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Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung

Als Buch hier erhältlich:

Kinder, Küche und Karriere? – Über Arbeitsteilung, Rollenbilder und gekippte Machtverhältnisse

»Das bisschen Haushalt« – diese unsäglich anstrengende, undankbare Aufgabe kostet viele Frauen bis heute den letzten Nerv. Egal, ob sie berufstätig oder »nur« Hausfrau (und Mutter) sind. Doch unter welchen ökonomisch-gesellschaftlichen Verhältnissen konnte sich überhaupt ein solches Rollenmodell etablieren, das Frauen nicht nur in finanzielle Abhängigkeit drängte, sondern enormen psychischen Belastungen aussetzte?

Evke Rulffes erzählt die historische Entwicklung der Hausfrau nach und zeigt, wo sich diese alten Verhältnisse trotz all der politischen Bemühungen um ein gleichberechtigtes Miteinander heute noch wiederfinden, wie sie uns prägen und beeinflussen: Warum haben vor allem Mütter das Gefühl, sie müssen alles alleine schaffen? Warum ist es ihnen unangenehm, sich Hilfe zu organisieren? Und warum bleibt selbst das Organisieren von Hilfe in der Regel bei ihnen hängen?

Pointiert, fundiert und erhellend zeigt uns die Autorin die historischen Gründe für unseren Gender-Gap und was die Erfindung der Hausfrau mit dem schlechten Gewissen der Mutter zu tun hat. Denn »Das bisschen Haushalt« kommt nicht von ungefähr …

Ein Plädoyer für mehr Gerechtigkeit und Wertschätzung von Care- und Hausarbeit


»Evke Rulffes zeigt in ihrem Buch "Die Erfindung der Hausfrau" das fehlende Bewusstsein für eine unverzichtbare Arbeit - und liefert amüsante Einblicke in die Alltagskniffe des 18. Jahrhunderts.« Marlene Knobloch, Süddeutsche Zeitung, 18.10.2021

»Ein sehr spannendes Buch.« Judith Heitkamp, BR2 Kulturwelt, 28.10.2021

»Präzise macht Rulffes deutlich, dass wirkmächtige Rollenbilder sich aus ideologischen Motiven entwickelten, zum Nachteil von Frauen.« Elisa von Hof, Der Spiegel, 30.10.2021

»[Es] lohnt sich das Buch zu lesen – Die Erfindung der Hausfrau – sehr interessant, sehr vielschichtig.« Kristin Hunfeld, Bremen Zwei, 31.20.2021


  • Erscheinungstag: 26.10.2021
  • Seitenanzahl: 288
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749902408

Leseprobe

Liebe geht durch den Magen

Der phänomenale Sonntagsbraten meiner Großmutter wurde grundsätzlich von Erbsen und Möhren aus der Dose begleitet. Für meine Großmutter war die Konservendose ein Segen. Nach ihrem Tod fanden sich Batterien von großen Weckgläsern mit undefinierbarem Inhalt im Keller, die dort seit den 1960er-Jahren verschmäht worden waren. Bis sie 40 war, hatte sie auf einem ostfriesischen Bauernhof gelebt, auf dem sie hart arbeiten musste – sobald sie den Hof geerbt hatte und verpachten konnte, zog sie mit ihren beiden Kindern aufs Dorf. Kühlschrank, Tiefkühltruhe und Konserven ersparten ihr die Plackerei des Einmachens und wurden gerne und viel genutzt.

Seit einiger Zeit lässt sich in der bürgerlichen Mittelschicht eine entgegengesetzte Tendenz beobachten. Fertiggerichte sind verpönt, Einmachen, Kochen und Backen en vogue. Dinge selbst herzustellen, kann sehr viel Spaß machen, das fertige Produkt erfüllt einen oft mit großer Befriedigung. Wenn es aber zum erwarteten Standard wird, kann das auch zu enormem Druck führen, wie ein Beispiel aus meiner näheren Umgebung zeigt: Im gutsituierten Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ist es üblich, zu Kindergeburtstagen mindestens vier Kuchen zu backen. Einen für morgens, einen für die Kita oder Schule und mindestens zwei für die Party. Auch nur einen davon zu kaufen, kommt einem Tabubruch gleich. Die selbst gebackenen Kuchen symbolisieren die Liebe für das Kind, in den Augen des sozialen Umfeldes ebenso wie in den Augen der Mutter – in der Regel ist es immer noch die Mutter, die diese Kuchen backt. Im 19. Jahrhundert sollten sich die bürgerlichen Ehefrauen noch die Liebe ihres Mannes erkochen, heute richtet sich diese von der Gesellschaft mit Argusaugen beobachtete und bewertete Liebe auf die Kinder.

Paare, die eine gleichberechtigte Partnerschaft führen wollen, stoßen schnell an ihre Grenzen, wenn Kinder geboren werden. Immer noch übernehmen die Frauen einen Großteil der Care-Arbeit. Das hat vielfältige, teilweise für Deutschland spezifische, historisch gewachsene Gründe. Im Hinblick auf die Kinderbetreuung scheint mir aber ein Punkt zentral zu sein: Ein tiefsitzendes schlechtes Gewissen beschleicht viele Mütter, wenn sie sich nicht ›genug‹ um ihre Kinder kümmern. In einer Zeit, in der wir dachten, von gesellschaftlichem Druck so frei wie noch nie zu sein, wachsen die Ansprüche an Mütter enorm (auch an die Väter, aber doch lange nicht so stark). Alle Lebensentwürfe von Frauen werden von Bewertung begleitet – ob sie sich für Kinder und Beruf entscheiden, oder dafür, zu Hause zu bleiben, oder in Teilzeit gehen und damit Altersarmut riskieren, oder sich gegen Kinder entscheiden (und sogar abtreiben) –, nichts scheinen sie richtig machen zu können. Ich will hier nicht in die Falle tappen, ein strukturelles Problem zu einem individuellen zu erklären (mach dich mal locker!), sondern der Frage nachgehen, woher der gesellschaftliche Anspruch an die Perfektion der Mutter kommt und wie er mit dem Modell der Hausfrau zusammenhängt. Die gegenwärtige Situation hat Mareice Kaiser in ihrem Buch Das Unwohlsein der modernen Mutter plastisch geschildert, ich kann die Lektüre nur empfehlen. Um sich von diesem Unwohlsein zu befreien, müssten Frauen aufbegehren. Aber hier scheint mir das schlechte Gewissen dazwischenzufunken, das Kinderbetreuung mit Liebe verwechselt. Der Ursprung dieser Verwechslung lässt sich ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen.

Außerdem hat mich immer schon die Frage umgetrieben, wie es bloß dazu kommen konnte, dass eine Arbeit (die Haus- und Care-Arbeit) mit einem Geschlecht und dem Familienstand (weiblich und in Partnerschaft / Mutter) verknüpft ist – und diese Arbeit dann auch noch gar nicht als Arbeit angesehen wird, weil sie nicht bezahlt wird. Und wie konnte sich dieses für viele Frauen lange Zeit alternativlose Konzept so völlig selbstverständlich und bis ins 20. Jahrhundert hinein unhinterfragt halten?

Ein Blick in historische Haushaltsratgeber kann zumindest ein bisschen zur Beantwortung dieser Fragen beitragen, denn die Ratgeber sind immer wieder von Hinweisen auf die Verteilung von Geschlechterrollen durchzogen, egal, ob sie explizit patriarchale Strukturen befürworten oder diese in subtiler Weise und wie nebenbei propagieren. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass diese Literatur nie die historische ›Wahrheit‹ wiedergibt, sie spiegelt vielmehr die Idealvorstellungen der Autor*innen und die jeweiligen gesellschaftlichen Normen, an deren Durchsetzung gearbeitet werden soll. An Kleinigkeiten wie Hygiene- und Erziehungstipps oder Rezepten lässt sich jedoch immer wieder auf das Alltagsleben der Zeit schließen, denn darum geht es ja in diesen Büchern.

Mein Professor Thomas Macho machte mich auf die Hausväterliteratur aufmerksam, ein Genre, das im 17. und 18. Jahrhundert enorm populär war, nur die Bibel wurde damals öfter verkauft. Diese Alltagsratgeber waren für große Landhaushalte geschrieben und boten neben Anleitungen zum Feldbau und Rat bei Tierkrankheiten auch Rezepte für Geheimtinte, oder wie mit diebischem Personal umzugehen ist. Sie richteten sich immer an das haushaltsführende Ehepaar, Hausmutter und Hausvater. Als ich unter den vielen skurrilen Titeln den einzigen sah, der ausschließlich die Hausmutter nannte, wurde ich neugierig: Die Hausmutter in allen ihren Geschäfften (17781781), verfasst von dem Brandenburger Landgeistlichen Christian Friedrich Germershausen. 1 Es war so erfolgreich, dass sich der Autor in allen folgenden Publikationen nur noch »Verfasser der Hausmutter« nennen ließ. Ich ahnte nicht, dass ich mir ein Werk mit fünf Bänden von je 800 bis 900 Seiten aufhalste (in Fraktur!). Doch das Ganze las sich einfacher, als ich dachte, und war sogar sehr viel lustiger als vermutet. Es war aber vor allem der Tonfall des Autors, der mich überraschte. In Schriften dieser Zeit, in denen es um die Position der Frau geht, wird erstens grundsätzlich über die Frau geschrieben, und zweitens fast immer in moralisierendem Tonfall (oder später idealisierend, aber auch moralisch). Nicht so die Hausmutter. Obwohl der Autor Geistlicher ist, spricht er seine Leserin auf Augenhöhe an, als Chefin des Betriebs. Das hat mich zunächst am meisten verblüfft. Erst beim näheren Lesen erschlossen sich auch moralisierende Stellen, die aber mit Humor und subtiler transportiert werden (nicht, dass das besser ist, aber auf jeden Fall ungewöhnlich).

Der Autor publizierte nur wenige Jahre nach der Hausmutter einen ebenso langen Hausvater, er ist damit der Erste, der die Anleitungsbücher nach Geschlecht trennt. Diese beiden Werke sind nicht nur in Hinsicht auf die geschlechtsspezifische Trennung der Arbeitsbereiche exemplarisch für die gesellschaftlichen Entwicklungen dieser Zeit, sondern auch in Hinsicht auf die Trennung von Haushalt und Landwirtschaft. Vor allem schrieben sie vor, wer wofür zuständig sein sollte: die Frau für den von nun an als ›privat‹ angesehenen Bereich, der Mann für den ›öffentlichen‹.

Allerdings ist die Frau des Hauses in der Hausmutter noch lange nicht mit der Hausfrau des späten 19. Jahrhunderts zu vergleichen, die auch unserem heutigen Verständnis nähersteht. Sie wird in diesem Buch als Betriebsleiterin angesprochen, die den Stand ihres Hauses repräsentiert und meistens über eine je nach Größe des Besitzes mehr oder weniger große Anzahl von Bediensteten verfügt. ›Hausmutter‹ ist zu dieser Zeit noch ein Herrschaftsbegriff. Sie trägt genauso wie ihr Mann zum gemeinsamen Vermögen bei, und das kann nur wachsen, wenn sie als Betriebsleiterin die absolute Kontrolle über Ausgaben, Personal und Arbeitsabläufe ausübt. Sie steht nicht selbst in der Küche, melkt Kühe oder wechselt Windeln, sie muss aber die Kochrezepte und die Wertung der Zutaten kennen, um die Zubereitung standesgemäßer Gerichte anzuordnen; sie sollte wissen, wie sich die Mägde beim Melken überwachen lassen, damit möglichst wenig Haare in die Butter gelangen oder damit nicht heimlich Milch abgezweigt wird; und sie sollte im Falle eines Brandes die Rettungsmaßnahmen für den Hausrat koordinieren können. Außerdem muss sie in der Lage sein, das Gut auch ohne ihren Ehemann zu führen.

Die Einstellung des Autors ändert sich allerdings eklatant im letzten Band, in dem es um Mutterschaft und Kindererziehung geht. Wurde Moral zuvor mithilfe von Humor vermittelt, wechselt jetzt der Tonfall – der Leserin wird ein schlechtes Gewissen eingeredet, wenn sie sich nicht wie eine ›gute Mutter‹ verhält, die Betriebsleitung wird auf einmal zur Nebensache erklärt. Hieran lässt sich die Entstehung des neuen Mutterbildes ablesen, das Ende des 18. Jahrhunderts in Preußen propagiert wurde, ein Mutterbild, welches das Bild von der Frau in der deutschen Gesellschaft stark prägen sollte. Die Verlagerung des gesellschaftlichen Drucks nach innen, der sich in Gestalt des schlechten Gewissens äußert, macht dieses Modell der Mutter bis heute so wirkmächtig.

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts sollten sich im Zuge der Aufklärung und beschleunigt von der Französischen Revolution die Strukturen der ständischen Gesellschaft nach und nach auflösen und den Weg für das aufstrebende Bürgertum frei machen. Germershausens Hausmutter erscheint mitten in einer von Unsicherheit geprägten Zeit, in der sich auch die ökonomische Ordnung stark veränderte, was die Ordnung der Geschlechter ins Wanken brachte. Die ›Kategorie Geschlecht‹ wird in der Folge wichtiger als die des Standes. Genau auf dieser Schwelle zur bürgerlichen, standesübergreifenden Trennung von eher männlichen und eher weiblichen Sphären ist die Hausmutter zu situieren, wenn sie diese Trennung nicht sogar befördert hat.

Das Konzept der bürgerlichen Hausfrau entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts. Bürgerliche Ehefrauen übernahmen immer mehr der Dienstleistungen, die vorher gegen Bezahlung ausgeführt worden waren (Stillen, Kochen, Kinderversorgung und – erziehung, Kleiderpflege und – herstellung, Einkaufen, Putzen etc.). Es galt als Zeichen von bürgerlichem Wohlstand, dass die Ehefrau nicht ›arbeiten‹ musste, was bedeutete, dass sie kein Geld verdienen durfte, weil es dem Ansehen ihres Mannes geschadet hätte. Die Übernahme der häuslichen Arbeit wurde zunehmend mit der Liebe zu Ehemann und Kindern begründet und eingefordert. Dazu trug auch das bürgerliche Ideal der Liebesheirat bei, das mit der Aufklärung und Romantik populär wurde: Da vordergründig nicht mehr aus rein ökonomischen Gründen geheiratet wurde, war die Ehefrau dazu verpflichtet, die häusliche Arbeit ohne Erwartung einer Gegenleistung als ›Liebesdienst‹ zu versehen. Während sich die männlichen Berufe in dieser Zeit professionalisierten, setzte bei den häuslichen Tätigkeiten eine Deprofessionalisierung ein – die Hausfrau und Mutter sollte letztendlich als Amateurin alleine alle Aufgaben übernehmen, die früher in einem stark arbeitsteiligen Haushalt verschiedenen Expert*innen überlassen gewesen waren.

Die Veränderung, die das Frauen- und Mutterbild Ende des 18. Jahrhunderts erfuhr, bildete die Voraussetzung für die Entstehung der Hausfrau. Der Blick auf diese Zeit bietet uns eine historische Perspektive auf unverändert aktuelle Themen wie der Verteilung von Erziehungs- und Care-Arbeit, ungleicher Bezahlung oder der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und er zeigt vor allem eines: Es war nicht immer so, und es muss auch nicht so bleiben.

1.
Vom Beruf zur Bestimmung

MEISTERINNEN, EXPERTEN- UND ARBEITSPAARE

Die Hausfrau ist eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts, die Hausmutter war sozusagen ihre Vorgängerin; doch auch die Hausmutter war nur ein Rollenmodell neben vielen anderen für Frauen vor der Zeit um 1800. Neben der Tatsache, dass zu vielen Zeiten nur ein Teil der Bevölkerung überhaupt verheiratet war, arbeiteten auch Ehefrauen in allen möglichen Berufen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Bild der ländlichen Hausmutter mit der bürgerlichen Ehefrau verknüpft und als Rollenmodell für alle Frauen propagiert, indem es zur ›natürlichen Bestimmung der Frau‹ deklariert wurde.

Das Konzept der bürgerlichen Hausfrau hat sich uns so nachhaltig eingeprägt, dass wir immer noch der Vorstellung anhängen, Frauen seien seit Urzeiten für den Haushalt (also für das Sammeln und nicht das Jagen) zuständig, während die Männer durch eine körperlich oder intellektuell stärker fordernde ›richtige‹ Arbeit für den Unterhalt der Familie sorgen (für Geld oder kalorienhaltiges Fleisch). Auch wenn diese Vorstellung heute an Bedeutung verloren zu haben scheint, greift sie doch nach wie vor oft massiv in unsere Lebensrealitäten und – entwürfe ein. Tatsächlich mussten Frauen immer schon mehr Tätigkeiten im Haushalt übernehmen als Männer, anders gesagt: Männer haben diese oft verweigert. Doch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein gab es nur wenige Menschen, die es sich leisten konnten, nicht zum gemeinsamen Haushaltseinkommen beizutragen, ob Frauen, Männer oder Kinder. Viele Betriebe waren Familienbetriebe und auf die unentgeltliche Mitarbeit aller Familienmitglieder angewiesen. Aber auch jedes zusätzliche, außerhalb des familiären Zusammenhangs erwirtschaftete Einkommen war nicht nur willkommen, sondern lebensnotwendig.

Die im frühen Mittelalter entstehenden Städte, die über eigene Stadtrechte verfügten, waren die ersten, die Frauen ein vom Vater oder Ehemann unabhängiges Bürgerrecht zusprachen. Das geschah vor allem auf Drängen der Kaufleute, die den Reichtum dieser Städte begründeten. Denn die Händler waren die meiste Zeit auf Reisen, unterdessen mussten ihre Ehefrauen die Geschäfte vor Ort weiterführen. So benötigten sie die Bürgerrechte etwa, um säumige Schuldner*innen vor Gericht verklagen zu können. Darüber hinaus mussten die Ehefrauen lesen und schreiben können – auch auf Latein, der damals internationalen Sprache –, und vor allem das Rechnen beherrschen. Die Kaufleute gründeten deshalb eigene Schulen, die auch ihren Töchtern offenstanden. Immerhin ließ jeder der deutschen Kleinstaaten seine eigene Währung prägen, sodass die Kaufleute nicht nur mit unterschiedlichen Preisen, sondern auch mit unterschiedlichen Zahlungsmitteln zu jonglieren hatten. Außerdem gab es unzählige verschiedene Maße und Gewichte, die im überregionalen und internationalen Handel ständig umgerechnet werden mussten. Frauen waren aktiv an diesen Geschäften beteiligt oder führten sie unabhängig von ihrem Ehemann. 2

Aber ohnehin waren selbstständige Handwerkerinnen, Händlerinnen, Ärztinnen oder Wirtinnen in den Städten des Mittelalters keine Seltenheit – mit oder ohne Ehemann. Nur etwa die Hälfte der Bevölkerung war überhaupt verheiratet, und aus städtischen Registern der Bewohner*innen geht hervor, dass es viele uneheliche Kinder gab. Als die mittelalterlichen Städte und Gemeinden immer größer wurden, musste die Bevölkerung effizienter organisiert werden. Der Haushalt als kleinste Einheit sollte die Verwaltung erleichtern. Der Haushaltsvorstand, bestehend aus Hausmutter und Hausvater, sollte das Sagen über die Haushaltsmitglieder haben – Kinder, unverheiratete Verwandte, Gesinde und die oft wechselnden Untermieter*innen. So verwandelte sich die Ehe im späten Mittelalter zunehmend in eine verbindliche Form der Beziehung von Frauen und Männern und gewann allgemeine gesellschaftliche Bedeutung. Allerdings existiert die statische Kernfamilie, wie wir sie kennen, eigentlich erst ab dem 20. Jahrhundert. In der Frühen Neuzeit waren Familienstrukturen immer dynamisch und nie statisch. Das ist schon angesichts der höheren Sterblichkeitsrate von Frauen, die nicht selten im Kindbett starben, keine überraschende Erkenntnis. Halb- oder Stiefgeschwister, Stiefmutter oder Stiefvater zu haben war die Regel, nicht die Ausnahme; Patchworkfamilien sind keine Erfindung moderner Gesellschaften. Es kam auch vor, dass ein Familienmitglied mit keiner oder keinem anderen Angehörigen der Familie blutsverwandt war. 3

In den wachsenden Städten schlossen sich die Handwerker*innen in Zünften zusammen, um ihre gemeinsamen Interessen im Machtgefüge der Stadt durchzusetzen. Die Zünfte regulierten unter anderem den Arbeitsmarkt und die Preise – heute würde man dazu Kartellabsprachen sagen – mit dem Ziel, den einzelnen Betrieben ein ausreichendes Einkommen zu sichern. Ausbildung und Prüfungen sollten die Qualität der handwerklichen Leistungen garantieren, zudem zahlten alle in eine gemeinsame Kasse ein, um Mitgliedern und deren Familien in der Not helfen zu können. Wer kein Zunftmitglied war, durfte den entsprechenden Beruf in einer Stadt nur mit der Sondergenehmigung des Stadtrates ausüben. Die Anzahl der Meister und Meisterinnen und damit der erlaubten Betriebe war begrenzt, um die Konkurrenz gering zu halten. Und als Konkurrenz wurden zunehmend auch die weiblichen Zunftmitglieder betrachtet.

DIE VERDRÄNGUNG DER FRAUEN AUS DEN ZÜNFTEN

In Köln zum Beispiel waren die Zünfte der Garnmacherinnen, Seidenweberinnen und Goldspinnerinnen ausschließlich weiblich besetzt. Für Frankfurt am Main sind für die Zeit von 1300 bis 1500 Durchschnittszahlen überliefert, die über das Geschlechterverhältnis innerhalb verschiedener Berufe Auskunft geben: 65 Berufe waren reine Frauensache (dazu zählte z. B. das Bierbrauen), bei 17 Berufen waren Frauen in der Mehrzahl, bei 38 war das Verhältnis von Frauen und Männern ausgeglichen, und 81 Berufe wurden von Männern dominiert. 4 Töchter aus dem Bürgertum erlernten einen Beruf, um als Witwe ihren Lebensunterhalt sichern zu können; nach der Heirat arbeiteten sie entweder im Geschäft ihres Mannes mit oder übten den erlernten Beruf unabhängig aus, manchmal stieg auch der Ehemann in ihr Geschäft mit ein. Das erlernte Wissen wurde zur Aussteuer gerechnet und konnte die Höhe der Mitgift verringern. Dienstmägde erhöhten folglich ihre Heiratschancen, indem sie eine informelle Ausbildung im Haus ihrer Herrschaft erhielten.

Mit dem Wachstum städtischer Gesellschaften im 15. Jahrhundert drängten immer mehr Gesellen auf den Arbeitsmarkt, was den Konkurrenzdruck noch verstärkte. Infolgedessen wurden die Frauen nach und nach aus vielen Zünften verdrängt. Denn so stark die Position der Handwerkerinnern in den Zünften auch gewesen sein mag, gleichberechtigt waren Frauen in der patriarchalen Gesellschaft nicht. Zunächst wurde ihnen in vielen Zünften die Mitgliedschaft verweigert, einzig Witwen blieb die Möglichkeit, alleine eine Werkstatt zu führen. Dann wurde die Dauer begrenzt, für die eine Witwe den Betrieb nach dem Tod ihres Mannes weiterbetreiben durfte – war dieser Zeitraum überschritten, musste sie sich mit einem Gesellen oder Meister aus der Zunft neu verheiraten, um ihre Tätigkeit fortsetzen zu können. Als Nächstes wurde Dienstmägden und schließlich auch den Meistertöchtern die Mitarbeit in der Produktion verboten, so wurden die Meister gezwungen, mehr männliche Lehrlinge einzustellen. 5

Die Regularien griffen stark in das ein, was man heute ›Privatleben‹ nennt: Viele Zünfte verboten den Gesellen, zu heiraten, was diese sich ohnehin nicht hätten leisten können. Da die Meisterstellen in einer Stadt begrenzt waren, um die Konkurrenz niedrig zu halten, stellte die Ehe mit einer Witwe oder Meistertochter, also das Einheiraten in eine schon existierende Werkstatt, für die Gesellen manchmal die einzige Möglichkeit dar, Meister zu werden. Auch hier konnten die Ausbildung und die Zunftrechte die Aussteuer einer Frau erhöhen. Die Meister andererseits mussten den Zunftordnungen zufolge verheiratet sein, weil die Ehe einen stabileren Lebenswandel versprach, aber auch, weil ein Geschäft allein nicht zu führen war. In den verschiedenen Zunftordnungen wurden unehelich geborene Anwärter nach und nach von einer Mitgliedschaft in der Zunft ausgeschlossen; ein Weber in Frankfurt klagte 1455 gegen seinen Ausschluss aus der Zunft, weil er eine unehelich geborene Frau geheiratet hatte. Er gewann vor Gericht und durfte bleiben, seine Frau aber durfte an den Zunftfeiern nicht teilnehmen. 6

Die Verdrängung der Frauen aus den Zünften geschieht nicht so gradlinig, wie es hier erscheint, sondern über mehrere Jahrhunderte hinweg und je nach Stadt und Zunft in sehr unterschiedlichem Tempo. Die Hälfte der Bevölkerung in den Städten lebt von der Hand in den Mund, 50 bis 80 Prozent des Einkommens muss für Nahrung ausgegeben werden, Rücklagen oder Vorräte anzulegen ist nicht möglich. In ökonomisch schwierigen Zeiten wie dem Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 mit seinen Verwüstungen, den Verheerungen durch Pestepidemien oder Missernten während der Kleinen Eiszeit 1570 bis 1700 versuchen die Wohlhabenden ihre Privilegien zu schützen. Damals wie heute gilt: Wenn es um Verteilungskämpfe geht, ob nun um Arbeitsstellen oder die Höhe des Lohns, ziehen Frauen sehr oft den Kürzeren. An den zentralen gesellschaftlichen Positionen sitzen zu dieser Zeit schließlich ausnahmslos ältere, wohlhabende Männer mit viel Einfluss, alle anderen sind von der Politik ausgeschlossen. Und noch eines zeigt sich schon hier: Einfluss nehmen lässt sich am besten in der Gruppe, gut vernetzt. Ob die Seilschaften nun Stadtrat, Zunft, Karnevalsverein, Lion’s Club oder Unternehmensvorstand heißen, die Strukturen, zu denen Frauen der Zugang verwehrt oder erschwert wird, haben eine lange Tradition, heute bilden sie das, was wir die gläserne Decke nennen. Ausnahmen von Frauen, die in ihrem Beruf erfolgreich waren, gab es auch nach dem 16. Jahrhundert immer wieder – diese waren aber oft abhängig von einem wohlhabenden und wohlwollenden familiären Netzwerk.

Eine weitere Tendenz prägte die Verdrängung von Frauen aus den Zünften des Spätmittelalters, die sich bis in die Gegenwart fortsetzt: die Dequalifizierung. In dem Moment, in dem ein Beruf sich professionalisiert und als lukrativ erweist, wird er für Frauen eingeschränkt. Illustrieren lässt sich das an der Erfindung des Strumpfstrickrahmens. Solange das Strumpfstricken eine ›freie Kunst‹ war und nicht viel einbrachte, durften Frauen es ohne Reglementierung ausüben. Zur neu gegründeten Zunft bekamen sie aber keinen Zugang. Wenn sie als Witwen das Gewerbe weiter ausübten, durften sie nur ohne Rahmen stricken, daran auch nicht ausgebildet werden und nicht auf dem Markt, sondern nur aus ihrem Haus heraus verkaufen; und selbst dieses Privileg durften sie nicht an ihre Töchter weitergeben. 7 Aber auch bei Berufen, die traditionell Frauen zugeschrieben wurden, übernahmen die Männer in dem Moment, in dem diese Tätigkeiten mit einer Machtstellung verknüpft waren, so arbeiteten in Herrschaftsbetrieben vor allem Köche und nur wenige Köchinnen. Frauen (vor allem Müttern) blieb und bleibt bis heute das Alltagskochen vorbehalten, und bis heute gibt es nur wenige Sterneköchinnen. Umgekehrt übernahmen Frauen Berufe, die an Prestige verloren. So wurde zum Beispiel der Sekretär von der Sekretärin abgelöst, als um 1900 die Schreibmaschine in die Kontore und Büros Einzug hielt. 8

Es wurde Frauen also zusehends schwer gemacht, in ihrem Beruf ohne Ehemann erfolgreich zu sein, und auch als Ehefrauen, die zum Familieneinkommen beitragen mussten, sahen sie sich immer mehr in Zuarbeiterpositionen mit geringen Einkommensmöglichkeiten verdrängt. Sie stellten Textilien in Heimarbeit her, arbeiteten in den entstehenden Manufakturen oder als Tagelöhnerin, wenn sie nicht als Ehefrau gemeinsam mit ihrem Mann einem Betrieb vorstanden.

DER ORGANIST IST EINE FRAU – SPRACHE UND GESCHICHTSSCHREIBUNG

Dass die Ehefrau als Teil des Arbeitspaares selbst in dieser Führungsposition in unserem kulturellen Gedächtnis nicht präsent ist, liegt nicht zuletzt an der Sprache: Dieses Expertenehepaar verbarg sich hinter der männlichen Berufsbezeichnung, wie auf den Illustrationen von Jost Amman zu sehen ist. In dessen »Ständebuch« aus dem Jahr 1568 zeigt der Holzschnitt »Der Schellenmacher« ein Ehepaar, und als »Der Organist« ist eine Organistin zu sehen. Die im Deutschen übliche Bezeichnung macht noch heute einen Unterschied; wenn von ›Ärzten‹ oder ›Juristen‹ die Rede ist, tauchen vor dem inneren Auge ausschließlich Männer auf. Das war in der DDR anders, dort war es aber im Gegensatz zur BRD auch völlig normal, dass Frauen Ärzte oder Baggerfahrer waren und sich auch als solche bezeichneten. Grundsätzlich ist die deutsche Sprache eine patriarchalische Sprache, in der die Allgemeinbezeichnung die männliche Form ist, das sogenannte generische Maskulinum, in dem Frauen sich mitgemeint fühlen sollen, es aber genau genommen nicht sind. In der Entwicklung von Kreolsprachen, bei denen zwei Sprachen aufeinandertreffen und sich zu einer entwickeln, gibt es am Anfang meistens eine Bezeichnung für beide Geschlechter. Wenn sich die Sprache etabliert, wird die zuvor neutrale Bezeichnung in patriarchalischen Gesellschaften nun für Männer und beide Geschlechter genutzt, für Frauen gibt es eine abgewandelte Bezeichnung. Der Mann hat das Anrecht auf die Allgemeinbezeichnung, die Frau wird als Abweichung von der Norm gesehen und mit einer eigenen Endung bedacht. 9 Die Entscheidung mancher Nachrichtensprecher*innen, die weibliche Form mitzubenutzen, ob ausgesprochen oder mit kurzer Pause vor dem »-innen«, macht einen riesigen Unterschied im öffentlichen Bewusstsein. Eine geschlechtergerechte Sprache verändert unsere Sicht auf die Welt, sie macht zum Beispiel Mädchen die Möglichkeit bewusst, auch Ingenieurin oder Bundeskanzlerin werden zu können, und bewahrt die historischen Leistungen von Frauen in unserem kulturellen Gedächtnis.

Das Verschwinden der Frauen aus der Geschichte liegt auch darin begründet, dass die universitäre Geschichtsschreibung in ihren Anfängen im 19. Jahrhundert ausschließlich von Männern betrieben wurde. Frauen wurden erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts allgemein zu Hochschulausbildung und Lehre zugelassen. So durften Frauen in Preußen seit 1908 studieren und ab 1918 selbst Lehrveranstaltungen abhalten. Lise Meitner, die in Wien Mathematik, Physik und Philosophie studiert hatte und 1906 dort promovierte, setzte ihre Experimente bei Otto Hahn in Berlin fort, durfte aber während der ersten zwei Jahre das Institut nur über den Hintereingang betreten und hatte keinen Zugang zu den offiziellen Arbeitsräumen. Es dauerte lange, bis sich Professorinnen etablieren konnten, denn in den Berufungsgremien sitzen zunächst nur Männer. Der Einfluss auf Stellenbesetzungen und Publikationsmöglichkeiten unterliegt der gatekeeper-Struktur. So fallen in der Geschichtsschreibung Frauenbiografien von in ihrer Zeit bekannten Naturforscherinnen, Künstlerinnen, Erfinderinnen und Schriftstellerinnen unter den Tisch und werden vergessen. Erst im Zuge der Neuen Frauenbewegung der 1970er-Jahre gelangte die Geschichtslosigkeit von Frauen ins Bewusstsein der Gesellschaft, zunächst zumindest ins Bewusstsein der Historikerinnen, die sich um die Sichtbarkeit der vergessenen weiblichen Lebensläufe bemühen, wie zum Beispiel die von Sophie von La Roche, Henriette Herz, Rahel Levin und anderen Intellektuellen um 1800. Die gelehrten Frauen sind in den Salons und in Briefwechseln wichtige Austauschpartnerinnen für prominente Dichter, Philosophen und Naturforscher der Zeit wie Goethe oder die Brüder Humboldt. Sie werden aber in deren veröffentlichten Schriften mit keinem Wort erwähnt und publizieren auch nur selten selbst, und dann oft anonym oder unter männlichem Pseudonym – publizierten sie unter eigenem Namen, hatten sie nur aufgrund ihres Geschlechts mit Gegenwind zu rechnen, der sich in der Ausdrucksweise mit einem heutigen Shitstorm vergleichen lässt. Sichtbarkeit, zeitgenössisch oder im Rückblick, ist nur durch den Zugang zur Öffentlichkeit, zu Publikations- oder Ausstellungsmöglichkeiten und Rezensionen gewährleistet.

© bpk

Jost Amman, Der Schellenmacher, 1568

© akg-images

Jost Amman, Der Organist, 1568

Es kommt hinzu, dass Historiker nur das erkennen, was ihr Weltbild zulässt, das zeigten in letzter Zeit besonders deutlich falsch gedeutete Ausgrabungen: Jahrzehntelang wurden mit Waffen begrabene Tote automatisch als Männer kategorisiert, weil die Archäologen es sich nicht anders vorstellen konnten. In den letzten Jahren wird dieses Vorurteil durch Knochenanalyse widerlegt: Auch Frauen wurden mit Waffen und anderen Machtinsignien begraben. Das gilt übrigens auch für die sogenannten Jäger- und Sammler-Gesellschaften. In ihnen beteiligten sich, wie man erst in neuerer Zeit herausgefunden hat, Frauen genauso an der Jagd wie umgekehrt die Männer am Sammeln. Und es ist eine Meldung wert, dass Ötzi Nähzeug dabeihatte, dabei ist es doch eigentlich logisch, dass Seemänner, Soldaten oder Gesellen auf Wanderschaft nähen und kochen können mussten. 10

HAUSARBEIT IN STADT UND LAND – NEUE VERHÄLTNISSE ZEICHNEN SICH AB

Durch den Dreißigjährigen Krieg und die immer wiederkehrende Pest hatten die vorher so reichen Städte stark gelitten. Ihr Wohlstand hatte sich aus dem Fernhandel gespeist – diese Handelswege waren durch den Krieg gekappt worden und blieben es. So kamen die geschwächten Städte unter die Herrschaft der absolutistischen Fürstentümer, wodurch auch eine von den Zünften unabhängige Wirtschaft entstand: Der Bedarf an Waren für die Repräsentation des Hofes war groß, und so wurden Luxushersteller*innen an den Zünften vorbei zu Hoflieferant*innen oder – handwerker*innen erklärt. Auch die Ausstattung der stehenden Heere erzeugte eine immense Nachfrage, sodass die Arbeitsverbote der Zünfte umgangen wurden. Nun fertigte die arme Landbevölkerung in Heimarbeit Textilien oder Garn für sogenannte Verleger an, die ihnen die Rohstoffe vorfinanzierten und die Produkte dann vermarkteten. Da die Heimarbeiter*innen nicht zu einer Zunft gehörten, unterstanden sie weder deren Schutz noch waren sie sozial abgesichert, sodass die Verleger ihnen lediglich Hungerlöhne zahlen konnten.

Auf der einen Seite ermöglichte der Absolutismus manchen Frauen, in ihrem Beruf erfolgreich zu sein, ob als Hoflieferantin, Künstlerin, Konditorin oder Handwerkerin, und in der Gunst des Hofes den Zunftzwang zu umgehen. Auf der anderen Seite hatte die neue Ordnung mit ihrem enormen Verwaltungsbedarf die Ausweitung einer Schicht zur Folge, in der Frauen keinen Anteil mehr am Beruf ihres Mannes hatten: der Beamtenschicht. Die absolutistischen Staaten brauchten eine Vielzahl von Beamten für die Organisation des Militärs, des Hofs, für die Grenzsicherung, die Erhebung und Eintreibung von Zöllen und Steuern, ganz abgesehen von Notaren, Stadtschreibern oder Richtern. Diese Art von Arbeit veränderte das Familienleben und die Position der Ehefrau. Der Beamte verließ das Haus, um im Büro oder im Gericht zu arbeiten, und ab einem bestimmten Einkommen gehörte es zu den Aufgaben seiner Ehefrau, den Haushalt repräsentativ zu führen. Dass bei den meisten das Einkommen dafür nicht ausreichte, ändert nichts an dem Umstand, dass ein repräsentatives Haus zu führen zum Ideal wurde, das es anzustreben galt. Auch wenn manche Frauen ihre Männer bei der Amtsführung unterstützten, war es auf keinen Fall vorgesehen, dass sie ihn, wie in anderen Berufen üblich, vertreten konnten. Der absolutistische Staat hatte eine neue Gesellschaftsschicht geschaffen, deren Beruf Arbeit und Familienleben so stark trennte wie nie zuvor. Die Töchter aus diesen wohlhabenden Beamtenfamilien wurden von Anfang an auf ihre Rolle als Ehefrau und Hausmutter vorbereitet.

Schon im 16. Jahrhundert hatte es als Zeichen von Wohlstand und bürgerlicher Ehrbarkeit gegolten, wenn die Ehefrau nicht zum Einkommen beitragen musste, dies wurde nun auch zu einem Ideal für erfolgreiche Handwerksbetriebe. Gleichzeitig bedeutete dieser Wohlstand einen sprunghaften Anstieg von repräsentativen Pflichten, die nun in den Bereich der Ehefrau fielen, wie das Organisieren von aufwendigen Mahlzeiten oder die Pflege der hochwertigen Einrichtung – der Fußboden aus Holz oder Stein benötigte eine andere Behandlung als ein gestampfter Lehmboden, von Teppichen ganz zu schweigen. Das Gleiche galt für das aus zerbrechlichem und kostbarem Material gefertigte Geschirr oder feine, empfindliche Textilien, deren Instandhaltung anspruchsvoller war, wie Glas, Silber oder Seide. Jeder soziale Aufstieg zieht einen Rattenschwanz an Arbeit und Folgekosten nach sich. Wir kennen das noch heute: das Silberbesteck und die teuren Gläser, die nicht in den Geschirrspüler dürfen, sondern per Hand abgewaschen werden müssen, oder die Bluse, die man nicht waschen kann, sondern nach jedem Tragen in die Reinigung bringen soll. Den Meisterehefrauen und – töchtern blieb bei steigendem Lebensstandard weniger Zeit für die Mitarbeit in der Produktion. Dazu kommt, dass sich der Aufwand der Hausarbeit nach den geltenden Reinlichkeitsvorstellungen bemisst, die sich (bis heute) je nach Zeit und Schicht ändern. Man kann demnach selbst für die oberen Schichten sagen, dass die Frauen nicht weniger gearbeitet haben, ihre Arbeit hat sich nur verlagert, und die Möglichkeit zum Geldverdienen wurde ihnen genommen. Dieser Prozess erfuhr über die Jahrhunderte immer neue Schübe, am stärksten durch die Industrialisierung und das starke Anwachsen der bürgerlichen Schicht im 19. Jahrhundert. Dazu später mehr.

Auf dem Land bietet sich ein anderes Bild: Hier waren Haushalt und Landwirtschaft länger untrennbar miteinander verbunden (auch wenn städtische Haushalte noch im frühen 20. Jahrhundert Tiere hielten und viele einen Gemüsegarten bestellten). Das Wort ›Ökonomie‹ bezeichnete bis ins 19. Jahrhundert hinein die Haus- und Landwirtschaft in Abgrenzung zur ›Technologie‹, die sich auf die Weiterverarbeitung von Bodenschätzen und landwirtschaftlichen Produkten in Manufakturen bezog. Die Wirtschaft stützte sich stark auf die produzierenden Haushalte. Die den Höfen vorstehenden Ehepaare waren die Motoren der Landesökonomie.

Auf dem Land war die Arbeitsteilung nach Geschlecht nicht unüblich, was sich vor allem darin äußerte, dass Knechte sich weigerten, bestimmte Aufgaben zu übernehmen, weil sie Frauenarbeit seien. Wann und wo etwas als Frauenarbeit oder als Männerarbeit gesehen wurde, variiert aber je nach Region, Zeit, Alter der Personen oder Stand und wurde sehr viel flexibler praktiziert als heute angenommen. Je ärmer ein Haushalt, desto mehr wurde angepackt, wo es nötig war; Kinder halfen überall mit, also spannen auch Jungen Garn oder arbeiteten in der Küche. Man könnte auch sagen: Je größer ein Hof, desto spezialisierter wurden die Arbeiten, und hier wurde stärker nach Geschlecht verteilt; in kleinen bis mittelgroßen Höfen konnte man sich das nicht leisten. Auch auf dem Land wurden Arbeitsgebiete, die sich professionalisierten, wie die Milchwirtschaft oder das Weben, oft von Männern übernommen und als spezialisierte Lohnarbeit besser angesehen. Auch auf dem Land aber galt ein Ehepaar als ›Arbeitspaar‹, dessen Aufgaben zwar unterschiedlich verteilt, jedoch als gleichwertig angesehen wurden, weil sie sich ergänzten. Frauen sorgten beispielsweise durch den Verkauf ihrer Produkte für Bargeld und nahmen infolgedessen eine wichtige Stellung in der familiären Ökonomie ein, oder sie übten als Ehefrau des Vogtes als ›Amtsehepaar‹ politischen Einfluss aus. 11

MÄNNERBÜNDE: DIE REFORMATION, DER HAUSVATER UND DIE ABWERTUNG DER EHEFRAU

Welche alltäglichen Aufgaben im ländlichen Haushalt zu bewältigen waren, kann man an einer sehr frühen Form der Ratgeberliteratur ablesen, den seit der Antike verbreiteten Ökonomiken und Vorläufern der Hausväterliteratur. Sie wurden durchweg von Männern geschrieben und boten Unterweisungen zum Führen eines Haushaltes. Das konnte alles Mögliche beinhalten: Kochrezepte, Bauernregeln zu Wettervorhersagen, Säe- und Erntezeiten, den Umgang mit Krankheiten von Tieren wie Menschen, Methoden der Konservierung von Nahrungsmitteln und, natürlich, Anleitungen zum Schnapsbrennen und Bierbrauen. In manchen Ökonomiken lässt sich ablesen, welche Rolle die Ehefrau übernehmen sollte – der griechische Philosoph Xenophon aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. etwa verwendet in seiner Hauswirtschaftslehre Oikonomikos als Vorbildfigur einen 30-jährigen Mann, der seiner 14-jährigen Ehefrau erklärt, welche Aufgaben sie im Haushalt zu übernehmen hat. Wohingegen der römische Agrarschriftsteller Columella 400 Jahre später in seinem Werk über die Landwirtschaft einen Band an die Verwalterin mit der Bemerkung richtet, dass die Ehefrauen lieber in der Stadt blieben, als sich um das Landgut zu kümmern (was er aber auch nicht zu erwarten scheint). Die Ökonomiken des Mittelalters sind vielfach pragmatisch geschrieben und richteten sich an den Hausvorstand, eine Rollenverteilung der Geschlechter findet sich in dieser Zeit eher in Ehelehren. Viele Autoren schrieben von ihren Vorläufern ab und kolportierten vor allem veraltetes Wissen. Die antiken Anleitungen, die in Europa verloren gegangen waren, fanden über den Umweg arabischer, persischer und hebräischer Übersetzungen wieder ins Lateinische zurück und wurden im 15. Jahrhundert auch in die deutschen Ökonomiken aufgenommen, ohne dass sie, allein schon wegen der unterschiedlichen klimatischen Bedingungen, praktisch anwendbar gewesen wären. 12

Auf diesem antiquierten Stand bewegte sich die hauswirtschaftliche Ratgeberliteratur, bis Johann Coler um 1600 sein sechsbändiges Hausbuch publizierte. Coler hatte sich auf den adeligen Landsitzen, wo er als Hauslehrer arbeitete, für die Landwirtschaft interessiert. Er berichtet, dass sein Vater bei der Umsetzung der antiken Schriften gescheitert sei und sich deswegen bei Bauern, Schäfern, Gärtnern und Weinbauern der Umgebung nach deren Methoden erkundigt habe. Coler brachte nun die praktischen Erfahrungen dieser Menschen und die seiner Mutter (und noch vieles mehr) zu Papier. Er will zwischen Gelehrten und Alltagswissen vermitteln, der Begriff der ›Erfahrung‹ wird zum Gütezeichen. Dass das alltägliche Wissen der Bauernschaft, des ›gemeinen Volks‹, ernst genommen und in Buchform gebracht wurde, war neu. Das Werk entwickelte sich zum Verkaufsschlager – es gab 51 Teil- und 15 Gesamtausgaben – und gilt heute als einer der wichtigsten Alltagsratgeber des 17. Jahrhunderts. 13 Coler begründete mit seinem Hausbuch ein neues Genre, das im Nachhinein als ›Hausväterliteratur‹ bezeichnet werden sollte. Es zeichnet sich im Gegensatz zu den Ökonomiken des Mittelalters dadurch aus, dass es religiös-moralische Anweisungen für das Verhalten der Hausbewohner und – bewohnerinnen gibt, was vor allem heißt, dass alle (auch die Ehefrau) dem Hausherrn untergeordnet sind und sich auch so verhalten sollen. Von der Ehefrau wird Gehorsam und Beistand verlangt, die Hierarchie von Mann und Frau auch schon mal mit dem Verhältnis von Gott und Mensch gleichgesetzt.

Der moralische Duktus der Hausväterliteratur ist undenkbar ohne die Reformation, die sich seit dem frühen 16. Jahrhundert durchzusetzen begann. Sie trug dazu bei, das häusliche und bäuerliche Leben aufzuwerten, unterwarf es jedoch zugleich der Pflicht zum christlichen Lebenswandel. Das richtige Leben nach christlichen, das heißt hier protestantischen Regeln gewann stark an Gewicht. Praktizierte Religion sollte nicht mehr nur etwas für den Klerus sein, sondern den Alltag durchdringen – der Alltag wird zum gelebten Dienst an Gott. Reformation und Gegenreformation verschärften den moralischen Zugriff von Kirche und Staat auf das Leben der Menschen. Galt im Mittelalter ein Paar als verheiratet, wenn es sich vor Zeugen das Eheversprechen gegeben hatte, wurde die Eheschließung nun eine kirchliche Angelegenheit, und der Staat versuchte in den folgenden Jahrhunderten durch Heiratsverbote die Demografie zu steuern.

Bei Luther bedeutet die Aufwertung der Familie zunächst die Aufwertung der Elternschaft: Der Herrschaftsanspruch des Hausstandes leitet sich aus dem Elternamt, dem Ehepaar ab, nicht aus dem des Hausvaters. Das lässt sich in der katechetischen Erläuterung des Begriffs ›täglich Brot‹ ersehen, in dem man »fromm Gemahl« in beide Richtungen lesen kann. Luther versteht unter ihm »alles, was zur Leibes Nahrung und Nothdurft gehört, [als] Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromm Gemahl, fromme Kinder, fromm Gesinde, fromme und treue Oberherrn, gut Regiment, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen«. 14 Bei den Begriffen Nahrung und Nothdurft geht es also um mehr als die Existenzgrundlage und ihre Erhaltung; es scheint um das gute, das angemessene Leben aus der Perspektive des herrschenden Ehepaares zu gehen, wenn zum täglichen Brot Besitz, frommes Gesinde und das für eine reiche Ernte notwendige gute Wetter gehören.

Gehörten Frauen zu Beginn noch zu den treibenden Kräften der Reformation, so wurden sie im Laufe des Jahrhunderts zunehmend in den Hintergrund gedrängt; auch die Ehe wurde hierarchischer gewertet und es kam zu einer Abwertung der Rolle der Ehefrau. 15 Die Hierarchie im Haus wird mit christlicher Weltanschauung gerechtfertigt: Die Frau soll ihrem Mann dienen. Verstöße dagegen sind dann gleich Verstöße gegen die göttliche Ordnung. Doch auch bei der biblischen Begründung kommt es auf die Einstellung des Übersetzers an – in der Hauslehre der lateinischen Version des Alten Testaments regiert die »mulier fortis« als selbstständige Herrin in ihrem Haushalt; für Augustinus, den einflussreichen Kirchenlehrer der christlichen Spätantike, repräsentiert sie damit die Kirche. Luther macht in seiner Übersetzung aus der »starken Frau« das »tugendsame Weib«. 16

Nach Beginn der Reformation sollte es ein Jahrhundert dauern, bis sich ein evangelischer Pfarrstand gebildet hatte. Zunächst wurden die Prediger aus allen möglichen Schichten rekrutiert, ihre Ehefrauen haben in der Regel hinzuverdient. Auf dem Land heiratete die erste Generation der evangelischen Geistlichen oft ihre Köchin oder eine Bauerntochter (mancher katholische Pfarrer wurde von seiner Haushälterin gezwungen zu konvertieren, um ihre Beziehung und die gemeinsamen Kinder zu legitimieren). Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurden nur noch ausgebildete Theologen berufen. Damit gehörten auch die evangelischen Geistlichen zur gebildeten oberen Schicht, die sich nun durch Heiratspraktiken gegen andere Schichten abschloss. Sie heirateten üblicherweise möglichst Pfarr- oder auch Beamtentöchter; eine Heirat mit einer Handwerkertochter galt im 17. Jahrhundert schon als sozialer Abstieg. Für die Pfarrfrauen war es nicht mehr vorgesehen, einen Beruf für Lohn auszuüben, sie sollten stattdessen ihren Mann unterstützen, indem sie den Haushalt führten (allerdings sorgten sie immer noch für die Bargeldeinnahmen des Haushaltes, indem sie für das Eintreiben der Abgaben zuständig waren). 17

Der Begründer der Hausväterliteratur, Coler, lehnte es zunächst explizit ab, eine Ehelehre in sein Hausbuch zu integrieren, er wollte sich auf das Wirtschaften konzentrieren. Auch die Aufgabenverteilung nach Geschlechtern spielt bei ihm noch keine große Rolle. Im Kochen beispielsweise hält er sich selbst infolge seiner umfassenden Recherchen für den besten Experten: »Nun hab ich mir auch ein Kochbuch zu schreiben vorgenommen/ davon ein guter Mann gesagt: als ers erstlich gesehen/ Ho/ das kann mir meine Köchin auch wol sagen: es ist wunder/ das ein solcher Mann mit solchen kindischen Possen umbgehen sol. Aber höre mein lieber guter Freund/ sey du in deinem Sinn so klug als du kanst/ so weis ich doch/ das du und deine Köchin so viel in dem Fall nicht wissen: als ich weis.« 18

In einer Neuauflage von 1602 aber stellte Coler dem ersten Band die sogenannten »Haustafeln« Luthers voran, in denen das christlich vorbildliche und geforderte Verhalten der einzelnen Stände und deren hierarchische Beziehungen festgelegt werden: Die Ehefrau wird als Gehilfin des Mannes definiert, die Kinder und das Gesinde haben sich unterzuordnen. Das war jedoch politisch motiviert; Coler nahm Partei für die Reformation und damit in einem Konflikt zwischen den Konfessionen, der sich immer weiter zuspitzen und 16 Jahre später in den Dreißigjährigen Krieg münden sollte. Coler kam aus einer lutherischen Streittheologenfamilie und hatte zu diesem Zeitpunkt gerade seine erste Pfarrstelle angetreten. Das lässt sich auch daran ablesen, dass in weiteren Auflagen die moralischen Passagen zunehmen; das Kapitel Von der Trunckenheit ist zum Beispiel länger als das über das Bierbrauen. Außerdem wird der Verfasser immer vehementer in seinen Seitenhieben gegen die katholische Kirche; posthume Verleger strichen diese Stellen wieder heraus, um das Buch überkonfessionell verkaufen zu können. Der moralische Duktus, der nach Coler fester Bestandteil der Hausväterliteratur werden sollte, gründete also ursprünglich in einer politischen Stellungnahme. Was allerdings Moral bedeutete, änderte sich im Laufe der Jahrzehnte. So wurden auch Colers recht freizügige Bemerkungen über Sexualität (bei Menschen und Tieren) gestrichen, ebenso anzügliche oder unflätige Anekdoten. 19

Die protestantischen Landgeistlichen konnten zunächst nicht wie die katholischen auf ein etabliertes Abgabensystem zurückgreifen. Für die Grundversorgung wurde ihnen ein Stück Land zur Verfügung gestellt, das sie mit ihrer Frau bewirtschaften sollten. In dem Moment, in dem diese Frau nicht mehr aus der bäuerlichen Schicht stammte, entstand der Bedarf an Anleitungsliteratur, die reales Wissen der Bauern und Bäuerinnen und humanistisch gebildete Theologen zusammenbrachte. Coler schrieb zunächst für seine eigenen Kollegen, unerfahrene Landpfarrer, die aus dem bürgerlich-städtischen Milieu stammten. Im Laufe der Zeit nahm er immer mehr Themen in sein Werk auf, um ein größeres Publikum zu erreichen – das Hausbuch wuchs auf 20 Bücher an. Neben Hauswirten, Ackerleuten und Apothekern spricht der Autor auch Handwerksleute, Kaufleute und Wandersleute an, außerdem explizit städtische Berufsgruppen, wie Laboranten und Barbiere; Themen wie Traumdeutung und Astrologie sowie ein Arznei- und Wunderbuch sind schon von Anfang an dabei.

Die zahlreichen Ratgeber, die unter der Bezeichnung ›Hausväterliteratur‹ zusammengefasst werden, sind sehr unterschiedlich, jeder Autor verfolgt seine eigene Agenda. Mal gibt es Anleitungen zum Hausbau mithilfe von Grundrissen oder zu den Methoden, die Grenzen der Ländereien abzustecken; mal juristische Hilfestellung oder einen Abschnitt über das Handlesen. Da das Jagen adeliges Privileg war, taucht dieses Thema nur bei adeligen Autoren auf, die Bienenzucht hingegen ist in allen Büchern ein Thema. Gemeinsam ist ihnen, dass sie es nicht bei spezialisierter Literatur belassen, sondern immer das große Ganze im Blick haben; das jeweilige Werk soll alles Wissen über den Haushalt und über alles, was nach Meinung des Autors dazugehört, bereitstellen. Die Publikationen sind unterschiedlich stark religiös ausgerichtet, tendenziell aber mehrten sich ab dem 18. Jahrhundert im Zuge der Aufklärung die säkularen Bücher, welche die »diesseitige Glückseligkeit« für wichtiger befanden als die jenseitige. Unterschiedlich ist auch die Einstellung gegenüber Frauen. Manchmal gibt es einen Teil, der die Hausmutter explizit adressiert, er beinhaltet meistens Kochrezepte, Anleitungen zum Konservieren von Nahrungsmitteln und das Arzneibuch. Coler zum Beispiel empfiehlt Hebammenbücher und betont die Erfahrung von Frauen bei Schwangerschaft und Geburt. Ein anderer Autor hingegen wettert 100 Jahre später gegen Hexen und Frauen im Allgemeinen, will Hebammen verbieten und nur noch ausgebildete Chirurgen die Geburt übernehmen lassen. Falls in den Ratgebern Aufgaben nach Geschlecht verteilt werden, fällt das je nach Autor sehr unterschiedlich aus. Grundsätzlich sind die Bücher immer an das Ehepaar gerichtet, in vielen Titeln tauchen auch die Hausmütter auf. 20

Die Vorgaben zu Ehe und Haushalt bildeten nicht die Realität der gesellschaftlichen Verhältnisse ab, sondern waren dazu da, die Lebensweise der Bevölkerung zu korrigieren. Die Umsetzung dieser Vorgaben stand auf einem ganz anderen Blatt. Hierarchien in der Ehe wurden durch das Vermögen oder andere Zugaben wie Zunft- oder Bürgerrechte beeinflusst, die der jeweilige Ehepartner einbrachte, und außerdem durch die soziale Stellung der Herkunftsfamilie. Der geforderte ›Gehorsam‹ der Ehefrau gegenüber dem Hausvater weist darauf hin, dass er in der Alltagswirklichkeit fehlte und somit erst eingefordert werden musste. 21

»DER GEMÜTHLICHE BEGRIFF DES GANZEN HAUSES« – EINE EINFLUSSREICHE FIKTION

Das Bild von bäuerlichen Lebensstrukturen, in denen der Hausvater der Herrscher in seinem Haus ist, hat im Nachhinein der Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl stark mitgeprägt. Er publiziert Mitte des 19. Jahrhunderts ein vierbändiges reaktionäres Manifest mit dem Titel Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, mit dem er gegen »den socialistischen Geist der Gleichmacherei« anschreibt. Das erste Kapitel des Bandes Die Familie, den er vor allem Frauen zur Lektüre empfiehlt, behandelt »Die soziale Ungleichheit als Naturgesetz«. Seine Beweisführung für die Naturgegebenheit der sozialen Ungleichheit beruft sich auf die von Gott geschaffene anatomische Ungleichheit der Geschlechter und den biblischen Befehl, die Frau solle dem Mann dienen. In diesem Sinne ist es ihm eine Herzensangelegenheit, die Frauen ins Haus zu beordern und so die Ordnung der deutschen Gesellschaft wiederherzustellen. Wenn man diesen Text liest, könnte man meinen, dass zu Riehls Zeit die Frauen völlig gleichberechtigt waren und es unzählige Politikerinnen, Professorinnen und Künstlerinnen gegeben hat, gegen die sich der Autor zur Wehr setzen musste: Das »massenhafte Aufsteigen weiblicher Berühmtheiten und ihr Hervordrängen in die Öffentlichkeit ist allemal das Wahrzeichen einer krankhaften Nervenstimmung des Zeitalters.« Wenn jedoch die »ganze Familie« und das »ganze Haus« erst wieder etabliert seien, würden die Frauen »nicht mehr fessellos und persönlich eigenherrisch in’s Weite schweifen wollen; sie werden ihre Seligkeit wieder darin finden, zu Hause zu bleiben«. Das richtete sich auch gegen die Einrichtung der Salons, in denen sich seit dem 18. Jahrhundert Intellektuelle trafen und die oft von gebildeten jüdischen Frauen geleitet wurden. Riehls eigene Frau war übrigens Sängerin, gab aber ihren Beruf, wie damals im Bürgertum nicht anders möglich, mit der Heirat auf. Seine Töchter wurden Malerin, Musikerin und Lehrerin. Er plädierte auch Ende des 19. Jahrhunderts noch gegen das Wahlrecht für Frauen und wollte stattdessen, um das Konzept der Familie zu stärken, Junggesellen nur eine halbe Stimme zusprechen.

Doch nicht nur die autoritären Strukturen zwischen Ehepartnern möchte Riehl stärken, auch von der demütigen Untergebenheit des Gesindes, das im Gegenzug in die patriarchalische Familienstruktur mit aufgenommen wird, zeichnet er ein idyllisches Bild. Der »freundliche, gemüthliche Begriff des ganzen Hauses« umfasse nicht nur die Familienmitglieder, sondern auch das Gesinde, die er »freiwillige Genossen und Mitarbeiter der Familie« nennt. Im ganzen Haus würde der »Segen der Familie« auch auf sonst familienlose Leute erstreckt, sie würden »wie durch Adoption in das sittliche Verhältniß der Autorität und Pietät« miteinbezogen. 22 Riehl sammelte seine Erkenntnisse auf Reisen, die er durch Deutschland unternahm, er gilt als erster, der durch die sogenannte ›teilnehmende Beobachtung‹ die Lebensweise der Bevölkerung untersuchte. Diese Methode bildet die Grundlage der modernen Ethnologie. Seine Gesprächspartner waren aber weder Bäuerinnen noch Knechte oder Mägde, sondern vor allem bürgerliche männliche Landbewohner mit Kontakten zur bäuerlichen Bevölkerung, wie Pfarrer, Beamte, Lehrer oder Ärzte. Durch diesen paternalistischen Filter wird die Realitätsferne, mit der Riehl seine Betrachtungen über das bäuerliche Zusammenleben aufschreibt, plausibel: Mägde und Knechte beispielsweise als »freiwillige Genossen und Mitarbeiter« zu bezeichnen, ist zu jeder Zeit realitätsfremd gewesen. Auch ist die Vorstellung, das Gesinde sei größtenteils ein Leben lang bei einem Arbeitgeber geblieben, historisch widerlegt; und den Gerichtsstreitigkeiten um nicht gezahlte Löhne beispielweise ist zu entnehmen, dass ein patriarchalisch-harmonisches Familienbild, der »freundliche und gemüthliche Begriff des ganzen Hauses“, reine Projektion ist. 23

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