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Mikroabenteuer – Das Praxisbuch

Als Buch hier erhältlich:

Die Zukunft der Abenteuer liegt vor der Haustür – Christo Foerster ist DER Mikroabenteurer Deutschlands

Eines Abends packt es ihn: Christo Foerster holt sein Rad aus dem Keller und fährt nonstop von Hamburg nach Berlin. Übermüdet, aber auch überglücklich fährt er am nächsten Morgen durchs Brandenburger Tor und geht mit seinem besten Freund frühstücken. Da ist es um ihn geschehen: Christo hat das Mikroabenteuer für sich entdeckt. Er definiert es als Abenteuer vor der Haustür, maximal 72 Stunden lang, ohne Benutzung von Auto oder Flugzeug.

In »Mikroabenteuer. Das Praxisbuch« skizziert Christo Touren für Städte, Berge und Wälder, für die man weder weit reisen noch eine teure Ausrüstung kaufen muss. Ob zu Fuß, mit dem Rad, Kajak oder SUP, Christos Motto von nun an ist: Raus und machen! Man muss nicht auf den Jahresurlaub warten, manchmal reicht auch schon ein Nachmittag im Wald, um den Kopf wieder freizukommen und aufzutanken.

Sein Buch ist ein handfester Impulsgeber, der uns hilft, uns im Alltag diese Abenteuer mit maximaler Wirkung zu gönnen und die Komfortzone zwischendurch immer mal wieder zu verlassen. Zudem bietet es hilfreiche Tipps zu Rechtlichem (wo z.B. darf man überhaupt draußen übernachten), weiterführende Apps, Verhaltenstipps in der Natur (Müll wegräumen) und Survival-Basics (wie z.B. Feuer machen ohne Feuerzeug). Für ein nachhaltiges Reisen auch vor der Haustür.

Der Mikroabenteuer-Klassiker in neuem Gewand.

»Foersters Gedanken sind lesens-, lebens- und bedenkenswert!«
abenteuer und reisen

»Das Buch ist ansteckend geschrieben, sprüht vor Ideen und weckt die Sehnsucht.«
Badische Zeitung

»Motivationsexperte und Mikroabenteuer-Philosoph Christo Foerster zeigt: Man muss kein Himalaya-Trekking buchen, um etwas zu erleben – die besten Abenteuer lauern oft direkt vor der Haustür.«
bild.de


  • Erscheinungstag: 25.06.2020
  • Aus der Serie: Raus Und Machen
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 272
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959674041

Leseprobe

Jedes Abenteuer ist nur eine Entscheidung von dir entfernt.
Lisz Hirn

Beim Reisen geht es gar nicht so sehr darum, unser Zuhause hinter uns zu lassen, sondern unsere Gewohnheiten.
Pico Iyer

Disclaimer: In diesem Buch sind viele Ideen für Mikroabenteuer- und Outdoor-Aktivitäten aufgeführt. Deren Durchführung geschieht ausdrücklich auf eigene Verantwortung. Der Autor macht immer wieder bewusst herausfordernde Vorschläge und weist (im Rahmen der hier gegebenen Möglichkeiten) auf Gefahren hin, übernimmt aber keinerlei juristische Haftung.

ICH WOLLTE MAL WIEDER RAUS

Eine einzige Entscheidung kann alles verändern. Manchmal tragen wir sie ewig mit uns herum, manchmal müssen wir sie innerhalb von Sekunden treffen, und manchmal fällen wir sie, ohne überhaupt zu wissen, warum.

Es ist ungemütlich draußen. Ich habe mich noch nicht einmal an den Schreibtisch meines Büros gesetzt, da klingelt das Telefon zum ersten Mal: mein alter Freund Simon aus Berlin. Ich nehme ab, und es ist wie immer: Wir bringen uns auf den neuesten Stand, diskutieren kurz, aber dafür intensiv, die Freuden und Mühen der Selbstständigkeit, um schließlich festzustellen, dass wir uns unbedingt mal wieder sehen müssen. Allerdings wissen wir beide, dass wir genau das beim nächsten Gespräch wieder konstatieren werden.

Irgendetwas muss mich dann dazu bewegt haben, diese Entscheidung zu treffen. Vielleicht war sie auch einfach überfällig. Vielleicht sah ich plötzlich den Anlass, einem tiefen Bedürfnis nachzukommen. Ich weiß es nicht. Jedenfalls höre ich mich zu Simon sagen: »Pass auf, was machst du morgen früh? Hast du Zeit für ein Frühstück? Ich bin um 10 Uhr am Brandenburger Tor, mit dem Fahrrad.« »Die Zeit nehme ich mir«, sagt Simon, und damit uns nicht doch noch irgendein Grund einfällt, der dagegen spricht, beende ich das Telefonat daraufhin, so schnell es geht.

Wenn ich Entscheidungen treffe, verspüre ich eine beflügelnde Laune des Aufbruchs. Und zwar unabhängig davon, wofür, sondern einfach, weil ich mich entschieden habe. Scheiß drauf, wie klug diese Entscheidung ist. Scheiß drauf, ob sie mir am Ende vielleicht zu viel abverlangt. Solange ich mich nicht in Lebensgefahr begebe, thront die Lust auf das Machen über allen Bedenken. Genauso ist es auch jetzt. Ich bin seit Jahren nicht mehr länger als 20 Kilometer am Stück gefahren. Na und? Dann muss ich halt einfach 15-mal 20 Kilometer hintereinanderfahren. Mindestens. Hamburg–Berlin nonstop und über Nacht. Was für ein Abenteuer!

Nachdem meine Euphorie sich etwas eingependelt hat, beginne ich darüber nachzudenken, was ich für eine solche Tour überhaupt brauche. Ich muss zugeben, dass mich das Ausrüstungsthema schon immer fasziniert hat. Als kleiner Junge habe ich abends vor dem Einschlafen noch im Globetrotter-Katalog geblättert und Kreuze gemacht. Aber diesmal ist weder Zeit für neue Anschaffungen, noch will ich auch nur im Ansatz Raum für Ausreden bieten. Mein Rennrad ist startklar, steht im Keller. Eine gepolsterte Fahrradhose, Fahrradschuhe, Funktionsklamotten, Regenjacke, Helm – habe ich alles noch. Fahrradtasche? Ein leichter Rucksack wird es auch tun. Schlafsack, Isomatte und Co brauche ich sowieso nicht, wenn ich durchfahre, ohne mich hinzulegen.

In den nächsten Stunden begegnet mir dann genau das, was eine ursprüngliche Motivation so oft killt: Jeder, mit dem ich über die Idee der nächtlichen Tour nach Berlin spreche, hat Bedenken. »Zu gefährlich auf den dunklen Straßen.« »Die rasen doch wie die Bekloppten da im Osten.« »Zu kalt.« »Zu weit.« »Zu ...« Ja, zu was eigentlich? Ich habe das Gefühl, dass die Argumente gegen ein Abenteuer – und sei es noch so klein – in Wirklichkeit eher ein »zu anders« oder ein »zu unbequem« sind. Nicht mit mir, nicht heute. In einer solchen Situation hilft nur der Anti-anti-Modus, Pro über Kontra, »Warum nicht?« statt »Soll ich wirklich?«.

Um 16 Uhr steige ich tatsächlich auf mein Rad. Das Wetter, das ich am Morgen noch als ungemütlich empfunden habe, ist immer noch das gleiche. Aber genau wie Mut, Schönheit oder Erfolg lässt sich auch das Wetter Gott sei Dank nicht neutral bewerten. Jetzt, in freudiger Erwartung des Ungewissen, erscheint es mir eher als ehrlicher Freund, der am Ende nur mein Bestes will. Aber: Will meine Frau das auch? Eben am Telefon klang sie wenig begeistert. »Manchmal«, habe ich zuerst mir und dann ihr gesagt, »muss ein Mann tun, was ein Mann tun muss.« Das ist zwar eine Phrase, vor allem weil sie auf Frauen genauso zutrifft, aber sie ist trotzdem wahr.

Ich wohne im Westen Hamburgs. Und da Berlin im Osten liegt, muss ich zunächst einmal quer durch die Stadt. Auf dem Weg fahre ich direkt an einem großen Fahrradgeschäft vorbei und besorge mir noch schnell einen Ersatzschlauch, eine kleine Pumpe und warme, winddichte Handschuhe. So viel Ausrüstung will ich dann doch. Als ich den Laden wieder verlasse und flüchtig auf mein Handy gucke, versucht der Alltag noch einmal, mich mit einem Schlag in die Magengrube auf die Bretter zu schicken: sechs Anrufe in Abwesenheit, drei Nachrichten. Ich habe offenbar beide Auto- und Haustürschlüssel eingesteckt und meine Frau dreht (zu Recht!) durch, weil sie gerade nach der Arbeit zu Fuß die Kinder aus Schule und Kita abgeholt hat, mit ihnen zum Schwimmunterricht fahren will, aber erstens nicht ins Haus und zweitens nicht ins Auto kommt. Ganz ehrlich: Wie bescheuert muss man sein, möglichst wenig Gepäck, aber zwei dicke Schlüsselbunde einzustecken?! Aber egal, wie blöd ich bin – ich fahre jetzt nicht mehr zurück, sondern nur noch nach vorne. Der Preis für diese Einstellung liegt bei 17,50 Euro. So viel kostet das Taxi, in dem der Autoschlüssel nach Hause findet.

Ich würde das Handy gerne ausschalten, aber das geht nicht. Es ist mein Navi. Google Maps, Route zum Brandenburger Tor, Option »Fahrrad«. Das erschien mir am wenigsten kompliziert, um eine Strecke zu finden. Es erweist sich zwar mit der Zeit als umständlich, das Handy immer aus der Tasche fummeln zu müssen, wenn ich mir nicht mehr sicher bin, welcher Straße oder welchem Feldweg ich folgen soll, und natürlich hätte es smartere Lösungen gegeben – akustische Routenführung über Kopfhörer oder eine Handy-Halterung am Lenker –, aber ich wollte nicht raus, um mir Zeug in die Ohren zu stecken, und hey, ich bin halt einfach losgefahren.

Es ist schon dunkel, als mich mein Smartphone raus aus Hamburg nach Lauenburg führt. An einem asiatischen Imbiss halte ich an, bestelle mir gebratenen Gemüsereis und fülle meine beiden Trinkflaschen mit Leitungswasser auf. Vor mir liegt eine lange Nacht. Es beginnt zu regnen. Die Strecke, die zu diesem Zeitpunkt hinter mir liegt, wäre an jedem anderen Tag eine halbe Weltreise gewesen, heute ist sie mehr ein Aufgalopp für das, was noch kommt. Obwohl ich genau weiß, dass diese Tour mich an meine Grenzen bringen wird, dass ich richtig reintreten muss, um Simon in Berlin nicht warten zu lassen, rolle ich so entspannt und in freudiger Erwartung weiter, dass es mich selbst überrascht.

Die frische Brise, die glücklicherweise von schräg hinten kommt, tanzt in Böen mit dem Fahrtwind, auf den Straßen wird es leer. Ich fahre durch die Mecklenburgische Elbtalaue, über Boizenburg bis nach Dömitz, wo mir klar wird, dass ich ein handfestes Problem habe: nichts mehr zu trinken. Ich wollte mir die Trinkflaschen einfach irgendwo auffüllen, wenn sie leer sind, zwischendurch, an einer Tankstelle, einem Kiosk oder in einem Restaurant. Aber da war nichts. Ehrlich. Mecklenburg ist nicht Hamburg. Das habe ich wirklich unterschätzt. Hier werden die Bürgersteige extrem früh hochgeklappt. Ich habe einige Male jemanden auf seinem Grundstück oder an seinem Auto gesehen, aber jedes Mal gedacht: »Ein bisschen fährst du noch, bevor du nach Wasser fragst.« Mittlerweile ist es kurz nach 22 Uhr. Wenn ich jetzt an einer Haustür klingeln und mir tatsächlich jemand öffnen würde, dann nur mit Schrotflinte im Anschlag. So fühlt es sich zumindest an. Aber ich kann auch nicht die nächsten acht Stunden stramm weiterfahren, ohne zu trinken, bis irgendwo ein Dorfbäcker seine Rollläden hochkurbelt.

In der Hoffnung auf einen Ausweg steuere ich das unübersehbare Hotel Dömitzer Hafen an, das direkt am Elbdeich wie eine monumentale Landmarke in den dunklen Himmel ragt. Aber auch hier sind alle Schotten dicht. Dann sehe ich die Kisten mit dem Leergut. Im nächsten Moment stehe ich davor und hebe vorsichtig jede einzelne Glasflasche hoch. Nichts, nicht einmal ein kleiner Schluck. In diesem Laden scheint es klare Anweisungen zu geben: Jeden kleinsten Rest wegschütten, bevor die Flaschen auf den Hof wandern.

Ich fühle mich wie ein Penner. Nicht, dass das jemand falsch versteht: Das ist nichts Schlimmes. Abenteurer sind bei Licht betrachtet ja selbst nur Penner in Outdoor-Klamotten. Und eine Tour wird erst dann richtig interessant, wenn es keine Rolle mehr spielt, wo wir herkommen, weil es für diesen Moment völlig unwichtig ist. Wenn Selbstverständliches zur Herausforderung und die einfachste Lösung zur besten wird. Wahrscheinlich ist diese Penner-Assoziation aber auch nur meiner Unfähigkeit geschuldet, mich von dem freizumachen, was andere denken könnten. Ungerecht ist sie ohnehin: Obdachlosigkeit hat schließlich wenig mit Abenteuerromantik zu tun. Es ist nur so: Da, wo es richtig unbequem wird, erfahren wir oft mehr über uns selbst, als es uns lieb ist.

Es hat inzwischen aufgehört zu regnen. Dafür nähert sich die Temperatur dem Gefrierpunkt. Solange ich fahre, ist das kein Problem, nur wenn ich zu lange stehe, wird mir kalt. Also fahre ich lieber. Ich setze meine letzte Hoffnung da­rauf, dass es im zwei Stunden entfernten Wittenberge einen Bahnsteig mit Getränkeautomat gibt, aber ich habe schon kurz vorher Glück: In einem Gewerbegebiet höre ich Stimmen vom Hintereingang einer düsteren McDonald’s-Filiale. Tatsächlich, zwei Mitarbeiter, die gerade abschließen wollen, füllen mir die Trinkflaschen auf den allerletzten Drücker mit Leitungswasser auf. „Wo willst du hin? Nach Berlin? Jetzt?” Die wenigen, oft surrealen Begegnungen gehören definitiv zu den Höhepunkten dieser Tour. Klar, im Notfall hätte ich auch aus einer Pfütze oder der Elbe trinken können. Aber dafür denke ich zu diesem Zeitpunkt doch noch zu zivilisiert.

Die nächsten Stunden sind einsam und gerade deshalb voller Magie. Stumme Landstraßen, holprige Waldwege (auf denen ich bete, dass auf Google Maps auch wirklich Verlass sein möge) und Wildgänse über der Elbe. Ich fahre wie in einem ewig dahinfließenden Traum, nur unterbrochen vom ständigen Anhalten und Aufs-Navi-Gucken – und dem Hund, der mich in irgendeinem Kopfsteinpflaster-Dorf aus dem schwarzen Nichts wie ein Wahnsinniger anbellt, als ich gerade direkt neben seinem Zaun bin. Ein Wunder, dass ich mich in diesem Moment auf dem Fahrrad halten kann.

Ich vermute, es ist ein evolutionär geprägter Reflex, dass der Mensch mit sich selbst zu reden oder zu singen beginnt, wenn er längere Zeit allein ist. Damit da zumindest eine Stimme ist, die ihn begleitet und ihm Mut zuspricht, auf dass er länger durchhalte. Ich erzähle und singe viel in dieser Nacht. Es ist erstaunlich, wie munter ich mich fühle.

Der Mann mit dem Hammer kommt erst kurz nachdem die Sonne aufgegangen ist. Ich habe in den vergangenen Stunden nach und nach die kalten Pfannkuchen gegessen, die ich mir von zu Hause mitgenommen hatte, und mir bei einem kleinen Bäcker für 80 Cent ein halbes belegtes Brötchen mit Ei geholt (ein Hoch auf die Preise in der brandenburgischen Provinz!). Aber obwohl die Energieversorgung stimmt, spüre ich jetzt, dass meine Beine genug haben. Die Muskulatur ächzt, die Knie zwicken, und die Achillessehnen schmerzen rechts wie links. Noch 70 Kilometer. Alles spräche dafür, sich in den nächsten Regionalzug oder Bus zu setzen, die Beine hochzulegen und sich entspannt entweder nach Berlin oder wieder nach Hause kutschieren zu lassen. Nur eines spricht dagegen: Dafür bin ich nicht durch die Nacht gefahren!

Die letzten Stunden vor Berlin wollen nicht enden: Ich fahre jetzt auf Radwegen, die immer schlechter werden, je näher ich der Hauptstadt komme. Die Anstiege ziehen sich wie Kleister, und wenn mich nicht alles täuscht, hat auch der Wind gedreht. Ich versuche, mich damit aufzubauen, dass jeder Tritt mich nach vorne bringt und hinter jeder Kurve mehr Stadt auf mich wartet. Das Problem ist nur: Hier gibt es kaum Kurven. Die Verkehrsadern aus Westen Richtung Berliner Innenstadt verlaufen schnurgerade. Erst als ich endlich das Ortsschild passiere, bin ich sicher: Ich werde es schaffen. Bergsteiger erzählen, dass sie den schönsten Moment einer Expedition kurz vor dem Gipfel erleben, wenn sie wissen: Gleich stehe ich da oben, jetzt kann nichts mehr dazwischenkommen. So ähnlich geht es mir auch.

Um kurz vor 10 Uhr rolle ich auf der Straße des 17. Juni an der Siegessäule vorbei durch den Tiergarten. Ein Stückchen weiter sehe ich durch die kahlen Bäume den Reichstag. Ich habe eine ganz besondere Verbindung zu diesem Fleckchen Deutschland, in dem auf kleinster Fläche so viel Weltgeschichte steckt: Zum einen bin ich in West-Berlin geboren, weil meine Eltern hier die wilden 70er-Jahre verbracht haben, zum anderen verdanke ich meinen Vornamen dem Künstler Christo, der 1995 so eindrucksvoll eben diesen Reichstag verhüllte, der jetzt zu meiner Linken liegt. Es ist also nicht nur der Stolz, der mich an diesem Märzmorgen emotional werden lässt. Direkt unter dem Brandenburger Tor steige ich vom Rad. Es gibt wenig Orte, die sich besser als Ziel einer Tour eignen. So viel Symbolkraft. Vom Penner zum Helden. Mein kleiner Tacho zeigt 324 gefahrene Kilometer an.

Simon wartet schon auf mich. Ich torkele mit ihm ins nächstbeste Café und muss die Bedienung erst einmal überreden, mein Fahrrad mit reinnehmen zu dürfen. Dass ich hier an meinem Ziel ein Schloss brauchen würde, daran habe ich nicht eine Sekunde gedacht. Gut so, denn das wäre sowieso nur unnötiger Ballast gewesen. Erschöpft lasse ich mich in einen Stuhl fallen. Ich könnte ein ganzes Frühstücksbuffet leer essen, aber dann stelle ich fest, dass wir in der Weinwirtschaft der Akademie der Künste sitzen. Paninis gibt es erst ab 11 Uhr, aber Kuchen, der ist schon fertig. Nach drei Stücken Apfeltarte, einem großen Cappuccino und einem besonders schönen alltagsphilosophischen Feuerwerk von Simon, zu dem ich nur leise Heuler beitrage, klopfen wir uns zufrieden auf die Schultern. Ich will ins Bett.

Müde schiebe ich mein Rad zum Berliner Hauptbahnhof. Ich erfahre, dass ICEs keine Fahrräder transportieren und der nächste Eurocity kein Platz mehr für mich und meinen Drahtesel hat. Ich könnte höchstens direkt beim Schaffner fragen, heißt es im Reisecenter der Deutschen Bahn. Und ob ich das tue! Höflich sein, die eigene Situation erklären und dabei die Perspektive des anderen würdigen, das öffnet fast jede Tür. Wirklich. So ist es auch diesmal. Die Schaffnerin hat Verständnis, ich stelle meinen türkisblauen Blitz ins Fahrradabteil und sinke auf den Klappsitz direkt daneben.

Um 15:30 Uhr, also keine 24 Stunden nachdem ich gestern aufgebrochen war, stehe ich wieder vor meiner Haustür. Deutlich erschöpfter, aber um ein Erlebnis reicher, das mich noch lange beflügeln wird – das ahne ich schon jetzt. »Ich habe das tatsächlich durchgezogen«, denke ich, als ich den Schlüssel herumdrehe. Gute Entscheidung.

Am Brandenburger Tor in Berlin: extrem glücklich, einfach losgefahren zu sein. Mein persönlicher Mikroabenteuer-Kick-off und die Geburtsstunde des Projekts Raus und machen.

MIKROABENTEUER
Idee & Motivation

Die Nonstop-Tour nach Berlin hat mich körperlich ungemein gefordert. 324 Kilometer in einer Nacht – das mag für viele extrem klingen. Für andere wiederum gar nicht. Ich bin mir sicher: Jeder, der hobbymäßig halbwegs ambitioniert Rennrad oder Mountainbike fährt und bereit ist, sich durchzubeißen, schafft eine solche Strecke. Für mich war sie hart und genau richtig. Was aber viel wichtiger ist: Die Entscheidung, einfach loszufahren, hat mein Leben verändert. Das ist wirklich so. Im Grunde genommen verändert jede Entscheidung unser Leben (so wie jeder Moment ein neuer Anfang ist). Aber diese sollte dazu führen, dass mein Verständnis von Abenteuer sich wandelt.

Ich habe schon immer den Drang, loszuziehen und Unbekanntes zu entdecken. Ich frage mich manchmal, ob es eine Art Omen ist, dass auf der Karte, die meine Eltern nach meiner Geburt verschickten, über dem Foto einer riesigen Sanddüne folgender Satz stand: »Christo Foerster geht auf Entdeckungsreise«. Ehrlich gesagt: Ich glaube nicht. Wir tragen doch alle die Lust auf Neues in uns – genau wie den Instinkt, das Sichere zu bewahren. Die Frage ist nur, wann und wie stark wir das Pendel in welche Richtung ausschlagen lassen und ob es sich überhaupt noch bewegt.

Ich bin viel und weit gereist. Ich hatte und habe das Glück, als Journalist von Zeit zu Zeit durch die Weltgeschichte geschickt zu werden: Peru, Ecuador, Ägypten, Thailand, Kalifornien, Karibik. Europa sowieso. Ich war privat für viele Wochen in Ghana und Äthiopien, weil ich Lust hatte, in das Afrika jenseits der Touristenattraktionen einzutauchen – mit aller Unvernunft, die es dafür braucht. Als Student an der Sporthochschule in Köln habe ich ein ganzes Semester geschwänzt, um durch Südamerika zu tingeln, später bin ich mit meiner Frau und unseren beiden Kindern drei Monate mit einem alten Toyota durch Neuseeland gefahren.

Solche Trips sind großartig, vor allem weil die Reize so fremd sind, wenn wir uns wirklich auf Land und Leute einlassen. Aber Fernreisen sind immer auch eine Flucht, die unseren Alltag ausblendet, anstatt ihn zu verändern. Jeder, der mal länger als zwei Wochen im Urlaub war, kennt das: Wir kommen zurück wie ausgewechselt, um zwei weitere Wochen später ernüchtert festzustellen, dass doch wieder alles so läuft wie früher. Der einzige Unterschied ist oft, dass wir noch dringender wieder wegwollen.

Das passt zu einem der absurdesten Phänomene unserer Zeit: Weil wir über die digitalen Kommunikationskanäle jederzeit und überall sehen können, wie schön es woanders ist, wie erfolgreich andere Menschen sind und wie toll sie wohnen, wollen wir ständig das, was wir nicht haben. Oder wie es in England so schön heißt: »The grass is always greener on the other side.« Wir zweifeln an jeder Entscheidung, weil es möglicherweise noch eine bessere gegeben hätte! Wenn wir hier sind, zieht es uns weg, wenn wir weg sind, sehnen wir uns nach zu Hause.

Nun ist Sehnsucht nicht das Schlechteste aller Gefühle, die Portugiesen haben daraus mit der saudade ein ganzes Lebensgefühl gemacht; das deutsche Wort Fernweh wird genau wie seine große Schwester, die Wanderlust, mittlerweile international verwendet. Aber wir müssen verdammt noch mal aufpassen, dass uns das nicht zu Träumern werden lässt, denen das Hier und Jetzt aus den Händen gleitet.

Wie oft denken wir: »Wenn ich genug Geld, genug Urlaub, genug Mut habe, dann ...« Dann machen wir was ganz Großes, dann zeigen wir, was wir draufhaben, dann begeben wir uns auf das Abenteuer unseres Lebens. Ich habe mich in den letzten Jahren sehr intensiv mit den Themen Motivation und Persönlichkeitsentwicklung auseinandergesetzt. Ich habe in Unternehmen Vorträge gehalten, eine Coaching-Ausbildung absolviert und mit Dein bestes Ich sogar einen Ratgeber zum Selbstmanagement geschrieben. Aber erst die nächtliche Tour nach Berlin hat mir zwei entscheidende Dinge gezeigt: 1. MEIN bestes Ich ist draußen. 2. Abenteuer ist vor allem Machen. Es steht und fällt mit deiner Einstellung.

Bin ich bereit, loszuziehen, ins Unbekannte zu treten (oder das Bekannte völlig neu zu definieren) – oder warte ich, bis die Abenteuermuse mich irgendwann von alleine küsst? Bin ich ein Träumer, ein Schnacker, wie wir in Hamburg gerne sagen, oder habe ich wirklich Lust, da rauszugehen und verdammt noch mal anzufangen?

Schon bei der Recherche für Dein bestes Ich bin ich auf Alastair Humphreys und sein Buch Microadventures gestoßen. Der britische Abenteurer propagiert darin ziemlich genau den Ansatz, dem auch meine Berlin-Tour entsprang: mit einfachen Mitteln ohne viel Aufwand und Planung zu kleinen Abenteuern vor der Haustür aufbrechen. Ich habe diesen Ansatz mittlerweile für mich ganz persönlich adaptiert und interpretiert. Ich bin fasziniert von der Kraft, der tatsächlichen und der symbolischen, die Mikroabenteuer entfalten können. Denn sie geben uns die Möglichkeit, unseren Alltag umzugestalten. Sie schulen die Fähigkeit, das Beste aus dem zu machen, was wir haben, dort, wo wir sind. Ich bin sicher, dass das eine der wichtigsten Fähigkeiten überhaupt ist.

Mikroabenteuer stemmen sich all den Ausreden entgegen, die wir uns immer wieder zurechtlegen. Weil wir schlichtweg weder viel Geld, Urlaub noch eine Expeditionsausrüstung brauchen, um sie zu erleben. Wir können selbst zwischen zwei stinknormalen Arbeitstagen ein Draußen-Abenteuer haben. Wie gesagt, wir brauchen dafür eigentlich nur eins: die richtige Einstellung.

Es gibt keine genaue, allgemeingültige Definition des Begriffs Mikroabenteuer. Das wäre auch unsinnig, schließlich ist einer der wichtigsten Aspekte dieser Idee das spielerische und individuelle Herangehen an das Draußensein. Selbst der Begriff Abenteuer lässt sich ja schwer fassen. Ein Abenteuer beinhaltet immer die Auseinandersetzung mit etwas Neuem, das Betreten unbekannten Terrains, aber wie genau das aussieht, ist unmöglich objektiv zu beschreiben.

Für Alastair Humphreys ist ein Mikroabenteuer »ein kurzes, einfaches, lokales und günstiges Abenteuer, das gleichzeitig Spaß macht, dich herausfordert, fesselt, erfrischt und belohnt.« Ich habe gleich nach der Berlin-Tour drei Regeln aufgestellt, die ein Mikroabenteuer für mich persönlich charakterisieren und es gegen den Wochenendausflug ins Familienhotel, das Open-Air-Festival mit Freunden oder den Sonntagsspaziergang abgrenzen. Natürlich wäre es legitim, auch solche Aktionen als Mikroabenteuer zu sehen – für mich persönlich sind es keine (genauso wenig wie der Seitensprung, der ja auch als kleines Abenteuer gelten könnte).

// Meine drei Regeln für Mikroabenteuer

  1. Ein Mikroabenteuer ist ein Outdoor-Abenteuer, das mindestens acht und maximal 72 Stunden dauert.

  2. Ich benutze weder Auto, noch Motorrad oder Flugzeug. Öffentliche Verkehrsmittel sind erlaubt.

  3. Ist eine Nacht dabei, verbringe ich sie draußen ohne Zelt.

Auf diesen – noch einmal: ganz persönlichen – Regeln basieren die Mikroabenteuer, die ich unternehme und die ich in diesem Buch empfehle. Für Menschen, die ohnehin regelmäßig und intensiv outdoor- oder gar survivalmäßig unterwegs sind, mag das nichts Neues sein. Vielleicht empfinden sie es sogar als aufgebauscht, solchen Draußen-Aktivitäten einen (neuen) Namen zu geben. Oder sie sehen es als Affront gegen die Gurus des Abenteuers, wie Reinhold Messner und Rüdiger Nehberg, der schon vor Jahrzehnten empfahl, Überlebenstraining vor der Haustür zu praktizieren. Ich habe beide getroffen und höchsten Respekt vor dem, was sie geleistet haben. Die begeisterte Resonanz, die ich auf den Ansatz der Mikroabenteuer aus meinem Umfeld von Anfang an bekomme, zeigt allerdings: Sehr viele von uns sehnen sich nach einer Draußen-Motivation, die sie dort abholt, wo sie stehen (oder eben sitzen) – und das ist oft ein voller Alltag, in dem der Drang nach Natur und Entdecken sich mehr als Sehnsucht ausdrückt denn als Tun.

Ich habe das ja an mir selbst erfahren: Wie viele Nächte habe ich schon im Zelt oder komplett draußen verbracht, wie oft bin ich durch Wälder und über Wiesen gestreift. Aber der Ansatz der Mikroabenteuer hat für mich eine ganz andere, neue Qualität. Er ist einfach unschlagbar zeitgemäß, und er motiviert mich extrem.

Die Berlin-Tour war diesbezüglich mein persönlicher Kick-off. Nicht nur zu mehr Freiheit, sondern auch zu dem Projekt Raus und machen, das ich kurz darauf ins Leben rief. Das Ziel dieses Projekts war es von Anfang an, meine eigenen Mikroabenteuer-Erfahrungen weiterzugeben und so viele Menschen wie möglich zu inspirieren, selbst – der Name ist in diesem Fall Programm – rauszugehen und zu machen. Es freut mich, dass das funktioniert. Raus und machen ist mittlerweile zu einer lebendigen Community geworden, die sich nicht nur online, sondern auch „in echt” trifft und austauscht. Tausende Menschen veröffentlichen unter dem Hashtag #rausundmachen mittlerweile selbst Fotos und Videos ihrer kleinen Abenteuer vor der Haustür in den sozialen Medien. In der Facebook-Gruppe Mikroabenteuer Community fachsimpeln die Mitglieder über Ausrüstung und Ideen und finden sich für Mikroabenteuer in ihrer Umgebung zusammen. Wenn du Lust hast, auch auf dieser Ebene ein Teil der Raus-und-Machen-Welt zu werden, dann schau gerne auf den folgenden Kanälen vorbei:

www.facebook.com/rausundmachen

www.facebook.com/groups/mikroabenteuer

www.instagram.com/rausundmachen

www.christofoerster.com/rausundmachen

In diesem Buch findest du viele Informationen, die ich persönlich für wichtig halte, wenn du zu Outdoor-Abenteuern vor deiner Haustür aufbrichst – von Ausrüstungstipps über Recherche-Tools bis zu wichtigen Telefonnummern vor Ort. Du findest zwischendurch außerdem einige Berichte meiner Mikroabenteuer-Trips. Außerdem habe ich anhand eigener Erfahrungen sowie unzähliger Gespräche mit anderen ­Draußen-Fans und »Locals« konkrete Touren-Ideen für Mikroabenteuer in und um die fünf größten deutschen Städte aufgeschrieben. Solltest du nicht in Berlin, Hamburg, München, Köln oder Frankfurt am Main leben oder einen Besuch dort planen, können dir diese Touren-Ideen als Inspirationsquelle dienen – egal, wo du selbst zu Hause bist. Außerdem findest du auf den nächsten Seiten auch genügend ortsunabhängige Mikroabenteuer-Ideen.

Und sollten dir nach der Lektüre noch Fragen unter den Nägeln brennen, dann ebenfalls raus damit! Entweder als Nachricht über die auf der vorherigen Seite genannten Kanäle oder einfach per E-Mail an:

mail@christofoerster.com

Ich wünsche dir viel Spaß mit diesem Buch und eine fantastische, unvergessliche Zeit da draußen!

IDEEN FÜR MIKROABENTEUER

// Ohne Zelt im eigenen Garten oder auf dem Balkon übernachten. Wenn du weder Garten noch Balkon hast, frage einen Freund oder deine Eltern. Praktisch: Du musst dir gar nicht zwingend tausend Gedanken um die Ausrüstung machen, sondern kannst (je nach Wetterlage) einfach eine normale Matratze und Bettwäsche nehmen.

// Wandere eine komplette S-Bahnlinie der größten Stadt in deiner Nähe ab, von der Start- bis zur Endhaltestelle. Du kannst dir auch vornehmen, innerhalb eines Kalenderjahres alle S-Bahnlinien »deiner« Stadt komplett abzuwandern. Die Liniennetze der fünf größten deutschen Städte findest du übrigens auch in den entsprechenden Kapiteln dieses Buches.

// Zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu Muddi: Besuche deine Mutter zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Wie umsetzbar das im Rahmen eines Mikroabenteuers ist, hängt natürlich von der Entfernung ab. Ganz wichtig: Blumen nicht vergessen!

// Besteige die höchste Erhebung des Bundeslandes, in dem du wohnst. Sofern du nicht in Bayern lebst (die Zugspitze!), ist das jeweils locker an einem Tag machbar. Das heißt aber nicht, liebe Bayern, dass sich nicht auch die Zugspitze als Mikroabenteuer besteigen lässt. Alternativ kannst du die zweithöchste Erhebung nehmen oder zusätzlich auf dem »Gipfel« deines Vertrauens übernachten.

// Laufe einen oder zwei Tage lang nur der Nase nach geradeaus und fahre von dort, wo du ankommst, mit öffentlichen Verkehrsmitteln wieder zurück. Du musst für dieses Mikroabenteuer keinen Linealstrich auf der Landkarte ziehen (dafür sind ohnehin zu viele Autobahnen, Privatgrund usw. im Weg). Geh einfach los und navigiere nach Gefühl.

// Gehe zum Bahnhof, steige in den nächsten Zug auf Gleis 2 und fahre so weit, wie du mit diesem Zug für 15 Euro kommst, maximal zwei Stunden. Verbringe dort, wo du ankommst, einen Tag und optional eine Nacht und fahre dann wieder nach Hause. Du kannst auch andere »Regeln« festlegen oder auswürfeln, welchen Zug auf welchem Gleis du nimmst. Wichtig ist, dass vorher klar ist, wie die Sache läuft und du nicht erst am Bahnhof entscheidest.

Ein Hauch von Interrail am Bahnhof Hamburg-Altona, auch wenn du weißt, dass du morgen wieder zurück bist.

// Fahre mit dem Rad ans Meer und schlafe eine Nacht am Strand. Ob das als Mikroabenteuer machbar ist, hängt wieder etwas von deinem Wohnort ab. Ist es zum Meer wirklich zu weit, suche dir ein anderes außergewöhnliches Ziel (zum Beispiel das nächstgelegene Nachbarland).

// Folge einem Bach oder Fluss von seiner Quelle bis zur Mündung. Wenn du Lust hast, begleite dann den nächstgroßen Fluss auch noch ein Stück.

// Gehe vor die Tür, wandere los und biege einen Tag lang an jeder dritten Kreuzung im Wechsel rechts und dann wieder links ab. Von dort, wo du am Ende des Tages angekommen bist, fährst du mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück.

// Auf dem Wasser nach Hause: Fahre mit der Bahn und einem mobilen Wassersportgerät im Gepäck (zum Beispiel einem aufblasbaren Stand-up-Paddle-Board oder Faltkajak) an einen Ort an dem Fluss, der durch »deine« Stadt fließt. Auf diesem Fluss fährst du dann zurück. Wichtig: Die Fließrichtung beachten!

Der Schweizer Beat, den ich unterwegs traf, zeigte mir, wie man Steine balanciert. Seitdem tue ich es überall, wo Wasser fließt.

// Steine balancieren: Du wirst begeistert sein, wie meditativ es ist, einen Tag lang an einem Flussbett oder am Ufer eines Sees Steine so aufzustellen, dass andere glauben, du hättest Kleber benutzt. Am Meer geht es natürlich auch. Die beste Inspiration dazu ist zweifelsohne Michael Grab. Checke unbedingt www.gravityglue.com und seine YouTube-Videos. Ob du das Ganze spirituell oder wissenschaftlich angehst, ist erst einmal völlig egal. Nicht denken, machen!

// Suche einen Schatz: Geocaching ist eine wunderbare Möglichkeit, dich selbst herauszufordern. Auf Webseiten wie www.opencaching.de findest du Tausende GPS-Koordinaten von sogenannten Caches, die irgendjemand irgendwo versteckt hat. Natürlich kannst du auch selbst welche hinzufügen. Einsteigertipps gibt es unter www.geocaching.de

// Laufe einen Tag barfuß durch den Wald, von morgens bis abends. Hört sich vielleicht merkwürdig an, ist aber eine unglaublich intensive, erdende Erfahrung.

// Vollmond-Abenteuer: Verbringe bei Vollmond eine Nacht draußen, ohne zu schlafen. Egal, ob du wanderst oder mit dem Rad unterwegs bist, ganz dunkel wird es in einer solchen Nacht nie (beim Radfahren auf öffentlichen Straßen bitte trotzdem Licht einschalten!)

// Transportiere dein Gepäck über einen See oder Fluss. Dazu musst du kreativ werden: Du kannst dir ein kleines Floß bauen, dein Gepäck darauf festzurren und es schwimmend ziehen und schieben. Wichtig ist in jedem Fall ein wasserdichter Packsack, falls du technische Ausrüstung in deinem Rucksack hast – oder andere Dinge, die partout nicht nass werden dürfen.

// Sternschnuppen: Auf www.sternschnuppen-kalender.de erfährst du, wann die Chancen auf fallende Sterne am Himmel am besten stehen. Suche dir eine Nacht aus und verbringe sie draußen im Schlafsack – ohne Zelt!

// Transportiere einen Gegenstand von A nach B – und zwar einen unhandlichen. Das muss keinen Sinn machen, nur Spaß und dich herausfordern. Am besten funktioniert das zu zweit. Wie wäre es mit einem Stuhl?

ZWEI SOMMERTAGE IN DER EIFEL

oder der Traum vom Floß

Ich muss an Huckleberry Finn denken, als wir die flüchtig zusammengebundenen Stämme zum ersten Mal ins Wasser lassen. Daran, wie die Wellen des Mississippi-Dampfers das Gefährt des jungen Abenteurers überschwemmen und ihn und den Sklaven Jim unsanft über Bord befördern. Unser Floß ist gerade mal einen Quadratmeter groß, aber es soll auch nur unser Gepäck und die Kamera-Ausrüstung meines Freundes Kai tragen. Nur das tut es noch nicht. Wir sägen noch mehr der dünnen Totholzstämme, die in Ufernähe herumliegen, auf die richtige Länge und setzen einfach noch eine Lage davon obendrauf. Im Wasser verschiebt sich unsere Konstruktion zwar immer wieder leicht, aber irgendwann hält und schwimmt sie – samt der in wasserdichten Packsäcken verstauten Ausrüstung.

Vor uns liegt der Laacher See, der größte Vulkansee Deutschlands. Es ist Sommer und die bewaldeten Hügel, die sich wie ein Ring um den uralten Krater stülpen, leuchten in sattem Grün. Wir sind heute Morgen in Köln (wo Kai und ich uns vor 20 Jahren als Zivildienstleistende in einer Jugendherberge kennenlernten und er heute nach Stationen in Rio de Janeiro, Sao Paulo und Berlin wieder wohnt) in die Regionalbahn gestiegen und bis Andernach gefahren, von dort zu Fuß weiter. Um den Laacher See könnten wir auch außen herumgehen. Das wäre sicher schön, aber kein Abenteuer.

Wir haben Lust auf eine echte Herausforderung. Und wir wissen beide tief in unserem Inneren, dass jeder Kerl sich irgendwann einmal selbst ein Floß bauen muss (gut möglich, dass das auch bei Frauen so ist, aber wir sind nun mal keine). Wenigstens ein kleines Floß fürs Gepäck. Ich habe eine Klappsäge dabei, die ganz gute Arbeit verrichtet. Und abgestorbene, ausgetrocknete Stämme liegen hier wirklich viele herum. Trotzdem habe ich auch hier – wie immer mal wieder, wenn ich irgendwo in der Walachei Dinge tue, die aus der Norm fallen – den Gedanken: »Darf ich das eigentlich?« Vor allem natürlich, wenn Spaziergänger vorbeikommen, deren Blicke zwischen interessiert und irritiert liegen. Ich habe mittlerweile meine Strategie, damit umzugehen: Offensive. Ein freundlicher Gruß, ein kurzes Gespräch, das ganz direkt den Anlass der Irritation aufgreift. »Guten Tag, wir bauen uns hier gerade aus den herumliegenden Stämmen ein kleines Floß ... Haben Sie das schon mal gemacht? ... Ist ein lang gehegter Traum von uns ... Was ist das für ein herrlicher Ort hier! ... Genießen Sie die Sonne!«

Sollte jemand etwas gegen das haben, was ich hier mache, wird er es dann sicher sagen – und wir können darüber sprechen. Einfach nur stumm vor sich hin zu werkeln und zu hoffen, dass einen keiner bemerkt, wirkt eher verdächtig, und die Wahrscheinlichkeit, dass jemand beim Förster oder dem Ordnungsamt durchklingelt, steigt. Das heißt übrigens nicht, dass ich ständig verbotene Dinge tue und mit geschickter Strategie ein Anschwärzen vermeide. Im Gegenteil: Ich halte es für sehr wichtig, Vorschriften einzuhalten, gerade wenn es darum geht, die Natur zu schützen. Aber es gibt immer rechtliche Grauzonen, die Ordnungshüter möglicherweise anders interpretieren, als ich es tue. Und ich verzichte lieber darauf, herauszufinden, ob das auch in diesem Fall so ist.

Nur mit Badehosen bekleidet staksen wir ins Wasser und schieben das Floß dabei vorsichtig vor uns her. Als wir ein paar Meter weiter den Boden unter den Füßen verlieren, wird es spannend: Schwimmt das Ding wirklich? Auch außerhalb der kleinen Bucht, dort, wo es welliger ist? Besonders Kai ist jetzt doch etwas nervös, die Kamera im Packsack auf dem Floß ist schließlich nagelneu. Ein bisschen tief liegt unsere Konstruktion tatsächlich, aber sie schaukelt sich ein, und sie bleibt stabil. An einem der äußeren Stämme haben wir eine Schnur befestigt, an deren Ende wiederum eine Schlaufe aus einem Packriemen geknotet ist. Abwechselnd legt sich einer von uns diese Schlaufe um den Kopf oder um die Schulter und zieht das Floß, der andere schiebt von hinten. Zug für Zug gleiten wir weiter hinaus auf den Vulkansee, der aus dieser Perspektive noch viel größer erscheint als vom Ufer. Zweieinhalb Kilometer sind es bis auf die andere Seite. Tief unter uns ruht seit Jahrzehnten das Wrack eines Weltkriegsbombers. Das werden wir aber erst viel später auf Wikipedia nachlesen. Auch, dass hier einer alten Sage nach einst ein ganzes Schloss versunken sein soll. Für uns zählt jetzt nur der Moment: Oberhalb der Wasserfläche strotzt die Szenerie auf dem See nur so von Schiffsbruch-Romantik. Ich schwimme hinter dem Floß und sehe Kai, wie er das zusammengeschusterte Ding mit dem Gepäck in der gleißenden Sonne halb nackt Meter für Meter weiter Richtung dichter Uferböschung zieht, hinter deren Hängen auch ein gigantischer Südsee-Dschungel liegen könnte (wenn ich es nicht besser wüsste). Das klare Wasser schwappt sanft gegen die Holzstämme und gurgelt Lieder von Freiheit und Freundschaft.

Erst kurz bevor wir tatsächlich auf der anderen Seite ankommen, merke ich, wie kalt mir nach zwei Stunden in dem See geworden ist, der in seiner Mitte bis zu 50 Meter tief ist. Jetzt kann ich es kaum erwarten, mir die – hoffentlich noch trockenen – Klamotten überzuziehen und mich in der Nachmittagssonne aufzuwärmen. Nur erst mal müssen wir hier raus! Der Morast, der uns empfängt, ist so weich und das feste Ufer so unzugänglich, dass wir eine ganze Weile suchen müssen, bis wir eine Stelle zum Anlanden finden. Zitternd laden wir das Gepäck ab und lassen unser Floß zurück.

Wir haben Glück, nein, wir haben alles richtig gemacht: Die Ausrüstung ist unversehrt. Ohne uns lange aufzuhalten, setzen wir unseren Weg zu Fuß fort. Warm wird uns dabei sowieso. Wir wandern auf Feldwegen und Trampelpfaden Richtung Nordwesten. Durch Wälder, Bachläufe und Orte wie Ober- und Niederdürenbach.

Am Abend schlagen wir unser Nachtlager auf einer Anhöhe am Waldrand auf. Es gibt Couscous mit Käse und Edelsalami vom Campingkocher, ein Rezept, das mir der amerikanische Bergsteiger Conrad Anker vor einigen Jahren empfohlen hat. Und wir sind müde genug, um früh einzuschlafen. Das Schlafen draußen ohne Zelt hat etwas ganz Besonderes. In das überragende, magische Freiheitsgefühl mischt sich immer auch ein bisschen innerliche Unruhe. Was für Tiere sind hier unterwegs? Kommen Leute vorbei? Dass wir ohne Schutz (oder zumindest das Gefühl davon) nicht ganz so tief schlafen, ist durchaus evolutionär geprägt. Und das macht auch nichts, weil die Magie überwiegt.

Gegen Mitternacht hören wir das Kreischen eines Luchses, das erst langsam, aber sicher immer näher kommt – und dann blitzartig verstummt, als wir uns lauthals bemerkbar machen. Ich habe noch am nächsten Morgen ein schlechtes Gewissen, das gute Tier so erschreckt zu haben, dass es vermutlich die ganze Nacht durchgerannt ist.

Kai und ich wandern noch einen Tag, verbringen eine zweite Nacht unterm Eifelhimmel und ziehen dann durch das urige Tal der Ahr mit seinen märchenhaften Felsformationen bis nach Altenahr, um uns deftig den Bauch vollzuschlagen und in den Zug zurück nach Köln zu steigen. Was unser Floß wohl jetzt macht? Ich muss grinsen, als ich beim Auspacken die kleine Klappsäge aus dem Rucksack hole, mit der wir unsere Baumstämme zurechtgesägt haben. Vielleicht kehren wir ja noch einmal zurück. Und dann zimmern wir aus dem kleinen Ding ein Hausboot.

Schiffsbruch-Romantik in der Eifel.

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