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Playlist

hier erhältlich:

Zwei Klicks und schon verändert sich dein Leben!
Mira will unbedingt mit ihrer Band "Eisfabrik" an einem Bandcontest teilnehmen. Mit ihren Freundinnen startet die 14-jährige eine Social-Media-Kampagne im Netz, um die Aufmerksamkeit auf ihre Band zu lenken. Schnell hat sie viele Bewunderer, aber dann tauchen fiese Neider auf und ihre schulischen Leistungen werden auch nicht besser.
Als Mira ihr Privatleben mit der Öffentlichkeit teilt, lernt sie die Schattenseiten von YouTube und Instagram kennen. Vielleicht war die ganze Aktion doch ein Fehler?
Unterstützung findet Mira bei ihren besten Freundinnen und mit ihnen kann sie auch über den geheimnisvollen Noisette16 reden. Wer ist er? Warum gibt er sich nicht zu erkenn? Vielleicht doch nur ein mieser Stalker? Im Eiscafé - wie immer bei einer großen Portion Pistazieneis - hecken sie einen Plan aus, um seine Identität zu enttarnen.


  • Erscheinungstag: 07.05.2020
  • Seitenanzahl: 208
  • Altersempfehlung: 12
  • Format: Klappenbroschur
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505143410

Leseprobe

Der Bandcontest

Ich liebe Pistazieneis. Im Sommer gibt es für mich fast keinen Tag ohne. Die Farbe, der Geruch, der Geschmack, ich liebe einfach alles. Nur die Flecken nicht.

„Mist“, schimpfe ich, als mir ein Klecks auf den weißen Rock fällt. Ich versuche, das Eis mit meiner Serviette zu beseitigen, aber natürlich wird dadurch alles nur noch schlimmer.

Hilflos blicke ich zu meinen besten Freundinnen, die mir im Eiscafé Firenze gegenübersitzen. Fritzi und Özlem schauen sich an und prusten dann los. Sie kennen mich und meine chaotische Art einfach schon zu gut.

Fritzi kriegt sich als Erste wieder ein und reicht mir auch ihre Serviette. Keine Ahnung, wie sie es schafft, den Schokokrokantbecher jedes Mal zu verspeisen, ohne auch nur ein bisschen zu kleckern.

Na ja, ich habe andere Talente.

Die Sonne scheint heute so heiß, dass der Teer weich wird. Es ist Ende August, und die Schule hat gerade wieder angefangen. Zu schade, die Sommerferien hätten ruhig noch etwas länger gehen können. Wenigstens das Sommer-Feeling versuche ich mir zu erhalten: mit jeder Menge Pistazieneis!

Das Licht unter der Markise des Cafés ist leicht orange und lässt uns drei ungesund karottig aussehen.

„Jetzt rück mal raus mit der Sprache“, verlangt Özlem und bindet sich das schwarze Haar zu einem Zopf. „Was wolltest du uns so dringend erzählen?“

Auch Fritzi schaut mich unter ihren blauen Ponyfransen neugierig an. Die blauen Haare waren ein Unfall, sie sollten blond werden, aber am Ende fand Fritzi das Blau dann doch cool genug, um die Frisur erst einmal so zu lassen.

Ich wühle in meiner Tasche, um den Zeitschriftenausschnitt zu finden, der mir gestern beim Zahnarzt in die Hände fiel.

„Ich habe da etwas gefunden“, trällere ich, als ich den Ausschnitt in den Händen halte und natürlich direkt in einen Klacks Pistazien­eis lege. Meine Freundinnen beginnen schon wieder zu kichern. Ich streiche das Papier glatt, ignoriere den Fleck und lese den beiden vor.

„Einladung zum Bandcontest! Ihr seid eine Band, alle unter acht­zehn, habt noch keine Lieder veröffentlicht und Lust, vor einem großen Publikum zu spielen? Dann bewerbt euch jetzt und gewinnt ein professionelles Coaching auf Teneriffa!“

Ich blicke die beiden kurz erwartungsvoll an, dann lese ich weiter. „Ladet ein Video auf YouTube hoch, verlinkt uns und sammelt die Likes der Viewer. Die zehn beliebtesten Bands spielen live vor einer professionellen Jury in Berlin!“

Ich wackle aufgeregt auf meinem Stuhl hin und her. „Ist das nicht cool?!“

Fritzi sieht etwas skeptisch aus, aber Özlem ist sofort hin und weg. „Mega!“, sagt sie. „Ihr müsst euch dort unbedingt bewerben. Und ich“, sie macht eine Kunstpause, „ich bin die Videoregisseurin!“

„Super“, entgegne ich und nicke begeistert. Özlem ist Hobbyfotografin und hat eine professionelle Kamera. Und mit Videoschnitt kennt sie sich auch aus.

Jetzt sieht Fritzi schon begeisterter aus. „Echt spannend“, meint sie und schiebt sich den letzten Löffel Schokoeis in den Mund. „Bewerbt euch doch, kann ja nicht schaden.“

Wir spinnen noch eine Weile herum. Ich finde die Idee richtig gut, denn als Band spiele ich mit Costas, Arthur und Karl schon seit fast drei Jahren zusammen. Aber bis auf ein paar kleine Auftritte beim Schulsommerfest haben wir noch nicht viel gemacht. Vielleicht ändert sich das jetzt!

„Ich muss nach Hause“, stöhnt Özlem irgendwann, „Mathenachhilfe.“

„Was?!“, fragt Fritzi entgeistert und hebt die hellen Augenbrauen. „Es ist Samstag, und du hast eine Zwei in Mathe!“

Özlem hebt ihren Rucksack auf den Schoß. „Eben. Eine Zwei.“ Sie stöhnt noch einmal.

Özlems Eltern wünschen sich, dass ihre einzige Tochter Anwältin oder Ärztin wird. Ihr Ehrgeiz ist weitaus größer als Özlems, die sowieso gute Noten hat. Zum Glück macht mir mein Vater da keinen Stress!

Fritzi und ich beschließen auch zu gehen. Ich habe heute Abend Bandprobe, wenn ich jetzt nach Hause fahre, schaffe ich es vorher noch zu duschen.

Also stehen wir aus den Korbstühlen auf und gehen zum Tresen. Samstags arbeitet Felix immer hier, er ist zwei Jahre älter als wir und geht auch auf unsere Schule.

„Zahlen bitte“, ruft Fritzi und grinst Felix an. Wir kennen alle Mitarbeiter, oft genug verbringen wir ganze Nachmittage hier.

Felix schiebt seine Brille hoch und lächelt uns an. „Wer ist dran?“, fragt er.

„Na, ich!“, entgegnet Fritzi und reicht ihm eine Handvoll Münzen. Meist zahlen wir einfach reihum.

Fritzi nimmt das Rückgeld entgegen und fährt sich mit der anderen Hand durchs schulterlange blaue Haar. „Es ist so heiß“, stöhnt sie und verdreht die großen Augen.

„Bis bald!“, sagt Felix, und wir drei winken ihm, dann treten wir raus in die Hitze und auf den heißen Asphalt unter unseren Sandalen.

Pizza-Desaster

Zu Hause angekommen, rieche ich sofort verbranntes Essen. Ich sprinte in die Küche, und der Blick in den Ofen verrät mir, dass das, was auch immer es werden sollte, vor der vollständigen Verkohlung steht. Ich öffne den Ofen und beginne zu husten, während mir dunkle Rauchschwaden entgegenwabern.

Jetzt stürmt auch mein Vater in die Küche. „Oh nein!“, ruft er. „Schon wieder.“ Es ist keine Seltenheit, dass er Dinge auf dem Herd, im Ofen oder an anderen gefährlichen Orten vergisst.

Er reißt die Ofenhandschuhe vom Haken und das Blech heraus.

„Was sollte das werden?“, frage ich interessiert. Mein Vater sieht unglücklich auf das schwarze Blech. „Pizza für euch“, murmelt er und stellt es auf den Herdplatten ab. Mit dem Ellbogen stößt er gegen das Rädchen und schaltet den Herd an. Ich springe zu ihm und drehe das Rädchen auf null. Er atmet tief durch.

„Bestellen?“, schlage ich vor. Er reibt sich über den Drei-Tage-Bart und ringt mit sich, doch dann greift er nach dem Telefon und bestellt eine riesige vegetarische Familienpizza. „Ich bin ein schlechter Vater“, murmelt er und ist ganz betrübt. „Nein!“, rufe ich und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist der beste Vater der Welt! Nur kochen lernen musst du noch.“

Obwohl du schon seit sechzehn Jahren Vater bist, denke ich, aber das sage ich nicht laut. Wie aufs Stichwort rauscht meine zwei Jahre ältere Schwester Madita in die Küche und rümpft die Nase. „Was riecht denn hier so eklig?“ Dann erblickt sie das Blech und sieht genervt aus. „Schon wieder? Papa, ich habe Hunger.“

„Er hat schon bestellt“, verteidige ich ihn, und Madita sieht etwas besänftigt aus. „Gut“, sagt sie und strubbelt mir durch die rotbraunen Locken. Ich hasse das, und sie weiß es. Ich tauche unter ihrer Hand weg und sehe sie böse an. Doch sie lacht mich nur aus. Madita ist eine echte Nervensäge!

„Ich gehe dann noch mal mit Linus telefonieren“, flötet sie.

„Nicht mit Max?“, frage ich etwas erstaunt.

„Nö“, entgegnet Madita, „mit dem ist Schluss. War alles voll peinlich.“ Sie verdreht die Augen und geht aus der Küche.

Ich stöhne: „Dieses Mädchen“ und blicke Papa etwas genervt an. Madita sieht mir sehr ähnlich, wir haben die gleichen Haare, und sie ist nur wenige Zentimeter größer. Aber trotzdem sind wir ganz schön unterschiedlich! Während meine Hobbys Schlagzeugspielen, die Band, Eis mit meinen Freundinnen und Kuchenbacken sind, interessiert sich Madita ausschließlich für Jungs, Klamotten und ihr Handy.

„Mama hat geschrieben“, wechselt mein Vater das Thema und reicht mir einen Umschlag. Der Poststempel zeigt, dass der Brief von weit her kommt: Brasilien. Da lebt sie seit drei Jahren mit ihrem neuen Mann und einem kleinen Hund. Meine Mama arbeitet als Managerin für eine große Firma und ist oft für einige Jahre im Ausland. Seit der Trennung meiner Eltern leben Madita und ich bei meinem Vater.

Ich nehme den Umschlag und reiße das Papier auf. Ein Brief, den werde ich später lesen, und ein paar Fotos von ihr an verschie­denen Orten.

„Aha“, murmle ich, und meine Stimmung kippt ein bisschen.

„Alles okay?“, fragt Papa sofort besorgt, und ich lege den Umschlag weg.

„Ja, alles okay“, sage ich und lächle ihn an. „Kommt Tamara zum Essen?“

Tamara ist Papas langjährige Freundin. Sie ist ziemlich cool, klet­tert und fährt mit Madita und mir in Freizeitparks, was mein Vater niemals tun würde.

„Ja, sie ist sicher gleich da“, entgegnet er, und ich glaube, er ist erleichtert, dass wir jetzt nicht über meine Mutter sprechen müssen. Wahrscheinlich schreibt sie eh wieder nur, wie toll Brasilien ist, dass wir sie mal besuchen sollen und sie uns zusätzlich zum Unterhalt noch Geld überwiesen hat. Sie verdient echt gut, viel besser als mein Vater, der Erzieher ist. Das Geld ist wichtig, damit wir uns darüber nicht so viele Gedanken machen müssen.

Ich gehe duschen und schlüpfe in Shorts und T-Shirt. Den Brief meiner Mutter lege ich Madita auf den Schreibtisch, vielleicht hat sie gerade mehr Interesse, ihn zu lesen. Dann klingelt es, und Tamara und die Pizza kommen gleichzeitig an. Tamaras schwarze Locken kitzeln meine Nase, als sie mich umarmt. Sie riecht nach Ro­senöl, mit dem sie sich immer einreibt.

Beim Ton der Klingel kommt auch Madita aus ihrem Zimmer, das Handy noch am Ohr. „Ist die Pizza da?“, fragt sie.

„Ja“, sagt mein Vater, gibt der Lieferantin das Geld und schließt die Tür hinter ihr. Der Duft frischer Pizza breitet sich in der Wohnung aus.

„Ich muss auflegen“, säuselt Madita mit süßer Stimme ins Telefon, und ich deute ein gespieltes Kotzen an. Tamara kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Mein Vater hat die Pizza schon in unser chaotisches Wohnzimmer gebracht und schneidet sie mit dem Messer in Stücke. Es ist wirklich eine Riesenpizza, die kaum auf den Couchtisch passt. Papa setzt sich auf das abgewetzte rote Stoffsofa, Madita auf den Holzhocker und Tamara und ich auf den bunten Teppich.

„Danke fürs Kochen, Papa“, sage ich scherzhaft, und da muss auch er wieder lachen.

Probe Nummer eins

Die Bandprobe startet um acht, und ich komme etwas abgehetzt dort an.

„Hey, Mira“, grüßt mich Costas und hebt eine Hand. „Hey“, keuche ich und stelle mein Fahrrad weg, ehe ich ihn fest umarme.

„Was ist los, warum so gestresst?“, fragt er mich und hebt seine dunklen Augenbrauen. In der rechten steckt ein kleiner Silberring. Ich muss lachen. „Mein Vater wollte kochen.“

„Oh nein“, stöhnt Costas scherzhaft, „ich dachte, er hat damit endlich aufgehört.“

Ich schüttle den Kopf. „Nein, er ist zäh, er probiert es immer wieder.“

Costas ist der Sänger unserer Band, und die Garage, in der wir proben, gehört seiner Mutter. Sie ist etwas außerhalb der Stadt am Feldrand, sodass wir selten Probleme mit der Lautstärke haben. Bis auf ein altes schwerhöriges Ehepaar wohnt hier niemand.

„Sind die anderen schon da?“, frage ich und schlendere zum Eingang.

„Klar“, sagt Costas und folgt mir. Arthur, der Gitarrist, ist so alt wie ich, Costas und Karl sind etwas älter.

Wir gehen in unsere Garage, und da sitzt schon Arthur und stimmt sein Instrument, und Karl, der Keyboarder, ist auch schon da und liegt gemütlich auf unserem zerschossenen Sofa.

Ich klatsche beide ab und gehe rüber zu meinem Schlagzeug. Schön sieht es aus, es ist mein ganzer Stolz. Ich setze mich auf den Hocker und spiele ein paar Takte, überlege, ob ich die Idee mit dem Bandcontest vor oder nach der Probe verkünde, aber eigentlich bin ich zu aufgeregt und kann nicht lange warten. Also rufe ich: „Jungs!“, und alle sehen zu mir. „Kann ich kurz etwas mit euch besprechen?“

Ich gehe zu Karl, und auch die anderen setzen sich auf Stühlen zu uns. Alle drei sehen mich ähnlich erwartungsvoll an wie vorhin Özlem und Fritzi.

„Habt ihr Lust, berühmt zu werden?“

Dann erzähle ich und lese den verkleckerten, zerknitterten Ausschnitt vor. Costas klatscht in die Hände: „Auf jeden Fall machen wir dort mit!“

Auch Arthur und Karl nicken bestätigend. „Cool“, sagt Arthur und Karl: „Mitmachen sollten wir!“ Wir beginnen, laut nachzudenken. „Wie machen wir das mit dem Video? Welchen Song spielen wir?“

„Özlem könnte ein Video von uns aufnehmen, und ich helfe ihr beim Schnitt“, schlage ich vor, und Costas schnipst. „Natürlich, Özlem!“

Dann überlegen wir gemeinsam. Welches Lied wählen wir aus? Wie gestalten wir das Video?

„Es soll ganz natürlich sein, wie eine lustige Bandprobe, aber trotzdem muss es musikalisch super rüberkommen!“, überlegt Karl.

„Wie wäre es“, schlägt Arthur vor, „wenn wir es im Vlog-Style machen. Mira ist eindeutig die beste Moderatorin von uns. Also, wenn Mira ein Video aufnimmt und das Ganze ein bisschen erklärt und es einfach in eine Art Alltagsvideo einbindet, was haltet ihr davon?“

„Perfekt“, ruft Costas. „Das passt richtig gut zu uns.“

Zwischen uns vieren entsteht eine aufgeheizte Stimmung, wir diskutieren, machen Notizen, und ich bin begeistert, dass die drei den Vorschlag so gut finden wie ich.

Am Ende einigen wir uns auf die Vlog-Idee, und ich bin einverstanden, das Video mit Özlem gemeinsam zu produzieren.

Am Montag in der Schule sehe ich Özlem und Fritzi wieder. Als Erstes fragen sie mich natürlich, wie meine Band auf die Idee reagiert hat.

„Sie sind dabei!“, flüstere ich, weil in dem Moment Herr Altmann hereinkommt, der einen pünktlichen Stundenbeginn liebt und Getuschel nicht leiden kann. Ich sitze seit der ersten Klasse neben Fritzi, aber in Deutsch bin ich wirklich schlecht, sodass Herr Altmann zu Beginn des Schuljahres entschieden hat, dass ich in dieser Stunde besser neben Leo, unserem Deutsch-Ass, sitzen soll. Was mir das bringt? Keine Ahnung. Leo bringt es auf jeden Fall nichts. Ich packe also gemächlich meine Sachen zusammen, um Özlem noch zuhören zu können.

„Du hast es gut“, zischt sie, „Bandprobe am Samstag! Meine Eltern haben mir für Sonntag eine neue Nachhilfelehrerin organisiert, und ich war fünf Stunden am Lernen. Fünf Stunden!“ Sie stöhnt.

Altmann fixiert uns drei unter seinen buschigen Augenbrauen. „Na, haben die Damen mal wieder etwas zu schnattern?“, ruft er durch die Klasse. Fritzi wird rot. Sie wird schnell rot und hasst ungeplante Aufmerksamkeit. Ein Wunder, dass sie die Haare blau gelassen hat.

Wir antworten nicht, aber Mark und Lisa hinter uns kichern blöd.

„Mira, erste Reihe, sofort!“

Ich unterdrücke ein Stöhnen und tausche mit Leos bestem Kumpel den Platz.

„Hi“, raunt Leo und lächelt mich an. Seine blauen Augen unter dem blonden Pony leuchten.

„Hi“, lächle ich zurück und packe meine Deutschsachen aus. „Mist“, flüstere ich, „ich habe mein Federmäppchen vergessen.“

Leo kramt kurz in seinem.

„Hier“, sagt er und reicht mir einen blauen Kugelschreiber. Als ich ihn nehme, berühren sich ganz kurz unsere Hände.

„Danke!“

„Und wenn die erste Reihe dann auch still ist“, schnauzt Altmann, „können wir uns ja endlich Schiller widmen!“

Eisfabrik

Wir haben für diesen Nachmittag den ersten Videodreh angesetzt. Costas muss seinen Hund mitbringen, den konnte er so kurzfristig nicht unterbringen, aber Bolle ist ganz brav und legt sich gleich auf eine etwas schmuddelige Decke auf dem Boden.

Özlem baut ihr Stativ auf, als ich reinkomme. Die anderen sind schon alle da. „Hey, Mira“, grinst Costas, „bereit für Vlog Nummer eins?“ Er boxt mich gegen die Schulter. Ich boxe zurück. „Klar!“

Ich habe mir ein weites, fast sauberes T-Shirt und kurze Jeans angezogen, die dunkelroten Locken gewaschen und dann lange geknetet, damit sie wieder etwas wild und unordentlich aussehen. Arthur und Karl haben auf Özlems Anweisung hin unsere Instrumente näher zusammengerückt, damit sie alle gut in die erste Aufnahme passen.

Özlem fährt sich durchs schwarze Haar und zieht einen Zettel aus der Hosentasche. „Ich habe mal eine Reihenfolge gemacht. Zuerst spielt ihr euer Lied Lang gewartet, ich nehme das ganze erst einmal frontal auf, dann von der Seite, und dann laufe ich für dynamischere Bilder noch einmal mit der Kamera rum. Klar so weit?“

Wir vier nicken brav.

„Danach kommt der Teil, in dem Mira euch vorstellt. Spontanität erwünscht!“

Jetzt werde ich doch etwas nervös. Ob ich das hinkriege? Erst einmal kommen ja zum Glück die Musikaufnahmen.

„Unter die Bilder legen wir dann natürlich nur die Tonspur der besten Aufnahme, sonst klingt es zu abgehackt“, erklärt Özlem, während sie ein Mikrofon installiert. Sie kennt sich echt aus. Nachdem sie verschiedene Kabel ineinandergesteckt hat, ruft sie: „Kann losgehen!“

Wir nehmen alle unsere Positionen ein, ich setze mich ganz hinten ans Schlagzeug. Hier im Hintergrund fühle ich mich einigermaßen wohl.

Özlem startet die Kamera und gibt uns ein Zeichen.

Arthur beginnt mit der Gitarre, Karl mit dem Keyboard, ich starte meine Schlagzeug-Takte und Costas den Gesang: „Ich habe lang gewartet, bis ich heute hier sein kann …“ Karl haut auf eine völlig falsche Taste, daraufhin gerate ich aus dem Takt, und Costas Stimme verrutscht in der Tonlage. Wir brechen ab und lachen etwas nervös.

„Kein Problem“, ruft Özlem und stoppt den Take. „Noch einmal!“

Beim dritten Mal klappt es dann, sodass wir das Lied einmal komplett durchspielen, und ich habe das Gefühl, dass es auch ganz gut lief. Özlem nickt zufrieden. „Können wir nehmen“, sagt sie und hebt den Daumen. „Mira, du könntest hinten am Schlagzeug ruhig noch etwas emotionaler sein.“

Puh, okay. Özlem nimmt ihre Rolle als Regisseurin, Kamerafrau und Drehbuchautorin auf jeden Fall sehr ernst.

Ab dann läuft es ganz gut. Özlem nimmt uns noch einmal schräg von rechts und schräg von links auf, dann kommt der Teil, in dem sie mit ihrer Kamera um uns rumschleicht. Als sie mit dem Objektiv sehr nah vor meinem Gesicht ist, versuche ich, das zu ignorieren und mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

Nach dieser Aufnahme gönnt uns Özlem eine kurze Trinkpause, ehe sie uns ihr weiteres Konzept erläutert.

„Jetzt werde ich Mira mit der Kamera folgen, wie sie den Proberaum betritt und euch nacheinander vorstellt. Ihr sitzt am besten ganz natürlich rum, stimmt eure Instrumente und seid sympathisch. Diesen Teil schneiden wir vor das Lied, so, als wäre Mira wie immer zur Bandprobe erschienen. Es ist kein ganz klassischer Vlog, aber ich dachte, so wirkt es professioneller. Ach ja, habt ihr inzwischen einen Namen?“

Ich sehe Costas an, er mich. Auch Karl und Arthur schütteln die Köpfe. Das mit dem Namen ist so eine Sache. Bei unseren wenigen Konzerten sind wir immer ohne Namen aufgetreten oder mit verschiedenen spontan gewählten, die uns am Ende aber alle nicht überzeugt haben.

„Ihr habt noch immer keinen?“ Özlem sieht uns stirnrunzelnd an, und ich schäme mich ein bisschen dafür, dass wir offensichtlich nicht sehr professionell sind.

„Wie wäre es mit Mira und Band?“, schlägt sie vor.

„Nee, nee, das geht nicht“, entgegne ich heftig. „Ich bin die Schlag­zeugerin! Wir sind alle gleichermaßen wichtig.“

Özlem zuckt die Schultern. „Ich dachte nur, weil du ja die Vlogs machst.“

Aber den Gesichtern der anderen sehe ich an, dass sie den Na­men ebenfalls blöd finden. Mein Blick fällt auf den kleinen Pistazieneisfleck auf meinem Shirt, den die anderen hoffentlich nicht bemerkt haben. Ich grinse. „Wie wäre es statt Mira und Band einfach mit Band und Eis? Oder etwas übertrieben: Eisfabrik. So viel Eis, wie wir hier vernichten … also an sich wäre eine Eisfabrik eine gute Sache“, scherze ich, und die anderen nicken ganz ernst. Özlem überlegt. „Nicht schlecht. Dann müssen wir Eis aber irgendwie im Logo unterbringen, denn mit Musik hat das auf den ersten Blick ja nichts zu tun.“

„Ähm“, räuspere ich mich, „das war ein Scherz.“

„Schlechter Scherz, aber guter Name“, grinst Costas, und seine Augen leuchten, als er mir die Hand auf die Schulter legt. „Leute, probieren wir es mit Eisfabrik?“, ruft er, und Arthur und Karl nicken zustimmend.

„Na, dann“, sagt Özlem glücklich, „auf zum nächsten Schritt!“

„Können wir mal eine richtige Pause machen?“, fragt Arthur vorsichtig. Özlem sieht auf die Uhr. „Sorry, ich muss nachher ins Nachhilfeinstitut.“ Sie rollt mit den Augen.

„Du gibst Nachhilfe?“, fragt Costas interessiert. Özlem lacht kurz auf. „Nein, ich nehme welche.“

Chaotische Katastrophe

Der zweite Teil stellt mich vor große Herausforderungen. Ich bin nervös, meine Hände sind feucht, und ich habe wirklich Angst, mich zu verhaspeln.

Die anderen drei haben sich im Proberaum so verteilt, dass ich in alle Ecken laufen muss, um sie vorzustellen.

Arthur sitzt auf der Probefläche und stimmt seine Gitarre, Karl liegt in der Sofaecke bei Bolle, und Costas lehnt neben der Tür und blättert sein Textbuch durch.

„Okay, Mira“, startet Özlem mit den Anweisungen, „sei ganz natürlich! Stell eure Band vor und dann dich und die anderen. Pass gut auf, dass du immer mit dem Gesicht zur Kamera sprichst und na ja … sei einfach du selbst.“

Na toll, ich selbst. Dann wird das Ganze hier eine chaotische Katastrophe. Ich atme durch. Özlem gibt mir das Zeichen.

„Hey, ich bin Mira, und ich bin … ähm … die Schlagzeugerin von Eisfabrik. Oh Mist, können wir das noch einmal machen?“

„Okay, Cut“, sagt Özlem. „Einfach noch einmal, okay?“

Ich lockere meine Schultern. „Bereit.“

Das Lämpchen an der Kamera leuchtet wieder rot.

„Hey, ich bin Mira, die Schlagzeugerin von Eisfabrik.“ Ich setze ein breites Lächeln auf, und Özlem hebt den Daumen.

„Wir sind hier in unserem Proberaum und starten gleich mit unserem Beitrag zum Bandcontest, aber vorher stelle ich euch die anderen vor.“

Zuerst gehe ich zu Costas. „Das ist Costas, unser Sänger. Er steht auf Pommes mit Mayo und auf rote Haare.“ Er boxt mich. „Hey, das ist peinlich, das musst du nicht allen sagen …“ Ich zwinkere nur frech, und Özlem hebt begeistert die Augenbrauen. Auf dem Weg zu Arthur stolpere ich über ein dickes Kabel und falle auf den weichen Teppich. „Ups“, rufe ich und rapple mich wieder auf. „Das passiert mir dauernd“, lache ich in die Kamera und winke ab. „Eigentlich wollte ich euch ja Arthur vorstellen.“ Arthur winkt und spielt einen Ton auf der Gitarre. „Er ist Gitarrist und in seinem geheimen Leben außerdem leidenschaftlicher Breakdancer.“ Ich klatsche in die Hände und laufe dann zu Karl, der Bolles dicken Kopf streichelt. Als ich komme und ein Leckerli in die Hand nehme, bellt Bolle und springt mich an. Vor Freude über das Leckerli in meiner Hand wirft er mich fast um.

„Und das“, ich klopfe seine Seite, „ist Bolle, unser Maskottchen. Und neben Bolle sitzt Karl, Keyboarder und der beste Pizzabäcker der Welt! Jetzt, wo ihr uns alle kennt, starten wir mit unserem Lied Lang gewartet. Gebt uns einen Daumen nach oben, wenn euch der Song gefällt, damit wir uns beim großen Finale wiedersehen können.“ Ich hebe zwei Daumen in die Luft und grinse noch einmal.

„Cut!“, ruft Özlem und lässt die Kamera sinken. „Mensch, Mira“, ruft sie, „du bist ja ein Naturtalent!“

„Meinst du?“ Ich bin mir da nicht so sicher. „Ich bin auf den Boden gefallen, und der Hund hätte mich beinahe umgerannt.“

„Ja“, sagt Özlem, „deswegen ja! Du wirkst total authentisch. Die Menschen werden das lieben!“

Sie schaut auf die Uhr. „Puh, ich muss los. Aber ich glaube, wir brauchen von dir eh keinen zweiten Take.“

Sie umarmt uns reihum. „Özlem, können wir das Video bald hochladen? Je früher, desto besser, oder?“, merkt Costas an. Özlem nickt. „Ich sichte heute Abend das Material und treffe eine Vorauswahl. Mira, hast du morgen Nachmittag Zeit? Dann können wir schneiden, und wenn wir schnell sind, gleich auch hochladen.“

Ich nicke. „Klar.“ Eigentlich wollte ich für die nahende Deutscharbeit lernen, aber Lust habe ich natürlich mehr auf das Video. „Im Café Firenze?“

Özlem schnalzt mit der Zunge. „Ganz genau da!“

Sie winkt uns und verlässt dann unsere Garage.

„Ich glaube, das wird gut“, sagt Costas noch und sieht mich eindringlich an. „Richtig gut!“

Ich bin spät dran. Eigentlich soll ich immer um zehn zu Hause sein, aber heute ist es schon viel später. Ich versuche, mich in die Wohnung zu schleichen, aber natürlich ist mein Vater noch wach. Er sitzt mit Tamara bei einer Tasse Tee in der Küche.

„Mira, komm doch bitte noch einmal rein“, ruft er durch den Türspalt.

„Mist“, murmle ich, folge aber seiner Bitte.

„Hallo“, sage ich etwas zerknirscht und lehne mich an die Spüle.

„Mira, ich habe dich drei Mal angerufen“, sagt Papa vorwurfsvoll. „Du weißt, dass ich nicht besonders streng bin, aber ein paar Regeln müssen wir alle einhalten. Du bist erst vierzehn, und es ist noch nicht einmal Wochenende.“

Ich versuche, ein Augenrollen zu unterdrücken. Stattdessen neh­me ich mein Handy raus. Tatsächlich, drei verpasste Anrufe.

„Entschuldigung, ich hatte mein Handy wegen der Videoaufnahme auf lautlos gestellt.“

Tamara lässt ihre Tasse sinken. „Was für ein Video?“, fragt sie neugierig. Dann greift sie in die Schale Chips vor sich und schiebt sich eine Handvoll in den Mund.

Ich beiße mir auf die Lippe. „Ach, nichts“, winke ich schnell ab. Ich weiß, dass mein Vater nicht viel davon hält, Persönliches ins In­ternet zu stellen, und habe Angst, dass er mir den Contest verbietet.

„Ich bin müde, ich gehe ins Bett“, sage ich, gähne demonstrativ und fliehe aus der Küche.

Ich freue mich schon richtig aufs Schneiden morgen. Das ist viel verlockender als der ganze Schulkram.

Himbeerbonbons und Pistazieneis

Dienstags haben wir nur fünf Stunden Unterricht, das ist super, denn dann können Özlem und ich den ganzen Rest des Tages schneiden.

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