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Rückkehr ins Zombieland

hier erhältlich:

Sie sind schnell. Sie sind entschlossen. Und sie gieren nach der Quelle deines Lebens.

Eben ist dein Leben perfekt, doch im nächsten Moment kann alles vorbei sein. Diese Lektion muss Alice schon zum zweiten Mal lernen. Erst verliert sie ihre Eltern an eine Horde grausamer Zombies. Und als ihr Freund Cole urplötzlich mit ihr Schluss macht, erkennt sie sich bald selbst nicht mehr. Woher kommt diese Panik, von der sie ständig erfasst wird? Und da wäre noch dieser Hunger, den sie einfach nicht stillen kann …

"Die Leser werden den nächsten Band kaum erwarten können.” Booklist


  • Erscheinungstag: 07.11.2016
  • Aus der Serie: The White Rabbit Chronicles
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 448
  • Altersempfehlung: 14
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959676199

Leseprobe

Gena Showalter

Rückkehr ins Zombieland

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Constanze Suhr

 

 

 

HarperCollins YA!®

HarperCollins YA!® Bücher
erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Deutsche Erstausgabe Copyright © 2014 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Copyright © 2016 by HarperCollins YA!
in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:
Through the Zombie Glass
Copyright © 2013 by Gena Showalter
Erschienen bei: Harlequin Teen, Toronto

Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln
Cover-/Umschlaggestaltung: formlabor, Hamburg
Redaktion: Tania Krätschmar
Titelabbildung: Shutterstock

ISBN eBook 978-3-95967-619-9

www.harpercollins.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

 

 

 

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

ANMERKUNG VON ALI

Womit soll ich anfangen?

Mit dem Grotesken? Dem Liebeskummer?

Nein. Ich will nicht mit meiner aktuellen Situation beginnen.

Damit will ich auch nicht aufhören.

Wir werden mit Folgendem anfangen: der Wahrheit. Alles um uns herum ist in Veränderung begriffen. Heute ist es kalt. Morgen wird eine Hitzewelle anrollen. Blumen blühen, dann verwelken sie. Diejenigen, die wir lieben, können wir allmählich hassen. Überhaupt das Leben … das Leben kann in einem Moment perfekt sein und im nächsten zusammenbrechen. Diese Lektion habe ich auf die harte Tour lernen müssen, als meine Eltern und meine geliebte Schwester bei einem Autounfall starben. Das warf mich aus der Bahn und machte aus meinem Leben einen Scherbenhaufen.

Ich habe mein Bestes getan, um die Scherben einzusammeln und zusammenzusetzen, aber – tick-tack. Wieder eine Wende.

Eine Veränderung, die mich alles kostete.

Den Respekt meiner Freunde. Mein neues Zuhause. Meine Ziele. Meinen Stolz.

Meinen Freund.

Und alles ist meine Schuld. Dafür kann ich niemanden sonst verantwortlich machen.

Aus einem Fehler wurden tausend weitere.

Ich wusste, dass es da draußen Monster gibt. Zombies. Mir war klar, dass es nicht so hirnlose Wesen sind, wie sie in Büchern und Filmen dargestellt werden. Sie existieren in einer Geistform, nicht sichtbar für das normale Auge. Sie sind schnell, entschlossen und manchmal sogar ziemlich clever, und sie gieren nach der Quelle des Lebens. Nach unserer Seele.

Ich weiß, ich weiß. Das klingt lächerlich, stimmt’s? Unsichtbare Kreaturen, die nur darauf aus sind, uns Menschen zu verschlingen? Also bitte! Doch so ist es. Ich muss es wissen, denn ich war selbst schon mal so was wie ein „All-you-can-eat-Buffet“ – und habe meine Freunde als Nachtisch angeboten.

Jetzt jage ich die Zombies nicht nur, ich kämpfe auch darum, das Leben zu retten, das mir so lieb geworden ist.

Ich werde es schaffen.

Tick-tack.

Es ist Zeit.

1. KAPITEL

Am Anfang beginnen

Ein paar Monate zuvor

Immer öfter träumte ich von dem Autounfall, bei dem meine Eltern und meine jüngere Schwester ums Leben kamen. Ich erlebte ständig den Moment von Neuem, als unser Auto sich überschlug. Hörte das Knirschen von Metall auf dem Straßenpflaster. Die Stille, als alles vorbei war und ich die Einzige, die sich regte … vielleicht die Einzige, die noch lebte.

Ich versuchte verzweifelt, mich aus dem Sicherheitsgurt zu befreien, um der kleinen Emma zu helfen. Ihr Kopf lag in einem merkwürdigen Winkel verdreht. Die eine Gesichtshälfte meiner Mutter war aufgeschlitzt, mein Vater war aus dem Wagen geschleudert worden. Vor Panik stieß ich mir bei meinem Befreiungsversuch die Stirn an einem scharfen Metallteil. Danach tauchte ich vollkommen in die Dunkelheit ab.

In meinen Träumen beobachtete ich, wie meine Mutter die Augen öffnete. Zuerst war sie desorientiert, sie stöhnte vor Schmerzen und versuchte zu verstehen, was das Chaos um sie herum zu bedeuten hatte.

Anders als ich hatte sie keine Probleme mit ihrem Sicherheitsgurt. Sie machte sich los, drehte sich um und sah zu Emma nach hinten. Tränen strömten ihr über die Wangen.

Als ihr Blick auf mich fiel, keuchte sie auf, streckte eine Hand aus und legte sie mir auf die Knie. Wärme durchflutete mich bei dieser Berührung, schoss durch meinen Körper und gab mir Kraft.

„Alice!“, rief sie und schüttelte mich dabei. „Wach auf …“

Ich fuhr hoch.

Mein Atem ging stoßweise, ich war schweißgebadet. Vorsichtig blickte ich mich um. Ich sah elfenbeinweiße und goldene Wände, verziert mit verschnörkelten Mustern. Einen antiken Kleiderschrank. Auf dem Boden einen flauschigen weißen Teppich. Einen Nachttisch aus Mahagoni, darauf eine Tiffanylampe neben einem Foto von meinem Freund Cole.

Ich war in meinem neuen Zimmer, in Sicherheit.

Allein.

Das Herz hämmerte mir gegen die Rippen, als wollte es herausspringen. Ich versuchte die Bilder des Traums zu verdrängen und rutschte an den Bettrand, um aus dem großen Erkerfenster zu schauen und mich zu beruhigen. Trotz des normalerweise traumhaften Ausblicks – ein Garten in farbenfroher, üppiger Blumen-pracht, die irgendwie im kühlen Oktoberwetter gedieh – drehte sich mir der Magen um. Dunkelheit umfing das Haus, die Nacht war da … und mit ihr die Ungeheuer.

Nebel, der sich vor Stunden am Horizont zusammengebraut hatte, schwebte nun dicht über dem Boden, zog näher und näher an das Fenster heran. Der Mond war rund und voll und loderte in Orange- und Rottönen, als wäre er verwundet und würde bluten.

Möglich war alles.

Die Zombies waren in dieser Nacht unterwegs.

Meine Freunde befanden sich ebenfalls da draußen, bekämpften diese Kreaturen ohne meine Unterstützung. Ich hasste mich dafür, dass ich in einer so kritischen Zeit eingeschlafen war. Was, wenn ein Zombiejäger meine Hilfe brauchte? Nach mir rief?

Wem wollte ich was vormachen? Niemand würde nach mir rufen, egal, wie sehr ich gebraucht wurde.

Ich stand auf und ging im Zimmer auf und ab, verfluchte meine Verletzung, die mich ins Haus verbannte. Vor ein paar Wochen war mir der Bauch aufgeschlitzt worden. Na und? Die Fäden waren bereits gezogen, und die Wunde verheilte.

Vielleicht sollte ich mich bewaffnen und hinausgehen. Lieber würde ich jemanden, den ich liebe, beschützen und eine weitere lebensgefährliche Verletzung in Kauf nehmen, als untätig herumzusitzen und mich im sicheren Nest zu verkriechen. Aber … Ich wusste nicht, wohin die Gruppe gegangen war. Noch wichtiger, selbst wenn ich die anderen fände, Cole würde ausrasten, denn er wäre dann abgelenkt.

Ablenkung konnte tödlich sein.

Verdammt. Ich würde tun, was man mir aufgetragen hatte, und warten.

Minuten wurden zu Stunden, während ich in meinem Zimmer umherlief. Mit jeder Sekunde, die verging, verstärkte sich meine Unruhe. Würden alle lebend zurückkommen? Allein in den vergangenen Monaten hatten wir zwei Zombiejäger verloren. Auf so einen Verlust war keiner von uns vorbereitet.

Die Zimmertür quietschte leise in den Angeln.

Cole schlüpfte herein und schloss hinter sich ab, um sicherzustellen, dass uns niemand überraschte. Endlich lockerte sich der Angstknoten in meinen Eingeweiden, ich war erleichtert und aufgeregt vor Freude.

Er war hier. Es ging ihm gut.

Er gehörte zu mir.

Er sah mich an, und ich erschauerte, wartete auf eine Vision … hoffte auf eine.

Seit wir uns zum ersten Mal begegnet waren, hatten wir jeden Tag bei unserem ersten Zusammentreffen eine Vision gehabt, einen flüchtigen Blick in die Zukunft. Wir hatten uns beim Herumknutschen gesehen, im gemeinsamen Kampf gegen Zombies und einmal einfach nur relaxend auf einer Schaukel. Heute, so wie fast jeden Tag, seit mir der Bauch aufgeschlitzt worden war, sah ich überhaupt nichts. Es war so frustrierend.

Wieso hatten die Visionen aufgehört?

Im tiefsten Innern befürchtete ich, dass einer von uns beiden eine emotionale Sperre aufgebaut hatte – und ich wusste, dass ich es nicht war.

Ich war viel zu hingerissen von ihm.

Cole verströmte eine Menge Testosteron, sodass jedes Mädchen in einem Radius von zehn Meilen auf ihn aufmerksam wurde. Er war zwar erst siebzehn, wirkte aber älter. Er hatte langjährige Erfahrung auf dem Schlachtfeld, hatte im Krieg zwischen Zombies und Menschen gekämpft, seit er laufen konnte. Mit Mädchen hatte er ebenfalls Erfahrung. Womöglich zu viel. Er wusste immer, was er sagen musste … wie er vorzugehen hatte … und ich schmolz dahin. Jemanden wie ihn hatte ich bisher nicht getroffen. Ich bezweifelte auch, dass es je wieder passieren würde.

Er trug Schwarz wie ein Phantom der Nacht. Sein tintenschwarzes Haar stand zu allen Seiten ab, gespickt mit Blättern und Zweigen, die sich in den Strähnen verfangen hatten. Er hatte sich nicht die Zeit genommen, um sein Gesicht zu waschen. Auf seinen Wangen befanden sich Streifen schwarzer Farbe, Schmutz und Blut.

So. Verdammt. Sexy.

Violette Augen, unergründlich und beinah außerirdisch wirkend in ihrer Reinheit und Undurchdringlichkeit, seine Lippen zu einer harten Linie zusammengepresst. Ich kannte ihn und wusste, das war sein Wir-brennen-die-Welt-nieder-und-das-ist-gut-so-Gesicht.

„Warum liegst du nicht im Bett, Ali?“

Ich ignorierte die Frage ebenso wie die Strenge seines Tonfalls. Mir war klar, dass beides aus seiner Sorge um mich resultierte. „Was ist passiert?“, erkundigte ich mich. „Was war da draußen los?“

Schweigend legte er seine Waffen ab, ließ die Dolche fallen, die Pistolen, Magazine mit Munition und die Armbrust, seine Lieblingsschusswaffe. Er war auf direktem Weg zu mir gekommen, stellte ich fest, hatte nicht vorher bei sich zu Hause haltgemacht.

„Wurdest du gebissen?“, wollte ich wissen. Hatte er Schmerzen? Zombiebisse hinterließen ein brennendes Gift im Körper. Ja, wir besaßen ein Antiserum, aber der menschliche Organismus vertrug nur eine gewisse Menge davon und brach irgendwann zusammen.

„Ich habe Haun gesehen“, sagte er schließlich.

Oh nein! „Das ist schrecklich.“ Haun war vor einiger Zeit von Zombies getötet worden. Die Tatsache, dass er Cole begegnet war, konnte nur eins bedeuten: Haun war als unser Feind wieder aus dem Grab gestiegen.

„Ich hatte es zwar befürchtet, aber wirklich darauf vorbereitet war ich nicht.“

Als Nächstes fiel Coles Hemd zu Boden.

Der Anblick seines scharf umrissenen muskulösen Körpers raubte mir wie üblich den Atem, jetzt war es nicht anders, trotz unseres schrecklichen Gesprächsthemas. Ich saugte alles förmlich in mich auf – dieses herrlich verruchte Nippelpiercing, die breite, kräftige Brust und den mit Tattoos bedeckten Waschbrettbauch. Jedes Bild, jeder Schriftzug hatte eine besondere Bedeutung für Cole – von den Namen seiner Freunde, die er im Kampf gegen die Zombies verloren hatte, bis zur Darstellung des Symbols eines Angst einflößenden Sensenmanns. So war er eben. Er war ein Zombiejäger.

Cole war ein böser Junge – der gefährliche Typ, den Monster in ihrem Kleiderschrank vorzufinden fürchteten.

Er kam auf mich zu. Ich vibrierte vor Vorfreude, erwartete, dass er mich in die Arme nahm. Stattdessen schritt er an mir vorbei, ließ sich auf das Bett fallen und schlug die Hände vors Gesicht.

„Ich habe ihn heute Nacht eingeäschert. Hab ihn für immer erledigt.“

„Es tut mir leid.“ Ich setzte mich zu ihm und strich über seinen Oberschenkel neben mir, versuchte, ihn so gut es ging zu trösten. Ich wusste, ihm war klar, dass es nicht Haun gewesen war, den er zu Asche verbrannt hatte, auch nicht dessen Geist. Die Kreatur, die er bekämpft hatte, verfügte nicht über Hauns Erinnerungen oder seine Persönlichkeit. Sie sah so aus wie er, weiter nichts. Sein Körper war einfach nur eine Hülle, die das Böse und unstillbaren Hunger in sich trug.

„Du musstest es tun“, sagte ich. „Wenn du ihn verschont hättest, wäre er wiedergekommen, um dich oder unsere Freunde zu töten. Er hätte alles getan, um uns zu zerstören.“

„Ich weiß, aber das macht es nicht leichter.“ Er seufzte und holte zittrig Luft.

Ich betrachtete ihn genauer. An seinen Armen, an Brust und Bauch entdeckte ich entzündete Schnitte. Zombies waren Geister, der Ursprung des Lebens – oder Nachlebens in ihrem Fall –, und konnten nur von Geistwesen bekämpft werden. Deshalb mussten wir vor dem Kampf aus unserem Körper treten, so wie man die Hand aus einem Handschuh zieht. Obwohl wir unsere äußere Hülle wie eingefroren zurückließen, blieben wir weiterhin mit ihr verbunden. Welche Verletzungen wir uns in solchen Situationen auch immer zuzogen, sie übertrugen sich darauf.

Ich ging ins Badezimmer, machte einen Waschlappen nass und suchte eine Tube mit antibiotischer Salbe heraus.

„Morgen fange ich wieder mit dem Training an“, sagte ich entschlossen, während ich seine Wunden versorgte. Das Thema lenkte uns beide ab.

Er funkelte mich unter so schwarzen und vollen Wimpern an, dass es aussah, als hätte er Eyeliner benutzt.

„Morgen ist Halloween. Wir haben alle den Tag und die Nacht frei. Und übrigens will ich mit dir in den Club zu einer Kostümparty. Wir passen wunderbar zum bluttriefenden, zerschrammten Motto und gehen als die verruchte Krankenschwester und der noch verruchtere Patient.“

Mein erster Ausgang seit Wochen würde ein Date mit Cole sein. Oh ja, bitte. „Du wirst eine echt umwerfende verruchte Krankenschwester abgeben.“

„Ich weiß“, erwiderte er, ohne zu zögern. „Warte erst mal, bis du mein Kleid siehst. Verdorben ist gar kein Ausdruck. Du wirst danach ein heißes Bad brauchen.“

Nicht lachen. „Alles leere Versprechen.“ Ich schnalzte mit der Zunge und versuchte wieder ernst zu sein. „Ich habe nicht von Zombiejagd gesprochen.“ Es würden zu viele Leute unterwegs sein, von denen einige als Zombies verkleidet wären. Auf den ersten Blick könnten wir die Kopien vielleicht nicht von den Originalen unterscheiden. „Ich meinte lediglich das Training. Du gehst doch sicher morgen früh ins Studio, oder?“ Das tat er jeden Tag.

„Du bist noch nicht so weit“, sagte er, ohne meine Frage zu beantworten.

„Nein, du bist noch nicht so weit zu akzeptieren, dass ich so weit bin. Aber es ist so, ob es dir gefällt oder nicht.“

Er machte ein finsteres Gesicht.

„Ist das so?“ „Jawohl.“ Nicht viele Leute widersprachen Cole Holland. Alle in der Schule hielten ihn für ein wahres Raubtier, mehr Ungeheuer als Mensch. Wild. Gefährlich.

Sie hatten recht.

Cole würde nicht zögern, sich gegen den kleinsten Angriff, von wem auch immer, zu wehren, ausgenommen gegen mich. Ich konnte tun, was ich wollte, sagen, was ich wollte, er war entzückt. Sogar wenn er seinen finsteren Blick auflegte. Es war sehr merkwürdig, etwas, das ich vorher nie gekannt hatte – Macht über jemanden zu haben –, doch es wäre gelogen, würde ich behaupten, ich genoss es nicht.

„Es gibt nur zwei Probleme bei deinem Plan“, sagte er. „Erstens hast du keinen Schlüssel zur Trainingshalle, und zweitens könnte es gut sein, dass dein Trainer plötzlich unerreichbar ist.“

Da er mein Trainer war, verstand ich seinen Einwand als die sanfte Drohung, die er war, und seufzte.

Als ich neu in die Gruppe gekommen war, hatte er mich ohne zu zögern sofort ins Kampfgetümmel geschickt. Ich glaube, er hatte weniger an mein Kampftalent geglaubt als an seine Fähigkeit, mich vor allen möglichen Bedrohungen beschützen zu können.

Ich hatte mich bewiesen, und er hatte sich zurückgehalten.

Dann hatte er mich im Kampf aus Versehen verletzt.

Yep, er war es gewesen, der mir den Bauch aufgeschlitzt hatte. Allerdings hatte er es auf einen Zombie abgesehen, der ihn knurrend und beißend angriff. Ich kam dazu, um zu helfen. Mit einer zielsicheren Berührung äscherte ich die Kreatur ein, den einzigen Schild zwischen mir und Coles Messer. Er konnte sich das nicht verzeihen.

Womöglich hatte er deshalb eine Mauer um sich errichtet.

Vielleicht musste er daran erinnert werden, wie gerissen ich war.

„Cole“, sagte ich heiser, und seine Lider fielen auf halbmast.

„Ja, Ali, was?“

„Das hier.“ Träge lächelnd umfasste ich einen seiner Fußknöchel – und zog. Cole rutschte vom Bett und plumpste auf den Boden.

„Was, zur Hölle?“

Ich sprang auf ihn und drückte seine Schultern mit den Knien hinunter. Die plötzliche Bewegung verursachte mir Schmerzen im Bauch, doch ich bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen, und lächelte. „Was machst du nun, Mister Holland?“

Er sah mich lange an, seine Augen schienen sich zu verdunkeln.

„Ich glaube, ich werde einfach mal die Aussicht genießen.“ Mit beiden Händen umfasste er meine Taille und drückte zu, um meine volle Aufmerksamkeit zu bekommen. „Aus dieser Perspektive sehe ich deine …“

Ich verkniff mir ein Lachen und holte spielerisch zum Schlag aus.

„… Shorts“, beendete er den Satz und fing meine Hand ab, bevor ich ihn berühren konnte. Ich hatte keine Gelegenheit, mich zu befreien. Er rollte mit mir herum, zog meine Arme über meinen Kopf und hielt mich gefangen.

Hinterhältiger Zombiejäger.

„Was machst du nun, Miss Bell?“

Einfach so liegen bleiben und es genießen? Ich roch den Wald und den frischen Schweiß an ihm. Hörte, wie unsere heftigen Atemzüge sich vermischten. Spürte seine Hitze, seinen gestählten Körper an meinem.

„Was würde dir denn gefallen?“ Ich sah ihm in die Augen, die Luft um uns herum schien dicker zu werden und sich elektrisch aufzuladen.

Würde er mich berühren?

Ich wünschte es mir sehnlichst.

„Du bist noch nicht bereit für das, was ich gern tun würde.“

Er beobachtete mich genau, während er eine Hand langsam zwischen uns gleiten ließ und seine Worte Lügen strafte … Ach ja, bitte, bitte Bis er den Saum meines T-Shirts hochschob und meine verheilenden Wunden freilegte.

Er betrachtete mich, und mein Bauch begann zu zittern. Verdammt, ich zitterte am ganzen Körper. Cole beugte sich herunter, tiefer und tiefer, und küsste das eine Ende meiner frischen Narbe, dann das andere. Ich stöhnte auf.

Bitte mehr.

Ein Moment verging, ein weiterer, und er richtete sich wieder auf. Seine Nähe machte mich vollkommen fertig, doch er tat nichts, um die Spannung abzubauen, die sich in mir ausbreitete.

„Noch eine Woche Erholung“, sagte er und biss die Zähne zusammen, als müsste er sich zu diesen Worten zwingen. „Anweisung vom Arzt.“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich frage Frosty und Bronx, ob sie mich trainieren.“

Er kniff die Augen zu Schlitzen zu. „Sie werden Nein sagen. Dafür sorge ich schon.“

„Zuerst vielleicht.“ Ganz bestimmt. Alle befolgten Coles Anordnungen. Andere Alphamännchen erkannten ein größeres und böseres an. „Wie auch immer, ich habe eine Geheimwaffe.“

Er zog die Augenbrauen nach oben. „Und das wäre?“

„Bist du sicher, dass du das wissen willst?“ Ich rieb meine Knie an seiner Hüfte.

„Ja, sag’s mir.“ Seine Stimme klang tief und ein bisschen rau.

Ich rutschte höher mit den Knien, noch höher. Er rührte sich nicht vom Fleck, wartete, was ich als Nächstes tun würde. Ich hatte zwei Möglichkeiten. Entweder ich versuchte ihn zu verführen – so wie er mich ansah, könnte ich diesmal sogar Erfolg haben – oder ihm zu beweisen, dass ich bereits fit genug war.

Manchmal hasste ich meine Prioritäten.

Ich platzierte meine Füße auf seinen Schultern und stieß mit aller Kraft zu. Er flog rückwärts, fing sich aber wieder und landete auf den Knien.

„Ablenkung.“ Ich schnurrte wie eine Katze.

Er lachte, blieb, wo er war, nahm eins meiner Beine und küsste mich auf den Fußknöchel. „Ich muss echt gestört sein, mir gefällt es nämlich, wenn du so grob zu mir bist.“

Hitze stieg mir in die Wangen. „Das hört sich an, als wäre ich irgend so ein Mannweib.“

Wieder lachte er, ach, es war so ein wunderbarer Klang. In letzter Zeit war er immer so ernst gewesen.

„Ich mag es auch, wenn du rot wirst.“

„Okay, ich löchere Frosty und Bronx so lange, bis sie Ja sagen.“ Offensichtlich wirkte meine Wissbegierde nicht auf jeden so charmant. Nächster Zug. „Die werden von meiner schwachen Verfassung so genervt sein, dass sie mich wie einen Mehlsack durch die Gegend schleudern.“

„Na und? Dann hast du ein Wehwehchen, das ich küssen muss, damit es besser wird. Darf ich vorstellen, hier Problem, da Lösung.“

Ich musste mir ein Lachen verkneifen und mich anstrengen, um einen ernsten Gesichtsausdruck beizubehalten. „Das kannst du gern tun, wenn das Wehwehchen an meinem Hintern ist.“

„Hmmm. Abartig. Das ist ein Plan, hinter dem ich voll stehe … bei dem ich voll stehe.“

Leere Versprechen! „Cole“, sagte ich schmollend. „Du kannst mich nicht so anmachen und dich dann verkriechen.“

„Oh, ich werde mich schon darum kümmern.“ Jetzt war wieder der raue, sehnsüchtige Tonfall dran. Coles Blick heftete sich auf meinen Mund, heiß und bedeutungsvoll. „Sobald du ganz okay bist.“

Weitere sieben Tage seine Porzellanpüppchenbehandlung ertragen? Nicht jammern. „Mr. Ankh hätte mich längst zum Training zugelassen, wenn du nicht protestiert hättest.“ Ich setzte mich auf und strich ihm durchs Haar. „Mir geht es gut, das schwöre ich!“

„Nein, du bist auf dem Weg der Besserung. Falls du zu früh trainierst, könnte das die Heilung beeinträchtigen. Außerdem gehörst du mir, Ali-Gator, und du bist mir sehr wichtig. Ich möchte, dass du gesund wirst. Es ist notwendig, dass du wieder gesund wirst. Und, okay, zugegeben, der Gedanke, dass meine Freunde dich anfassen, gefällt mir nicht.“

Ali-Gator? Wie bitte? Ich glaube, mir wäre irgend so was wie … keine Ahnung – Schmusekuchen? – lieber gewesen. Immer noch besser, als mit einer zu groß geratenen Eidechse verglichen zu werden, oder?

Hatte er außerdem gerade gesagt, ich gehörte ihm?

Na bitte. Dahinschmelzen

„Bronx steht heimlich auf Reeve, und Frosty ist total verrückt nach Kat. Die würden nun überhaupt nichts versuchen.“ Tatsache war, kein Typ vor Cole hatte jemals irgendwas bei mir versucht. Ich hatte keine Ahnung, weshalb er mich so unwiderstehlich fand.

„Egal.“ Er beugte sich zu mir und knabberte an meinem Hals. „Ich werde die Jungs krankenhausreif schlagen, falls sie in deine Nähe kommen. Ich teile mein Spielzeug nicht mit anderen.“

Ich musste mir ein lautes Schnaufen verkneifen. „Wenn mich jemand anders als sein Spielzeug bezeichnet hätte, wären seine Organe längst durch die Gegend geflogen.“

„Ganz deiner Meinung. Wie ich sagte, gehörst du mir. Und Ali, ich würde es lieben, von dir als dein … alles Mögliche bezeichnet zu werden, vor allem als dein Spielzeug. Ich wünsche mir soooo sehr, dass du mit mir spielst.“

Okay, das Schnaufen ließ sich nicht mehr unterdrücken. Hallo! Sich widersprechende Signale. „Das würde ich gern bewiesen haben, Cole Holland.“

Seine Reaktion? Ein Aufstöhnen.

Ich seufzte. Da war nichts Widersprüchliches dran, oder? „Da wären wir also wieder bei meinem prügelnden Zuhälter angekommen.“ Ich bezweifelte nicht, dass er in der Lage war, Leute krankenhausreif zu schlagen – das war bereits passiert –, aber seine Freunde? Niemals. Ich öffnete den Mund, um ihm das zu sagen, keuchte jedoch nur auf. Er hatte in diesem Moment in meine Schulter gebissen, und pure Lust schoss durch meinen Körper. „Cole.“

„Tut mir leid. Ging nicht anders. Wollte meine Worte nur ein bisschen unterstreichen.“

„Nicht aufhören.“ Ich konnte nur flüstern. „Diesmal nicht.“

„Ali.“ Er stöhnte. „Du bringst mich um.“ Ohne mich loszulassen, stand er auf und schob mich sanft aufs Bett. Dann streckte er sich neben mir aus, zog mich aber nicht in seine Arme.

Ich schluckte und hätte am liebsten vor Frust aufgeschrien. Mir war nicht klar, ob er sich selbst für das bestrafen wollte, was er mir angetan hatte, oder ob er tatsächlich Angst hatte, mir wehzutun. Ich wusste nur, dass ich seine Berührungen und seinen Geschmack vermisste.

Ich schmiegte mich an ihn und legte meinen Kopf an seine Schulter. Seine Haut war warm und überraschend weich, als ich mit einem Finger seinen gepiercten Nippel umkreiste. Böse Ali.

Schlaue Ali. Sein Herz begann schneller zu schlagen, was mich sehr erfreute.

Enttäuschte Ali. Er blieb weiterhin in meiner Nähe, aber auf Distanz.

„Wenn du ganz gesund bist“, sagte er schließlich.

Seine Fähigkeit, mir zu widerstehen, war nicht gerade schmeichelhaft.

„Ich könnte mir nie verzeihen, falls ich dir noch mehr wehtun sollte“, fügte er hinzu, und mein Zorn verrauchte.

Seine Sorge um mich war dagegen äußerst schmeichelhaft.

„Hör zu, ich muss euch Jungs irgendwie helfen, King Cole.“ In dem Moment, in dem mir dieser Spitzname herausrutschte, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Das würde er nicht so gut aufnehmen. „Es macht mich fertig, wenn ich nichts tun kann.“

Er seufzte. „Na gut. Okay. Du darfst morgen früh ins Studio kommen. Wir sehen mal, wie du klarkommst.“

Ich küsste ihm die Wange, die Bartstoppeln kitzelten an meinen Lippen. „Ich finde es süß, dass du denkst, ich würde um Erlaubnis bitten.“

„Danke vielmals, Cole“, grummelte er, umfasste meinen Nacken und zog meinen Kopf zurück. Unsere Blicke trafen sich. „Ich versuche nur, dich zu beschützen.“

„Das kannst du … solange du aufpasst, wo du dein Messer reinstößt.“

Seine Miene verfinsterte sich. „Das ist nicht komisch.“ „Was? Zu früh? Über mein Nahtoderlebnis und deinen Anteil daran darf man noch keine Witze reißen?“

„Wahrscheinlich wird es nie so weit sein.“

Ich biss ihm spielerisch ins Kinn. „Na gut.“ Aus Erbarmen mit ihm wechselte ich das Thema. „Erzählst du mir wenigstens, was in den vergangenen Wochen passiert ist?“ Befehl vom Boss, am Krankenbett redet man nicht übers Geschäft. „Wie du siehst, falls es schlechte Nachrichten sind, kann ich sie verschmerzen.“

„Ist schon okay“, erwiderte er offensichtlich erleichtert. „Fangen wir gleich mal damit an, dass sich Kat und Frosty wieder mal getrennt haben.“

Ich nahm mir fest vor, sie am Morgen anzurufen.

„Außerdem wird Justins Schwester vermisst.“

Justin Silverstone war mal ein Zombiejäger gewesen, dann hatte ihn seine Zwillingsschwester Jaclyn überredet, die Seiten zu wechseln und sich Anima Industries anzuschließen. Wir nannten diese Leute die Overalls, wegen der Schutzanzüge, die sie bei ihren Einsätzen trugen. Die Firma wollte die Zombies für Versuchszwecke und als Studienobjekte am Leben erhalten. Sie planten außerdem, sie eines Tages als Waffe einzusetzen. Ihnen war vollkommen egal, wie viele unschuldige Menschen dabei draufgingen.

„Wahrscheinlich ist sie abgehauen, weil sie befürchtet, dass wir sie verfolgen“, sagte ich. Jaclyn und ihr Team waren daran beteiligt gewesen, als das Haus meiner Großeltern durch die Explosion einer Bombe zerstört worden war. Sie hatte bei mir noch einiges offen.

Cole nickte. „Außerdem ist da meine Suche. Wir brauchen mehr Zombiejäger. Ich weiß, dass es da draußen Kids gibt, die genauso verunsichert sind, wie du’s mal gewesen bist. Die nicht wissen, wieso sie Monster sehen können, die für andere unsichtbar sind, und die keine Ahnung haben, was sie tun sollen.“

„Irgendwelche Möglichkeiten?“

„Bisher nicht. Zwei Zombiejäger aus Georgia sind hergekommen, um uns zu unterstützen, bis wir unser Team wieder vollzählig haben.“

Eine ganze Weile hatte ich geglaubt, dieses Zombieproblem würde nur in meiner Heimat, in Alabama, existieren, doch ich habe anderes erfahren. Es gab überall auf der Welt Zombies und auch Zombiejäger.

„Das hättest du mir längst sagen sollen. Du bist eine echte Plage, Cole-Salat.“ Das klang schon besser, der richtige Bringer war dieser Spitzname allerdings noch nicht.

„Ist klar, aber ich bin deine Plage.“

Sofort war mein Ärger wieder verflogen. Wie machte er das bloß?

„Weiß Mr. Ankh, dass du hier bist?“ Nachdem mein Großvater gestorben war und die Overalls unser Haus abgefackelt hatten, waren Nana und ich zu Mr. Ankh und seiner Tochter Reeve gezogen.

Mr. Ankh – Dr. Ankh für alle, die nicht zum Kreis seiner Vertrauten gehörten – wusste von den Zombies und verarztete die Zombiejäger regelmäßig. Reeve hatte dagegen keine Ahnung, was vor sich ging, und wir hatten Order, sie weiter im Unklaren zu lassen. Ihr Vater wollte, dass sie ein möglichst normales Leben führte.

Was bitte schön war denn normal?

„Ich habe Ankhs Sicherheitsbeamten den Stinkefinger gezeigt“, erklärte Cole mit einer Andeutung von Stolz in der Stimme. „Er hätte sich sonst gezwungen gesehen, deiner Großmutter Bericht zu erstatten, und ich habe nicht das Bedürfnis, rausgeworfen zu werden und mich wieder reinschleichen zu müssen. Ich will einfach mit dir zusammen sein.“

„Dann hast du also vor, die ganze Nacht hierzubleiben und mich festzuhalten, Cole-Guacamole?“ Oje. Das hätte ich jetzt bleiben lassen sollen. Das war ja ätzend.

Cole lachte. „King Cole hat mir besser gefallen.“

„Das überrascht mich nicht.“

„Es passt einfach gut zu mir.“

„Ich bin sicher, dass du das glaubst.“ Ich zupfte leicht an seinem Brustpiercing.

„Da bin ich garantiert nicht der Einzige. Und ja, ich bleibe hier.“ Er legte eine Hand über meine Finger, löste meinen Griff und zog sie an seinen Mund, um sie zu küssen. Einen Augenblick später lag kurz so etwas wie Panik in seinem Blick, was ich überhaupt nicht verstand. Ich musste es wohl fehlinterpretiert haben, denn er sagte: „Nur damit du es weißt, du kannst mich mit allen möglichen Namen ansprechen – solange du immer mit mir sprichst.“

2. KAPITEL

Auf die Plätze – fertig – stopp!

Ich wachte auf und war allein. Schweißüberströmt schnappte ich nach Luft. Wieder hatte mich ein Traum vom Unfall nicht losgelassen. Ich sah meine Mutter, die ihre Arme nach mir ausstreckte, spürte die ungewöhnliche Hitze, die von ihr ausging, hörte, wie sie meinen Namen schrie. Dann sah ich, wie die Zombies meinen Vater auffraßen, zu unserem Auto geschwebt kamen und sie hinauszerrten, um sie als Nachtisch zu verspeisen.

Sie wehrte sich verzweifelt gegen ihre gierigen Griffe. Immer wieder rief sie voller Entsetzen und Panik: „Alice! Alice!“

Ich wollte sie zurückziehen, versuchte sie festzuhalten, bettelte die fürchterlichen Kreaturen an, sie loszulassen und ihr nichts zu tun.

Dann nichts mehr.

Ich hätte heulen können.

Warum gingen mir diese Bilder nicht aus dem Kopf? Das war nicht so passiert. Nicht in der Realität.

Oder doch?

War ich im Wagen noch mal zu mir gekommen und erinnerte mich bloß nicht daran? War es mein Unterbewusstsein, das mich auf diese Weise heimsuchte?

Mom hatte tatsächlich draußen auf der Straße bei meinem Vater gelegen, obwohl sie im Auto gewesen war, bevor ich das Bewusstsein verloren hatte.

„Cole!“ Ich tastete die Matratze neben mir ab, brauchte seine Arme um mich, seine Kraft und Sicherheit. Er würde mich trösten, egal was war.

Das Laken fühlte sich furchtbar kalt an. Cole war nicht mehr da.

Ich dachte … ja, ich erinnerte mich, dass er mit mir gesprochen hatte, als er gegangen war.

„Das soll ich dir glauben? Einfach so?“, hatte er ärgerlich gefragt.

Nein, er hatte nicht mich gemeint. Einen Augenblick hatte angespannte Stille geherrscht, dann hatte er wütend gerufen: „Ruf mich nicht mehr an, Justin. Das habe ich dir bereits vor langer Zeit gesagt, ich will nichts mit dir zu tun haben. Du kannst erzählen und machen, was du willst, ich bleibe dabei.“ Erneut eine Pause, in der ich Geknister hörte, und wieder Cole: „Nein, ich bin nicht an der Information interessiert, die du hast.“

Ich kannte nur einen Justin. Entweder hatte Cole gerade mit einem Typen telefoniert, mit dem er nie mehr hatte reden wollen, oder ich fantasierte. Im Moment war ich nicht in der Verfassung, dass ich meinem Verstand trauen konnte.

Vorsichtig setzte ich mich im Bett auf und blickte mich im Zimmer um. Pralles Sonnenlicht fiel durchs Fenster herein. Die eisblaue Überdecke auf meinem Himmelbett war zerknittert. Eins der Kopfkissen war mit schwarzen Flecken von Coles Gesichtsbemalung übersät. Ups. Ich musste das unbedingt sauber machen, bevor ich ging.

Seine Waffen lagen nicht mehr in einem Haufen auf dem Fußboden, seine Klamotten waren ebenfalls verschwunden. Das einzige weitere Anzeichen dafür, dass er hier gewesen war, lag in Form eines Zettels auf meinem Nachttisch.

Ich bin im Trainingsraum. Ruf mich an, dann hole ich dich ab. XC

Plötzlich in bester Laune, stand ich schwungvoll auf, putzte mir die Zähne, duschte und zog meine Wintertrainingskleidung an. Ich wählte seine Handynummer und … wurde sofort zu seinem Anrufbeantworter umgeleitet.

„Ich bin aufgestanden und startklar“, sagte ich ins Telefon. „Du kannst mich jederzeit abholen.“ Ich hatte kein Auto, auch keinen Führerschein, nur eine beschränkte Fahrerlaubnis. Wenn ich nicht bald was von ihm hörte, würde ich laufen. Der Trainingsraum befand sich in einer umgebauten Scheune ein paar Kilometer entfernt. „Ich hoffe, du bist darauf vorbereitet, dass ich dir den Hintern versohle.“

Als ich auflegte, sah ich, dass elf Textnachrichten auf mich warteten. Alle von meiner besten Freundin Kat. Ich grinste, während ich sie las.

Die erste: Frosty ist echt ätzend!

Nummer zwei: Habe ich erwähnt, dass Frosty ätzend ist bis zum Abwinken?

Nummer drei: Was hältst du von Mord? Dafür oder dagegen? Bevor du antwortest, musst du wissen, ich habe ein sehr überzeugendes Motiv!

Nummer vier: Wenn positiv, weißt du ein gutes Versteck für die Leiche?

In den restlichen SMS beschrieb sie die verschiedenen Arten, auf die sie ihn umbringen wollte. Am besten gefiel mir die Version mit der Tüte Skittles und einem Seidenschal.

Hmmm. Skittles.

Mein Magen knurrte. Ich legte das Handy auf den Nachttisch. Nach dem Frühstück würde ich Kat anrufen. Dann bestand die Chance, dass sie schon wach war und ich aufnahmefähiger für das, was sie so aufregte. Es wäre gut möglich, dass Frosty sie nach dem Kampf in der Nacht einfach nur nicht angerufen hatte und dass sie sich Sorgen machte. Ich war mir nicht sicher, wie ich sie darüber hinwegtrösten könnte. Sie hatte klargemacht, dass Zombies nicht zu ihren Lieblingsthemen gehörten.

Erst einmal räumte ich bei mir im Zimmer auf. Ich wollte nicht, dass Mr. Ankhs Haushälterin das tat. Ich war keine Schmarotzerin und würde nichts als selbstverständlich nehmen. Auf irgendeine Weise wollte ich etwas zurückgeben, dazu war ich entschlossen. Glücklicherweise bekam ich die schwarze Farbe mit Wasser und Seife aus dem Kissenbezug.

„Alice.“

Das war Emmas Stimme.

Ich drehte mich um, und, oh welche Freude, da stand sie. Meine achtjährige Schwester. Zumindest ihr Geist. Was sie mich gelehrt hatte: Der Tod ist nicht das Ende. „Du bist da“, sagte ich, mein Herz flog ihr entgegen. Sie hatte mich schon öfter besucht, aber jedes Mal fühlte es sich anfangs unheimlich und irreal an.

Sie lächelte mich an, und ich hätte sie am liebsten fest in die Arme genommen und an mich gedrückt.

„Ich habe nicht viel Zeit.“

Sie trug die Kleidung, in der sie gestorben war: ein pinkfarbenes Trikot und ein Tutu. Das dunkle Haar, das sie von unserer Mutter geerbt hatte, war zu Rattenschwänzen gebunden, die über ihren schmalen Schultern hin und her schwangen. Ihre goldbraunen Augen, mit denen sie mich immer so bewundernd angesehen hatte, strahlten.

Sie hatte mir mal gesagt, sie sei kein Geist, sondern eine Zeugin. Geister – nicht, dass sie überhaupt existierten – waren die Seelen der Verstorbenen, die herumspukten. Wahrscheinlich ein Mythos aufgrund von Zombieerscheinungen. Zeugen waren Seelen, die uns halfen.

„Ich wollte dich vorwarnen, weil du mich bald nicht mehr so oft sehen wirst“, sagte sie ernst. „Es wird immer schwieriger, dich zu besuchen. Aber wenn du mich rufst, werde ich es irgendwie schaffen, zu dir zu kommen.“

„Schwieriger inwiefern?“ Ich machte mir Sorgen um sie.

„Meine Verbindung zur Welt der Lebenden wird schwächer.“

Oje.

Ich wusste, was das bedeutete. Eines Tages würde ich sie für immer verloren haben.

„Sei nicht traurig. Ich kann es nicht ertragen, wenn du traurig bist.“

Ich bemühte mich, ein fröhliches Gesicht zu machen. „Egal, was passiert, ich weiß, dass du irgendwo da draußen bist und auf mich aufpasst. Kein Grund, traurig zu sein.“

„Genau.“ Sie strahlte und warf mir eine Kusshand zu. „Ich liebe dich. Und ehrlich, ruf mich, wenn du mich brauchst.“ Weg war sie.

Mein Grinsen verblasste, und ich sah, da war ich sicher, düster vor mich hin. Ich hätte mich am liebsten zusammengerollt und geheult, aber ich weigerte mich, mir jetzt schon Sorgen über kommende Tage ohne meine Schwester zu machen. Mit diesem Problem würde ich mich befassen, sobald es da war.

Ich band mir die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und ging in die Küche. Eigentlich erwartete ich, die Haushälterin zu sehen, stattdessen fand ich Reeve, Nana und Kat vor. Sie saßen am Tisch und tranken dampfenden Kaffee aus Bechern.

„… irgendwas geht da vor sich“, sagte Reeve gerade und zwirbelte eine ihrer dunklen Haarsträhnen um einen Finger. „Dad hat vor dem Haus und hinten im Garten weitere Sicherheitskameras anbringen lassen – dabei hatten wir doch schon so um die tausend! Was noch schlimmer ist, sie haben dermaßen viele Lampen installiert, dass meine Vorhänge kaum ausreichen, um mein Zimmer zu verdunkeln.“

Nana und Kat rutschten unbehaglich auf ihren Stühlen hin und her.

„Hat er euch irgendwas erzählt?“

„Also …“, begann Nana zögernd. Sie warf nervös einen Blick durch den Raum, als hoffte sie darauf, dass sich eine Ablenkung zeigte.

Eine war schon auf dem Weg.

„Ali! Du bist eine Woche zu früh aus dem Bett aufgestanden!“ Ihr Stuhl fiel beinahe um, als sie aufsprang. Sie kam auf mich zu und umarmte mich. „Ich weiß ja nicht, ob ich das in Ordnung finde.“

Kat feilte ihre Nägel und lächelte. Sie wirkte nicht gerade wie ein Mädchen, das drauf und dran war, ein Gewaltverbrechen zu begehen. Sie sah müde aus. Unter ihren Augen entdeckte ich dunkle Schatten, und ihre Wangen waren eingefallen, als hätte sie tagelang nichts gegessen.

„Ich an deiner Stelle wäre ja zwei Wochen zu früh aufgestanden, aber es können ja nicht alle meine erstaunliche Widerstandskraft haben, oder?“, sagte sie.

Ich gab Nana einen Kuss auf die Wange und erwiderte Kats Lächeln. Das Mädchen hatte ein gesundes (und völlig gerechtfertigtes) Ego und scheute sich nicht davor, es rauszulassen. Ich dagegen? Ich war immer diejenige gewesen, die mit eingezogenem Kopf herumlief, als würde ich meinen Wert anzweifeln.

Ich hatte dem Tod ins Auge gesehen und überlebt, erinnerte ich mich, also sollte ich das wohl hinter mir lassen.

Andererseits … Irgendwie glaubte ich, dass Kat ihr selbstbewusstes Auftreten als Schutzschild benutzte, um ihre körperliche Schwäche zu verbergen. Sie litt unter einer Nierenfunktionsstörung. Nur wenige wussten davon, nicht mal Reeve.

„Was machst du hier?“, wollte ich von ihr wissen. „Nicht, dass ich mich nicht riesig freue, dich zu sehen. Ich bin begeistert.“ Tatsächlich war ich mehr als begeistert. Von Anfang an hatte es ihr nie was ausgemacht, wie ich aussah oder dass ich manchmal fürchterlich ungesellig war. Sie akzeptierte mich einfach. „Ich dachte, du würdest an den Wochenenden gern bis zwei Uhr schlafen.“

„Ich bin hier, weil ich dich besuchen wollte, du unartiges Mädchen. Du gehst nie ans Telefon und beantwortest meine sensationellen SMS nicht mehr. Ursprünglich hatte ich geplant, dir die Leviten zu lesen, bis du versprichst, dir dein Handy an die Finger zu nähen, aber dann habe ich beschlossen, erst mal einen Kaffee zu trinken.“

Apropos Kaffee … „Ich nehme das mal.“ Ich setzte mich auf den Stuhl neben ihr und schnappte mir ihren Becher. Da ich mir nicht gestattete, irgendwas von den Ankhs zu essen oder zu trinken, war Kaffee für mich zu einem Luxus geworden. Dagegen machte es mir nichts aus, mir was von meiner besten Freundin zu stibitzen.

„He!“ Eine Sekunde später hatte sie Reeves Tasse an sich genommen.

„He!“, beschwerte sich Reeve und griff nach Nanas Tasse.

Ein Kaffee-Musical.

Nana schüttelte den Kopf, aber ihre Augen funkelten amüsiert.

„Leviten lesen ist nicht notwendig“, sagte ich zu Kat und presste mir eine Hand auf die Seite. „Ich habe genug von OPs.“

Ihr Gesichtsausdruck wurde weich. „Meine arme, süße Ali.“

„Ich kapiere wirklich nicht, wie du die Treppe runterfallen und dir dabei so lebensgefährliche Schnitte zuziehen konntest“, sagte Reeve. „Du bist doch eigentlich nicht der tollpatschige Typ. Außerdem gibt es weder am Geländer noch auf den Stufen irgendwas Scharfkantiges.“

„Klar ist sie tollpatschig“, widersprach Kat vehement und stärkte mir den Rücken, während ich krampfhaft überlegte, was ich darauf antworten könnte. „Ali verheddert sich sogar in einem schnurlosen Telefon.“

Ich nickte und versuchte nicht zu zeigen, wie elend ich mich fühlte. Das war natürlich eine Lüge, wenn ich es auch nicht so sah. Ich war vielleicht tatsächlich tollpatschig. Einmal war ich in Coles Zombiefalle geraten und hatte kopfüber von einem Ast gebaumelt. Ein anderes Mal hatte er mir gezeigt, wie man mit dem Schwert kämpft, und ich hätte ihm beim Üben fast den Kopf abgeschlagen.

Also … na ja.

„Wie auch immer“, sagte Kat schnell, um das Thema zu wechseln. „Ich denke, ihr werdet entzückt sein zu hören, dass wir gestern das Footballspiel gewonnen haben.“

„Go, Tigers!“, riefen wir im Chor und brachen in Gelächter aus.

Von Reeves Handy ertönte ein Alarmsignal. „Verdammt!“ Sie sprang auf. „Tut mir leid, Mädels, doch ich habe Pläne für Halloween, und damit muss ich heute Morgen schon anfangen. Bis später!“ Sie rannte aus der Küche.

Nana stand auf. „Ich muss auch gehen und dem Vater dieses Mädchens jetzt mal einen Vortrag darüber halten, wie wichtig es ist, gut informiert zu sein. Ach, und Ali, Cole hat vor einer Weile angerufen und mir gesagt, dass du dringend ein Kostüm brauchst, aber zu beschäftigt mit dem Training sein wirst, um einzukaufen. Ich dachte, er würde einen Scherz machen, so was wie einen Halloweenwitz, den ich nicht verstehe. Gestern hat er nämlich noch eisern darauf gepocht, dass du im Bett bleiben sollst. Na ja, wenn er meint, du bist so weit, dann bist du wohl so weit – und ich werde nicht nachfragen, wie er zu diesem Schluss gekommen ist.“

Bitte nicht!

Cole hatte Nana angerufen? „Das ist süß von dir, aber ich will kein Geld für etwas ausgeben, das ich nur einmal anziehe. Ich kann was aus meinem Bestand nehmen und irgendwas damit machen.“

Lächelnd tätschelte sie meine Hand. „Meine Liebe, wir sind nicht pleite. Wir haben das Geld von der Versicherung.“

„Aber wir sparen doch für ein eigenes Haus.“ Es gab bestimmte Voraussetzungen, unter denen wir hier wohnten, und dazu gehörte, dass es nur vorübergehend war. Ich wollte, dass Nana für den Rest ihres Lebens versorgt war, ohne dass sie unangenehme Überraschungen fürchten musste. Womöglich sollte ich mir auch besser einen Job suchen … das könnte sich jedoch als schwierig erweisen, wenn man bedachte, dass ich mir davon dann für die Schule und die Zombiejagden freinehmen müsste.

Nein, es musste einen Weg geben.

„Ich besorge dir ein Kostüm, junge Dame, und damit basta. Ich freue mich schon darauf.“

Ich seufzte. „Na gut, aber irgendwas aus dem Secondhandladen reicht völlig.“

Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und folgte Reeve aus der Küche. Ohne dass sie mir zugestimmt hatte, wie mir zu spät auffiel.

Mein Handy vibrierte, und ich checkte das Display.

Cole McHottie (wie Kat ihn genannt hatte): Komme nicht aus dem Studio, Ali-Gator, kann dich nicht holen. Sorry. Aber unser Date heute Abend bleibt. Ich vermisse dich.

Ich fragte mich, wodurch er aufgehalten wurde.

Enttäuscht warf ich Kat einen Blick zu.

„Wohin gehst du denn mit Cole?“, erkundigte sie sich.

„Ganz bestimmt ins Hearts.“ Das war der einzige Nachtclub, den die Zombiejäger besuchten. „Und was deine Anrufe und SMS betrifft, ich habe dich nicht ignoriert, ehrlich. Es ist einfach ziemlich merkwürdig zu wissen, dass du jetzt weißt, was ich weiß. Trotzdem versuche ich immer noch, dich mit den gröbsten Einzelheiten zu verschonen.“

„Das ist gar nicht merkwürdig. Es ist furchtbar, ich möchte am liebsten gar nichts wissen! Aber ich habe beschlossen, ein großes Mädchen zu werden und von jetzt an endlich über die … du weißt schon zu reden. Und nur damit das klar ist, ein großes Mädchen zu werden, ist bei Weitem angenehmer, als ein Mann zu werden.“

„Gut so. Ich meine das mit dem Wissen.“ Wissen war Macht, und ich wollte, dass Kat nichts zustieß. Nie.

Die Haushälterin kam in die Küche, sah mich und erkundigte sich, ob sie mir etwas zum Frühstück zubereiten sollte. Ich lehnte ab, und sie belud ein Tablett mit Croissants und Cappuccino, um es Mr. Ankh zu bringen. Der Duft von frischem Gebäck erfüllte den Raum, mir lief das Wasser im Mund zusammen.

Der Moment ging vorüber, und ich sprang auf, wischte die Krümel vom Küchentresen und öffnete eine Tüte Bagels, die ich gekauft hatte. Ich bot Kat eins der Brötchen an.

Sie schüttelte den Kopf. „Also … ich bin sicher, aus meinen äußerst subtilen Nachrichten konntest du schließen, dass es mit mir und Frosty aus ist. Oder sagt man besser: mit Frosty und mir? Sorry. Egal. Diesmal ist es wirklich aus.“

„Was ist denn passiert?“ Ich verschlang einen Bagel in Rekordzeit, und obwohl ich dringend einen zweiten benötigt hätte, widerstand ich der Versuchung. Je länger ich damit auskam, desto weniger Geld musste ich für neue ausgeben.

„Gestern Abend ging’s mir nicht gut.“ Sie verzog unglücklich das Gesicht. „Nicht, dass Frosty davon was wusste. Ich habe ihn gebeten, bei mir zu bleiben, und er hat abgelehnt.“

„Wenn die Du-weißt-schon draußen sind, muss er kämpfen. Das müssen wir alle, falls wir nicht gerade krank sind. Es ist unsere Pflicht.“ Und unser Privileg.

„Einmal einen Einsatz auslassen hätte ihn ja wohl nicht umgebracht“, schimpfte sie.

„Aber vielleicht einen seiner Freunde. Sie brauchen jede Hilfe, die sie kriegen können.“

Sie sah mich stirnrunzelnd an. „Musst du immer so vernünftig sein und mir so intelligente Antworten geben?“

„Tut mir leid. Ich werde mich bessern.“

„Vielen Dank.“

Ich musterte sie eingehend. Sie war so wunderschön. Ziemlich klein, dennoch kurvig. Sie wirkte zerbrechlich, war aber erstaunlich robust. Ihre Mutter hatte in ihrem zu kurzen Leben an derselben Nierenkrankheit gelitten wie sie. Kat versuchte vehement, ihren bedrohlichen Gesundheitszustand vor Frosty und den anderen geheim zu halten. Bisher mit Erfolg.

Sie lebte im Moment. Hielt sich nie zurück – weder in dem, was sie sagte, noch in dem, was sie tat. Ihr war absolut nicht danach, langsam dahinzuscheiden. Bei ihr ging alles mit Wucht, sie wollte Action und ihren Spaß haben. Dabei konnte ich ihr helfen.

„Was würdest du davon halten, wenn ich dir zeige, wie du dich gegen die Du-weißt-schon verteidigen kannst?“ Mein Dad hatte mir beigebracht, gegen Monster zu kämpfen, bevor ich überhaupt in der Lage gewesen war, sie zu sehen. Das Training war von unschätzbarem Wert, als sich meine Situation dann änderte. Vielleicht würde Kat die Zombies eines Tages ebenfalls sehen. Vielleicht auch nicht. Wie auch immer, ich könnte ihr jedenfalls dabei helfen, ihre Kräfte effektiv einzusetzen.

„Ich denke … das würde ich großartig finden. Glaube ich.“

„Das hört sich für mich gut genug an. Cole hat einen Trainingsraum mit allen nötigen Gerätschaften, die wir brauchen. Ich kann dir das Schießen beibringen und wie man Pfeil und Bogen benutzt.“

Sie wedelte mit einer Hand, als wollte sie das geringschätzig abtun, doch ich sah Furcht in ihrem Blick aufflackern.

„Dafür besteht keine Veranlassung.“

„Hast du solche Waffen schon mal benutzt?“

„Nein, aber wenn man nicht mit einer Waffe zielt, trifft man auch nie daneben. Daran halte ich mich lieber.“

Ich verdrehte die Augen.

„Wird Frosty da sein?“ Sie biss sich auf die Unterlippe, während sie auf meine Antwort wartete.

„Kann sein.“

Ich konnte nicht erkennen, ob sie das freute oder beunruhigte, sie bearbeitete weiterhin ihre Lippe. „Also … heute ist ja einer der größten Feiertage des Jahres. Ich werde dich in meinem Kalender für morgen Punkt zwölf eintragen. Oder vielleicht wäre es nächste Woche am besten. Ja, ganz sicher, nächste Woche wäre gut.“

„Nichts da. Du trägst mich für jetzt sofort ein und für morgen und für nächste Woche. Ich lasse nicht zu, dass du dich drückst. Wir machen aus dir eine fanatische, wutschäumende Kampfmaschine. Du wirst so hardcore werden, dass du Frosty ohne Mühe den Hintern versohlen kannst.“

Vorfreude zeigte sich auf ihrem Gesicht. „Okay, ich bin dabei. Aber nur, weil ich weiß, dass ich mit Oberarmmuskeln gut aussehe. Wirklich wahr.“ Sie trank den letzten Schluck von ihrem Kaffee und stellte den Becher auf den Tisch, dass es knallte. „Lass uns losgehen, bevor ich meine Meinung ändere.“

Ich hinterließ meiner Großmutter die Nachricht, sie solle mich nicht zum Mittagessen erwarten und dass ich sie liebe. Ich dachte daran, Cole eine SMS zu schicken, überlegte es mir dann aber anders. Ich wollte ihn überraschen.

„Willst du fahren?“, fragte Kat, als ich ihren Mustang umrundete und auf die Beifahrertür zusteuerte. „Du darfst doch schon.“

Bei dem Gedanken bekam ich gleich Sodbrennen. „Nein danke. Du bist noch nicht alt genug, um meine Begleitperson oder was auch immer zu sein.“

„Aber du musst üben.“

„Ein anderes Mal“, wich ich aus.

„Das habe ich wegen des Trainings auch vorgeschlagen, und du hast mich ausgetrickst.“

„Willst du in fünfzehn Minuten oder in fünfzehn Stunden im Studio ankommen?“, fragte ich. Wenn ich wählen könnte zwischen Auto fahren und in Jauche baden, würde ich mich für die Jauche entscheiden. Jederzeit. „Du weißt doch, wie langsam ich fahre.“

„Das stimmt auch wieder.“ Sie setzte sich hinters Lenkrad.

„Hat Frosty dich eigentlich jemals mit in Coles Studio genommen? Ich meine nicht das in seiner Garage, sondern die Halle ein paar Kilometer von seinem Haus entfernt.“ Der Sicherheitsgurt rieb über meine frische Narbe und ich rutschte unbehaglich herum.

„Nie. Laut Frosty ist das hochheilige Übungslager der Zuchthengste – seine Worte, nicht meine – für Nicht-Zombiejäger tabu.“

Das würde nun anders werden. Ohne Bedenken gab ich ihr die Adresse. Die Jungs hatten Kat in diese tückische, geheimnisumwitterte Welt eingeführt, nun mussten sie auch die Konsequenzen ertragen. Während wir den Highway entlangsausten, suchte ich den Himmel nach dem Kaninchen ab. Emma benutzte normalerweise eine Wolke in dieser Form, um mich vor bevorstehenden Zombieattacken zu warnen. Heute gab es offenbar keine, ich seufzte erleichtert.

Kat fuhr plötzlich einen Bogen, um einem anderen Wagen auszuweichen, und ich schrie erschrocken auf.

„Macht dich meine Fahrweise nervös?“, erkundigte sie sich. „Ich meine, du bist megamäßig angespannt. Was ziemlich albern ist, wenn man bedenkt, dass ich bisher nur in … sagen wir mal, drei Unfälle verwickelt war, während du auf dem Krankenlager gelegen hast. Dabei war keiner von denen mein Fehler. Ich meine, okay, ich bin auf der falschen Spur gefahren, als ich eine SMS geschrieben habe, aber die anderen Fahrer hatten jede Menge Zeit, um mir auszuweichen.“

Wie kam es nur, dass sie immer noch lebte? „Mad Dog, du bist die beste schlechteste Autofahrerin, die ich kenne.“

Sie hob das Kinn. „Das könnte das entzückendste Kompliment sein, das mir jemals einer gemacht hat. Vielen Dank.“

Ein Wagen hinter uns hupte, als sie über vier Spuren wechselte, um auf die Ausfahrt des Highways zu gelangen, aber das schien sie überhaupt nicht zu registrieren.

„Dann bist du also mit Cole inzwischen so weit, dass er keine Scheu hat, deine Nana anzurufen, was?“

„Sieht so aus. Irgendwie ist es schon komisch. Rechts lang und …“ Moment mal. Ich kannte Cole. Wenn er was machte, stand immer eine Strategie dahinter. Er tat nie etwas ohne einen triftigen Grund. Was konnte ihn dazu veranlasst haben …

Die Antwort kam wie der Blitz, und ich wäre auf meinem Sitz fast geschmolzen. Ich hatte meine Familie verloren, und das war das erste Halloween ohne sie. Er versuchte, mir den Verlust möglichst erträglich zu machen.

Er wusste nicht, dass ich Halloween noch nie gefeiert hatte. Dad hatte uns nicht erlaubt, das Haus nach Einbruch der Dunkelheit zu verlassen, also hatte es nie einen Anlass gegeben, ein Kostüm zu kaufen. Fremden Leuten abends die Tür zu öffnen, um Süßigkeiten zu verteilen, war absolut verboten gewesen.

„Ja“, sagte ich zu Kat und wünschte, ich könnte mich in diesem Moment in Coles Arme schmiegen und ihn nie mehr loslassen. „So ist es.“

„Du hast so ein Glück. Mein Dad war nie ein Fan von Frosty. Ich bin sicher, dass er den armen Jungen am liebsten kastrieren würde.“

Das musste wohl an diesem Serienkillerblick liegen. Manchmal, wenn Frosty jemanden ansah, erwartete man das Schlimmste. „Aber dein Dad erlaubt dir immerhin, dich mit Typen zu verabreden.“

„Ja, und das wird sich auch nicht ändern. Als ich die Diagnose Nierendysfunktion bekam, hat er mir versprochen, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffen und mein Leben so leben darf, wie ich es will.“

Guter Typ. „Also, was hast du denn beschlossen, heute Abend zu machen?“

„Dasselbe wie du. Ich hab’s vorher nicht erwähnt, damit du nicht vor lauter Neid gelb wirst, weil ich die beste Party meines Lebens feiere und du auf dem Krankenlager schmachtest.“ Sie umfasste das Lenkrad so fest, dass ihre Knöchel hell hervortraten. „Ich versuche, nicht nervös zu sein. Ich meine, ich weiß, dass sämtliche Zombiejäger da sein werden, es wird nur so von unheimlichen Gestalten wimmeln, aber woher soll ich wissen, ob die gefährlich sind oder nicht?“

„Echte Zombies kannst du gar nicht sehen“, erinnerte ich sie.

„Was ja nicht heißt, dass sie nicht da sein werden. Zuerst habe ich Frosty gesagt, ich komme nicht, dann meinte er: Würde ich dich jemals in Gefahr bringen, Weib? Ich sagte daraufhin: Woher soll ich das wissen? Du führst ja ein Doppelleben, seit wir zusammen sind. Er dann: Du willst nur wieder, dass ich mich entschuldige, oder? Ich: Ja, jeden Tag, für den Rest deines Lebens. Er hatte die Nerven zu lachen, als wenn ich einen Witz gemacht hätte.“

Ich musste auch lachen. „Und … was für ein Kostüm wirst du anziehen?“

„Eine Version von Rotkäppchen, die so sexy ist, dass man es kaum aushalten kann.“

„Lass mich mal raten. Frosty verkleidet sich als großer böser Wolf?“

„Als was sonst? Ich glaube, er findet es richtig komisch, seine Zähne zu blecken und mir zu sagen: Ich werde dich fressen, meine Liebe!“

Ich stellte mir die Szene vor und schüttelte den Kopf. „Du wirst ihn auffordern, es zu tun, oder nicht?“

„Wie schön, dass du mich so gut kennst.“

Sie bog in einen geschwungenen Schotterweg ein, der von Bäumen gesäumt war, die ihr buntes Herbstlaub bereits abwarfen. Als die Straße aus dem Wald heraus an Weizenfeldern entlangführte, wurde Coles „Übungslager der Zuchthengste“ sichtbar – eine riesige rote Scheune, die aussah, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. Tatsächlich würde dieses Ding einer militärischen Invasion standhalten.

„Das ist ja hier am Ende der Welt“, bemerkte Kat, während sie abbremste.

„Aus mehreren Gründen.“ Wir Zombiejäger kamen zu jeder Tages- und Nachtzeit hierher wegen des Zustands, in dem wir uns manchmal befanden, und eine große Anzahl an Waffen lagerte hier. In der Auffahrt standen mehr Autos als gewöhnlich. Ich runzelte die Stirn, als ich in die Kälte hinaustrat. Durch den Türspalt drang Stöhnen und Ächzen, begleitet von anfeuernden Rufen. „Komm mit.“ Ich lief schneller.

Erst als ich drinnen war, blieb ich ruckartig stehen und konnte nicht anders, als verblüfft in die Runde zu gaffen. Ich hatte angenommen, dass Cole und vielleicht der übereifrige Frosty sowie Bronx die einzigen Typen sein würden, die einen landesweiten Feiertag einfach ignorierten.

Kat rannte in mich hinein. „Ach herrje, kneif mich“, flüsterte sie fast andächtig.

Hier waren sie, all die Zombiejäger in ihrer herrlichen Pracht. Die Luft vibrierte förmlich vor Testosteron, damit hätte selbst ein totes Herz wieder zum Schlagen gebracht werden können. Die meisten Jungen trainierten mit freiem Oberkörper und präsentierten ihre gebräunten Arme und Muskeln, die nicht allein vom Gewichtheben stammten – die hatten sie sich im Kampf gegen den Feind erarbeitet. Ich sah fürchterliche Narben, sexy Tattoos und Piercings und sogar ein paar Fußfesseln.

Der blonde, beängstigend attraktive Frosty schlug mit den Fäusten auf einen armen wehrlosen Sandsack ein. Der wilde, raue Bronx hielt das Ding fest, die Füße fest auf den Boden gestemmt. Keine Macht der Welt hätte ihn von der Stelle bewegen können, nicht mal so eine wie Frosty. Collins rannte auf dem Laufband, und Cruz stemmte Gewichte.

Und Cole, nun, der befand sich mit einem Mädchen im Boxring, das ich nicht kannte.

Daneben stand ein Typ, den ich ebenfalls noch nie gesehen hatte, und beobachtete die beiden. Die einzigen weiteren weiblichen Wesen im Raum waren Mackenzie – Coles wilde Exfreundin – und Trina, das Mädchen, dem Kat nach wie vor nicht dessen nie stattgefundene Sommeraffäre mit Frosty verziehen hatte.

Bloß keine Fragen.

Trina winkte mir zu, und ich winkte zurück, richtete meine Aufmerksamkeit aber gleich wieder auf Cole. Er holte gerade zu einem Schwinger aus, die Unbekannte duckte sich weg und sprang sofort darauf hoch, um die Faust gegen ihn zu heben. Er wich dem Schlag ebenfalls aus, und als sie erneut zuschlagen wollte, schnappte er sich ihre Hand und riss sie an seine harte Brust, um sie so kampfunfähig zu machen.

Sie grinste ihn selbstsicher und ziemlich kokett an … und machte keine Anstalten, sich aus seinem Griff zu befreien. Es war nicht zu übersehen, dass sie sich dort richtig wohlfühlte. Ein Junge, der eine Freundin hat, hätte sie jetzt loslassen und sich zurückziehen müssen. Obwohl Cole ein kleines bisschen angespannt wirkte und sein Blick granithart wurde, blieb er einfach so stehen und erwiderte ihr Grinsen.

Ich war mir nicht sicher, was das zu bedeuten hatte. Mir war nur klar, dass es mir absolut nicht gefiel.

Nur keine voreiligen Schlüsse, Ali. Er hat schon andere Mädchen trainiert. Hat sogar andere Mädchen angelächelt. Das hier hat nichts zu sagen. Das ist nichts Sexuelles.

Natürlich glaubte die negative Ali das nicht ganz (ja, ja, da gab es viele Alis). Er hat dich nicht abgeholt, weil er bei dem Mädchen bleiben wollte.

Ich schüttelte den Kopf. Er gehörte mir, er war mein Spielzeug, und das würde ich mit niemandem teilen.

Aber was, wenn er erwartete, dass ich ihn mit jemandem teilte?

Nicht doch! Blöde Unsicherheit. So war Cole nicht.

„Kätzchen!“, rief Frosty und klang mehr als ein bisschen überrascht. „Woher wusstest du denn, wo ich bin?“

Kat hob das Kinn, Pikiertheit in Person. „Nun bilde dir bloß nichts ein. Ich bin nicht deinetwegen hier. Nur zu deiner Information, ich habe meine hervorragenden detektivischen Fähigkeiten genutzt und Alis mittelmäßige Ortskenntnis. Das soll kein Angriff gegen dich sein“, fügte sie schnell an mich gewandt hinzu.

„Habe ich auch nicht so verstanden.“ Mittelmäßig war tatsächlich noch ein Kompliment für mich.

„Sei doch nicht so, Baby“, entgegnete er, während er sich das Tape von den Fingern wickelte. „Du weißt, dass ich dich mit dem Frosty-Express mitgenommen hätte. Einfach nur fragen hätte genügt.“

Bronx verzog das Gesicht. Ein paar von den anderen Typen stöhnten auf.

Cole wandte seine Aufmerksamkeit nun in meine Richtung. Unsere Blicke trafen sich, und in diesen violetten Augen zeigten sich Schuldgefühle.

Schuldgefühle? Warum Schuldgefühle? Wie auch immer die Antwort ausfiel, sie konnte nicht gut sein.

Ich werde jetzt nicht in diesen Boxring stürmen.

Ich werde die beiden nicht auseinanderreißen.

Ich werde sie nicht zu Brei schlagen.

Cole schob das Mädchen von sich. Wieder ertappte ich mich dabei, dass ich auf eine Vision wartete – darauf hoffte. Ich war inzwischen gesund. Alles sollte allmählich in die Normalität zurückfinden, aber nichts.

Das Normale blieb aus.

Leichtes Angstgefühl paarte sich mit einem Stich Eifersucht, eine gute Mischung für kommenden Ärger.

Der mir unbekannte Typ pfiff durch die Zähne, und ich sah zu ihm hinüber. Unsere Blicke trafen sich. Sekunden später verschwand die Welt um mich herum im Nebel. So, wie ich es mir vorher beim Blickkontakt mit Cole erhofft hatte …

… und wir standen in meinem Schlafzimmer neben meinem Bett. Nein. Wir lagen auf meinem Bett. Ich hatte ihn gerade auf die Matratze geschoben. Eine Hand in seinem Nacken, zog ich mit der anderen an seinem Hemdkragen. Dann leckte ich seinen Hals. Merkwürdige kleine Laute kamen aus meinem Mund, als würde ich seinen Geschmack so sehr genießen, dass ich gar nicht genug bekommen konnte …

„Ali!“, rief Cole.

Ich blinzelte, und die Vision verflüchtigte sich.

Cole kam auf mich zu, sein Gesicht war angespannt. „Was war da eben los?“

„He, Alter“, sagte Frosty zu dem fremden Typen, „du bist echt ausgerastet. So was habe ich ja nicht mehr gesehen, seit Cole zum ersten Mal mit Al… Ach, egal.“

Der unbekannte Typ starrte mich an, verärgert und misstrauisch.

Ich stolperte ein paar Schritte zurück. Wollte einfach nicht glauben, dass ich Cole im Geiste gerade betrogen hatte. Und zwar heftig.

„Cole hat recht“, krächzte der Unbekannte. „Was war da eben los?“

Also hatte er auch eine Vision gehabt. Nein. Nein, nein, nein. Was sollte das denn bedeuten? Diese starke Verbindung hatte ich bisher nur mit Cole gehabt. Warum hier? Warum jetzt? Warum mit diesem Typen?

„Ich habe eine bessere Frage“, meldete sich das fremde Mädchen, sie hatte einen entzückenden Südstaatenakzent. „Könnte mir jemand die beiden vielleicht mal vorstellen?“

Ich musste dafür sorgen, dass diese Vision sich niemals erfüllte. Sie durfte sich nicht erfüllen. Das hieße ja, dass es mit Cole und mir vorbei wäre. Es würde bedeuten, dass mein neues Leben, das ich mir aufgebaut hatte, in tausend Scherben zerfiele.

In Coles Kiefer zuckte ein Muskel. „Veronica, das ist Ali. Ali, darf ich dir Veronica vorstellen? Sie ist eine Zombiejägerin aus Atlanta. Das ist Alis Freundin Kat.“

„Mein Mädchen“, fügte Frosty hinzu und schlug sich stolz auf die Brust.

„In deinen Träumen“, entgegnete Kat.

Schon waren sie in eine erhitzte Diskussion vertieft.

„Veronica ist noch eine von Coles Exfreundinnen“, meldete sich Mackenzie.

Du heiliger Mist, nein!

„Nicht nur einfach irgendeine Ex“, fügte Veronica hinzu und schenkte mir ein entzückendes Lächeln, passend zu ihrem charmanten Akzent. „Ich bin seine Favoritin.“

Ich versteifte mich, wartete darauf, dass Cole sagte: Nein, Ali ist meine Favoritin – und vor allem keine Ex. Nichts kam.

„Nett, dich kennenzulernen“, flüsterte ich und kämpfte gegen die aufsteigende Panik an.

Ich hatte mal geglaubt, es gäbe kein schöneres Mädchen als Mackenzie, nun war mir klar, wie falsch ich gelegen hatte. Veronica übertraf sie noch. Bei Weitem. Ihre Haut war perfekt gebräunt, dunkles, glänzendes Haar fiel ihr so glatt wie gebügelt auf die Schultern. Ihre Augen waren hellgrün.

Mackenzies Haar war dunkel und lockig, ihre Augen dunkelgrün. Stellte man uns drei in eine Reihe, dann müsste man nicht lange fragen, wer da nicht reinpasste. Mein gewelltes Haar war so hellblond, dass man es fast als weiß bezeichnen könnte. Meine Augen waren so intensiv blau, dass es schon unheimlich wirkte.

Veronica hob eine ihrer perfekt geformten Augenbrauen. „Du bist also die legendäre Ali Bell, was? Das Mädchen mit den Fähigkeiten, die sich niemand erklären kann.“

Ich war in der Lage, die Blutlinien zu sehen, die wir zum Schutz um unsere Häuser zogen, eine chemische Mischung, die Zombies nicht überwinden konnten. Im Kampf verwandelte ich mich manchmal in eine lebende Flamme, mit der ich innerhalb von Sekunden jeden Zombie einäschern konnte. Andere Zombiejäger schafften es nur, ihre Hände zu Feuer werden zu lassen, und sie benötigten mehrere Minuten für die Einäscherung. Ab und zu sah ich während einer Vision in die Zukunft.

Ich war mir nicht sicher, wieso ich diese Fähigkeiten besaß oder was mich von den anderen unterschied. Meine genetischen Voraussetzungen waren auch nicht anders als ihre.

„Ja“, sagte ich. Cole sah mich nicht an. Warum wich er meinem Blick aus? „Das bin ich.“

Veronica legte den Kopf schief und begutachtete mich eingehend. „Hast du gerade eine deiner Fähigkeiten bei meinem Freund angewendet?“

Ich suchte nach einer Antwort, aber mir wollte nichts einfallen.

„Und wenn es so wäre?“, mischte sich Kat ein, die mir immer den Rücken stärkte. „Sie hat sich den Boss um den kleinen Finger gewickelt. Ali kann tun, was sie will und mit wem sie es will.“

Wie sehr ich dieses Mädchen liebte!

In Veronicas entzückendes Gesicht schlich sich ein gehässiger Zug. „Niemand wickelt Cole Holland um den Finger.“

Cole ließ alles Gesagte unkommentiert und sprang aus dem Ring. „Bis später, Ronny. Übe jetzt mal ohne mich weiter.“

Ronny? Für Mackenzie hatte er auch einen liebevollen Kosenamen. Kenz nannte er sie manchmal. Ich fand beide schrecklich.

Er packte mich am Arm, zog mich mit sich zu einem Laufband und drückte ein paar Tasten. „Bevor du in den Ring gehst, musst du deine Kondition wieder aufbauen. Du darfst dich nicht – ich betone –, du darfst dich nicht überanstrengen.“

Ich machte mich von ihm los. „Du hast recht, was meine Ausdauer betrifft, und ich habe keinesfalls die Absicht, mich zu überfordern, doch erst mal müssen wir uns unterhalten.“

Er vermied es immer noch, mich anzusehen. „Du hattest ganz eindeutig eine Vision mit Gavin.“

Gavin. So hieß der Typ, dem ich in Gedanken gerade auf die Pelle gerückt war. „Ja. Das war aber nicht der Grund, warum ich mit dir reden wollte. Diese Veronica …“

„Was hast du gesehen?“, unterbrach er mich.

„Ich … also …“ Ich konnte es ihm nicht sagen, allerdings würde ich ihn auch nicht belügen. Was blieb mir dann für eine Wahl? „Ist das wirklich so wichtig? Es wird sowieso nicht wahr werden.“ Dafür würde ich sorgen.

„Doch, das ist wichtig. Und es wird wahr werden. Das wissen wir beide.“ Cole drehte sich um und ließ mich ohne ein weiteres Wort stehen – und ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen.

Ich sah ihm nach, bis er im Umkleideraum verschwunden war. Mein Herz vollführte ein Stakkato von Trommelschlägen in meiner Brust. Veronica – Ronny – folgte ihm. An der Tür hielt sie inne. Sie drehte sich allerdings zu mir um.

Auf ihrem Gesicht lag ein höhnisches Grinsen.

3. KAPITEL

Was vorbei ist, ist vorbei

Während Kat und ich Seite an Seite auf dem Laufband schnauften, wobei ich versuchte, mir wegen der Vision von Gavin und wegen Coles Verhalten davor und danach keine Sorgen zu machen, war Nana unterwegs, um mir ein pompöses blaues Abendkleid zu kaufen. Nicht in einem Secondhandladen. Das glänzende Glamourstück bestand aus einem spitzenbesetzten Korsett und einem gestreiften Rock. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, gehörte ein schwarzer Hut dazu.

Ich war mir nicht sicher, was ich darin darstellen sollte … abgesehen von einer Südstaatenzauberin auf Crack.

Normalerweise würde ich das Haus abends nicht in bunten Klamotten verlassen. Jedenfalls niemals in so etwas Auffälligem. Ich bevorzugte es, mit den Schatten zu verschmelzen. Das war sogar notwendig. Diese Nacht war allerdings eine Ausnahme.

Ich wollte, dass Cole mich mal anders sah als in T-Shirt und Shorts, die ich die vergangenen Wochen ständig getragen hatte, oder in Trainingsklamotten wie am Morgen. Ich wünschte mir, dass seine Augen aufleuchteten, dass er mir den ganzen Abend Komplimente machte und die Hände nicht von mir lassen konnte. Wir würden tanzen. Wir würden lachen. Uns küssen. Ich würde mir einen Tritt geben, weil ich mir solche Sorgen wegen Veronica alias Ronny gemacht hatte.

In dieser Nacht durften wir nicht kämpfen, aber ich schnallte mir trotzdem den Waffengurt mit den Dolchen an meinen rechten Oberschenkel. Ohne sie verließ ich nie das Haus. Ich fragte mich, was für ein Kostüm Cole wohl tragen würde. Er hatte es mir nicht verraten. Abgesehen natürlich von der Sache mit der unanständigen Krankenschwester, doch das war ja nur ein Scherz gewesen.

Ich zog das Kleid über, schloss alle Häkchen und betrachtete mich im Spiegel. Nicht schlecht. Ziemlich ausgefallen. Ich wünschte, meine Eltern wären hier und könnten mich sehen. Sie würden …

Diesen Gedanken schlug ich mir aus dem Kopf, bevor ich ihn zu Ende denken konnte. Sonst hätte ich nur geheult.

Etwas Warmes, Feuchtes tropfte auf meine Wangen. Na großartig, jetzt war es schon passiert.

Mein Handy piepste und signalisierte mir, dass ich eine SMS erhalten hatte. Ich wischte mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.

Cole McHottie: Tut mir leid, Ali. Aber es war ein Fehler, mich mit dir zu verabreden. Ich brauche eine Auszeit. Bleib zu Hause, wir reden morgen.

Ich musste die Nachricht dreimal lesen, bevor der Sinn bei mir ankam. Er brauchte eine Auszeit? Ehrlich?

Wovon? Am liebsten hätte ich geschrien. Was genau sollte das denn bedeuten, eine Auszeit?

Ich kochte vor Wut, die Enttäuschung fühlte sich an wie Messerstiche.

Ich schrieb: Warum? Was ist los mit dir? Zeig mir wenigstens genug Respekt und rede mit mir! So funktionieren Beziehungen doch, oder?

Eine Minute verging. Zwei, drei. Er antwortete nicht.

Ich schleuderte mein Handy quer durchs Zimmer, lief aber schnell hinterher, um sicherzugehen, dass das Display nicht kaputtgegangen war.

Was zum Teufel wollte er machen, wenn er sich eine Auszeit nahm?

Und mit wem würde er diese Auszeit verbringen?

Das konnte nicht wahr sein.

Mein Handy piepste. Sofort hatte ich rasendes Herzklopfen und checkte das Display.

Mad Dog: Wo bist du?

Antwort, nachdem ich die Tasten ein bisschen zu heftig gedrückt hatte: Zu Hause.

Mad Dog: Hast du Cole versetzt? Antwort: Nein, er hat mich versetzt!

Mad Dog: Uff, er ist hier. Gerade reingekommen.

Moment, Moment, Moment. Bedeutete eine Auszeit zu haben etwa, er wollte ohne mich sein?

Ja. Das musste es wohl. Er wusste doch, dass Kat mich anrufen würde. Ihm musste klar sein, dass ich es herausfinden würde, wenn er ohne mich ins Hearts ging.

Das war ihm offensichtlich egal.

Meine Finger zitterten, als ich eintippte: Was macht er denn?

Mad Dog: Er redet mit Lucas, Veronica und dieser Trina. Stell dir vor, er ist verkleidet als ein mieser … Also er trägt kein Kostüm.

Veronica wieder.

Ich knirschte mit den Zähnen und antwortete: Er schrieb, er will eine Auszeit.

Mad Dog: Was?! Dem werde ich’s zeigen! Aber erst mal spioniere ich.

In der folgenden Stunde bekam ich ungefähr fünfzig Textnachrichten von Kat.

Jetzt redet er mit Frosty.

Kam gerade aus dem Dunkeln mit Justin S – was soll das? Lässt JS von Frosty aus dem Club schmeißen. War nicht so nett – für JS.

Schiebt seine Faust in Veronicas Haar. Sie lacht. Ich will ihr die Zähne ausschlagen. Vergiss mein Training morgen nicht! Bringt der Schlampe Trina einen Drink.

Gibt Lucas einen Drink.

Heftige Diskussion mit Gavin.

Lässt Gavin stehen. Ich hasse diesen Typ jetzt schon, echt, aber er hat einen netten Hintern.

Sagt mir, ich soll ihm nicht nachspionieren.

Sagt, er weiß, was ich da mache. Flippt aus, weil ich ihn ignoriere.

Lässt mich einfach stehen.

Sagt Frosty, er soll mich zurückhalten … als wenn der das könnte!

Mit jeder Minute wurde ich aufgewühlter, irgendwann stampfte ich die Treppe hinunter. Ich vertraute Cole, manchmal sogar mehr als mir selbst, aber das hieß nicht, dass ich hierbleiben würde, um ihm seine „Auszeit“ zu gönnen, ohne dass er mit mir darüber geredet hatte.

Nana stand gerade an der Wohnungstür und reichte einem Geist, einem Cowboy und einem Schlumpf die letzten Bonbons.

„Nana“, sagte ich, als sie die Tür wieder geschlossen hatte. „Das ist wahrscheinlich ein historischer Moment, wenn eine Siebzehnjährige ihre Großmutter um so was bittet, aber kannst du mich zu einer Disco fahren? Cole ist da“, beeilte ich mich ihr zu versichern. „Und Frosty und Kat.“

Sie runzelte die Stirn und sah mich an. „Ich dachte, Cole wollte dich abholen.“

„Das dachte ich auch“, erwiderte ich verbittert.

„Was ist denn mit den …“ Sie senkte die Stimme zu einem unheilvollen Flüstern. „… den Kreaturen?“

„Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Soweit ich weiß, sind sie heute nicht unterwegs. Selbst wenn sie rauskommen sollten, dein Wagen ist mit Blutlinien gesichert. Sie kommen nicht an dich heran.“

Ihr Lächeln wirkte traurig und war voller Zuneigung. „Um mich habe ich mir keine Gedanken gemacht, meine Liebe, sondern eher um meine Unfähigkeit, dir eine Hilfe zu sein.“

Oh. „Nana, es ist meine Aufgabe, dich zu beschützen.“

Der traurige Ausdruck in ihrem Gesicht verschwand, jetzt war nur noch ihre Liebe für mich darin zu erkennen.

„Nein, so sollte das alles nicht sein, doch darüber wollen wir heute Abend nicht reden. Wird denn in diesem Club Alkohol getrunken?“

Ich würde sie nicht belügen. „Ja. Aber ich werde nichts trinken, Cole auch nicht.“ Alkohol trübte das Urteilsvermögen, und Cole nahm seine Rolle als Boss sehr ernst. Was mich betraf, ich hatte miterlebt, wie der Alkohol meinen Vater zerstörte, und war entschlossen, nicht dasselbe Schicksal zu erleiden.

„Na ja, ich hab dir dieses …“

Sie deutete auf mein Kleid. Nach welchem Wort suchte sie dafür? Gigantomanisch? Unvergesslich? Ungeheuerlich?

„… einzigartige Kostüm gekauft“, beendete sie den Satz. „Dann möchte ich auch, dass du dich darin zeigst. Du siehst so schön aus.“

„Danke. Aber was soll es denn nun genau darstellen?“

„Alice im Wunderland, du Dummkopf. Und diesen Hut gibst du Cole, damit er als dein verrückter Hutmacher gehen kann.“

„Dann fährst du mich also?“

Sie nickte seufzend. „Ja, ich fahre dich hin.“

Ich umarmte sie stürmisch. „Danke! Danke! Tausend Dank!“

Fünfzehn Minuten später stieg ich aus ihrem Wagen, und sie fuhr zurück nach Hause. Ich ging auf den Eingang des Clubs zu und nannte den Türstehern Coles Namen. Sie ließen mich ohne irgendwelche Probleme vorbei – wenn man von den Leuten in der Warteschlange mal absah, die ganz wild darauf waren reinzukommen und die sich darüber beschwerten, dass ich vorgelassen wurde.

Stroboskoplicht in unterschiedlichen Farben zuckte durch den Raum, begleitet von Nebelschwaden. Der Saal war voller Leute, alle kostümiert. Bei den Mädchen herrschte ein Thema vor: frivol. Ein frivoler Teufel. Eine frivole Fee. Eine frivole Hexe. Ich fühlte mich tatsächlich zu angezogen. Für die Jungen schien es keine Regeln zu geben. Ein Hemd aus Pappe. Clownshose kombiniert mit Reitstiefeln. Die Musik dröhnte ohrenbetäubend aus den Lautsprechern und heizte den Tänzerinnen und Tänzern ein.

Ich arbeitete mich zur Treppe vor, die nach oben in die VIP-Lounge führte, wobei lediglich drei Leute über meinen langen Rocksaum stolperten. Diese absolut niedrige Anzahl an Unfällen betrachtete ich als Sieg in jeder Form.

Mit den Augen suchte ich die obere Etage ab und entdeckte alle Gesichter, die ich bereits im Übungsraum gesehen hatte, und noch ein paar dazu.

Wo war Cole?

Mein Blick fiel auf Mackenzie Love. In einem knappen schwarzen Fummel mit bunten Pfauenfedern, die ihr über die Schultern wehten, kam sie auf mich zu. „So, so, Ali Bell. Ich müsste dir jetzt sagen, wie wunderbar du aussiehst, und wenn ich den richtigen Tonfall treffe, um glaubhaft zu klingen, werde ich’s auch tun. Was ist denn das für ein Ding, das du da anhast?“

Meine Wangen wurden heiß vor Verlegenheit. „Du hast keine Ahnung, was es ist?“, erwiderte ich und legte vernichtende Herablassung in meine Stimme. „Sorry, tut mir leid für dich.“

Sie presste die Lippen zusammen und stampfte davon.

„Ein Trinkspiel, Leute!“, rief da Gavin, der neue Typ. Der attraktive Blonde – gekleidet wie ein Zuhälter – war von einer Schar heißer brünetter Vampire umgeben. „Sobald einer was sagt, ist ein Schluck fällig!“

Zustimmendes Gejohle brandete auf.

„Und außerdem, wenn jemand eine Session Rummachen wünscht“, rief eine der Vampirinnen, „ich geb’s heute gratis!“

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