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Vermählung

hier erhältlich:

Mrs. Bennets Leben dreht sich nur um das Eine: Wie kann sie es bloß schaffen, dass ihre Töchter endlich den Richtigen finden? Zumindest für Jane, die Älteste, gibt es Hoffnung: Chip Bingley, der attraktive Arzt, der noch vor Kurzem als Bachelor in der Fernsehshow "Vermählung" vergeblich nach der großen Liebe suchte, zieht in die Kleinstadt. Und gleich beim ersten Zusammentreffen knistert es zwischen Chip und Jane. Doch was ist mit Liz Bennet? Chips Freund, der ungehobelte Neurochirurg Fitzwilliam Darcy ist definitiv keine Option! Dennoch scheinen die beiden nicht voneinander lassen zu können …

"Curtis Sittenfelds ‚Vermählung‘ ist eine unterhaltsame Nacherzählung des Klassikers, die Austen in Sachen Witz und Schlagfertigkeit in Nichts nachsteht. (…) Mit viel Humor und geistreichen Dialogen erforscht Sittenfeld diese privilegierte Familie voller Vorurteile und zeigt, was es heißt, reich, weiß und somit desillusioniert im heutigen Amerika zu sein."
Berliner Zeitung

"Niemand schreibt mit Austens besonderer Sensibilität - und niemand würde es wirklich versuchen wollen: Sie war perfekt für ihre Zeit. Aber Sittenfeld ist die ideale Autorin, um ihr Werk zu adaptieren. Ihr besonderer Reiz liegt nicht nur in ihrem klaren, sauberen Schreibstil, sondern auch in ihrer allgemeinen Belustigung über die Welt, ihren prägnanten Beobachtungen über menschliche Verhaltensweisen, Charakterzüge und Beweggründe."
New York Times

"Eine perfektere Kombination als Curtis Sittenfeld und Jane Austen muss man erst mal finden! Sittenfeld macht die bereits unwiderstehliche Geschichte noch faszinierender und bezaubernder."
Elle

"Das Buch des Sommers."
The Times

"Selbst der eingeschworenste Austen-Fan wird sich von diesem Buch verführen lassen."
The Oprah Magazine

"Eine herausragend frische Adaption!"
Publisher’s Weekly


  • Erscheinungstag: 12.06.2017
  • Seitenanzahl: 600
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959676748
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für Samuel Park,
meinen lieben, Austen-begeisterten Freund

Wenn es mit der Welt zu Ende geht,
möchte ich in Cincinnati sein, denn das hinkt der Zeit immer zwanzig Jahre hinterher.

Mark Twain

1

Lange vor seiner Ankunft war in Cincinnati allgemein bekannt, dass Chip Bingley auf der Suche nach einer Ehefrau war. Zwei Jahre zuvor hatte Chip – Spross der Pennsylvania-Bingleys, die im zwanzigsten Jahrhundert ein Vermögen mit Installationszubehör gemacht hatten, und Absolvent des Dartmouth College und der Harvard Medical School – anscheinend etwas widerwillig bei der quotenstarken Reality-TV-Show Vermählung mitgemacht. Im Herbst 2011 hatten fünfundzwanzig Single-Frauen acht Wochen lang zusammen in einer Villa in Rancho Cucamonga in Kalifornien gewohnt und um Chips Herz gewetteifert. Sie waren mit ihm zum Black-Jack in Las Vegas und zu Weinverkostungen im Napa Valley gereist, hatten sich gezankt und gegenseitig schlechtgemacht, in seiner Gegenwart wie in seiner Abwesenheit. Am Ende einer jeden Folge erhielt jede Frau von ihm entweder einen Kuss auf die Lippen, was bedeutete, dass sie im Wettbewerb bleiben durfte, oder einen Wangenkuss, der hieß, dass sie umgehend nach Hause verschwinden musste. In der letzten Folge waren nur noch zwei Frauen übrig: die dreiundzwanzigjährige Kara, ehedem College-Cheerleader mit großen Augen und blonden Locken, mittlerweile Lehrerin in Jackson, Mississippi, und die achtundzwanzigjährige Marcy, eine doppelzüngige, aber äußerst reizvolle Dentalhygienikerin aus Morristown in New Jersey. Chip weinte herzergreifend und weigerte sich, einer von ihnen einen Antrag zu machen. Sie seien beide etwas Besonderes, beteuerte er, umwerfend, klug und gebildet, doch empfinde er bei keiner von ihnen das, was er „eine seelische Verbundenheit“ nannte. Dank der Vorgaben der Medienbehörde bestand Marcys darauffolgende Tirade hauptsächlich aus schrillem Piepen, das die Kraftausdrücke übertönte, doch ihre Rage war dennoch nicht zu verkennen.

„Es hat nichts mit dieser albernen Sendung zu tun, dass ich ihm unsere Mädchen vorstellen möchte“, sagte Mrs. Bennet eines Morgens Ende Juni beim Frühstück zu ihrem Mann. Die Bennets wohnten in der Grandin Road, im Hyde-Park-Viertel von Cincinnati, wo sie ein großes Haus mit acht Schlafzimmern besaßen. „Die habe ich mir überhaupt noch nie angesehen. Aber er war auf der Harvard Medical School!“

„Ja, das erwähntest du bereits“, sagte Mr. Bennet.

„Nach allem, was wir durchgemacht haben, hätte ich nichts gegen einen Arzt in der Familie“, erklärte Mrs. Bennet. „Nenn es selbstsüchtig, wenn du willst, ich würde es eher als clever bezeichnen.“

„Selbstsüchtig?“, wiederholte Mr. Bennet. „Du?“

Fünf Wochen zuvor hatte sich Mr. Bennet einer Bypass-Operation unterziehen müssen, und nach einer längeren Genesungsphase hatte er erst in den letzten Tagen zu seinem typischen Sarkasmus zurückgefunden.

„Chip Bingley wollte nicht mal zu Vermählung. Seine Schwester hat ihn dafür vorgeschlagen“, sagte Mrs. Bennet.

„Demnach ist eine Reality-Show dem Friedensnobelpreis gar nicht unähnlich“, folgerte Mr. Bennet. „Für beides muss man vorgeschlagen werden.“

„Ich frage mich, ob Chip eine Wohnung mietet oder etwas gekauft hat“, sagte Mrs. Bennet. „Das könnte uns verraten, wie lange er in Cincinnati bleiben will.“

Mr. Bennet legte seinen Toast auf dem Teller ab. „Bedenkt man, dass der Mann uns wildfremd ist, scheinst du über Gebühr an seinem Leben interessiert.“

„Ich würde wohl kaum von ‚wildfremd‘ reden! Er arbeitet in der Notaufnahme des Christ Hospital, was bedeutet, dass Dick Lucas ihn kennen muss. Chip ist sehr wortgewandt, nicht wie diese entsetzlich vulgären jungen Leute, die man sonst im Fernsehen sieht. Und sehr gut aussehen tut er auch.“

„Ich dachte, du hättest die Sendung nie gesehen?“

„Nur mal ein paar Minuten, als die Mädchen sie geguckt haben.“ Mrs. Bennet sah ihren Mann verärgert an. „Und streite nicht mit mir. Das ist schlecht für dein Herz. So oder so hätte Chip im Fernsehen Karriere machen können, aber er wollte lieber Arzt bleiben. Und man merkt ihm an, dass er aus einer netten Familie kommt. Fred, ich glaube ehrlich, dass er ausgerechnet jetzt herzieht, wo Jane und Liz zu Hause sind, ist unser Silberstreif am Horizont.“ Die älteste und die zweitälteste der fünf Bennet-Schwestern hatten die letzten zwanzig Jahre in New York gelebt. Nun waren sie wegen der gesundheitlichen Probleme ihres Vaters kurzerhand – zumindest vorübergehend – nach Cincinnati zurückgekehrt.

„Meine Liebe“, sagte Mr. Bennet, „selbst wenn eine Sockenpuppe mit einem Treuhandfonds und einem Harvard-Abschluss in Medizin herziehen würde, würdest du es für Bestimmung halten, dass sie eines unserer Mädchen heiratet.“

„Mach dich ruhig über mich lustig, aber die Uhr tickt. Nein, Jane sieht man nicht an, dass sie im November vierzig wird, aber jeder Mann, der ihr Alter kennt, wird sich gut überlegen, was das bedeutet. Und Liz ist nicht viel jünger.“

„Es gibt reichlich Männer, die keine Kinder wollen.“ Mr. Bennet trank einen Schluck Kaffee. „Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob ich welche will.“

„Eine Frau in den Vierzigern kann sehr wohl Kinder bekommen“, sagte Mrs. Bennet. „Allerdings ist es nicht so einfach, wie es die Medien uns vorgaukeln. Phillys’ und Bobs Tochter hat alles Mögliche machen lassen, und am Ende wurde es dann doch nur die kleine Ying aus Shanghai.“ Beim Aufstehen blickte Mrs. Bennet auf ihre goldene Uhr mit dem ovalen Ziffernblatt. „Ich rufe Helen Lucas an und frage, ob sie etwas arrangieren kann, damit wir Chip kennenlernen.“

2

Mrs. Bennet sprach jeden Abend das Tischgebet, denn sie mochte die anglikanischen Gebete sehr. Doch an diesem Tag war ihr kaum das Amen über die Lippen gekommen, als sie höchst begeistert verkündete: „Die Lucas’ haben uns am vierten Juli zum Grillen eingeladen!“

„Wann am vierten Juli?“, fragte Lydia, die mit dreiundzwanzig die jüngste Bennet-Schwester war. „Kitty und ich haben nämlich schon was vor.“

Die dreißigjährige Mary sagte: „Kein Feuerwerk fängt an, bevor es dunkel ist.“

„Wir sind vorher zu einer Party in Mount Adams eingeladen“, erklärte Kitty. Mit ihren sechsundzwanzig Jahren war sie Lydia sowohl altersmäßig als auch vom Temperament her am nächsten, doch anders, als es unter Geschwistern sonst üblich war, trottete sie ihrer jüngeren Schwester ständig hinterher und ließ sich von ihr auf manche Abwege führen.

„Aber ich habe euch noch nicht verraten, wer bei dem Grillabend sein wird.“ Mrs. Bennet saß strahlend am Ende des langen Küchentisches. „Chip Bingley!“

„Die Heulsuse aus Vermählung?“, fragte Lydia, und Kitty kicherte, als Lydia hinzufügte: „Ich habe noch keine Frau erlebt, die so geflennt hat wie er beim Staffelfinale.“

„Welche Heulsuse und auf welcher Vermählung?“, fragte Jane.

„Ach Jane!“, sagte Liz. „So unschuldig und unverdorben. Du hast doch wohl von der Reality-Show Vermählung gehört, oder nicht?“

Jane blinzelte. „Ja, ich glaube schon.“

„Er war vor ein paar Jahren dabei, also der Junggeselle, hinter dem fünfundzwanzig Frauen herhechelten.“

„Ich glaube nicht, dass sich eine von euch vorstellen kann, was für ein Albtraum es für einen Mann ist, allein unter so vielen Frauen zu sein“, sagte Mr. Bennet. „Ich weine auch oft, und ihr seid bloß sechs.“

Vermählung ist frauenverachtend“, sagte Mary, und Lydia kommentierte umgehend: „Natürlich denkst du das.“

„Aber in jeder zweiten Staffel ist es eine Frau, die von fünfundzwanzig Kerlen umworben wird“, sagte Kitty. „Das ist Gleichberechtigung.“

„Die Frauen erniedrigen sich auf eine Weise, wie es die Männer nie tun würden“, erwiderte Mary. „Weil sie so verzweifelt sind.“

„Chip Bingley war an der Harvard Medical School“, sagte Mrs. Bennet. „Er ist keiner von diesen vulgären Hollywood-Typen.“

„Mom, nur weil er ein vulgärer Hollywood-Typ ist, interessiert sich überhaupt jemand in Cincinnati für ihn“, korrigierte Liz.

Jane sah ihre Schwester an. „Hast du gewusst, dass er hier ist?“

„Du etwa nicht?“

„Welche von uns soll er sich denn aussuchen, Mom?“, fragte Lydia. „Er ist alt, stimmt’s? Also schätze ich mal, es soll Jane sein.“

„Vielen Dank, Lydia“, sagte Jane.

„Er ist sechsunddreißig“, antwortete Mrs. Bennet. „Damit würde er zu Jane oder Liz passen.“

„Warum nicht zu Mary?“, fragte Kitty.

„Er scheint mir nicht Marys Typ zu sein“, sagte Mrs. Bennet.

„Weil sie lesbisch ist“, erklärte Lydia. „Und er ist keine Frau.“

Mary funkelte Lydia wütend an. „Erstens bin ich nicht lesbisch. Und selbst wenn ich es wäre, fände ich das immer noch besser, als eine Soziopathin zu sein.“

Lydia grinste hämisch. „Du musst dich nicht für eins von beidem entscheiden.“

„Habt ihr das gehört?“ Mary wandte sich zu ihrer Mutter am einen Tischende, dann zu ihrem Vater am anderen. „Mit Lydia stimmt echt etwas nicht.“

„Mit euch allen stimmt alles“, widersprach Mrs. Bennet. „Was ist das für ein Gemüse, Jane? Es schmeckt ungewöhnlich.“

„Das ist Spinat“, antwortete Jane. „Ich habe ihn gedünstet.“

„Genau genommen“, sagte Mr. Bennet, „stimmt mit jeder von euch etwas nicht. Ihr seid erwachsen und solltet nicht mehr zu Hause wohnen.“

„Wir sind hergekommen, damit wir uns um dich kümmern können, Daddy“, sagte Jane.

„Mir geht es wieder gut. Fahr zurück nach New York. Du auch, Lizzy. Als die Einzige, die keinen Cent von mir annehmen will und die zufällig einen richtigen Job hat, solltest du deinen Schwestern ein Beispiel sein. Stattdessen ziehen sie dich mit runter.“

„Jane und Lizzy wissen, wie wichtig mein großer Lunch ist“, sagte Mrs. Bennet. „Deshalb sind sie noch hier.“ Gemeint war das jährliche Wohltätigkeitsessen der Cincinnati Women’s League, das in diesem Jahr am zweiten Donnerstag im September stattfinden sollte. Mrs. Bennet war seit ihren Zwanzigern Mitglied in der Women’s League und zum ersten Mal für die Organisation zuständig. Entsprechend oft erinnerte sie ihre Familie daran, dass der enorme Druck und die Verantwortung ihr unglücklicherweise keine Zeit ließen, sich um die Genesung ihres Mannes zu kümmern. „Also, das Grillen bei den Lucas’ ist ab vier“, fuhr Mrs. Bennet fort. „Lydia und Kitty, ihr habt reichlich Zeit, mit uns zu kommen und trotzdem vor dem Feuerwerk noch zu eurer Party zu gehen. Helen Lucas lädt auch einige andere junge Leute aus dem Krankenhaus ein, nicht nur Chip Bingley, und es wäre doch ein Jammer, wenn ihr die verpassen würdet.“

„Mom, anders als unsere Schwestern sind Kitty und ich durchaus in der Lage, selbst Männer kennenzulernen“, sagte Lydia.

Mrs. Bennet sah zu ihrem Mann. „Sollte eines unserer Mädchen einen Arzt heiraten, käme mir das sehr entgegen, ja“, sagte sie zu ihm. „Allerdings dürfte es auch ganz in deinem Sinne sein, Fred, sie auf die Art aus dem Haus zu bekommen.“

3

Mr. Bennet hatte sich beruflich nie sonderlich engagiert. Vielmehr ernährte er seine Familie von einem großen, aber zusehends schwindenden Erbe, weshalb seine Bemerkungen zur Untätigkeit seiner Töchter als ziemlich vermessen betrachtet werden durften. Unrecht hatte er jedoch nicht. Jedem Außenstehenden wäre es zu verzeihen, sollte er sich fragen, was die Bennet-Schwestern nur tagein, tagaus, jahrein, jahraus mit sich anfingen. Sie waren nicht ungebildet. Ganz und gar nicht. Im Alter zwischen drei und achtzehn Jahren hatten alle Schwestern die Seven Hills School besucht, eine anspruchsvolle gemischte Schule mit freundlicher Atmosphäre, an der sie in jungen Jahren Lieder wie „Fifty Nifty United States“ auswendig gelernt und mit anderen Schülern zusammen – Teamarbeit war oberstes Gebot an der Seven Hills – riesige Stegosaurier oder Triceratops aus Pappmaché gefertigt hatten. In späteren Jahren lasen sie Die Odyssee, halfen bei der Ausrichtung des jährlichen Erntedankfests und nahmen an Sommerreisen nach Frankreich und China teil. Nebenher spielten sie alle ihre ganze Schulzeit über Fußball und Basketball. Insgesamt kostete diese breit gefächerte Schulbildung achthunderttausend Dollar. Anschließend hatten alle fünf Mädchen private Colleges besucht, bevor sie dann ihre, wie man es euphemistisch bezeichnen könnte, wenig lukrativen Karrieren einschlugen. Im Falle einiger Schwestern wäre die Bezeichnung „nicht lukrative Nicht-Karriere“ allerdings treffender. Kitty und Lydia hatten noch nie länger als einige Monate am Stück gearbeitet, und das als planlose Nannys oder Verkäuferinnen bei Abercrombie & Fitch oder Banana Republic im Einkaufszentrum Rookwood Pavilion. Genauso hatten sie zwar durchaus schon unter anderen Dächern als dem ihrer Eltern gewohnt, aber auch das nur für kurze Zeit. Diese Testläufe in Quasi-Unabhängigkeit mündeten verlässlich in dramatische Zerwürfnisse mit ehedem engen Freundinnen, Mietvertragsbrüchen und einer beleidigten bis empörten Heimkehr in die Tudor-Villa, in die sie ihre Habseligkeiten in Wäschekörben und Müllsäcken zurückschleppten. Hauptsächlich beschäftigten sich die jüngeren Bennet-Schwestern mit Lunch im Green Dog Café oder bei Teller’s, mit Textnachrichten oder Videos auf ihren Smartphones und mit Sport. Vor ungefähr einem Jahr hatten Kitty und Lydia CrossFit für sich entdeckt, jenes Kraft- und Ausdauertraining mit Gewichten, Kugelhanteln, Battle-Ropes und obskuren Kürzeln, das außerdem den Verzicht auf die meisten Nahrungsmittel außer Fleisch verlangte. Damit einher ging eine herablassende Haltung gegenüber den schwachen und unaufgeklärten Massen, die immer noch glaubten, dass Joggen als Sport ausreiche und ein Bagel ein akzeptables Frühstück sei. Natürlich zählten alle Bennets außer Kitty und Lydia zu diesen Massen.

Mary war derweil mit ihrem dritten Online-Masterabschluss befasst, diesmal in Psychologie; sie hatte bereits Master-Titel in Strafjustiz und Betriebswirtschaft. Als unscheinbarste der Schwestern betrachtete Mary ihre Entscheidung, weiter bei ihren Eltern zu wohnen, als Zeugnis für ihre Hingabe an ein geistiges Leben frei von materiellen Zwängen – und für ihre Abneigung gegen Verschwendung, denn ohne sie als einzige Bewohnerin stünde ihr Kinderzimmer ja leer.

Jane und Liz hatten immer Jobs gehabt, doch selbst ihnen hatte das Sicherheitsnetz, das die Eltern ihnen boten, stets erlaubt, ihre persönlichen Interessen über das finanzielle Auskommen zu stellen. Jane war Yoga-Lehrerin, was ihr in einer Stadt wie Cincinnati zweifellos ermöglichen würde, ihre Miete zu bezahlen, nicht hingegen in Manhattan und ganz gewiss nicht an der Upper West Side, die sie die letzten fünfzehn Jahre ihr Zuhause genannt hatte. Liz hatte zwar ihre Zwanziger und Dreißiger ebenfalls in New York verbracht, aber bis zu ihrem kürzlichen Umzug nach Cobble Hill in Brooklyn eher in schäbigen Wohnungen in den Außenbezirken gelebt. Die einzige Ausnahme war das Apartment an der Zweiundsiebzigsten Ecke Amsterdam gewesen, das sie sich in den späten 1990ern mit ihrer Schwester geteilt hatte, nachdem Liz nur ein Jahr nach Jane ihren Abschluss am Barnard College gemacht hatte. Obwohl die beiden Schwestern sich als Mitbewohnerinnen gut verstanden, endete das Zusammenleben, als Jane sich mit einem sympathischen Hedge-Fonds-Analysten namens Teddy verlobte. Mrs. Bennets Unbehagen, weil Jane und Teddy vor der Heirat zusammenwohnten, wurde von Teddys Abschluss an der Cornell und seinem lukrativen Job gelindert. Leider wurde Teddy alsbald bewusst, dass er sich zu anderen Männern hingezogen fühlte, was letztlich gegen eine dauerhafte Beziehung mit Jane sprach. Jane und er hatten sich freundschaftlich getrennt, und ein- oder zweimal im Jahr trafen sich Liz und Jane noch mit Teddy und dessen wahrhaft attraktivem Partner Patrick zum Brunch.

Liz hatte bisher ausschließlich bei Zeitschriften gearbeitet. Direkt vom College weg war sie für die Faktenprüfung von einer Wochenzeitschrift engagiert worden, die für ihre pointierten Artikel zu Politik und Kultur berühmt war. Von dort aus war sie zur Mascara gewechselt, einer monatlich erscheinenden Frauenzeitschrift, die Liz schon abonniert hatte, seit sie vierzehn war, da ihr sowohl die klaren feministischen Ansätze des Magazins gefielen, als auch die unverhohlene Begeisterung für Schuhe und Kosmetika, die es zum Ausdruck brachte. Liz fing als Redaktionsassistentin an, stieg zur Redakteurin auf und schließlich zur Ressortleiterin. Mit einunddreißig jedoch wurde ihr klar, dass ihre Leidenschaft das Schreiben von Geschichten war, nicht das Redigieren, und so wurde Liz zur Autorin bei der Mascara, und das war sie auch heute noch. Auch wenn das Schreiben tendenziell weniger einbrachte als die Redaktion, fand Liz, dass sie einen Traumjob hatte. Sie reiste viel und interviewte kultivierte und manchmal berühmte Leute. Trotzdem zeigte sich ihre Familie wenig beeindruckt von ihrem Erfolg. Selbst nach all den Jahren gab ihr Vater immer noch vor, sich den Namen der Zeitschrift nicht merken zu können. „Wie steht es bei der Nail Polish?“, fragte er oder: „Irgendwas Neues bei der Lipstick?“ Mary wurde nicht müde zu behaupten, die Mascara würde repressive Schönheitsnormen vertreten, die das Gros der Frauen ausschlossen. Und Lydia und Kitty hatten zwar kein Problem mit repressiven Schönheitsnormen oder dem Ausschluss größerer Gruppen von was auch immer, interessierten sich aber dennoch nicht für die Zeitschrift. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie grundsätzlich nicht für Zeitschriften oder Bücher zu gewinnen waren und sich ihre Lektüre auf die Displays ihrer Smartphones beschränkte.

Doch obwohl ihre Familie sich nicht gerade für Liz’ Job begeisterte, war es der Flexibilität zu verdanken, die er mit sich brachte, dass sie während der Genesung ihres Vaters zu Hause sein konnte. Janes Situation war ähnlich, denn sie konnte sich spontan bei dem Yoga-Studio freinehmen, in dem sie arbeitete. Fünf Wochen zuvor waren die beiden Schwestern nach Cincinnati gekommen, erschüttert in Anbetracht von Mr. Bennets Operation, deren Ausgang damals noch unsicher gewesen war. Bis offensichtlich wurde, dass er sich wieder vollständig erholen würde, waren beide schon komplett in seine Pflege und die Organisation des Haushalts eingebunden. Sie erledigten die Einkäufe, bereiteten herzverträgliche Mahlzeiten für die ganze Familie und fuhren abwechselnd mit Mr. Bennet zu seinen Arztterminen, die auch Besuche beim Orthopäden einschlossen, denn Mr. Bennet hatte sich unglücklicherweise einen Arm gebrochen, als er bei seinem Herzanfall das Bewusstsein verloren hatte und von der Treppe im zweiten Stock gestürzt war. (Und weil er immer noch einen Gips am rechten Arm trug, konnte er nicht selbst fahren.) Hinzu kam, dass Liz und Jane fest entschlossen waren – auch wenn sie sich hierbei noch keinen Schritt vorgewagt hatten –, den Zustand des Familienheims anzusprechen, das in Staub und Unordnung zu versinken drohte.

Rein theoretisch hätten die jüngeren Schwestern all das tun können, doch sie schienen wenig geneigt. Ohne Frage hatte sie die Herzattacke des Vaters ebenfalls erschüttert, nur eben nicht in dem Maße, dass sie deshalb ihren Tagesablauf verändert hätten. Lydia und Kitty blieben bei ihrem CrossFit-Training und den ausgedehnten Mittagessen, während Mary sich in ihrem Zimmer ihrem Online-Studium widmete, abends lange aufblieb, morgens lange schlief und nur hin und wieder auftauchte und versuchte, andere Familienmitglieder in Diskussionen über Sterblichkeit zu verwickeln. Als sie einmal ihrem Vater in der Küche dabei zugesehen hatte, wie er seinen Flohsamentrunk zu sich nahm, um der verstopfenden Wirkung seines Schmerzmittels entgegenzusteuern, hatte Mary verkündet, dass sie die Wahrnehmung der amerikanischen Ureinwohner von Leben und Tod als Kreislauf der westlichen Vorliebe für heroische Maßnahmen unbedingt vorziehe. Da hatte Mr. Bennet den Rest aus seinem Glas in die Spüle gekippt und gesagt: „Um Himmels willen, Mary, halt den Mund!“ Dann hatte er den Raum verlassen.

Mrs. Bennet äußerte sich höchst besorgt über das Leiden ihres Ehemannes – ja, sie konnte kaum über den Abend sprechen, an dem er ins Krankenhaus gekommen war, ohne bei der Erinnerung an ihren Schrecken hemmungslos zu schluchzen –, und doch konnte sie wegen ihrer zahlreichen Verpflichtungen bei der Women’s League nicht als Krankenschwester und Chauffeurin für ihn zur Verfügung stehen. „Könntest du nicht jemand anderen im Festausschuss bitten, für dich einzuspringen, und dafür im nächsten Jahr den Vorsitz übernehmen?“, hatte Liz eines Tages gefragt, als Mr. Bennet noch im Krankenhaus gewesen war. Ihre Mutter hatte sie entsetzt angesehen.

„Na, das würde man mir ewig übel nehmen“, hatte sie gesagt. „Lizzy, denk nur an all die Spenden für die stille Auktion, die ich im Blick behalten muss!“

„Und was ist, wenn du eine Liste online stellst, die jeder einsehen kann?“ Weil Mrs. Bennet nicht sonderlich geübt im Umgang mit einem Computer war, bot Liz direkt an: „Ich kann dir helfen.“

„Das kommt nicht infrage“, entgegnete Mrs. Bennet. „Ich war es auch, die mit dem Floristen geredet hat, und ich hatte die Idee, unser Logo auf die Servietten zu drucken. Solche Sachen kann man nicht mittendrin abtreten.“

Am nächsten Morgen, als die beiden ältesten Schwestern zusammen joggten, fragte Liz: „Hasst Mom Dad eigentlich insgeheim? Ich finde nicht, dass sie ihn besonders toll unterstützt.“

„Nein, ich glaube, sie will sich einfach nicht eingestehen, wie ernst es sein könnte“, sagte Jane.

Als Mr. Bennet wieder zu Hause war, fragte Liz sich allerdings, ob sie sich vielleicht nicht direkt bezüglich der Abneigung ihrer Mutter gegen ihren Vater geirrt hatte, sondern nur, was deren Heimlichkeit anging. Obwohl ihre Eltern wieder gemeinsam zum Lunch in den Cincinnati Country Club fuhren, sobald Mr. Bennet hinreichend bei Kräften war, lebten die beiden zu Hause doch größtenteils nebeneinanderher. Das Schlafzimmer hatten sie bereits vor dem Krankenhausaufenthalt nicht mehr geteilt; statt in dem großen Ehebett nächtigte Mr. Bennet auf einem schmaleren in seinem Arbeitszimmer ganz oben. Als Liz ihre Schwester Mary fragte, wie lange das schon so ging, blinzelte Mary und antwortete: „Seit fünf Jahren? Oder, ich weiß nicht, zehn?“

Um Liz’ Unbehagen noch zu verstärken, hatte Mrs. Bennet ihren Ehemann mit Scotch und Cheetos zu Hause empfangen, gefolgt von einem Braten zum Dinner – trotz Dr. Morelocks ausdrücklicher Anweisung, dass Mr. Bennet dringend auf rotes Fleisch, Salz und Alkohol verzichten sollte. Als am nächsten Abend Roastbeef serviert wurde, fragte Liz ihre Mutter hinterher diskret, ob sie nicht lieber Hühnchen oder Lachs kochen könnte. „Aber Kitty und Lydia mögen Rindfleisch, weil das Höhlenmenschenessen ist“, entgegnete Mrs. Bennet.

„Ja, aber Dad hatte einen Herzinfarkt“, konterte Liz.

Am nächsten und allen darauffolgenden Abenden hatten abwechselnd sie und Jane gekocht. Und sie hatten sich geeinigt, bis nach dem großen Lunch der Women’s League in Cincinnati zu bleiben. Liz glaubte zwar kaum, dass ihre Mutter dann bereit wäre, sich um ihren Mann zu kümmern, allerdings müsste dann sein Gips ab und die Physiotherapie so weit fortgeschritten sein, dass er hoffentlich allein zurechtkäme.

4

„Hup mal, damit deine Mutter weiß, dass wir warten“, sagte Mr. Bennet. Sie standen in der großen geschwungenen Einfahrt der Tudor-Villa und wollten zum Grillen bei den Lucas’ aufbrechen. Liz saß hinterm Steuer des Lexus ihrer Mutter, Mr. Bennet auf dem Beifahrersitz und Jane hinten.

„Das weiß sie schon“, sagte Liz. Mr. Bennet beugte sich rüber und streckte den gipsfreien linken Arm aus, um auf die Hupe zu drücken.

„Mein Gott, Dad, sei nicht so ungeduldig!“, sagte Liz.

Die Bennets würden in sage und schreibe drei Autos zu den Lucas’ fahren: Lydia und Kitty fuhren mit Kittys Mini Cooper, und Mary bestand darauf, ihren eigenen Honda Hybrid zu nehmen. „So wird es kein Problem sein, falls Dad müde wird und früher gehen will“, hatte Mrs. Bennet gesagt, als sie mit Liz und Jane in der Küche gestanden und den etwas eingefallenen Biskuitkuchen mit Erdbeeren und Blaubeeren betrachtet hatte, den Jane bereitet hatte.

Nun wandte sich Liz in der Einfahrt an ihren Vater. „Bist du gespannt darauf, den berühmten Chip Bingley kennenzulernen?“

„Im Gegensatz zu eurer Mutter ist es mir egal, wen irgendeine von euch heiratet oder, offen gesagt, ob ihr überhaupt heiratet“, antwortete Mr. Bennet. „Mir hat die Ehe weiß Gott nicht viel gebracht.“

„Ah, das ist doch mal charmant.“ Liz tätschelte das Knie ihres Vaters. „Danke für die Info.“

Mrs. Bennet erschien sichtlich nervös an der Hintertür und rief: „Ich brauche noch eine Minute!“ Ehe jemand reagieren konnte, verschwand sie wieder.

Liz sah im Rückspiegel zu Jane. „Und, freust du dich, Chip kennenzulernen, Jane?“ Jane blickte aus dem Fenster. Sie strahlte eine solche Ruhe und Gelassenheit aus, dass manchmal schwer zu sagen war, ob sie traurig oder schlicht in Gedanken versunken war. An den kleinen liebevollen Wortgefechten zwischen ihrem Vater und ihrer Schwester beteiligte sie sich jedenfalls selten und nie besonders lebhaft.

„Ich denke schon“, sagte Jane, als Mrs. Bennet aus dem Haus kam.

„Wie reizend, dass du dich zu uns gesellst“, rief Mr. Bennet aus dem offenen Seitenfenster.

Liz ließ den Motor an, als ihre Mutter hinten einstieg. „Das Telefon hat geklingelt, und es war Ginger Drossman, die uns zum Brunch einladen wollte“, sagte Mrs. Bennet. „Deshalb hat es so lange gedauert.“ Als sie sich nach vorn beugte, nahmen ihre Züge einen sorgenvollen Ausdruck an. „Lizzy, es ist sicher noch genug Zeit, dass du schnell reinlaufen und dir einen Rock anziehen kannst.“

In ihren Teenagerjahren und auch noch in den frühen Zwanzigern hätte Liz eine solche Bemerkung geärgert, aber mit achtunddreißig kamen ihr Garderobenkriege mit ihrer Mutter lächerlich vor. Also entgegnete sie nur munter: „Nein danke, ich fühle mich wohl so.“ Auch wenn ihre Mutter es nicht erkannte, waren die Shorts extrem modern, ebenso wie ihre ärmellose weiße Bluse und die Strohsandalen.

Jane sprang ihr bei, als sie aus der Einfahrt fuhren. „Ich finde, dass Liz hübsch aussieht.“

5

Auch wenn es im Prinzip zutraf, dass Liz und Jane Single waren, so erfasste diese Beschreibung die Situation der beiden Frauen doch nicht ganz. Nach Janes fruchtloser Verlobung hatte sie einen Mann namens Jean-Pierre Babineaux, einen charmanten französischen Financier, kennengelernt und war fast zehn Jahre mit ihm zusammen gewesen. Obwohl Jane angenommen hatte, dass Jean-Pierre und sie heiraten würden, waren ihre Gespräche zu dem Thema stets von einer bitteren Süße gezeichnet gewesen, und rückblickend dachte Jane, das hätte ihr eine Warnung sein sollen. Es war nicht so, dass es ihnen an gegenseitiger Zuneigung mangelte, vielmehr waren ihre Lebensumstände nicht kompatibel. Er war fünfzehn Jahre älter als sie, geschieden und Vater von Zwillingen, die zu Beginn der Beziehung zwölf Jahre alt gewesen waren. Folglich reiste er oft nach Paris, und obwohl Jane sich kaum über ihre häufigen Aufenthalte in seiner dortigen Wohnung im sechsten Arrondissement beklagen konnte, wollte sie nicht so weit weg von ihrer Familie leben, erst recht nicht dauerhaft. Jean-Pierre aber hatte vor, langfristig in seine Heimat zurückzukehren. Außerdem wünschte sich Jane irgendwann eigene Kinder, und Jean-Pierre hatte sich sterilisieren lassen, als die Zwillinge zwei waren.

Bei aller Vorhersehbarkeit war die Trennung für beide am Ende sehr schmerzlich. Jane war mit siebenunddreißig wieder Single und blieb es die nächsten zwei Jahre. Kurz nach ihrem neununddreißigsten Geburtstag und einer anstrengenden Auswahl aus unzähligen anonymen Kandidaten lag Jane dann in einem Krankenhaushemd in einer Klinik in der Zweiundfünfzigsten Straße Ost auf dem Rücken und wartete darauf, dass ihr mit einer nadellosen Spritze Spendersamen in den Gebärmutterhals injiziert wurde. Jane hielt sich an sämtliche Empfehlungen für eine erfolgreiche Schwangerschaft – trank keinen Alkohol mehr, schlief acht Stunden pro Nacht und meditierte täglich. Dennoch kam es weder bei diesem noch bei einem der darauffolgenden Zyklen zu einer Befruchtung. Statistisch gesehen war das nicht ungewöhnlich, denn nur wenige Frauen wurden nach einer Samenspende sofort schwanger, doch der ausbleibende Erfolg war ebenso entmutigend wie teuer, und Janes Versicherung deckte keinen Cent der monatlichen Kosten von eintausend Dollar. Da sie ahnte, dass ihre Eltern alles andere als einverstanden wären, hatte Jane ihnen nichts von der Behandlung gesagt, und so bezahlten sie ihr weiterhin nur die Miete, die Mr. Bennet direkt in ihrem Namen überwies. So kam es, dass Jane sich erstmals, seit sie erwachsen war, in der Situation wiederfand, dass sie auf Restaurant- oder Friseurbesuche verzichten und die Straße meiden musste, in der sich ihre Lieblingsboutique befand. Elegante Bleistiftröcke für vierhundert Dollar und Pullover für dreihundert waren nicht mehr drin. Ihr war bewusst, dass dies in den Augen vieler Leute keine echte Not bedeutete, und dennoch setzte ihr dieser neue Zwang zur Sparsamkeit zu.

Jane sprach mit niemandem außer Liz über ihre vergeblichen Bemühungen, Mutter zu werden. Ihr Gynäkologe hatte ihr schon vor der ersten Insemination geraten, ihre Eltern einzuweihen, aber Jane dachte, falls sie nicht schwanger würde, wäre sie dann gleich doppelt gestraft – mit den theatralischen Ausbrüchen ihrer Mutter und keinem Baby. Und nach wie vor hoffte Jane, irgendwann zu heiraten, auch wenn die Ehe nicht mehr ihr unmittelbares Ziel war.

Anders als Jane, wollte Liz nicht Mutter werden. Bedachte man, dass sie sich mit einem verheirateten Mann traf, war das nur logisch, auch wenn Liz nicht hätte sagen können, ob diese Konstellation Zufall war oder sie sie unbewusst so gewählt hatte. Als Liz und Jasper in den späten Neunzigern beide neu in der Faktenrecherche-Abteilung der renommierten Zeitschrift angefangen hatten, hatte es zwischen ihnen sofort gefunkt. Beide verkniffen sich das Grinsen, wenn der Redakteur, der aus Delaware stammte, das Wort „Memoir“ Mem-wah aussprach; sie gingen mehrmals pro Woche mittags zusammen in einem billigen Thai-Restaurant essen; und sie teilten sich die Arbeit untereinander auf, wenn sie die Fakten in anstrengenden Artikeln prüfen mussten. (Anfangs hatten sie mit Computern gearbeitet, deren Internetverbindung man bestenfalls lückenhaft nennen konnte; Faktenprüfung bedeutete damals meistens, in öffentliche Bibliotheken zu gehen oder ungeduldig auf Anrufe zu warten.)

Als Liz und Jasper sich kennenlernten, hatte er eine feste Freundin, was nicht verwunderlich war. Er hatte dunkelbraune Augen, wirre blonde Locken und war gleichzeitig klug und respektlos, jungenhaft und nachdenklich, mit, wie Liz fand, dem idealen Maß an Neurosen und Sinnlichkeit, um ihn zu einem interessanten Gesprächspartner zu machen. Noch dazu war er empfänglich für Klatsch und immer dafür zu haben, das Verhalten und die Persönlichkeit anderer zu analysieren, ohne dabei jemals unmännlich zu wirken. In Liz’ Augen war Jaspers einziger Makel, abgesehen von seiner Freundin, dass er einen Goldring von der Stanford University trug, seiner Alma Mater. Liz mochte weder Schmuck bei Männern noch akademische Protzerei. Andererseits war sie froh, etwas an Jasper entdeckt zu haben, das sie ändern könnte. Das Gefühl ähnelte jener Erleichterung, die man empfand, wenn einem bewusst wurde, dass das, was man auf einer Kurzreise vergessen hatte, nur das Parfüm, nicht der Führerschein war.

Zu Beginn hatte Liz geglaubt, es wäre lediglich eine Frage der Zeit, bis Jasper und sie ein Paar würden. Allein seine Neigung, ihr von den unzähligen Problemen zwischen ihm und seiner Freundin Serena zu erzählen, nährte die Vorstellung in Liz, dass sie ihn von gar nichts mehr zu überzeugen bräuchte. Während er noch mit Serena zusammen war, ließ Jasper Liz gegenüber hier und da verbale Bomben platzen wie: „Ich meine, mit dir rede ich viel offener als mit ihr“, oder: „Manchmal denke ich, dass wir beide ein gutes Paar wären. Hast du darüber schon mal nachgedacht?“ Liz war sich sicher, dass er diese Dinge gesagt hatte, denn auch wenn sie nicht mehr Tagebuch schrieb, hatte sie seine Sätze doch wortwörtlich auf einem unlinierten Bogen Druckerpapier notiert, den sie in ihrem Nachttisch aufbewahrte – mitsamt Datum. Und nachdem sie Jasper gegenüber erwähnt hatte, dass sie als Kleinkind von sich selbst als Ninny oder Nin gesprochen hatte, fing er an, sie bei letzterem Kosenamen zu nennen.

Sie kannte Jasper seit acht Monaten, war also seit sieben Monaten und drei Wochen gründlich in ihn verliebt, als Liz eines verschneiten Samstags im Februar mit ihm durch den fünfzehn Zentimeter hohen Schnee im Central Park lief. Jaspers Tempo, zusammen mit dem Schnee, machte es zur brutalsten Sportübung, die Liz jemals erlebt hatte. Bei der zweiten Meile konnte sie nicht mehr. Sie blieb stehen, stemmte die Hände auf die Knie und keuchte: „Ich gebe auf. Du gewinnst.“

„Ach ja?“ Jasper war wenige Schritte vor ihr, blickte sich über die Schulter um und grinste unter der schwarzen Fleece-Mütze. „Und was gewinne ich?“

Du gewinnst mich, dachte Liz. „Du darfst damit angeben“, antwortete sie. „Und ich spendiere dir ein heißes Getränk in irgendeiner Bar, die offen hat.“ Dann kniete sie sich hin und ließ sich rückwärts in den Schnee fallen.

Jasper kam zurück und legte sich neben sie. Beide schwiegen, während die Schneeflocken über ihnen in der Luft tanzten. Der Himmel war schmutzig weiß, der Schnee unter ihnen wie ein kühles Kissen. Jasper streckte die Zunge raus und fing eine Schneeflocke ein. Liz machte es ihm nach. Der übliche Lärm in Manhattan wurde vom Schneetreiben gedämpft, und Liz war wunschlos glücklich. Dann sah Jasper zu ihr herüber. „Übrigens habe ich gestern Abend mit Serena Schluss gemacht.“

In Liz’ Herz wallte eine Freude auf, die ihr beinahe zu viel war. Sie hoffte, dass sie dennoch ruhig klang, als sie sagte: „Das musste wohl so kommen.“

„Meinst du?“

„Ja, ihr zwei hattet anscheinend eine Menge Probleme.“

„Allerdings ist sie wütend. Sie behauptet, dass ich sie damit überrumpelt habe.“ Obwohl Serena nicht hübscher war als Liz, war sie in ihrer Kompliziertheit sehr viel selbstbewusster und erwartete weit selbstverständlicher, dass andere ihr nachgaben und einlenkten.

Liz fragte: „Willst du heute Abend trotzdem noch zu Alex gehen oder lieber nicht?“ Eine Kollegin gab eine Anti-Valentinstags-Party, doch Liz dachte, falls Jasper nicht hingehen wollte, könnten sie sich etwas zu essen bestellen, einen Film sehen und einen gemütlichen Abend verbringen.

„Wahrscheinlich gehe ich hin.“

Dann traf Liz etwas Nasses, Klumpiges, das beim Kontakt mit ihrer Nase zerstob und in ihre Augen und die Nasenlöcher rieselte.

„Autsch!“, rief sie. „Was war das denn?“ Aber sie wusste es schon. Und auch wenn sie sich eigentlich nicht direkt revanchieren wollte, grinste Jasper schon erwartungsvoll. Ihr Schneeball prallte an der Schulter seiner wasserfesten Jacke ab, und er sagte: „Ach, Nin, ich muss dir noch so viel beibringen!“

An jenem Tag fragte Liz sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie beide ein Paar sein würden. Sechs oder acht Wochen vielleicht – lange genug für ihn, die Trennung von Serena zu verarbeiten. Verarbeiten war ein Wort, das Jasper selbst in Bezug auf seine Gefühle benutzte, anders als irgendeiner von Liz’ Freunden am College. Aber wie es schien, war nur wenig Verarbeitung nötig. Liz hielt es für überflüssig, Jasper auf der Party im Auge zu behalten, was es umso niederschmetternder machte, dass er diese mit Natalie verließ, einer Studentin im ersten Jahr an der NYU und Schwester der Gastgeberin.

Trostsex, sagte Liz sich. Es war nur natürlich und wahrscheinlich am besten, wenn er den jetzt hinter sich brachte. Sicher würde Jasper bald aufgehen, was für Liz offensichtlich war – und auch für andere. Eine ältere Redakteurin der Zeitschrift hatte ihr sogar mal zugeflüstert: „Sie und Jasper Wick wären so ein niedliches Paar.“

Leider blieben zunächst Jasper und Natalie zwei Jahre ein Paar, und schon nach wenigen Wochen fiel Liz ihm gegenüber in die alten Muster aus der Serena-Zeit zurück. Sie leistete ihm beim Mittagessen Gesellschaft, war seine gelegentliche Jogging-Partnerin, sein Resonanzboden in beruflichen Dingen – sie redigierte und korrigierte seine Beiträge, die er in der Hoffnung verfasste, es auf die vorderen Magazinseiten zu schaffen. Und sie war seine Vertraute, hörte ihm zu, wenn er sich über Natalies Unreife sorgte oder sich über seinen Mitbewohner ärgerte, weil der im bekifften Zustand Jaspers Tortillas und seine Erdnussbutter vernichtet hatte. Einmal an einem Mittwoch, als Natalie bei ihren Eltern in Phoenix war, tranken Liz und Jasper sehr viel Bier in einer Spelunke beim Times Square, und da Liz es nicht mehr ertragen konnte, platzte sie heraus: „Aber was ist mit uns? Ich dachte, du stellst dir uns als Paar vor?“

Jasper wirkte erschrocken. „Willst du das denn?“, fragte er.

„Ja, klar will ich das!“, sagte Liz.

„Ein Teil von mir will es auch.“ Jaspers Ton klang eher gequält als flirtend. „Aber mit uns wäre es wirklich ernst, und ich weiß nicht, ob ich dafür schon bereit bin. Du bist mir als Freundin so wichtig, und ich möchte nicht riskieren, dich zu verlieren.“

Nachdem sie die Bar verlassen hatten und bevor sie sich am Busbahnhof Port Authority trennten, standen sie an der Ecke Zweiundvierzigste Straße und Siebte Avenue und redeten. Es gab immer unzählige Themen, die sie ansprechen und zerpflücken, über die sie nachgrübeln, sich lustig machen oder die sie noch einmal aufgreifen konnten. Es war ein stürmischer Märzabend, und einige braune Strähnen hatten sich aus Liz’ Pferdeschwanz gelöst, sodass sie im Wind gegen ihre Stirn und ihre Wangen peitschten.

Unvermittelt sagte Jasper: „Dein Haar spielt heute Abend verrückt.“ Er trat auf sie zu und streckte die Hand aus. Doch im selben Moment hob Liz einen Arm und strich sich die Haare aus dem Gesicht, und während sie es tat, nahm Jasper seine Hand herunter und trat einen Schritt zurück. Zahllose Stunden – oder vielleicht auch eher Wochen und Tage – verbrachte Liz damit, diese nicht erfolgte Berührung, dieses Fehlen von Kontakt in Gedanken durchzuspielen. Denn ihr Haar hatte nicht so verrücktgespielt. Es löste sich oft aus dem Haargummi, also hatte er offensichtlich vorgehabt, sie zu berühren, vielleicht sogar zu küssen und zu ihrem Freund und der Liebe ihres Lebens zu werden. Hatte sie ihn aus reiner Gewohnheit daran gehindert, weil es ihr Haar und ihr Kopf waren? Weil sie nichts davon hielt, die Freunde anderer Frauen zu küssen? Oder weil sie irgendein verborgener Instinkt bewegte, sich selbst das Leben zu ruinieren?

An dem Abend, als er sie nicht berührte, waren Liz und Jasper beide vierundzwanzig Jahre alt. Auch im Laufe der nächsten sechs Jahre küssten sie sich nie. Sie schliefen sogar zweimal im selben Bett, einmal im Haus der Tante einer Bekannten in Sag Harbor und ein anderes Mal auf einer Fahrt zu Jaspers Schwester an der University of Virginia. In der Zwischenzeit hatte Jasper weitere Freundinnen – nach Natalie kam Gretchen, auf Gretchen folgte Elise, und nach Elise gab es Katherine. Liz ging derweil halbherzig mit anderen Männern aus, allerdings nie länger als einige Monate. Jasper erkundigte sich eingehend nach den Männern, und einmal, als Liz es mit Online-Dating versuchen wollte, verabredeten sie, dass er und Elise in derselben Bar etwas trinken würden, damit Jasper und Liz sich zwischendurch beraten konnten. Was sich vorher wie eine schrecklich witzige Idee angehört hatte, ging in der Ausführung schlicht daneben. Natürlich hatte Jasper Elise nichts gesagt und gab entsprechend vor, Liz rein zufällig zu treffen. Liz konnte sich nicht entscheiden, ob es die Sache besser oder schlimmer machte, dass Elise diese Farce zu glauben schien.

Zu dem Zeitpunkt waren Jasper und Liz beide nicht mehr bei der Zeitschrift, bei der sie sich kennengelernt hatten. Liz arbeitete jedoch noch im selben Gebäude, und Jasper kam zum Lunch in die Cafeteria, die von einem berühmten Architekten entworfen worden war und mit ihren blau getönten Glastrennwänden an eine Reihe von Aquarien erinnerte. In all den Jahren machten sie immer wieder Scherze über Liz’ Schwärmerei für Jasper und Jaspers offenbar weniger starke, aber durchaus vorhandene Schwärmerei für Liz – so hielt Liz zum Beispiel nach einem gemeinsamen Besuch des Guggenheim-Museums ihre Eintrittskarte in die Höhe und sagte mit, wie sie hoffte, unverkennbarem Sarkasmus: „Wenn ich die hier heute Nacht unter mein Kopfkissen lege, verliebst du dich vielleicht in mich.“ Und er sagte grinsend: „Kann sein.“ Etwas seltener, aber dennoch regelmäßig, kam es zu alkoholbefeuerten emotionalen Ausbrüchen, die ausnahmslos von Liz ausgingen. „Es ist lächerlich, dass wir nicht zusammen sind“, sagte sie einmal. „Im Grunde genommen bin ich quasi deine Freundin.“

„Ich hasse es, dir Kummer zu bereiten“, erwiderte Jasper.

„Ich bin so blöd“, sagte Liz. „Jeder, der mich anguckt, denkt, dass ich blöd bin.“

„Du bist nicht blöd“, widersprach Jasper. „Du bist meine beste Freundin.“

Hätte sie ihn doch bloß ihr Haar nach hinten streichen lassen!

Hin und wieder versuchte Liz, Jasper abzuschwören. Dann sagte sie: „Unsere Freundschaft tut mir nicht gut“, und fing für kurze Zeit mit Yoga an, das sie, aller Loyalität Jane gegenüber zum Trotz, hasste. Aber Liz’ und Jaspers Bekanntenkreise überschnitten sich so sehr, dass sie einander schon nach einer Woche, spätestens nach einem Monat wieder bei einer Party oder einem Frisbee-Spiel begegneten. Dort redeten sie dann endlos über alles, was sich beide für den anderen aufgespart hatten.

Als sie einunddreißig waren, gab Jasper seine Verlobung mit einer kecken und freundlichen Frau namens Susan bekannt, die Partnerin einer führenden Anwaltskanzlei war. Liz schien es, als wäre Jasper ihr gegenüber genauso gleichgültig eingestellt wie seinen früheren Freundinnen. Nach einem gemeinsamen Lauf fragte er Liz, ob sie sein Trauzeuge sein würde. Als er ihren Gesichtsausdruck sah, ergänzte er: „Oder meinetwegen Trauzeugin.“ Als Liz zu schluchzen anfing, fragte er: „Was? Was ist denn?“, und sie rannte davon und sprach fünf Jahre lang nicht mit ihm. Zwar sah sie ihn immer noch bei Presseveranstaltungen, doch sie ging nicht zu Jaspers Hochzeitsfeier und erst recht nicht zur Trauung.

An einem Frühlingssamstag 2011 trafen Liz und ein Oboist, mit dem sie sich zu einem Blind Date verabredet hatte, zufällig im High Line Park auf Jasper und Susan. Jasper schob einen Buggy mit einem schlafenden Kleinkind. Susan begrüßte Liz herzlich – so wie Elise schien auch Susan nie irgendeinen Verdacht gegen Liz gehegt zu haben, weshalb Liz sich fragte, wie genau Jasper ihre Freundschaft eigentlich erklärt hatte. Schließlich gingen die fünf zusammen zum Brunch, bei dem das Kind, ein Junge namens Aidan, aufwachte und so erbarmungslos schrie, dass Liz Jasper ein klein wenig vergab. Am folgenden Montagmorgen mailte Jasper an Liz: Es war klasse, dich zu sehen. Mir fehlt unsere Freundschaft sehr.

Nach einigem Hin- und Herschreiben trafen sie sich unter der Woche zum Mittagessen und diskutierten kürzlich erschienene Artikel, die sie entweder beide sehr gut fanden oder entsetzlich schlecht, und dann vertraute Jasper ihr an, unter welchem finanziellen Druck er stand, seit Susan entschieden hatte, ihren Job als Anwältin aufzugeben und zu Hause bei Aidan zu bleiben. Die letzten Jahre waren anscheinend hart gewesen: Als Säugling hatte Aidan unter Koliken gelitten; Susan hatte anfangs Schwierigkeiten mit dem Stillen gehabt, und jetzt wollte sie nicht mehr damit aufhören; und sie verbrachte extrem viel Zeit damit, online zu ergründen, welche möglicherweise giftigen Chemikalien in dem Teppichreinigungsmittel sein könnten, das in den Korridoren ihres Wohnhauses benutzt wurde. Derweil verplemperte Jasper seine Zeit bei der Arbeit. Er wusste, dass er in der Lage wäre, ein Magazin zu leiten, dennoch war er nach wie vor Redakteur und nicht Redaktionsleiter, was gewöhnlich das Sprungbrett zum Chefredakteur war. Entsprechend hörte er sich gerne Liz’ Ideen an, welche Veröffentlichungen am besten geeignet wären, seinen weiteren Aufstieg zu fördern. Dass Jasper ihre Ideen und Meinungen so sehr achtete und offenbar zu jedem Thema ihr Feedback hören wollte – sogar zu der Frage, ob es komisch war, dass seine Frau den Sohn mit neunzehn Monaten noch stillte –, war gleichermaßen schmeichelhaft wie über alle Maßen verletzend. Wenn es die Möglichkeit gäbe, so glaubte sie, würde er wohl ein Kabel zwischen ihrem Gehirn und seinem verlegen oder schlicht den Inhalt ihrer Großhirnrinde herunterladen.

Das nächste Mal, dass sie und Jasper sich nach der fünfjährigen Pause trafen, gingen sie zusammen etwas trinken, und nach der dritten Runde erzählte Jasper, er und Susan seien zu dem schmerzlichen Schluss gelangt, dass ihre Ehe am Ende sei und sie beide, wenn auch in bester Absicht, einen Fehler gemacht hätten, als sie heirateten. Die Sache habe allerdings einen Haken: Wenn sich Susan oder eines ihrer Geschwister scheiden ließe, würde Susans streng katholische, schwerreiche, boshafte und verblüffend gesunde achtundneunzigjährige Großmutter, die an der Upper East Side lebte, sie umgehend aus ihrem Testament streichen. Und dann könnte Aidan keine Privatschule besuchen. Daher wollten Jasper und Susan sich gegenseitig außereheliche Beziehungen erlauben, würden jedoch weiterhin zusammenleben, bis Susans Großmutter sterbe. Nach dieser Erklärung schluckte Jasper, und er hatte Tränen in den braunen Augen, als er sagte: „Es warst immer du, Nin. Ich habe es so gewaltig vermasselt, aber du warst es immer.“

Während der fünf Jahre Funkstille hatte Liz sich immer mal wieder dem Tagtraum hingegeben, dass Jasper in ihrem Büro oder vor ihrer Wohnungstür auftauchen würde – möglicherweise, wie im Film, nachdem er durch den Regen gerannt war –, um ihr seine Liebe zu gestehen. In einer solchen Szene hätte er vielleicht sogar sagen können: Es warst immer du. Aber er wäre nicht mehr mit Susan verheiratet; und ganz sicher wäre er nicht der Vater eines neunzehn Monate alten Kindes. Doch durch die schimmernde Weichheit der drei Gins, die Liz getrunken hatte, verliehen gerade diese kompromittierenden Umstände der Situation eine gewisse Glaubwürdigkeit: Es war nicht zu schön, um wahr zu sein. Sie musste nicht beunruhigt sein, weil sie alles bekam, was sie sich jemals erhofft hatte.

Später in ihrer Wohnung war der Vollzug ihrer wie auch immer gearteten Verbindung kein wahr gewordener Traum – und vierzehn Jahre aufgestaute Erwartungen sowie mehr als ein halbes Dutzend Cocktails halfen nicht unbedingt. Aber es war zufriedenstellend, und hinterher, als Jasper mit ihr in den Armen einschlief, wünschte Liz, ihr zweiundzwanzigjähriges Ich könnte wissen, dass es am Ende doch noch passierte. Ihr zweiundzwanzigjähriges Ich wäre eventuell etwas weniger bezaubert gewesen, als Jasper vierzig Minuten darauf aufwachte, hastig duschte und heim zu Frau und Kind eilte. Denn auch wenn Jasper und Susan sich einig waren, was außereheliche Affären betraf, war Jasper am nächsten Morgen damit an der Reihe, um fünf Uhr mit Aidan aufzustehen.

Innerhalb einer Woche besuchte Jasper Liz noch dreimal in ihrem Apartment und übernachtete davon zweimal bei ihr; Muster schliffen sich ein. Die Nachteile dieser Beziehungsversion schrien gen Himmel, sodass man darauf eigentlich gar nicht genauer eingehen müsste. Da einige Verwandte von Susan nicht nur absolut loyal gegenüber der Großmutter waren, sondern auch noch in Manhattan wohnten, musste Diskretion gewahrt werden. Daher aßen Liz und Jasper nie zusammen in Restaurants und gingen nicht gemeinsam zu Arbeitsveranstaltungen. Andererseits kam Liz in den Genuss echter Nähe und körperlicher Intimität mit jemandem, den sie gut kannte und sehr mochte, während ihr immer noch Zeit blieb zu arbeiten, zu laufen, zu lesen und Freunde zu treffen – ja, vielleicht mehr Zeit als in der Phase, in der sie sich auf Dating-Websites herumgetrieben oder drei Stunden am Stück damit verbracht hatte, mit Jane oder anderen Frauen ihr Single-Dasein zu analysieren. Einige wenige Freunde wussten von Jasper, genau wie Liz’ ältere Schwester, und deren skeptische Reaktionen waren für Liz abschreckend genug, um das ungewöhnliche Arrangement nicht weiter zu diskutieren. Allzu leicht hörte es sich an, als würde Jasper nur fremdgehen.

An einem Freitagabend Ende Mai, zwei Jahre nach Liz’ Versöhnung mit Jasper, war Liz bei Jane zu Hause. Jane schnitt Kohl für einen Salat, während Liz die Rotweinflasche entkorkte, die sie mitgebracht hatte. „Willst du mich wirklich wieder zwingen, alleine zu trinken?“, fragte Liz.

„Ich bemühe mich um ein aufnahmefreundliches Uterus-Umfeld“, antwortete Jane.

„Also, ja, ich trinke allein.“

„Tut mir leid.“ Jane runzelte die Stirn.

„Du musst dich nicht entschuldigen.“ Liz nahm ein Glas vom Regal. „Und jeder Fötus könnte von Glück reden, in deiner Gebärmutter zu wohnen. Ich wette, du hast das Ritz unter den Uterussen. Uteri?“ Liz hielt ihr gefülltes Glas in die Höhe. „Auf lateinische Nomen und die Fortpflanzung.“ Jane stieß mit ihrem Wasserglas an, und Liz fügte hinzu: „Erinnerst du dich an Sandra aus meinem Büro, die drei Jahre versucht hat, schwanger zu werden? Sie hat erzählt, dass sie bei einem Akupunkteur war, der …“ In diesem Moment brummte Liz’ Handy, und sie fragte sich, ob es Jasper war. Offenbar fragte Jane sich dasselbe, denn sie sagte, und konnte ihren Missmut dabei nicht vollständig verbergen: „Ist er das?“

Doch er war es nicht. Es war ihre Schwester Kitty. Liz zeigte Jane das Display, ehe sie ranging. „Hi, Kitty. Ich bin gerade bei Jane.“

„Ich rufe wegen Dad an“, sagte Kitty, die eindeutig weinte. „Er ist im Krankenhaus!“

6

Eine halbe Stunde zuvor hatte Mr. Bennet über Sodbrennen geklagt, das er dem Kalbsschnitzel „Jäger-Art“ zuschrieb, welches Mrs. Bennet zum Abendessen serviert hatte. Dann war er aus der Eingangshalle die Treppe hinauf in den ersten Stock und von dort in den zweiten Stock gestiegen, wo er nach Luft ringend zusammengesackt war. Lydia hatte ihn fallen gehört, Mary hatte den Notruf gewählt, und Mr. Bennet war im Krankenwagen zum Christ Hospital gebracht worden.

Nach Kittys Anruf fing Liz sofort an, nach Flügen zu suchen, während Jane das Essen wegpackte. Wie sich herausstellte, waren die letzten Flüge von LaGuardia und JFK nach Cincinnati schon weg. Liz buchte ihnen Plätze für den frühen Morgen, kehrte in ihr Apartment zurück, warf einige Sachen in einen Koffer und fiel für wenige Stunden in einen unruhigen Schlaf. Am nächsten Morgen um sechs Uhr traf sie Jane hinter den Sicherheitsschleusen des Terminals D in LaGuardia wieder. Bis dahin hatte ihr Vater eine sechsstündige Operation hinter sich und lag intubiert und bewusstlos auf der Intensivstation.

Obwohl er wach war und nicht mehr beatmet wurde, als Liz und Jane direkt vom Flughafen ins Krankenhaus kamen, wirkte er erschreckend matt und in dem Krankenhaushemd so viel kleiner als in seinen üblichen hellen Hosen, dem Oberhemd und dem dunkelblauen Blazer. Bei seinem Anblick schluckte Liz ihre Tränen herunter, während Jane offen weinte. „Meine liebe Jane …“, sagte Mr. Bennet, doch mehr kam nicht. Er machte keine Scherze, um sie zu beruhigen, und die vielen Maschinen, die seine Vitalfunktionen überwachten, piepten gleichmütig.

Eine Woche lang blieb er in der Klinik, wurde jedoch schon am zweiten Tag nach der Operation auf eine normale Station verlegt, und sein Zustand besserte sich stetig. In eher unvermittelt plötzlichen statt graduellen Stufen nahm er wieder eine gesündere Gesichtsfarbe an, kam zu Kräften und fand seinen beißenden Humor wieder. Es schien, als würde er wirklich wieder ganz gesund werden.

Gleichzeitig stellte sich bei den beiden ältesten Bennet-Schwestern eine gewisse Routine ein. Sie schliefen in zwei Einzelbetten in dem Zimmer ganz oben, das früher Liz’ gehört hatte. Liz stellte ihren Handy-Wecker auf sieben Uhr, und sie standen gemeinsam auf und gingen laufen, bevor es zu heiß draußen wurde: um die Biegung der Grandin Road, vorbei am Cincinnati Country Club, rechts auf die Madison Road, wieder rechts in die Observatory und die erste Steigung der Edwards Road hinauf, an der es nur sanft bergan ging, die aber endlos war, und dann die zweite, die wieder kurz, aber steil ausfiel. Hinterher aßen sie zu Hause Cornflakes, duschten nacheinander und überlegten, was am Tag zu tun war.

Hatten sie es anfangs in der Sorge um ihren Vater kaum wahrgenommen, wurde den Schwestern mit dessen vielversprechender Genesung doch immer deutlicher klar, dass die 1903 erbaute Villa in einem grauenvollen Zustand war. In den letzten zwanzig Jahren waren Liz und Jane stets nur zu dreitägigen Besuchen dort gewesen, gewöhnlich um die Feiertage herum, und rückblickend mutmaßte Liz, dass ihre Mutter vor ihrer Ankunft wochenlang gearbeitet haben musste, um das Haus vorzeigbar zu machen. Diesmal nun hatte Mrs. Bennet keinerlei Vorbereitungen getroffen, und so stapelte sich Post auf dem Marmortisch in der Diele, Schimmel blühte im Waschbecken der Toilette im dritten Stock, Spinnweben hingen an den Lampen und in den Zimmerecken. Jane und Liz teilten sich ein Zimmer, weil das Bett und ein Großteil des Fußbodens in Janes altem Zimmer nebenan von allen möglichen Kartons bedeckt waren; manche leer bis auf die Luftpolsterfolie, andere noch ungeöffnet; sie kamen von unterschiedlichen teuren Versandhändlern und waren an Mrs. Frederick M. Bennet adressiert. Einen Tag, bevor ihr Vater aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte Liz drei der Pakete mit einer Schere aufgeschlitzt. Bei ihrem Inhalt handelte es sich um ein cremeweißes Zierkissen mit einer aufgestickten Ananas, einen Satz königsblauer Badelaken mit Mrs. Bennets Monogramm sowie zwölf Desserttellern mit Yorkshire-Terriern darauf. (Die Bennets hatten nie einen Yorkshire-Terrier besessen – oder überhaupt irgendeinen Hund.)

Mrs. Bennets ausgeprägte Vorliebe für Haushaltswaren war nichts Neues. Wenn sie Liz in New York anrief, dann meistens um sie zu fragen, ob sie beispielsweise eine Porzellan-Teekanne mit Efeumotiv brauche, die von zweihundertsechzig auf zweihundertdreißig Dollar herabgesetzt war. Und Liz lehnte, ohne erst darauf einzugehen, wer die fragliche Teekanne bezahlen sollte, ausnahmslos bedauernd ab. Es klinge wunderbar, aber sie habe so wenig Platz und sei, wie sie ihre Mutter erinnerte, ohnedies keine große Teetrinkerin. Vor Jahren hatte Liz sich einmal dazu überreden lassen, eine große Servierplatte mit Goldrand als Geschenk anzunehmen – „Für deine Dinnerpartys!“, hatte Mrs. Bennet strahlend verkündet. Doch als sie anderthalb Jahre später erfahren hatte, dass Liz in dieser ganzen Zeit keine einzige Dinnerparty gegeben hatte, hatte Mrs. Bennet darauf bestanden, dass Liz ihr die Platte zurückgab. Der Versand hatte fünfundfünfzig Dollar gekostet. Mit anderen Worten: Nein, es war kein Geheimnis, dass ihre Mutter alle möglichen Haushaltsgegenstände zum Fetisch machte. Trotzdem warf die schiere Menge in Janes früherem Zimmer, wie auch die Tatsache, dass so viele Kartons nicht mal geöffnet waren, für Liz die Frage auf, ob sie es hier mit einer ernsten Störung zu tun haben könnten.

Zugleich machte sich der schlechte Zustand des Hauses beinahe täglich bemerkbar: tropfende Wasserhähne, zersplitterte Dielenbretter, obskur geformte durchgebrannte Glühbirnen. In vielen Fällen war für Liz nicht zu erkennen, ob ein bestimmter Schaden, wie etwa der nicht ganz einen Quadratmeter große Wasserfleck an der östlichen Wohnzimmerwand, neu war oder ihre Eltern und Schwestern schlicht seit Monaten oder Jahren die Augen davor verschlossen hatten.

Auf den drei Morgen Grund, die zur Tudor-Villa gehörten, zeigten sich weitere Probleme, einschließlich eines wuchernden Giftsumachs hinterm Haus und eines Pilzes in der großen Platane, unter der Liz einst Picknicks für ihre Puppen veranstaltet hatte. Soweit sie es beurteilen konnte, hatte ihr Vater draußen abgesehen vom Rasenmähen schon eine Weile nichts getan, und seit er krank war, nicht einmal mehr das. Eines Tages, als Liz auf einen Kostenvoranschlag von einer Gärtnerei wartete, kam ihr der Gedanke, dass die Villa ihrer Eltern wie eine extrem fettleibige Person war, die längst nicht mehr alles an ihrem Körper sehen, berühren oder kontrollieren konnte, weil es schlicht zu viel geworden war, und die Person zu schwach und unbeweglich.

In den Stunden, die Liz sich täglich zum Arbeiten nahm, saß sie mit ihrem Laptop an dem rosa Resopal-Schreibtisch, den ihre Eltern 1987 für sie gekauft hatten, beantwortete Anfragen von Mascara – Redakteuren zu einem Artikel, den sie kürzlich geschrieben hatte, vereinbarte Termine oder führte Interviews und vertröstete oder kontaktierte Pressereferenten. Neben ihren Beiträgen zu unterschiedlichen Themen schrieb Liz monatlich drei Mini-Porträts für Mascaras langjährige Kolumne „Frauen, die sich trauen“ – zum Beispiel über eine Unteroffizierin im Irak, eine blinde Aerobic-Lehrerin oder eine Schulleiterin in Wichita, die ihre Schüler vor einem Tornado rettete. Auch wenn Liz die Kolumne eher mit „Attraktive, gut gekleidete Frauen, die sich was trauen“ betitelt hätte, war es das Beste an ihrem Job, solche Frauen zu finden und mit ihnen zu sprechen.

Jane versuchte nicht, von Cincinnati aus zu arbeiten. Einige Male pro Woche ging sie zum Yoga in ein Studio in Clifton, doch war sie dort Schülerin, nicht Lehrerin. Trotzdem vergingen die Tage für beide Frauen mit ihrer wiederkehrenden Abfolge von morgendlichem Laufen, Arztterminen, Einkäufen, Kochen und Dinner mit der Familie erstaunlich schnell. Bald ging der Mai in den Juni über und der Juni in den Juli.

Jasper und Liz schrieben sich oft, manchmal stündlich. Er schickte ihr ein Foto von dem Mann mit Turban, der an der Ecke Fünfundfünfzigste und Sechste Sandwiches verkaufte, und schrieb: Ich bin ziemlich sicher, dass du diesem Mann fehlst.

Nachdem ihr Vater aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte Liz eine kurze Stippvisite in New York gemacht, um sich mit ihrer Redakteurin zu treffen, zusätzliche Kleidung aus ihrer und Janes Wohnung zu holen, die angebrochenen Joghurt-Becher in ihren Kühlschränken zu entsorgen, ihren Bambus zu verschenken und Ersatzschlüssel bei einer Sekretärin im Residential Life & Housing Office des Barnard Colleges abzugeben, die kurzfristig und überraschend stressfrei Studenten aufgetrieben hatte, an die Liz und Jane ihre Wohnungen bis zum 31. August untervermieten konnten. Nachdem das alles erledigt war und ehe sie wieder zum Flughafen fuhr, traf Liz sich um elf Uhr an einem Dienstagmorgen mit Jasper in seiner Wohnung. Bei ihrer Ankunft machten sich Susan und Aidan gerade auf den Weg zum Kinderturnen. Obwohl sie sich seit ihrer Begegnung im High Line Park vor zwei Jahren nicht mehr gesehen hatten – inzwischen hatte Aidan sich von einem zu großen Baby in einen Minimenschen verwandelt –, begrüßte Susan sie so selbstverständlich wie eine Nachbarin mit „Hi, Liz“.

Doch sobald Susan und Aidan weg waren, während Liz und Jasper sich im Schlafzimmer beide selbst auszogen – sie hatten nicht viel Zeit, und über das Stadium aufwendiger Verführung waren sie sowieso hinaus –, überkam Liz ein gleichermaßen unerwartetes wie wenig verwunderliches Unbehagen. „Schlaft ihr noch zusammen in diesem Bett, du und Susan?“, fragte sie.

„Schon, aber nur wie Bruder und Schwester“, sagte Jasper. „Und auch nur, weil die Couch so unbequem ist. Vergiss nicht, dass sie einen Freund hat.“

Jasper stieg nackt in das ungemachte Bett, auf dem die beigen Laken und die lavendelblaue Baumwolldecke ans Fußende geschoben waren. Es gab einen Moment, in dem Liz fast nicht weitermachen konnte. Der Anblick von Aidan, zusammen mit diesem Schauplatz von Jaspers und Susans fortgesetztem Eheleben, wie auch immer ihre Vereinbarung darüber war, war einfach zu seltsam. Aber hier war Jasper, und der physische Beweis seiner Bereitschaft war nicht zu übersehen. Er war ein gut aussehender Mann; und Liz musste zum Flughafen; und in Wahrheit wollte sie auch Sex. Immerhin war es eine Weile her, und es würde dauern, bis sie wieder dazu kamen. Sie hakte ihren BH auf, das letzte Kleidungsstück, das sie noch trug, streifte ihn ab und stieg zu Jasper ins Bett. Fünf Stunden später landete ihr Flieger in Cincinnati.

7

Wie sich herausstellte, hatte Mrs. Bennet keine große Mühe aufwenden müssen, um Mrs. Lucas zu überzeugen, ein Treffen der Bennet-Töchter mit Chip Bingley zu ermöglichen. Bei Mrs. Bennets Anruf hatte Mrs. Lucas sofort erklärt, nichts könne ihr größeres Vergnügen bereiten oder ein schmeichelhafteres Licht auf Cincinnati werfen als die Anwesenheit der bezaubernden Bennet-Mädchen und deren Eltern bei der Lucas’schen Grillparty für die neuen Ärzte des Christ Hospital, wo Dr. Lucas als Arzt und leitender Manager tätig war.

Mrs. Lucas konnte aus eigener Erfahrung nachvollziehen, was es bedeutete, unverheiratete erwachsene Töchter zu haben. Allerdings beschränkte sich das Elend in ihrem Fall auf eine einzige Tochter und betraf nicht gleich fünf. Charlotte Lucas, die mit Liz in eine Klasse gegangen und auf der Seven Hills fünfzehn Jahre lang ihre beste Freundin gewesen war, war ebenfalls Single. Sie war eine kluge und selbstsichere Personalleiterin bei Procter & Gamble, seit dem College-Abschluss allerdings auch rund fünfundsiebzig Pfund zu schwer für ihre Größe. In Mrs. Bennets Augen fiel das Unglück von Mrs. Lucas durch diesen Umstand in eine vollends andere, wenn auch nicht minder frustrierende Kategorie als ihr eigenes. Offensichtlich war Charlotte unverheiratet, weil sie dick war; daher müsste sie bloß eine Diät machen. Mrs. Bennets Töchter hingegen besaßen keinerlei erkennbare körperliche oder charakterliche Makel (ausgenommen die unscheinbare Mary), womit sich keine simplen Maßnahmen anboten, mittels derer sie zu verheiraten gewesen wären.

Mrs. Bennet, die selbst etwas zum Rundlichen neigte, hatte sich gefragt, ob Mrs. Lucas ihre Tochter als Kandidatin für Chip ins Auge fasste, doch dass sie die Bennets ohne zu zögern zur Grillparty einlud, bestätigte Mrs. Bennet, dass ihre Freundin hinsichtlich Charlotte keine unrealistischen Erwartungen hegte. Und so blickte Mrs. Bennet, ungeachtet der Tatsache, dass sie sich schon zwanzig Jahre vergeblich bemüht hatte, eine ihrer Töchter unter die Haube zu bringen, diesem Barbecue mit sehr großen Hoffnungen entgegen.

Die Lucas’ wohnten in Indian Hill, einem fünfzehn Meilen vom Stadtzentrum entfernten Vorort. Diese Wohngegend erfreute sich bei all jenen Leuten aus Cincinnati großer Beliebtheit, die Pferde halten oder zumindest reinrassige Hunde auf riesigen parkähnlichen Anwesen umhertollen lassen wollten. Das Haus der Lucas’ war ein großer Backsteinbau mit einem Balkon über der Eingangstür und einem Schieferdach. In der Küche umarmten diverse Bennets diverse Lucas’, Jane überreichte ihren Kuchen, und Liz trat ans Fenster, um zu dem guten Dutzend Gäste hinauszublicken, die bereits plaudernd auf der mit Sandstein ausgelegten Terrasse standen. „Jane, komm her und sieh dir deinen zukünftigen Ehemann an“, rief sie vergnügt.

Jane kam zu ihr. „Gehe ich recht in der Annahme, dass Chip Bingley der große, gut aussehende Dunkelhaarige ist?“

Charlotte Lucas antwortete: „Nein, Chip ist der in den Seersucker-Shorts. Der große, gut aussehende Dunkelhaarige ist einer seiner Freunde, Fitzwilliam Darcy. Er ist seit letztem Jahr Neurochirurg am Schlaganfallzentrum der University of Cincinnati. Es heißt, dass er Single ist, aber ziemlich arrogant. Er und Chip haben zusammen Medizin studiert.“ Charlotte wandte sich zu Jane um. „Hast du wirklich nie Vermählung gesehen, als Chip dabei war?“

„Sie hat überhaupt noch nie Vermählung gesehen“, sagte Liz. „In der Beziehung ist sie so etwas wie ein Einhorn – die Letzte ihrer Art.“

„Oh, Chips Staffel war fantastisch!“, schwärmte Charlotte. „Da gab es sogar eine Prügelei mitsamt ausgerissenen Hair-Extensions!“

Mary, die auf der Fahrt dicht hinter dem Wagen ihrer Mutter geblieben war, sagte: „Ich finde, Vermählung ist erniedrigend für Frauen.“

„Ja, das hast du schon erwähnt.“ Liz sah Charlotte an. „Hast du eben gesagt, dass Chips Freund Fitzwilliam heißt? Ist er gerade mit der Mayflower angekommen?“

„Er benutzt nur seinen Nachnamen.“ Charlotte grinste. „Obwohl Darcy meiner Meinung nach nicht viel besser ist.“

In den letzten Jahren hatten sich Charlotte und Liz hauptsächlich bei Weihnachtspartys gesehen oder sich zum Mittagessen getroffen, wenn Liz aus New York zu Besuch war, aber sie verstanden sich nach wie vor prächtig. Tatsächlich war es einer der größten Vorteile dieses längeren Aufenthalts in Cincinnati, dass Liz ihre Freundschaft mit Charlotte wieder aufleben lassen konnte. Und als Erwachsene genoss sie die Gesellschaft der Freundin nicht weniger als zu Schulzeiten. Nur halb im Scherz überlegten sie, ob sie die letzten beiden Singles aus ihrem Highschool-Jahrgang waren, wobei Liz sich fragte, ob Charlotte stärker darunter litt. Schließlich lebte die Arme in Cincinnati, wo ihre Mutter permanent an ihr herummäkeln konnte. Noch dazu hatte sie keine größere Schwester als Puffer, bei der eine Heirat noch überfälliger war. Zudem wünschte Charlotte sich Kinder und hatte keinen heimlichen Freund.

„Chip ist kleiner, als er im Fernsehen ausgesehen hat, oder?“, sagte Charlotte. „Aber definitiv süß. Und dieser Typ mit dem V-Ausschnitt-Pulli, Keith, ist auch neu in der Notaufnahme.“ Der fragliche Mann war schwarz, der einzige Nicht-Weiße auf der Party. „Und die Frau in dem gestreiften Kleid ist Assistenzärztin. Der neben ihr ist ihr Mann, und zu ihnen gehört das Kleinkind.“ Neben diesen Gästen waren da noch eine gut aussehende blonde Frau, die Liz nicht kannte, und zwei ältere Paare, denen Liz schon bei der Open-House-Party der Lucas’ an Neujahr begegnet war. Die beiden Männer waren ebenfalls Ärzte am Christ Hospital.

„Ist Keith auch Single?“, fragte Liz. „Denn falls ja, Jane, kannst du praktisch von einem ganzen Männerbuffet wählen.“

„Vielleicht darf ich euch erinnern“, sagte Mr. Bennet, während er sich an einer nahen Bar einen Gin-Tonic machte, „dass ihr diese Herren nicht durch einen Spionspiegel beobachtet.“ Mr. Bennet hob eine Hand, und Dr. Lucas winkte zurück.

„Ich bezweifle, dass sie von den Lippen lesen können“, entgegnete Liz.

Jane wandte sich zu Charlotte. „Ist die Blonde auch Ärztin?“

„Nein, das ist Caroline Bingley, Chips Schwester. Sie lebt in L.A., hilft ihm aber, sich hier einzurichten.“

„Chip sieht wirklich gut aus“, sagte Jane, und Liz und Charlotte wechselten amüsierte Blicke.

„Dann gehen wir mal raus, und ich mache euch bekannt“, schlug Charlotte vor.

8

Nach dem Wirbel der allgemeinen Begrüßungen ergab es sich, dass Liz sich mit Keith unterhielt, der sehr sympathisch war und, wie Liz schnell herausfand, mit einer Frau verlobt, die noch ihre Assistenzarztzeit in San Diego beendete. Bis die Hähnchenbrüste gegrillt und der Kartoffelsalat, der Krautsalat und die Brötchen serviert waren, hatten Liz und Keith über das Klima in San Diego, das Klima in Cincinnati und das berühmte Cincinnati-Chili gesprochen, das Keith bisher nicht probiert hatte. Als sie auf Keiths Begeisterung fürs Golfen zu sprechen kamen, bemerkte Liz erfreut, dass Jane ins Gespräch mit Chip Bingley vertieft war. Und diese Unterhaltung setzte sich fort, als Jane und Chip sich Essen holten und sich nebeneinander auf eine niedrige Mauer setzten, wo sich bald Chips Schwester Caroline zu ihnen gesellte.

Nachdem Liz sich ebenfalls einen Teller mit Essen geholt hatte, ging sie zu einem Terrassentisch für vier Personen, an dem bereits Fitzwilliam Darcy mit dem Ehemann der Assistenzärztin und einem der älteren Ärzte saß. Der ältere Arzt und der Ehemann sprachen darüber, wie sich die Reds in dieser Saison schlugen, und Liz wandte sich an Fitzwilliam Darcy (oder, wie sie sich ermahnte, nur Darcy) und wies auf den freien Stuhl. „Ist dieser Platz schon besetzt?“

„Ist er“, antwortete Darcy. Er milderte seine Abfuhr nicht mit einer höflichen Entschuldigung, weshalb Liz annahm, dass er sie missverstanden hatte. Er musste denken, dass sie gefragt hatte, ob der Platz frei sei.

Also fragte sie: „Er ist besetzt?“

„Ja“, sagte Darcy, nach wie vor ungerührt. „Ist er.“

Trotz Charlottes Warnung, dass Darcy ziemlich arrogant schien, war Liz derart geschockt, dass sie versucht war zu erwidern: Verzeihen Sie, dass ich mir eingebildet habe, eines Platzes an Ihrem Tisch würdig zu sein! Dann war er eben auf der Harvard Medical School gewesen; dann war er eben ein Neurochirurg. Nichts von beidem gab ihm das Recht, so unhöflich zu sein. Bevor sie wegging, schenkte sie ihm ein Lächeln, dem er hoffentlich ansah, wie gekünstelt es war.

Da sie Kitty und Lydia in der Nähe entdeckte, ging Liz zu ihnen und hockte sich auf einen gepolsterten Schemel neben Kittys Knien. Ihre jüngeren Schwestern diskutierten gerade, um welche Zeit sie am besten bei der nächsten Party erscheinen sollten, die offenbar vom Besitzer des CrossFit-Studios gegeben wurde. Lydia zeigte zu dem Brötchen auf Liz’ Teller. „Machen dich die Kohlehydrate nicht schlapp?“

„Alles in Maßen“, antwortete Liz. Die Begeisterung der beiden für CrossFit und Paleo-Ernährung fiel ihr aus vielen Gründen auf die Nerven, nicht zuletzt, weil Liz sich mit beidem bereits lange vor ihnen befasst hatte; immerhin hatte sie schon 2007 einen Artikel über CrossFit geschrieben. Und es ärgerte sie auch, dass ihre Schwestern so fantastisch aussahen. Sie waren immer schon attraktiv gewesen, doch seit sie mit CrossFit angefangen hatten, strahlten sie förmlich vor Energie und Kraft.

Als Liz’ Handy in ihrer Tasche vibrierte, hatte sie beinahe aufgegessen und war noch wütender über Darcys Abfuhr als zuvor, denn der Stuhl neben ihm war die ganze Zeit leer geblieben. Sie nutzte die Gelegenheit, um nach drinnen zu verschwinden, sich an der Küchenspüle die Grillsauce von den Händen zu waschen und die Nachricht zu lesen.

Southampton ist der größte Mist aller Zeiten, hatte Jasper geschrieben, und Liz tippte: Durchhalten. Wann gibt’s Feuerwerk?

Keinen Schimmer, aber das kann nie so leuchten wie du, antwortete Jasper.

Meinst du meine schillernde Persönlichkeit oder die Pailletten-Nipple-Pasties? tippte Liz.

Bingo, antwortete Jasper.

Da sie gleich neben der Terrassentür stand, während sie auf ihr Handy sah, hörte sie zufällig ein Gespräch auf der anderen Seite der Fliegentür mit, und kaum konzentrierte sie sich einige Sekunden darauf, wurde ihr klar, dass es Chip Bingley und Fitzwilliam Darcy waren, die redeten.

„… viel besser, als ich erwartet hätte“, sagte Chip. „Wenn ich erzählt habe, dass ich nach Cincinnati ziehe, haben mir die Leute quasi kondoliert. Dabei ist es gar nicht schlecht hier.“

„Sagt der Mann, der eben eine Stunde mit der einzigen gut aussehenden Frau auf dieser Party geredet hat“, erwiderte Darcy. „Deine Schwester natürlich ausgenommen.“ Liz hörte das Klimpern von Eiswürfeln, bevor Darcy hinzufügte: „Sicher geben sie ihr Bestes, aber die Leute in Cincinnati sind und bleiben schmerzlich provinziell.“ Liz schmunzelte in der Küche vor sich hin. Es war eigenartig befriedigend, den Snobismus von Darcy bestätigt zu bekommen.

Chip sagte deutlich freundlicher: „Dann hast du in deinem ersten Jahr hier keine einzige waschechte Ohio-Frau getroffen, die deinen hohen Maßstäben genügt?“

„Nein, und mir fällt auch nichts ein, was mich weniger reizen könnte.“

Chip lachte. „Jemand hat mir erzählt, dass Janes Schwester Liz auch Single ist.“

„Vermutlich wäre es wenig ritterlich von mir, zu sagen, dass mich das nicht wundert.“

Liz stand der Mund offen. Auf einmal war es nicht mehr so befriedigend, zu lauschen. Was bildete dieser Mann sich ein, und was hatte er eigentlich gegen sie? Als sie einander vorgestellt worden waren, hatten sie kaum zehn Worte gewechselt.

„Übrigens habe ich schon etwas über die Leute in dieser Stadt gelernt“, sagte Darcy. „Die Frauen werden hier nach einem ganz bestimmten System bewertet. Wird eine als gebildet bezeichnet, heißt das, sie war während der College-Zeit mal in Paris; wird sie als schön bezeichnet, bedeutet es, dass sie nur fünfzehn Pfund Übergewicht hat statt vierzig. Und die Leute hier sind besessen vom Kuppeln. Sie benehmen sich, als würden sie dir einen Gefallen tun, wenn sie dich zum Kaffeetrinken mit einer Grundschullehrerin aus ihrer Gemeinde verdonnern und dir damit womöglich die letzten zwei freien Stunden rauben, die dir in der Woche bleiben. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie viele Frauen von Kollegen mich schon verkuppeln wollten. Und da du im Fernsehen warst, werden sie bei dir gar kein Halten mehr kennen.“

„Weißt du was?“, sagte Chip. „Ich werde es mir zur Aufgabe machen, dir in Cincinnati ein Sozialleben zu verschaffen. Und versuch nicht mal, mir weiszumachen, das sei ein Widerspruch in sich. Wenn du nur zwei Stunden die Woche hast, machen wir sie zu großartigen zwei Stunden.“ Sein freundlicher Tonfall sprach, wie Liz fand, nicht unbedingt für ihn – nicht nur fühlte sich Chip anscheinend keineswegs dazu berufen, sie vor Darcys Anfeindungen in Schutz zu nehmen, er schien noch nicht einmal wahrzunehmen, wie beleidigend die Worte seines Freundes waren.

„Schön für dich, wenn es dir hier gefällt“, sagte Darcy. „Und das meine ich keineswegs ironisch. Aber ich bin gespannt, wie du in einem Jahr darüber denkst.“

Als Chip gerade zu sprechen begann, stieß Liz die Fliegentür auf und sagte betont freundlich: „Hi!“ Sie blickte von Chip zu Darcy, dem sie ein bisschen länger als üblich in die Augen sah. „Drinnen habe ich gerade überlegt, welche Note ich mir geben würde“, sagte sie. „Ich dachte, dass es eine Eins plus wäre, aber ich habe gehört, dass wir hier nach einem eigenen System bewertet werden, also wäre ich wohl eher was? Eine Zwei nach Küstenmaßstäben? Oder eine Zwei minus? Falls Sie kurz Zeit finden, das herauszubekommen, lassen Sie es mich unbedingt wissen.“ Ohne auf eine Antwort der beiden zu warten, ging sie an ihnen vorbei. Sie konnte es kaum erwarten, Darcys Bemerkungen so schnell und so weit wie möglich zu verbreiten.

9

Am nächsten Morgen gingen Liz und Jane wie immer zusammen laufen, und sie waren kaum an der Edwards Road vorbei, als Jane sagte: „Übrigens hat Chip mir gestern Abend noch geschrieben und gefragt, ob ich morgen mit ihm essen gehe.“

„Er hat dir schon geschrieben? Und dich zum Dinner eingeladen? An einem Samstagabend? Jane, er ist in dich verknallt!“

„Ich weiß nicht“, sagte Jane.

„Was weißt du nicht? Ihr zwei musstet praktisch auseinandergerissen werden, als wir bei den Lucas’ aufgebrochen sind.“

„Er ist wirklich nett“, sagte Jane. „Und natürlich sieht er gut aus. Aber mir kommt das alles so künstlich vor – dass er im Fernsehen war und Mom alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, damit wir uns kennenlernen. Wirkt das nicht irgendwie lächerlich?“

„Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass du früher oder später deinen Traummann finden wirst. Und wenn es jemand ist, den Mom in deine Richtung geschubst hat … Tja, selbst eine stehen gebliebene Uhr geht zweimal am Tag richtig.“

„Es war irgendwie einfacher, dass ich niemanden mehr kennengelernt habe, mit dem ich ausgehen wollte, seit ich mit den Inseminationen angefangen habe. Was soll ich denn bei einem Date sagen? ‚Du, ich mag dich, aber ich lasse mir einmal im Monat anonymes Sperma in den Uterus spritzen. Hoffentlich findest du das jetzt nicht irgendwie komisch.‘!“

„Da denkst du schon ein bisschen zu weit“, entgegnete Liz. „Geh erst mal mit ihm essen.“

Jane blieb stumm, und Liz sagte: „Ich kann dich grübeln hören. Was ist?“

„Sicher sollte ich keine so große Sache aus einem Date machen“, antwortete Jane nachdenklich. „Aber ich kann es einfach nicht lassen, nachzurechnen. Was ist, wenn wir etwas anfangen, für drei, sechs oder achtzehn Monate zusammen sind und dann Schluss machen? Dann bin ich vierzig oder einundvierzig.“

„Du machst doch mit der Behandlung nicht weiter, solange du hier bist, oder?“, fragte Liz, und Jane nickte.

„In einer anderen Klinik noch mal neu anzufangen ist viel zu kompliziert.“

„In dem Fall gib Chip eine Chance, solange wir in Cincinnati sind. Gönn dir eine Sommeraffäre. Du mochtest ihn doch.“

Sie liefen am Corbin Drive vorbei, als Jane so leise sagte, dass Liz sie kaum verstand: „Das stimmt. Ich mochte ihn sehr.“

10

„Ich frage mich wirklich langsam“, sagte Liz zu Mary, „an welchem Tag Mervetta eigentlich kommt. Denn allmählich wird es hier im Haus eklig.“ Mervetta war schon seit Liz’ Kindertagen eine feste Institution im Tudor-Haus. Sie kam zweimal im Monat, um die Toiletten der Bennets zu putzen, die Teppiche zu saugen und die Bettwäsche zu wechseln. Als Liz zehn Jahre alt war, hatte Mervetta ihr einmal erzählt, dass sie außer den Bennets keinen einzigen Weißen kannte, der Maisgrütze aß.

Marys Miene wirkte gequält und amüsiert zugleich, so als hätte Liz einen anzüglichen Witz gerissen, von dem Mary wünschte, sie würde ihn nicht lustig finden. „Mervetta ist gestorben“, antwortete sie.

„Oh Gott, das hat mir keiner gesagt!“

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