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Freunde lieben. Die Revolte in unseren engsten Beziehungen

Als Buch hier erhältlich:

Warum wir Freundschaft neu denken müssen

Freundschaft und Sex passen nicht zusammen. So behaupten es zahllose Beziehungsratgeber, romantische Filme und oft auch das eigene Umfeld. Dennoch suchen immer mehr Menschen nach friends with benefits. Traditionelle Familienbilder und das Ideal der einen großen Liebe scheinen mit Erwartungen und Ansprüchen völlig überfrachtet.

Ole Liebl blickt auf die Entwicklung und Praxis dieser ungewöhnlichen Beziehungsform. Dabei geht er auf ihre emotionalen und ethischen Konflikte ebenso ein wie auf ihre utopischen Potenziale: Gibt es wirklich kein Entkommen vor der romantischen Norm und ihren Besitzansprüchen? Unterliegen unsere Intimbeziehungen bloßen Marktmechanismen? Welche sexistischen Narrative prägen unsere Vorstellungen von Freundschaft und woher kommen sie? Gibt es eine freundschaftliche Erotik? Und auf welche Weisen erlauben wir uns, freundschaftlich zu lieben?

Radikal, kritisch und visionär zeigt Ole Liebl, wie wir Freundschaft neu denken und zu einem gerechteren Miteinander finden können: selbstermächtigend, tabubefreit und zutiefst vertraut.


»Ein ermutigendes, wichtiges Buch!«

Şeyda Kurt, Autorin des Bestsellers »Radikale Zärtlichkeit«



  • Erscheinungstag: 16.02.2024
  • Seitenanzahl: 256
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365006283

Leseprobe

1.

EINE UNMÖGLICHE BEZIEHUNG

Sally: Wir werden nur Freunde sein, okay?

Harry: Toll! Freunde! So ist es am besten! Du weißt, dass wir nie Freunde sein können.

Sally: Warum nicht?

Harry: Männer und Frauen, und das ist bestimmt keine Anmache, können keine Freunde sein, weil ihnen der Sex immer in die Quere kommt.

Wenn uns Harry und Sally in der gleichnamigen Liebeskomödie von 1989 eines lehren, dann das: Freundschaft und Sex können nicht zusammen funktionieren. Vor allem nicht zwischen heterosexuellen Männern und Frauen. Die Sache mit dem Sex kommt immer dazwischen und macht die Freundschaft zunichte. Aber muss das so sein? Schon lange vor dem Film wird dieser Behauptung widersprochen. Inmitten der Goldenen Zwanziger bringt der US-amerikanische Sozialreformer Ben Lindsey sein Skandalbuch Die Kameradschaftsehe 1 auf den Markt. Erstmals wird eine breite Öffentlichkeit über das »unmögliche« Beziehungsmodell 2 der Freundschaft plus (F+) informiert. Ein ganzes Kapitel des Buches widmet Lindsey der einvernehmlichen ehelichen »Untreue« samt »intime[r] Freundschaft[en]« 3 . Das Werk entwickelt sich auch in Deutschland zu einem Kassenschlager, Zehntausende Exemplare gehen über die Ladentheken. Entgegen der herrschenden Moral vertritt Lindsey die Haltung, dass außereheliche Sexualkontakte nicht notwendigerweise die innige Liebe der Eheleute beeinträchtigen, im Gegenteil: Er kenne sogar Ehepaare, »die in diesem Punkte einig sind und die ihre Ehe auf dieser Basis führen« 4 .

In einem Dialog mit dem Autor schildert die bürgerliche »Frau Blank«, wie Lindsey sie nennt, in aller Ausführlichkeit ihre freizügige Ehe. Sie weiß genau, dass ihre Beziehung nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht, aber sie beruhte auf einer freiwilligen Vereinbarung mit ihrem Ehemann und sei deshalb legitim. Hoch reflektiert gibt sie die Bedingungen ihrer »unschuldige[n]und natürliche[n] Verbindungen« 5 an: Sie sei wohlhabend, und deshalb von ihrem Mann ökonomisch unabhängig. Durch Dienstboten und Kindermädchen habe sie genug Zeit und Muße – »Zeit, um Dummheiten zu machen, würden Sie vielleicht sagen« 6 . Dass Verhütungsmittel und weibliche Lust in solchen Ehen und für solche »intimen Freundschaften« eine Selbstverständlichkeit darstellen, entsetzt zahlreiche Konservative. Lindsey sieht sich jahrelang anhaltenden, massiven Anfeindungen ausgesetzt. 7 Die Zeit ist noch nicht reif für seine progressiven Ideen. Eine Kostprobe des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland: Nur wenige Jahre vor Lindseys »Kameradschaftsehe« spricht der Berliner Nervenarzt Siegfried Placzek über Sex unter Freund:innen als eine der »seltsamsten Monstrositäten sexueller Irrwege« 8 . In den folgenden Jahrzehnten gerät die Idee der F+ unter den Tumulten der Wirtschaftskrise und dem Grauen des Zweiten Weltkriegs in Vergessenheit.

Erst im Windschatten der 68er werden Freundschaft und Sex erneut zusammengedacht. Wieder in einem Eheratgeber, wieder in einem Bestseller aus den USA, diesmal mit dem Titel Open Marriage 9 (1972). Das Autor:innenpaar Nena und George O’Neill entfaltet in einem der kürzesten Kapitel des Buches »Liebe und Sex ohne Eifersucht« 10 einige höchst provokante Gedanken. Es sind Passagen, welche die »offene Ehe« zum Begriff für alle sexuell nicht exklusiven Ehen machen. Die O’Neills schlagen nicht nur vor, dass Ehepartner:innen Freund:innen des anderen Geschlechts haben sollten, sondern unterbreiten auch die Möglichkeit der sexuellen Intimität mit diesen. Bei Freund:innen handelt es sich um mehr als bloß unverbindliche Bekanntschaften. Deshalb sollte in diesen besonderen außerehelichen Kontakten die gleiche Aufrichtigkeit und der gleiche Respekt herrschen wie in allen anderen engen Beziehungen, inklusive die de:r eigenen Partner:in. 11 Die O’Neills machen allerdings auch klar, dass die Grundlage einer freundschaftlichen Sexualität eine stabile, gut entwickelte Partnerschaft sein muss. Den letzten Schritt, dass das sexuelle Miteinander ein ganz normaler Ausdruck von Freundschaft sein kann, unabhängig von bestehenden romantischen Beziehungen, gehen sie nicht. Ebenso wie Die Kameradschaftsehe gerät auch ihr Beitrag zur Beziehungsform der F+ in Vergessenheit und findet keine kulturelle Beachtung im heterosexuellen Mainstream, bis die 90er anbrechen.

Gemessen an der kurzen Zeitspanne bis zur Gegenwart ist es umso erstaunlicher, wie weit verbreitet sexuelle Freundschaften heutzutage sind. Jeder dritte in Deutschland lebende Mensch kann sich eine F+ vorstellen, 12 bei den unter 30-Jährigen hat jede:r vierte Erfahrungen damit gemacht. 13 In der US-amerikanischen und kanadischen Forschung der letzten Jahre, bei der vor allem junge Menschen zwischen 18 und 22 Jahren befragt wurden, gaben im Durchschnitt 40 Prozent an, schon mal eine F+ geführt zu haben. 14

Was ist da passiert? Wie vollzog sich der Wandel heterosexueller Beziehungen und heterosexueller Geschlechterverhältnisse, um so etwas wie die F+ überhaupt zu ermöglichen? Wie konnte die neuartige Beziehungsform derart schnelle Verbreitung finden? Natürlich spielen Medien eine zentrale Rolle. Eine der ersten filmischen Beispiele der F+ wird im Jahr 1991 in der Sitcom Seinfeld ausgestrahlt. 15 Da die Bezeichnung »F+« bzw. im Englischen »friendship with benefits« zu der Zeit nicht existiert, geht die ganze Folge um die Aushandlung dessen, wie diese Beziehungsform auf eine Formel oder einen Begriff gebracht werden könnte. Unter dem Episodentitel The Deal sitzen die Freund:innen Jerry und Elaine in Jerrys Wohnung und zappen durch das Fernsehprogramm. Ein zufällig eingeschalteter Softporno-Channel bringt das delikate Thema auf, dass beide schon seit Ewigkeiten nicht mehr gevögelt haben. Sie schauen einander an – und erwägen sich erstmals als mögliche Sexualpartner:innen. Damit die Freundschaft hierdurch nicht in Mitleidenschaft gezogen wird, definiert Elaine im Voraus klare Regeln: 16

  1. No call the day after that: Zwischen den beiden findet am Tag nach dem Sex kein Kontakt statt, um sich nicht verpflichtet zu fühlen, anzurufen und nach dem Befinden zu fragen. Der emotionale Umgang und die gemeinsame Sorge füreinander werden also beschränkt, sobald es zum Sex kommt: wahrscheinlich, um eine klare Grenze zwischen Freundschaft und romantischer Beziehung zu ziehen.

  2. Spending the night is optional: Um sich nicht dem Zwang zu beugen, nach dem Sex unbedingt beieinander zu schlafen, ist es immer möglich, danach zu verschwinden.

  3. Good night kisses are bourgeois: Diese Regel wirkt der Form nach erst mal nicht wie eine Regel. Aber im Gewand der Ablehnung des Spießertums verbietet sie auf spöttische Weise die Gewohnheit körperlicher Zärtlichkeiten nach dem Sex.

Die Regeln zielen allesamt darauf ab, Verpflichtungen, Zwänge und Gewohnheiten einer gelebten Beziehung zu unterlaufen. Sie atmen den Geist der Unverbindlichkeit. Aber natürlich ist die Sache nicht so klar und vernünftig, wie sie noch während des Gesprächs scheint. Elaine kann die Freundschaft (mit oder ohne Sex) nicht ohne Weiteres fortführen, am Ende der Folge werden die beiden ein Paar.

Dass Liebe, Sex und Freundschaft zumindest in einem konfliktbehafteten Verhältnis stehen, zeigt auch die eigentliche Begriffsschöpfung der »friendship with benefits« (heute in der Regel abgekürzt als: FWB). Der Beziehungsforscher Paul Mongeau datiert sie auf 1995, als Teil des US-Nummer-eins-Hits Head Over Feet der Sängerin Alanis Morissette. 17 Sie besingt einen Freund, in den sie sich – wahrscheinlich aus einer Freundschaft heraus – schwer verliebt hat. Mitten im Song taucht es dann auf:

You’re the best listener that I’ve ever met

You’re my best friend

Best friend with benefits

What took me so long?

Da der Absatz von Versen wie »Your love is thick and it swallowed me whole«, »I’ve never wanted something rational« und »And don’t be surprised if I love you for all that you are« umrahmt ist, lässt sich die rhetorische Frage am Ende des zitierten Absatzes, wofür Morissette so lange gebraucht hat, eigentlich nur auf eines beziehen: warum sie nicht früher realisierte, dass sie verliebt ist. Durch den Pop populär gemacht, beginnen Sexualwissenschaftler:innen zunehmend, das Phänomen zu untersuchen. Doch auch in den folgenden 15 Jahren bleibt es kulturell vergleichsweise ruhig um die friendship with benefits, bis 2011 gleich zwei Kinofilme über F+ erscheinen, die sie auf ihre jeweils eigene Art zum Thema machen.

Eigentlich sollten beide Filme Friends with Benefits heißen – letztlich setzte sich der Titel für die Produktion mit Justin Timberlake und Mila Kunis in den Hauptrollen durch. Auf Deutsch wurde daraus etwas hölzern, aber präzise: Freundschaft mit gewissen Vorzügen. Die Konkurrenzproduktion mit Ashton Kutcher und Natalie Portman lenkte ein und wurde zu No Strings Attached umbenannt. Den Titel übersetzte Christine Roche für den deutschen Markt mit Freundschaft plus. Die »F+« geht in der Tat auf die Übersetzung dieser Romantic Comedy (Romcom) zurück – und Christine Roche darf als ihre Schöpferin gefeiert werden. 18

Natürlich spielt der Begriff »Freundschaft plus« auf Freundschaft plus … Sex an, wobei der Sex nicht explizit genannt wird. Das könnte eine Frage der Scham oder des Anstands sein, vielleicht wäre es auch einfach zu obszön und sprachlich wenig elegant, wenn ich sagen würde: »Wir führen eine Freundschaft plus Sex.« »Freundschaft plus« klingt hingegen wie eine Marke, eine besondere Beziehung, die sich nicht in traditionelle Kategorien einsortieren lässt. Der Sex wird allerdings sprachlich von der Freundschaft abgetrennt. Hier unsere Freundschaft, dort unser Sex. Das klammert eine mögliche Vertiefung einer Freundschaft durch den Sex begrifflich aus. Deshalb spreche ich neben der Freundschaft plus/F+ auch immer wieder von sexueller Freundschaft (oder freundschaftlicher Sexualität).

Die Beschäftigung mit Romcoms lohnt sich, weil sie als politisch völlig unkritische Filme eine Beziehungsideologie in Reinform hervortreten lassen, die das Bild von sexuellen Freundschaften reichweitenstark prägen. Es ist eine Ideologie, welche die romantische, monogame, heterosexuelle Partnerschaft als die unangefochtene Spitze aller intimen Beziehungen inszeniert, unter der alle anderen Formen der romantischen oder sexuellen Freundschaft verblassen.

Der erste, strukturelle Unterschied zwischen den beiden Romcoms ist, dass Friends with Benefits von drei Männern geschrieben wurde, während das Drehbuch von No Strings Attached aus der Feder einer Frau, Elizabeth Meriwether, stammt. In beiden Filmen sind die Hauptdarstellerinnen beruflich erfolgreich: Mila Kunis alias Jamie ist eine executive headhunter (eine Personalabwerberin für Posten der Geschäftsführung), Natalie Portman alias Emma eine Allgemeinmedizinerin. Während im Film der Männer auch der männliche Protagonist als frischgebackener Artdirektor des Männermagazins GQ beruflich erfolgreich ist, arbeitet Ashton Kutcher alias Adam als Produktionsassistent beim Film – eigentlich ein typischer »Frauenjob«. Gleichzeitig sind alle seine Vorgesetzten Frauen.

No Strings Attached spielt also komödiantisch mit dem Geschlechtertausch: Die Figur Emma ist grundsätzlich die Starke, Emanzipierte, emotional Distanzierte und wird damit stereotyp männlich porträtiert. Der erste Satz nach dem ersten Mal zwischen den beiden kommt von ihr: »We’re not gonna tell anyone about it.« Und der zweite: »It’s easier this way.« Bei dem nächsten Treffen lehnt sie Kuscheln ab. Adam bemüht sich unbeholfen, seine durchaus emotionale Zuneigung zum Ausdruck zu bringen, und würde auch gerne tagsüber etwas unternehmen – was sie strikt ablehnt. Er übernimmt in Sachen Gefühle die stereotyp eher weibliche Rolle. Somit fällt es Emma zu, in einem bezeichnenden Gespräch die Grenzen jener Beziehung wie folgt zu definieren:

Emma: Willst du das wirklich tun?

Adam: Was tun?

Emma: Uns nur zum Sex treffen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Nichts anders.

Adam (überlegt, lächelt verlegen): Ja, das kann ich machen.

Emma (lächelt): Gut.

(Verlassen das Haus.)

Adam: Das kann nicht funktionieren.

Emma: Warum nicht?

Adam: Weil du dich früher oder später in mich verliebst.

Emma: Ach, wirklich? Gut, dann machen wir es so lange, bis einer von uns mehr empfindet, und dann hören wir auf.

Der offensichtlichen Hommage an Harry und Sally folgen einige Sexszenen. Wieder ist es Emma, die weitere ground rules einfordert: kein Streit, keine Lügen, keine Eifersucht, keine intensiven Blicke, einander nicht als Notfallkontakt einspeichern. Er hat nur eine Regel: Sie soll seinen Penis nicht »süß« nennen. Die Dramaturgie des Films zielt darauf ab, dass Adam nach und nach alle Regeln bricht, was von Emma natürlich sanktioniert wird. Der unvermeidbare Streit mündet darin, dass Adam ihr seine Liebe gesteht. Er hält es nicht mehr aus, bricht die Beziehung ab. Während er im Nachgang beruflich Erfolge feiert, versinkt sie in Depressionen, weil sie sich ihre Gefühle, die sie wohl doch die ganze Zeit hatte, nicht eingestehen wollte.

Als sie endlich den Mut zusammennimmt und Adam anruft, gibt er ihr einen Korb. Am dramatischen Höhepunkt finden die beiden doch zusammen. Emma erklärt ihr Verhalten wie folgt: »Ich weiß nicht, warum ich so viel Zeit damit verschwendet habe, so zu tun, als wäre es mir egal. Ich schätze, ich wollte mich nicht so fühlen. Es tut weh.« 19 Damit ist die Geschlechterordnung wiederhergestellt: Der Mann sonnt sich im ökonomischen Hoch, die Frau steht endlich unter dem unausweichlichen Einfluss ihrer Gefühle – und außerdem hat der Typ zuletzt doch recht behalten mit seiner Diagnose über die »eigentlichen« Bedürfnisse der Frau.

Weitaus komplexer und fetziger, dabei aber nicht weniger problematisch ist der Film Friends with Benefits. In den Hauptrollen spielen Mila Kunis alias Jamie und Justin Timberlake alias Dylan. Der Plot ist ähnlich, doch der ganze Stil viel überdrehter, komödiantischer. Timberlake muss etwa alle 20 Minuten völlig aus dem Nichts heraus singen, damit auch wirklich jede:r klar wird, dass hier ein sehr berühmter Popsänger auf der Leinwand zu sehen ist.

Die Dramaturgie des Films arbeitet sich nicht an Geschlechterrollen ab, sondern wird entlang familiärer Grundkonflikte entwickelt. Die Eltern der beiden Protagonist:innen nehmen natürlich an, dass die beiden ein Paar sind, womit Dylan und Jamie gezwungen sind, immer wieder ihren Beziehungsstatus zu reflektieren und sich entsprechend zu positionieren. Gleichzeitig führt das Kennenlernen der Familien dazu, dass die beiden Hauptdarsteller:innen emotional intimer werden. Dylan bekommt die schwierige Persönlichkeit von Jamies Mutter mit, Jamie hingegen ist von der Alzheimererkrankung von Dylans Vater berührt.

Bezeichnend sind wieder die Sexszenen. Sie verhandeln ähnlich wie in Seinfeld Regeln, während sie außerdem darstellen, was an freundschaftlichem Sex anders und begehrenswert sein soll. Zunächst zählen die Protagonist:innen auf, was sie aneinander attraktiv finden, in ihren Worten: »strictly physical«. Es folgt eine reine Ansammlung von Gliedmaßen: große Augen, Lippen, Brüste, Hände, Mund, Hintern, Stimme, Torso. 20 Dann schwören sie auf eine Bibel-App, bestimmte »Gebote« einzuhalten – wobei es wie bei Seinfeld und No Strings Attached wieder die Frau ist, die die Regeln setzt. Die Regeln lauten:

  1. Keine Beziehung.

  2. Nur Sex.

  3. Keine Emotionen.

Sie beginnen zu vögeln und reden ununterbrochen davon, wie sie es gerne hätten: Hier ein bisschen mehr kreisen, dort die Ohren anfassen, den Nacken küssen, den Namen rufen, mehr links lecken, mehr rechts lecken, nicht zu weit unten. Natürlich kann man es für fortschrittlich halten, wenn Menschen über ihre Bedürfnisse und Grenzen reden, was sie mögen oder nicht mögen, und so eine Kommunikation über Sex stattfindet. Auch beim Sex. Aber in der Geschwindigkeit und Tonalität des Films bleibt es arg technisch. Die Äußerung der Begehren ist die logische Fortsetzung der Aufzählung von oben: Statt der Körperteile sind es nun Akte, die der Lust dienen sollen, mit denen man, wie Dylan sagt, »arbeiten kann«. In einer so mechanischen Intimität ist es auch egal, wer die Person ist, mit der man vögelt. Die Szenografie tut dazu ihr Übriges: Die Protagonist:innen räkeln sich in der Sexszene in dünnen Synthetikdecken, unter denen sich die Silhouetten ihrer Körper abzeichnen. Der Geschlechtsverkehr erscheint als das Spiel einer einzigen, glänzenden Oberfläche, was betont, dass es hier nur um reine Äußerlichkeiten ohne wirkliche Intimität geht.

Das Gegenstück zu dieser Szene sieht man später im Film, als Jamie und Dylan das erste Mal wirklich gefühlvoll miteinander schlafen. Beide sind zu Beginn komplett angezogen und reden kein Wort miteinander. Die Kommunikation unter den Liebenden scheint nicht mehr vonnöten. Sie verstehen einander kraft ihrer Liebe. Es herrscht das »pure«, sprachlos gewordene Gefühl; als ob sich der sexuelle Konsens einfach so durch eine romantische Verbindung von selbst herstellen würde (vgl. kritisch Kapitel 8).

Freilich betrachte ich immer noch eine Komödie, die übertreibt und gar nicht realistisch sein will. Es soll um einen lockeren, »ungezwungenen« Umgang gehen, um eine gleichberechtigte Art des Miteinanders, die sich den Rollenverteilungen des klassischen Datings widersetzt. Gleichzeitig will der Film die strenge Form der monogamen Heterobeziehung wahren. Ein bisschen hedonistische Freiheit ist gut, aber keine queere Ausschweifung. Deshalb muss sich die so unbeschwerte Komödie auch immer wieder dagegen positionieren. In Friends with Benefits spielt Woody Harrelson einen sexistischen, animalischen, aggressiven, schwulen Sportredakteur von GQ. Er giert ununterbrochen nach anderen Männern und fragt Dylan als Allererstes, ob sie gemeinsam auf »Jagd« nach anderen Typen gehen wollen. Fortwährend muss dieser schwulen Offensive widerstanden werden, und zusammen mit einer Handvoll homo- und transphober Witze stellt Dylan im Laufe des Films ständig seine heterosexuelle Männlichkeit unter Beweis. Der Film stellt also erstens die Dynamik der Geschlechter nicht infrage und festigt sie zweitens heteronormativ. Fazit: Nicht partnerschaftliche Sexualität führt zu Problemen, und Homosexualität ist gefährlich. Der Film Friends with Benefits ist in dieser Hinsicht (wie so ziemlich jede Romcom in den 2000ern) erzreaktionär.

Unsere beiden F+-Filme eint, dass die erste Handlung zwischen den Hauptpersonen, die als freundschaftlich gewertet werden könnte, eigentlich den Beginn der romantischen Beziehung markiert. Auf der Beziehung prangt immer das Label »Friends with Benefits« bzw. F+, doch an keiner Stelle wird dieses Konzept wirklich verhandelt. Die Freundschaft ist grundsätzlich nur eine verleugnete Liebesbeziehung. Die sexuelle Freundschaft ist damit zwar nicht gescheitert, weil immerhin eine Liebesbeziehung entsteht, was ja eine tolle Sache ist. Aber so richtig funktioniert hat die F+ auch nicht. Sie bleibt ein Übergangsphänomen oder eine Brücke hin zum romantischen Miteinander, aber keinesfalls ein eigenständiges Beziehungsmodell. Männer und Frauen können – von Harry und Sally bis Friends with Benefits – keine Freund:innen sein und bleiben, vor allem keine sexuellen.

EINE KURZE PSYCHOLOGIE DER F+

Die F+ begann natürlich nicht erst mit Romcoms. Wie die meisten neuartigen Beziehungsformen wuchs sie zunächst im Untergrund. So wurde in der Schwulen- und Lesbenkultur der 1980er-Jahre immer offener mit sexuellen Freundschaften experimentiert. 21 Da den Queers 22 öffentliche und offizielle Partnerschaften verboten waren, blieb ihnen ohnehin nichts anderes übrig, als ihre intimen Verhältnisse unter dem Deckmantel von Freundschaften zu entwickeln. Die klare Trennung von Partnerschaft, Familie und Freundschaft basierte auf einer öffentlichen Ordnung, die sie von vornherein ausschloss. Queers haben ihre Beziehungen seit jeher offener und miteinander verbundener geführt, weil sie es so mussten. Während es in heterosexuellen Kreisen beispielsweise üblich ist, dass man sich nach der Trennung einer Partnerschaft nicht mehr sieht, neigen homosexuelle Menschen dazu, Freund:innen zu bleiben. 23 In marginalisierten und vor allem kleinen Communities müssen die Menschen zusammenhalten – als Freund:innen, (Ex-)Partner:innen und alles dazwischen oder daneben.

Unter heterosexuellen Menschen sprach man, wie bereits erwähnt, zwar schon seit den 1920ern von Sexualität unter Freund:innen, aber als weitverbreitete, öffentliche Praxis durfte das keineswegs gelten, selbst in den 1990ern noch nicht. Warum dauerte das so viel länger als bei den Queers? Natürlich gab es andere sexuelle Normen und Verbote, die mit der Ehe einhergingen, die erst einmal hinterfragt werden mussten. Eine Arbeit, die queere Menschen nicht zu leisten hatten, im Gegenteil. Aber dass Sex und Freundschaft unter heterosexuellen Männern und Frauen viele Jahrzehnte nicht zusammengedacht wurden, liegt wahrscheinlich ganz einfach daran, dass heterosexuelle Männer und Frauen bis in die jüngste Vergangenheit kaum je befreundet waren.

Noch in den 1980er-Jahren wurde in der Freundschaftsforschung die gegengeschlechtliche »Freundschaft« nicht selten in Anführungszeichen geschrieben, um ihren außerordentlichen, ja fast abnormalen Charakter zu betonen. Die Realität von Freundschaften zwischen Frauen und Männern wurde entweder verleugnet, klein geredet oder mit psychopathologischen Kategorien belegt. Es war klar, dass heterosexuelle Frauen und Männer nicht oder nur mit Schwierigkeiten befreundet sein könnten, weil immer gewisse erotische Spannungen im Spiel seien, die eine Freundschaft verunmöglichten. Bis heute stehen diese Spannungen in fast allen Arbeiten zu gegengeschlechtlichen Freundschaften (»cross-sex friendships«) im Zentrum der Aufmerksamkeit. Von Homosexualität in gleichgeschlechtlichen Freundschaften fehlte lange Zeit jede Spur. 24 Es scheint wohl keine wichtige Frage zu sein, wie Freundschaften unter Homosexuellen möglich sein können oder wie unterschiedlich »sexuell orientierte« Freundschaften geführt werden. Immer geht es nur um heterosexuelle Männer und Frauen.

Als historisches Beispiel für die Wahrnehmung dieser »unmöglichen« Freundschaften möchte ich das Buch On friendship (1963) vorstellen. 25 Geschrieben hat es der seinerzeit zweifache Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung, Leo Rangell. In seiner Schrift zählt er zwei wahrlich interessante Bedingungen auf, unter denen allein eine »entsexualisierte« Freundschaft zwischen Mann und Frau existieren könne, sofern es sich nicht um eine »spärlich getarnte heterosexuelle Liebe« 26 handelt, von der er offenkundig als Norm ausgeht.

Die erste Möglichkeit besteht darin, dass die Freundschaft auf einem sogenannten »zielgehemmten homosexuellen Interesse« basiert. 27 Zielhemmung ist ein Begriff von Sigmund Freud, der in einer Vorlesung von 1933 über »zielgehemmte Triebe« sagt, dass sie »mit unzweideutigem Ziel (…) auf dem Weg zur Befriedigung haltmachen, so daß eine dauernde Objektbesetzung und eine anhaltende Strebung zu Stande kommt« 28 . Für Rangell bedeutet das im Klartext: Wenn man als Mann eine Frau kennenlernt, für die er kein erotisches Interesse hat, aber mit der er gerne befreundet wäre, hat er eigentlich nur eine homosexuelle Neigung, die er unterdrückt. Er verortet die Frau unbewusst als Mann und damit als »seinesgleichen«. Sein sexuelles Interesse kann sich am weiblichen Körper deshalb nicht manifestieren – sein freudianischer Sexualtrieb mit »unzweideutigem Ziel« macht vor dem Körper der Frau »Halt«. Diese verkappte Homosexualität ist nach Rangell der Grund dafür, dass ein Mann mit einer Frau dann auch eine nicht sexuelle Freundschaft führen kann. Wenn das die einzige Erklärung wäre, würden viele von uns wohl weiten Teilen ihres Freundeskreises homosexuelle Neigungen zuschreiben müssen. Glücklicherweise bietet Rangell noch ein weiteres Modell an:

Die zweite Möglichkeit einer »entsexualisierten« Freundschaft stellt er sich als Fortsetzung der Mutter-Sohn-/Vater-Tochter-Beziehung vor, die als symbolisch inzestuöses Verhältnis die sexuellen Triebe hemmt. Die Entsexualisierung der Eltern wird auf die gegengeschlechtliche Freund:in übertragen. Wer also hört, wie ein Mann über seine Freundschaft zu einer Frau sagt: »Sie ist wie eine Mutter oder Schwester für mich« 29 hat mit Rangell das richtige psychoanalytische Rüstzeug, um zu verstehen, warum der Mann deshalb mit der Frau befreundet sein kann. Er hält sich die Erregung vom Leib, indem er die Freundin für seine Mutter oder wahlweise seine Schwester hält.

Nach Rangell wird die sexuelle Spannung also entweder durch Homosexualität oder Inzest verdrängt und dann sublimiert, niemals aber gänzlich aufgehoben. 30 In jeder engeren Beziehung von Mann und Frau ist das Sexuelle mit anwesend.

Etwa ein Jahrzehnt später, 1974, erscheint die erste wissenschaftliche Abhandlung über gegengeschlechtliche Freundschaften. 31 Dass überhaupt Themen, die das Verhältnis von Männern und Frauen betreffen, akademisch aufgearbeitet wurden, geschah maßgeblich unter dem Einfluss von Frauen, im Fall der Freundschaftsstudie durch Elaine Hess. 32 Sie befragte etwa 800 Menschen über 45 Jahre, wie viele Freund:innen sie von welchem Geschlecht haben. Von allen aufgezählten Freundschaften war ungefähr jede sechste eine gegengeschlechtliche. Da die Studienteilnehmer:innen auch mehrere Freundschaften aufzählen konnten, stellen Booth und Hess fest: 72 Prozent der Befragten hatten noch nie eine Freundschaft mit einer Person des anderen Geschlechts.

In einem solchen sozialen Klima grenzt es an ein Wunder, wie nicht einmal eine Generation später der Psychologe Joel D. Block in seinem Ratgeberbuch Friendship. How to give it, how to get it (1980) auf die Sache schaut. 33 Auch wenn Friendship zumindest dem Titel nach dem Werk von Rangell ähnelt, offenbart der Inhalt einen viel freieren Blick auf Freundschaft. Es ist auch die erste Schrift, die explizit von »sexual friendship« – sexueller Freundschaft – spricht. 34 Unter der Überschrift »Exception to the Sexual Rule: Pillow Pals« (zu dt.: »Kissenkumpel« 35 ) findet sich ein mehrere Seiten langes Kapitel, in dem für das Buch befragte Personen mit ihren sexuellen Erfahrungen innerhalb freundschaftlicher Bande zu Wort kommen dürfen. Ohne Urteil und ohne Kommentare. Und das in einer Zeit, in der nur 18 Prozent der von Block Befragten überhaupt je eine gegengeschlechtliche Freundschaft geführt haben – bei den Verheirateten nur sechs Prozent – und 40 Prozent sie komplett ablehnen. 36 Da Block nicht davon ausgeht, dass man Freundschaft und Liebe in einer allgemeingültigen Definition scharf voneinander trennen kann, versucht er es auch nicht. Die Selbstberichte der Befragten sind ihm Zeugnis genug. Er fühlt empathisch dem Unbehagen nach, das während der Gesprächssituation besonders mit Verheirateten in der Luft lag, für die das Thema ein besonders delikates war und ist.

ORDNUNG IST DAS HALBE LEBEN: ÜBER DIE TERMINOLOGIE DER BEZIEHUNGSTYPEN

Fast durchgehend wird die sexuelle Freundschaft in der Forschung nicht primär als Freundschaft, sondern als Nicht-Beziehung beschrieben. Bis heute betonen Sexualwissenschaftler:innen die Nicht-Romantizität der F+. Stets benötigt die sexuelle Freundschaft einen entsprechenden Zusatz: platonisch, casual, ohne Commitment, nicht romantisch oder ohne partnerschaftliche Intimität. Das Konkurrenzverhältnis von Liebe und Freundschaft scheint so problematisch zu sein, dass es nicht ausreicht, wenn wir unsere Freund:innen lieben, mit ihnen Sex haben und es ganz einfach eine Freundschaft nennen.

Doch wie können wir vermeiden, die verschiedenen Beziehungsformen durcheinanderzubringen? Die verschiedenen Beziehungstypen unterscheide ich durch drei Faktoren:

  1. ob man befreundet oder romantisch verpartnert ist.

  2. ob sexuelle Intimität gepflegt wird.

  3. ob man romantisch/sexuell exklusiv oder offen für Dritte ist.

Daraus ergibt sich folgendes Schaubild:

 

Sexuell intim

Beziehung

Sexuell exklusiv

Romantisch exklusiv

Freundschaft

nein

befreundet

(keine Sexualität)

(keine Partnerschaft)

Monogamie

ja

verpartnert

ja

ja

offene Beziehung

ja

verpartnert

nein

ja

Polyamorie

ja

verpartnert

nein

nein

Freundschaft plus

ja

befreundet

ja/nein

(keine Partnerschaft)

Sexbeziehung

ja

keine

nein

(keine Partnerschaft)

In einer klassischen Freundschaft schlafen die Beteiligten nicht miteinander und lieben sich nicht romantisch. Deshalb ergeben sexuelle und romantische Exklusivitäten keinen Sinn. Das Gegenteil bildet die monogame Partnerschaft: Man hat Sex und liebt romantisch, beides exklusiv. Die offene Beziehung, so wie ich den Begriff verstehe, öffnet den sexuellen Teil der Partnerschaft. Ich habe also nur eine einzige Beziehung zu einem Menschen, den ich auch romantisch liebe – sexuell kann ich mich mit anderen verbinden. In der Polyamorie wird schließlich auch die Öffnung der romantischen Sphäre angestrebt. Die F+ unterscheidet sich von der offenen Beziehung und der Polyamorie dadurch, dass keine romantischen Liebesgefühle bestehen. Auch wenn ich nur wenige Beispiele kenne, kann eine F+ auch sexuell exklusiv sein, weshalb hier beide Optionen möglich sind. Die Abmachung lautet dann, dass man sich freundschaftlich darauf einigt, miteinander zu schlafen, aber sonst mit niemandem. Apropos Sex: Den kann ich schließlich auch mit Menschen haben, denen ich weder partnerschaftlich noch freundschaftlich verbunden bin. Das nennt man dann – etwas vulgär, aber wenigstens ehrlich – eine Sexbeziehung, die sich allein durch casual sex, also Gelegenheitssex auszeichnet. 37

WAS IST CASUAL SEX?

In den meisten Fällen wird der sexuelle Umgang in einer F+ oder friendship with benefits zu etwas generalisiert, was sich im englischen Sprachraum casual sex nennt und im Deutschen mit Gelegenheitssex übersetzt wird. 38 In der Gelegenheit steckt eine situative Spontaneität – jetzt oder nie! Das klingt nicht gerade nach einer Beziehung, weshalb casual sex relationship nicht so recht übersetzbar ist, außer man findet Gefallen an der steifen »Gelegenheitssexbeziehung«. Der Begriff casual bedeutet nicht nur, dass man eine Gelegenheit ergreift, sondern auch etwas Gewöhnliches, nichts Besonderes eben. Bezogen auf Sex fragt man sich, warum man casual sex dann überhaupt haben sollte. Was wäre, wenn ich im Deutschen fragen würde, ob man nicht auch Lust hätte auf völlig gewöhnlichen, keineswegs besonderen Sex. Man hört die Erregung förmlich knistern! Warum wird der Begriff dennoch verwendet?

Dem casual sex wohnt eine gewisse Beiläufigkeit inne, er macht den Sex zu einer Nebensache, mit der keinerlei emotionale Erwartungen oder soziale Verpflichtungen einhergehen. Die Bezeichnung casual zielt eigentlich auf genau diese Ungebundenheit ab, weshalb der Titel einer der beiden Romcoms im Englischen No Strings Attached heißt, was bedeutet: »nichts Ernstes« oder »an keine Bedingungen geknüpft«. Mit den völlig ungebundenen, oft einmaligen sexuellen Begegnungen sind zwei weitere Begriffe aus dem US-amerikanischen Sprachraum verbunden, die mittlerweile auch in den deutschen eingegangen sind: Hookups und One-Night-Stands (ONS). Ersteres bezeichnet eine weitverbreitete Praxis an US-amerikanischen Colleges, in der zumeist starker Alkoholkonsum und schneller nicht romantischer Sex häufig wechselnder Partner:innen zusammenkommen. 39 Der One-Night-Stand, im Wortsinn eigentlich eine »einmalige Bühnenaufführung«, bildet als einmalige sexuelle Begegnung oft einen Teil eines Hookups. Im Deutschen existieren dafür keine guten Begriffe, für ONS sagt man vielleicht am ehesten noch Seitensprung. Doch wovon wird eigentlich »zur Seite« gesprungen? Natürlich von der festen, romantischen Beziehung. Während Singles ohne Probleme einen ONS haben können, fällt es schon schwerer zu verstehen, was für sie ein Seitensprung sein soll. Die Normalität der romantischen Beziehung bildet auch den Ausgangspunkt des »Abenteuers« oder »Techtelmechtels« (von österreich. tachti: geheim). Geheim ist auch die Affäre, aus dem Französischen (affaire) am besten mit einer delikaten »Angelegenheit« oder »Sache« zu übersetzen, die aber anders als der übrige Gelegenheitssex eine gewisse Form der Verbindlichkeit hat, insofern man sie über längere Zeit mit einer festen Person verfolgt. Doch egal wie man es dreht und wendet – im Deutschen ist der Gelegenheitssex begrifflich enger mit der monogamen Beziehung verbunden als im Englischen. Ein ONS, der einfach völlig losgelöst von dem jeweiligen Beziehungsstatus der Beteiligten stattfindet (und ihn auch nicht anzeigt), gibt es als Begriff im Deutschen nicht, weshalb in der Regel die englische Alternative verwendet wird.

In den letzten Jahren haben sich im englischen Sprachraum noch weitere casual sex relationships herausgebildet, die sich leicht voneinander unterscheiden. 40 Neben einem ONS, der in der Regel zwischen Menschen passiert, die sich nicht kennen, setzt ein Booty Call (von engl. booty – Arsch) voraus, dass sich beide kennen. Man ruft sich gelegentlich spontan an, um sich zum Vögeln zu verabreden. Je regelmäßiger diese Treffen sind, desto eher könnte man von Fuck Buddies sprechen. Die Friends with Benefits verschieben schließlich das Zentrum der Beziehung hin zu einer Freundschaft. Aus den vier Beziehungen folgt eine Art Dramaturgie, die natürlich nicht eingehalten werden muss: Aus einem guten One-Night-Stand können sich mehrere Booty-Calls entwickeln, man wird schließlich zu festen Fuck-Buddies, bis sich eine emotionale Intimität einstellt und der Sex nur eine Möglichkeit unter vielen wird, miteinander Zeit zu verbringen, sodass man effektiv eine F+ führt.

Für uns ist wichtig festzuhalten, dass die ersten drei Beziehungsformen nur unter dem Ausschluss freundschaftlicher Gefühle erfolgen, weshalb sie nach der obigen Tabelle als reine Sexbeziehungen gelten. Die F+ geht einen Schritt weiter, sie übersteigt den Sex und führt zu einer echten, freundschaftlichen Beziehung. Die vier genannten casual sex relationships gehen zwar ineinander über, sind aber doch relativ klar voneinander getrennt. Allerdings variiert die Wahrnehmung dieser Trennung nach Geschlecht. Die Psychologinnen Jocelyn Wentland und Elke Reissing legten Männern und Frauen knappe Definitionen der Beziehungstypen vor, jedoch ohne Hinweis darauf, welche der vier Beziehungstypen da gerade beschrieben wurden. Die Proband:innen wurden gebeten, die Definitionen 41 den entsprechenden Beziehungstypen zuzuordnen. Interessanterweise wählten Frauen in allen Fällen öfter die korrekte Antwort. 42 Die Studie begründete den Geschlechterunterschied damit, dass für Frauen der Gelegenheitssex eine risikoreichere Angelegenheit sei (bspw. durch ungewollte Schwangerschaft, erhöhtes Risiko sexueller oder sexualisierter Gewalt, Stigmatisierung). Deshalb müssten sie ein feineres Gespür für die jeweilige sexuelle Beziehung ausbilden, was für Männer nicht mit derselben Dringlichkeit gelte. Sexuelle Beziehungen – und damit auch Gelegenheitssex – werden in patriarchal geprägten Gesellschaften von Frauen und Männern offensichtlich anders erlebt. Eine F+ kann nur dann gelingen, wenn über die unterschiedlichen Erfahrungen und Erwartungen offen gesprochen wird.

Auch wenn die F+ von anderen sexuellen Beziehungsformen abgegrenzt werden kann, bedeutet das noch lange nicht, dass eine F+ gleich eine F+ ist. Menschen haben die unterschiedlichsten Gründe, eine solche Beziehung einzugehen. Es gibt einen Unterschied, ob ich als Single oder in einer Partnerschaft eine F+ führe oder führen möchte. Sexuelle Freundschaften, die aus gescheiterten Beziehungen entstehen, sind natürlich nicht mit jenen gleichzusetzen, die vor allem geführt werden, um eine:n der beiden Beteiligten zu einer romantischen Paarbeziehung zu bewegen. In manchen F+ steht das sexuelle Miteinander im Vordergrund, bei manchen die Freundschaft, die durch gelegentlichen Sex ergänzt wird. Diese verschiedenen Fälle wurden empirisch untersucht: 43 In etwas über einem Drittel handelt es sich um »echte« Freundschaften, also weder eine nur auf Sex ausgerichtete Beziehung noch eine angehende Partnerschaft (beides ca. ein Viertel). Jede zehnte bis elfte F+ entstand aus einer ehemaligen romantischen Beziehung. In keinem der Fälle treten größere Geschlechterunterschiede auf, allerdings neigen Männer etwas öfter zu reinen Sexbeziehungen und Frauen eher zu stärker freundschaftlich geprägten Beziehungen.

Wenn wir über sexuelle Freundschaften reden, müssen wir also auch über die Revolte der Geschlechterverhältnisse und den tiefgreifenden Wandel unserer Vorstellungen von Sexualität oder Liebe sprechen. Von diesen Revolten sind selbst Menschen betroffen, die gar keine Absicht hegen, eine F+ zu führen. Es sind Revolten, die insbesondere die Lebens- und Liebesweisen der cisgeschlechtlichen 44 , binären, heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft 45 herausfordern, erweitern, umstürzen und infrage stellen. Deshalb lege ich in diesem Buch auch ein Augenmerk auf heterosexuelle Beziehungen, die sich im Westen in den letzten Dekaden so grundlegend verändert haben. Über Jahrhunderte hinweg war der heterosexuelle Sex ethisch fest in die christliche Ehe eingebettet, also in eine monogame Zweierbeziehung zwischen Mann und Frau. Der wichtigste Markstein, der Freund- und Partner:innen trennte, war der Sex. Plötzlich taucht nur unter wenigen kulturellen Vorzeichen auch bei Heterosexuellen eine Beziehungsform auf, in der Freundschaft und Sexualität zusammengedacht werden, für die in den 1990ern überhaupt erst ein Begriff gefunden wird. Die F+ schafft neben neuen Freiheiten des Beziehungslebens auch neue Unsicherheiten. Aber ich glaube fest daran, dass feministische und homosexuelle Praktiken dabei helfen können, den Wandel der Heterosexualität emanzipatorisch zu gestalten.

Auch wenn ich mich auf heterosexuelle Beziehungsweisen 46 konzentriere, lässt sich auch für uns Queers viel lernen. Die meisten von uns sind in einer genauso konventionell sexistisch geprägten Welt aufgewachsen wie alle anderen auch, inklusive mir selbst. Wir sind an Grenzen gestoßen, haben Diskriminierung erfahren, haben daraus gelernt und Gleichgesinnte, Solidarität und Halt gefunden. Aber Geschlechtsprägungen und heterosexuelle Beziehungsideale sitzen tief in allen sozialen Interaktionen, auch bei queeren Menschen. Es hilft immer wieder, sie zu reflektieren, zu kritisieren, an sich selbst festzustellen, um sie vielleicht auch gemeinsam zu durchbrechen.

Ich habe sexuelle Freundschaften als kräftigend und als heilsam erfahren. Deshalb möchte ich ein Bewusstsein dafür wecken, welche Möglichkeiten wir haben, unsere Freundschaften zu führen. Ich wünsche mir, dass die sexuelle Freundschaft zu einer Beziehung wird, die ihrer Risiken und Wunder gewahr ist, zu einer Beziehung, die aus ganzem Herzen genossen und geachtet werden darf. Ich möchte außerdem eine Sensibilität für die Voraussetzungen der F+ schaffen, weil diese besondere Beziehungsform erst durch zahlreiche politische, kulturelle und ethische Wandel möglich wurde. Es handelt sich um tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen, die uns alle etwas angehen.

Die Revolte unserer engsten Beziehungen zieht die einstmals starre Linie zwischen entweder Freundschaft oder Partnerschaft neu. In den letzten Jahrzehnten fiel die alte Unterscheidung zwischen Partnerschaften, innerhalb derer Sexualität erlaubt ist, und Freundschaften, in denen das nicht der Fall war, für viele Menschen offenkundig weg. Feministische Bewegungen sorgten dafür, dass klassische Rollenbilder romantischer, heterosexueller Beziehungen an Relevanz verloren: Partnerschaften sollen heute auf Augenhöhe verhandelt werden, wie es in Freundschaften üblich ist. 47 Schließlich spielt die Geschlechtlichkeit in Freundschaften eine geringer werdende Rolle. Männer sind mit Frauen, Frauen mit Männern befreundet. 48 Kurz gesagt: Der Sex bewegte sich von der Partnerschaft in die Freundschaft, die Gleichheit von der Freundschaft in die Partnerschaft.

Deshalb verwundern die empirischen Befunde aus den USA kaum, die gegen eine scharfe Trennung sprechen: Eine Mehrheit der Befragten findet ihre Partner:innen im Freundeskreis, 49 und in einer Umfrage der Monmouth University gaben 83 Prozent an, dass sie ihre derzeitige Partner:in als »best friend« ansehen. 50 Worin besteht also der Unterschied zwischen beiden Beziehungsformen? Vielleicht ist die Frage falsch gestellt – und es gibt mehrere Dimensionen, in denen Freundschaften und Partnerschaften verschieden sind. Eine mögliche Auswahl bietet die Psychologin Theresa DiDonato an. Die folgenden Faktoren seien in einer Partnerschaft wesentlich ausgeprägter als in einer Freundschaft: 51 gemeinsame Ziele, Zeit und Aufmerksamkeit, gegenseitige, bewusst vertiefte Abhängigkeit, ein positives Bild d:er Anderen, Einfluss aufeinander und gegenseitige Verbindlichkeit. Ob beabsichtigt oder nicht, wirkt nach dieser Theorie die Partnerschaft wie eine besonders tiefe Freundschaft. Die rein psychologische Herangehensweise blendet alle sozialen Faktoren aus, welche eine Beziehung oder das freundschaftliche bzw. romantische Liebesgefühl prägen und voneinander unterscheidbar machen. Aber was soll es heißen, dass die Liebe »sozial geprägt« wird? Wenn sich die Liebe und Zuneigungen zu Freund:innen von der zu Partner:innen unterscheiden – was bedeutet dann eigentlich Liebe?

2.

DIE SACHE MIT DEN GEFÜHLEN

Michel Foucault

Bei fast allen Menschen, mit denen ich über sexuelle Freundschaften rede oder denen ich als Podcaster:innen zuhöre, kommt ein zentrales Problem zur Sprache: das Problem der Liebe. Es wird die Meinung vertreten, dass man sich in einer F+ eher verliebe als in einer nicht sexuellen Freundschaft. Das muss natürlich kein Problem sein, immerhin ist die Fähigkeit, sich zu verlieben, eines der schönsten Dinge, derer Menschen überhaupt fähig sind. Meine eigene Partnerschaft hat sich aus einer F+ entwickelt – es war eine langsame und vertraute Bewegung aufeinander zu, in der freundschaftliche Liebe schließlich zu einer romantischen strebte. Gleichzeitig gibt es genug Freundschaften, die als Freundschaften erhalten bleiben sollen, um eben nicht in einer Partnerschaft zu kippen. Die F+ erscheint dann als gefährliches Spiel mit dem Feuer der Leidenschaft. In Freundschaften, in denen die Freund:innen nicht miteinander schlafen, scheint das »Risiko« der Liebe kein so präsentes Thema zu sein. Wenn der einzige Unterschied zwischen einer sexuellen und einer nicht sexuellen Freundschaft in gemeinsam erlebter Lust besteht, muss die Liebe folglich durch den Sex leichter hervorgerufen werden. Und in der Tat: Bei vielen Menschen löst Sex starke Emotionen aus. 2 Körperliche Intimitäten wecken – wenn es gut läuft – Gefühle der Zuneigung und Bindung, des Geborgenseins und Gehaltenwerdens. Die Lust reicht tief und geht uns etwas an. In der Erregung sind wir durchlässig für körperliche Affekte und Emotionen. Unter welchen Umständen verstärkt Sex eine romantische bzw. freundschaftliche Liebe oder ruft sie sogar hervor? Was unterscheidet freundschaftliche und partnerschaftliche Zuneigung, wenn das sexuelle Begehren überall wachsen und sich entfalten darf?

Die intimen Verbindungen von Liebe, Lust und Partner- bzw. Freundschaft sind weder in Stein gemeißelt noch in jeder Beziehung notwendig. Natürlich können wir mit Leuten schlafen, ohne sie in einem romantischen oder freundschaftlichen Sinne zu lieben – aber wir können Menschen auch leidenschaftlich lieben, ohne mit ihnen zu schlafen. Unsere körperlichen Begehren und emotionalen Bedürfnisse müssen nicht übereinstimmen. 3 Die Psychologin Lisa Diamond geht einen Schritt weiter und vertritt die Ansicht, dass sowohl romantische Liebe als auch anfängliche Verknalltheit völlig ohne sexuelles Begehren auskommen können. Nur weil ich einen Crush auf jemanden habe, bedeutet es nicht notwendig, dass ich mit diesem Menschen auch sexuell intim sein möchte, wovon asexuelle Menschen ein Lied singen können. (Solche platonischen, aber doch romantischen Freundschaften 4 sind historisch ausführlich beschrieben, insbesondere zwischen Frauen – Männer hingegen mussten sich seit jeher stärker von der Leidenschaftlichkeit in Männerfreundschaften abgrenzen, um dem Verdacht der Homosexualität zu entgehen. 5 ) Lust ohne Liebe ist also ebenso möglich wie Liebe ohne Lust.

Gleichzeitig lässt sich nicht abstreiten, dass beide aufeinander einwirken. Dass aus sexueller Lust emotionale Liebe entstehen kann, untermauert die Psychologin Gurin Birnbaum mit evolutionsbiologischen Argumenten: Für Menschen sei es sinnvoll, sich romantisch an ihre Sexualpartner:innen zu binden, um im Falle einer Schwangerschaft die gemeinsame Sorge des Nachwuchses sicherzustellen. Die sexuelle Attraktivität könne also auch als Anzeichen »romantischer Kompatibilität« verstanden werden. 6 Wie so oft in der Evolutionsbiologie liegt hier ein starker Fokus auf Fortpflanzung und damit auf heterosexuellen Beziehungen. Birnbaum konnte allerdings für hetero Frauen und Männer empirisch zeigen, dass mit sexueller Attraktivität auch das romantische Interesse an einer Person steigt und das romantische Interesse des Gegenübers höher eingeschätzt wird. 7

Und es geht auch andersherum: Aus liebevoller Zuneigung kann sexuelles Begehren erwachsen. 8 . Lisa Diamond diskutiert diese Fähigkeit unter dem Begriff der »sexuellen Plastizität« 9 , die besonders gut für Frauen belegt ist, was wahrscheinlich an der stereotyp weiblichen Geschlechtsprägung liegt, die das emotionale Ideal »Kein Sex ohne Liebe« hochhält. Neuerdings wird ein solches Verhalten geschlechtsneutraler unter dem Stichwort der »Demisexualität« verhandelt, was aussagt, dass der Wunsch nach körperlicher Nähe nur auf Grundlage einer zugewandten, emotionalen Bindung entsteht. Lust und Liebe verhalten sich demnach auf alle möglichen Weisen zueinander: Sie können getrennt oder gemeinsam erscheinen, Liebe kann aus Lust entstehen und andersherum – und das gilt für Partnerschaften ebenso wie für Freundschaften.

Hinzu kommt, dass sowohl romantische als auch freundschaftliche Beziehungen auf vergleichbare Weise beginnen können, weshalb man heutzutage ja nicht nur von einem crush, sondern auch von einem friends crush redet. Man ist in neue Freund:innen wortwörtlich verknallt. In einer Studie an jungen Erwachsenen wurde die Verschiedenheit von falling in love und falling in friendship anhand bestimmter Faktoren erfragt, die sich an den entscheidenden Punkten aber nur graduell unterschieden. Beiden Beziehungen waren Qualitäten der gegenseitigen Wertschätzung, der charakterlichen Ähnlichkeit oder des Wunsches nach Nähe gemein. 10

Ist die Liebe zwischen Freund:innen und Partner:innen also wirklich so ähnlich? Das Verknalltsein findet ja vor allem zu Beginn einer Beziehung statt. Im späteren Verlauf kann sich vieles ändern. Um die Arten der Liebe in diesem Kontext etwas präziser zu definieren, hilft die Dreieckstheorie der Liebe des Psychologen Robert Sternberg. 11 Er unterteilt Liebe in drei Aspekte: Intimität, Leidenschaft und Commitment. Intimität weist auf die Nähe oder Verbundenheit der anderen Person hin, sie spannt eine emotionale Dimension auf. Die Leidenschaft wiederum steht für physische Anziehung, sexuelles Begehren und heftige romantische Gefühle. Sie kann den motivationalen Anteilen der Liebe zugewiesen werden. Beim Commitment handelt es sich eher um eine kognitive Komponente der Liebe, die betont, wie entschlossen man sich dazu entscheidet, sich an eine geliebte Person zu binden. Je nachdem, wie stark die Elemente des Dreiecks ausgeprägt sind, stellt Sternberg verschiedene Arten der Liebe auf. Die Freundschaft definiert er dabei als hoch intime Beziehung, die ohne Leidenschaft und Commitment auskommt. 12 Da es in diesem Buch um sexuelle Beziehungen geht, betrachte ich ansonsten nur die Formen der Liebe, in denen der Faktor Leidenschaft eine Rolle spielt. Das Einzige, was schwankt, sind also Intimität und Commitment.

In der Phase der Verknalltheit erscheint alles als frisch, neu und aufregend – zwischen den beiden Beteiligten kann noch keine große Intimität entstanden sein, da sie einfach Zeit braucht, um sich zu entwickeln. Durch die Ungewissheit der Situation bleibt auch das Commitment auf einem niedrigen Level. Bei der romantischen Liebe, die für Sternberg ein fortgeschrittenes Stadium darstellt, wurde die Leidenschaft durch Intimität ergänzt, es besteht also eine emotionale Verbundenheit. Sternberg sieht die törichte Liebe 13 in der stereotypen Hollywood-Romanze verwirklicht: Ein Paar trifft sich an Tag X, zwei Wochen später folgt die Verlobung, im Monat darauf die Heirat. Natürlich geht es heiß her, inmitten der Verknalltheit setzt man auf volles Commitment, aber es folgt aus der Leidenschaftlichkeit der Situation und nicht aus einer längerfristig erworbenen Intimität. Vielleicht kennt ihr auch ein paar Paare, die frisch verknallt sofort zusammenziehen wollen – das wäre mit Sternberg auch eine törichte Liebe. Deshalb sei sie zum Scheitern verurteilt. Ganz anders steht es mit der vollendeten Liebe, die als ein Bindungsgefühl angesehen werden kann, das aus einer langfristigen, romantischen Liebe entsteht. Das Paar hat Situationen erlebt, die Nähe und Zusammenhalt stiften, in denen sich beide unterstützt, verstanden und wertgeschätzt fühlen, die also kurzum von tiefer Intimität zeugen.

Im Schema von Sternberg nimmt die sexuelle Freundschaft einen eigentümlichen Platz ein. Da Sternberg Freundschaft ausschließlich durch Intimität definiert, würde sie sich sofort in eine romantische Liebe verwandeln, wenn sie durch Leidenschaft ergänzt wird. Je stärker eine sexuelle Freundschaft auf die eigenen Lebensentscheidungen einwirkt, je verbindlicher die Beziehung also ist, desto mehr entspricht die F+ in allen drei Kriterien der vollendeten Liebe. Es gibt keinen Unterschied zwischen ihr und einer Partnerschaft.

Wenn ich also meine Freund:innen ebenso lieben kann wie meine Partner:innen, ja mich sogar in sie verknallen kann, und wenn diese Liebe in den Wunsch nach körperlicher Nähe umschlagen kann, dann ist das sexuelle Begehren in Freundschaften nicht mehr unbedingt vom Geschlecht der Freund:innen abhängig. Plötzlich ver-queeren sich die Verhältnisse. Funktioniert eine F+ auch ohne »passende« sexuelle Orientierung der Freund:innen? Was wäre, wenn man die F+ als Beziehung entwerfen könnte, die eine Sexualität abseits der Matrix sexueller Orientierungen bildet? Eröffnet die F+ vielleicht einen »befreiten« Ort für diese »reine« Sexualität? Was passiert, wenn wir Körper begehren wollen, auf die wir eigentlich gar nicht stehen – ganz einfach, weil es Körper von Menschen sind, die wir innig und leidenschaftlich als Freund:innen lieben? Wie verändert das den Sex? Dann wäre er nichts als ein Ausdruck tiefer Liebe. Aber funktioniert Sex überhaupt ohne sexuelle Orientierung?

Immerhin sprechen wir von Orientierungen und nicht von fixen Lustpunkten, sodass mit der sexuellen Orientierung mehr eine grobe Richtung angezeigt wird, in die das Begehren weist. Aber im Einzelfall ist damit nicht viel gewonnen. Menschliche Körper sehen so verschieden aus, dass die Unterschiede innerhalb eines Geschlechts ebenso groß ausfallen können wie jene zwischen den Geschlechtern. Nur weil ich schwul bin, heißt das ja nicht, dass ich deshalb auf alle männlichen Körper auf diesem Planeten stehe. Einer der ideologischen Grundpfeiler des Heterosexismus liegt aber genau in dieser Annahme: dass je nach Orientierung eine grundsätzliche sexuelle Spannung zum begehrten Geschlecht besteht. 14 Egal welche heterosexuelle Frau mit einem heterosexuellen Mann in einen Raum gesteckt wird, beide bef...

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