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Here With Me

Als Buch hier erhältlich:

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Der prickelnde Auftakt der Adairs-Reihe von der internationalen Nr.-1-Bestsellerautorin

Robyn will Kontakt zu ihrem entfremdeten Vater Mac aufnehmen, deswegen reist sie in die Highlands. Dort trifft sie auf den Ex-Hollywoodstar Lachlan Adair. Den Mann, dem sie die Schuld an ihren zerrütteten Familienverhältnissen gibt. Das Oberhaupt der Adair-Familie ist Besitzer eines Resorts für die Reichen und Berühmten – und arrogant, selbstherrlich sowie verteufelt sexy. Sofort fliegen zwischen ihr und Lachlan die Fetzen. Doch jemand hat es auf die Adairs abgesehen, wodurch auch Mac bedroht wird. Robyn muss herausfinden, wer Lachlan und seinem Umfeld schaden will. Aber in Lachlans Nähe fällt es Robyn zunehmend schwerer, einen kühlen Kopf zu bewahren, und sie gibt ihrer intensiven Leidenschaft nach. Aber dies könnte für Robyn ein böses Ende nehmen …


  • Erscheinungstag: 25.04.2023
  • Aus der Serie: Die Adairs
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 512
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365003992

Leseprobe

Für Dad

Kein Tag vergeht, an dem ich nicht stolz und dankbar bin,

deine Tochter zu sein.

Ich liebe dich bis zum Mond und zurück.

PROLOG

Robyn

Ein Jahr zuvor

Boston, Massachusetts

Der Regen prasselte auf unseren Wagen, während wir unseren Kaffee tranken und auf das kratzige Knistern des Funkgerätes warteten. Ich genoss das einschläfernde, gemütliche Geräusch des strömenden Regens, als mir in dem Grau draußen etwas Buntes auffiel.

Auf dem Gehsteig war eine Frau in einem dunkelblauen Mantel stehen geblieben, in der einen Hand einen schwarzen Schirm, in der anderen eine Hundeleine. Auf die Entfernung sah der Hund aus wie ein Labrador. Er trug eine hellrote Regenjacke. Und er hatte sich hingesetzt, als wollte er sagen: »Mir reicht’s jetzt. Mach, dass es aufhört.«

Ich lachte leise, während die Frau wild gestikulierte, als erwiderte sie: »Was, zur Hölle, soll ich denn dagegen tun?«

Wie sie da stand, mit weit ausgebreiteten Armen, den Kopf nach vorn gebeugt und der Hund zu ihr aufschauend, wurde zu einem Schnappschuss in meinem Kopf. Ich wünschte, ich hätte meine Kamera dabei. Ich würde eine große Blende wählen und mein Hundertfünfzig-Millimeter-Objektiv, um das Grau und die Bewegungen im Hintergrund herauszufiltern und die Frau mit ihrem sturen Hund hervorzuheben.

»Jaz findet, du solltest mit Mark Schluss machen.« Mein Partner, Autry Davis, riss mich aus dem gedanklichen Fotografiervorgang.

Ich ignorierte das Unbehagen, das mich bei dieser Bemerkung befiel, und grinste. »Oh, das findet Jaz also?«

Jasmine »Jaz« Davis war ziemlich direkt, aber es war Autry, der mir vom ersten Moment an zu verstehen gegeben hatte, dass er meinen Freund Mark nicht leiden konnte.

»Na sicher.« Autry beobachtete den Verkehr. Wir parkten auf dem Maverick Square in East Boston, in der Nähe einer Bäckerei, die wir beide liebten. Da gab es guten Kaffee und gefüllte Donuts. Wir versuchten allerdings, nicht dem Copklischee zu entsprechen, und gönnten uns nur einmal pro Woche einen Boston Cream. Das war unsere Belohnung. »Sie glaubt, er hält seine Arbeit für wichtiger als deine und dass du für ihn nie an erster Stelle stehst.«

Das klang tatsächlich nach Jaz.

Mark war Staatsanwalt und sehr gut in seinem Job. Sein Erfolg war anziehend, denn ich fand hart arbeitende Männer sexy. In letzter Zeit drängte er mich jedoch zu Veränderungen. Er fand, ich solle mich hocharbeiten und als Sergeant Detective bewerben, um von dort aus zum Lieutenant aufzusteigen.

Er verstand nicht, dass ich das nicht wollte, weil er der ehrgeizigste Bursche war, den ich kannte. Wie gesagt, das war sexy, bis er versuchte, mich zu jemandem zu machen, der ich nicht war.

»Tja, du kannst Jaz von mir ausrichten, dass ich mit ihm Schluss mache.«

Autry versuchte, nicht allzu erfreut auszusehen, schaffte es aber nicht. »Wirklich?«

»Ja. Er ist mir zu anstrengend.«

»Ich will dir ja nicht ausreden, diesen Typen zu verlassen, aber dir ist schon klar, dass Beziehungen anstrengend sein können und mitunter harte Arbeit sind?«

Ich schnaubte verächtlich. »Sagt der Mann mit Frau und Kindern, die er liebt.«

»Das heißt nicht, dass es keine harte Arbeit ist.«

»Das weiß ich. Aber man muss auch hart daran arbeiten wollen, und das will ich mit Mark nicht. Letztes Wochenende hat er einen Streit vom Zaun gebrochen, weil ich mir ein Fischaugenobjektiv für meine Kamera gekauft habe. Er meinte, ein teures Hobby könne ich mir von meinem mittelmäßigen Gehalt nicht leisten, außerdem wollte er mich nicht mit einem solchen Zeitvertreib verhätscheln.« Bei der Erinnerung daran wurde mir vor Wut wieder ganz heiß. Seitdem hatte ich ihn einfach links liegen lassen.

»Er hat was gesagt?« Autrys Miene verfinsterte sich. »Robbie, du musst unbedingt Schluss machen! Verdammt – kannst du dir vorstellen, wie Jaz reagieren würde, wenn ich sie derartig herablassend behandeln würde? Da kann er aber froh sein, dass er es nicht mit meiner Frau zu tun hat! Da wäre er nicht lebend rausgekommen. Und ich werde ihr lieber nicht erzählen, was er zu dir gesagt hat, denn sonst geht sie noch auf ihn los. Verdammt, Robbie! Das Leben ist zu kurz für solchen Bullshit!«

»Der Sex ist aber ziemlich gut.« Das sagte ich mehr im Scherz. Kein Sex war es wert, dass man mit einem Typen zusammen war, der einem das Gefühl gab, klein und unbedeutend zu sein.

Autry warf mir einen warnenden Blick zu. »Davon will ich nichts hören.«

Ich lachte und trank einen Schluck von meinem Kaffee.

Mit einundzwanzig frisch von der Akademie, war ich Autry Davis, meinem Streifenkollegen, zugeteilt worden. Ein großer, gut aussehender Mann, sieben Jahre älter als ich, schlagfertig, humorvoll und mit einer freundlichen Ausstrahlung gesegnet, die selbst die kälteste Seele zum Schmelzen bringen konnte. Ich hatte eine Schwäche für diesen Kerl entwickelt, die bald in Freundschaft und Vertrauen mündete. Besonders nachdem ich seine Frau Jaz und ihre beiden kleinen Töchter Asia und Jada kennengelernt hatte. In den vergangenen sechs Jahren hatten die Davis’ mich praktisch in ihre Familie aufgenommen. Mittlerweile war Autry so etwas wie ein älterer Bruder für mich geworden. Und wie jeder Bruder wollte er natürlich nichts vom Sexleben seiner kleinen Schwester hören.

Und wie jede kleine Schwester ignorierte ich seine Bitte, ihn nicht mit Details zu quälen.

»Ich meine, da ist noch Raum für Verbesserungen, aber er ist schon mal definitiv besser als Axel.« Axel war der Typ vor Mark. Ein Musiker. Ichbezogen. Egoistisch im Bett und außerhalb. Als ich einmal übel erkältet war, kümmerte er sich nicht und kaufte auch nichts für mich ein, damit ich im Bett bleiben konnte. Nichts da. Er verschwand und meinte, er werde erst wiederkommen, wenn ich wieder gesund sei. Stattdessen kümmerten sich Jaz und Autry um mich. Axel kam auch nicht zurück, als es mir besser ging, weil ich ihn nicht mehr wollte. Mark war ebenfalls nicht gerade selbstlos im Bett, um ehrlich zu sein, aber bei ihm kam ich wenigstens zum Höhepunkt.

»Ich kann dich nicht hören.« Autry schaute düster aus dem Fenster. »Ich bin gar nicht mehr im Wagen. Ich bin an irgendeinem Ort, wo die Welt noch gut ist und die Celtics die Meisterschaft gewinnen.«

»Also in der Fantasiewelt?«

»Sag nichts gegen die Celtics.«

Ich kicherte und wollte ihn weiter necken, als das Funkgerät knisterte. »Hausfriedensbruch, Lexington Street, Apartment 302B. Die Nachbarin hat es gemeldet.«

Autry griff nach dem Funkgerät. »Gold 1-67. In drei Minuten.«

»Verstanden.«

Ich hatte den Motor schon gestartet und fädelte mich in den Verkehr ein.

»Was glaubst du, was es diesmal ist?«, fragte ich.

»Eine Affäre.«

»Darauf tippst du jedes Mal.«

»Weil ich fast immer recht habe.«

»Beim letzten Mal hast du dich geirrt.«

»Wann war das letzte Mal?«

»Oh, Davis, du wirst alt«, zog ich ihn auf. »Die Freundin fand heraus, dass der Freund ihre gesamten Ersparnisse verspielt hatte. Hat ihn verprügelt.«

»Ach ja. Üble Sache. Der Mann wird nie Kinder zeugen können, nach dem, was sie mit ihm gemacht hat.«

Wahrscheinlich leider wahr. Ich zuckte innerlich bei der Erinnerung zusammen.

Minuten später hielten wir vor dem Apartmentgebäude an der Ecke Lexington. Es sah aus wie alle Gebäude in dieser Ecke von Boston – schmal, mit Holzschindeln an den Seiten. Dies hier war vor Jahren weiß gestrichen worden und bedurfte dringend eines Neuanstrichs. Es hatte zwei Eingänge, einen für die Wohnung im Erdgeschoss, den anderen für die darüber liegende Wohnung. Eine Frau in einem hellgelben Pyjama und mit einem dazu passenden Kopftuch stand vor der Tür der Erdgeschosswohnung. Als wir ausstiegen, kam sie auf uns zu.

»Seit einer halben Stunde brüllen die sich da oben an, und dann hörte ich Sachen krachen, und sie fing an zu schreien und zu weinen.« Die Nachbarin wirkte erschüttert. »Er ist völlig weggetreten. Drogen, glaube ich. Ich hielt es für besser, die Polizei zu rufen.«

Ich lächelte beruhigend und wollte gerade etwas sagen, als ein schreckliches Kreischen von oben zu hören war. Autry rannte zur Tür. Ich befahl der Nachbarin: »Bitte gehen Sie in Ihre Wohnung zurück, Ma’am.«

Während ich zusah, wie sie das tat, hämmerte Autry gegen die Tür zum oberen Apartment. »Boston PD, machen Sie auf!«

Eine zornige Männerstimme rief Obszönitäten. Ich hörte »verdammte Schlampe« heraus, dazwischen lautes Schluchzen und erstickte Schreie.

Autry sah mich mit grimmiger Miene an, und ich legte meine Hand auf die Waffe im Holster.

Dann nickte ich.

Er drehte den Türknopf und trat ein.

In dem zugestellten Flur, der zur steilen Treppe in den ersten Stock führte, folgte ich Autry und zog meine Waffe. Die Bewohner des Apartments konnten uns wegen ihres Streits zweifellos nicht hören. Während wir die Treppe hinaufstiegen, wurde klar, dass es um Drogen ging. Er glaubte offenbar, dass sie Geld aus seinen Drogenverkäufen unterschlug. Kein üblicher Fall von Hausfriedensbruch.

Ich machte mich bereit.

Die Treppe führte auf einen Flur mit zwei einander gegenüberliegenden Türen. Wir spähten in das eine Zimmer, bei dem es sich offensichtlich um das Schlafzimmer handelte; es schien leer zu sein. Hinter der anderen Tür lag die kleine Küche mit dem Wohnbereich. Hier herrschte das reinste Chaos: Ich scannte mit einem Blick einen umgeworfenen Couchtisch, einen zerstörten Fernseher, Fotografien, die aus zerbrochenen Rahmen fielen und einen umgestürzten Hocker am Minifrühstückstresen.

Eine junge Frau saß zusammengekauert auf dem Sofa, mit im Gesicht verschmierten Mascara und Furcht in ihren verweinten Augen, während sie zu einem großen dünnen Typen aufsah, der eine Handfeuerwaffe auf sie gerichtet hielt.

Wir hoben unsere Pistolen.

»Boston PD! Lassen Sie die Waffe fallen!«, befahl Autry.

Der Mann ignorierte es und sah uns wütend an. »Was zum Geier macht ihr verdammten Motherfucker hier? Das hier geht euch nichts an! Hat die neugierige Schlampe von unten die Cops gerufen?«

Seine Pupillen waren geweitet, und er lallte.

Der Typ war high.

Diese Situation wurde ja immer besser.

Ich wiederholte: »Sir, lassen Sie die Waffe sinken!«

»Sonst was

»Wenn Sie die Waffe nicht herunternehmen, werde ich das als Bedrohung werten und auf Sie schießen!«, warnte Autry ihn.

»Ich hab nicht mal die Hälfte von dem Scheiß verstanden.« Er wedelte gefährlich mit der Waffe in der Hand.

»Autry«, murmelte ich und sah vorsichtig zu meinem Partner, und dann nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Adrenalin schoss durch meine Adern, als ein weiterer Typ hereinkam, mit erhobener Waffe, auf Autrys Rücken zielend, den Finger am Abzug.

Es blieb keine Zeit für etwas anderes, als mich vor meinen Partner zu stellen.

Um ihn zu schützen.

Mit der Bedrohung von vorn und von hinten blieb mir keine andere Wahl, als auf die Bedrohung von hinten zu feuern. Zwei Schüsse krachten, lauter als Donner, dröhnten durch meinen Kopf, während ich gleichzeitig ein scharfes Brennen in der Brust fühlte.

Ein weiterer Schuss. Ein weiteres Brennen. Und noch eines.

Ich sank gegen Autry, während weitere Schüsse über meinem Kopf krachten.

Da war Lärm. Stöhnen. Schreien.

Autrys ruhige Stimme, die mir versicherte, ich würde durchkommen.

»Drei Leute mit Schussverletzungen, ein Officer ist verwundet. Sie wurde mehrmals angeschossen. Ich brauche Krankenwagen in der 302B Lexington Street.«

Der Schmerz in meiner Brust schien sich in meinem ganzen Körper auszubreiten, und ich spürte Druck auf meinen Wunden. »Scheiße, Robbie, halt durch!«, murmelte Autry in mein Ohr. »Warum? Warum?«

Ich verstand, was er fragte.

Ich wollte antworten, aber ich konnte meine Lippen nicht bewegen. Mit meiner Sehfähigkeit stimmte auch etwas nicht. Schwarze Schatten krochen von den Seiten heran und wurden schnell dichter.

»Bleib bei mir, Robbie! Bleib bei mir.«

Das wollte ich.

Wirklich.

Ich wollte die Hand nach ihm ausstrecken und mich an ihm festklammern und nicht mehr loslassen.

Aber mein Körper und mein Verstand verloren die Verbindung zueinander, und ich driftete immer weiter weg …

1. KAPITEL

Robyn

Heute

Ardnoch, Sutherland

Schottland

Zum ersten Mal dachte ich nicht an meine Kamera oder an die Landschaft oder das perfekte Foto. Erstaunlich, schließlich war ich an einem der schönsten Orte, die ich in meinem Leben je gesehen hatte.

Aber es fiel mir schwer, das alles wirklich wahrzunehmen, denn ich würde in wenigen Minuten meinen Vater treffen.

Den Mann, den ich seit meinem vierzehnten Lebensjahr nicht mehr gesehen hatte.

Bei Aufregung verspürt man Schmetterlinge im Bauch – aber das traf es eigentlich nicht, was sich gerade in mir abspielte. Vielleicht fühlt man sich gut, wenn man vor Freude aufgeregt ist. Ich aber fühlte mich eher krank. Ich hatte sogar weiche Knie.

Und ich hasste es, dass mein leiblicher Vater, Mac Galbraith, diese Macht über mich hatte.

Ich stieg aus meinem Mietwagen, straffte die Schultern und atmete tief durch, während ich über knirschenden Kies auf die hohen Sicherheitstore zwischen Backsteinsäulen zuging. Diese Säulen bildeten die Endpunkte einer hohen Mauer. Auf der anderen Seite des Tores führte die Zufahrt in die Dunkelheit einer Waldung.

Ich suchte nach einem Klingelknopf oder Kameras. Nichts. Ich trat an das Tor und rüttelte daran, aber es war aus solidem Eisen und gab natürlich nicht nach. Ich spähte zu den Bäumen und lauschte, hörte aber nur das Zwitschern der Vögel und das Rascheln der Blätter im Wind.

Ein leises Surren links von mir weckte meine Aufmerksamkeit, und ich entdeckte eine Kameralinse, die das Licht reflektierte. Beim genaueren Hinsehen erkannte ich, dass die Kamera in einem Baum versteckt war.

Ich salutierte, indem ich zwei Finger an die Stirn hob, damit derjenige auf der anderen Seite wusste, dass ich ihn gesehen hatte.

Jetzt konnte ich nur warten.

Genau das, was meine Nerven jetzt brauchten.

Ich drehte mich um, lehnte mich an das Tor und verschränkte Arme und Beine in einer Haltung, die verkündete: »Ich gehe nirgendwohin, ehe nicht jemand herauskommt.«

Nur wenige Minuten später hörte ich einen Motor und das Knirschen von Kies. Ich stieß mich vom Tor ab und beobachtete, wie ein schwarzer Range Rover mit dunklen Scheiben sich auf der anderen Seite näherte.

Meine Nervosität nahm schlagartig zu.

Warum nur musste mein Vater der Sicherheitschef eines der exklusivsten Clubs der Welt sein?

Ach, klar.

Wegen Lachlan Adair.

Eifersucht und Ablehnung stiegen in mir auf, was mir selbst zuwider war. Ich ignorierte diese Empfindungen und verschränkte die Arme, während ich gelassen auszusehen versuchte, als der Range Rover anhielt. Die Fahrertür ging auf, und ein Mann in schwarzer Hose, schwarzem Hemd und Lederjacke kam ans Tor.

Ich sah das Kabel, das zu seinem Ohr führte.

Er war ein Mann vom Sicherheitsdienst.

Aber er war nicht mein Vater.

»Madam, das ist ein Privatgrundstück«, erklärte der Typ mit schottischem Akzent.

»Ich weiß.« Ich hielt seinem Blick durch die Eisenstäbe stand. »Ich bin hier, um meinen Vater zu sehen.«

»Ich fürchte, nur Mitglieder und Angestellte dürfen das Gelände betreten. Ich muss Sie bitten, zu Ihrem Wagen zurückzukehren und wegzufahren.«

Als würde es mich interessieren, dass Ardnoch Castle das Zuhause von Schauspielern und Leuten aus der Filmbranche war, die ein Vermögen für ihre Mitgliedschaft zahlten. »Mein Name ist Robyn Penhaligon. Mein Vater ist Mac Galbraith. Könnten Sie ihn informieren, dass ich hier bin?«

Der Securitymann war gut, denn er ließ sich nichts anmerken. »Können Sie sich ausweisen?«

Da ich gewusst hatte, dass sie danach fragen würden, hatte ich den Führerschein in die Gesäßtasche meiner Jeans geschoben. Jetzt zückte ich ihn und gab ihn dem Mann.

»Einen Moment, bitte.« Der Typ ging zu seinem Wagen und öffnete die Fahrertür. Er stieg ein, ohne die Tür zu schließen, und ich hörte ihn leise reden.

Ich kehrte zu meinem Wagen zurück, um mir den Pullover vom Rücksitz zu holen. Beim Verlassen des Hotels war mir vor Nervosität ganz warm gewesen, doch jetzt fröstelte ich in der kühlen Luft.

Kurz darauf kam der Typ wieder zum Tor. »Miss Penhaligon, ich muss Sie bitten, Aufnahmegeräte abzugeben, die Sie bei sich führen, einschließlich Ihres Smartphones.«

»Wie bitte?«

»Nichtmitglieder ist das Betreten des Geländes mit Aufnahmegeräten nicht gestattet. Das sichert unseren Gästen ihre Privatsphäre.«

»Klar.« Das hieß ja zumindest, dass mein allerliebster Dad mich nicht wegschicken würde.

So ein Mist aber auch.

Insgeheim hatte ich mir ein kleines bisschen gewünscht, er würde das tun.

Ich holte mein Handy aus dem Wagen und war froh, die Kamera im Zimmer gelassen zu haben. Mein Baby vertraute ich niemandem an.

»Ist das alles?«

»Ja.«

»Bitte gehen Sie zurück zu Ihrem Wagen. Das Tor wird sich gleich öffnen, dann folgen Sie mir auf das Gelände.«

Ich nickte und ging wieder zu meinem gemieteten SUV. Ein Wagen mit Allradantrieb schien mir die beste Wahl für die Highlands zu sein, und dieser war bezahlbar. Die Entscheidung, nach Schottland zu fliegen, ohne ein Rückflugticket zu buchen, hatte meinen Ersparnissen ziemlich zugesetzt. Während ich hier war, musste ich gut mit meinem Geld haushalten.

Sobald der Securitytyp mein Gesicht nicht mehr sehen konnte, atmete ich nervös aus und wartete darauf, dass sich das Tor öffnete. Unterdessen wendete er seinen Range Rover, um den Torflügeln nicht im Weg zu sein, die Sekunden später nach innen aufschwangen.

Die Zufahrt führte durch einen Wald, und es kam mir vor wie eine Ewigkeit, ehe die Bäume einer riesigen Rasenfläche wichen, die ein gigantisches Gebäude in der Ferne umgab. Fahnen auf dem hügeligen Gelände markierten es als Golfplatz. Ich sah aus der Entfernung winzig wirkende Gestalten spielen.

Dann richtete ich den Blick wieder auf Ardnoch Castle.

Nie hatte ich mich deplatzierter gefühlt.

Typisch Mac.

Ich habe mich seiner Welt noch nie zugehörig gefühlt.

Er hatte es nie zugelassen.

Das Schloss war ein weitläufiger, zinnenbewehrter Bau, sechs Stockwerke hoch und ungefähr zweihundert Jahre alt. Durch meine Recherche wusste ich, dass es sich zwar um das Hauptgebäude des Clubs handelte, es auf dem etwa fünftausend Hektar großen Gelände aber noch weitere Gebäude gab, einschließlich der Dauerwohnsitze einiger Mitglieder, die dafür exorbitante Summen hingeblättert hatten. Laut Google befand sich das Anwesen an der Küste von Ardnoch und bestand aus Kiefernwäldern (was ich inzwischen bestätigen konnte), hügeliger Landschaft (auch die sah ich), Heidemoor (wollte ich unbedingt sehen) und Sandstränden (wollte ich absolut sehen). Ich hatte keine Ahnung, wie der Besuch bei meinem Vater verlaufen würde, aber ich hoffte, es würde für eine Tour über das Gelände reichen.

Auch wenn ich mich wie ein Fisch auf dem Trockenen fühlte.

Während ich dem Range Rover zum Schloss folge, dachte ich über die Sicherheitsvorkehrungen hier allgemein nach. Es gab zwar ein großes Tor und Mauern am Eingang, aber wie wurde die Privatsphäre der Mitglieder gesichert, wenn es fünftausend Hektar zu überwachen gab?

Das konnte ich Dad ja fragen, falls wir das peinliche »Warum hast du mich nicht genug geliebt, um bei mir zu bleiben, was mir beinahe tödliche Verlassensängste eingebrockt hat?« je überwinden würden.

Schon wieder drehte sich mir der Magen um.

»Wow«, murmelte ich vor mich hin, während ich ausstieg. Ardnoch Castle sah aus wie die große Schwester von Downton Abbey. Mein Blick fiel auf die Türme; eine Flagge mit dem Andreaskreuz wehte auf der Brüstung. Säulen stützten ein kleines Zinnendach über der eisernen Doppeltür.

Der Wind blies mir den Pferdeschwanz ins Gesicht und drang durch meinen Pullover. Es war hier viel windiger ohne den Schutz der Bäume, auch überraschend kalt, wenn man bedachte, dass wir doch schon fast April hatten. Die Luft roch nach Salzwasser, obwohl das Schloss zwei Kilometer von der Küste entfernt lag.

Ich liebte die frische Luft hier, sie erfüllte mich mit Energie.

Ich sah zu der Flagge hoch und hörte das Knarren der Eisentüren, die geöffnet wurden. Ein Mann in traditioneller Butleruniform einschließlich weißer Handschuhe trat hinaus, wie um mich zu begrüßen.

Das Erscheinen eines anderen Mannes hielt ihn davon ab.

Ich trat hinter der geöffneten Fahrertür hervor, warf sie zu und zwang mich, die sehr große breitschultrige Gestalt anzusehen, die auf mich zukam.

Ein Mix aus überwältigenden Emotionen durchflutete mich, als ich den Mann erkannte. Er trug einen maßgeschneiderten grauen Anzug, der seine intensive Ausstrahlung jedoch nicht bändigen konnte. Sein dichtes, von grauen Strähnen durchzogenes Haar ging ihm bis zum Nacken. Er trug einen Dreitagebart.

Er sah aus wie Ende dreißig, aber ich wusste, dass er schon vierundvierzig war.

Er ging mit neutraler Miene entschlossen auf mich zu. Beim Näherkommen erkannte ich, wie sehr ich äußerlich meinem Vater ähnelte. Seine Haare waren dunkler, aber ich hatte seine Gesichtsform und seine Augen.

Das waren definitiv meine Augen. Dasselbe helle Braun um die Pupillen, mit grauen und grünen Schlieren am Rand der Iris.

Mom meinte immer, mein Vater habe mir wenigstens etwas Gutes hinterlassen.

Mac Galbraith sah mich mit unbeweglicher Miene an, aber diese Fassade bröckelte, als er schlucken musste. »Robyn?«

»Mac.« Ich streckte ihm die Hand entgegen.

Er betrachtete sie sekundenlang, als wäre er sich nicht sicher, was er tun sollte.

Seine guten Manieren zwangen ihn, sie schließlich zu schütteln. Er drückte meine Hand, ehe er sie anscheinend widerstrebend losließ. Das rief eine Reaktion bei mir hervor, mit der ich nicht gerechnet hatte. Tränen schossen mir in die Augen, und ich wandte wie beiläufig den Blick ab. Das Schloss betrachtend, sagte ich gleichgültig und unbeeindruckt: »Das ist ja mal ein Haus, das du hier hast.«

»Es ist nicht meins«, erwiderte er. »Es gehört Lachlan. Den Adairs.«

Als wüsste ich das nicht längst. Da war sie wieder, diese schreckliche Verbitterung. Ich überwand mich, meinen Vater erneut anzusehen. »Du fragst dich sicher, warum ich hier bin.«

»Aye. Allerdings ist es eine nette Überraschung.«

Ach ja?

Ich musterte ihn skeptisch und versuchte zu ergründen, wie viel Wahrheit in dieser Aussage steckte. »Ich kann dir das nicht hier« – ich wies auf die weitläufige Auffahrt des Schlosses – »erklären, während da ein Typ lauert, den ich nicht kenne.« Das bezog sich auf den Securitymann, der immer noch bei uns war.

»Tut mir leid, das gehört zum Protokoll.«

Ich nickte. Das Protokoll kannte ich.

»Aber das wirst du ja alles wissen«, sagte Mac, als pflückte er die Worte aus meinem Kopf. »Soweit ich weiß, bist du Police Officer.«

Er wirkte zufrieden mit dieser Feststellung. Als stellte das irgendeine Verbindung zwischen uns her. Und es war mir zuwider, dass das tatsächlich zutraf. Schließlich war er früher selbst Cop gewesen. Mein Stiefvater, Seth Penhaligon, allerdings auch. »Liegt wohl in der Familie«, erwiderte ich. »Wollte wie mein alter Herr Seth sein.« Mit sechzehn entschied ich mich, meinen Namen offiziell von Galbraith in Penhaligon ändern zu lassen. Nach zwei Jahren ohne Kontakt zu Mac wollte ich unsere Beziehung beenden und den Namen der Familie tragen, die täglich eine Rolle in meinem Leben spielte.

Mac verbarg seine Reaktion sehr gut, allerdings registrierte ich ein Flackern in seinen Augen, das mir verriet, dass ich einen wunden Punkt erwischt hatte.

Hm.

»Ich bin kein Cop mehr.«

»Ach?«

»Wie ich schon sagte: Ich möchte nicht in der Auffahrt plaudern. Mir ist klar, dass dieses Schloss kein Gesindel beherbergt, also könntest du weg?«

Mac runzelte die Stirn. »Meine Tochter ist kein Gesindel. Komm rein. Wir unterhalten uns, und anschließend führe ich dich herum.«

Ich zeigte mit dem Daumen über meine Schulter. »Wird dieser Typ die ganze Zeit auf uns aufpassen?«

Mac sah zu seinem Kollegen. »Jock, bring den Wagen doch bitte zu den Stallungen und geh dann wieder an die Arbeit.«

»Ja, Sir.«

»Wollen wir?«, wandte Mac sich an mich und deutete zum Eingang des Schlosses.

»Gibt es keinen Dienstboteneingang, der meiner Position eher entspricht?«

»Wir haben einen Lieferanteneingang, aber normalerweise sind wir auf Lieferungen vorbereitet.« Er warf mir einen spöttischen Blick zu und ging Richtung Schloss.

»Was ist mit meinem Wagen?«

»Der steht da gut. Wir fahren ihn später weg, falls nötig.«

Ich betrachtete Macs Hinterkopf, während er vor mir herging. Mein Vater musste etwa einen Meter neunzig groß sein und war durchtrainiert. Eine einschüchternde Erscheinung. Mit vierundvierzig besaß er den Körper eines Mannes, der halb so alt war. Er sah großartig aus. Verwegen attraktiv. Erfolgreich. Er sah nicht alt genug aus, um mein Vater zu sein. Für einen Jungen, der seine ältere Freundin geschwängert hatte, als er gerade erst sechzehn war, hatte er sich ganz gut gehalten.

Aber warum auch nicht, schließlich hatte er Kind und Beziehung zurückgelassen, um seinen Weg zu gehen und Erfolg zu haben.

Ich war so in Gedanken, dass ich zunächst meine Umgebung gar nicht wahrnahm.

Heilige Scheiße.

Ich blieb gleich nach dem Eintreten stehen und starrte.

Ja, ich fühlte mich definitiv wie ein Fisch auf dem Trockenen.

»Wakefield, das ist meine Tochter Robyn«, wandte Mac sich an einen Uniformierten. »Robyn, das ist Wakefield, der Butler auf Schloss Ardnoch.«

Ein Butler. Klar, was sonst. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Der Butler verneigte sich mit stoischer Miene. »Willkommen in Ardnoch Castle, Miss.«

Ich nickte vage, denn meine Aufmerksamkeit galt wieder dem Innern des Schlosses.

»Beeindruckend, aye?« Mac grinste über meinen Gesichtsausdruck.

Es war gigantisch.

Das polierte Parkett unterstrich diesen Eindruck, ebenso das opulente traditionelle schottische Dekor. Vor mir erhob sich die prachtvollste Treppe mit einem rot-grauen Läufer im Schottenmuster. Sie führte zu einer Galerie mit drei hohen Fenstern hinauf, durch die das Licht in die Halle fiel. Zur anderen Seite führten zwei Treppen in die nächsten Stockwerke, deren Galeriegeländer ich sehen konnte. Ein Feuer brannte in dem riesigen offenen Kamin neben dem Eingang gegenüber der Treppe. Der Geruch nach Holz unterstrich die Behaglichkeit, die der Innenarchitekt trotz der dunklen Holztäfelung der Wände und Decken geschaffen hatte. Tiffanylampen auf Beistelltischchen tauchten den Raum in warmes Licht.

Vor dem Kamin standen zwei Chesterfield-Sofas mit Wildleder- und Stoffbezug, dazwischen ein Couchtisch. Durchgänge zu weiteren Räumen im unteren Stockwerk sorgten für zusätzliche Helligkeit. Von irgendwoher hörte ich Stimmen.

In einem der Türrahmen erschien ein Mann, der so groß war wie mein Vater. Er blieb erst stehen, als er uns sah, dann kam er durch die Eingangshalle auf uns zu.

Ich erkannte ihn.

Millionen Menschen überall auf der Welt kannten das Gesicht dieses Mannes.

In seinem eng anliegenden schwarzen Kaschmirpullover, der seinen muskulösen Körper betonte, und seiner schwarzen Anzughose repräsentierte er lässigen Chic auf umwerfende Weise. Er besaß den Körper und genau die Ausstrahlung, die Modemagazine an Hollywoodstars so liebten.

Und genau das war er gewesen.

Ein Hollywoodstar der A-Liga.

Lachlan Adair.

Normale Frauen würden bei der Attraktivität dieses dunkelblonden Mannes mit den wundervollen blauen Augen, dem sinnlichen Mund und dem dunkelbraunen Dreitagebart dahinschmelzen. Seine männliche Schönheit hatte etwas Raues, das ihn noch anziehender machte. Er war berühmt für das coole Funkeln in seinen Augen. Soweit ich das beurteilen konnte, war er kein schlechter Schauspieler gewesen, obwohl er hauptsächlich Actionrollen gespielt hatte.

Ich schmolz jedenfalls nicht dahin, als er näher kam.

Ich war nervös, aber nicht, weil sein Charisma und sein Ruhm mich einschüchterten.

Hinter meiner äußerlich ruhigen Fassade verbarg ich eine tiefe Abneigung gegen diesen Typen. Es war nicht seine Schuld. Zumindest nicht direkt. Aber er war der Mann, wegen dem mein Vater mich verlassen hatte.

Als Lachlan Adair mit einundzwanzig seinen Durchbruch mit einem aufwendigen Action-Blockbuster hatte, engagierte er unter anderem meinen Vater, um für seine Sicherheit zu sorgen. Vielleicht mochten sie sich, weil sie beide Schotten waren. Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nur, dass die Chemie zwischen ihnen offenbar stimmte. So sehr, dass Mac dem berühmten Schauspieler überallhin folgte, auch wenn es bedeutete, meine Teenagerjahre zu verpassen. Meine Geburtstage. Meinen Schulabschluss. Und dann ließen die beiden sich in Schottland nieder, als Lachlan sich aus dem Filmgeschäft zurückzog, um das im Familienbesitz befindliche Schloss in diesen exklusiven Club zu verwandeln.

Mac war Chef der Security und wohnte im Ort.

»Ich hörte, du hast eine Besucherin«, sagte Lachlan Adair und wandte sich an den Butler. »Wakefield, es scheint ein Problem mit einem Gast in der Herzoginnensuite zu geben. Würden Sie bitte helfen?«

Der Butler marschierte an uns vorbei. »Sofort, Sir.« Er verschwand die große Treppe hinauf, in effizientem Tempo, ohne dabei wie in Eile auszusehen.

Adair richtete seinen kühlen Blick auf mich, obwohl er zu meinem Vater sprach. »Mac, du solltest uns miteinander bekannt machen.«

»Lachlan, das ist meine Tochter Robyn. Robyn, das ist Lachlan Adair.«

Wir gaben uns nicht die Hand. Zwischen uns herrschte eine unangenehme Anspannung.

Ich hatte keine Ahnung, was für ein Problem er mit mir hatte.

Schließlich war ich nicht diejenige, die ihm seinen Vater weggenommen hatte.

»Ich weiß, wer er ist«, sagte ich unbeeindruckt.

Lachlan kniff ein wenig die Augen zusammen. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Es kommt mir seltsam vor, dass ich seit mehr als fünfzehn Jahren in Macs Leben eine Rolle spiele, ohne je seine Tochter kennengelernt zu haben.«

»Ja, so was passiert, wenn ein Vater sein Kind verlässt, um einem Schauspieler rund um die Welt zu folgen.« Ich wagte es nicht, meinen Vater anzusehen. Trotz meiner komplizierten Gefühle war ich schließlich nicht hergekommen, um ihn anzugreifen. In gewisser Hinsicht verstand ich sogar, warum Mac nicht für mich da gewesen war.

»Bitte?«, erwiderte Adair leise, aber mit einem bedrohlichen Beiklang.

Ich ignorierte ihn und wandte mich an meinen Vater. »Können wir uns ungestört unterhalten?«

»Selbstverständlich«, antwortete Adair an seiner statt. »Verzeihen Sie mir die Störung.« Er warf Mac einen besorgten Blick zu. »Ich wollte nur sichergehen, dass hier alles in Ordnung ist.«

Mac nickte, seine Miene verriet Wachsamkeit. »Wenn es dir lieber ist, dass wir das Schloss verlassen …«

»Unsinn.« Adair wich einen Schritt zurück. »Führe Miss Penhaligon doch herum.«

Hatte er meinen Nachnamen gerade betont?

Mac presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und schien Adair warnend anzusehen. Der Schlossherr hob kapitulierend die Hände und machte auf dem Absatz kehrt, ohne mich noch einmal anzusehen.

Alles in allem war er mir gegenüber genauso unhöflich gewesen wie ich ihm gegenüber.

Allerdings hatte ich einen Grund für meine Unhöflichkeit, auch wenn es unfair war, ihm die Schuld an den Entscheidungen meines Vaters zu geben.

Was aber hatte ich Lachlan Adair getan?

2. KAPITEL

Robyn

Minuten später fand ich mich in einem Raum im Erdgeschoss wieder – in Macs Büro. Es war deutlich schlichter eingerichtet als das, was ich bisher vom Schloss gesehen hatte.

Ein niedriges Fenster hinter dem Schreibtisch bot einen nicht gerade spektakulären Ausblick auf das Gelände. In schlichten Tönen gehalten, wurde der Raum nur durch die vielen Lampen, die bequemen antiken Sitzmöbel und eine erstaunliche Sammlung an Büchern in den Regalen gemütlich.

Zwei Sessel standen vor dem Schreibtisch. Mac bot mir einen davon an. »Soll ich Tee oder Kaffee kommen lassen?«

Plötzlich nervöser als zu Beginn unserer Begegnung, nickte ich und murmelte: »Kaffee, danke.«

Ich setzte mich und hoffte, dass meine zitternden Knie nicht auffielen.

Mac drückte einen Knopf am Telefon auf seinem Schreibtisch und sagte: »Stephen, würden Sie bitte Kaffee und Erfrischungen in mein Büro bringen? Für zwei.«

Ich hörte eine Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Danke.« Mac legte auf und setzte sich auf die Schreibtischkante.

Vielleicht lag es daran, dass wir endlich allein waren, aber als unsere Blicke sich trafen, spürte ich ein heftiges Ziehen in der Brust. Es herrschte Schweigen zwischen uns, und es dauerte quälend lange Minuten.

Zumindest kam es mir so vor.

»Also«, beendete Mac die unerträgliche Anspannung. »Ich nehme an, du bist aus einem bestimmten Grund hergekommen.«

Auf einmal schien alles, was mir monatelang durch den Kopf gegangen war, seit mein Therapeut mir vorgeschlagen hatte, Mac aufzusuchen, um einen Schlussstrich zu ziehen, einfach zu viel zu sein. Wenn ich diesem Mann, diesem mir fast fremden Mann erzählte, wie es in mir aussah, würde ich mich jemandem gegenüber verwundbar machen, der mir schon einmal unerträglich wehgetan hatte. Das war mir nicht klar gewesen, bis ich ihm in die Augen sah und die Sehnsucht nach einem Vater erwachte, den ich kaum kannte.

Mac wartete geduldig auf meine Antwort. Aber die Worte wollten nicht heraus.

Er wirkte besorgt. »Robyn, ist etwas passiert?«

»Ich … äh … Ich habe meinen Job gekündigt.«

»Das erwähntest du bereits. Aus einem besonderen Grund?«

Ich richtete den Blick auf das Bücherregal, um ihm nicht mehr in die Augen sehen zu müssen. »Es war wohl nicht das Richtige für mich.« Frustriert von mir selbst, weil ich es nicht schaffte, ehrlich zu sein, biss ich die Zähne zusammen.

»Ist das der einzige Grund?«

»Ja«, log ich und sah ihn wieder an. »Ich habe mich als Fotografin selbstständig gemacht, und ich habe angefangen, meine Bostonfotos auf meinem Instagram-Account zu verkaufen. Das läuft ganz gut. Ich wollte immer schon nach Schottland, da ich ja zum Teil schottischer Abstammung bin, und da dachte ich mir, Fotos von hier kommen bestimmt super an … Tja, und ich dachte, ich schaue mal vorbei. Schließlich habe ich meinen schottischen Teil von dir.«

Seine Lippen zuckten. »Ich bin froh, dass du gekommen bist, um mich zu besuchen. Und herzlichen Glückwunsch zu deiner Selbstständigkeit.« Seine Augen hellten sich auf. »Ich habe dir deine erste Kamera geschenkt. Erinnerst du dich?«

Es schnürte mir den Hals zu, und ich stand unvermittelt auf. »Weißt du was, ich bin doch noch nicht bereit für das alles …«

»Robyn …« Mac stand ebenfalls auf.

»Ich muss los.«

Er wirkte enttäuscht. »Bitte bleib. Trink einen Kaffee mit mir.«

Ich konnte nicht, denn ich stand kurz davor, in Tränen auszubrechen. Das war demütigend und schien aus dem Nichts zu kommen. »Später. Ich muss gehen.«

Ich eilte zur Tür, riss sie auf und marschierte hinaus. Um ein Haar wäre ich mit dem jungen Mann in Uniform zusammengestoßen, der ein Tablett mit unserem Kaffee trug. »Sorry.« Ich wich ihm aus, entschlossen, von Mac wegzukommen.

»Verdammt!«, stieß Mac hervor. »Stephen, Verzeihung. Bitte stellen Sie das Tablett in mein Büro.« Dann holte er mich auf meinem Weg durch den schmalen Gang, der zur Empfangshalle führte, ein.

»Bitte bleib und lass uns reden«, sagte er.

»Nicht jetzt, okay?«

»Aber du bleibst hier? Ich sehe dich wieder?«

Ich nickte. Ja, ich war auch noch nicht bereit, jetzt schon wieder zu verschwinden. Ich musste mich nur erst ein bisschen sammeln. Offenbar war das Wiedersehen nach so langer Zeit doch überwältigender, als ich erwartet hatte. »Ich wohne in Ardnoch. Im Gloaming.«

»Aye, gut.«

Erneut herrschte Schweigen zwischen uns.

»Weißt du, was Gloaming bedeutet?«, fragte er dann.

»Ja. Gordon, der Besitzer, hat es mir erklärt: Es bedeutet Zwielicht

»Na klar.« Mac grinste. »Ich bin sicher, das erklärt Gordon jedem.«

»Kennst du ihn?«

»Es ist ein kleiner Ort, da kennt jeder jeden.«

»Stimmt.« Ich dachte darüber nach, während Mac mir die Eingangstür aufhielt. »Macht es das leichter oder schwieriger, diesen Ort für die Mitglieder abzuschirmen?«

»Ob du es glaubst oder nicht, aber die Dorfbewohner interessieren sich gar nicht für das Kommen und Gehen der Reichen und Berühmten. Die Mitglieder des Clubs bewegen sich im Ort ohne die Angst, hinterher Fotos von sich in irgendeinem Magazin zu finden. Es sei denn, die Paparazzi sind im Sommer da. Die Leute hier verstehen, dass die Mitglieder zurückkommen und Geld in einen Ort investieren, der ihnen Privatsphäre sichert und ein Gefühl von Normalität vermittelt.«

»Das kann ich nachvollziehen.« Mein Mietwagen stand in der Zufahrt, wo ich ihn stehen gelassen hatte. Ich war verlegen wegen meines plötzlichen Aufbruchs und konnte Mac deshalb nicht ansehen. »Entschuldige das Drama. Es ist nur …« Ich zuckte mit den Schultern und konnte den Satz nicht mehr beenden.

»Mr. Galbraith!«

Mac drehte sich zu dem Mann um, der wie Jock gekleidet war und auf uns zugelaufen kam. »Was ist denn?«

»Sir, Sie werden dringend am Lieferanteneingang gebraucht.« Seine Augen weiteten sich ganz leicht, als versuchte er eine verborgene Botschaft zu übermitteln.

Eine, die mein Vater offenbar verstand. Er fluchte leise und sagte zu mir: »Ich muss los. Aber vielleicht können wir gemeinsam im Gloaming zu Abend essen?«

»Äh … wie wäre es morgen Abend?«

So bald?

Er nickte und hob die Hand, als wollte er mich berühren, ließ sie aber gleich wieder sinken. »Ich hole dich gegen sieben ab.«

Ich konnte gerade noch sagen, das sei okay, als er schon dem Mann nacheilte.

Nachdem er im Schloss verschwunden war, seufzte ich enttäuscht. Was hatte ich eigentlich erwartet? Auf wundersame Weise eine Verbindung? Dass ich meine verletzten Gefühle überwinden könnte, in der Hoffnung auf was? Das Verschwinden der Leere in mir?

Ich gab einen spöttischen Laut von mir und öffnete die Fahrertür.

»Warten Sie!«

Ich erstarrte, als ich die bekannte Stimme hörte.

Ich holte tief Luft und drehte mich zu Lachlan Adair um, der über den Kies lief und jetzt vor mir stehen blieb.

Er kam mir größer und einschüchternder vor im hellen Tageslicht. Seine blauen Augen waren auf mich gerichtet, in ihnen lag ein harter Ausdruck. Keinerlei Anzeichen des berühmten Funkelns.

»Ja?«, fragte ich kühl.

»Was wollen Sie hier?«

Prompt stieg heißer Zorn in mir auf. Trotzdem bemühte ich mich um einen ruhigen Ton. »Keine Ahnung, ob Sie es mitbekommen haben, aber ich bin Macs Tochter.«

Adair musterte mich ausdruckslos. »Wenn Sie hier sind, um Mac Ärger zu machen, rate ich Ihnen davon ab. Er hat viel um die Ohren, und das Letzte, was er momentan braucht, ist Ihr Auftauchen, um ihm irgendeinen Scheiß in den Kopf zu setzen.«

Wer war dieses Arschloch? Diese Unverfrorenheit war wirklich unfassbar. »Ich setze ihm Sachen in den Kopf? Er hat mich verlassen, nicht andersherum.«

»Aye, ich weiß. Das ist die Geschichte, die Ihre Mutter Ihnen erzählt hat.«

Wütend schlug ich die Wagentür zu und trat vor ihn. Ein untypisches Verlangen, ihn anzubrüllen, überkam mich, und es kostete mich große Überwindung, in moderatem Ton zu sprechen. »Für wen halten Sie sich eigentlich? Wagen Sie es nicht, über meine Mutter zu urteilen. Sie wissen überhaupt nichts.«

Adair bedachte mich mit einem mitleidigen Blick, den ich ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen hätte. »Ich wage zu behaupten, dass ich mehr darüber weiß als Sie.« Er kam einen Schritt näher und zwang mich, bis dicht an den Wagen zurückzuweichen. Ein eisiger Ausdruck trat in seine Augen. »Mac ist wie ein Bruder für mich. Familie. Ich lasse nicht zu, dass ihn jemand fertigmacht, nicht einmal Sie. Deshalb empfehle ich Ihnen höflich, Ihren Hintern wieder in ein Flugzeug zu bewegen und, verdammt noch mal, von hier zu verschwinden.«

»Sie glauben, Sie können mir Angst machen?« Ich stieß mich von meinem Wagen ab und drängte ihn nun mit meinem Körper, einen Schritt rückwärtszugehen. »Ich hatte es schon mit übleren Leuten als ehemaligen Schauspielern zu tun, deshalb empfehle ich Ihnen, und zwar keineswegs höflich, sich aus meiner Privatangelegenheit mit meinem Vater herauszuhalten. Ich glaube, ich kann mit einiger Sicherheit behaupten, dass er über Ihre Einmischung nicht allzu glücklich sein wird.«

Ein Muskel zuckte auf Adairs Wange, während er einen weiteren Schritt zurückwich. Offenbar hatte er wirklich damit gerechnet, mich einschüchtern zu können.

»Ich denke, wir verstehen uns jetzt.« Ich warf ihm einen eisigen Blick zu und öffnete die Wagentür.

Aber als ich einstieg, sagte Adair drohend: »Wenn Sie meiner Familie wehtun, Miss Penhaligon, werden Sie dafür bezahlen.«

Das war ebenso hart wie aufrichtig, und seine Worte hallten in meinem Kopf nach, während ich diesen Mistkerl in seinem verdammten Schloss verschwinden sah. Und ich verfluchte ihn dafür, dass er das letzte Wort gehabt hatte.

3. KAPITEL

Lachlan

Noch immer wütend von der Auseinandersetzung mit Macs sogenannter Tochter, beschloss Lachlan, dass er vorläufig keine angenehme Gesellschaft für seine Clubmitglieder sein würde. Es war besser, sich in sein echtes Büro zurückzuziehen, statt in das nur zu Vorzeigezwecken existierende, bis er seinen Zorn unter Kontrolle hatte. Er hörte Lachen aus einem der Gesellschaftsräume neben der Eingangshalle und ging daran vorbei zu der Tür, die in den nur dem Personal vorbehaltenen Bereich des Schlosses führte.

Wieder sah er Robyn Penhaligons Gesicht vor sich. Diese selbstgefällige, hinterhältige kleine Hexe, die ihn bei Mac verpetzen wollte. Als wären sie Dreijährige auf dem Spielplatz.

Dennoch fühlte er sich unbehaglich.

Vielleicht war er doch ein wenig zu weit gegangen.

So sehr er Mac vor einer Frau schützen wollte, die möglicherweise genauso unversöhnlich wie ihre Mutter war, lag die Entscheidung, ob Robyn in Ardnoch bleiben sollte, doch bei ihrem Vater.

Nur hatte Mac gerade wirklich viel um die Ohren. Sie alle. Das Letzte, was sie gebrauchen konnten, war eine entfremdete und verbitterte Tochter, die ihnen in die Quere kam.

Ehrlicherweise musste Lachlan sich eingestehen, dass er schon schlechte Laune gehabt hatte, bevor Robyn Mac mit ihrem Besuch überrascht hatte. Gwen, seine Agentin, die zufällig auch die Agentin seines Bruders Brodan war, hatte ihn heute Morgen angerufen. Sie hatte ihn auf ein Klatschblatt aufmerksam gemacht, das gestern Abend Fotos von Brodan gebracht hatte, wie er sich betrunken mit Türstehern eines Nachtclubs in Los Angeles prügelte.

Lachlan wusste nicht, was er mit ihm machen sollte. Als er Brodan davor gewarnt hatte, ihm nach Hollywood zu folgen, hatte der ihm versichert, er könne mit dem Druck und der Bekanntheit umgehen.

Seine Eskapaden in jüngster Zeit sagten etwas anderes.

Lachlan fühlte sich angesichts seiner momentanen Situation wie ein Versager. Dieses Gefühl der Ohnmacht mochte zu seinem Verhalten Robyn Penhaligon gegenüber beigetragen haben. Das und die arrogante Art, wie sie ihr Kinn hob.

Lachlans Handy klingelte in seiner Gesäßtasche, und als er es hervorzog, leuchtete Macs Name auf dem Display auf. Meine Güte, hatte sie ihre Drohung schon wahrgemacht?

»Mac«, meldete er sich und blieb in dem schmalen Flur stehen, der zu ihren Büros führte.

»Lieferanteneingang, sofort.«

Ach ja, der Lieferanteneingang! Furcht stieg in ihm auf. »Nicht noch eine, oder?«

»Komm einfach her.« Mac legte auf.

Also doch.

Er biss die Zähne zusammen, dann lief er den Flur entlang, der durch das geschäftige Treiben in der Küche führte und von dort in den Gang zum Lieferanteneingang. Das Küchenpersonal tuschelte. Anspannung und Besorgnis lagen in der Luft.

»Habt ihr nichts zu tun?«, fuhr Lachlan die Leute an, die verlegen reagierten. »Nun?«

»Ihr habt Mr. Adair gehört!«, rief seine Souschefin Rafaella mit ihrem italienischen Akzent. »Zurück an die Arbeit!«

Lachlan folgte dem kühlen Durchzug, den die weit offen stehende Tür des Lieferanteneingangs verursachte.

Draußen stand Mac mit Pete und Jock, zwei der Securitymänner. Lachlans Securitychef sah ihm entgegen, als er sich langsam näherte. »Mach dich schon mal bereit. Es ist nicht schön.«

Zuerst schlug ihm der Geruch entgegen, und er schluckte mehrmals, um sich nicht zu übergeben.

»Fuck«, murmelte er und schaute zu Boden.

Ein einst schönes kleines Reh lag tot vor dem Eingang, seine Eingeweide ergossen sich auf den Kies; neben dem Kadaver lag ein Strauß roter Rosen. Lachlan sah Mac an, der eine weiße Karte hochhielt. Da Mac Handschuhe trug, nahm Lachlan sie nicht von ihm entgegen.

Doch nachdem er sie gelesen hatte, verstärkte sich seine Besorgnis um ein Vielfaches.

Du lagst mir einst so am Herzen.
Doch nun bist du für mich gestorben.

»Und wieder ist sie an niemanden adressiert.«

Mac seufzte. »Wie bei den vorangegangenen Karten gehen wir davon aus, dass sie an dich gerichtet ist.«

»Mir macht das keine Angst«, erwiderte er düster. »Aber hier geht es auch um die Sicherheit meiner Angestellten und Clubmitglieder. Der letzte Vorfall war der Auftakt zu etwas Finsterem, Mac. Es ist an der Zeit, die Polizei zu benachrichtigen.«

Mac warf seinen Männern einen Blick zu, ehe er sich wieder an Lachlan wandte. »Gib uns noch ein bisschen Zeit, um der Sache auf den Grund zu gehen. Es ist besser, sich erst an die Polizei zu wenden, wenn wir den Täter haben. Die Clubmitglieder werden beruhigt sein, wenn sie in den Nachrichten darauf stoßen.«

»Wir sollten ihnen das nicht verschweigen. Die wissen längst, dass hier irgendetwas los ist. Und Lucy weiß Bescheid.« Sie hatte versprochen, es für sich zu behalten. »Mal abgesehen davon, dass wir nicht dafür garantieren können, dass es einem Angestellten nicht doch herausrutscht.«

»Wenn die Angestellten mit Außenstehenden über das Schloss oder eines der Mitglieder sprechen, ist das ein Verstoß gegen den Arbeitsvertrag.« Mac erläuterte ihm da etwas, was er natürlich wusste. »Niemand wird eine Klage riskieren. Sie werden alle den Mund halten.«

Lachlans Miene verdüsterte sich. Die Verträge waren aufgesetzt worden, um Klatsch und Skandale zu verhindern. Aber an einen Psychopathen, der kranke Botschaften an den Besitzer des Anwesens hinterließ, hatte man dabei eher nicht gedacht.

»Gib mir einfach noch etwas Zeit«, bat Mac. »Ich will nicht, dass du wegen dieser Sache alles verlierst. Meine Männer und ich schaffen das.«

»Stimmt«, pflichteten Jock und Pete ihm im Chor bei.

Lachlan war nicht überzeugt. »Wie ist das passiert?« Er deutete auf den Kadaver und sah dann hoch zur Kamera über der Tür. »Wurde der Täter gefilmt?«

Mac sah frustriert aus, und das war Antwort genug. Er wandte sich an seine Mitarbeiter. »Lasst ihr uns bitte einen Moment allein?«

Jock und Pete nickten und verschwanden.

»Seid in zwei Minuten zurück und bringt diese hübsche Kreatur zu McCulloch. Vielleicht kann Collum das Tier noch verarbeiten, dann war der Tod nicht ganz umsonst.«

»McCulloch?« Lachlan hob eine Braue. Collum McCullochs Familie bearbeitete seit Generationen das Land nördlich von Ardnoch. Seit Generationen verband die Familien eine bittere Geschichte, die sich bis in die heutige Zeit auswirkte.

»Um dieser armen Kreatur willen werde ich es riskieren, in seiner Schuld zu stehen.« Mac sah traurig auf das Reh, dann winkte er Lachlan ins Schloss.

»Keine Kameraaufnahme?«, fragte er Mac, sobald sie allein waren.

»Nein. Es muss jemand aus dem Schloss sein, Lachlan. Das ist spätestens jetzt eindeutig klar.«

»Kein Stalker also?«

»Doch. Das Verhalten ist eindeutig das eines Stalkers.«

»Und du meinst, es muss jemand auf dem Anwesen sein?«

»Es muss so sein.«

Es wäre nicht das erste Mal, dass ihm eine für einen Stalker typische Botschaft gesandt wurde. Aber etwas Derartiges noch nie. Und auch nicht direkt aus seinem Umfeld. »Ich gebe dir zwei Wochen, um diese Sache aufzuklären, Mac. Danach gehe ich zur Polizei.« Er kochte vor Wut. Zerstörung und Drohungen waren das eine – aber dieses Mal war ein Lebewesen zu Schaden gekommen, und das war etwas ganz anderes. »Die Sache eskaliert. Jetzt mache ich mir wirklich Sorgen.«

Mac ging neben ihm. »Ich weiß. Geht mir genauso. Aber versuchen wir uns zu konzentrieren. Ich werde die Karte von Tracy auf Fingerabdrücke untersuchen lassen.«

Lachlans Securitychef hatte Kontakt zu Kriminaltechnikern, die auch die anderen Botschaften des Stalkers auf Fingerabdrücke untersucht hatten. Bisher ergebnislos. Aber es war den Versuch wert.

»Dass deine Tochter hier auftaucht, hat gerade noch gefehlt.«

»Das würde ich nicht sagen«, widersprach Mac. »Es war ein Schock, aber ich kann nicht behaupten, dass ich mich nicht gefreut hätte, sie zu sehen.«

Lachlan brummte.

»Sie ist meine Tochter.« In Macs Stimme schwang ein warnender Unterton mit. »Und ich bin derjenige, der sich ihr gegenüber falsch verhalten hat.«

»Du hast es immerhin versucht. Ihre Mutter hat sich falsch verhalten.«

»Ich hätte es entschlossener versuchen müssen.« Sein Freund wurde ernst. »Ich glaube, ihr ist etwas zugestoßen.«

»Was denn?«

»Ich bin mir nicht sicher. Sie ist …« Mac zuckte mit den Schultern.

Das Unbehagen, das Lachlan vorhin verspürt hatte, kehrte zurück. »Möglicherweise habe ich etwas zu ihr gesagt, was ich nicht hätte sagen sollen.«

»Wann? Wie?«

»Bevor sie wegfuhr. Ich habe ihr gesagt, sie solle nach Hause zurückkehren. Zurück in die Staaten.«

Mac blieb abrupt stehen. Lachlan seufzte im Stillen, als er Macs wütende Miene bemerkte. »Du hast was

Lachlan hob entschuldigend die Hände. »Es war falsch. Tut mir leid. Ich mache mir nur Sorgen um dich. Aber das hätte ich nicht zu ihr sagen sollen. Allerdings macht sie nicht den Eindruck, als wäre sie leicht einzuschüchtern.«

Ein Anflug von Stolz huschte über Macs Gesicht. »Stimmt, oder? Das Mädchen hat mehr von mir, als ihr bewusst ist.«

»Frau«, erinnerte Lachlan ihn. »Sie ist eine Frau, kein Mädchen mehr. Sie ist achtundzwanzig. Vergiss nicht, dass sie aus eigenen Motiven hier ist, und die laufen vielleicht deinen Interessen zuwider.«

»Trotzdem ist es meine Angelegenheit. Ich verstehe, warum du das zu ihr gesagt hast.« Mac trat einen Schritt auf ihn zu. »Wir sind eine Familie, aber das ist sie auch für mich. Und wenn du sie vertreibst, bevor sie und ich uns aussprechen konnten, werde ich dir das nicht so leicht verzeihen.«

Lachlan nickte knapp. »Verstanden.«

»Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest«, sagte Mac und warf ihm einen ironischen, aber nicht amüsierten Blick zu. »Ich muss einen Stalker finden.«

Die Erinnerung an diese Geschichte weckte erneut Lachlans Unmut. »Ich muss noch mal darüber nachdenken, welchen der Angestellten ich in den vergangenen Jahren zu hart angegangen bin.«

»Aye, dann denk mal ein bisschen nach.« Und er verschwand, bevor Lachlan etwas erwidern konnte.

4. KAPITEL

Robyn

Das Dorf Ardnoch hatte mit Boston den Stolz auf seine Geschichte gemeinsam, nur dass die schottische Geschichte weiter zurückreichte.

Andererseits war Ardnoch auch nicht wie andere Orte, die ich je besucht hatte.

Zum einen war es winzig.

Das Hotel mit Restaurant aus dem neunzehnten Jahrhundert, in dem ich wohnte, stand auf einem Platz mit einem großen Gästeparkplatz. Doch als ich gestern durch den Ort gelaufen war, hatte ich die Läden, Restaurants und Bed and Breakfasts entdeckt, die in den malerischen schmalen Gässchen verteilt waren.

Der historische Ortskern und die Architektur des kleinen Städtchens waren wunderschön. Alles stammte aus alten Zeiten, und das alles überragende Gebäude, nicht weit vom Gloaming entfernt, war die mittelalterliche Kathedrale. Ich hatte jede Menge Fotos gemacht und die Nacht damit zugebracht, sie zur Bearbeitung auf meinen Laptop zu laden, bevor ich sie auf meinem Instagram-Account zeigen würde. Sobald ich wieder in Boston war, wollte ich sie drucken und verkaufen.

Ein weiterer Grund, weshalb ich nicht zu lange in Ardnoch bleiben konnte. Zu meiner Freude hatte ich mittlerweile über fünfzigtausend Follower, seit ich vor neun Monaten angefangen hatte, meine Arbeiten auf der Social-Media-Plattform zu zeigen. Das war tolle Werbung für meinen Onlineshop, aber wenn ich die Ardnoch-Bilder gleich hochlud, würden die Kunden sich beschweren, dass sie nicht auch schon im Shop verfügbar waren.

Ich wollte ein paar ruhige Stunden mit der Kamera am Strand verbringen und beherzigte Gordons Rat und ging die Castle Street – die Hauptstraße, die vom Marktplatz aus Ardnoch heraus und zu Ardnoch Castle führte – in westlicher Richtung entlang, vorbei an lauter identischen kleinen Häuschen aus dem neunzehnten Jahrhundert. Die meisten Häuser waren zu Boutiquen, Cafés und Pensionen umgewandelt worden. Dazwischen gab es Morag’s, einen kleinen Lebensmittelladen. Gordon hatte ihn mir ans Herz gelegt; es gab dort köstliche selbst gemachte Sandwiches.

Ich war Frühaufsteherin, Morag’s hatte gerade erst aufgemacht, als ich eintrat. Ständer am Fenster boten Strandspielzeug für Kinder an. Es gab ordentlich sortierte Lebensmittelregale, einen Kühlschrank mit Milchprodukten sowie eine Tiefkühltruhe mit allen möglichen Tiefkühlgerichten.

Eine Frau mittleren Alters mit fröhlichem Gesicht und pink gefärbten Haaren stand hinter dem Verkaufstresen. In der gekühlten Auslage gab es Zutaten, um Sandwiches frisch zu belegen, außerdem schon fertig zubereitete.

»Guten Morgen«, begrüßte sie mich.

»Guten Morgen«, erwiderte ich lächelnd und blieb am Kühlfach stehen, um mir eine Flasche Wasser zu nehmen. Dann trat ich an den Tresen, wo ich abwechselnd sie und die Sandwiches anschaute. »Wow, die sehen ja klasse aus.«

»Danke. Wir haben …« Sie ratterte die verschiedenen Zutaten herunter. Ich hätte ihr den ganzen Tag zuhören können. Mir war aufgefallen, dass die Dorfbewohner mit einem leicht stärkeren britischen Akzent sprachen als Mac, der ursprünglich aus Glasgow stammte. Die Einheimischen hatten eher einen trällernden Akzent, so wie Adair.

Als sie fertig war, fragte ich: »Könnten Sie mir eins zubereiten? Ich hätte gern eins mit Thunfisch, Mayonnaise und roten Zwiebeln.«

»Sehr gerne.« Sie machte sich hinter dem Tresen an die Arbeit. »Haben Sie irgendwelche Pläne für heute? Darf ich Ihnen Sehenswürdigkeiten empfehlen?«

»Ich bin auf dem Weg zum Strand.«

»Oh, vom richtig guten Strandwetter sind wir noch ein bis zwei Monate entfernt«, warnte sie mich. »Selbst im Sommer ist das Wasser kalt.«

»Ja, das hat Gordon mir auch gesagt.«

»Sie wohnen im Gloaming. Sehr hübsch. Bleiben Sie lange?«

»Wahrscheinlich nicht.«

Sie sah mich kurz an, offenbar ein wenig verwirrt von meiner vagen Antwort. »Na, es ist jedenfalls schön, Sie hier zu haben. Ich bin Morag Sutherland.«

»Wie die Gegend?« Ardnoch lag in der Grafschaft Sutherland.

»Ja. Meine Familie ist seit langer Zeit hier ansässig. Die Herkunft reicht bis ins zwölfte Jahrhundert zurück. Ich bin entfernt verwandt mit dem Earl of Sutherland. Sehr entfernt, aber trotzdem …« Sie strahlte stolz.

»Das ist ziemlich cool«, sagte ich aufrichtig. »Wenn man sich überlegt, dass die Wurzeln Ihrer Familie hier bis ins Mittelalter zurückreichen. Ich weiß überhaupt nichts über meine Familie, was weiter als das zwanzigste Jahrhundert zurückliegt.«

»Sie sollten nachforschen. Es ist faszinierend zu erfahren, woher man kommt und mit wem man verwandt ist.«

Die Ladentür ging auf, und Morag sah an mir vorbei. Sie krauste die Nase, als missbilligte sie den Neuankömmling. Beim Klang der schweren Schritte warf ich einen Blick über die Schulter. Ein Mann, beinahe so groß wie Mac, in abgetragenem Strickpullover, verwaschener Jeans und mit Schlamm bespritzten Stiefeln blieb neben mir stehen. Er roch … na ja, nach Tier. In allen Erscheinungsformen.

Ich betrachtete den zotteligen grauen Bart und die tiefen Falten um seine dunklen Augen. Seine Haare waren unter einer Wollmütze verborgen, aber ich schätzte ihn auf deutlich älter als Mac.

Dem Geruch nach musste es sich um einen Farmer handeln.

»Das Übliche, Morag«, verlangte er mit schroffer, tiefer Stimme.

Morag lächelte gequält. »Das Corned Beef ist bei der letzten Lieferung nicht mitgekommen, Collum. Möchtest du vielleicht etwas anderes?« Sie deutete auf den Sandwichtresen.

Collum sah sie verärgert an und betrachtete schließlich die Auslage. »Dann eben Schinken.«

»Mit dem Üblichen?«

Er brummte.

Morag deutete das offenbar als ein Ja und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Haben Sie es eilig? Mr. McCulloch ist Farmer, und für gewöhnlich habe ich sein Sandwich längst fertig, damit er es nur abzuholen braucht.«

»Ich kann warten.«

Morag legte den Thunfisch-Mayo-Mix beiseite und fing an, das Sandwich für den Farmer zuzubereiten.

Es entstand ein Moment peinlicher Stille, während wir ihr zusahen.

Bis die linke Seite meines Gesichts kribbelte.

Der Farmer starrte mich an.

Ich sah ihn skeptisch an.

Er starrte unbeirrt weiter, dann wandte er sich an Morag. »Noch eine?«

Sie runzelte die Stirn, sah mich an, und ihre Miene hellte sich auf. »Oh, das glaube ich nicht. Nur eine Touristin.«

»Robyn«, stellte ich mich vor. »Mein Name ist Robyn.« Ich fragte McCulloch unverblümt: »Was meinen Sie mit ›noch eine‹?«

»Eine sogenannte Schauspielerin aus diesem verdammten Club.«

Offenbar meinte er die Clubmitglieder von Ardnoch Castle, also schüttelte ich den Kopf. »Nein, ich bin keine von denen. Ich bin ein Cop.« Zumindest war ich einer. Ich musste aufhören, mich so vorzustellen. Gewohnheit.

Der Farmer musterte mich eingehend. »Aye, Sie sehen nicht aus, als würden Sie sich Gift ins Gesicht spritzen.«

Ich gab einen verwirrten Laut von mir. »Wie bitte?«

Er seufzte, a...

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