und deren Tochter Daphne, für die soeben die zweite Londoner Saison begann, und gaben vor, den Lärm nicht zu hören. Die Bridgertons waren wichtige Leute, wichtiger jedenfalls als irgendein Gedröhn.

Als Penelope vorsichtig hinter einem Baum hervorspähte, sah sie zwei Reiter auf sich zukommen. Sie ritten »auf Teufel komm raus« oder wie man es eben bezeichnete, wenn zwei Narren hoch zu Ross dahersprengten und sich weder um ihre Sicherheit noch um ihre Unversehrtheit scherten. Penelope spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann (unmöglich, bei einem so aufregenden Anblick ruhig Blut zu bewahren, und außerdem konnte sie dann später behaupten, ihr Herz sei in Aufruhr gewesen, als sie sich verliebt hatte).

Dann, einer unerklärlichen Laune des Schicksals folgend, frischte der Wind auf, fegte ihr die Schute vom Kopf (die sie, zum großen Kummer ihrer Mutter, wieder einmal nicht richtig festgebunden hatte) und wehte sie – platsch! – einem der beiden Reiter direkt ins Gesicht.

Penelope keuchte auf (was ihr den Atem raubte!), und dann fiel der Mann vom Pferd und landete höchst unelegant in einer Pfütze.

Ohne nachzudenken, rannte sie auf ihn zu. Eigentlich wollte sie sich nach seinem Wohlergehen erkundigen, bekam jedoch nur einen erstickten Schrei heraus. Bestimmt wäre er furchtbar zornig auf sie, nachdem er durch ihre Schuld vom Pferd gefallen und auch noch von Schlamm bedeckt war – etwas, was jeden Gentleman in die übelste Laune versetzen würde. Doch als er schließlich wieder auf die Beine gekommen war und sich den Schmutz notdürftig von den Kleidern gewischt hatte, stürzte er sich keineswegs wütend auf sie. Weder überschüttete er sie sofort mit unflätigen Bemerkungen, noch schrie er sie an, er machte noch nicht einmal ein finsteres Gesicht.

Er lachte.

Er lachte.

Penelope hatte Männer noch nicht oft lachen hören, und wenn, dann war es kein freundliches Lachen gewesen. Aber die Augen dieses Mannes – intensiv grüne Augen – blitzten vor Vergnügen, während er sich einen Schlammspritzer von der Wange wischte und sagte: »Na, da habe ich mich aber nicht gerade mit Ruhm bekleckert.«

In diesem Augenblick verliebte sich Penelope in ihn.

Als sie ihre Stimme wiederfand (was zu ihrem Kummer länger dauerte, als man von einer halbwegs intelligenten Person erwarten durfte), erwiderte sie: »Oh nein, ich bin diejenige, die sich entschuldigen sollte. Meine Schute ist mir direkt vom Kopf geflogen, und …«

Sie hielt inne, als ihr aufging, dass sich der Mann ja gar nicht entschuldigt hatte, ihr Einwand also reichlich sinnlos war.

»Das macht doch nichts«, meinte er mit einem ziemlich amüsierten Lächeln. »Ich … ach, hallo, Daphne! Ich wusste gar nicht, dass du auch im Park bist.«

Penelope wirbelte herum und fand sich Aug in Aug mit Daphne Bridgerton, und neben ihr stand Mrs. Featherington, die ihre Tochter prompt anzischte: »Was hast du jetzt wieder angestellt, Penelope Featherington?«, worauf Penelope nicht einmal ihre übliche Antwort – »Gar nichts!« – geben konnte. Schließlich war der Unfall ja tatsächlich ihre Schuld, und wie sie dem Gesichtsausdruck ihrer Mutter entnehmen konnte, hatte sie sich soeben vor einem überaus begehrten Junggesellen lächerlich gemacht.

Nicht dass ihre Mutter glaubte, Penelope hätte auch nur die geringsten Chancen bei ihm. Aber Mrs. Featherington hegte große Hochzeitshoffnungen für ihre älteren Töchter. Penelope war zudem noch gar nicht offiziell in die Gesellschaft eingeführt.

Auch wenn Mrs. Featherington vorgehabt haben mochte, sie noch weiter zu schelten, war ihr das nicht möglich, weil sie dann ihre Aufmerksamkeit von den Bridgertons hätte abwenden müssen, zu denen nun also auch der schlammbedeckte junge Gentleman gehörte.

»Hoffentlich ist Ihrem Sohn nichts passiert«, sagte Mrs. Featherington zu Lady Bridgerton.

»Mir geht’s prima«, verkündete Colin und trat geschickt zur Seite, bevor Lady Bridgerton ihn mit mütterlicher Sorge ersticken konnte.

Man wurde miteinander bekannt gemacht, doch die restliche Unterhaltung gestaltete sich recht bedeutungslos, hauptsächlich, weil Colin Mrs. Featherington rasch als heiratswütige Mutter erkannt hatte. Penelope wunderte sich nicht, als er sich hastig entfernte.

Doch der Schaden war bereits geschehen. Penelope hatte einen Anlass zum Träumen gefunden.

Als sie sich das Zusammentreffen nachts zum etwa tausendsten Mal durch den Kopf gehen ließ, kam ihr der Gedanke, dass es netter gewesen wäre, wenn sie hätte sagen können, sie habe sich in ihn verliebt, als er ihr vor dem Tanzen die Hand geküsst hatte, und dass seine grünen Augen verwegen geblitzt hätten, während er ihre Hand fester hielt, als schicklich war. Es hätte ja auch passieren können, als er kühn durch eine sturmumtoste Heidelandschaft ritt, Wind und Wetter trotzend, um zu ihr zu gelangen.

Aber nein, sie musste sich in Colin Bridgerton verlieben, als er vom Pferd fiel und mit dem Hinterteil in einer Pfütze landete. Das gehörte sich einfach nicht, es war höchst unromantisch – und doch lag eine gewisse poetische Gerechtigkeit darin, nachdem aus der Geschichte ohnehin nie etwas werden würde.

Warum sollte man Romantik auf eine Liebe verschwenden, die immer unerwidert bleiben würde? Die sturmumtosten Moorgeschichten sollte man sich lieber für Leute aufsparen, bei denen Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft bestand.

Denn eines wusste Penelope, selbst damals, im zarten Alter von sechzehn Jahren minus zwei Tagen: Colin Bridgerton war in ihrem zukünftigen Leben bestimmt nicht für die Rolle des Gatten vorgesehen.

Sie war einfach nicht der Typ Mädchen, der einen Mann wie ihn anzog, und sie würde es wohl leider nie werden.

Am zehnten April 1813 – genau zwei Tage nach ihrem siebzehnten Geburtstag – fand Penelope Featheringtons Debüt in der Londoner Gesellschaft statt. Sie hatte es nicht gewollt. Sie hatte ihre Mutter angefleht, ihr noch ein Jahr Aufschub zu gewähren. Sie wog mindestens fünfundzwanzig Pfund zu viel, und sie neigte immer noch zu Pickeln, wenn sie nervös war, und das bedeutete, dass sie immer Pickel hatte, da nichts sie so nervös wie ein Ball machte.

Sie versuchte sich einzureden, dass Schönheit etwas rein Äußerliches war, doch half ihr das auch nicht weiter, wenn sie sich gerade mal wieder dafür hasste, dass sie nie etwas zu sagen hatte. Etwas Deprimierenderes als ein hässliches Mädchen ohne Persönlichkeit gab es einfach nicht. Und in jenem ersten Jahr auf dem Heiratsmarkt war Penelope genau das: ein hässliches Mädchen ohne jede – ach, na ja, gar so schrecklich war sie nun auch wieder nicht – mit sehr wenig Persönlichkeit.

Tief im Herzen wusste sie, wer sie war, ein kluger, freundlicher und oft sogar witziger Mensch, doch irgendwie gingen diese Qualitäten auf dem Weg vom Herz zu den Lippen verloren, sodass sie am Ende doch wieder das Falsche oder, schlimmer noch, überhaupt nichts sagte.

Um alles noch unangenehmer zu machen, wollte Penelopes Mutter ihr nicht erlauben, sich die Kleider selbst auszusuchen – wenn sie also nicht gerade Weiß trug, wie für junge Frauen üblich, war sie gezwungen, in Gelb, Rot und Orange zu gehen, alles Farben, in denen sie vollkommen elend aussah. Als Penelope einmal Grün vorgeschlagen hatte, hatte Mrs. Featherington nur die Hände in die üppigen Hüften gestemmt und erklärt, Grün sei zu melancholisch.

Gelb, so Mrs. Featherington, sei eine glückliche Farbe, und ein glückliches Mädchen würde einen Ehemann abbekommen.

Das war der Punkt, an dem Penelope es aufgab, die Gedankengänge ihrer Mutter verstehen zu wollen.

Penelope trug also auch weiterhin Gelb, Orange und hin und wieder Rot, obwohl die Farben sie entschieden unglücklich aussehen ließen und sich auch fürchterlich mit ihren braunen Augen und den rötlich braunen Haaren bissen. Da sie jedoch nichts daran ändern konnte, beschloss sie, die Situation mit einem Lächeln zu ertragen, und wenn sie schon kein Lächeln zustande brachte, wollte sie zumindest nicht in der Öffentlichkeit weinen.

Was sie auch nie tat, wie sie mit einigem Stolz behaupten konnte.

Und zu allem Überfluss war 1813 auch noch das Jahr, in dem die mysteriöse Lady Whistledown ihr dreimal wöchentlich erscheinendes Gesellschaftsjournal zu schreiben begann. Das Blatt verursachte eine Sensation. Niemand wusste, wer Lady Whistledown in Wirklichkeit war, doch jeder schien eine eigene Theorie zu haben. Wochen-, nein, monatelang sprach London von nichts anderem. Das Blatt war während der ersten beiden Wochen umsonst geliefert worden, lange genug, um den ton süchtig danach zu machen. Danach wurde die Verteilung plötzlich eingestellt, und stattdessen verlangten Zeitungsjungen den empörenden Preis von fünf Pennys das Stück.

Doch inzwischen konnte keiner mehr ohne seine dreimal wöchentliche Dosis Klatsch auskommen, und jeder entrichtete brav seinen Obolus.

Und irgendwo saß eine Frau (oder, wie manche spekulierten, ein Mann) und wurde reicher und reicher.

Was Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal von den anderen Klatschblättern unterschied, war die Tatsache, dass die Verfasserin Namen nannte und sie nicht hinter Abkürzungen wie Lord P. oder Lady B. verbarg. Wenn Lady Whistledown über jemanden schreiben wollte, benutzte sie immer den vollen Namen.

Und wenn Lady Whistledown über Penelope Featherington schreiben wollte, tat sie das eben auch. Penelopes erster gesellschaftlicher Auftritt wurde also mit den folgenden Worten kommentiert:

Miss Penelope Featheringtons unglückselige Robe ließ das unglückselige Mädchen wie eine überreife Zitrusfrucht aussehen.

Was natürlich ein ziemlich heftiger Schlag gewesen war, aber nichts als die Wahrheit.

Als sie das nächste Mal erwähnt wurde, erging es ihr kaum besser.

Von Miss Penelope Featherington war kein Ton zu hören. Kein Wunder – die bedauernswerte junge Dame war offensichtlich in all ihren Spitzen und Rüschen ertrunken.

Penelope befürchtete, dass derartige Bemerkungen nicht dazu angetan waren, ihre Beliebtheit zu steigern.

Dennoch war die Saison keine reine Katastrophe. Ein paar Leute gab es, mit denen sie in der Lage war, sich zu unterhalten. Ausgerechnet Lady Bridgerton war ihr freundschaftlich zugetan, und Penelope konnte der schönen Viscountess Dinge erzählen, die sie bei ihrer eigenen Mutter niemals zur Sprache gebracht hätte. Durch Lady Bridgerton lernte sie Eloise Bridgerton kennen, die jüngere Schwester ihres geliebten Colin. Eloise war ebenfalls gerade siebzehn geworden, doch ihre Mutter hatte ihr weise erlaubt, ihr Debüt noch um ein Jahr zu verschieben, obwohl Eloise überreich mit dem guten Aussehen und dem Charme der Bridgertons gesegnet war.

Und während Penelope ihre Nachmittage in dem grün-weißen Salon in Bridgerton House verbrachte (oder in Eloises Zimmer, wo die beiden Mädchen kicherten, lachten und mit großem Ernst über die Welt diskutierten), traf sie immer wieder auf Colin, der mit seinen zweiundzwanzig Jahren noch zu Hause wohnte.

Die Liebe, die Penelope schon vorher für ihn empfunden hatte, war nichts im Vergleich zu den Gefühlen, die sie entwickelte, als sie ihn besser kennenlernte. Colin Bridgerton war witzig, flott und schneidig, und er besaß einen lässigen Charme, mit dem er die Frauen reihenweise in die Knie zwang, aber vor allem war er …

Colin Bridgerton war nett.

Nett. Was für ein albernes kleines Wort. Es hätte banal klingen sollen, aber irgendwie traf es seinen Charakter haargenau. Er hatte immer ein freundliches Wort für Penelope übrig, und als sie endlich einmal all ihren Mut zusammennahm und ihm eine Antwort gab, hörte er wahrhaftig zu. Worauf es ihr beim nächsten Mal schon sehr viel leichter fiel.

Als die Saison vorüber war, stellte Penelope rückblickend fest, dass Colin Bridgerton der einzige Mann war, mit dem sie eine ganze Unterhaltung hatte führen können.

Das war Liebe. Oh, das war Liebe, Liebe, Liebe, Liebe. Es mochte eine sinnlose Wortwiederholung sein, aber genau das hatte Penelope auf ihr wahnsinnig teures Briefpapier gekritzelt, dazu »Mrs. Colin Bridgerton« und »Penelope Bridgerton« und »Colin, Colin, Colin«. (Das Blatt Papier wanderte umgehend ins Kaminfeuer, als Penelope draußen auf dem Flur Schritte hörte.)

Wie herrlich es war, sich in jemand Nettes verliebt zu haben, selbst wenn dieses Gefühl recht einseitig war. Man kam sich dabei so vernünftig vor.

Natürlich schadete es auch nicht, dass Colin wie alle männlichen Bridgertons wahnsinnig attraktiv war. Er hatte das berühmte kastanienbraune Haar der Bridgertons, den breiten, immer lächelnden Mund der Bridgertons, die breiten Schultern, die Größe von einem Meter achtzig und, in Colins Fall, die atemberaubendsten grünen Augen, die je ein menschliches Antlitz geziert hatten.

Genau die Sorte Augen, die eine Frau in ihren Träumen verfolgte.

Und Penelope träumte und träumte und träumte.

Im April 1814 begann Penelope ihre zweite Saison, und obwohl sie dieselbe Anzahl von Verehrern hatte wie im letzten Jahr, nämlich keine, war diese Saison nicht ganz so schlimm. Hilfreich war, dass sie fast fünfundzwanzig Pfund abgenommen hatte und sich nun »wohlgerundet« nennen durfte statt »hoffnungslos verfettet«. Zwar hatte sie das gertenschlanke Idealbild ihrer Zeit bei Weitem nicht erreicht, doch zumindest erlaubte ihr der Gewichtsverlust, sich eine vollkommen neue Garderobe anzuschaffen.

Leider bestand ihre Mutter immer noch auf Gelb, Orange und hin und wieder einem roten Farbtupfer. Diesmal schrieb Lady Whistledown:

Miss Penelope Featherington (die Featherington-Tochter, die noch am wenigsten dumm ist) trug ein zitronengelbes Kleid. Es hinterließ einen sauren Nachgeschmack.

Zumindest sollte damit wohl angedeutet werden, dass Penelope das intelligenteste Mitglied ihrer Familie war – obwohl das Kompliment recht zweischneidig sein mochte.

Doch Penelope war nicht die Einzige, auf die sich die Klatschkolumnistin stürzte. Die dunkelhaarige Kate Sheffield, die ebenfalls Gelb getragen hatte, wurde mit einer versengten Narzisse verglichen – und dann ging Kate hin und heiratete Anthony Bridgerton, Colins ältesten Bruder und noch dazu Viscount!

Penelope gab die Hoffnung also nicht auf.

Nicht ganz. Sie wusste, dass Colin sie nicht heiraten würde, doch zumindest tanzte er mit ihr auf jedem Ball; er brachte sie zum Lachen, und hin und wieder brachte sie ihn zum Lachen. Das musste ihr genügen.

In diesen Bahnen verlief Penelopes Leben. Sie hatte ihre dritte Saison und dann ihre vierte. Ihre beiden älteren Schwestern Prudence und Philippa fanden endlich Ehemänner und zogen aus. Mrs. Featherington hoffte immer noch darauf, dass auch Penelope einen Gatten abbekam, schließlich hatten sowohl Prudence als auch Philippa jeweils fünf Saisons gebraucht, um sich einen Mann zu angeln, doch Penelope wusste, dass sie als alte Jungfer enden würde. Es wäre nicht fair, einen anderen zu heiraten, wo sie Colin doch so sehr liebte. Und im hintersten Winkel ihres Gehirns, im letzten Eck, verborgen hinter der französischen Konjugation, die sie nie richtig gemeistert hatte, ruhte vielleicht doch noch ein Fünkchen Hoffnung.

Bis zu jenem Tag.

Selbst jetzt noch, sieben Jahre später, war es für sie jener Tag.

Sie hatte, wie so oft, die Bridgertons besucht, um mit Eloise, ihrer Mutter und den Schwestern Tee zu trinken. Es war kurz bevor Eloises Bruder Benedict Sophie geheiratet hatte, nur dass er damals noch nicht gewusst hatte, wer sie wirklich war – nicht dass dies irgendetwas zur Sache getan hätte, aber dies war das einzige große Geheimnis der letzten zehn Jahre gewesen, das Lady Whistledown nicht hatte lüften können.

Jedenfalls war Penelope damals allein durch die Eingangshalle nach draußen gegangen. Außer dem Geräusch ihrer Füße auf dem Marmorboden war nichts zu hören gewesen. Sie strich ihre Pelisse glatt und wollte sich gerade auf den Heimweg machen – ihr Zuhause lag nur wenige Schritte entfernt, praktisch um die Ecke –, als plötzlich Stimmen an ihr Ohr drangen. Männliche Stimmen. Bridgerton-Stimmen.

Es waren die drei älteren Bridgerton-Brüder: Anthony, Benedict und Colin. Sie führten eine dieser typischen Männerunterhaltungen, bei denen viel geknurrt und geflachst wurde. Penelope hörte den Bridgertons immer gern dabei zu, es wirkte so lebhaft.

Penelope konnte sie durch die offene Eingangstür sehen, doch sie konnte erst vernehmen, was sie sagten, als sie auf die Schwelle trat. Und wie zur Unterstreichung der Tatsache, dass sie stets von unglücklichen Zufällen verfolgt war, hörte sie als Erstes etwas, das Colin sagte, und es war gar nicht nett.

»… und ich werde Penelope Featherington ganz bestimmt nicht heiraten!«

»Oh!« Das Wort war ihr entschlüpft, noch bevor sie einen Gedanken fassen konnte, und schien die Luft wie ein misstönendes Pfeifen zu zerreißen.

Entsetzt drehten sich die drei Brüder zu ihr um, worauf Penelope klar wurde, dass sie nun die schrecklichsten fünf Minuten ihres Lebens vor sich hatte.

Eine halbe Ewigkeit schwieg sie betreten, doch dann blickte sie Colin direkt ins Gesicht und erwiderte mit einer Würde, die sie von sich selbst nie erwartet hätte: »Ich habe Sie auch nicht gebeten, mich zu ehelichen.«

Seine Wangen wurden dunkelrot. Er tat den Mund auf, doch er brachte keinen Ton hervor. Penelope dachte mit einer gewissen Befriedigung, dass dies wohl der einzige Moment in seinem Leben sein würde, an dem er sprachlos war.

»Und ich habe auch …«, sie schluckte heftig, »… ich habe auch niemals gesagt, dass ich mir wünschte, Sie würden mir einen Antrag machen.«

»Penelope«, begann Colin schließlich, »es tut mir so leid.«

»Kein Grund, sich zu entschuldigen.«

»Doch«, beharrte er. »Ich habe Sie verletzt, und …«

»Sie wussten schließlich nicht, dass ich hier bin.«

»Trotzdem …«

»Sie werden mich nicht heiraten«, verkündete sie, und ihre Stimme klang ihr in den eigenen Ohren fremd und hohl. »Was sollte es dagegen einzuwenden geben? Ihren Bruder Benedict heirate ich auch nicht.«

Benedict hatte den Blick abgewandt, doch bei dieser Bemerkung fuhr er auf.

Penelope ballte die Hände zu Fäusten. »Ihn verletzt es doch auch nicht, wenn ich sage, dass ich ihn nicht heirate.« Sie wandte sich an Bridgerton und zwang sich, ihn direkt anzusehen. »Oder, Mr. Bridgerton?«

»Natürlich nicht«, entgegnete Benedict rasch.

»Na also«, erklärte sie gepresst, erstaunt, dass sie einmal in ihrem Leben die richtigen Worte fand. »Niemand wurde verletzt, und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen möchten, meine Herren, ich möchte nach Hause gehen.«

Die drei Männer traten sofort zur Seite, um sie vorbeizulassen, und sie wäre ihnen entkommen, wenn Colin nicht herausgeplatzt wäre: »Haben Sie denn keine Zofe dabei?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich wohne doch bloß um die Ecke.«

»Ich weiß, aber …«

»Ich begleite Sie«, erbot Anthony sich.

»Das ist wirklich nicht nötig, Mylord.«

»Mir zuliebe«, meinte er in einem Ton, der ihr deutlich zu verstehen gab, dass ihr gar keine andere Wahl blieb.

Sie nickte, und zusammen schritten sie die Straße hinunter. Nach drei Häusern sagte Anthony in merkwürdig respektvollem Ton: »Er wusste nicht, dass Sie da sind.«

Penelope spürte, wie sie die Lippen zusammenkniff – nicht vor Zorn, sondern aus einer Art müder Resignation heraus. »Ich weiß. Es ist nicht seine Art, grausam zu sein. Vermutlich hat ihm Ihre Mutter wieder in den Ohren gelegen, er solle doch endlich heiraten.«

Anthony nickte. Lady Bridgertons Anstrengungen, jedes ihrer acht Kinder glücklich unter die Haube zu bringen, waren legendär.

»Sie mag mich«, verkündete Penelope. »Ihre Mutter, meine ich. Weiter kann sie wohl nicht sehen. Aber schließlich kommt es ja nicht darauf an, dass sie Colins Braut mag.«

»Nun ja, das würde ich nun wieder nicht behaupten«, antwortete Anthony, und dabei klang er weniger wie ein allseits gefürchteter und respektierter Viscount, sondern eher wie ein wohlerzogener Sohn. »Ich möchte nicht mit einer Frau verheiratet sein, die meine Mutter nicht mag.« Ehrfürchtig schüttelte er den Kopf. »Sie ist einfach eine Naturgewalt.«

»Ihre Mutter oder Ihre Frau?«

Er überlegte eine Sekunde. »Beide.«

Schweigend gingen sie weiter, bis Penelope herausplatzte: »Colin sollte weggehen.«

Neugierig betrachtete Anthony sie. »Wie bitte?«

»Er sollte weggehen. Auf Reisen gehen. Er ist noch nicht so weit, um zu heiraten, aber Ihre Mutter wird sich nicht beherrschen können und ihn unter Druck setzen. Sie meint es ja gut …« Entsetzt biss Penelope sich auf die Lippen. Hoffentlich dachte der Viscount jetzt nicht, dass sie Lady Bridgerton kritisierte.

»Meine Mutter meint es immer gut«, erwiderte Anthony mit einem nachsichtigen Lächeln. »Aber vielleicht haben Sie recht. Vielleicht sollte er weggehen. Colin reist gern. Obwohl er eben erst aus Wales zurückgekehrt ist.«

»Wirklich?«, murmelte Penelope, als wüsste sie nicht genau, dass er in Wales gewesen war.

Er nickte. »Hier sind wir ja schon. Das ist doch Ihr Zuhause, oder?«

»Ja. Danke, dass Sie mich begleitet haben.«

»Es war mir eine Freude, glauben Sie mir.«

Penelope blickte ihm nach. Dann ging sie hinein und weinte.

Am nächsten Tag erschien in Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal der folgende Bericht:

Ha, welche Aufregung herrschte gestern auf der Eingangstreppe von Lady Bridgertons Stadtresidenz in der Bruton Street!

Zuerst wurde Penelope Featherington in Gesellschaft nicht eines, nicht zweier, sondern dreier männlicher Bridgertons gesichtet, ein Kunststück, das dem armen Mädchen bisher gewiss unmöglich gewesen sein dürfte, ist es doch vor allem als Mauerblümchen bekannt. Leider (wenngleich nicht überraschend) gilt es zu vermelden, dass Miss Featherington schließlich mit dem Viscount davonging – dem einzigen Bridgerton, der bereits verheiratet ist.

Allerdings, sollte es Miss Featherington irgendwie gelingen, einen Bridgerton vor den Altar zu zerren, würde dies sicherlich das Ende der uns allen bekannten Welt bedeuten, und die Verfasserin dieser Zeilen, die gern zugibt, dass sie sich in einer derartig verwandelten Welt nicht mehr auskennen würde, müsste wohl ihre Feder umgehend und für alle Zeiten aus der Hand legen.

Anscheinend wusste sogar Lady Whistledown um die Vergeblichkeit von Penelopes Gefühlen.

Die Jahre verflossen, und plötzlich war Penelope keine Debütantin mehr, sondern nahm ihren Platz bei den Anstandsdamen ein und sah zu, wie ihre kleine Schwester Felicity – gewiss die einzige Featherington, die sowohl mit Schönheit als auch mit Charme gesegnet war – ihre eigene Londoner Saison genoss.

Colin gewann noch mehr Freude am Reisen und verbrachte immer mehr Zeit außerhalb Londons; alle paar Monate schien er zu neuen Zielen aufzubrechen. Wenn er in der Stadt war, reservierte er immer einen Tanz und ein Lächeln für Penelope, und ihr gelang es irgendwie, so zu tun, als wäre nie etwas geschehen, als hätte er sie nie öffentlich zurückgewiesen, als wären ihre Träume niemals zerbrochen.

Und bei seinen seltenen Aufenthalten in London waren sie einander in alter, wenn auch nicht sehr tiefer Freundschaft verbunden. Und mehr durfte sich eine fast achtundzwanzigjährige alte Jungfer ja wohl nicht erhoffen, oder?

Unerwiderte Liebe war nicht leicht zu ertragen, aber zumindest war Penelope Featherington daran gewöhnt.

1. KAPITEL

Ehe stiftende Mütter sind in ihrer Freude vereint – Colin Bridgerton ist aus Griechenland wohlbehalten zurück!

Für jene zarten (und unwissenden) Leserinnen und Leser, die neu in London sind: Mr. Bridgerton ist der drittälteste der acht legendären Bridgerton-Kinder (daher der Name Colin, beginnend mit einem C; er folgt auf Anthony und Benedict und kommt vor Daphne, Eloise, Francesca, Gregory und Hyacinth).

Obwohl Mr. Bridgerton keinen Adelstitel trägt und kaum je einen tragen wird (als Anwärter auf den Titel des Viscount Bridgerton steht er nach den beiden Söhnen des gegenwärtigen Viscount und nach seinem Bruder Benedict und dessen drei Söhnen an siebter Stelle), gilt er dennoch als eine der besten Partien der Saison – was auf sein Vermögen, sein Gesicht, seine Gestalt und vor allem seinen Charme zurückzuführen ist. Allerdings fällt es nicht leicht, eine Prophezeiung zu wagen, ob Mr. Bridgerton in dieser Saison den Hafen der Ehe ansteuern will; natürlich befindet er sich im besten heiratsfähigen Alter (er zählt dreiunddreißig Jahre), doch bisher hat er keinerlei Interesse an hochwohlgeborenen jungen Damen gezeigt und, um die Sache noch komplizierter zu gestalten, neigt er dazu, London beim geringsten Anlass den Rücken zu kehren und an irgendwelche exotischen Orte zu reisen.

Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal,

2. April 1824

»Schau dir das an!«, rief Portia Featherington. »Colin Bridgerton ist zurück!« Penelope blickte von ihrer Stickerei auf. Ihre Mutter hielt die letzte Ausgabe von Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal umklammert. »Ich weiß«, murmelte sie.

Mrs. Featherington runzelte die Stirn. Ihr war es zutiefst zuwider, wenn jemand anders – egal wer – die Klatschgeschichten vor ihr mitbekam. »Wie kommt es, dass du Lady Whistledowns Kolumne vor mir gelesen hast? Ich habe Briarly ausdrücklich angewiesen, sie für mich beiseitezulegen und niemand anderen …«

»Ich habe es auch nicht von Lady Whistledown«, unterbrach Penelope, bevor ihre Mutter sich auf den armen Butler stürzte. »Felicity hat es mir erzählt. Gestern Nachmittag. Und sie weiß es von Hyacinth Bridgerton.«

»Deine Schwester verbringt ziemlich viel Zeit bei den Bridgertons.«

»Ich auch.« Penelope fragte sich, worauf ihre Mutter hinauswollte.

Mrs. Featherington klopfte sich mit dem Finger ans Kinn, was ein untrügliches Zeichen dafür war, dass sie etwas ausheckte. »Colin Bridgerton ist genau im richtigen Alter, um Ausschau nach einer Ehefrau zu halten.«

Penelope blinzelte noch einmal, ehe ihr die Augen schier aus dem Kopf traten. »Colin Bridgerton wird Felicity nicht heiraten!«

Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. »Es sind schon seltsamere Dinge geschehen.«

»Da ist mir aber noch nichts untergekommen«, erwiderte Penelope leise.

»Anthony Bridgerton hat diese Kate Sheffield geheiratet, und die war sogar noch schlechter angesehen als du.«

Das entsprach nicht ganz der Wahrheit; Penelope fand, sie und Kate hätten beide auf derselben niedrigen gesellschaftlichen Stufe gestanden. Doch schien es ihr sinnlos, ihre Mutter darauf hinzuweisen – vermutlich glaubte Mrs. Featherington, es schmeichelte ihrer Tochter, wenn man ihr sagte, sie sei nicht das unbeliebteste Mädchen der Saison gewesen.

Penelope presste die Lippen aufeinander. Die »Komplimente« ihrer Mutter waren manchmal ziemlich bösartig.

»Glaub nicht, dass ich dich kritisieren möchte«, verkündete Mrs. Featherington, plötzlich ganz die besorgte Mutter. »Eigentlich bin ich ganz froh darum, dass du nicht geheiratet hast. Bis auf meine Töchter stehe ich ganz allein in der Welt da, und es beruhigt mich zu wissen, dass sich im Alter wenigstens eine von euch um mich kümmern wird.«

Penelope hatte eine Vision ihrer Zukunft – ihrer Zukunft, wie ihre Mutter sie darstellte –, und plötzlich überkam sie der Wunsch, hinauszulaufen und den Kaminkehrer zu heiraten. Sie hatte sich längst damit abgefunden, ihre Tage als alte Jungfer zu beschließen, aber irgendwie hatte sie sich dabei immer ausgemalt, dass sie allein in einem netten kleinen Stadthaus wohnte – oder vielleicht in einem gemütlichen Cottage am Meer.

Aber in letzter Zeit hatte ihre Mutter immer wieder Anspielungen auf ihre alten Tage und wie froh sie doch sei, Penelope zu haben, in ihre Unterhaltungen einfließen lassen. Dabei zählte anscheinend nicht, dass sowohl Prudence als auch Philippa wohlhabende Männer geheiratet hatten und über genügend Mittel verfügten, um ihre Mutter mit allem Komfort zu umgeben. Oder dass Mrs. Featherington selbst auch nicht unvermögend war: Als bei ihrer Heirat damals die Mitgift festgelegt worden war, war ein Viertel des Geldes auf sie persönlich überschrieben worden.

Nein, wenn Mrs. Featherington davon sprach, dass man sich um sie »kümmerte«, redete sie nicht von Geld. Sie brauchte eine Sklavin.

Penelope seufzte. Sie ging mit ihrer Mutter zu streng ins Gericht, wenn auch nur in Gedanken. Das passierte ihr oft. Ihre Mutter liebte sie. Sie wusste, dass ihre Mutter sie liebte. Und sie liebte sie auch.

Es war nur so, dass sie ihre Mutter manchmal nicht besonders mochte.

Sie hoffte, dass sie deswegen nicht gleich ein schlechter Mensch war. Aber wirklich, ihre Mutter hätte auch die bravste, sanftmütigste Tochter in den Wahnsinn getrieben.

»Warum glaubst du, dass Colin Felicity nicht heiraten wird?«, fragte Mrs. Featherington.

Erschrocken sah Penelope auf. Sie hatte gedacht, das Thema wäre abgeschlossen. Doch sie hätte es besser wissen müssen. Ihre Mutter war weiß Gott hartnäckig. »Nun«, sagte sie langsam, »erstens ist sie zwölf Jahre jünger als er.«

»Unsinn«, wehrte Mrs. Featherington ab. »Das hat doch überhaupt nichts zu bedeuten, wie du sehr wohl weißt.«

Penelope runzelte die Stirn und schrie dann plötzlich auf, als sie sich versehentlich die Nadel in den Finger rammte.

»Außerdem«, fuhr ihre Mutter mit einem Blick in die Whistledown-Kolumne munter fort, »ist er erst dreiunddreißig! Wie soll er da einen Altersunterschied von zwölf Jahren vermeiden? Du erwartest doch nicht etwa, dass er eine Frau in deinem Alter heiratet?«

Penelope saugte an ihrem verletzten Finger, auch wenn sie wusste, dass dies alles andere als elegant war. Doch sie musste einfach irgendetwas in den Mund nehmen, damit ihr nicht irgendetwas Schreckliches und schrecklich Boshaftes entfuhr.

Was ihre Mutter geäußert hatte, war nur allzu wahr. Die Herren des ton heirateten oft Damen, die ein Dutzend Jahre jünger waren als sie. Aber irgendwie kam ihr der Altersunterschied zwischen Colin und Felicity noch größer vor, vielleicht weil …

Angeekelt verzog Penelope das Gesicht. »Sie ist doch wie eine Schwester für ihn. Eine kleine Schwester.«

»Wirklich, Penelope, ich glaube kaum …«

»Das wäre ja beinahe Inzest«, murmelte Penelope.

»Was hast du gesagt?«

Hastig nahm Penelope ihre Handarbeit wieder auf. »Nichts.«

»Ich habe aber etwas gehört.«

Penelope schüttelte den Kopf. »Ich habe mich nur geräuspert.«

»Du hast etwas gesagt, da bin ich mir sicher!«

Penelope stöhnte. Lang und öde breitete sich ihr zukünftiges Leben vor ihr aus. »Mutter«, begann sie, vielleicht nicht mit der Geduld einer Heiligen, aber doch einer sehr frommen Nonne, »Felicity ist praktisch verlobt mit Mr. Albansdale.«

Ihre Mutter begann tatsächlich, sich die Hände zu reiben. »Sie wird sich kaum mit ihm verloben, wenn sie stattdessen Colin Bridgerton einfangen kann.«

»Felicity würde eher sterben, als Colin nachzulaufen.«

»Von wegen. Sie ist ein kluges Kind. Und dass Colin Bridgerton die bessere Partie ist, liegt ja wohl auf der Hand.«

»Aber Felicity liebt Mr. Albansdale!«

Mrs. Featherington sank ein wenig in sich zusammen. »Das ist natürlich richtig.«

»Außerdem«, fügte Penelope gefühlvoll hinzu, »besitzt Mr. Albansdale ein nicht unbeträchtliches Vermögen.«

Ihre Mutter klopfte sich mit dem Zeigefinger gegen die Wange. »Stimmt. Natürlich nicht so groß wie Bridgertons, aber nichts, worüber man die Nase rümpfen könnte.«

»Wirklich, Mutter, er wäre genau der richtige Mann für Felicity. Wir sollten uns für sie freuen.«

»Ich weiß, ich weiß«, brummte Mrs. Featherington. »Ich habe mir eben nur unbedingt gewünscht, dass eine meiner Töchter einen Bridgerton heiratet. Was für ein Coup! Ganz London würde wochenlang davon sprechen. Vielleicht sogar jahrelang!«

Vehement stach Penelope die Nadel ins Sofakissen. Es mochte ein etwas alberner Weg sein, ihrem Zorn Luft zu machen, doch die Alternative bestand darin, aufzuspringen und zu schreien: Und was ist mit mir? Ihre Mutter schien zu glauben, dass ihre Hoffnungen auf eine Verbindung mit den Bridgertons mit Felicitys Hochzeit für alle Zeiten zunichtegemacht wären. Aber Penelope war schließlich noch unverheiratet – zählte das denn gar nicht?

War es denn zu viel verlangt, sich zu wünschen, dass ihre Mutter mit demselben Stolz an sie dachte wie an ihre anderen Töchter? Penelope wusste, dass Colin sie nicht als seine Braut erwählen würde, aber sollte eine Mutter nicht wenigstens für die Fehler ihrer Kinder ein bisschen blind sein? Penelope war klar, dass weder Prudence noch Philippa noch Felicity je eine Chance bei einem Bridgerton gehabt hätten. Warum ging ihre Mutter davon aus, dass die drei Penelope so sehr an Reiz übertrafen?

Nun ja, Penelope musste einräumen, dass Felicity größere Beliebtheit genoss als ihre drei älteren Schwestern zusammen. Aber Prudence und Philippa hatten auch nie als Schönheiten gegolten. Genau wie Penelope hatten sie unsicher am Rand der Ballsäle herumgestanden und gewartet.

Allerdings waren die beiden inzwischen verheiratet. Penelope hätte ihre Gatten nicht geschenkt gewollt, aber zumindest waren ihre Schwestern jetzt Ehefrauen.

Zum Glück hatte Mrs. Featherington sich bereits ergiebigeren Themen zugewandt. »Ich muss Lady Bridgerton einen Besuch abstatten«, sagte sie gerade. »Welche Erleichterung für sie, dass Colin zurück ist.«

»Bestimmt ist Lady Bridgerton entzückt, dich zu sehen.«

»Die arme Frau«, seufzte Mrs. Featherington dramatisch. »Sie macht sich große Sorgen um ihn, weißt du …«

»Ich weiß.«

»Wirklich, ich finde, das ist von einer Mutter zu viel verlangt. Weiß der Himmel, wo er sich immer herumtreibt, in irgendwelchen heidnischen Ländern …«

»Ich glaube, dass das Christentum bis nach Griechenland vorgedrungen ist.«

»Werd nicht impertinent, Penelope Anne Featherington, und außerdem sind das lauter Katholiken!« Ihre Mutter schauderte.

»Keine Katholiken«, verbesserte Penelope und legte ihre Handarbeit endgültig beiseite, »sondern Griechisch-Orthodoxe.«

»Nun, jedenfalls nicht anglikanisch«, erklärte Mrs. Featherington beleidigt.

»Wie auch? Anglikanisch klingt nicht umsonst nach angelsächsisch.«

Ihre Mutter kniff die Augen zusammen. »Woher willst du das alles eigentlich wissen? Nein, du brauchst es mir gar nicht zu sagen«, rief sie mit theatralischer Geste, »du hast es wieder irgendwo gelesen!«

Penelope blinzelte nur, während sie nach einer passenden Antwort suchte.

»Wenn du nur nicht immer so viel lesen würdest«, meinte Mrs. Featherington. »Vermutlich hätte ich dich schon vor Jahren unter die Haube bringen können, wenn du dich mehr auf deine Umgangsformen konzentriert hättest und weniger auf … auf …«

»Worauf?«

»Weiß ich doch nicht. Was immer dich dazu treibt, stundenlang vor dich hin zu träumen.«

»Ich denke einfach nach«, erklärte Penelope leise. »Manchmal halte ich einfach gern inne und denke nach.«

»Und wobei hältst du inne?«

Penelope konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die Frage war Ausdruck all dessen, was Mutter und Tochter unterschied. »Nicht so wichtig, Mutter. Wirklich.«

Mrs. Featherington sah aus, als hätte sie gern noch etwas erwidert, es sich dann aber anders überlegt. Vielleicht war sie ja auch nur hungrig. Jedenfalls nahm sie einen Keks vom Teetablett und steckte sich ihn in den Mund.

Penelope wollte nach dem letzten Keks greifen, entschied dann aber, ihn ihrer Mutter zu überlassen. Solange ihre Mutter den Mund voll hatte, konnte sie kein Gespräch über Colin Bridgerton beginnen.

»Colin ist wieder da!«

Penelope blickte von ihrem Buch – Abriss der griechischen Geschichte – auf, als Eloise Bridgerton hereingestürmt kam. Wie immer erschien Eloise unangemeldet. Der Butler der Featheringtons war so an ihren Anblick gewöhnt, dass er sie wie ein Mitglied der Familie behandelte.

»Wirklich?« Penelope fand, dass ihr der desinteressierte Ton gut gelungen war. Rasch verbarg sie ihre griechische Geschichte hinter Mathilda, einem Roman von S. R. Fielding, der die Gesellschaft vor einem Jahr im Sturm erobert hatte. Jeder hatte eine Ausgabe von Mathilda auf dem Nachttisch liegen. Und das Buch war groß genug, um das Geschichtsbuch dahinter zu verstecken.

Eloise setzte sich an Penelopes Schreibtisch. »Ja, und er ist richtig braun gebrannt. Wahrscheinlich weil er dauernd draußen war.«

»Er war in Griechenland, oder?«

Eloise schüttelte den Kopf. »Der Bürgerkrieg dort hat sich ausgeweitet, es wäre zu gefährlich geworden. Also ist er nach Zypern gefahren.«

»Ach herrje«, merkte Penelope mit einem Lächeln an, »da hat Lady Whistledown doch glatt einen Fehler gemacht.«

Eloise lächelte das spitzbübische Bridgerton-Lächeln, worauf Penelope wieder einmal einfiel, wie froh sie doch sein konnte, sie zur besten Freundin zu haben. Seit ihrem siebzehnten Geburtstag waren Eloise und sie unzertrennlich. Miteinander hatten sie die Londoner Saison verlebt, waren miteinander erwachsen und nun, zum Kummer ihrer Mütter, alte Jungfern geworden.

Eloise sagte immer, sie habe einfach nicht den Richtigen kennengelernt.

Und um Penelopes Hand hatte erst gar niemand angehalten.

»Hat es ihm auf Zypern gefallen?«

Eloise seufzte. »Er fand es einfach herrlich dort. Wie gern ich auch auf Reisen gehen würde! Mir scheint, jeder war schon einmal irgendwo, nur ich nicht.«

»Ich auch nicht.«

»Stimmt. Dem Himmel sei Dank, dass ich dich habe.«

»Eloise!«, rief Penelope aus und warf mit einem Kissen nach ihrer Freundin. Doch auch sie dankte dem Himmel für Eloise. Jeden Tag. Viele Frauen mussten ihr Leben lang ohne beste Freundin auskommen, während sie jemanden hatte, mit dem sie alles teilen konnte. Nun ja, fast alles. Von ihren Gefühlen für Colin hatte sie der Freundin nichts erzählt, obwohl ihr schwante, dass Eloise recht gut wusste, wie es um sie stand. Eloise war jedoch viel zu taktvoll, als dass sie sie darauf angesprochen hätte, was Penelope nun wieder in ihrer Überzeugung bestärkte, dass Colin ihre Gefühle niemals erwidern würde. Wenn Eloise auch nur einen Moment geglaubt hätte, dass Penelope eine Chance hätte, sich Colin zu angeln, hätte sie ihre Strategie zur Eheanbahnung mit einer solchen Unerbittlichkeit entwickelt, dass es sogar einen General beeindruckt hätte.

Wenn man es recht betrachtete, war Eloise ein ziemlich herrschsüchtiger Mensch.

»… und dann hat er gesagt, die See sei so stürmisch gewesen, dass er sich über Bord hatte übergeben müssen, und dann …« Eloise runzelte die Stirn. »Du hörst ja gar nicht zu!«

»Nein«, räumte Penelope ein. »Nun ja, teilweise. Colin kann dir doch unmöglich erzählt haben, dass er sich übergeben hat.«

»Nun ja, ich bin schließlich seine Schwester.«

»Er wäre fuchsteufelswild, wenn er wüsste, dass du es mir weitererzählst.«

Eloise tat den Einwand mit einer Handbewegung ab. »Bestimmt macht ihm das nichts aus, schließlich bist du wie eine Schwester für ihn.«

Penelope lächelte, doch gleichzeitig seufzte sie.

»Mutter hat ihn natürlich gefragt, ob er vorhabe, die Saison über in London zu bleiben«, fuhr Eloise fort, »und natürlich ist er ihr ausgewichen, aber dann habe ich die Sache in die Hand genommen und ihn selbst gefragt …«

»Wie gerissen von dir«, murmelte Penelope.

Eloise schleuderte das Kissen zu ihr zurück. »Und schließlich habe ich ihm entlocken können, dass er vorhat, wenigstens einige Monate zu bleiben. Aber ich musste ihm versprechen, dass ich Mutter nichts verrate.«

»Also, das ist ja nicht besonders klug von ihm.« Penelope räusperte sich. »Wenn deine Mutter glaubt, dass er nur kurze Zeit bleibt, wird sie ihre Anstrengungen, ihn zu verheiraten, doch verdoppeln. Und das will er doch sicher vermeiden.«

»Ganz gewiss«, stimmte Eloise zu.

»Wenn er sie dazu brächte zu glauben, dass keinerlei Eile geboten sei, würde sie ihm vielleicht nicht so zusetzen.«

»Interessanter Gedanke«, erwiderte Eloise, »aber wahrscheinlich funktioniert das eher in der Theorie als in der Praxis. Meine Mutter ist so wild entschlossen, ihn zu verheiraten, dass es schon gar nicht mehr darauf ankommt, ob sie sich doppelte Mühe gibt. Ihn machen schon ihre normalen Anstrengungen völlig verrückt.«

»Ob man wohl doppelt verrückt werden kann?«

Eloise legte den Kopf schief. »Keine Ahnung«, antwortete sie langsam. »Aber das möchte ich lieber gar nicht erst herausfinden.«

Beide schwiegen einen Augenblick (was wahrhaft selten vorkam), und dann sprang Eloise urplötzlich auf und sagte: »Ich muss gehen.«

Penelope lächelte. Leute, die Eloise nicht sehr gut kannten, hielten sie oft für sprunghaft, doch Penelope wusste, dass etwas ganz anderes dahintersteckte. Wenn Eloise sich irgendetwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie nicht mehr lockerlassen. Und wenn Eloise so plötzlich aufbrechen wollte, hatte es sicher mit etwas zu tun, über das sie an diesem Nachmittag schon gesprochen hatten, und …

»Colin wird zum Tee erwartet«, erklärte Eloise.

Penelope lächelte. Sie fand es herrlich, wenn sie recht behielt.

»Du solltest auch kommen«, schlug Eloise vor.

Penelope schüttelte den Kopf. »Bestimmt möchte er im Familienkreis bleiben.«

»Da hast du wahrscheinlich recht«, stimmte Eloise zu. »Also dann, ich muss los. Tut mir schrecklich leid, dass ich früher aufbrechen muss, aber ich wollte, dass du von Colins Rückkehr erfährst.«

»Whistledown«, erinnerte Penelope sie.

»Stimmt. Woher diese Frau wohl ihre Informationen bezieht?« Eloise schüttelte den Kopf. »Wirklich, manchmal frage ich mich, ob es mir nicht Angst machen sollte, dass sie so viel über meine Familie weiß.«

»Sie kann nicht ewig so weitermachen.« Penelope stand auf, um ihre Freundin hinauszubegleiten. »Eines Tages wird jemand herausfinden, wer sie ist, meinst du nicht auch?«

»Ich weiß nicht so recht.« Eloise zog die Tür auf. »Zuerst habe ich mir das auch gesagt. Aber inzwischen geht das schon zehn Jahre so. Über zehn Jahre. Wenn man sie hätte erwischen können, wäre das schon längst passiert, denke ich.«

Penelope folgte Eloise die Treppe hinunter. »Irgendwann macht auch sie einen Fehler. Zwangsläufig. Sie ist auch nur ein Mensch.«

Eloise lachte. »Und ich hielt sie mindestens für eine Halbgöttin!«

Penelope musste lachen.

Eloise blieb so plötzlich stehen, dass Penelope mit ihr zusammenstieß und sie beide beinahe die letzten Treppenstufen hinuntergefallen wären. »Weißt du was?«, fragte Eloise.

»Darf ich dreimal raten?«

Eloise quittierte das nicht einmal mit einer Grimasse. »Ich möchte wetten, dass sie bereits einen Fehler gemacht hat!«

»Wie bitte?«

»Das hast du doch selbst gesagt. Sie schreibt ihre Kolumne nun schon seit über zehn Jahren. In all der Zeit muss sie doch einmal einen Fehler gemacht haben. Weißt du, was ich glaube?«

Penelope breitete nur ungeduldig die Hände aus.

»Ich glaube, wir anderen sind einfach nur zu dumm, um ihre Fehler zu bemerken.«

Penelope starrte sie einen Moment lang an und brach dann in Gelächter aus. »Oh, Eloise«, sagte sie und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, »du bist mir wirklich die Liebste.«

Eloise grinste. »Wie schön für mich alte Jungfer. Wir beide werden wohl einen Hausstand gründen müssen, wenn wir dreißig und damit wirklich alte Weiblein sind.«

Penelope stürzte sich auf diesen Vorschlag wie auf einen Rettungsring. »Meinst du wirklich?«, rief sie aus. Und dann fuhr sie mit gedämpfter Stimme fort, wobei sie vorsichtig den Flur hinauf- und hinunterblickte: »Mutter redet in letzter Zeit beunruhigend oft über ihre ›alten Tage‹.«

»Was ist daran so beunruhigend?«

»Dass ich in all ihren Visionen auftauche und sie von vorn und hinten bediene.«

»Ach herrje.«

»Mir würde dazu etwas viel Deftigeres einfallen.«

»Penelope!« Aber Eloise lächelte.

»Ich liebe meine Mutter.«

»Weiß ich doch«, beruhigte sie Eloise.

»Nein, wirklich.«

Um Eloises Mundwinkel begann es zu zucken. »Ich weiß, dass du sie wirklich liebst. Wirklich.«

»Es ist nur …«

Eloise hob die Hand. »Du brauchst gar nichts weiter zu sagen. Ich verstehe dich vollkommen. Ich … Oh! Guten Tag, Mrs. Featherington.«

»Eloise«, begann Penelopes Mutter, »ich wusste gar nicht, dass Sie hier sind.«

»Ich habe mich wie immer heimlich eingeschlichen«, erwiderte Eloise. »Frecherweise.«

Mrs. Featherington lächelte nachsichtig. »Wie ich höre, ist Ihr Bruder wieder in London.«

»Ja, wir freuen uns alle riesig.«

»Das kann ich mir vorstellen, vor allem Ihre Mutter.«

»Allerdings. Sie ist ganz außer sich. Ich glaube, im Moment setzt sie gerade eine Liste auf.«

Penelopes Mutter wurde auf einmal munter, wie immer, wenn ihr etwas unterkam, was irgendwelchem Klatsch auch nur im Entferntesten ähnelte. »Eine Liste? Was für eine Liste denn?«

»Ach, wissen Sie, dieselbe Liste, die sie für alle ihre erwachsenen Kinder anfertigt. Potenzielle Ehegatten und so.«

»Da fragt man sich doch, was genau man unter ›und so‹ verstehen darf«, warf Penelope trocken ein.

»Manchmal setzt sie ein paar vollkommen unmögliche Namen mit auf die Liste, um die echten Alternativen zu unterstreichen.«

Mrs. Featherington lachte. »Vielleicht schreibt sie ja dich auf Colins Liste, Penelope.«

Penelope lachte nicht. Eloise auch nicht. Doch Penelopes Mutter schien es nicht zu bemerken.

»Nun, ich mache mich besser auf den Weg«, verkündete Eloise und räusperte sich, um eine Situation zu überspielen, die zwei von den drei Leuten in der Halle als sehr unangenehm empfanden. »Colin wird zum Tee erwartet. Mutter will die gesamte Familie um sich scharen.«

»Passt ihr denn alle ins Zimmer?«, fragte Penelope. Lady Bridgertons Haus war groß, doch die Bridgerton-Sippe umfasste insgesamt einundzwanzig Kinder, Schwiegerkinder und Enkel.

»Wir treffen uns im Bridgerton House«, erklärte Eloise. Ihre Mutter war aus dem Stadthaus der Bridgertons ausgezogen, als ihr ältester Sohn geheiratet hatte. Anthony, der seit seinem achtzehnten Geburtstag den Viscount-Titel trug, hatte seine Mutter aufzuhalten versucht, doch die hatte nur gemeint, er und seine Gattin brauchten ihre Privatsphäre. Und so wohnten Anthony und Kate mit ihren drei Kindern im Bridgerton House, während Lady Violet Bridgerton mit ihren unverheirateten Kindern (außer Colin, der über eine eigene Wohnung verfügte) ein paar Häuserblocks weiter in der Bruton Street Nummer fünf lebte.

»Viel Vergnügen«, wünschte Mrs. Featherington. »Ich muss mich jetzt auf die Suche nach Felicity machen. Wir haben einen Termin bei der Schneiderin und sind schon spät dran.«

Eloise sah ihr nach, wie sie die Treppe emporeilte, und sagte dann zu Penelope: »Deine Schwester scheint ja ganz schön viel Zeit bei der Schneiderin zu verbringen.«

Penelope zuckte mit den Schultern. »Felicity machen all die Anproben ganz verrückt, aber sie ist Mutters einzige Hoffnung auf eine großartige Partie. Leider ist sie überzeugt davon, dass Felicity sich einen Herzog angeln kann, wenn sie nur das richtige Gewand trägt.«

»Ist sie nicht mit Mr. Albansdale so gut wie verlobt?«

»Wahrscheinlich wird er ihr nächste Woche einen förmlichen Heiratsantrag machen. Aber bis dahin will Mutter sich alle Möglichkeiten offenhalten.« Sie verdrehte die Augen. »Du solltest deinem Bruder raten, dass er Abstand halten soll.«

»Gregory?«, fragte Eloise ungläubig. »Aber der ist doch noch auf der Universität.«

»Colin.«

»Colin?« Eloise wollte sich vor Lachen schier ausschütten. »Das ist ja unglaublich!«

»Das habe ich ihr auch gesagt, aber du weißt ja, wie sie ist, wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hat.«

Eloise kicherte. »So ähnlich wie ich, könnte ich mir vorstellen.«

»Hartnäckig bis zum Ende.«

»Es ist gar nicht so schlecht, wenn man hartnäckig ist – zur rechten Zeit.«

»Richtig«, erwiderte Penelope, »und zur Unzeit ist es der reinste Albtraum.«

Eloise lachte. »Tröste dich, liebe Freundin. Zumindest hat sie dir gestattet, dass du all die gelben Kleider aussortierst.«

Penelope blickte an ihrem Morgenkleid hinab, das in einem äußerst schmeichelhaften Blauton gehalten war. »Sobald ihr klar wurde, dass ich wirklich sitzen geblieben bin, hat sie aufgehört, meine Kleider auszusuchen. Für sie ist ein Mädchen ohne Heiratschancen weder die Zeit noch die Mühe wert, die sie eine Modeberatung kosten würde. Seit über einem Jahr schon hat sie mich nicht mehr zur Schneiderin begleitet. Herrlich!«

Eloise lächelte ihre Freundin an, die einen wunderschönen Pfirsichteint hatte, wenn sie nur die entsprechend kühlen Farbtöne trug. »Es ist allen aufgefallen, dass du deine Kleider nun selbst aussuchen darfst. Sogar Lady Whistledown hatte etwas dazu anzumerken.«

»Diese Kolumne habe ich vor Mutter verborgen«, gab Penelope zu. »Ich wollte nicht, dass sie verletzt ist.«

»Das war sehr lieb von dir, Penelope.«

»Auch mir sind Edelmut und Barmherzigkeit nicht fremd.«

»Ich habe gedacht, Edelmut und Barmherzigkeit zeigten sich auch darin, dass man sich nicht damit brüstet«, spottete Eloise.

Penelope zog eine Grimasse und schob ihre Freundin zur Tür. »Wirst du nicht zu Hause erwartet?«

»Ich geh ja schon! Ich geh ja schon!«

Und dann ging sie.

Eigentlich, dachte Colin Bridgerton, während er einen Schluck hervorragenden Brandy genoss, ist es recht schön, wieder in England zu sein.

Wirklich seltsam, dass er genauso gern zurückkehrte, wie er sich auf die Reise machte. In einigen Monaten – höchstens sechs – würde ihn kaum noch etwas in England halten, aber jetzt im April war es einfach herrlich hier.

»Gut, was?«

Colin sah auf. Sein Bruder Anthony lehnte an seinem massiven Mahagonischreibtisch und prostete ihm mit seinem eigenen Brandy zu.

Colin nickte. »Ich hab gar nicht gemerkt, wie sehr er mir abging, bis ich zurückgekommen bin. Ouzo hat zwar auch seine Reize, aber das hier …«, er hob das Glas, »… ist einfach himmlisch.«

Anthony lächelte. »Und wie lange willst du denn diesmal bleiben?«

Colin lief zum Fenster und tat so, als würde er hinausblicken. Sein ältester Bruder gab sich keine Mühe zu verbergen, wie sehr ihn Colins Reiselust aufbrachte. Colin konnte es ihm eigentlich nicht verdenken. Manchmal war es gar nicht so einfach, Briefe nach Hause zu befördern; vermutlich musste seine Familie des Öfteren ein oder sogar zwei Monate auf Nachricht von ihm warten. Doch obwohl er wusste, wie unangenehm das war – nie sicher zu sein, ob ein lieber Angehöriger noch am Leben war, immer auf die Ankunft des Briefboten zu warten –, vermochte ihn das nicht in England zu halten.

Hin und wieder musste er einfach weg. Anders konnte man es nicht formulieren.

Weg vom ton, der ihn für einen charmanten Tunichtgut hielt, weg von England, in dem jüngere Söhne dazu angehalten waren, eine militärische oder geistliche Laufbahn einzuschlagen, was ihm beides nicht lag. Auch weg von seiner Familie, die ihn zwar bedingungslos liebte, aber keine Ahnung hatte, dass er sich tief im Innersten nach einer Aufgabe sehnte.

Sein Bruder Anthony war der Viscount, und der Titel brachte unzählige Verpflichtungen mit sich. Er führte Landgüter, verwaltete die Finanzen der Familie und kümmerte sich um das Wohlergehen seiner vielen Pächter und Dienstboten. Benedict, sein vier Jahre älterer Bruder, hatte einen Ruf als Künstler erlangt. Ursprünglich hatte er mit Bleistiftskizzen begonnen, sich jedoch dann auf Drängen seiner Frau in Öl versucht. Eines seiner Landschaftsgemälde hing nun in der Royal Academy.

Anthony war als siebter Viscount Bridgerton im Familienstammbaum verewigt, Benedict lebte in seinen Gemälden fort.

Und er, Colin, hatte nichts. Er verwaltete den kleinen Besitz, den ihm die Familie überschrieben hatte, und er besuchte Gesellschaften. Zwar würde er nie behaupten wollen, er unterhalte sich nicht, aber manchmal wünschte er sich eben etwas mehr vom Leben als gute Unterhaltung.

Er wollte eine Lebensaufgabe.

Er wollte ein Erbe.

Er wollte wenigstens hoffen können, dass er nach seinem Tod auch noch auf andere Weise fortlebte als in Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal.

Er seufzte. Kein Wunder, dass er so viel Zeit auf Reisen verbrachte.

»Colin?«, sagte sein Bruder.

Blinzelnd drehte er sich zu ihm um. Er war sich ziemlich sicher, dass Anthony ihm eine Frage gestellt hatte, konnte sich aber nicht genau erinnern, was es gewesen war.

»Ach ja.« Colin räusperte sich. »Zumindest den Rest der Saison werde ich noch hier sein.«

Anthony erwiderte nichts darauf, doch sein zufriedenes Lächeln war kaum zu übersehen.

»Schon allein deswegen«, erläuterte Colin mit seinem legendären schiefen Grinsen, »damit wenigstens einer deine Kinder verwöhnt. Ich glaube, Charlotte hat noch bei Weitem nicht genug Puppen.«

»Höchstens fünfzig«, stimmte Anthony zu. »Das arme Kind wird ganz fürchterlich vernachlässigt.«

»Sie hat Ende des Monats Geburtstag, oder? Ich glaube, ich werde sie wohl noch ein wenig mehr vernachlässigen müssen.«

»Wo wir gerade von Geburtstagen sprechen«, begann Anthony und ließ sich auf dem großen Stuhl an seinem Schreibtisch nieder, »Mutters ist Sonntag in einer Woche.«

»Was meinst du wohl, warum ich so eilig zurückgekommen bin?«

Anthony hob die Braue, was Colin den Eindruck vermittelte, als überlegte er, ob sein Bruder wirklich wegen des Geburtstags ihrer Mutter heimgeeilt sei oder ob er nur einen erstaunlichen Zufall für sich ausnutzte.

»Wir veranstalten ihr zu Ehren eine Gesellschaft.«

»Das erlaubt sie euch?« Nach Colins Erfahrung hatten Frauen ab einem gewissen Alter keine Freude mehr an Geburtstagsfeiern. Und obwohl ihre Mutter immer noch überaus reizend aussah, hatte sie dieses gewisse Alter schon erreicht.

»Wir haben auf Erpressung zurückgreifen müssen«, gab Anthony zu. »Sie hat sich zu dem Fest bereit erklärt, weil wir sonst verraten hätten, wie alt sie ist.«

Colin hätte keinen Schluck Brandy nehmen sollen; er verschluckte sich daran und konnte gerade noch verhindern, dass er ihn seinem Bruder auf den Rock spuckte. »Das hätte ich ja wirklich zu gern miterlebt!«

Anthony grinste ziemlich selbstzufrieden. »Wirklich ein brillanter Schachzug von mir.«

Colin trank sein Glas aus. »Was denkst du? Wie stehen die Chancen, dass sie die Gesellschaft nicht dazu nutzt, mir eine Frau zu suchen?«

»Ich würde sagen: schlecht.«

»Das habe ich befürchtet.«

Anthony lehnte sich zurück. »Colin, du bist schon dreiunddreißig, und …«

Fassungslos starrte ihn sein Bruder an. »Herr im Himmel, jetzt fang nicht du auch noch damit an!«

»Fällt mir nicht im Traum ein. Ich wollte dir nur raten, dass du diese Saison die Augen offen hältst. Du brauchst ja nicht direkt nach einer Frau zu suchen, aber es kann nicht schaden, wenn du zumindest offen für die Möglichkeit bleibst.«

Colin schaute zur Tür und erwog einen raschen Abgang. »Ich versichere dir, dass ich keine Einwände gegen die Ehe an sich habe.«

»Das habe ich auch nicht erwartet.«

»Aber ich sehe keinerlei Grund zur Eile.«

»Zur Eile besteht nie Grund«, erwiderte Anthony. »Nun ja, selten. Tu es einfach Mutter zuliebe, ja?«

Colin hatte gar nicht gemerkt, dass er das leere Glas noch in der Hand hielt, bis es ihm durch die Finger glitt und auf dem Teppich landete. »Lieber Gott«, flüsterte er, »ist sie etwa krank?«

»Nein!«, rief Anthony. »Sie überlebt uns alle, da bin ich mir sicher.«

»Was steckt dann dahinter?«

Anthony seufzte. »Ich will nur, dass du glücklich bist.«

»Ich bin glücklich.«

»Wirklich?«

»Zum Donnerwetter, ich bin der glücklichste Mann von ganz London. Du brauchst nur Lady Whistledowns Kolumne zu lesen, da steht es drin.«

Anthony blickte zur Zeitung auf seinem Schreibtisch.

»Nun ja, vielleicht nicht ausgerechnet in dieser Kolumne, aber in zahllosen Kolumnen im letzten Jahr. Man hat mich öfter charmant genannt als Lady Danbury rechthaberisch, und wir wissen ja wohl beide, was das für ein Kunststück ist.«

»Charmant und glücklich sind nicht unbedingt dasselbe«, meinte Anthony leise.

»Für so etwas habe ich jetzt wirklich keine Zeit«, murmelte Colin und ging zur Tür.

»Wenn du wirklich glücklich wärst«, beharrte Anthony, »würdest du nicht dauernd verschwinden.«

Colin blieb stehen, die Hand am Türgriff. »Anthony, ich verreise ausgesprochen gern.«

»Andauernd?«

»Muss ich ja wohl, sonst würde ich es nicht tun.«

»Du weichst mir aus!«

»Und wie.« Colin warf seinem Bruder ein spitzbübisches Lächeln zu. »Ich weiche immer weiter aus!«

»Colin!«

Doch Colin hatte den Raum schon verlassen.

2. KAPITEL

Sich über Ennui zu beklagen galt in der vornehmen Gesellschaft schon immer als fashionabel, doch dieses Jahr hat der ton Langeweile anscheinend zur Kunstform erhoben. Dieser Tage kann man auf einer Gesellschaft keine zwei Schritte tun, ohne allerorten Bemerkungen wie »schrecklich langweilig« oder »hoffnungslos banal« zu hören. Die Verfasserin dieser Zeilen hat sogar erfahren, dass Cressida Twombley kürzlich gesagt haben soll, sie werde bestimmt an elender Langeweile zugrunde gehen, wenn sie gezwungen sei, eine weitere unmusikalische musikalische Soiree zu besuchen.

(Die Verfasserin muss Lady Twombley in dieser Hinsicht beipflichten: Zwar sind die diesjährigen Debütantinnen reizende und liebenswerte Geschöpfe, doch musikalisch konnte bisher keine von ihnen überzeugen.)

Falls gegen die Krankheit der Langeweile ein Kraut gewachsen sein sollte, ist es gewiss auf der sonntäglichen Geburtstagsfeier in Bridgerton House zu finden. Die Familie wird sich einfinden, ebenso hundert ihrer engsten Freunde, um den Geburtstag der Viscountess zu feiern.

Da es sich nicht schickt, das Alter einer Dame zu erwähnen, wird die Verfasserin dieser Zeilen nicht verraten, wie alt Lady Bridgerton wird.

Aber keine Sorge! Die Verfasserin kennt die Wahrheit!

Lady Whistledowns Gesellschaftsjournal,

9. April 1824

»Unverheiratet« war ein Wort, das entweder Panik oder Mitleid auslöste, doch Penelope kam allmählich zu dem Schluss, dass der Stand einer Unverheirateten durchaus Vorteile zu bieten hatte.

Erstens wurde von einer alten Jungfer nicht erwartet, dass sie auf einem Ball tanzte, und das bedeutete für Penelope, dass sie nicht länger gezwungen war, am Rand der Tanzfläche herumzustehen, unbefangen nach links und rechts zu sehen und so zu tun, als wollte sie ja gar nicht tanzen. Nun konnte sie sich zu den anderen alten Jungfern und den Anstandsdamen gesellen. Natürlich hätte sie immer noch gern getanzt – sie tanzte sehr gern und auch ziemlich gut, nur dass dies bisher niemandem aufgefallen war –, aber je weiter entfernt man von den tanzenden Paaren saß, desto leichter fiel es, Desinteresse zu heucheln.

Zweitens hatte es die Anzahl der Stunden, die sie mit öden Plaudereien zubringen musste, drastisch verringert. Da Mrs. Featherington inzwischen offiziell jede Hoffnung aufgegeben hatte, dass Penelope sich einmal verheiraten würde, hatte sie aufgehört, sie jedem drittklassigen Gentleman in den Weg zu schieben. Sie hatte nie recht geglaubt, dass Penelope das Interesse eines erst- oder zweitklassigen Herrn wecken könnte, und damit hatte sie wohl gar nicht so falschgelegen, doch leider waren die meisten drittklassigen Herren nicht umsonst als solche eingestuft, und meist war der Grund in ihrer Persönlichkeit – beziehungsweise ihrem Mangel daran – zu finden. Was, zumal in Verbindung mit Penelopes Schüchternheit, nicht dazu angetan war, der Konversation sprühenden Witz zu verleihen.

Und drittens durfte sie endlich wieder essen. Es war zum Auswachsen, wenn man überlegte, wie viel Essen auf vornehmen Gesellschaften zur Schau gestellt wurde – denn Damen, die nach einem Ehemann Ausschau hielten, durften allenfalls essen wie ein Spatz. Und das, überlegte Penelope beglückt, während sie in ein himmlisches Eclair biss, ist wohl der allergrößte Vorteil von allen.

»Lieber Himmel«, stöhnte sie. Wenn Sünde Gestalt annehmen konnte, dann sicher als Gebäck. Vorzugsweise mit Schokolade.

»So gut, was?«

Penelope verschluckte sich und begann zu husten. »Colin!«, keuchte sie und betete flehentlich, dass sie ihm keinen Krümel ins Gesicht gespuckt hatte.

»Penelope.« Er lächelte warm. »Wie schön, Sie hier zu sehen.«

»Ganz meinerseits.«

Er wippte auf den Fersen, dreimal, und sagte dann: »Gut schauen Sie aus.«

»Sie auch«, erwiderte sie, viel zu sehr damit beschäftigt, zu überlegen, wo sie das Eclair ablegen sollte, als dass sie Abwechslung ins Gespräch hätte bringen können.

»Hübsches Kleid.« Colin wies lässig auf ihr grünes Seidengewand.

Mit einem reuigen Lächeln erklärte sie: »Es ist nicht gelb.«

»Allerdings nicht.« Er grinste, und damit war das Eis gebrochen. Eigentlich hätte man meinen sollen, dass sie sich gerade im Gespräch mit dem Mann, den sie liebte, besonders schüchtern gab, doch Colin hatte etwas an sich, das einen dazu brachte, sich in seiner Gesellschaft zu entspannen.

Vielleicht, hatte Penelope mehr als einmal gedacht, habe ich mich deswegen in ihn verliebt, weil ich mich in seiner Nähe einfach wohl in meiner Haut fühle.

»Eloise hat mir erzählt, dass Sie in Zypern herrliche Zeiten verlebt haben.«

Er grinste. »Wie hätte ich Aphrodites Geburtsort widerstehen können?«

Penelope erwiderte das Lächeln. Seine gute Laune war ansteckend, auch wenn sie nicht den geringsten Wunsch hatte, sich mit ihm über die Göttin der Liebe zu unterhalten. »War das Wetter wirklich so schön?« Sie hielt inne. »Vergessen Sie die Frage. Ich sehe Ihnen ja an, dass die Sonne dauernd geschienen hat.«

»Ja, ich bin wohl ein bisschen braun geworden«, stimmte er nickend zu. »Meine Mutter wäre bei meinem Anblick beinah in Ohnmacht gefallen.«

»Bestimmt aus lauter Freude«, erwiderte Penelope mit Nachdruck. »Sie vermisst Sie immer schrecklich.«

Er beugte sich vor. »Kommen Sie, Penelope, bestimmt wollen Sie nicht auch noch anfangen? Meine Mutter, Anthony, Eloise und Daphne jagen mir schon genügend Schuldgefühle ein.«

»Benedict etwa nicht?«

Er warf ihr einen spitzbübischen Blick zu. »Der ist nicht in der Stadt.«

»Ah, deswegen also.«

Er verschränkte die Arme und betrachtete sie. »Sie waren schon immer ein vorlautes Stück, wissen Sie das eigentlich?«

»Ich weiß es aber sehr gut zu verbergen«, entgegnete sie bescheiden.

»Man merkt sofort, warum Sie und meine Schwester so gut befreundet sind.«

»Ich nehme an, dass das ein Kompliment sein sollte?«

»Bestimmt wäre es meiner Gesundheit gar nicht zuträglich, wenn ich es irgendwie anders gemeint haben sollte.«

Penelope suchte noch nach einer witzigen Antwort, als plötzlich ein sattes, nasses Platschen zu hören war. Die Cremefüllung aus ihrem halb gegessenen Eclair war auf das jungfräulich saubere Parkett getropft. Sie blickte auf und entdeckte, dass aus Colins herrlich grünen Augen der Schalk blitzte, während er sich bemühte, streng die Lippen zusammenzupressen.

»Na, das ist aber peinlich«, sagte Penelope, um die Situation zu entschärfen und nicht vor Scham im Erdboden zu versinken.

Colin zog eine Augenbraue hoch. »Ich schlage vor, dass wir uns aus dem Staub machen.«

Penelope schaute auf das traurige Gerippe ihres Eclairs, das sie immer noch in der Hand hielt. Colin nickte zu einer nahen Topfpalme hinüber.

»Nein!«, rief sie und riss die Augen auf.

Er beugte sich vor. »Na los, nur nicht feige.«

Ihr Blick wanderte von dem Eclair zur Palme und dann zu Colins Gesicht. »Das kann ich nicht.«

»Für einen Streich ist das aber relativ harmlos.«

Es war eine Mutprobe, eine etwas kindische Herausforderung, gegen die Penelope normalerweise immun war, doch Colins schiefem Lächeln war schwer zu widerstehen. »Also gut.« Sie straffte die Schultern und ließ das Eclair auf die Erde fallen. Dann trat sie zurück, betrachtete ihr Werk und sah sich um, ob außer Colin noch jemand sie beobachtete, bückte sich und drehte die Palme so, dass das Beweisstück hinter einem großen Blatt verschwand.

»Ich hätte nicht gedacht, dass Sie es tun würden«, meinte Colin.

»Wie Sie schon sagten – so schlimm war es nun auch nicht.«

»Nein, aber es ist die Lieblingspalme meiner Mutter.«

»Colin!« Penelope wirbelte herum und war schon im Begriff, das Eclair wieder einzusammeln, als sie plötzlich innehielt. »Wie konnten Sie nur … Moment mal.« Sie richtete sich wieder auf und kniff die Augen zusammen. »Das ist ja gar keine Palme.«

Er war die Unschuld in Person. »Nein?«

»Das ist ein Orangenbaum.«

Er blinzelte. »Wirklich?«

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. Zumindest hoffte sie das. Es war schwierig, Colin Bridgerton finstere Blicke zuzuwerfen. Selbst seine Mutter hatte einmal bemerkt, dass es schier unmöglich war, ihn zu tadeln.

In dem Fall lächelte er nämlich nur, schaute reumütig drein und sagte dann etwas Lustiges, sodass man ihm nicht mehr böse sein konnte. Es ging einfach nicht.

»Sie wollten mir ein schlechtes Gewissen machen.«

»Das kann jedem einmal passieren, dass er eine Palme mit einem Orangenbäumchen verwechselt.«

Sie kämpfte gegen den Drang an, die Augen zu verdrehen. »Wenn nur die Orangen nicht wären.«

Nachdenklich biss er sich auf die Lippen. »Tja, die sind in der Tat verräterisch.«

»Sie sind ein fürchterlich schlechter Lügner.«

Er reckte das Kinn. »Eigentlich bin ich ein hervorragender Lügner. Aber ich bin besonders gut darin, entsprechend verlegen und hinreißend zu wirken, wenn man mich ertappt.«

Was, so fragte sich Penelope, sollte man darauf bloß erwidern? Denn es gab niemanden, der hinreißender verlegen war als Colin Bridgerton, der nun die Hände hinter dem Rücken verschränkte und zur Decke blickte.

»Als Sie klein waren«, begann Penelope, abrupt das Thema wechselnd, »sind Sie da je bestraft worden?«

Colin richtete sich auf. »Wie bitte?«

»Wurden Sie als Kind je bestraft?«, wiederholte sie. »Oder als Erwachsener?«

Colin starrte sie an und überlegte, ob sie ahnte, was sie da fragte. Vermutlich nicht. »Ähm …«, sagte er, hauptsächlich deswegen, weil er sonst nichts zu äußern wusste.

Sie stieß einen etwas herablassenden Seufzer aus. »Dachte ich es mir doch.«

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