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Cold Storage - Es tötet

Als Buch hier erhältlich:

Für die Leser von Michael Crichton und Marc Elsberg kommt hier das erstaunliche Debüt des Drehbuchautors von Jurassic Park, Mission: Impossible und Dan Browns Inferno, das alle Zutaten für einen weiteren Blockbuster hat: Herausragende Action, sympathische Charaktere und eine gute Prise Humor:

1987: Alle Bewohner des australischen Wüstenorts Kiwirkurra sind tot - Opfer eines mutierten Killerpilzes. Ein Team US-Agenten schafft es unter hohen Verlusten, den Pilz in letzter Sekunde zu vernichten. Ein derart tödlicher Organismus muss studiert werden, und so sichern sie kurz zuvor eine Probe, die sie in eine Hochsicherheitseinrichtung in die USA bringen.
2019: Die Nachtwache im unterirdischen Selfstorage-Lagerkomplex wird für Teacake und Naomi sehr viel spannender, als plötzlich ein leises Piepsen beginnt. Die beiden entschließen sich, nach der Ursache zu suchen und ahnen nicht, dass sie bald einem Wesen gegenüberstehen werden, das die gesamte Menschheit ausrotten könnte …

»Packender Grusel mit Humor und tollen Charakteren.« Hörzu

»Neben der explosiven Action sorgen sympathische Charaktere und eine gute Prise Humor für unbeschwerten Thrillerspaß.« ekz Bibliotheksservice

»Spannendes Buchdebüt.« auf einen Blick

»Cold Storage – Es tötet ist ein großer Thriller-Spaß und brutal unterhaltsam.«
Blake Crouch, Autor von Dark Matter. Der Zeitenläufer

»Eine hochexplosive Mischung aus wissenschaftsbasiertem Horror, alptraumhaftem Schrecken und unerbittlicher Action, meisterhaft verbunden durch unvergessliche Charaktere und einen cleveren Sinn für Humor.«
Steven Soderbergh, Oscar-Gewinner und Regisseur von Traffic und Ocean’s Eleven


  • Erscheinungstag: 16.09.2019
  • Seitenanzahl: 336
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959673419

Leseprobe

PROLOG

Der größte lebende Einzelorganismus der Welt ist ein Vertreter der Art Armillaria solidipes, besser bekannt als Gemeiner Hallimasch. Er ist etwa achttausend Jahre alt und erstreckt sich über 9,5 Quadratkilometer in den Blue Mountains in Oregon. Seit über acht Jahrtausenden wuchert er spinnwebartig unter der Erde und bildet oberirdisch Fruchtkörper aus, die aussehen wie Pilze. Der Gemeine Hallimasch ist relativ harmlos, es sei denn, man ist eine Staude, ein Busch oder ein Kraut. Dann bringt er einen nämlich einfach um. Der Pilz tötet, indem er zuerst das Wurzelsystem der jeweiligen Pflanze übernimmt, um sich dann nach oben vorzuarbeiten und ihr dabei das Wasser und sämtliche Nährstoffe abzudrehen.

Armillaria solidipes breitet sich pro Jahr um etwa 30−90 Zentimeter weit aus, daher kann es 30−50 Jahre dauern, bis er etwa einen Baum von durchschnittlicher Größe getötet hat. Wäre er nicht so lahm, würden neunzig Prozent aller Pflanzen auf Erden sterben, die Atmosphäre würde sich in Giftgas verwandeln, und alle Menschen und Tiere würden verenden. Aber der Pilz wächst nur langsam.

Andere Pilze sind schneller.

Viel schneller.

EINS

Nachdem sie ihre Klamotten verbrannt, sich die Köpfe rasiert und sich geschrubbt hatten, bis sie bluteten, hatten Roberto Diaz und Trini Romano wieder ins Land gedurft. Doch obwohl sie alles in ihrer Macht Stehende getan hatten, fühlten sie sich selbst dann noch nicht richtig sauber, und der Rest blieb dem Schicksal überlassen.

Sie saßen jetzt in einer Regierungslimousine und rumpelten ein paar Kilometer von dem Lager in den Atchison-Minen entfernt über die I-73. Unmittelbar vor ihnen fuhr ein offener Lkw, dem sie so dicht folgten, dass sich kein Zivilfahrzeug zwischen die beiden Wagen drängen konnte. Trini lümmelte auf dem Beifahrersitz der Limousine und hatte die Füße aufs Armaturenbrett gelegt, eine Haltung, die den am Steuer sitzenden Roberto immer furchtbar aufregte.

»Weil es Fußspuren hinterlässt«, erklärte er ihr zum hundertsten Mal.

»Das ist nur Staub«, erwiderte Trini ebenfalls zum hundertsten Mal. »Er lässt sich einfach abwischen, siehst du?« Sie machte einen halbherzigen Versuch, ihre Fußabdrücke vom Armaturenbrett zu entfernen.

»Oder auch nicht, Trini. Du verschmierst ihn nur und machst alles noch schlimmer, und bevor wir den Wagen wieder zurückgeben, muss ich ihn saubermachen. Oder ich vergesse es, und der Abdruck bleibt, wo er ist, und dann muss jemand anders putzen. Ich mache nicht gerne anderen Leuten Arbeit.«

Trini sah ihn unter ihren schweren Lidern hervor aus Augen an, die nicht einmal die Hälfte dessen glaubten, was sie sahen. Diese Augen mitsamt ihrer Auffassungsgabe waren der Grund dafür, dass Trini mit vierzig schon Oberstleutnant war. Ihre Unfähigkeit, das, was sie sah, unkommentiert zu lassen, würde allerdings verhindern, dass sie die Karriereleiter jemals weiter aufstieg. Ihre Aussagen waren stets ungefiltert, und sie hatte keinerlei Interesse daran, das zu ändern.

Sie starrte ihn einen Augenblick lang nachdenklich an, nahm einen tiefen Zug von der Newport zwischen ihren Fingern und blies eine Rauchwolke aus dem Mundwinkel.

»Angenommen, Roberto.«

Er sah sie an. »Hm?«

»Deine Entschuldigung. Deshalb nervst du mich doch so. Du weißt nicht, wie du dich entschuldigen sollst. Für dein Verhalten. Also erspare ich dir die Mühe. Ich nehme deine Entschuldigung an.«

Trini hatte recht, wie immer. Roberto schwieg lange, starrte nur geradeaus auf die Straße.

Als er schließlich wieder sprechen konnte, murmelte er: »Danke.«

Trini zuckte die Achseln. »Siehst du? Hat doch gar nicht wehgetan.«

»Was ich getan hab, war nicht okay.«

»So schlimm war es nun auch wieder nicht. Kommt mir inzwischen wie eine Bagatelle vor.«

Sie hatten endlos darüber geredet, was in den vier Tagen geschehen war, seit alles angefangen hatte, und mittlerweile war so ziemlich alles gesagt, sie hatten jeden Augenblick aus jedem vorstellbaren Blickwinkel durchdiskutiert und analysiert. Mit Ausnahme dieses einen Moments. Über ihn hatten sie kein Wort verloren, doch jetzt stand das Thema im Raum, und Roberto wollte es noch nicht auf sich beruhen lassen.

»Ich meine nicht das mit ihr. Mir geht es darum, wie ich mit dir geredet habe.«

»Ich weiß.« Trini legte Roberto die Hand auf die Schulter. »Mach dich locker.«

Er nickte und starrte wieder geradeaus. Sich locker zu machen fiel Roberto Diaz nicht leicht. Er war Mitte dreißig, aber seine persönlichen und beruflichen Errungenschaften waren seinem biologischen Alter vorausgeeilt, weil er sich nie locker machte, sondern Sachen auf die Reihe kriegte. Er hakte Kästchen ab. Klassenbester auf der Akademie der Air Force? Check. Mit dreißig Major bei der USAF? Check. Hervorragender körperlicher und geistiger Zustand ohne erkennbare Schwachpunkte oder Mängel? Check. Perfekte Ehefrau? Check. Perfekter Sohn? Check. Diese Dinge erreichte man nicht durch Geduld oder Passivität.

Wo will ich hin? Wo will ich hin? Wo will ich hin?, pflegte sich Roberto zu fragen. Er dachte immer nur an die Zukunft, plante sie, war besessen von ihr. Sein Leben fand auf der Überholspur statt, streng nach Plan und ohne Umwege.

Na ja. Fast ohne zumindest.

Eine Weile starrten sie beide einfach den Lkw vor ihnen an. Durch die Öffnung der Plane am hinteren Ende sahen sie den oberen Rand der Metallkiste, die sie um den halben Planeten geflogen hatten. Der Lkw fuhr durch ein Schlagloch, die Kiste rutschte etwa einen halben Meter nach hinten, und beide hielten unwillkürlich den Atem an. Aber sie rutschte nicht von der Ladefläche. Nur noch ein paar Kilometer bis zu den Höhlen, dann war alles vorbei. Die Kiste würde bis in alle Ewigkeit sicher 90 Meter unter der Erde lagern.

Die Atchison-Höhlen waren seit 1886 als Kalkmine genutzt worden, ein gewaltiger Steinbruch, der 45 Meter unter das Steilufer des Missouri reichte. Zuerst hatte man dort die Steinschüttung für die nahe gelegenen Eisenbahnlinien produziert und so tief gegraben, wie Gott und die Physik es gestatteten, bis auch der letzte Ingenieur, der halbwegs bei Verstand war, die Traglast der stützenden Säulen aus unabgebautem Felsgestein für vollkommen ausgereizt befand. Im Zweiten Weltkrieg hatten die leeren Höhlen, ein inzwischen über dreißig Hektar großer unterirdischer Bereich mit natürlicher Klimaregulierung, der War Food Administration zur Lagerung verderblicher Lebensmittel gedient, ehe die Bergbaufirma das gesamte Gelände schließlich für zwanzigtausend Dollar an die US-Regierung verkauft hatte. Ein paar Millionen Dollar Renovierungskosten später war es zu einem staatlichen Hochsicherheitslager für den Katastrophenfall und zur Aufrechterhaltung operativer Maßnahmen geworden, in dem hochtechnologische Werkzeuge in tadellosem Wartungszustand nur darauf harrten, an jeden beliebigen Ort der Welt verbracht zu werden. Es hätte jetzt nur noch eines Atomkriegs bedurft, um die horrenden Kosten zu rechtfertigen, schließlich musste sich das Ganze auch lohnen.

Heute würde es sich lohnen.

Der Anruf war vom ersten Klingelzeichen an merkwürdig gewesen. Technisch gesehen arbeiteten Trini und Roberto für die DNA, die Defense Nuclear Agency. Später würde sie Teil der DTRA werden, aber dieser Zusammenschluss von Regierungsorganisationen würde erst 1997 stattfinden, im Rahmen der offiziellen Neustrukturierung des Verteidigungsministeriums. Zehn Jahre zuvor hieß die Organisation noch DNA, und ihre Mitarbeiter hatten einen klaren Auftrag: Verhindert, dass andere bekommen, was die USA schon haben. Wenn die DNA irgendwo ein Nuklearprogramm witterte, spürte sie es auf und erstickte es im Keim. Wenn sie Wind von irgendeiner albtraumhaften Biowaffe bekam, zog sie sie für immer aus dem Verkehr – keine Kosten gescheut, keine Fragen gestellt. Vorzugsweise kamen voneinander unabhängig operierende Zweier-Teams zum Einsatz, aber wenn Unterstützung benötigt wurde, bekam man sie auch. Trini und Roberto brauchten sie nur selten. Sie waren in sieben Jahren an sechzehn verschiedenen Orten im Einsatz gewesen und konnten sich sechzehn erfolgreicher Abschüsse rühmen. »Abschüsse« war dabei nicht wörtlich zu verstehen. Es war der Begriff der Behörde für ein neutralisiertes Waffenprogramm. Aber natürlich hatten ihre Einsätze Opfer gefordert. Es wurden keine Fragen gestellt.

Sechzehn Missionen, aber keine davon war auch nur annähernd wie diese gewesen.

***

Die Triebwerke des USAF-Transportflugzeugs auf der Basis waren bereits warmgelaufen, als sie die Gangway hoch an Bord eilten. Es gab nur eine weitere Passagierin, und Trini setzte sich ihr direkt gegenüber. Roberto nahm weiter hinten auf der anderen Seite des Ganges Platz, ebenfalls in Blickrichtung der jungen Frau mit den hellen Augen und den abgetragenen Safari-Klamotten.

Trini streckte ihr die Hand hin, und die junge Frau schüttelte sie. »Lieutenant Colonel Trini Romano.«

»Dr. Hero Martins.«

Trini nickte stumm und warf ein Nikotinkaugummi ein. Sie musterte Hero eindringlich und war unverfroren genug, währenddessen wortlos den Blickkontakt aufrechtzuerhalten. Es war befremdlich. Roberto salutierte nur halbherzig in Heros Richtung. Er mochte dieses Ich-durchschaue-dich-bis-ins-Innerste-Spiel nicht.

»Major Roberto Diaz.«

»Schön, Sie kennenzulernen, Major«, sagte Hero.

»Was für ein Doktor sind Sie?«, fragte Roberto.

»Mikrobiologin. Universität Chicago. Ich bin auf epidemiologische Überwachung spezialisiert.«

Trini musterte sie immer noch. »Heißen Sie wirklich so? Hero?«

Die Frau unterdrückte ein Seufzen. Diese Frage hörte sie schon seit vierunddreißig Jahren immer wieder. »Ja.«

»Hero wie Heldin oder Hero wie in der griechischen Mythologie?«, erkundigte sich Roberto.

Sie sah ihn an. Diese Frage hörte sie wesentlich seltener.

»Letzteres. Meine Mutter unterrichtete Latein und Griechisch. Kennen Sie die Geschichte?«

Roberto hob den Blick, kniff das linke Auge halb zu und starrte an einen Punkt schräg rechts über seinem Kopf, wie immer, wenn er versuchte, ein halb vergessenes Körnchen Wissen aus den hinteren Regionen seines Gehirns abzurufen. Er fand die Information und zog sie aus dem nebligen Sumpf seines Unterbewusstseins.

»Sie lebte in einem Turm an einer Meerenge?«

Hero nickte. »Am Hellespont.«

»Jemand war in sie verliebt.«

»Leander. Jede Nacht schwamm er durch die Meerenge zum Turm und liebte sie. Hero entzündete ein Licht im Turm, damit er an Land fand.«

»Aber er ist trotzdem ertrunken, stimmt’s?«

Trini wandte sich um und warf Roberto einen missbilligenden Blick zu. Er war in geradezu nervigem Maße gut aussehend. Als Sohn eines Mexikaners und einer kalifornischen Blondine sprühte er nur so vor Vitalität und musste sich um Haarausfall keine Gedanken machen. Er hatte außerdem eine kluge, witzige Ehefrau namens Annie, die Trini tatsächlich erträglich fand, was einiges heißen wollte. Doch er war erst seit dreißig Sekunden in diesem Flugzeug und versuchte bereits eindeutig, diese Frau anzubaggern. Trini hatte ihren Partner bisher nicht für ein Arschloch gehalten und hoffte, er würde sich auch jetzt nicht als solches entpuppen. Sie behielt ihn im Auge und malträtierte dabei ihr Kaugummi, als habe es ihr etwas Schlimmes angetan.

Hero hingegen war fasziniert. Sie sprach weiter mit Roberto und ignorierte Trini.

»Aphrodite neidete ihnen ihre Liebe. Eines Nachts löschte sie Heros Licht, und Leander war verloren. Als sie sah, dass er ertrunken war, stürzte sich Hero aus dem Turm in den Tod.«

Roberto dachte darüber einen Augenblick lang nach. »Wie genau lautet die Moral dieser Geschichte? Such dir keinen Partner vom anderen Ufer?«

Hero zuckte lächelnd die Achseln. »Vermutlich eher: Verärgere die Götter nicht.«

Trini, die das Gequatsche satthatte, warf einen Blick zu den Piloten und machte mit dem Zeigefinger eine kreisende Geste. Sofort heulten die Triebwerke auf, und das Flugzeug setzte sich mit einem Ruck in Bewegung und raste das Rollfeld entlang. Themenwechsel.

Hero sah sich besorgt um. »Moment, wir starten? Wo ist der Rest des Teams?«

»Wir sind das Team«, stellte Trini klar.

»Glauben Sie – äh, glauben Sie, das reicht? Damit werden wir vielleicht zu dritt nicht fertig.«

Roberto war genauso zuversichtlich wie Trini, wenn auch auf eine weniger aggressive Weise. »Warum erzählen Sie uns nicht einfach, worum es geht«, forderte er Hero auf, »dann sagen wir Ihnen, ob wir damit fertig werden können.«

»Man hat Ihnen nichts erzählt?«, fragte sie.

»Nur, dass wir nach Australien müssen«, erwiderte Trini, »und Sie den Rest wissen.«

Hero wandte sich ab und beobachtete durch das Fenster, wie das Flugzeug abhob. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde die Army nie verstehen.«

»Ich auch nicht«, pflichtete ihr Roberto bei. »Wir sind von der Air Force, ausgeliehen an die Defense Nuclear Agency.«

»Hier geht es nicht um Atomwaffen.«

Trini runzelte die Stirn. »Na ja, die haben Sie geschickt, es wird also wahrscheinlich um biologische Waffen gehen.«

»Nein.«

»Worum geht es dann?«

Hero dachte für einen Augenblick darüber nach. »Gute Frage.« Sie öffnete die Akte auf dem Tisch vor ihr und begann zu referieren.

Sechs Stunden später war sie fertig.

***

Mit dem, was Roberto über den Bundesstaat Western Australia wusste, hätte man allenfalls ein sehr dünnes Buch füllen können. Vielleicht eher ein Flugblatt: eine Seite mit sehr großer Schrift. Hero hatte ihnen gesagt, ihr Ziel sei eine abgelegene Siedlung namens Kiwirrkurra, mitten in der Gibsonwüste, etwa 1.200 Kilometer östlich von Port Hedland.

Die Gründung des Ortes durch die Pintupi ein Jahrzehnt zuvor war von der australischen Regierung befördert worden, die sich seit einiger Zeit verstärkt um die Rückkehr von Aborigines-Gruppen auf das Land ihrer Vorfahren bemühte. Man hatte sie jahrzehntelang schlecht behandelt und aus eben diesen Gebieten vertrieben, zuletzt in den sechziger Jahren, als sie Platz für die Raketentests der Blue Streak hatten machen müssen. Es lebt sich einfach nicht so gut auf Land, das in die Luft gesprengt werden soll. Das ist gar nicht gesund.

Aber Mitte der siebziger Jahre waren diese Tests beendet und außerdem politisch unerwünscht gewesen, also hatte man die letzten der Pintupi zurück nach Kiwirrkurra geschafft, das nicht mal mitten im Nirgendwo lag, sondern eher ein paar hundert Kilometer jenseits des alleräußersten Randes von Nirgendwo. Nun lebten dort alle sechsundzwanzig Pintupi so friedlich und glücklich, wie Menschen in einer glühend heißen Wüste ohne Strom, Telefon und sonstige Verbindungen zur modernen Gesellschaft nur sein konnten. Tatsächlich lebten sie ganz gerne so abgeschieden, und vor allem ihren Stammesältesten gefiel es, wieder auf dem Land ihrer Vorfahren zu sein.

Dann fiel ihnen der Himmel auf den Kopf.

Allerdings nicht der gesamte, wie Hero erklärte. Nur ein Stück davon.

»Worum handelte es sich?«, fragte Roberto. Er hatte bisher während des gesamten kurzen historischen Abrisses Blickkontakt mit ihr gehalten, was Trini natürlich nicht entgangen war. Tatsächlich funkelte sie Roberto an, als wolle sie ihn per Gedankenübertragung zwingen, woanders hinzuschauen.

»Skylab.«

Jetzt wandte auch Trini den Kopf und sah Hero an. »Reden wir von ’79?«

»Ja.«

»Ich dachte, die ist in den Indischen Ozean gestürzt.«

Hero nickte. »Das meiste schon. Die wenigen Trümmerteile, die über Land herunterkamen, landeten unmittelbar außerhalb einer Siedlung namens Esperance, ebenfalls in Westaustralien.«

»In der Nähe von Kiwirrkurra?«, hakte Roberto nach.

»Nichts ist in der Nähe von Kiwirrkurra. Esperance liegt etwa zweitausend Kilometer davon entfernt und hat zehntausend Einwohner. Im Vergleich ist es also eine Metropole.«

»Was ist mit den Trümmerteilen passiert, die in Esperance heruntergekommen sind?«

Hero wandte sich dem nächsten Abschnitt ihrer Notizen zu. Einige geschäftstüchtige Einwohner von Esperance hatten die Trümmerteile aufgesammelt und ins Museum der Stadt verfrachtet – einen früheren Tanzsaal, den sie schnell ins Municipal Museum & Skylab Observatorium verwandelten. Der Eintritt kostete vier Dollar, und dafür bekam man den größten Sauerstofftank der Sonde zu sehen, den Gefrierschrank, in dem in der Weltraumstation Nahrungsmittel und andere Dinge aufbewahrt worden waren, ein paar Stickstoffbehälter aus ihren Schubdüsen und ein Stück der Luke, durch die die Astronauten bei ihren Besuchen geklettert waren. Es waren außerdem diverse andere, nicht wiedererkennbare Bruchstücke ausgestellt, darunter ein Stück Metallblech, in dessen Mitte erstaunlicherweise in deutlich lesbaren, roten Buchstaben das Wort Skylab prangte.

»Die NASA ging jahrelang davon aus, dass man niemals mehr finden würde, weil der Rest entweder beim Wiedereintritt verglüht sei oder auf dem Grund des Indischen Ozeans läge«, fuhr Hero fort. »Nach fünf oder sechs Jahren nahm man an, alles, was über Land niedergegangen war, sei mittlerweile aufgetaucht oder läge an einem unzugänglichen Ort.«

»Wie Kiwirrkurra«, warf Roberto ein.

Sie nickte und blätterte um.

»Vor drei Tagen bekam ich einen Anruf von der biowissenschaftlichen Weltraumforschungsabteilung der NASA. Sie hatte über sechs verschiedene Regierungsbehörden die Nachricht erhalten, jemand habe aus Western Australia angerufen, weil ›etwas aus dem Tank gekommen ist‹.«

»Aus welchem Tank?«

»Dem zweiten Sauerstofftank. Dem, der in Kiwirrkurra vom Himmel gefallen war.«

Trini beugte sich vor. »Wer hat denn aus Western Australia angerufen?«

Hero warf einen Blick auf ihre Notizen. »Der Mann nannte sich Enos Namatjira. Er sagte, er lebe in Kiwirrkurra, und sein Onkel habe den Tank vor fünf oder sechs Jahren gefunden. Der Onkel habe von dem abgestürzten Raumschiff gehört, also habe er den Tank vor sein Haus gestellt und als Souvenir behalten. Aber jetzt stimme etwas damit nicht, und es ginge ihm schlecht. Sehr schnell immer schlechter.«

Roberto runzelte die Stirn und versuchte, sich darauf einen Reim zu machen. »Woher wusste dieser Typ, wo er anrufen musste?«

»Wusste er nicht. Er hat mit dem Weißen Haus angefangen.«

»Und der Anruf landete am Ende bei der NASA?«, fragte Trini ungläubig. So viel Effizienz war kaum zu glauben.

»Er musste siebzehnmal anrufen und jedes Mal fünfzig Kilometer zum nächsten Telefon fahren, aber ja, er hat schließlich die NASA erreicht.«

»Ein Mann voller Entschlusskraft«, sagte Roberto.

»Ja, denn inzwischen starben Menschen. Schließlich stellte man vor anderthalb Tagen den Kontakt zwischen ihm und mir her. Ich arbeite manchmal für die NASA, sehe mir nach dem Wiedereintritt ihre Sonden an, um sicherzugehen, dass sie keine außerirdischen Lebensformen einschleppen, doch bisher war das noch nie der Fall.«

»Aber Sie glauben, diesmal ist etwas mit zurückgekommen?«, fragte Trini.

»Nicht ganz. An dieser Stelle wird es interessant.«

Roberto beugte sich vor. »Ich fand es die ganze Zeit schon ziemlich interessant.« Hero lächelte ihn an. Trini unterdrückte den Reflex, die Augen zu verdrehen.

Hero fuhr fort: »Der Tank war versiegelt, und ich bezweifle sehr, dass er etwas aus dem Weltraum mit zurück hätte bringen können, was nicht mit hochgeschickt worden war. Ich ging alle Daten zum Skylab durch, und es scheint, als sei dieser spezielle Sauerstofftank bei der letzten Versorgungsmission nicht für die Sauerstoffversorgung hochgeschickt worden, sondern um ihn an einem der äußeren Arme der Kapsel anzubringen. Im Tank befand sich ein Pilz, ein Verwandter des Ophiocordyceps unilateralis. Das ist ein kleiner parasitischer Pilz, der seine Wirte auf faszinierende Weise manipulieren kann. Er ist dafür bekannt, unter Extrembedingungen überleben zu können, ein bisschen wie die Sporen von Clostridium difficile. Sagt Ihnen das was?«

Trini und Roberto sahen sie verständnislos an. In ihrem Tätigkeitsbereich war die Kenntnis von Clostridium difficile keine Einstellungsvoraussetzung.

»Na ja, es sind Krankheitserreger. Sie können überall überleben – in einem Vulkan, auf dem Meeresgrund, im Weltall.«

Sie sahen sie einfach nur an und nahmen sie beim Wort. Hero fuhr fort: »Jedenfalls gehörte die Probe in dem Tank zu einem Forschungsprojekt. Der Pilz verfügte über spezielle Wachstumseigenschaften, und man wollte herausfinden, wie er sich unter Weltraumbedingungen verhielt. Sie dürfen dabei nicht vergessen, dass wir von den Siebzigern reden, Weltraumstationen waren das nächste große Ding, also galt es, wirksame Medikamente zur Pilzbekämpfung für die Millionen von Menschen zu entwickeln, die da oben leben würden. Aber dazu kam es nie.«

»Weil Skylab abstürzte.«

»Richtig. Also – nachdem der Tank fünf oder sechs Jahre vor dem Haus von Enos Namatjiras Onkel gestanden hatte, begann er zu rosten. Der Onkel wollte ihn ein bisschen aufpolieren, damit er wieder wie neu aussah, denn vielleicht würden ja irgendwann Leute dafür bezahlen, ihn sich anschauen zu dürfen. Er versuchte, den Rost zu entfernen, aber der war hartnäckig. Laut Enos versuchte es sein Onkel mit verschiedenen Putzmitteln und griff schließlich auf ein Hausmittel zurück: Er rieb die Oberfläche des Tanks mit einer halben Kartoffel ab, die er vorher mit Spülmittel übergossen hatte.«

»Hat es funktioniert?«

»Ja. Der Rost ließ sich ganz einfach entfernen, und das Ding glänzte wieder. Ein paar Tage später wurde der Onkel krank. Er verhielt sich seltsam und redete wirr. Erst kletterte er aufs Dach seines Hauses und weigerte sich herunterzukommen, dann schwoll sein Körper grotesk an.«

»Was zum Teufel ist da passiert?«, fragte Trini.

»Darüber kann ich nur spekulieren.«

Sie hielt inne. Trini und Roberto warteten gespannt. Dr. Martins mochte das vielleicht gar nicht bewusst sein, doch sie war eine hervorragende Geschichtenerzählerin. Ihre beiden Zuhörer hingen an ihren Lippen.

»Ich vermute, die chemische Verbindung, die der Onkel hergestellt hatte, tropfte durch Mikrorisse in der Oberfläche des Tanks und landete im Inneren, wo sie den schlummernden Cordyceps-Pilz rehydrierte.«

»Das Kartoffelzeug?«, staunte Roberto. Es klang für ihn nicht so, als könne man damit gießen.

Sie nickte. »Eine durchschnittliche Kartoffel besteht zu achtundsiebzig Prozent aus Wasser. Aber der Pilz wurde nicht nur rehydriert. Er bekam auch Pektin, Zellulose, Proteine und Fett und einen hübschen Ort zum Wachsen. Die Durchschnittstemperatur in der westaustralischen Wüste liegt zu dieser Jahreszeit deutlich über achtunddreißig Grad Celsius. In dem Tank liegen wir wahrscheinlich eher bei etwa fünfundfünfzig Grad. Tödlich für uns, perfekt für einen Pilz.«

Trini wollte zum Punkt kommen. »Wollen Sie damit sagen, das Ding ist wieder zum Leben erwacht?«

»Nicht ganz. Wie gesagt, ich spekuliere, aber ich halte es für möglich, dass die Polysaccharide der Kartoffel zusammen mit dem Natriumpalmitat des Spülmittels eine wachstumsfördernde Atmosphäre geschaffen haben. Normalerweise sind beides große, langweilige, träge Moleküle, aber wenn man sie zusammenbringt, kann alles mögliche Lustige passieren. Dem Onkel kann man keinen Vorwurf machen. Der Typ hat im Zuge der Reinigung schlicht versucht, eine einfache chemische Reaktion herbeizuführen.«

Sie erwärmte sich langsam für ihr Thema – ihre Augen leuchteten vor intellektueller Begeisterung –, und Roberto konnte den Blick einfach nicht von ihrem Gesicht lösen.

»Hat er das denn?«

»Heilige Scheiße, und was für eine!«

Oh Gott, sie fluchte auch noch. Roberto lächelte.

»Allerdings halte ich weder die Polysaccharide noch das Natriumpalmitat für ausschlaggebend bei dieser Reaktion.«

Sie beugte sich vor, als werde sie gleich die unheimlich großartige Pointe eines Witzes erzählen.

»Es war der Rost. Fe2O3.nH2O.«

Trini spuckte ihr Kaugummi in ein Papiertaschentuch und warf ein frisches ein. »Sehen Sie sich imstande, Dr. Martins, das noch mal in Kurzform zu erklären?«

Hero wandte sich wieder völlig sachlich an Trini.

»Klar. Wir haben eine hyperaggressive extremophile Lebensform, der weder große Hitze noch das Vakuum im Weltraum etwas anhaben kann, die aber kälteempfindlich ist, ins All geschossen. Die dort vorherrschende Kälte hat den Organismus in einen Schlummerzustand versetzt, aber er blieb hyperrezeptiv. Dann muss er einen Anhalter mitgenommen haben. Vielleicht war er der Sonnenstrahlung ausgesetzt. Vielleicht hat eine Spore beim Eintritt in die Atmosphäre einen Mikroriss im Tank durchdrungen. Jedenfalls erwachte der Pilz bei der Rückkehr auf die Erde wieder und fand sich in einer warmen, sicheren, proteinreichen, wachstumsförderlichen Umgebung wieder. Dann veränderte irgendetwas die höheren Ebenen seiner genetischen Struktur.«

»In was?«, fragte Roberto.

Hero schenkte erst ihm und dann Trini den Blick einer Lehrerin, die es mit zwei leicht zurückgebliebenen Schülern zu tun hat, die das Offensichtliche nicht erkennen. Gnädigerweise erklärte sie es ihnen.

»Ich glaube, wir haben eine neue Spezies geschaffen.«

Einen Augenblick lang herrschte Stille. Da es Heros Theorie war, nahm sie auch gleich das Recht der Benennung für sich in Anspruch. »Cordyceps novus.«

Trini sah sie ausdruckslos an. »Was haben Sie Mr. Namatjira gesagt?«

»Dass ich ein paar Dinge überprüfen muss und er mich in sechs Stunden zurückrufen soll. Das hat er nicht getan.«

»Was haben Sie daraufhin unternommen?«

»Das Verteidigungsministerium angerufen.«

»Okay, und was haben die veranlasst?«, erkundigte sich Roberto.

Hero deutete auf ihn und Trini.

»Die haben Sie beide geschickt.«

ZWEI

Die nächsten sechs Flugstunden verbrachten sie weitgehend schweigend. Als sie über die Westküste Afrikas flogen und es Nacht wurde, tat Trini, was sie auf dem Weg zu einer Mission immer tat: Sie schlief, wann immer es ging. Außerdem benutzte sie grundsätzlich jede verfügbare Toilette. Diese kleinen Dinge waren in ihrem Job wichtig. Die eigenen Bedürfnisse einzuschränken gehörte dazu. Hero hatte es irgendwann satt, Trinis Stiefel auf dem Sitz neben ihr anzuschauen, deshalb stand sie, als es im Flugzeug weitgehend dunkel war, auf, stieg über sie hinweg und ging hinüber zu Robertos Gangseite.

»Darf ich?«, flüsterte sie und deutete auf den freien Platz neben ihm. Er hatte nichts dagegen. Nicht im Geringsten. Er zog die Beine zurück, damit sie sich besser durchquetschen konnte, und sie machte es sich auf dem Sitz neben ihm so bequem wie möglich. Offiziell zog sie nur deshalb um, weil sie hier auch die Beine würde hochlegen können, doch das hätte der alte Platz auch hergegeben, wusste Roberto. Vielleicht hatte der wahre Grund auch etwas mit dem leicht verstohlenen Blickkontakt zu tun, den sie gehalten hatten, seit sie ihre Einführung beendet hatte. Doch zumindest psychologisch war es für ihn besser, davon auszugehen, dass sie einfach nur die Beine hochlegen wollte, auch wenn ihm völlig klar war, dass dem nicht so war.

Was man sich nicht so alles vormacht …

Die traurige Wahrheit war, dass Roberto an dieser Situation alles andere als unschuldig war. Er hatte sich sofort zu Dr. Hero Martins hingezogen gefühlt, und obwohl er nie aufs Ganze gegangen wäre, musste er einfach wissen, ob sein alter Charme noch funktionierte, wenn er ihn brauchte. Annie und er waren jetzt etwa drei Jahre verheiratet, und ihre Ehe hatte einen holprigen Start hingelegt. Im ersten Jahr hatten beide schrecklich viel zu tun gehabt, Annie war viel früher als geplant schwanger geworden, die Schwangerschaft war schwierig gewesen, weswegen sie vier oder fünf Monate lang hatte liegen müssen. Das wäre jedem schwergefallen, aber Annie war normalerweise ständig auf Achse. Sie war Journalistin und reiste für gewöhnlich sehr viel. Dieser Hausarrest hatte sich für sie wie eine Strafe angefühlt. Dann war das Baby auf die Welt gekommen, und es war, nun ja, eben ein Baby gewesen.

So viel zum Thema schöne Jahre. Wo waren die Jahre zu zweit, wo war die schöne Anfangszeit der Ehe, in der man seine Jugend, seine Freiheit und Schönheit und einander genoss, und überhaupt, wo war um Gottes willen der Sex geblieben? Roberto hasste es, ausgerechnet diesem Klischee zu entsprechen, der verheiratete Typ zu sein, der über sein nicht existentes Sexleben nach der Geburt des ersten Kindes lamentierte, aber trotzdem … Er war ein Mann in der Blüte seines Lebens. Im Augenblick fiel es ihm schwer, sich vorzustellen, dass er mit Annie bis zur Rente zusammenbleiben würde. Nicht so zumindest.

Aber er liebte sie und wollte sie nicht betrügen.

Also flirtete er. Wenn es darauf ankam, war er darin nie gut gewesen, aber irgendwie war es leichter, wenn es zu nichts führen sollte. Roberto war selbst überrascht, wie locker er an diesem Punkt seines Lebens mit attraktiven Frauen sprechen konnte und wie positiv sie auf ihn reagierten. Ein gefestigter, vergebener Mann Mitte dreißig, der mit beiden Beinen im Berufsleben stand, war etwas ganz anderes als ein Vierundzwanzigjähriger mit Aushilfsjob und Erektion, der keinen geraden Satz herausbrachte.

Er kam Heros Geschmack und Vorlieben genau entgegen. Seit dem Ende ihrer übermäßig langen, übermäßig anstrengenden Beziehung mit Max, einem etwa gleichaltrigen, promovierenden Kind im Manne, nach dem College, hatte sie ein gewisses Interesse an verheirateten Männern entwickelt. Das hieß nicht, dass sie sich automatisch zu ihnen hingezogen fühlte – damit wäre ja eine unmoralische Lust einhergegangen, etwas zu tun, weil es verboten war, nicht obwohl es verboten war. Nein, Hero hatte sich geistig mit verheirateten Männern auseinandergesetzt und dabei so etwas wie einen persönlichen Leitsatz entwickelt, der auf den offensichtlichen Vorteilen dieser Spezies beruhte, die sie während eines besonders langweiligen Kurses über Lasermikrobearbeitung sorgfältig in einem Notizbuch festgehalten hatte. Diese Vorteile, geordnet nach Wichtigkeit, waren:

1. Sie neigten zu erwachsenem Verhalten, denn sie hatten kein Problem mit der Veränderung von Lebenssituationen, was sich in ihrer Bereitschaft zu heiraten zeigte, und eine bestimmte Vorstellung von Partnerschaft, die per Definition Kompromisse und andere ergebnisorientierte Denkmuster umfasste.

2. Sie waren üblicherweise besser im Bett, nicht nur aufgrund der größeren Erfahrung, sondern durch die wiederholte Erfahrung mit derselben Frau, die unweigerlich dazu führte, dass sie ein Gefühl dafür entwickelten, wie man Lust bereitete und empfand, es sei denn, sie waren komplette Narzissten, was aufgrund von 1. aber meist nicht der Fall war.

3. Sie waren höflich, dankbar und ließen nicht alles überall herumliegen, weil sie zumindest einige Jahre der Erziehung durch eine Erwachsene hinter sich hatten, die nicht ihre Mutter war.

4. Sie mussten üblicherweise nicht allzu lange nach dem Sex weg, sodass sie abends noch arbeiten konnte.

5. Sie waren per Definition nicht an Monogamie interessiert, was ihr für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie einem Besseren begegnete, gewisse Freiheiten einräumte.

Hero wusste natürlich ganz genau, dass es viele, viele gegenteilige Argumente gab, die nicht gerade für den guten Charakter eines verheirateten Liebhabers sprachen, und auch die hatte sie säuberlich zusammengefasst, und zwar auf der gegenüberliegenden Seite ihres Notizbuchs:

1. Sie waren untreu.

Das galt auch für sie, und es war ihr bewusst. Sie betrog nicht ihre Liebhaber. Sie hatte nie mehrere Affären parallel – eine romantische Komplikation im Leben war ihr mehr als genug. Sie betrog ihrer eigenen Auffassung nach auch nicht die armen Ehefrauen, denn sie kannte sie nicht und hatte ihnen nie etwas versprochen. Sie betrog nur sich selbst, indem sie sich immer wieder mit Männern abgab, die, wie schon das Wesen ihrer Beziehung zu belegen schien, nicht fähig waren zu lieben.

Und doch saß sie hier, neben Roberto, in trauter Zweisamkeit, möglicherweise auf dem direkten Weg in die Katastrophe (Grüße ans Über-Ich) … dabei konnte es doch sicher nicht schaden, mit einem attraktiven Soldaten Mitte dreißig, der eindeutig auf sie stand, ein bisschen lebensbejahenden Small Talk zu machen? Die Tatsache, dass er einen Ehering trug, war in diesem Zusammenhang vollkommen irrelevant.

Während Trini schlief, legten Roberto und Hero die Beine auf die Sitze gegenüber, lehnten sich so weit zurück wie möglich und unterhielten sich im Flüsterton. Sie waren nicht müde – dafür sorgte die Spannung, die zwischen ihnen in der Luft lag –, also unterhielten sie sich über sein Leben, wobei sie seine Frau und sein Kind sorgfältig aussparten, und über ihres, wobei sie um ihre Affären mit Typen wie ihm einen weiten Bogen machten. Sie sprachen über ihre Arbeit und über seine, über die Gefahren, denen er sich stellte, und die exotischen, teilweise furchterregenden Orte, an denen sie auf der Suche nach neuen Mikroorganismen gewesen war. Während des Gesprächs rutschten sie in ihren Sitzen immer tiefer, und ihre Köpfe neigten sich einander unmerklich zu, und als es irgendwo über Kenia ein bisschen frisch in der Kabine wurde, stand Roberto auf, holte aus einem nahe gelegenen Aufbewahrungsfach ein paar raue Wolldecken, und sie kuschelten sich darunter.

Dann kratzte sie sich an der Nase.

Als sie die Hand wieder senkte, landete sie auf dem Sitz zwischen ihnen, und ihr kleiner Finger streifte die Außenseite seines rechten Oberschenkels. Er spürte es, und sie ließ den Finger da. Weitere zwanzig Minuten vergingen, zwanzig Minuten mühelosen, geflüsterten Geplauders, dem nicht einmal ein Hauch von Unschicklichkeit anhaftete. Dann machte er den nächsten Schritt, indem er sich anders hinsetzte, vorgeblich, um seine steifen Beine auszustrecken, aber als er sie wieder vor sich auf den Sitz legte, drückte sein Bein in voller Länge gegen ihres, und sie erwiderte den Druck fast augenblicklich. Beide sagten kein Wort. Beide kommentierten den neuen Zustand in keiner Weise. Hätte jemand ihr Gespräch belauscht, er hätte gedacht, es handle sich um zwei Kollegen aus leicht unterschiedlichen Arbeitsfeldern, die sich auf einem Kongress getroffen hatten und die unschuldigste, harmloseste, langweiligste Unterhaltung der Welt führten.

Aber sie nahm die Hand nicht weg, und beide hielten ihre Beine aneinandergedrückt. Sie wussten Bescheid. Sie äußerten es nur nicht.

Nach einer Weile streckte Hero sich und erhob sich. »Toilette.«

Er deutete nach hinten. Sie lächelte dankbar, schob sich aus der Sitzreihe und ging in den hinteren Bereich des Flugzeugs.

Roberto sah ihr nach. In ihm herrschte schon seit mehreren Stunden Panik. Er konnte nicht recht glauben, was gerade geschah. Keiner seiner relativ unschuldigen Flirts war bisher auch nur annähernd so weit gegangen, und es war, als rutsche er in Treibsand, aus dem er nie wieder herauskommen würde. Jede Bewegung, die er machte, sog ihn nur tiefer hinein, und wenn er sich nicht bewegte, war es noch schlimmer, dann setzte nämlich die Schwerkraft ein und zog ihn in die Tiefe.

Es gefiel ihm. Er war sauer, weil er zu Hause nicht bekam, was er wollte und was ihm zustand, und warum sollte er sich auch nicht auf diese Frau einlassen, dieses blitzgescheite, schöne Geschöpf, das so wenig von ihm verlangte, ihn so faszinierend fand und ganz eindeutig wirklich an ihm interessiert war? Was sprach dagegen, abgesehen von der Tatsache, dass es völlig falsch war? Oder vielleicht bildete er sich das alles auch nur ein. Vielleicht gab es für den Druck ihrer Hand und ihres Beins auch eine ganz einfache Erklärung und völlig unschuldige Gründe – um Himmels willen, wahrscheinlich war es ihr nicht einmal aufgefallen –, und sein hyperaktiver Geschlechtstrieb hatte seiner Vernunft wieder mal ein Schnippchen geschlagen.

Vielleicht bildete er es sich aber auch nicht ein und sehnte sich sogar danach. Vielleicht würde er aufstehen, nach hinten gehen, dort weiter mit ihr reden, und wenn sie den Blickkontakt zufällig ein paar Sekunden zu lange hielt, würde er sie küssen. Vielleicht würde er genau das tun. Vielleicht würde er auf der Stelle aufstehen und genau das tun.

Roberto ließ seinem Zorn gegen Annie freien Lauf, bündelte jedes Gramm rechtschaffener Empörung, das sich in drei frustrierenden Ehejahren angesammelt hatte, und erhob sich.

Da spürte er die Hand auf seinem Arm.

Er drehte sich um. Trini war wach, starrte zu ihm empor und hatte die Finger ihrer starken rechten Hand um Robertos linken Unterarm gelegt.

Roberto schaute auf sie hinunter und setzte eine Unschuldsmaske auf, die wenig überzeugend war. Trinis durchdringender Blick blitzte selbst im abgedunkelten Licht der Kabine.

»Setz dich, Roberto.«

Er öffnete den Mund, sagte aber kein Wort. Er war kein guter Lügner, sogar noch schlechter im Improvisieren, und statt etwas Dummes zu stammeln, schloss er den Mund einfach wieder und zuckte die Achseln, als wolle er sagen: Keine Ahnung, was du meinst.

»Setz dich.«

Roberto tat es. Trini beugte sich vor und legte ihm eine Hand in den Nacken.

»Das sieht dir nicht ähnlich, Mann.«

Roberto spürte, wie er rot anlief – Wut, Scham und unerfüllte Lust jagten im Eiltempo alles verfügbare Blut in sein Gesicht. »Das ist nicht deine Baustelle.«

»Dasselbe wollte ich dir gerade sagen.« Trini starrte ihn weiter an.

Roberto wandte den Blick ab. Er fühlte sich gedemütigt und wollte ihr dasselbe Gefühl vermitteln. Also wandte er sich wieder an Trini. »Eifersüchtig?«

Er hatte gemein sein wollen, und es war ihm gelungen. Er hatte ihr wehtun wollen und sein Ziel erreicht. Trini entgleisten leicht die Gesichtszüge, weniger aus verletztem Stolz als aus Enttäuschung.

Sie hatte ihre erste und einzige Ehe schon seit zehn Jahren hinter sich, und es war schon bemerkenswert, dass sie überhaupt geheiratet hatte. Die Ehe war nicht an den Reisen und der Geheimniskrämerei gescheitert, die ihr Job erforderlich machte, sondern an ihrer angeborenen Abneigung gegenüber anderen Menschen. Menschen waren im Grunde schon okay. Sie sah sie nur nicht gerne und hörte ihnen nicht gerne zu. Trini war jetzt seit zehn Jahren allein und mochte es so.

Sie hatte die Anziehungskraft, die Roberto gelegentlich auf sie ausübte, immer als rein biochemische Reaktion auf sein ziemlich überschätztes gutes Aussehen eingestuft. Trini mochte ihn, arbeitete gerne mit ihm zusammen und empfand große Bewunderung für seine Professionalität und die Tatsache, dass er keinen Small Talk mochte, aber sie hatte nie irgendwelche romantischen Gefühle für ihn entwickelt. Er war ihr Kollege. Ihr unglaublich gut aussehender Kollege. Selbst Menschen, die Süßes gar nicht mögen, bewundern gelegentlich ein Stück Schokoladenkuchen. So soll es auch sein: Der Kuchen muss lecker aussehen. Dasselbe galt für Roberto. Meist tat er das auch. Keine große Sache. Trini behielt es für sich.

Aber ’83 hatte sie einen Unfall mit ihrem Jeep gehabt und sich zwei Knochen im Lendenwirbelbereich gebrochen, eine besonders schmerzhafte Verletzung. Im Anschluss daran war sie von den Schmerzmitteln abhängig geworden, die der Arzt der Basis ihr großzügig verschrieben hatte. Am liebsten hatte Trini sie vor dem Schlafengehen genommen. Wenn sie eine Stunde vorher eine einwarf, glitt sie in einen watteweichen Opiatschlaf, in dem ihr nichts wehtat und sie darüber hinaus das Gefühl hatte, als könne ihr nie wieder etwas wehtun. Wann fühlte man sich im Leben schon mal so sicher?

Die Abhängigkeit war immer schlimmer geworden. Das war fast sechs Monate so gegangen, und nur Roberto hatte etwas bemerkt. Er hatte seine Freundin darauf angesprochen und dann unglaublich viel Zeit, Energie und emotionale Unterstützung investiert, um Trini zu helfen, wieder clean zu werden. Sie hatte darauf bestanden, das allein durchzuziehen, und Roberto hatte sich mit dem Versuch einverstanden erklärt. Gleich am Anfang, in einer von Trinis schlimmsten schlaflosen Nächten, hatte sie gezittert, geschwitzt und war in Panik geraten, und Roberto war zu ihr ins Bett gekommen und hatte sie festgehalten, hatte nur versucht, ihr da durchzuhelfen. Trini hatte irgendwann den Blick gehoben, Roberto gestanden, dass sie schon immer in ihn verliebt war, und Anstalten gemacht, ihn zu küssen. Roberto hatte es verhindert, seiner Freundin gesagt, sie solle die Klappe halten und endlich schlafen, und Trini hatte genau das getan.

So hatten sie die ganze Nacht nebeneinander geschlafen, ohne dass etwas passiert war. Roberto hatte Annie nie etwas davon erzählt, und auch er und Trini hatten nie wieder davon gesprochen.

Bis Roberto ihr hatte wehtun wollen.

Was ihm gelungen war.

Am anderen Ende des Flugzeugs öffnete sich die WC-Tür mit einem leisen Klicken. Hero kam heraus und kehrte zu ihrem Sitz zurück.

Trini wandte sich ab und streckte sich aus, um zu schlafen.

Roberto rutschte ans Fenster, legte ein Kissen und seinen Kopf dagegen, zog die Decke bis ans Kinn und tat, als schlafe er tief, als Hero zurückkam.

So flogen die drei weiter nach Australien, und auf ihnen allen ruhte eine größere Last als beim Einsteigen ins Flugzeug.

DREI

Die Schutzanzüge waren schrecklich unbequem, doch am schlimmsten war nach Trinis Auffassung, dass man nirgendwo eine Waffe verstauen konnte. Sie wedelte mit ihrer SIG Sauer P320 auf Hüfthöhe herum und bewegte hinter der Sichtscheibe ihres Helms unhörbar die Lippen.

Hero musterte sie stumm, noch immer irritiert von diesen Soldaten und ihrer mangelnden Erfahrung mit Vorfällen wie diesem. Sie betätigte die Knöpfe an der Seite ihres Helms, und ihre Stimme erklang knisternd in Trinis Headset.

»Bitte benutzen Sie das Funkgerät.«

Trini fummelte an der Seite ihres Helms herum, bis sie den richtigen Knopf gefunden hatte, und drückte ihn.

»Hat dieses verdammte Ding keine Taschen?«

Außerhalb von Kiwirrkurra hatten sie Schutzanzüge der Klasse A angelegt, komplett geschlossene Anzüge für Chemieunfälle, die über ein autarkes Beatmungssystem verfügten. Sie trugen außerdem Stiefel mit Stahlkappen, in deren Schäfte die Anzüge gesteckt waren, und spezielle chemikalienresistente Handschuhe. Nein, die Anzüge hatten keine Taschen, denn diese hätten ein verschwiegenes Eckchen gebildet, in dem sich alles Mögliche hätte einnisten können, was völlig kontraproduktiv gewesen wäre.

Hero beschloss, ein einfaches »Nein« sei eine angemessene Antwort auf Trinis mürrische Frage. Trini hatte nach der Landung in schneller Folge drei Zigaretten geraucht – sie hatte den ganzen Flug über Nikotinkaugummis gekaut und ein Nikotinpflaster getragen – und war angespannter als eine Stahlfeder. Hero hielt es für das Beste, Abstand von ihr zu halten.

Roberto wandte sich um und sah hinter sich in die endlose Weite der Wüste, die sie gerade durchquert hatten. Ihr Jeep hat eine gewaltige Staubwolke hinter sich hergezogen, und der Wind wehte jetzt in ihre Richtung, was bedeutete, dass die aufgewirbelten Sedimente der letzten paar hundert Kilometer ihnen jetzt um die Ohren flogen.

»Wir sollten besser anfangen, solange wir noch was sehen«, sagte er.

Sie wandten sich um und marschierten auf die Ansiedlung zu. Den Jeep hatten sie vierhundert Meter davor stehen lassen, und sie kamen in den Anzügen nur langsam voran, konnten aber am Horizont bereits Bauwerke erkennen. Kiwirrkurra war eine Ansammlung von maximal einem Dutzend einstöckiger, ungestrichener Gebäude. Dank des recycelten Holzes und der Pressspanplatten, die die Umsiedlungskommission den Einwohnern überlassen hatte, war ein bunter Flickenteppich entstanden. Für eine geplante Ansiedlung wirkte diese sehr ungeplant – nur eine von Gebäuden gesäumte Hauptstraße und ein paar weiter entfernt liegende Häuser, die möglicherweise von später Zugezogenen gebaut worden waren, die etwas Abstand zu ihren Nachbarn bevorzugten.

Die erste Auffälligkeit, der sie begegneten, war ein Koffer etwa fünfzig Meter vor der Stadt. Er lag mitten auf der Straße, prall gefüllt und geschlossen, als warte er geduldig auf seinen Flughafentransfer. Weit und breit war nichts und niemand zu sehen.

Sie tauschten Blicke und näherten sich dem Koffer. Dann standen sie darum herum und starrten ihn an, als erwarteten sie, dass er seine Geschichte und seine Absichten preisgab. Tat er aber nicht.

Trini ging weiter, die Waffe schussbereit vor sich.

Sie erreichten das erste Gebäude und erkannten beim Umrunden, dass es nicht vier, sondern nur drei Außenwände hatte, was in dieser überaus trockenen Umgebung nicht ungewöhnlich war, weil man beim Bau maximale Luftzirkulation hatte erreichen wollen. Sie blieben stehen und schauten hinein wie in ein Puppenhaus. Das Haus war in mehrere Bereiche unterteilt: eine Küche, ein Schlafzimmer, ein Bad (dieser Raum hat eine Tür) und am anderen Ende des Gebäudes ein weiterer winziger Schlafraum. In der Küche stand Essen auf dem Tisch, auf dem es vor Fliegen nur so wimmelte. Von den Bewohnern fehlte jede Spur.

Roberto sah sich um. »Wo sind denn alle?«

Genau das war die Frage.

Trini trat wieder auf die Straße hinaus und drehte sich vorsichtig im Halbkreis, um die Umgebung genau in Augenschein zu nehmen.

»Die Fahrzeuge sind noch hier.«

Sie folgten ihrem Blick. Richtig, in fast jeder Auffahrt stand ein Jeep, ein Motorrad, ein Pick-up oder eine alte Limousine. Wie auch immer die Einwohner die Ansiedlung verlassen hatten, gefahren waren sie nicht.

Sie gingen weiter, vorbei an den Überresten von etwas, das möglicherweise einmal ein Spielplatz gewesen war. Er lag mehr oder weniger im Zentrum der Ansiedlung. Eine alte Metallschaukel quietschte an ihrer Kette, als sie im Wind hin und her schwang, der jetzt den Sand und Staub der Wüste vor sich her in die Siedlung trug. Roberto drehte sich um und sah mit zusammengekniffenen Augen den herannahenden Wolken entgegen. Der Sand prasselte gegen sein Glasvisier, und es fiel ihm schwer, nicht zu blinzeln, obgleich dafür natürlich keine Notwendigkeit bestand.

Nach weiteren dreißig Metern hatten sie das andere Ende der Ansiedlung erreicht. Die Tür des größten Hauses war nur angelehnt, und Trini stieß sie mit dem Lauf der SIG Sauer ganz auf. Roberto bedeutete Hero, auf der Veranda zu warten, dann betraten er und Trini in einem geübten Manöver hintereinander das Haus.

Hero wartete davor und beobachtete die beiden durch die offene Tür und ein schmutziges Fenster zur Straße. Sie durchsuchten das Haus Zimmer für Zimmer, wobei Trini immer mit gezogener Waffe vorging. Roberto war der Gründlichere und vielleicht auch Wachsamere der beiden, er bewegte sich vorsichtig und in gleichbleibendem Tempo, ohne dabei je zu lange in dieselbe Richtung zu schauen. Hero bewunderte die Anmut und Leichtigkeit seiner Bewegungen, die selbst der sperrige Anzug nicht zunichtemachen konnte. Aber sie wusste auch, dass es da drinnen nichts gab, wovor man Angst haben musste. Bisher deutete alles darauf hin, dass es sich bei Kiwirrkurra um eine Geisterstadt handelte – dessen war sie sich bereits sicher, ehe Trini ein paar Minuten später herauskam und es offiziell verkündete.

»Vierzehn Häuser, zwölf Fahrzeuge, null Einwohner.«

Roberto stützte die Hände in die Hüften und entspannte sich ein wenig. »Was ist das für ein Mist?«

In diesem Moment erspähte Hero, weswegen sie gekommen waren. Am anderen Ende der Ansiedlung, vor einem der gepflegtesten der sehr bescheidenen Häuser, stand ein silberner Metalltank, der jüngst auf Hochglanz poliert worden war.

»Ich glaube, der stammt nicht von hier.«

Vorsichtig näherten sie sich dem Tank. Der Wind wehte jetzt heftiger, und der Staub in der Luft umtanzte die Häuser, erhob sich in Windsäulen vor ihnen, ehe er sich in Spiralen wieder zu Boden schraubte und verweht wurde. Die Sichtverhältnisse wurden immer schlechter.

»Halt.« Hero hob eine Hand, als sie noch drei Meter von dem Tank entfernt waren. Sie sah sich auf dem Boden um, so gut das angesichts des wirbelnden Sandes möglich war, und ging dann weiter, wobei sie vor jedem Schritt sorgsam den Boden absuchte.

»Gehen Sie in meinen Fußspuren.«

Sie gehorchten und folgten ihr im Gänsemarsch, wobei sie sorgfältig die Füße direkt auf ihre Stiefelabdrücke setzten.

Hero erreichte den Tank und kauerte sich nieder. Mit ihrem fachfraulichen Blick sah sie sofort den Pilzbewuchs. Ein ungeübtes Auge hätte nur einen Fleck auf der Wölbung des Tanks bemerkt, der farblich ein bisschen an Grünspan erinnerte. Der Tank war ohnehin nicht in bestem Zustand. Einen unkontrollierten Wiedereintritt aus dem All überstand nichts und niemand ohne Beulen. Aber für Hero war der unauffällige grünliche Fleck ein Warnsignal.

Trini sah sich um, die Waffe für alle Fälle immer noch im Anschlag. Sie ging ein paar Schritte auf das Haus zu, den Blick auf den Boden gerichtet. Dann blieb sie stehen und musterte das Gebäude, das sich nicht sehr von den anderen unterschied. Aber eine Sache fiel ihr auf … das Auto. Ein alter Dodge Dart parkte in einem merkwürdigen Winkel vor dem Haus, die Motorhaube ragte ganz dicht an eine der Säulen der Veranda heran. Sie hatte ein niedriges, geneigtes Wellblechdach, das von der Motorhaube aus leicht zu erreichen war. Nachdenklich hob Trini den Blick.

Derweil beugte sich Hero am silbernen Tank vor und zog die hinten an ihrem Gürtel angebrachte Box nach vorn. Sie ließ sie aufschnappen, entnahm ihr eine Lupe und drückte einen Knopf, um die Leuchten rings um den Rand des geschliffenen Glases einzuschalten. Durch die Lupe sah sie sich den Pilz genauer an. Er lebte tatsächlich und war florid, wie sie sogar bei dieser geringen Vergrößerung erkennen konnte. Sie beugte sich so weit vor, wie sie es wagte, und untersuchte ihn auf aktive Fragmentierung. Sie sah Bewegung und wünschte sich dringend ein Mikroskop, aber mehr als zwanzigfache Vergrößerung hatte sie nicht im Marschgepäck, was bedeutete, sie musste noch näher heran.

Über die Schulter warf sie Roberto einen Blick zu.

»Schieben Sie die Hand durch die Schlaufe des Anzugs zwischen meinen Schulterblättern.«

Roberto schaute nach unten. Der Anzug hatte auf dem Rücken eine eng anliegende vertikale Schlaufe, eine Art Griff, durch den mit Mühe und Not seine Finger passten. Er tat, wie ihm geheißen.

»Gut festhalten«, befahl sie. »Sie werden Zug spüren, aber lassen Sie nicht los. Wenn ich falle, ziehen Sie mich ruckartig nach hinten. Keine falsche Rücksichtnahme. Lassen Sie nicht zu, dass ich es berühre.«

»Alles klar.«

Er hielt sie fest. Hero stemmte die Füße in etwa dreißig Zentimetern Entfernung vor dem Tank in den Boden und beugte sich vor, um das Vergrößerungsglas und das Visier ihres Helms so dicht an die Oberfläche der Tankmitte zu bringen, wie sie nur konnte. Roberto hatte nicht mit so viel Vertrauen gerechnet, wie sie ihm offenbar entgegenbrachte, und schwankte ein wenig, als er plötzlich ihr gesamtes Gewicht halten musste. Aber er war stark und fing sich schnell, stellte sich etwas breitbeiniger hin und hielt sie ganz ruhig.

Heros Helm war nun nicht einmal mehr zehn Zentimeter von der Oberfläche des Tanks entfernt, sie stellte die Lupe auf maximale Vergrößerung und nahen Fokus und schaltete die Leuchten auf maximale Helligkeit.

Sie keuchte. Durch die Lupe sah sie selbst bei dieser geringen Vergrößerung eindeutig Fruchtkörper, die aus dem Myzel sprossen, Stängel mit Kapseln an der Spitze, randvoll mit Sporen, die darauf warteten, verbreitet zu werden. Das Myzel wuchs so schnell, dass man dabei zuschauen konnte.

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